digitalisierung auf kosten der gesundheit? ansatzpunkte
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Dr. Anita Tisch / Dr. Sascha Wischniewski
Digitalisierung auf Kosten der Gesundheit?
-
Ansatzpunkte für eine menschengerechte und
gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit
im digitalen Wandel
Betriebsrätekonferenz „Digitalisierung und Automatisierung im Handel“
16./17. Oktober 2018, Kassel
Dr. Anita Tisch
09.10.2018 1
Inhalt
(Kein) Ende der Arbeit in Sicht?
Erhöhte Veränderungsfrequenz der Arbeitswelt
(Neue) Anforderungen und ihre Bedeutung für
Schlüsselfaktoren der Arbeitsgestaltung:
Arbeitsintensität
Tätigkeitsspielraum
Arbeitszeit
Qualifikationen und Fähigkeiten
Führung
Ausblick
09.10.2018 Dr. Anita Tisch / Dr. Sascha Wischniewski 2
Ende der Arbeit?
Frey/Osborne (2013): Knapp die Hälfte (47 %) aller
Arbeitsplätze in den USA sind in den nächsten 10-20
Jahren durch Maschinen ersetzbar
Dr. Anita Tisch, Gruppe 1.1 "Wandel der Arbeit" 3
(Kein) Ende der Arbeit
Übertragbarkeit auf den Deutschland?
Bonin et al. (2015): 12 % der Arbeitsplätze in Deutschland
weisen Tätigkeitsprofil mit sehr hoher
Automatisierungswahrscheinlichkeit auf.
Dengler/Matthes (2015): etwa 15 % der Beschäftigten
arbeiten in einem Beruf, indem mehr als 70 % der
Tätigkeiten bereits heute potenziell von Maschinen
erledigt werden können.
Wirtschaftliche, rechtliche und ethische Hürden der
Einführung werden nicht berücksichtigt.
Wandel der Tätigkeiten und Entstehung neuer Berufe
bleiben ebenfalls unberücksichtigt.
Dr. Anita Tisch, Gruppe 1.1 "Wandel der Arbeit" 4
Kein Ende der Arbeit
Dr. Anita Tisch, Gruppe 1.1 "Wandel der Arbeit" 5
Digitalisierung hat kaum Auswirkungen auf das Gesamtniveau der
Beschäftigung
Erhöhte Veränderungsfrequenz der Arbeitswelt
Erhöhte Dynamik der Einstellungen
und Abgänge (Warning/Weber, 2017).
Dr. Anita Tisch, Gruppe 1.1 "Wandel der Arbeit" 6
Erhöhte Veränderungsfrequenz
durch den Einsatz neuer Technologien:
Quelle: BIBB/BAuA
Erwerbstätigen-
befragung. Eigene
Berechnungen,
Meyer et al. 2018.
Einführung
neuer
Software-
programme in
den
vergangenen
zwei Jahren
Beständige
technologische
Restrukturierung (vgl. Meyer at al., 2018)
(2013)
Quelle: BIBB/BAuA
Erwerbstätigen-
befragung. Eigene
Berechnungen,
Meyer et al. 2018.
Einführung
neuer
Anlagen und
Verfahrens-
technik in den
vergangenen
zwei Jahren
Quelle: in Anlehnung an Rohmert (1972), Hacker & Richter (1980), Luczak & Volpert (1987)
7
Kriterien menschengerechter Gestaltung von Arbeit
Schädigungslosigkeit
Ausführbarkeit
Beeinträchtigungsfreiheit
Gesundheits- und
Persönlichkeitsförderlichkeit
Rahmenbedingungen A
rbeitsaufg
abe
09.10.2018 Dr. Anita Tisch / Dr. Sascha Wischniewski 7
Körperliche Entlastung durch neue Technologien
09.10.2018 Dr. Anita Tisch / Dr. Sascha Wischniewski 8
Quelle: BMAS Monitor: Digitalisierung am Arbeitsplatz (2016)
Aber: Möglicherweise „neue“ Risiken
durch langes Sitzen,
Überwachungstätigkeiten, u.a.
Inhalt
(Kein) Ende der Arbeit in Sicht
Erhöhte Veränderungsfrequenz der Arbeitswelt
(Neue) Anforderungen und ihre Bedeutung für
Schlüsselfaktoren der Arbeitsgestaltung:
Arbeitsintensität
Handlungsspielraum
Arbeitszeit
Qualifikationen und Fähigkeiten
Führung
Ausblick
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Schlüsselfaktor: Arbeitsintensität und Verdichtung
09.10.2018 Dr. Anita Tisch / Dr. Sascha Wischniewski 10
Höhere Arbeitsintensität bei Einführung neuer Technologien
- unabhängig von Art der Technologie (vgl. Meyer et al.
2018)
Quelle: BMAS Monitor: Digitalisierung am Arbeitsplatz (2016)
Schlüsselfaktor: Arbeitsintensität und Verdichtung
09.10.2018 Dr. Anita Tisch / Dr. Sascha Wischniewski 11
Folgen:
negative Folgen für die mentale Gesundheit
negative Folgen für die Leistungsfähigkeit
Zunahme an (psychosomatischen) Beschwerden
Abnahme der Motivation
Vgl.: Projekt: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt: „Ein Scoping
Review zum Thema Arbeitsintensität“ Stab et al. (2016)
Schlüsselfaktor: Handlungsspielraum
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Quellen: Meyer et al., 2018; Kirchner (2015)
aber: Handlungsspielraum ist
abhängig von der
konkreten Technologie:
erhöht bei Einführung neuer Software
erhöht v.a. bei Internetnutzung (im Vgl. zu
Computernutzung)
keine Erhöhung bei neuen Anlagen- und
Verfahrenstechnologien
32 % der Beschäftigten erleben einen
größeren Handlungsspielraum Quelle: BMAS Monitor Digitalisierung am Arbeitsplatz (2016)
Schlüsselfaktor: Handlungsspielraum
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Gefährdungspotenzial geringer Handlungsspielraum:
kardiovaskuläre Erkrankungen
(siehe Metaanalyse von Pieper et al., 1989; Review von Schnall et al., 1994)
psychische Störungen, insbesondere depressive
Erkrankungen und Angst
(siehe Metaanalyse von Stansfeld & Candy, 2006; Reviews von Bonde,
2008 oder Siegrist, 2008; Langzeitstudie von Griffin et al., 2002)
Schlüsselfaktor: Arbeitszeit
Bei Neueinstellungen stellen Betrieben mit stärkerer
Nutzung digitaler Technologien höhere Anforderungen an
die zeitliche Flexibilität der Bewerber (Warning/Weber,
2017).
Beschäftigte, die mit modernen IKT arbeiten, berichten
häufiger davon auch außerhalb der Arbeitszeit für
berufliche Belange erreichbar zu sein (Holler, 2017).
Dr. Anita Tisch, Gruppe 1.1 "Wandel der Arbeit" 14
Erweiterte
Erreichbarkeit
Zeitliche Flexibilität
22
12
24
12
0
5
10
15
20
25
30
ErwarteteErreichbarkeit
HäufigeKontaktierung
20152017
Quelle: BAuA Arbeitszeitbefragung 2015/2017
Bei Neueinstellungen stellen Betrieben mit stärkerer
Nutzung digitaler Technologien höhere Anforderungen an
die zeitliche Flexibilität der Bewerber (Warning/Weber,
2017).
Beschäftigte, die mit modernen IKT arbeiten, berichten
häufiger davon auch außerhalb der Arbeitszeit für
berufliche Belange erreichbar zu sein (Holler, 2017).
Erweiterte
Erreichbarkeit
Folgen ständiger Erreichbarkeit
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Gesundheitliche Beschwerden bei
ständiger Erreichbarkeit
Quelle: BAuA Arbeitszeitbefragung 2015
Schlüsselfaktor: Arbeitszeit
etwa 12 % der Beschäftigten haben vertraglich
vereinbarte Telearbeit bzw. Homeoffice
etwa 8 % der Beschäftigten arbeitet regelmäßig (mind. 1
mal pro Woche) in Telearbeit bzw. Homeoffice
Dr. Anita Tisch, Gruppe 1.1 "Wandel der Arbeit" 16
Ortsflexibles Arbeiten
68
22
9
Warum arbeiten Sie nicht im Homeoffice?
möchte nicht imHomeofficearbeiten
meine Tätigkeitlässt es nicht zu
meinArbeitgeberlässt es nicht zu
78
22
Mir ist es wichtig Arbeit und Privatleben zu trennen
trifft (voll und ganz) zu
trifft (überhaupt) nichtzu
Quelle: BAuA Arbeitszeitbefragung, 2017 Quelle: BAuA Arbeitszeitbefragung, 2017
Verändernde Anforderungen an Fähigkeiten und Qualifikation
Notwendigkeit beständiger Weiterentwicklung von
Kenntnissen und Fähigkeiten (Arnold et al., 2017)
Dr. Anita Tisch, Gruppe 1.1 "Wandel der Arbeit" 17
Quelle: BMAS Monitor: Digitalisierung am Arbeitsplatz (2016)
Bedeutungsgewinn • Kenntnisse aus
Lehrgängen und Kursen
• sozial-kommunikativer
Fähigkeiten
• insb. bei Betrieben mit
Einsatz selbstlernender
Systeme:
Führungsqualitäten
(vgl. Warning/Weber, 2017)
Beschäftigte.
Führungskräfte:
Mögliche Folgen:
Individualisierung von Risiken: Gefahr der
Verunsicherung, Stress
Individualisierung von Verantwortlichkeiten
Bedeutungsgewinn „neuer“ Kompetenzen: zwischen
interessierter Selbstgefährdung, Stressbewältigung
und Grenzbewusstsein
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Verändernde Anforderungen an Fähigkeiten und Qualifikation
Schlüsselfaktor: Führung
Dr. Anita Tisch, Gruppe 1.1 "Wandel der Arbeit" 19
„Die gegenwärtige rasante
technisch-technologische
Entwicklung erweist sich als
aussichtsreicher Kandidat,
personale Führung
überflüssig zu machen [...]“
„Natürlich brauchen Menschen Führung:
Führung um sich im Dschungel der sich stetig
ändernden Prozesse zurecht zu finden,
Führung um sich in schier unendlichen
Matrixwelten zu orientieren, Führung um in
den immer virtueller werdenden Arbeits-
landschaften nicht verloren zu gehen.“ F2436
Notwendigkeit von Führung
Führen in einer digitalisierten Arbeitswelt
Neue Anforderungen an Führung:
Schutz vor interessierter Selbstgefährdung
Berücksichtigung pluralisierter Lebenslagen
Anpassung an sich schnell wandelnde Anforderungen
Vorbildfunktion
Führung vs. Steuerung in agilen Organisationsformen
(Neue) Risikogruppe Führungskräfte?
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4. Auswirkungen auf den technischen Arbeitsschutz sowie
die Arbeitsschutzsysteme
Neue Anforderungen für die Arbeitsschutzsysteme
(u.a. BGM, Arbeitsschutzgesetze):
Expertengestütztes Arbeitsschutzsystem vs.
Integration arbeitsschutzrelevanter Prozesse und
individueller Kompetenzen
Funktionale Sicherheit (Safety) im Kontext
Industrie 4.0 (Sicherheitstechnik in
Cyberphysischen Systemen)
Informations- und Angriffsicherheit
Produktsicherheit
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Makro-Ebene
(Unternehmens-
übergreifend)
Meso-Ebene
(Arbeitsgruppen bis
hin zum gesamten
Unternehmen)
Micro-Ebene
(Arbeitsplätze)
Vielen Dank!
Dr. Anita Tisch
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
Fachgruppe „Wandel der Arbeit“
Friedrich-Henkel-Weg 1-25
44149 Dortmund
Kontakt: [email protected]
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