dieter buchhart - Über die dialektik von spielregeln und offenem handlungsfeld

22
Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld Dieter Buchhart Hendrik Heuer, SpiDEx, Universität Bremen Artikel aus Kunstforum, Bd. 176, Juni-August 2005

Upload: hendrik

Post on 05-Dec-2014

726 views

Category:

Entertainment & Humor


6 download

DESCRIPTION

 

TRANSCRIPT

Page 1: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Über die Dialektik von Spielregeln und offenem HandlungsfeldDieter Buchhart

Hendrik Heuer, SpiDEx, Universität Bremen

Artikel aus Kunstforum, Bd. 176, Juni-August 2005

Page 2: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Das Spiel

„Jedes Spiel hat seine eigenen Regeln“- Johan Huizinga

Spiel grundlegendes Element unserer Kultur

zeigt sich schon in unserer Sprache:

nicht nur Brett- und Computerspiele, sondern auch Macht-, Liebes- oder Rollenspiele

homo ludens, den Menschen als Spieler

Page 3: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Das Spiel

freie Handlung, die ‚nicht so gemeint‘ ist

außerhalb des gewöhnlichen Lebens stehend empfunden

kein materielles Interesse befriedigt oder Nutzen erworben

bestimmte Zeit und bestimmten Raum

Regeln

Page 4: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Grundparameter

Abgeschlossenheit

Begrenztheit

ohne Notwendigkeit und Nutzen

Spannungselement

Wiederholbarkeit

Spielregeln als Grundvorraussetzung

Page 5: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Handlungen

unveränderlicher Rahmen ermöglicht einen neuen Entfaltungsraum

nicht uneingeschränkt, sondern bereits definierter Handlungsspielraum

Handlungsfreiheit - ergibt sich aus dem Gefühl, dem „eigentlichen“ Leben zu entfliehen

Page 6: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Die Spieltheorie

nach Flusser die fundamentale Theorie der Zukunft, da Zusammentreffen von Zufall und Regeln unserer Kultur zugrunde liegt

Eroberung des Alltags durch das Spiel zeigt sich z.B. in Big Brother und den zahlreichen Gewinnspielen

Homo ludens strebt insbesondere nach Zugewinn von „Kompetenzen“

Page 7: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Die Kunst

ist auch ein Spiel

der Künstler ist ein Spieler mit Spielstrategie und interagiert mit den BetrachterInnen

Flusser entkräftet so Künstlergeniekult

kalkuliert Spielregeln als gesellschaftliches Korsett

Page 8: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Die Dialektik

Der Widerspruch zwischen Einschränkung und Offenheit des Spiels

in Kunst werden BetrachterInnen immer mehr aktiv beteiligt

nicht mehr nur RezipientInnen, sondern auch PartizipantInnen

es entstehen also unvollendete Kunstwerke, die durch BetrachterInnen vollendet werden müssen

Page 9: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Rezeptionsästhetik

seit Avantgarde versuchen Künstler das Unberechenbare und den spielerischen Zufall in ihre Kunst einzuführen

Marcel Duchamp führt Ready-Made ein

Page 10: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Ready-MadeAlltagsgegenstände in neuen Sinnzusammenhänge

Duchamp verschenkt z.B. Anweisung zur Hochzeit und macht so Adressaten zum Produzenten

führt den Zufall als Element ein, weil der Adressat Wahlfreiheiten besitzt und der Wind eine Rolle spielt

Page 11: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Schachspieler = Künstler

Abstraktion der Abbildung und sinnliches Vollziehen

jeder Schachspieler wird im Augenblick des Spiels zum künstlerischen Akteur

ähnliches findet man auch beim Komponisten John Cage (zufällig produzierte Markierungen auf Millimeterpapier, Lärm des Publikums)

Page 12: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

bei Konzeptkunst

Spiel nicht nur momenthaft während des Spielverlaufs, sondern grundsätzlich als Konzept

es gibt keine Spielverderber

denn man muss aber nicht mitmachen, um Teil des Kunstwerks zu sein / es zu erfahren

Page 13: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Öyvind Fahlström

„Ein Spiel in seiner allgemeingültigen Bedeutung erfordert nur das eine: Regeln.“ihm geht es nicht um Strategietheorien, sondern um die Ästhetik des Zufalls (vgl. Cage)

auch hier: Spielregeln als enges Konzept des Handlungsfelds der BetrachterInnen

Page 14: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Kalter Krieg als Spiel

Fahlström baut Monopoly Spiel-Bilder als „politisches Miniaturpsychodrama“ inkl. Welthandel, Krieg, Unterdrückung und Dritte Welt

Page 15: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Gesellschaftsspiele

es gibt weitere Brettspiele, die sich mit gesellschaftlichen Fragestellungen auseinandersetzen (Castingband, Kunstmarkt)

Spannungsfeld, das eine ernsthafte thematische Auseinandersetzung anregen kann

Page 16: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Rasmus Danø - RE-ACT-MIND-OUT

ausgehend vom Spiel „Die Sims“ werden Galerie und Ausstellungsräume in Spielräume verwandelt

kein Gewinnen oder Verlieren, sondern das Leben an sich

hier aber kein enges Handlungskorsett, sondern ein assoziatives Spielfeld (Aufforderungen wie „make a smile“)

„Endlosschleife von Geburt und Tod und allem dazwischen“

Page 17: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

RE-ACT-MIND-OUT

Mimikry, also Nachahmung und Täuschung

kein Gewinnen und Verlieren, wodurch die Motivation zu spielen eigentlich wegzufallen scheint

Danø sprengt außerdem auch Abgeschlossenheit des Spiels

Page 18: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Stanisław Dróżdż

sechs Spielwürfel in Pavillon

Besucher dürfen würfeln

Wenn jemand „seine“ der 46.656 möglichen Kombinationen bekommt, hat er gewonnen. Sonst hat er verloren.

Gewinnen sehr unwahrscheinlich

ein Gedankenexperiment zur Sehnsucht / Sucht zu gewinnen

Page 19: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Christa Sommerer und Laurent Mignonneau

ahmen Evolution mit virtuellen Wesen nach

können per Touchscreen entworfen werden

„survival of the fittest“

wird zum didaktisch ausgerichteten Spiel zum Thema Evolution

Page 20: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Permanent Breakfast

Page 21: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Permanent Breakfast

fünf Spieler, von denen einer einlädt, an einem öffentlichen Ort an einem Tisch zu frühstücken

Pyramidensystem, da jeder Spieler durch die Regeln verpflichtet wird, wiederum ein eigenes Frühstück auszurichten

wird / wurde so zu einer Gesellschaftsbewegung und hat sich verselbstständigt

Page 22: Dieter Buchhart - Über die Dialektik von Spielregeln und offenem Handlungsfeld

Spiel & Kunst

da das Spiel als außerhalb des gewöhnlichen Lebens stehend empfunden wird, bietet es die Möglichkeit gesellschaftliche, politische und ästhetische Fragen aufzuwerfen

Kunst wird Parametern des Spiels untergeordnet (Spielregeln, Spielraum, Interaktion)

Partizipation der RezipientInnen öffnet den Kunstbegriff