diplomarbeit zur unterscheidung zwischen realität und
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Diplomarbeit
Zur Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion im Fernsehen
als Bestandteil praxisbezogen vermittelter Medienkompetenz.
Evaluation eines Trainings für HauptschülerInnen
von Benjamin Caspar Fauth
Freiburg, Sommersemester 2008
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Institut für Psychologie
Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie
BetreuerInnen: Dr. Helmut Wetzel und Prof. Dr. Gabriele Lucius-Hoene
Externer Betreuer: PD Dr. Armin Castello, Pädagogische Hochschule Freiburg
Abstract
Auf der Grundlage einer theoretischen Modellierung des Verhältnisses von Realität und
Fiktion beschreibt die vorliegende Arbeit die Entwicklung und Evaluation eines
Trainingsprogramms für jugendliche HauptschülerInnen, das die Fähigkeit zu
Unterscheidungen zwischen Realität und Fiktion im Fernsehen fördern soll. Die empirische
Evaluation in einem 2x2 Prä-Post-Design mit Kontrollgruppe bescheinigt dem Training eine
hohe Wirksamkeit in allen erhobenen Variablen. Damit erweist sich auch das theoretische
Konzept als angemessen und steht nun für weitere Untersuchungen zur Verfügung.
Danksagung
Bedanken möchte ich mich bei meinen Betreuern PD Dr. Armin Castello und Dr. Helmut
Wetzel und bei meiner Betreuerin Prof. Dr. Gabriele Lucius-Hoene.
Danken möchte ich auch Prof. Dr. Michael Charlton, ohne den ich nicht nur diese Arbeit nicht
geschrieben hätte, sondern wohl auch das Studium der Psychologie nach dem zweiten
Semester abgebrochen hätte.
Armin Castello danke ich besonders, weil er es mir ermöglicht hat, diese Arbeit im Rahmen
des Projekts „hsTV“ zu schreiben und weil ich seit mittlerweile 3 Jahren unter seiner
Projektleitung arbeiten kann.
In der Arbeitsgruppe Schule und Medien – Armin Castello, Martina Göpfert, Nadia Juga und
Melanie Vollmer – genieße ich immer wieder unsere „unkonventionelle Forschungsarbeit“.
Sie hat mich nachhaltig geprägt.
Martina Göpfert danke ich für ausführliche Korrekturen des Texts. Und dafür, dass sie mir als
Tischnachbarin in unserem Büro immer wieder mit fachlichem Rat zur Seite stand und sich
geduldig alles angehört hat, was ich zur Realität zu sagen hatte.
Matthias Nawrat hat die Arbeit akribisch korrigiert. Außerdem ist er als Mitbewohner
unersetzlich. Dank dafür.
Norman Eckert hat für körperliche Ertüchtigung und geistige Entwirrung gesorgt. Danke.
Danke, Monika und Werner Fauth.
Danke, Lisa Schäfer!
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Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung .......................................................................................................................... 5
2 Theorie............................................................................................................................... 9
2.1 Realität, Fiktion und Fernsehen ................................................................................. 9
2.1.1 Kritische Theorie .............................................................................................. 10
2.1.2 Poststrukturalismus .......................................................................................... 11
2.1.3 Kritik ................................................................................................................ 12
2.1.3.1 Bild vom Rezipienten ................................................................................... 12
2.1.3.2 Sinn und Unsinn von Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen ........................ 14
2.1.4 Wissenssoziologische und konstruktivistische Reformulierungen – Klärung zentraler Begriffe.............................................................................................................. 16
2.2 Realität und Fiktion in der Medienwirklichkeit ....................................................... 19
2.3 Modellierungen der Fiktion ...................................................................................... 25
2.3.1 Darstellungsbezogene Theorien der Fiktion .................................................... 28
2.3.2 Semantische Theorien der Fiktion .................................................................... 31
2.3.3 Pragmatische Theorien der Fiktion .................................................................. 35
2.3.4 Pragmatik als vorgeordnete Perspektive .......................................................... 38
2.4 Integratives Modell von Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen ................................ 41
2.4.1 Pragmatische Perspektive ................................................................................. 42
2.4.2 Inhaltlich-semantische Perspektive .................................................................. 43
2.4.3 Darstellungsbezogen-formale Perspektive ....................................................... 45
2.4.4 Fazit .................................................................................................................. 46
2.5 Medienkompetenz .................................................................................................... 46
2.5.1 Einbettung in ein allgemeines Konzept von Medienkompetenz ...................... 48
2.5.2 Spezifische Kompetenzen ................................................................................ 51
2.5.2.1 Formatwissen ............................................................................................... 51
2.5.2.2 Verarbeitungsstrategien ................................................................................ 52
2.5.2.3 Hinterfragende Grundhaltung ...................................................................... 53
2.6 Die Zielgruppe: HauptschülerInnen zwischen 12 und 15 Jahren ............................. 54
2.7 Das Training ............................................................................................................. 58
2.7.1 Formatwissen ................................................................................................... 59
2.7.2 Strategien .......................................................................................................... 61
4
3 Empirie ............................................................................................................................ 65
3.1 Fragestellungen ........................................................................................................ 65
3.2 Operationalisierungen .............................................................................................. 67
3.2.1 Formatwissen und Werkkategorien (Fragestellungen 1 und 2) ....................... 68
3.2.2 Strategierepräsentation (Fragestellung 3) ......................................................... 70
3.3 Methoden und Verfahren ......................................................................................... 72
3.3.1 Überprüfung der Messmittel ............................................................................ 72
3.3.2 Evaluationsstudie ............................................................................................. 74
3.3.2.1 Die Skalen Formatwissen und Strategierepräsentation ................................ 74
3.3.2.2 Items zum Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien ............................... 74
3.4 Untersuchungsfeld und Teilnehmende ..................................................................... 75
3.5 Durchführung ........................................................................................................... 76
3.5.1 Planung der Umsetzung ................................................................................... 76
3.5.2 Tatsächliche Umsetzung .................................................................................. 77
3.6 Ergebnisse ................................................................................................................ 78
3.6.1 Stichprobenbeschreibung ................................................................................. 78
3.6.2 Daten zur Mediennutzung ................................................................................ 80
3.6.3 Qualität der Messmittel .................................................................................... 81
3.6.4 Summative Evaluation des Trainings ............................................................... 84
3.6.4.1 Formatwissen ............................................................................................... 84
3.6.4.2 Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien ................................................. 86
3.6.4.3 Strategierepräsentation ................................................................................. 88
4 Diskussion ....................................................................................................................... 90
4.1 Stichprobe ................................................................................................................. 90
4.2 Daten zur Mediennutzung ........................................................................................ 91
4.3 Qualität der Messmittel ............................................................................................ 92
4.4 Summative Evaluation ............................................................................................. 93
4.5 Kritische Reflektion ................................................................................................. 95
5 Literatur .......................................................................................................................... 98
6 Anhang .......................................................................................................................... 106
5
1 Einleitung
„Bevor ich begann, mich mit dem Thema zu beschäftigen, schien alles klar: Die Fiktion gehörte zum Spielfilm, der Geschichten erzählt, während der Dokumentarfilm in den Bereich der Nichtfiktion fiel.“ (Tröhler, 2002, S. 9)
Jugendliche HauptschülerInnen sehen jeden Tag ungefähr 2,5 Stunden fern (Kutteroff &
Behrens, 2007, S. 23). Es kann beobachtet werden, dass die dabei gesehenen Sendungen
zunehmend diffusere und komplexere Grenzkonstruktionen zwischen realen und fiktionalen
Darstellungen für ihre RezipientInnen bereithalten (Meckel, 2002). Neue Fernsehformate wie
das Infotainment, die Doku-Soap oder die Pseudo-Doku lassen ihren Realitätsbezug
systematisch ungeklärt oder versuchen gar, fiktive Inhalte fälschlich als dokumentarische
auszugeben.
Auf Seiten der jugendlichen RezipientInnen stehen dem jedoch keine gesteigerten
Verarbeitungskompetenzen gegenüber. Im Gegenteil: In Untersuchungen wie den PISA-
Studien wird deutlich, dass solche Verarbeitungsstrategien gerade HauptschülerInnen
erhebliche Probleme bereiten. Da die Vermittlung von Medienkompetenz in den meisten
Lehrplänen verbindlich festgeschrieben ist, liegt es nahe, auch die Fähigkeit zu Realitäts-
Fiktions-Unterscheidungen im schulischen Kontext zu fördern. Dabei sollte es heute
selbstverständlich sein, dass solche Programme evaluiert und mithin auf ihre Wirksamkeit
geprüft werden (Christiansen, 2001). Die vorliegende Arbeit will dies leisten.
Am Anfang dieses Vorhabens steht jedoch das Problem, dass es ohne ein theoretisch
und empirisch tragfähiges Konzept des Verhältnisses von Realität und Fiktion im Fernsehen
nicht möglich ist, angemessen über Prozesse der Rezeption zu sprechen, geschweige denn
spezifische Kompetenzen in den Blick zu bekommen. Es können grundsätzlich zwei Seiten
der Medienkommunikation unterschieden werden: die des medialen Produkts (eines Textes
oder einer Sendung) und die der Rezeption. Hauptproblem der bisherigen psychologischen
Forschungen zur „perceived reality“ (Hawkins, 1977) ist, dass die Seite des medialen
Produkts nicht hinreichend differenziert betrachtet wurde. Aus einer dezidiert
medienkritischen Sicht wurde dabei angenommen, die Inhalte des Fernsehens seien „generell
unrealistisch und wirklichkeitsfern“ (Rothmund, Schreier & Groeben, 2001a, S. 34). Daher
sei die dem Medium global zugeschriebene Realitätsnähe bzw. -ferne ein direkter Indikator
für die Medienkompetenz der RezipientInnen.
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Sucht man aber diese Kompetenzen gezielt zu stärken, stößt die Annahme einer
generell wirklichkeitsfernen Scheinwelt des Mediums schnell an ihre Grenzen. In der
vorliegenden Arbeit sollen solche Vereinfachungen vermieden werden, indem zunächst
begrifflich geklärt wird, auf welche Weise in Bezug auf das Fernsehen von einer Darstellung
der „Wirklichkeit“ ausgegangen werden kann und inwiefern auf Seiten des medialen Produkts
sinnvoll von Unterscheidungen zwischen Realität und Fiktion gesprochen werden kann.
Die Arbeit lässt sich daher in zwei aufeinander aufbauende Teile gliedern. Der erste
Teil sucht eben dieses hochkomplexe Verhältnis von Realität und Fiktion in der heutigen
Fernsehlandschaft zu klären. Er ist geschrieben unter der Frage, wie dieses Verhältnis
theoretisch zu fassen ist und was eine entsprechende Modellierung für konkrete Prozesse der
Rezeption bedeutet. Der zweite Teil befasst sich mit einer praxisbezogenen Intervention, die
auf dieser theoretischen Grundlage konzipiert wurde und die Fähigkeit zu Unterscheidungen
zwischen Realität und Fiktion stärken soll. Dabei geht es um die empirisch zu beantwortende
Frage, ob dieses Training bei jugendlichen HauptschülerInnen wirksam ist.
Im Einzelnen ist die Arbeit wie folgt gegliedert:
Der theoretische Teil der Arbeit umfasst sieben Abschnitte, die aufeinander aufbauen
und eine Argumentationslinie bilden.
Im ersten Abschnitt geht es um das Verhältnis des Fernsehens zur Realität. Es wird
argumentiert, dass es wenig Sinn macht, generalisierend von einer durch das Fernsehen
simulierten Scheinwelt zu sprechen, wie dies auch in kritischen und postmodernen Theorien
häufig getan wird. Vielmehr gewinnt gerade vor dem Hintergrund zunehmend unklarer
Grenzkonstruktionen zwischen Realität und Fiktion im Fernsehen die Untersuchung der
Grenzen und ihrer Überschreitungen eine besondere Bedeutung.
Daher wird im zweiten Abschnitt anhand von Beispielen aus dem aktuellen
Fernsehprogramm aufgezeigt, wie die Vermischungen von Realität und Fiktion im Fernsehen
konkret aussehen. Dabei werden Prozesse der Fiktionalisierung und Authentifzierung als
zentrale Merkmale neuer Programmformen herausgearbeitet. Sie haben zur Folge, dass die
beschriebenen Sendungen ein hohes Maß an Verwirrungen und Unklarheiten für ihre
RezipientInnen bereithalten.1
Im dritten Abschnitt wird zunächst die Seite des medialen Produkts ausführlich
thematisiert, um diesen Unklarheiten auf Seiten der RezipientInnen systematisch begegnen zu
1 Dabei soll es in der vorliegenden Arbeit nicht um mögliche Folgen von Vermischungen von Realität und Fiktion im Fernsehen z.B. für die Entwicklung von Einstellungen oder Werten bei den jugendlichen RezipientInnen gehen. Auch dies wäre sicherlich eine spannende Aufgabe, würde aber ebenso eine vorherige Klärung des Verhältnisses von Realität und Fiktion auf Seiten des medialen Produkts voraussetzen, der hier besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird.
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können. Dabei geht es zentral um die oben schon angesprochene Frage, wie das Verhältnis
von Realität und Fiktion im Fernsehen theoretisch beschrieben werden kann. Es handelt sich
also um Versuche, die im vorigen Abschnitt beschriebenen Phänomene theoretisch zu fassen,
um auf dieser Theorie eine praxisbezogene Intervention aufzubauen. Dabei zeigt sich, dass
der Problembereich Realität und Fiktion seit jeher in den Literaturwissenschaften intensiv
diskutiert wird.2 Es werden verschiedene Theorien gesichtet und bewertet, die sich dem
Phänomen der Fiktion aus unterschiedlichen Perspektiven nähern.
Im vierten Abschnitt wird daran anschließend das drei Ebenen Modell von Rothmund,
Schreier und Groeben (z.B. 2001b) vorgestellt, welches den Anspruch hat, diese
unterschiedlichen Perspektiven zu integrieren. Es ist außerdem in der Lage, die
„Verklammerung“ (Charlton & Schneider, 1997, S. 8) von medialem Produkt und seiner
Rezeption in Bezug auf Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen differenziert zu beschreiben.
Damit ist die Grundlage gelegt, auf der rezipientenseitige Kompetenzen beschrieben werden
können, die für solche Unterscheidungen relevant sind.
Im fünften Abschnitt werden diese spezifischen Kompetenzen beschrieben und in ein
allgemeines Konzept von Medienkompetenz eingebettet.
Im sechsten Abschnitt werden jugendliche HauptschülerInnen zwischen 12 und 15
Jahren als die Zielgruppe des Trainings betrachtet. Dies geschieht mit einem sehr engen
Fokus auf jene Kompetenzen, die für souveräne Unterscheidungen zwischen Realität und
Fiktion nötig sind. Die Jugendlichen treten hier also als Zielgruppe des Trainings ins Zentrum
der Betrachtung. In den vorgestellten empirischen Untersuchungen zeigen sich tatsächlich
erhebliche Schwächen der Jugendlichen in den relevanten Bereichen, die einen großen Bedarf
an gezielter Förderung erkennen lassen.
Im siebenten Abschnitt wird schließlich der Teil eines Trainingsprogramms
vorgestellt, der diese Förderung leisten soll. Dem Training liegt das im dritten und vierten
Abschnitt herausgearbeitete theoretische Modell zugrunde. Es hat die Umsetzung dieser
Theorie in eine praxisbezogene Intervention zur Aufgabe, die auf die Bedürfnisse und
Fähigkeiten der Jugendlichen abgestimmt ist und sich in den Schulalltag integrieren lässt.
Im empirischen Teil der Arbeit geht es um die Evaluation der Wirksamkeit dieses
Trainings. Hierzu wurde ein 2x2 Prä-Post-Untersuchungsplan mit Kontrollgruppe etabliert.
2 Die Thematisierung literaturwissenschaftlicher Theorien erfolgt zum einen aus pragmatischen Erwägungen, zum anderen liegt ihr die Überzeugung zugrunde, „dass die sozial- und geisteswissenschaftliche Medienforschung zu ihrer Weiterentwicklung auf einen verstärkten interdisziplinären Dialog angewiesen ist.“ (Charlton & Schneider, 1997, S. 7)
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Im ersten Abschnitt werden zunächst die Fragestellungen expliziert und die
statistischen Hypothesen formuliert. Im zweiten Abschnitt wird in Bezug auf die
Operationalisierung der Konstrukte der Einsatz eines Fragebogens begründet und dessen
Konstruktion beschrieben. Der Fragebogen enthält insgesamt drei Skalen und zwei
Einzelitems, die speziell im Hinblick auf die Überprüfung der Wirksamkeit des Trainings
ausgearbeitet wurden. In Abschnitt drei werden die statistischen Verfahren vorgestellt, mit
deren Hilfe zum einen die Qualität der Messmittel und zum anderen die Wirksamkeit des
Trainings bewertet werden können. Im vierten und fünften Abschnitt werden das
Untersuchungsfeld und die Durchführung der Untersuchung beschrieben.
Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt im sechsten Abschnitt. Dabei werden zunächst
die soziodemographischen Merkmale der Stichprobe und Daten zur Mediennutzung
vorgestellt. Außerdem werden Kennwerte zur Beurteilung der Qualität der Messmittel
angegeben. Darauf folgt die Darstellung der Ergebnisse der eigentlichen Evaluationsstudie.
Im Diskussionskapitel werden die empirischen Ergebnisse interpretiert und bewertet.
Zudem werden sie an die zugrunde liegenden theoretischen Konstrukte rückgebunden. Dabei
wird das Verhältnis von Theorie und Praxis in der vorliegenden Arbeit kritisch hinterfragt.
Ein kurzer Ausblick auf weitere Forschungsvorhaben schließt die Arbeit ab.
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2 Theorie
2.1 Realität, Fiktion und Fernsehen
Die folgenden Überlegungen sollen das Verhältnis des Fernsehens zur „Realität“ aus
verschiedenen (medien-)theoretischen Blickwinkeln beleuchten. Besondere Aufmerksamkeit
wird dabei der Frage gewidmet, inwiefern die verschiedenen Sichtweisen zu dem Vorhaben
beitragen können, theoretische Rahmenelemente für eine praxis- und subjektbezogene
Intervention fruchtbar zu machen. Die vorgenommene Kritik resultiert damit nicht nur aus der
Theorie heraus, sondern ebenso aus der Überlegung, was bestimmte Standpunkte für das Ziel
bedeuten, ein Training für Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen als Teil eines
Förderprogramms zu entwickeln und zu implementieren.
Die Frage nach dem Verhältnis von Fernsehbildern und Realität erregt Gemüter und
Geister seitdem die ersten Fernseher in den 50er Jahren Einzug in die Wohnstuben der
Menschen hielten. Dort wurden die dem Publikum aus den Kinosälen bekannten Filme und
Dokumentationen gezeigt. Das Kino hatte die aus der Buch- und Zeitungskultur tradierten
Unterscheidungen zwischen historisch-berichtenden und narrativ-fiktionalen Formaten
übernommen. In der Blütezeit der Kinopaläste in den 20er Jahren wurde vor dem eigentlichen
Spielfilm jeweils eine Art Nachrichtenmagazin (in Deutschland die Wochenschau) gezeigt,
das über aktuelle Geschehnisse in der Welt berichtete. Durch die Technik des Fernsehens kam
zusätzlich die Möglichkeit auf, Ereignisse live zu übertragen und zu verfolgen. Das erste
mediale Großereignis dieser Art war die Krönung von Elisabeth II. 1953 in London. Darüber
schreiben Elsner, Gumbrecht, Müller und Spangenberg (1994): „Der mentale Schock,
Raumgrenzen bei Gleichzeitigkeit des Erlebens überwinden zu können, oder auch, den
Wahrnehmungshorizont über körperlich sensuelle Beschränkungen hinweg durch Echtzeit-
Übertragungen von realen Ereignissen erweitern zu können, hinterließ in vielen
Textäußerungen und Presseberichten seine Spuren.“ (S. 182)3
Der Fernseher, so wurde bald deutlich, stellte so etwas wie eine mediale Revolution
dar. Diese Revolution basiert auf dem besonderen Verhältnis zwischen den Bildern des
Fernsehens und der Wirklichkeit des Alltags. Der oft wiederholte Vergleich der
Fernsehkamera mit dem menschlichen Auge kam ebenfalls in den 50er Jahren auf. „Nach
3 Hervorhebung im Original.
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dieser Vorstellung übernahm die Fernsehkamera quasi stellvertretend für den Menschen die
Funktion, sich in der Welt zu bewegen und Wirklichkeit zu betrachten; im Unterschied zu
Kino galt Fernsehen als ein Medium, das echtes Leben unverfälscht wiedergab, so wie die
Kamera-Augen es eingefangen hatten“ (Elsner et al., 1994, S. 184). Gleichzeitig gab es auch
im Fernsehen jene fiktiven „Spielfilme“, die dem Publikum aus dem Kino bekannt waren. Ihr
besonderes Verhältnis zur „Realität“ wird im Vergleich mit dem Roman deutlich. Dort muss
der Leser sich die Bilder der Geschichte aus den Buchstaben erschließen, im Film bekommt
er sie als solche, als audiovisuelles Produkt, direkt geliefert. Die Rollen jedoch waren klar
geschieden: Auf der einen Seite die „Kamera-Augen“, die das „echte Leben“ zeigen. Auf der
anderen Seite die gespielten Filme, die den Zuschauern eine erfundene Welt präsentierten,
dies jedoch audiovisuell und durchaus „realistisch“.
2.1.1 Kritische Theorie
Mit der massenweisen Ausbreitung des Fernsehens rückt die Macht der Fernsehbilder über
den Menschen und sein Leben in den Fokus des Interesses der Medientheorie. Zunehmend
wird deutlich, dass die Realität von den „Kamera-Augen“ nicht einfach nur eingefangen und
übertragen, sondern verändert wird und auf die Realität der RezipientInnen zurückwirkt.
Zuerst formuliert und auf den Punkt gebracht wurde dieses Unbehagen am neuen Medium
Fernsehen von den exilierten Horkheimer und Adorno (2000/ Erst. 1947) in der
Kulturindustriethese. Sie beschreiben die Kultur im Allgemeinen und das Fernsehen im
Besonderen als Teil einer pervertierten Gesellschaftsordnung. Die zentrale Stelle, die die
Kulturindustrie im Gebäude der Kritischen Theorie einnimmt, ist bestimmt durch ihre
Funktion, eine Surrogatwirklichkeit zu schaffen, in die die Massen aus ihrer eigenen
Lebenswirklichkeit fliehen können, um so die Verhältnisse ihrer eigenen Lebenswirklichkeit
zu vergessen.
Gleichzeitig ist das Fernsehen Teil jener ökonomischen Maschinerie,4 die diese
Lebenswirklichkeit durch die Gleichschaltung der RezipientInnen nachhaltig bestimmt, man
kann sagen: determiniert. „Die Art, in der ein junges Mädchen das obligatorische date
annimmt und absolviert, der Tonfall am Telephon und in der vertrautesten Situation, die Wahl
der Worte im Gespräch, ja das ganze nach den Ordnungsbegriffen der heruntergekommenen
4 „In der Tat ist es der Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis, in dem die Einheit des Systems immer dichter zusammenschließt. Verschwiegen wird dabei, daß der Boden, auf dem Technik Macht über die Gesellschaft gewinnt, die Macht der ökonomisch Stärksten über die Gesellschaft ist.“ (Horkheimer und Adorno, 2000/1947, S. 129)
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Tiefenpsychologie aufgeteilte Innenleben bezeugt den Versuch, sich selbst zum
erfolgsadäquaten Apparat zu machen, der bis in die Triebregungen hinein dem von der
Kulturindustrie präsentierten Modell entspricht.“ (Horkheimer & Adorno 2000/1947)
Interessant ist hier, dass die beschriebenen wirklichkeitsverändernden und –determinierenden
Mechanismen nicht nur von verfälschten Nachrichten oder Propaganda ausgehen, sondern
auch vom ideologischen Gehalt von Spielfilmen und Cartoons. Sie sind es ja, die das
„Modell“ vorgeben, nach dem die Zuschauenden sich verhalten.
Es wird jedoch deutlich, dass diese Theorie implizit eine „prä-kulturindustrielle
Wirklichkeit“ voraussetzt, in der die beschriebenen Effekte noch nicht wirken. Diese
„eigentliche Wirklichkeit“ würde nach Horkheimer und Adorno sodann „von der
Massenkultur, allen voran dem Fernsehen verzerrt, verschleiert, nivelliert und abgeschafft“
(Keppler, 2006, S. 22). Auf diese Weise würde sie dann zur medial präsentierten und von den
Menschen übernommenen Surrogatwirklichkeit werden.
2.1.2 Poststrukturalismus
In diesem Punkt sieht Keppler (2006) eine interessante Parallele zu neueren
poststrukturalistischen Medientheoretikern wie Baudrillard (1990), Virilio (1993) oder auch
Bolz (1992). Demnach werde von diesen allerdings nicht mehr eine veränderte und verzerrte
Wirklichkeit beklagt, sondern mit pathetischer Geste eben jene neue mediale Wirklichkeit zur
„eigentlichen Wirklichkeit“ erklärt, hinter der alles vormals „Reale“ verschwinde. „Deshalb
könne man die Medienrealität auch nicht mehr als Abbild der Wirklichkeit oder als
Wirklichkeit aus zweiter Hand bezeichnen, sondern es handele sich um ein völliges
Verschwinden der Wirklichkeit. Die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Inszenierung
(‚Simulation’) wird hinfällig, der Begriff ‚Wirklichkeit’ habe sozusagen seine Bedeutung
gewechselt.“ (Früh, 1994, S. 37) In der postmodernen Medienwelt ist demnach „das Medium-
Sein zum eigentlichen Sein geworden. Die Wirklichkeit, an die wir glauben, ist die
Wirklichkeit, die in den Medien erscheint. Was dort nicht eintrittsfähig ist, hat niederen
Seinsrang. So hat sich die alte Ordnung von Sein und Schein verkehrt.“ (Welsch, 1991, S. 37)
Wie das Zitat deutlich macht, findet die Theoriebildung hier auf einer recht hohen
Abstraktionsebene statt. Außerdem liegt der Fokus – wie auch in der Kritischen Theorie – auf
der Untersuchung von Medienprodukten und entsprechenden Diskursen. So tritt die Ebene der
konkreten Rezeption in den Hintergrund. Wenn die Rezipientenseite doch thematisiert wird,
dann eher metaphorisch und spekulativ, wie Sutter (1995) pointiert darstellt. „Denn wenn man
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fragt, wie es denn zu dem behaupteten Vorrang der medialen Form gekommen ist, stößt man
systematisch ins Leere: So bemüht Bolz anthropologische Spekulationen wie die, daß die
abendliche Versammlung vor dem magisch flackernden Bildschirm die Urhorde vor dem
Lagerfeuer wiederholt’ (Bolz 1992: 132).“ (S. 347) Auch das folgende Zitat von Bolz (1991)
mag das Gesagte verdeutlichen: „Die Bilder aus aller Welt ersetzen das Weltbild. Man könnte
sagen: Das Bildsein gewinnt ontologischen Vorrang vor dem Sein. […] Die Welt der
Simulkra5 absorbiert den Schein und liquidiert das Reale“ (S. 104).
In eben diesem Sinne fragt Baudrillard (1991) provokant, ob denn der Golfkrieg
wirklich stattgefunden habe (vgl. auch Weisenbacher, 1995). Er zeigt damit, dass wir von
diesem als selbstverständlich hingenommenen und intensiv verfolgten Ereignis nur über
Medienberichte Kenntnis haben und nur haben können. Diese Argumentation läuft darauf
hinaus, dass auch in den Nachrichten als dem Anspruch nach wirklichkeitsvermittelndem
Format eine simulierte und für den Zuschauer vollkommen unhinterfragbare Welt präsentiert
wird, die sich in ihrem Wirklichkeitsbezug nicht mehr von den ursprünglich davon
verschiedenen fiktionalen Formaten unterscheiden lässt. Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen
wären damit sinnlose, weil inhaltsleere, Operationen. Das wäre der Endpunkt einer
Entwicklung „hin zur totalen medialen Simulation, bei der Realität und Fiktion
ununterscheidbar werden“ (Vollbrecht, 2001, S. 124).
2.1.3 Kritik
Im Folgenden sollen die zitierten Positionen in der Hauptsache unter zwei Gesichtspunkten
kritisiert werden. Der erste betrifft die Subjektkonstruktion als mehr oder weniger implizit in
jeder Medientheorie mitgeführtem Bild vom Rezipienten. Als zweites soll es um die Frage
nach Sinn und Unsinn der eigentlichen Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion gehen.
2.1.3.1 Bild vom Rezipienten
Die Kritische Theorie ist für ihre kulturpessimistische Sicht eines passiven und von den
Produkten der Kulturindustrie überwältigten Rezipienten vielfach kritisiert worden (vgl.
beispielhaft Goldbeck, 2004). In der Tat kommt kaum eine medientheoretische Abhandlung
zum Thema aus, ohne sich von Adornos (1963a; 1963b; Horkheimer & Adorno 2000/1947, S.
128ff.) klassischen Aufsätzen kritisch abzugrenzen (vgl. dazu wiederum kritisch: Behrens,
5 Das „Simulakrum“ bezeichnet bei Baudrillard die in der Postmoderne durch die Medien simulierte Scheinwelt (vgl. Baudrillard, 1978).
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2004). Obgleich Baudrillard (1991) und auch Bolz (1991) die Kritische Theorie der
Massenmedien grundsätzlich in Frage stellen, kommen sie doch mit ihr darin überein, dass für
die Zuschauenden keinerlei Handlungsspielraum gegenüber der undurchdringlichen
Medienwirklichkeit mehr bleibt. „Die Wirklichkeit vollzieht sich auf dem Bildschirm und die
Aufklärungsmöglichkeiten [für das Subjekt – Anm.] verlieren sich in den medialen
Inszenierungen.“ (Sutter, 1995, S. 347)
Diese Sichtweise kann für eine Arbeit, die eben solche „Aufklärungsmöglichkeiten“
untersuchen will, nicht zielführend sein. RezipientInnen sind eben nicht schlichte
„Zielscheiben von Medienreizen“, wie Charlton (1997) es ausdrückt, der maßgeblich eine
Sichtweise des Rezipienten als aktiv Sinn Konstruierenden geprägt hat (vgl. z.B. Charlton &
Neumann-Braun, 1992). Die postmoderne Theorie verliert im steten Prozess von
Massenkommunikation und Rezeption die eine Seite, nämlich die der rezipierenden Subjekte,
systematisch aus dem Blickfeld. Auf diesem Abstraktionsniveau kann nicht mehr deutlich
gemacht werden, wie konkrete Prozesse der Massenkommunikation mit konkreten Prozessen
der Rezeption zusammenhängen. Für die vorliegende Arbeit wird aber ein Modell gebraucht,
das es erlaubt, die Besonderheiten der zu untersuchenden Zielgruppe zu fokussieren und
systematisch auf das massenmediale Angebot zu beziehen.
Das ist ein pragmatisches Argument. In ähnlicher Weise argumentiert Keppler (2006)
auf theoretischer Ebene von phänomenologischer Warte aus. Ihre Kritik läuft auf den
Einwand hinaus, „dass es Medien gleich welcher Art nur innerhalb und zusammen mit einer
Praxis ihres Gebrauchs als Medien geben kann. […] Denn allein in ihrem Gebrauch
entwickeln die Medien eine innere Logik, an die dieser Gebrauch bis zu einem gewissen Grad
gebunden ist. […] Grundsätzlich aber verhält es sich so, dass Medium und Gebrauch
zusammen eine Handlungsweise ermöglichen, die nicht durch eine dieser Komponenten
definitiv festgelegt ist.“ (Keppler, 2006, S. 26f.) In gleicher Weise argumentiert Sutter (1995)
aus systemtheoretischer Sicht: „Das Postulat bloßer Simulationseffekte muss jedoch
zumindest die kognitiven Konstruktionsleistungen der Medienrezipienten ausblenden: Wie
die medialen Präsentationen von den Zuschauern verarbeitet werden, kommt als Frage nicht
in den Blick.“ (S. 353) Wenn diese Kritik ernst genommen wird, kann es gelingen, den von
postmoderner und kritischer Theorie beschriebenen Determinismus aufzulösen. So wird der
Blick frei, um die je konkreten Verhältnisse von medialer Wirklichkeit, Lebenswirklichkeit
und Rezeption in Augenschein zu nehmen. Ebenso wenig, wie aus der bloßen Beobachtung
eines Rezipienten auf das gesehene mediale Angebot geschlossen werden kann, ist es
möglich, aus der Untersuchung von Massenkommunikation (hier Fernsehsendungen) die
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notwendige Hilflosigkeit der Zuschauenden bei der Verarbeitung zu folgern. Allerdings muss
es als wertvoller Beitrag poststrukturalistischer Medientheorie gesehen werden, das spezifisch
neue dieses medialen Angebots erkannt und beschrieben zu haben: die zunehmende
Vermischung von „Kamera-Auge“ und gespielten Filmen.
2.1.3.2 Sinn und Unsinn von Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen
Der zweite Kritikpunkt bezüglich der oben zitierten Positionen wendet sich zunächst gegen
die simple Gleichsetzung von als real oder fiktiv markierten Medieninhalten, wie sie aus der
poststrukturalistischen Argumentation folgt. Hier kann man zunächst festhalten, dass das
Fernsehen selbst ständig die Unterscheidung zwischen Realem und Fiktivem trifft. Anspruch
einer Nachrichtensendung ist es, „die Wirklichkeit“ darzustellen – so, wie sie ist. Spielfilme
haben diesen Anspruch nicht. Sie können allerdings „auf einer wahren Begebenheit“ beruhen,
was dann auch in Ankündigungen und Vorschauen besonders betont wird. Es wird Wert
darauf gelegt, weil es offenbar wichtig ist, weil es einen Unterschied macht.
Auch für die Zuschauenden ist diese Unterscheidung relevant. Die besondere
Faszination, die so genannte Handyvideos für Jugendliche haben, beruht ja nicht auf der
besonderen Härte der gezeigten Gewalt. Die meisten Actionfilme aus Hollywood sind
gewalthaltiger, zeigen Mord, Totschlag und Verstümmelung – dagegen scheinen die
Prügelszenen in den Clips der Jugendlichen vergleichsweise harmlos. Dass sie es – offenbar
auch in der Wahrnehmung der Jugendlichen – nicht sind, beruht auf ihrem besonderen Status,
der besagt: hier wird die Realität gezeigt, das hier ist reale Gewalt. Aus demselben Grund ist
beispielsweise auch das Reality-Format Jackass so erfolgreich, in dem sich junge Männer
dabei filmen lassen, wie sie sich absichtlich Schmerzen zufügen und diese in heiterer
Atmosphäre ertragen.
Auch experimentell konnte gezeigt werden, dass es einen Unterschied in der
emotionalen Verarbeitung macht, ob RezipientInnen gesehene Inhalte für real oder fiktiv
halten. Schorr (1996) zeigte ProbandInnen eine Fernsehserie, die entweder mit der Instruktion
eingeleitet wurde, es handele sich um rein fiktive Ereignisse, oder die gezeigten Ereignisse
hätten sich wirklich so ereignet und seien für das Fernsehen nachgedreht worden. Außerdem
wurde ein Reality-TV-Beitrag gezeigt. Die emotionale Reaktion der TeilnehmerInnen
(operationalisiert durch Skalen, die „Emotionale Gereiztheit“, „Empathische Einfühlung“ und
„Persönliche Betroffenheit“ messen sollen) war unter der Reality-TV-Bedingung gegenüber
der Serie signifikant erhöht. Diejenige Serienversion, die mit dem Hinweis eingeleitet wurde,
es handele sich um reale Ereignisse, löste jedoch annähernd gleich hohe und gegenüber der
15
anderen Serienversion signifikant höhere emotionale Reaktionen aus. Der wahrgenommene
Realitätsgehalt einer Fernsehsendung ist also ein wichtiger Moderator für ihre potentielle
Wirkung bei den Zuschauenden.
Zudem seien noch kurz jene spektakulären Fälle von massenweiser Verwechslung von
medialer Realität und Fiktion angesprochen, die in der Geschichte der Medien bekannt
geworden sind. Sie zeigen besonders plakativ, dass die rezipientenseitige Einschätzung des
Realitätsstatus’ von rezipierten Inhalten nicht irrelevant ist. Am bekanntesten sind hier wohl
die Schilderungen von Zuschauerreaktionen auf die Ausstrahlung der Hörspielfassung von
H.G. Wells War of the Worlds im Jahre 1938. Das Hörspiel beschreibt in realistischer
Darstellung eine Invasion von Wesen vom Mars, die die gesamte Erde bedroht. Groeben und
Schreier (2000a) gehen davon aus, „dass es [das Hörspiel – Anm.] zumindest zeitweise von
ca. 1 Million AmerikanerInnen als ‚Realität’ missverstanden wurde“ (S. 168). Cantril (1985),
der ausführliche Interviews mit Betroffenen geführt hat, beschreibt die panischen Reaktionen
der RezipientInnen: „Lange bevor die Sendung zu Ende war, beteten und weinten viele
Menschen in den Vereinigten Staaten und versuchten, außer sich vor Angst, zu fliehen, um
dem Tod durch die Marsmenschen zu entkommen. Einige versuchten Angehörige zu retten.“
(S. 15) Rosengren, Arvidson und Sturesson (1975) berichten von ähnlichen Reaktionen auf
den fiktiven Bericht von einer AKW-Katastrophe in Schweden („Barsebäck Panik”).
In der vorliegenden Arbeit soll es nicht um die langfristigen Folgen von
Verwechslungen oder Unklarheiten in Bezug auf Realität und Fiktion gehen. Dennoch sei an
dieser Stelle angemerkt, dass dieses Thema offenkundig für Kinder und Jugendliche eine
besondere Relevanz besitzt. Die in der entwicklungspsychologischen Literatur beschriebene
ontogenetische Konstruktion von Realität (vgl. klassisch: Piaget, 1978) ist selbstverständlich
immer auch geprägt von medialen Einflüssen.6 Dabei ist der Wissensvorrat, an dem aus dem
Fernsehen übernommene Informationen, Sichtweisen und Weltbilder korrigiert werden
könnten, im Vergleich zu Erwachsenen geringer. Hier spielt auch die institutionell vermittelte
formale Bildung eine große Rolle. Jugendliche werden von Fernsehangeboten gezielt
angesprochen mit Themen wie Freundschaft, Liebe und Sexualität, die gerade in diesem Alter
interessant sind. Hier soll jedoch nicht über die Auswirkungen fraglicher Realitätsmodelle
spekuliert werden, sondern schlicht die besondere Bedeutsamkeit des Themas für die
jugendliche Zielgruppe festgehalten werden.
Es lässt sich also durchaus pragmatisch aber mit gutem Grund argumentieren, dass es
weiterhin Sinn macht, über „Grenzkonstruktionen“ (Groeben & Schreier, 2000b, S. 180ff.) 6 Einen Überblick über den Zusammenhang von Fernsehgewalt, den vermuteten negativen Wirkungen und dem Wissen um die Fiktivität der dargestellten Inhalte geben z.B. Freitag und Zeittler (1999).
16
zwischen realen und fiktionalen Formaten nachzudenken. Dies gilt auch und gerade wegen
der von poststrukturalistischer Seite so eindringlich beschriebenen Veränderungen der
Medienwelt.
2.1.4 Wissenssoziologische und konstruktivistische Reformulierungen – Klärung zentraler
Begriffe
Im Folgenden sollen im Anschluss an das bisher Gesagte für die vorliegende Arbeit zentrale
Begriffe geklärt werden. Nach der Problematisierung des Verhältnisses von Medien und
Realität soll nun dargelegt werden, in welcher Weise sinnvoll von Wirklichkeit und
Medienwirklichkeit gesprochen werden kann und welche Rolle Unterscheidungen zwischen
Realität und Fiktion in den Medien dabei spielen.
Die oben (in Abschnitt 2.1.3.2) zitierten Beispiele zeigen recht drastisch, dass die
Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion in den Medien nicht nur auf Seiten der
Medienprodukte, sondern auch auf Seiten der RezipientInnen eine hohe Relevanz besitzt.
Dabei ist es zunächst unerheblich, welchen Status die gesendeten Inhalte „tatsächlich“ haben.
Es muss nicht entschieden werden, ob ein Ereignis „in (der) Wirklichkeit“ so passiert ist, wie
darüber berichtet wird. Man kann nämlich davon unabhängig festhalten, dass die Frage nach
Realität oder Fiktion für RezipientInnen wichtig ist, weil die Antwort darauf nicht folgenlos
bleibt. Eben dies bezeichnet das klassische wissenssoziologische Diktum von Thomas (1928):
„If men define situations as real, they are real in their consequences.“ (S. 572)
In diesem Sinne lassen sich auch und vor allem aus konstruktivistischer Sicht diese
Unterscheidungen als fundamental wichtige Operationen beschreiben. „Nur über
grundlegende und konkrete Unterscheidungen funktioniert unsere gesellschaftliche
Kommunikation. Unsere Lebenswelt lässt sich nur über Entscheidungen als
Lebenswirklichkeit operationalisieren – in den Worten Gregory Batesons über ‚Differenzen
durch Differenzen’ (‚differences which make a difference’). Eine wesentliche Unterscheidung
verläuft zwischen Fakten und Fiktionen, zwischen Dichtung und Wahrheit. Viele weitere
Unterscheidungen sind damit verbunden […]. Alle diese Unterscheidungen machen
bedeutsame, weil sozial folgenreiche Unterschiede.“ (Meckel, 2002, 31f.)
Der im Zitat verwendete Begriff der Lebenswelt ist nach den bis hier vorgebrachten
Argumenten eine schwierige Konstruktion geworden. In den vorigen Abschnitten wurde mehr
oder weniger explizit von „Wirkungen von Medien in der Realität“ gesprochen. Wenn in der
vorliegenden Arbeit in diesem Sinne von „der Realität“ die Rede ist, so ist damit jene von
17
dem „gesellschaftlichen Jedermann“ (Berger & Luckmann, 1970, S. 16) fraglos und
selbstverständlich erlebte Alltagswelt gemeint, die (mit zum Teil verschiedenen
Bedeutungsschattierungen) in Phänomenologie und Wissenssoziologie als Lebenswelt
beschrieben wird (vgl. grundlegend Husserl, 1986). Mit dem Begriff Lebenswirklichkeit (im
Folgenden auch: Alltagswirklichkeit) betont Meckel (2002) den wirklichkeitskonstruierenden
Aspekt der Lebenswelt. Die soziale Konstruktion der Wirklichkeit entsteht durch
Unterscheidungen, wie Luhmann (z.B. 1984) betont. Dieser Mechanismus wurde oben schon
für die Unterscheidung zwischen medialer Realität und Fiktion aufgezeigt. Mit dieser
konstruktivistischen Reformulierung muss auch über den ontologischen Status der
Wirklichkeit „an sich“ nicht endgültig entschieden werden. Es reicht anzunehmen, dass es
eine uns allen vertraute Lebenswelt gibt, „die sich als Wirklichkeit par excellence darstellt“
(Berger & Luckmann, 1970, S. 24).
Das sichere Wissen um die von uns direkt erfahrbare Welt ist jedoch verbunden mit
dem Wissen um Bereiche, die außerhalb unserer unmittelbaren Erfahrung liegen. Sie sind uns
nicht unmittelbar, sondern nur vermittelt über moderne Kommunikationsmedien wie das
Fernsehen zugänglich. Durch sie haben wir beispielsweise Kenntnis von den Ereignissen in
Bagdad während des Irakkriegs. Die Lebenswelt, die über Unterscheidungen zur
Lebenswirklichkeit wird, kann von dieser Medienwirklichkeit unterschieden werden – sie
kann jedoch nicht klar von ihr getrennt werden.
Was bedeutet das? Der Begriff Medienwirklichkeit soll die in den Medien gezeigten
Inhalte bezeichnen. Man kann nach Luhmann (1996) in diesem „Sinne von der Realität der
Massenmedien sprechen, nämlich im Sinne dessen, was für sie oder durch sie für andere als
Realität erscheint.“ (S. 14)7 Diese Realität wird jedoch selbstverständlich in unsere
Alltagswirklichkeit integriert und wirkt damit auf unsere Lebenswelt zurück. Zwischen
Alltags- und Medienwirklichkeit liegt daher keine feste Grenze, die abgeschlossene
Wirklichkeitsbereiche voneinander trennt. Eher handelt es sich um eine „Binnengrenze
innerhalb derselben Wirklichkeitsordnung“ (Elsner, Gumbrecht, Müller & Spangenberg,
1994, S. 184).
Diese Tatsache liegt in der Struktur gesellschaftlicher Kommunikation selbst
begründet. Die „alltägliche Wirklichkeit hängt entscheidend von ihrer Kommunizierbarkeit
ab. Wie vor allem Niklas Luhmann betont hat, erhält sich eine gemeinsame soziale Welt
wesentlich über die Möglichkeit anschlussfähiger Kommunikationen. Die Wiedergabe und
7 Es ist diese Medienrealität, die in unterschiedlichsten Zusammenhängen immer wieder dafür kritisiert wird, eine – wie auch immer angenommene – „eigentliche Wirklichkeit“ unzureichend, verzerrt oder falsch darzustellen, vgl. z.B. Gerbner (1976).
18
Weitergabe, die Ausformung und Umformung von Wissen und Orientierung sind
gesellschaftsbildende Prozesse der Kommunikation, an denen die technisch vermittelte
Kommunikation einen stetig wachsenden Anteil hat.“ (Keppler, 2006, S. 31) Ohne die
Medien wäre heutzutage eine gemeinsame, allen vertraute und von allen selbstverständlich
hingenommene Lebenswirklichkeit gar nicht mehr möglich. Das ist die zentrale These von
Luhmanns (1996) Betrachtung der Massenmedien.
„Weil das so ist, kann man mit gutem Recht sagen, dass die heutigen
gesellschaftlichen Verhältnisse mediale Lebensverhältnisse sind. Nur muss auch das richtig
verstanden werden. Es bedeutet, dass es keine Bereiche des sozialen Lebens gibt, die in ihrer
Wirklichkeit nicht durch Prozesse der medialen Kommunikation geprägt wären. Diese stellt
eine conditio sine qua non des modernen Lebens dar: Ohne sie geht es nicht. Das bedeutet
aber andererseits nicht, dass die soziale Wirklichkeit nichts weiter als eine Konstruktion oder
ein Effekt ‚der Medien’ wäre.“ (Keppler, 2006, S. 31)
In diesem Sinne wurde schon in Abschnitt 2.1.3.1 argumentiert: Medien sind nur
Medien in der sozialen Praxis ihres Gebrauchs und sie haben ihre Wirkungen nur, weil sie
Teil dieser sozialen und kulturellen Praxis sind. Nur in diesem Sinne ist es überhaupt sinnvoll,
von „Medienwirkungen“ zu sprechen.
Also: Die Realität der Massenmedien (Medienrealität) ist nicht selbst zur
Alltagswirklichkeit geworden, ist mit dieser aber auf mannigfaltige Weise verwoben und stellt
quasi das Fundament dar, auf dem gesellschaftlich geteilte Wirklichkeit heutzutage noch
hergestellt werden kann. In diesem Sinne sind Alltags- und Medienwirklichkeit zwar
unterscheidbar, aber eben nicht klar voneinander trennbar. Die Prägung der
Alltagswirklichkeit durch die Medien ist dabei – das ist oben deutlich geworden – wesentlich
vermittelt über produkt- und rezipientenseitige Unterscheidungen zwischen Realität und
Fiktion.
„Realität ist das, woran wir unsere Überzeugungen korrigieren können; aber
korrigieren können wir sie nur, indem wir im Gebrauch unterschiedlicher Wahrnehmungs-
und Informationsmedien zu neuen Überzeugungen gelangen. Daher sind die feinen
Unterschiede zwischen dokumentarischen und fiktionalen Bildern eine wesentliche Quelle
des Wissens darüber, was die historische Wirklichkeit kennzeichnet und was (vorerst) nicht.“
(Keppler, 2006, S. 181f.)
19
2.2 Realität und Fiktion in der Medienwirklichkeit
Erst mithilfe der beobachtungsleitenden Unterscheidungen zwischen Alltags- und
Medienwirklichkeit und zwischen medialer Realität und Fiktion können die jeweiligen
Grenzkonstruktionen und deren Überschreitungen im Fernsehen untersucht werden. Im
Folgenden soll anhand von Beispielen deutlich gemacht werden, wie die Vermischungen
zwischen dokumentarischen und fiktionalen Sendungen konkret aussehen. Dies ist ein
notwendiger erster Schritt auf dem Weg zu einem praxisbezogenen Trainingsprogramm: Es
muss geklärt werden, mit welchen konkreten Inhalten die Jugendlichen heute überhaupt
konfrontiert sind und was ihre Problematik ausmacht.
„Die Vermischung von Fakten und Fiktionen, die Verwischung der Grenzen der
Genres – dieses Phänomen gehört seit jeher zum Prozess der Modernisierung als
Reorientierung von Differenzmodellen.“ (Meckel, 2002, S. 33) Besonders deutlich zeigen
sich diese Prozesse heute im Fernsehen. Sie werden schon seit Anfang der 90er Jahre unter
den Stichworten Ästhetisierung (Welsch, 1993), Dramatisierung (Göttlich, Nieland & Schatz,
1998) und Fiktionalisierung (Pietraß, 2002) diskutiert. Unter diesen Begriffen wird die
Ausstattung ursprünglich dokumentarischer Inhalte mit dramatisierenden und ästhetisierenden
Gestaltungsmerkmalen verstanden, die vormals nur aus dem Bereich der fiktionalen Formate
bekannt waren.
Ein einfaches aber aufschlussreiches Beispiel ist der Titel der
Hauptnachrichtensendung des Senders RTL II, die bis 1996 Action News (RTL II, 2008) hieß.
„News“ deutet auf eine Nachrichtensendung hin, wobei „Action“ auf ein fiktionales
filmisches Genre verweist, bei dem schnelle Schnitte, große Ereignisdichte und spektakulär
arrangierte Szenen kennzeichnende Merkmale sind. Die Aufbereitung der Beiträge erfolgt auf
entsprechende Weise. Wesentlich subtiler sind die von Baudrillard (1991) angesprochenen
Arten der modernen Kriegsberichterstattung (vgl. auch Abschnitt 2.1.2). Die aus den
Nachrichten bekannten grünlich schimmernden Nachtbilder von Bombeneinschlägen in
Bagdad haben nichts mehr von dem Realitätsbezug des Kamera-Auges als eines Abbilds der
Realität. Die „unwirkliche“ Ästhetik der Bilder schafft bei den Zuschauenden heute wohl
nicht mehr jenen „mentalen Schock“, der die RezipientInnen beim „Beisein“ der Krönung
von Königin Elisabeth II. durchfuhr. Die Art und Weise der Darstellung scheint die Bilder
von ihrem Realitätsbezug zu lösen.
Kurze Filme mit Nachtbildern aus dem Irakkrieg stehen heute im Internet-Videoportal
„YouTube“ neben den neuesten Musikvideos und folgen einer ähnlichen Darstellungsweise
20
wie diese. So zeigt der Clip „Just one night in hell“8 offenbar authentische Aufnahmen eines
Militärhubschraubers im Nachteinsatz, die mit Rockmusik von AC/DC („Highway to Hell“,
Atco-Records, 1979) unterlegt sind. Der Clip bekommt so selbst den Charakter eines
Musikvideos. Das ist eine spezielle Art der Ästhetisierung von Kriegsbildern.
Als Gegenstück zu solchen Prozessen der Fiktionalisierung können im Fernsehen in
den letzten Jahren vermehrt Prozesse der Authentifizierung beobachtet werden, um die es im
Folgenden ausführlicher gehen soll. Mit der Authentifizierung einer Sendung soll nach
Pietraß (2002) darauf hingewiesen werden, „dass der Zuschauer hier an einem Stück
wirklichen Lebens Teil hat.“ (S. 367) Dabei ist es für die Beobachtung dieser Prozesse
wiederum unerheblich, ob tatsächlich „wirkliches Leben“ gezeigt wird, oder nicht (vgl.
Abschnitt 2.1.4).
Als Beispiel sei wiederum ein Videoclip genannt. Das von Michael Moore gedrehte
Video zu „Sleep now in the Fire” von Rage Against the Machine (Epic-Records, 2000)9
beschreibt quasi die Geschichte seiner eigenen Entstehung, die zugleich die Geschichte einer
Auflehnung der rebellischen Band gegen amerikanische Autoritäten ist. Zu beginn des Clips
stehen als Inserts die Einblendungen „Monday… Wall Street announces record profits, record
layoffs…“ und „Tuesday… New York City decrees Rage Against the Machine ‘shall NOT
play on Wall Street.’”. Mit der Einblendung „Wednesday…” beginnt die Musik und der Clip
zeigt die Musiker der Band, wie sie im Laufschritt auf eine Bühne vor der New Yorker Börse
an der Wall Street stürmen und zu spielen beginnen. Im Laufe des Videos wird das Bemühen
der New Yorker Polizei gezeigt, den Auftritt der Band zu unterbinden, was jedoch aufgrund
des tumultartigen Zuschauerandrangs nicht gelingt. In einem dramatischen Höhepunkt wird
der Regisseur Michael Moore von der Polizei abgeführt. Kurz danach ist zu sehen, wie die
Rollos vor den Toren der Börse heruntergelassen werden. Am Ende des Videos steht die
Einblendung „At 2:52pm, in the middle of the trading day, the Stock Exchange was forced to
close its doors.“
Wie die Bilder aus dem Irakkrieg fiktionalisiert werden, werden jene dieses Clips
authentifiziert. Das heißt, den Zuschauenden wird über Bilder und Einblendungen vermittelt:
die gezeigten Ereignisse haben wirklich stattgefunden. Damit verlässt das Musikvideo seine
Position als reine Fiktion. Das fiktionale Format ist zugleich Dokumentation seiner eigenen
Entstehung (zur Klassifizierung des Musikvideos als „fiktionale Textsorte“ vgl. Doelker,
1991, S. 162). Eine nähere Analyse würde weitere Genrevermischungen zeigen. Denn freilich
ist der Clip auch nicht einfach die Dokumentation eines Videodrehs – Szenenwechsel und 8 Online verfügbar unter: http://de.youtube.com/watch?v=qYAUcBaXmXI&feature=related [4.5.2008]. 9 Online verfügbar unter: http://de.youtube.com/watch?v=Jz8wU9DdbqU [4.5.2008].
21
Dramaturgie sind eindeutig die eines „klassischen“ Musikvideos und passen exakt zur Musik.
Zudem werden immer wieder eindeutig fiktionale Bilder von einer nachgespielten
Fernsehquizsendung eingeblendet.
Authentifizierung ist auch das zentrale Merkmal des noch recht neuen Genres der
Pseudo-Dokumentation oder „Scripted Reality“ (Constantin Entertainment, 2008). Bei dieser
Art von Sendungen wird von den Machern großer Wert darauf gelegt, den Bildern einen
dokumentarischen Anstrich zu verleihen. Wie dies konkret aussieht, kann an der Sendung
Lenßen und Partner verdeutlicht werden, die mit Marktanteilen von bis zu 23% (Angaben der
Produktionsfirma Constantin Entertainment, 2008) eine der erfolgreichsten in diesem Bereich
ist. Hauptfigur ist der Anwalt Ingo Lenßen, der von dem Anwalt Ingo Lenßen gespielt wird.
In der Serie lösen der Anwalt und sein Team von Privatdetektiven fiktive Fälle. Jenseits der
Serie ist Ingo Lenßen jedoch tatsächlich Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei in Bodmann-
Ludwigshafen am Bodensee.
„Authentizität und Glaubwürdigkeit“ ist nach Ansicht des Produzenten Ulrich Brock
das wichtigste Kriterium bei Produktion und Vermarktung der Sendung (Hamburger
Abendblatt, 2003). In der Serie wird mit verschiedenen Mitteln an der Aufrechterhaltung
möglicher Verwirrungen um den Realitätsbezug des Gezeigten gearbeitet. So treten auch
andere Laiendarsteller unter ihrem echten Namen in der Serie auf. Die Kameraführung ist
bewusst amateurhaft gehalten; häufig werden scheinbare Bilder von versteckten
Überwachungskameras eingesetzt. Zudem wird das gezeigte immer wieder mit einem
dokumentarischen Kommentar aus dem Off versehen, Schauplätze und Uhrzeit einer Szene
werden eingeblendet, ebenso wie die Namen und das Alter der vorkommenden Personen, wie
dies sonst bei Reportagen üblich ist. Mit demselben Effekt werden teilweise Personen und
Nummernschilder unkenntlich gemacht, wie dies in Dokumentationen oder Nachrichten zum
Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen geschieht.
Die durch diese Mittel erzeugten Unsicherheiten scheinen sich nicht auf das
Fernsehpublikum zu beschränken. In den Online-Ausgaben der großen Programmzeitschriften
und Programm-Service-Portale finden sich allein acht verschiedene Genrebezeichnungen (vgl.
Tabelle 1). Dabei reicht das Spektrum von eher traditionellen Bezeichnungen wie Serie,
Thriller oder Information bis hin zu Neuschöpfungen wie Ermittler-Doku oder Real-Life-
Krimiserie und der sich selbst scheinbar widersprechenden Bezeichnung Doku-Soap. Dazu
kommen noch der von der Produktionsfirma Constantin-Entertainment benutze Begriff
22
Scripted Reality und die in der wissenschaftlichen Literatur zumeist verwendete Bezeichnung
Pseudo-Dokumentation (Nickel-Bacon, Groeben & Schreier, 2000).10
Tabelle 1: Genrebezeichnungen der Sendung Lenßen und Partner bei verschiedenen Programmzeitschriften und Internetportalen.
Bezeichnung Quelle Einsehbar unter
Ermittler-Soap TV-Today
TV-Spielfilm http://www.tvtoday.de/ http://www.tv-spielfilm.de
Ermittler-Doku tvtv http://www.tvtv.de/
Doku-Soap rtv http://www.rtv.de/
Real-Life-Krimiserie TV-Movie TV Hören und Sehen
http://www.tv-movie.de/ http://www.tvhus.de/
Information Funkuhr TV-Digital
http://www.funkuhr.de/
Reihe Hörzu Super-TV
http://www.hoerzu.de/
Thriller Looki http://www.looki.de/
Serie Klack http://www.klack.de/
Scripted Reality Constantin-Entertainment http://www.constantin-entertainment.de/
Pseudo-Dokumentation Nickel-Bacon et al. (2002)
Legt man die Leitunterscheidung zwischen Realität und Fiktion an, so fällt auf, dass 4 von 8
Bezeichnungen auf den dokumentarischen Charakter der Sendung anspielen und damit
suggerieren, es handele sich nicht um nach Drehbuch von (Laien-) SchauspielerInnen
inszenierte Geschichten, sondern berichte aus dem Alltag des echten Rechtsanwalts Ingo
Lenßen und seinem Team. Dabei ist es bemerkenswert, wie konträr sich die Bezeichnungen
gegenüberstehen. Zum Beispiel Ermittler-Soap und Ermittler-Doku. „Soap“ weist ebenso
eindeutig auf eine erfundene Geschichte hin, wie „Doku“ auf einen Bericht aus dem echten
Leben. Genauso verhält es sich mit den Spartenbezeichnungen Serie und Information. Bei
Funkuhr und TV-Digital läuft Lenßen und Partner unter derselben Genrebezeichnung wie die
Tagesschau,11 und damit ist die Verwirrung komplett.
Unter der Internetadresse www.lenssenundpartner.de finden sich nicht etwa
Informationen zur Sendung, sondern die Seite von „Lenßen und Partner, Rechtsanwälte,
10 Eine genauere Analyse wird zeigen, dass Pseudo-Dokumentation zur Beschreibung der Sendung und als Genrebezeichnung tatsächlich am besten geeignet ist. 11 Dabei laufen eindeutig fiktionale Sendungen durchaus unter der Bezeichnung „Serie“ oder „Spielfilm“.
23
Kanzlei für Familien-, Erb-, und Strafrecht“ in Bodmann-Ludwigshafen, die tatsächlich von
dem Anwalt Ingo Lenßen geführt wird.12 Damit bekommen Verwechslungen zwischen
medialer Realität und Fiktion eine neue Bedeutung. Klassische Anekdoten handeln
beispielsweise von ZuschauerInnen, die in Briefen den Schauspieler Klausjürgen Wussow13
um medizinischen Rat fragen. Eine ähnlich eindeutige Verwechslung läge vor, wenn sich z.B.
ein Angestellter an Horst Tappert14 wenden würde, weil er seinen Vorgesetzten verdächtigt,
Firmengelder zu veruntreuen. Was jedoch, wenn der Zuschauer mit demselben Problem bei
Ingo Lenßen anriefe?
Ebenfalls zentral ist das Moment der Authentifizierung in Formen des
Unterhaltungsfernsehens, die „Menschen wie du und ich“ in den Mittelpunkt des Geschehens
stellen. Ihren Ursprung haben diese Formate in den Quizshows der 60er und 70er Jahre, deren
Konzept schlicht darin bestand, normale Menschen im Studio um die Wette raten zu lassen. In
der weiteren Entwicklung wandelt sich die Rolle der TeilnehmerInnen an diesen Shows. Sie
sind nun nicht mehr nur Spielpartner, sondern „Akteure ihres eigenen Lebens“ (Keppler,
2004, S. 7). In den betreffenden Sendungen wird das Herzblatt gefunden und die
Traumhochzeit gefeiert, es werden intime Geständnisse gemacht und um Verzeihung gebeten,
wobei nur die Liebe zählt. Die Akteure werden zu Super- oder zumindest Popstars und
erleben Verwandlungen vom hässlichen Entlein zum wunderschönen Schwan als next
Topmodel. „Das Fernsehen wird zum Anwalt einer inszenierten und gleichwohl realen
Verbesserung und Überhöhung des wirklichen Lebens.“ (Ebd.) Keppler (1994; 2006) hat für
diese Formate den Begriff des performativen Realitätsfernsehens geprägt.15
In Bezug auf Authentifizierung macht diese Entwicklung einen weiteren Schritt, wenn
nicht mehr klar ist, welche Veränderungen im Leben der Akteure durch die Sendung bedingt
sind und welche nicht. Zum Beispiel: Beruhigt sich das hyperaktive Kind wegen der
Interventionen der Super Nanny oder wegen der gesteigerten Aufmerksamkeit der überall
anwesenden Fernsehkameras? Wäre Familie Müller auch ohne die Sendung Mein neues
Leben nach Australien ausgewandert? Ist sie überhaupt ausgewandert? Was hier thematisch
wird, ist der schmale Grat zwischen Inszenierung und Dokumentation. Dieser schmale Grat
12 Interessanterweise erfolgt die Präsentation des Teams der Kanzlei auf der Homepage wiederum im Stil einer Fernsehserie und damit fiktionalisiert! 13 Wussow spielte von 1985–1988 die Rolle des Prof. Brinkmann in der Serie Schwarzwaldklinik und von 1996 bis 2003 die Rolle des Chefarzts in der Serie Klinik unter Palmen (vgl. Rössler, 1988; IMDb, 2008). 14 Tappert spielte von 1973 bis 1998 die Rolle des Derrick in der gleichnamigen Krimiserie (vgl. Tappert, 1998). 15 Dazu Keppler (1994) definitorisch: „Es handelt sich hier um Unterhaltungssendungen, die sich zur Bühne herausgehobener Aktionen machen, mit denen gleichwohl direkt oder konkret in die Alltagswirklichkeit der Menschen eingegriffen wird. Hier wird nicht allein Prestige oder Geld gewonnen (oder eben nicht gewonnen), was reale Lebensänderungen zur Folge haben kann, hier werden soziale Handlungen ausgeführt, die als solche bereits das alltägliche soziale Leben der Akteure verändern.“ (S. 8f.)
24
ist an sich nicht neu. Neu ist die Tatsache, dass im Fernsehen bewusst damit gespielt wird.
Zum Beispiel gibt es nunmehr Sendungen, deren Inhalt es ist, „normale Menschen“ in ihrem
Lebens- und Arbeitsalltag zu begleiten. Da gibt es die Polizisten Toto und Harry, die auf ihren
Streifengängen von einer Kamera begleitet werden, oder die Brüder Ludolf, deren Leben als
Schrottplatzbesitzer in der gleichnamigen Serie gezeigt wird. Die hierfür benutze
Genrebezeichnung Doku-Soap macht den hybriden Charakter dieser Sendungen deutlich:
Zum einen handelt es sich um eine Dokumentation über das Leben der realen Familie Ludolf.
Zum anderen jedoch braucht die Sendung aufgrund ihrer wöchentlichen Sendefrequenz
immer wieder Elemente, die die Spannung steigern und dann mitunter schlicht fiktiv sind.
Zum Beispiel fängt ein Auto wie von Geisterhand an zu Leben und die betreffende Folge
handelt von den Reaktionen der drei Brüder auf das Geisterauto. Wichtig ist, dass von der
Sendung selbst nicht markiert wird, welcher Teil erfunden, inszeniert oder dokumentiert ist.
Dabei wurde bis hier noch außer acht gelassen, dass auch der Realitätsbezug von
Dokumentationen nie eindeutig sein kann. Denn freilich inszenieren sich Menschen vor der
Kamera (als exponiertem sozialen Rahmen) auch selbst (Goffman, 1959; in Bezug auf das
Fernsehen vgl. Tröhler, 2002, S. 33). Sehe ich also den „echten“ Polizisten Harry oder den
sich für das Fernsehen inszenierenden? Ist der Weinkrampf der gerade ausgeschiedenen
Kandidatin von Popstars echt oder gespielt? Oder irgendwie beides? Tröhler (2002) lässt von
ähnlichen Überlegungen ausgehend die Frage offen, ob „bereits diese Formen der
Performance von sozialen Akteuren in einem Film als fiktionalisierendes oder gar
fiktivisierendes Moment zu betrachten sind oder erst jene, die an eine Verdoppelung der Rolle
geknüpft sind, wie dies für SchauspielerInnen, die eine fiktive Figur verkörpern, der Fall ist“
(S. 33).
All die Beispiele aus diesem Abschnitt haben gemeinsam, dass sie vormals recht feste
Grenzkonstruktionen zwischen Genres mit unterschiedlichem Realitätsbezug aufweichen.
Dabei kann diese Entwicklung als zentrales Merkmal der Veränderung der Programmstruktur
im Fernsehen seit den 90er Jahren gesehen werden (Paus-Haase, Schnatmeyer & Wegener,
2000). Die hier angeführten Beispiele ließen sich fortsetzen. Die gezeigten Probleme, allein
eine passende Sammelbezeichnung für die neuen Pseudo-Dokumentationen zu finden, zeigen,
wie schwierig der Umgang mit den neuen Phänomenen zu sein scheint. Dabei ist es
bezeichnend, dass entsprechende Unsicherheiten offenbar auch auf Seiten derer bestehen, die
sich als Redakteure von Programmzeitschriften professionell mit dem Thema beschäftigen.
Eins wird damit deutlich: Selbst für geübte RezipientInnen, die sich intensiv mit dieser Frage
beschäftigen, ist oftmals nicht mehr zu entscheiden, was in der Sendung über das echte Leben
25
der dargestellten Personen berichtet und was nach einem vorgegebenen Drehbuch mehr oder
weniger inszeniert, erfunden oder gespielt ist. In jedem Fall hält das Fernsehen heute ein
großes Potential an Verwirrung und Verunsicherung für seine RezipientInnen bereit.
Als Grundlage für eine nähere Beschäftigung mit der Perspektive der RezipientInnen
ist jedoch zunächst ein weiterer Zwischenschritt nötig. Um zu verstehen, was die sich
verändernde Medienwelt für die RezipientInnen bedeutet, muss zunächst geklärt werden, wie
das Verhältnis von Realität und Fiktion im Fernsehen heute theoretisch gefasst werden kann.
Dabei kann es nach dem Gesagten nicht mehr darum gehen, Realität und Fiktion sauber
voneinander zu trennen, sondern die Art und Weise ihrer Verbindung in den Blick zu
bekommen. Es gilt also, ein tragfähiges Konzept zu finden, das es erlaubt, die „Grenzen,
Distanzen und Überschneidungen“ (Tröhler, 2002, S. 14) von Realität und Fiktion theoretisch
zu beschreiben. Ziel ist es, die Grundlage für ein praxisbezogenes Trainingsprogramm zu
schaffen, mithin die zu erarbeitende Theorie empirisch fruchtbar zu machen. Das gesuchte
Modell muss in der Lage sein, die heutige Medienwirklichkeit hinreichend komplex
abzubilden, diese mit konkreten Prozessen der Rezeption in Verbindung zu setzen und
schließlich Möglichkeiten für die Förderung entsprechender Kompetenzen aufzuzeigen.
2.3 Modellierungen der Fiktion
Für dieses Unterfangen scheint die literaturwissenschaftliche Diskussion um den Begriff der
Fiktion von zentraler Bedeutung zu sein. Es wird im Folgenden recht schnell deutlich werden,
dass diese Diskussion inhaltlich um dieselben Probleme kreist, mit denen wir es in der
vorliegenden Arbeit zu tun haben.
Der Begriff Fiktion bezeichnet den erfundenen beziehungsweise imaginären Charakter
von in Texten dargestellten Welten (Barsch, 2004, S. 63). Der etymologische Ursprung des
Begriffs der Fictio liegt in dem Verb fingere, was mit gestalten/bilden, mit erdichten und sich
vorstellen, aber auch mit erheucheln und vorgeben übersetzt werden kann (Hau, 2006, S.
352). Das Besondere der Fiktion ist der fehlende Wahrheitsanspruch ihrer Aussagen und
damit ihre Beziehung zur Wirklichkeit. Diese Besonderheit brachte Platon (1982) dazu, in der
Politeia von der „Lügenhaftigkeit der Dichtung“ (S. 85) zu sprechen. Umgekehrt wurde der
Fiktion in der Kunst auch in neueren Darstellungen immer wieder eine „höhere Wahrheit“
26
zugesprochen, eben weil sie von den Einschränkungen der Alltagsrealität entbunden sei.16
Einigkeit besteht in diesen Sichtweisen, wie auch in der Alltagssprache, in Bezug auf die
Gegenstellung der Fiktion zur Realität.
Erste Zusammenhänge zwischen beiden Begriffen macht Barsch (2004) deutlich,
wenn er den Vergleich zum Spiel zieht. „Genuiner Ort für Fiktionalität ist das Spiel: es
negiert einerseits den eindeutigen Bezug zur Realität, andererseits ist den Regeln zu folgen,
solange man spielt“ (S. 181). Während eines Fußballspiels gelten andere Regeln als in der
Alltagswirklichkeit, beispielsweise einer vorweihnachtlichen Einkaufspassage.17 Für die Zeit
des Spiels ist diese „alternative Welt mit ihrer eigenen Logik“ (Tröhler, 2002, S.18) für die
Beteiligten jedoch ebenso real. Sie ist also keine Illusion, keine Scheinwelt und kein Trugbild,
wie Platon behauptete. Im Spiel wird – wie in der Fiktion – eine „kleine Welt“ (Eco, 1989)
geschaffen, die von den Regeln und Verpflichtungen der Alltagswirklichkeit zunächst
losgelöst ist und eigene dagegen setzt.18 Ohne die Analogie überzustrapazieren, wird hierbei
erneut etwas deutlich: Das Spiel steht zwar gewissermaßen außerhalb der Alltagswirklichkeit,
weil es anderen Regeln folgt. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Wirklichkeit nicht in das
Spiel hereinbrechen könnte. Ein gutes Beispiel ist der Kopfstoß von Zinedine Zidane in der
109. Minute des Endspiels der Fußball-Weltmeisterschaft von 2006. Er zeigt, dass ein Ort für
Fiktionalität – hier: das Spiel – niemals vollständig gegen die Wirklichkeit abgeschirmt
werden kann.19
Es soll hier jedoch zunächst noch ein Schritt zurückgegangen werden, damit Theorien
der Fiktion systematisch gesichtet werden können. Dabei werde ich den Begriff Fiktion als
Oberbegriff für das zu bestimmende Phänomen beibehalten. „Der Bezugspunkt des
Verständnisses von Fiktion als Nicht-Wirklichkeit ist die jeweilige Alltagswirklichkeit –
unabhängig von der erkenntnistheoretischen, historischen oder kulturellen Relativität ihrer
Konzeption.“ (Blume, 2001, S. 113) In diesem Sinne wurde auch in Abschnitt 2.1.4
argumentiert. Die schon benutzten Begriffe Fiktionalität und fiktional bezeichnen im
Folgenden eine Werkkategorie, liegen also auf der Ebene des Erzählens einer Geschichte.
16 Vgl. z.B. Maquard (1983) oder Adorno (1973), der schon im Vorwort seiner „Vorlesungen zur Ästhetik“ anmerkt: „Mit ihrer Autonomie ist die Kunst aus der Bürgerlichen Gesellschaft ausgebürgert.“ (S. 1) 17 Zum Begriff der Alltagswirklichkeit vgl. Abschnitt 2.1.4. 18 Zur hier angesprochenen „Theorie der möglichen Welten“ vgl. Zipfel (2001, S. 83). 19 Es ließen sich unzählige Beispiele finden, die die Analogie des (Fußball-) Spiels zur Fiktion weiter erhellen. Das wohl berühmteste Bonmot des Fußballs – „Entscheidend ist auf’m Platz“ – unterstreicht die Grenze zu Wirklichkeiten, in denen andere Regeln als die des Spiels gelten. In die selbe Richtung argumentiert auch Huub Stevens (2008), der anmerkt: „das schöne am Fußball ist doch: Wir können noch so viel Theater drum herum machen, das Spiel wird immer noch innerhalb der Außenlinien entschieden und nicht von einem Maskotchen, vom Fernsehen oder von einem Zeitschrifteninterview“ (S. 54). In umgekehrter Richtung zieht beispielsweise Klaus Theweleit (2004) Verbindungen zwischen den verschiedenen „Welten“, wenn er vom „Fußball als Realitätsmodell“ spricht.
27
Fiktivität und fiktiv bezeichnen dagegen auf der Ebene der erzählten Geschichte eine
Eigenschaft der dargestellten Sachverhalte als nicht der Wirklichkeit entsprechend (Blume,
2001, S.165). Man kann also beispielsweise sagen, „Star Wars“ ist ein fiktionaler Film,
während Luke Skywalker eine fiktive Figur ist.20
Literaturwissenschaftliche Fiktionstheorien können nach zwei Gesichtspunkten
geordnet und systematisiert werden.
Erstens kann gefragt werden, wie eindeutig die jeweiligen Theorien Realität und
Fiktion voneinander trennen. In diesem Sinne teilen Pavel (1986, S. 11ff.) und Tröhler (2002,
S. 12f.) die Theoretiker in „Segregationisten“ und „Integrationisten“. Erstere trennen
fiktionale Texte streng von faktualen, Wirklichkeit behauptenden Texten.21 Hier wird die
Fiktion auch schnell in die Nähe von Trugbildern und Lügen gebracht. Die Zweiten hingegen
sehen – zugespitzt – keine wesentlichen Unterschiede zwischen fiktionalen und
nichtfiktionalen Darstellungen. Solche Positionen wurden schon in Abschnitt 2.1.2
dargestellt. Sie finden sich sowohl im frühen Empirismus (Tröhler, 2002, S. 13), als auch in
neueren poststrukturalistischen und konstruktivistischen Positionen. Blume (2004) teilt
nahezu analog zu den „Segregationisten“ und „Integrationisten“ in die Kategorien
„Autonomismus“ (S. 16ff.) und „Panfiktionalismus“ (S. 12ff.).
Die zweite Möglichkeit, Theorien der Fiktion zu ordnen, besteht darin, nach der
Perspektive zu fragen, unter der Realität und Fiktion beschrieben werden. Nickel-Bacon,
Groeben und Schreier (2000) unterteilen in darstellungsbezogene, semantische und
pragmatische Theorien. Darstellungsbezogene Theorien machen Fiktionalität an
textinhärenten (syntaktischen) Merkmalen fest. Fiktionale und faktuale Texte unterscheiden
sich demnach in der Art und Weise, wie ihre Inhalte dargestellt werden. Semantische
Theorien hingegen betonen den fiktiven Charakter von in fiktionalen Texten dargestellten
Inhalten. Zentrales Moment der Unterscheidung ist damit eine fehlende oder vorhandene
Referenz von im Text beschriebenen Sachverhalten (Namen, Ereignissen usw.) auf die
Wirklichkeit. So wird die Fiktion über Fiktivität bestimmt. Star Wars ist fiktional, weil die
gezeigten Inhalte (Luke Skywalker, Darth Vader und die Raumschiffe) fiktiv sind.
Pragmatische Theorien der Fiktion beschreiben daneben vor allem die jeweils kulturell
geprägte Kommunikationssituation, unter der Fiktionalität „ausgehandelt“ wird. Ich werde
20 Mit diesen Ebenen wird in Literatur, Kino und Fernsehen gespielt. Beispielsweise gibt es in der fiktionalen Serie „Die Simpsons“ die fiktive „Itchy-und-Scratchy-Show“ als Serie in der Serie. 21 Der Begriff „Text“ wird hier und im Folgenden sowohl für Literatur im weitesten Sinne als auch für Fernsehsendungen, Kinofilme usw. verwendet. Vgl. für diesen „erweiterten Textbegriff“ auch Abschnitt 2.6 und Jurga (1997).
28
weiter unten noch sehr ausführlich auf die pragmatischen Konzeptionen eingehen, weil sie die
umfassendste Perspektive zur Beobachtung von Fiktion liefern.
Tabelle 2: Übersicht der verschiedenen Theorieperspektiven auf die Fiktion
Theorieperspektive Fokus auf
Syntaktisch Art und Weise der Darstellung
Semantisch dargestellte Inhalte
Pragmatisch kulturelle Rezeptionskonventionen
Die beschriebene Dreiteilung der Perspektiven in darstellungsbezogene, semantische und
pragmatische Theorien findet sich in den meisten Übersichtsarbeiten zum Thema (z.B.
Tröhler, 2002; Zipfel, 2001).
Interessanterweise kommt Pietraß (2002) aus gänzlich anderer, nämlich
medienpädagogischer und interaktionstheoretischer Perspektive, zu einer ganz ähnlichen
Dreiteilung. Sie bezieht sich jedoch nicht auf literarische Texte oder Kinofilme, sondern auf
das Fernsehen. Dies zeigt, wie auch Nickel-Bacon et al. (2000) betonen, dass es möglich ist,
die vorgestellten literaturwissenschaftlichen Theorien auf andere Medien als die Literatur zu
übertragen. Im Folgenden sollen unter jeder der drei Perspektiven relevante theoretische
Ansätze diskutiert werden. Die Auswahl und Gewichtung der klassischen Arbeiten erfolgt
dabei nach der Zielsetzung, die drei Perspektiven als verschiedene Ebenen eines Modells zu
integrieren.22
2.3.1 Darstellungsbezogene Theorien der Fiktion
Prägend für die Diskussion um Fiktion und Fiktionalität ist noch heute die klassische Arbeit
zur Logik der Dichtung von Käte Hamburger (1977), die erstmals 1957 erschien. Darin
vertritt Hamburger die These von „echten objektiven Symptomen“ (S. 64f.), an denen ein
fiktionaler Text zu erkennen und von einem faktualen zu unterscheiden sei. Diese Symptome
liegen auf der Darstellungsebene. Das wichtigste „Symptom“ ist die Trennung von
erzählender und erlebender Instanz im Text. Weil der Autor eines Tatsachenberichts keinen
Einblick in die Gedankenwelt der vorkommenden Personen hat, kann er über diese auch nicht
berichten. Anders der Autor literarischer Werke, der aus auktorialer Perspektive alle
22 Die Begriffe Ebenen und Perspektiven werden im Folgenden in Bezug auf die unterschiedlichen Zugänge zur Fiktion weitestgehend synonym gebraucht.
29
Gedanken und Gefühle seiner Figuren kennt. Schließlich hat er sie erfunden. „Die epische
Fiktion ist der einzige erkenntnistheoretische Ort, wo die Ich-Originalität (oder Subjektivität)
einer dritten Person als einer dritten dargestellt werden kann.“ (Hamburger, 1977, S. 79) Nach
Vogt (1990) zeigen diese Merkmale „definitiv die Fiktionalität eines erzählenden Textes an.“
(S. 30)
In einer anderen, ebenfalls darstellungsbezogenen Sichtweise macht Dorrit Cohn
(1990) Fiktionalität an der Trennung zwischen Autor und Erzählinstanz fest, die eine
narratologische signpost of fictionality darstelle. Beide Positionen sind in der
Literaturwissenschaft vielfach kritisiert worden (Zimmermann, 1971; Weimar, 1974).
Kernpunkt der Kritik ist dabei die behauptete Textimmanenz der Fiktionalitätskriterien, d.h.
Probleme bekommen rein darstellungsbezogene Theorien beispielsweise bei fingierten
Autobiographien wie Günter Grass’ (2002/ Erst. 1959) Blechtrommel. Erzählinstanz und
erlebende Person sind hier gleich – Gedanken und Gefühle sind in der Ich-Form beschrieben,
dennoch ist der Text eindeutig fiktional. Die Gründe dafür, dass dieses Werk (in
Übereinstimmung mit der Autorenintention) als fiktionales rezipiert wird, sind damit nicht
rein auf der Ebene des Textes zu suchen.
Ein diesbezüglich interessanter Befund stammt von Wildekamp, van Montfoord und
van Ruiswijk (1980). Sie fanden, „dass nur Literaturstudenten und –studentinnen die
Unterscheidung zwischen Fiction und Non-Fiction auf Grund darstellungsbezogener
Textmerkmale vornehmen, dass aber StudentInnen anderer Fächer ebenso wie Schülerinnen
und Schüler die Unterscheidung anhand inhaltlicher Kriterien wie Unwahrscheinlichkeit oder
Unwahrheit treffen. Diese Kriterien stellen aber Fiktionssignale auf semantischer Ebene dar.“
(Nickel-Bacon et al., 2000, S. 272)
In Bezug auf das Fernsehen scheint es ebenfalls schwierig, gute Fiktionalitätskriterien
auf Darstellungsebene zu finden. Wichtige Arbeiten zur empirischen Erforschung solcher
Hinweise hat Angela Keppler (2006) geleistet. Sie vergleicht die Darstellung terroristischer
Anschläge in Spielfilmen und Nachrichtensendungen und kommt zu einer Reihe von
darstellungsbezogenen Unterschieden. Dazu gehört zum Beispiel – wie auch in der
Literaturtheorie – das Fehlen oder Vorhandensein von Personen, aus deren Erleben heraus
eine Situation dargeboten wird. Dazu kommen Merkmale wie Kameraposition, Schnittfolge,
begleitender Kommentar oder einen „narrativen, über die gesamte Stecke des Films
durchgehaltenen Großrhythmus“ (S. 179). Bemerkenswert ist zunächst der große Aufwand,
der betrieben werden muss, um in akribischen qualitativen Analysen von auf Bild- und
Tonebene transkribiertem Material auf eine vorläufige Liste solcher Merkmale zu kommen.
30
Die Untersuchungen von Keppler (2006) zeigen zwei für unser Anliegen zentrale
Ergebnisse. Erstens machen sie deutlich, dass es die oben zitierten „definitiven“ (Vogt, 1990)
oder „objektiven“ (Hamburger, 1977) darstellungsbezogenen Merkmale der Fiktion nicht
gibt. „Wie sehr wir diese Liste aber erweitern mögen, sie wird weder notwendige noch für
sich allein hinreichende Bedingungen eines fiktionalen oder nichtfiktionalen filmischen Stils
enthalten können.“ (Keppler, 2006, S. 180) Zweitens wird mit den Ergebnissen eine zentrale
Tatsache deutlich, die damit zusammenhängt: Sämtliche darstellungsbezogenen Merkmale
finden sich sowohl in fiktionalen wie in nichtfiktionalen Sendungen. Eindrucksvoll zeigt
Keppler dies am Beispiel einer Amateuraufnahme, die ohne vorherige Bearbeitung und
Kommentar in einer Tagesthemen-Sondersendung am 11. September 2001 gezeigt wurde. Im
kontrastiven Vergleich dieses Beitrags wird deutlich, wie sehr alle anderen „herkömmlichen“
Nachrichtenbeiträge schon dramaturgisch, licht- und kameratechnisch usw. bearbeitet sind.
Diese Bearbeitungen sind eindeutig Hinweise auf Fiktionalität, finden sich aber auch in
Nachrichtensendungen.23
Dem besonderen Reiz des oben beschriebenen Video-Clips von Rage Against the
Machine würde man mit Kepplers Liste von darstellungsbezogenen Fiktionsmerkmalen allein
nicht gerecht. Beachtet man nur Schnittfolge, Dramaturgie und Kameraperspektive, wäre der
Clip schlicht fiktional. Gleiches gilt für die fiktionalisierten (Pietraß, 2002) Bilder aus dem
Irakkrieg. Ein Großteil der Merkmale, die zur Authentifizierung der Serie Lenßen und Partner
(siehe oben) eingesetzt werden, liegen auf darstellungsbezogener Ebene. Bestes Beispiel ist
die in der Serie immer wieder verwendete Perspektive der Überwachungskamera. Auch in
Kepplers (2006) Untersuchungen wird deutlich, dass authentifizierende Darstellungsformen
als Stilmittel in fiktionalen Sendungen benutzt werden.
Darstellungsbezogene Hinweise sind also für sich genommen eine sehr unsichere
Grundlage für Entscheidungen für oder gegen die Fiktionalität eines Textes. In diesem Sinne
argumentierte schon Aristoteles. In seiner Poetik schreibt er ca. 335 v.Chr.: „Denn der
Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich nicht dadurch voneinander, daß sich
der eine in Versen und der andere in Prosa mitteilt - man könnte ja auch das Werk Herodots
[antiker Historiker – Anm.] in Verse kleiden, und es wäre in Versen um nichts weniger ein
Geschichtswerk als ohne Verse-; sie unterscheiden sich vielmehr dadurch, daß der eine das
wirklich Geschehene mitteilt, der andere, was geschehen könnte.“ (Aristoteles, 2008, Absatz
23 Und zwar, wie das Beispiel zeigt, auch in gemeinhin als seriös anerkannten. Interessant wäre es zu untersuchen, was diese Seriösität im Gegensatz zu den oben schon genannten „RTLII Action News“ ausmacht. Dabei steht in Frage, ob es sich bei den Unterschieden um ein bloßes Mehr an Dramatisierung (sensu Göttlich, Nieland & Schatz, 1998, vgl. Abschnitt 2.2) oder um qualitativ andere Darstellungsformen handelt.
31
9). Letzteres ist aber, wie schon die Strategien der Nicht-LiteraturstudentInnen in der Studie
von Wildekamp, van Montfoord und van Ruiswijk (1980), auf semantischer Ebene zu
verorten.
Ziel der Perspektive der Darstellungsebene kann es demnach nicht sein, das eine
sichere Kriterium über den fiktionalen Status einer Sendung zu finden. Vielmehr muss es
darum gehen, einzelne Signale als Hinweise zu entdecken und miteinander zu verrechnen.
Analog zur literaturwissenschaftlichen Konzeption von Anderegg (1983) könnte so eine
„Welt der Übergänge“ (S. 172) zwischen fiktionalen und nichtfiktionalen Hinweisen in
Sendungen angenommen werden. Diese Hinweise stehen dann nach Pietraß (2002) in einem
„konnotativen Verhältnis zum Bildinhalt“ (S. 373), konstituieren also nicht selbst die
Bedeutung des Inhalts, sondern verändern diese lediglich.
Als Fazit lässt sich also feststellen, dass es auf darstellungsbezogener Ebene keine
eindeutigen Kriterien für die Fiktionalität einer Sendung gibt, sondern nur „viele
Unterschiede, die einen Unterschied machen“ (Keppler 2006, S. 179), wenn sie verrechnet
werden. Die Bestimmung der entsprechenden Hinweise ist zudem sehr aufwändig und in
Bezug auf das Fernsehen noch recht unsystematisch. Nicht zuletzt deshalb scheinen
RezipientInnen, die nicht Medien- oder Literaturwissenschaften studiert haben, die
Beurteilung des Realitätsstatus’ eines Texts eher an inhaltlichen Kriterien festzumachen
(Wildekamp, van Montfoord & van Ruiswijk, 1980). Theorien, die diese Perspektive
fokussieren, sollen im Folgenden besprochen werden.
2.3.2 Semantische Theorien der Fiktion
Wie oben schon angedeutet, soll in semantischen Theorien der Fiktion die Bestimmung der
Werkkategorie über die dargestellten Inhalte geleistet werden. Dabei ist in der
Literaturwissenschaft der vorhandene oder fehlende Bezug von Sprache auf eine
außersprachliche oder außertextuelle Wirklichkeit von entscheidender Bedeutung.
Grundlegend ist hier Gottfried Gabriels (1975) „semantische Theorie der Literatur“. Gabriel
stellt fest, dass ein und derselbe Satz sowohl im fiktionalen wie im nicht-fiktionalen Text
stehen könnte.24 Entscheidender Unterschied ist die so genannte Referenzialisierbarkeit:
„’fiktionale Rede’ heiße diejenige nicht-behauptende Rede, die keinen Anspruch auf
Referenzialisierbarkeit oder auf Erfülltheit erhebt.“ (S. 28) Das heißt, im Text genannte
24 Womit beide Sätze auf Darstellungsebene gleich sind.
32
Elemente der Erzählung haben keine Entsprechung in der Wirklichkeit.25 Zum Beispiel
befand sich auf dem historischen Schiff Titanic kein Passagier namens Jack Dawson – der im
Film Titanic gezeigte Jack hat also keine Referenz in der Wirklichkeit. Die Handlungen des
fiktiven Jack sind damit „Zeichen, die auf kein in der Wirklichkeit existierendes Individuum
angewendet werden können“ (Thürnau, 1994, S. 17). Dies ist in semantischen Theorien der
Fiktion zentrales Merkmal der Fiktionalität.
Ähnlich der oben dargestellten Theorie von Hamburger (1977/1957) gibt es auch hier
zahlreiche Versuche, die Fiktion autonomistisch zu bestimmen, sie also durch ihren
kategorialen Unterschied zur Wirklichkeit zu definieren. Nach diesen Theorien „würden
Ausdrücke, die in einen fiktionalen Kontext eingebunden sind, […] von jeglichen
unmittelbaren Bezügen zur Wirklichkeit entkleidet (radikaler Autonomismus)“ (Blume, 2004,
S. 16). Dabei wird häufig versucht, das spezifisch Literarische eines Textes über seine
Fiktivität zu bestimmen.26 So werden beispielsweise bei Lämmert (1991) literarische Texte
als solche gekennzeichnet, die von einem Lebenszusammenhang erzählen, „der von der realen
Wirklichkeit schon durch seine Abrundung kategorial verschieden ist“ (S. 26). Mit der
„Abrundung“ der fiktiven Geschichte gegenüber der Wirklichkeit klingt bei Lämmert
wiederum ein altes Motiv der aristotelischen Poetik an. Darin kennzeichnet Aristoteles die
Tragödie u.a. als „in sich geschlossene Handlung“ (Absatz 6). Im Sinne der
Abgeschlossenheit von Literatur gegenüber der Wirklichkeit argumentiert auch Keller (1980),
der meint, Literatur sei „Fiktion, weil sie den Realitätsbezug kappt, im Raum der Imagination,
des bloß Vorgestellten verbleibt.“ (S. 7) Dass dies eine schwierige Behauptung ist, zeigen
Fälle, in denen ein vom Autor vermeintlich „gekappter Realitätsbezug“ in der Rezeption eben
nicht als solcher wahrgenommen wird. Auf die Spitze getrieben wird diese Problematik, wenn
vor Gericht geklärt werden muss, ob eine im Roman (als fiktionalem Genre) dargestellte
Person fiktiv ist oder eindeutig auf eine „wirkliche“ Person verweist. Im aktuellen Fall von
Maxim Billers Esra bedeutete dies nicht nur, dass der Roman verboten wurde (Seiler, 2007),
sondern auch, dass die vermeintlich im Roman dargestellte Person 50.000 Euro
Schmerzensgeld vom Autor bekam (Spiegel, 2008). Biller hatte über intime Details aus dem
Liebes- und Sexualleben der Protagonistin Esra geschrieben, in denen sich seine ehemalige
Freundin eindeutig wieder erkannte und daraufhin gegen die Veröffentlichung des Buches
klagte. Dass es überhaupt eines Gerichts bedarf, um hier Kunstfreiheit gegen
25 Zur Problematisierung des Begriffs „Wirklichkeit“ vgl. nochmals Abschnitt 2.1.4. 26 Dabei dient die Abgrenzung von literarischen Texten gegenüber nicht-literarischen wohl auch der Abgrenzung der Literaturwissenschaft gegenüber anderen Wissenschaften.
33
Persönlichkeitsrechte abzuwägen, zeigt, dass es mit dem gekappten Realitätsbezug im
fiktionalen Text so einfach nicht ist.
Damit hat auch Anderegg (1977) Unrecht, wenn er behauptet, dass „der Fiktivtext am
Bestehenden nicht gemessen werden kann.“ (S. 96) Eben dies ist ja passiert: weil der Roman
am Bestehenden gemessen wurde und offenbar auch messbar war, wurde er verboten.
Dennoch ist die Kennzeichnung von Billers Text als Roman und damit als fiktional nicht
irrelevant: „Wäre ‚Esra’ als Erfahrungsbericht veröffentlich worden, wäre es mit den
Unterlassungsauflagen ganz schnell gegangen, so wie es bei Dieter Bohlens ‚Nichts als die
Wahrheit’ ganz schnell ging.“ (Seiler, 2007, S. 14) Dies jedoch verweist schon auf
pragmatische Kategorien, um die es unten noch ausführlicher gehen wird.
Dem Problem des mehr oder weniger eindeutigen Wirklichkeitsbezugs wird in
semantischen Theorien durch Einführung einer „Als-Ob Konstruktion“ begegnet (Gabriel,
1975; Thürnau, 1994). Demnach seien Aussagen bzw. Produktinhalte in fiktionalen Texten
nicht als solche relevant, sondern müssten immer schon unter fiktionalen Vorzeichen gelesen
werden, unter denen eben dieser Bezug suspendiert sei. In diesem Sinne wird wieder für eine
kategoriale Abgeschlossenheit der Fiktion gegenüber der Wirklichkeit argumentiert – ohne,
dass allerdings deutlich gemacht werden kann, wie es zu einer solchen Rezeption unter dem
Vorzeichen des Als-Ob (Vaihinger, 1986/ Erst. 1911) kommen kann.27 Blume (2004) bemerkt
dazu kritisch: „Es wird zwar zugegeben, daß Bezüge auf Realien in fiktionalen Texten
vorkommen, sie werden aber – auf unbestimmt gelassene Art und Weise – von ihrem
Wirklichkeitsbezug gelöst, jedenfalls sei dieser für das Textganze nicht von Bedeutung.“ (S.
19)
Die Rede von der Autonomie der Kunst und damit der Literatur und des Films kommt
jedoch nicht von ungefähr. Ohne Autonomie könnte sie nicht vollbringen, was ja gerade ihren
Reiz ausmacht, nämlich jene imaginären „Small Worlds“ (Eco, 1989) zu schaffen, in die
LeserInnen sich hineinbegeben und um derentwillen Literatur rezipiert wird. Die Suspension
des Wirklichkeitsbezugs erfolgt jedoch niemals vollständig. Es muss beachtet werden, dass
auch im fiktionalen Text immer nicht-fiktive Elemente zu finden sind. Selbst in der
fantastischen Welt des „Herrn der Ringe“ gelten die Gesetze der Schwerkraft und die
Menschen reiten auf den Pferden und nicht umgekehrt. Noch deutlicher wird diese Tatsache
im Fall von historischen Filmen und Romanen, in denen bekannte Fakten akribisch dar- und
nachgestellt werden. Zum Beispiel war es Teil des großen kommerziellen Erfolgs des Films
Titanic, dass das Schiff mit allen Details, auch des Innenraums bis hin zur originalgetreuen 27 Diese Frage wird – wie wir in Abschnitt 2.3.3 sehen werden – in pragmatischen Theorien der Fiktion behandelt.
34
Nachbildung der Verzierungen des Silberbestecks in der ersten Klasse, genau rekonstruiert
worden ist (Töteberg, 2005). Die Umgebung, in der die fiktiven Figuren Jack und Rose
agieren, ist also nicht fiktiv, sondern verweist eindeutig auf die Wirklichkeit. Außerdem ist sie
„für das Textganze“ offenbar durchaus relevant. Wie wäre es sonst zu erklären, dass vor
Drehbeginn sämtliche historischen Details des Schiffes genau recherchiert worden sind und
für den Film eigene Tauchfahrten zum Wrack der Titanic unternommen wurden (ebd.)?28
Diese Beispiele bringen uns dazu zuzugeben, „daß wir selbst bei der unmöglichsten
aller Welten, um von ihr beeindruckt, verwirrt, verstört oder berührt zu sein, auf unsere
Kenntnis der wirklichen Welt bauen müssen. […] Dies aber bedeutet: Die fiktiven Welten
sind Parasiten der wirklichen Welt.“ (Eco, 1996, S. 112) Ohne eine Vorstellung von
Wirklichkeit wäre also auch die Fiktion nicht möglich. Damit ist aber auch eine Geschichte,
die unter semantischer Perspektive betrachtet in gar keiner Weise Bezug auf die Wirklichkeit
nimmt, schlichtweg undenkbar. „Außerdem löst sich mit dem inhaltlich-semantisch
fundierten Nachweis von realitätsnahen oder gar realitätsentsprechenden Textelementen,
genauer gesagt: von Textbedeutungen, die im Sinne des herrschenden Wirklichkeitsmodells
als referenzialisierbar und damit als real betrachtet werden müssen, die von Gabriel und
Thürnau immer schon vorausgesetzte Dichotomie zwischen Fiction und Non-Fiction
tendenziell auf“ (Nickel-Bacon et al., 2000, S. 277). Fiction (als Werkkategorie) ist auf Ebene
der Inhalte nicht auf fiktive Elemente beschränkt, sondern stellt immer eine Mischung von
Fiktivem und Nicht-Fiktivem dar. Der häufigste Fall ist dabei, dass fiktive Personen
(Individua) in realen Umgebungen (Generalia) agieren. Dies ist jedoch keineswegs immer so.
Zum Beispiel ist der Anwalt Ingo Lenßen aus der Serie Lenßen und Partner eine „erfüllte
Referenz“ (im Sinne Gabriels) auf den echten Ingo Lenßen. Auch die Umgebung (Stadt
München) ist real; die Handlungen um die dargestellten Fälle sind fiktiv.
Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass die Inhaltsebene wertvolle
Bestimmungsstücke für den Begriff der Fiktion bereithält. Semantische Theorien leiden
jedoch zu einem Großteil an dem Versuch, fiktionale Texte auf der Ebene der dargestellten
Inhalte kategorial von nicht-fiktionalen zu trennen, was ein unmögliches Unterfangen ist. Ein
positiver Beitrag semantischer Ansätze ist der Versuch, die Fiktivität einzelner Inhalte zu
identifizieren. Dieses Verdienst bleibt, obgleich die Existenz solcher Inhalte kein
hinreichendes Kriterium für Fiktionalität ist. Ob es sich überhaupt lohnt, nach solchen
28 Außerdem – so könnte man hinzufügen – werden diese Unternehmungen auch auf Rezipientenseite ernst genommen, wie die vielen Diskussionsforen zeigen, die sich mit so genannten Filmfehlern beschäftigen. Hier wird beispielsweise leidenschaftlich diskutiert, ob ein bestimmtes Bild im Innenraum der Titanic hängen konnte oder nicht (vgl. http://www.fehler-im-film.de/forum/showthread.php?t=1396).
35
hinreichenden Kriterien zu suchen, oder ob die genannten Vermischungen nicht geradezu
konstitutiv für den Begriff der Fiktion sind, wird im Folgenden Thema sein. Außerdem wird
es dort um die hier bewusst nicht gestellte Frage nach der Sicht der RezipientInnen gehen:
Was sind die rezipientenseitigen Bedingungen für die Möglichkeit der Identifizierung fiktiver
Inhalte? Nach beiden (miteinander zusammenhängenden) Punkten wird vor allem in
pragmatischen Theorien der Fiktion gefragt.
2.3.3 Pragmatische Theorien der Fiktion
Sowohl darstellungsbezogene als auch semantische Theorien versuchen, das Phänomen
Fiktion allein auf der Ebene des Textes zu beschreiben, was wie wir gesehen haben, nicht
befriedigend gelungen ist. Pragmatische Theorien versuchen die Perspektive zu erweitern,
indem sie Produktions- und Rezeptionshandlungen von KommunikationsteilnehmerInnen in
die theoretische Modellierung mit einbeziehen. Nach Nickel-Bacon et al. (2000) lässt sich
Fiktion „nicht auf abstrakter, d.h. von kommunikativen Kontexten losgelöster Textebene,
sondern nur im Rahmen soziokulturell bestimmter Kommunikationstypen“ (S. 278)
bestimmen.29 Damit ist Fiktionalität – ganz im Sinne der in Abschnitt 2.1.4 angestellten
konstruktivistischen Reformulierungen – nicht mehr Eigenschaft eines Textes, sondern eine
Eigenschaft, die einem Text zugeschrieben wird (vgl. Schreier, Groeben, Rothmund &
Nickel-Bacon, 2001, S. 37).
Innerhalb der Semiotik bezeichnet die Pragmatik die Beziehung zwischen den Zeichen
und ihren Benutzern (Eco, 1994). In einer paradigmatischen Arbeit umreißt Austin (1962) das
Themengebiet der Pragmatik als Suche nach Antworten auf die Frage „How to do things with
words?“. Angewendet auf eine Theorie der Fiktion könnte man somit aus pragmatischer
Perspektive fragen: How to do fiction? Entscheidend an dieser Formulierung ist, dass
Fiktionalität nicht einfach entsteht und dann objektiv beobachtet werden kann (vgl.
Hamburger, 1977), sondern gemacht wird und zwar auf Autoren- bzw. Produzentenseite und
auf Seiten der Rezeption. „Das ontologische Argument muss durch ein funktionalistisches
ersetzt werden. Fiktion und Wirklichkeit können daher nicht mehr als ein Seinsverhältnis,
sondern müssen als ein Mitteilungsverhältnis begriffen werden.“ (Iser, 1976, zitiert nach Jauß,
1982, S. 293)
Um dieses Verhältnis in den Blick zu bekommen, sucht Iser (1991) zu klären, wie
produktseitige Fiktionalität zu fassen ist. Grundlegend dafür ist eine Feststellung, die auch 29 Damit wird deutlich, dass es sich bei der oben (Abschnitt 2.3) formulierten Analogie der Fiktion zum Spiel um einen Vergleich auf pragmatischer Ebene handelt.
36
oben schon getroffen wurde: „Das Oppositionsverhältnis von Fiktion und Wirklichkeit würde
die Diskussion des Fiktiven im Text um seine entscheidende Dimension verkürzen; denn
offensichtlich gibt es im fiktionalen Text sehr viel Realität“ (ebd.). Ebenfalls in
Übereinstimmung mit den oben gemachten Feststellungen argumentiert Iser, solche Realitäten
in Texten seien „ihrerseits keine Fiktionen und sie werden auch nicht zu solchen, nur weil sie
in die Darstellung fiktionaler Texte eingehen.“ (ebd., S. 20; vgl. auch Abschnitt 2.3.2)
Das fundamental Neue an seiner Theorie der Fiktion ist die Ersetzung des
Begriffspaars Realität vs. Fiktion durch eine „Triade des Realen, Fiktiven und Imaginären“
(ebd., S. 19). Iser selbst bringt seine Überlegungen zu Realität, Fiktion und Imagination in
einem zentralen Satz auf den Punkt: „Enthält der fiktionale Text Reales, ohne sich in dessen
Beschreibung zu erschöpfen, so hat seine fiktive Komponente wiederum keinen
Selbstzweckcharakter, sondern ist als fingierte die Zurüstung eines Imaginären.“ (S. 18) Die
bei Iser (1991) zentralen Begriffe des Realen, des Fiktiven und des Imaginären sollen im
Folgenden kurz geklärt werden.
Das Reale ist für Iser im weitesten Sinne das, worauf der Text Bezug nimmt, also
andere Texte oder die gegebene außertextuelle Welt. Das Imaginäre ist am besten mit einer
spontanen, unwillkürlichen und nicht zielgerichteten Phantasie oder Vorstellung zu
beschreiben. Das Fiktive ist dem gegenüber ein zielgerichteter, „intentionaler Akt“ (ebd., S.
20) und den Menschen jenseits der Literatur von der Lüge und der Täuschung her bekannt.
Das Imaginäre und das Fiktive sind den Menschen nach Iser aus ihrem alltäglichen Leben
bekannt, sie gehören zu den menschlichen „Evidenzerfahrungen“ (ebd., S. 15) und sind damit
Dispositionen der anthropologischen Grundausstattung (Iser, 1990).
Das Fiktionale eines Textes ist für Iser das Ergebnis des Zusammenspiels von Realem
und Imaginärem. Dieses Zusammenspiel geschieht durch die produzentenseitigen „Akte des
Fingierens“. Ein solcher Akt ist jene „Zurüstung eines Imaginären“ zum Realen im obigen
Zitat. Beispielsweise handeln im fiktionalen Film Titanic die imaginären Personen Jack und
Rose auf dem realen Schiff Titanic. Ganz im Sinne von Eco (1996; vgl. auch Abschnitt 2.3.2)
impliziert damit jede Fiktion die uns gegebene faktische Realität, überschreitet diese jedoch
durch die Verflechtung mit fiktiven Elementen. Die Beziehung von Imaginärem und Realem
kann dabei als wechselseitige Grenzüberschreitung gesehen werden. „Die
Grenzüberschreitung widerfährt demnach dem Realen wie dem Imaginären; jenes wird
irrealisiert, dieses erfährt Realwerdung.“ (Sill, 2001, S. 128f.) In der Fiktion treffen sich also
gewissermaßen Realität und Imagination, büßen ihren jeweils spezifischen Charakter ein und
werden durch die Akte des Fingierens zum Fiktiven. „In der Überführung wiederholter
37
lebensweltlicher Realität zum Zeichen für anderes manifestiert sich die Grenzüberschreitung
als eine Form der Irrealisierung; in der Überführung des Imaginären als eines Diffusen in
bestimmte Vorstellungen geschieht ein Realwerden des Imaginären.“ (Iser, 1991, S. 129)
Welches aber sind die so genannten Akte des Fingierens und wie sehen sie aus? Iser
geht von drei intentionalen Akten aus, die autorenseitig entscheidend für die Fiktionalität
eines Textes sind: Selektion, Kombination und Selbstanzeige als Fiktion. Im fiktionalen Text
werden Elemente mit unterschiedlichen Wirklichkeitsbezügen ausgewählt und zu einem
neuen Arrangement miteinander kombiniert. Im Gegensatz zum berichtenden Text ist der
fiktionale dabei nicht auf historisch oder aktuell verbürgte Elemente beschränkt, ist aber frei,
auch diese zu kombinieren.30
Für die vorliegende Arbeit von Interesse ist vor allem der dritte Akt des Fingierens
nach Iser: die „Selbstanzeige des Textes als Fiktion“, die Iser (1991) auch als „Entblößung
seiner Fiktionalität“ (S. 35) bezeichnet: „Es kennzeichnet die Literatur im weitesten Sinne,
daß sie sich durch ein Signalrepertoire als fiktional zu verstehen gibt.“ (Ebd.) Diese
Fiktionssignale werden bei Iser jedoch ausdrücklich nicht wie bei Hamburger (1977) als
eindeutig und objektiv erkennbar gesehen. Stattdessen vollzieht Iser (1991) den
entscheidenden Schritt pragmatischer Modellierungen der Fiktion, indem er zu ihrer
Bestimmung Textproduktion und Rezeption zueinander in Beziehung setzt. Damit wird die
Fiktion gewissermaßen sozialisiert. „Denn das im Text markierte Fiktionssignal wird erst zu
einem solchen durch bestimmte, historisch variierende Konventionen, die Autor und
Publikum teilen und die mit den entsprechenden Signalen aufgerufen werden. Daher
bezeichnet das Fiktionssignal nicht etwa Fiktion schlechthin, sondern den ‚Kontrakt’
zwischen Autor und Leser, dessen Regelungen den Text nicht als Diskurs, sondern als
‚inszenierten Diskurs’ ausweisen.“ (S. 35)
Dabei ist der „Kontrakt“ oder „kommunikative Vertrag“ ein Schlüsselbegriff
pragmatischer Theorien nicht nur in der Literaturwissenschaft, sondern auch in der Theorie
der AV-Medien. Dies wird zum Beispiel in einem Sonderheft zur Pragmatik des Films der
Zeitschrift montage/av deutlich, in welchem die Autoren im Editorial anmerken: „Nicht der
Text an sich, sondern der Text innerhalb bestimmter institutioneller Kontexte ist Gegenstand
der Untersuchung […] Ein Schlüsselbegriff ist hierbei der des ‚kommunikativen Vertrages’
30 Damit gehört Iser, wie auch Eco, zu einer Gruppe von Theoretikern, „die die Semantik von der Pragmatik her betrachten“, wie es Nickel-Bacon et al. (2000, S. 278) ausdrücken. Das heißt, die Theorie verzichtet nicht auf eine semantische Betrachtungsweise, sieht diese aber als der Pragmatik nachgeordnet (vgl. Abschnitt 2.3.4).
38
oder ‚Pakts’, der erst die Rahmenbedingungen schafft, innerhalb derer die Zuschauer Texte
verstehen können.“ (Curtis et al., 2002, S. 4)31
In Bezug auf Fiktionalität hat bereits Schmidt (1980a) einen „Fiktionsvertrag“
beschrieben. Dieser basiert auf unterschiedlichen Konventionen, unter denen non-fiktionale
und fiktionale Texte rezipiert werden müssen. Diese sind zum einen die
„Tatsachenkonvention“, die beinhaltet, dass Aussagen und Behauptungen im Sinne der
Überprüfbarkeit wahr sein müssen. Und zum anderen die „Ästhetikkonvention“, die diesen
Anspruch aussetzt und stattdessen Kriterien wie Schönheit oder Genusspotential anlegt. Die
intuitiv relativ rigide gemachten Unterscheidungen zwischen Realität und Fiktion sind nach
Schmidt (1980b) bedingt durch die Sozialisation. „Schmidt führt also die intuitiv als natürlich
verstandene Dichotomie von Fiktion und Wirklichkeit zurück auf die Sozialisation in zwei
prinzipiell unterschiedenen Diskursen, welche von soziokulturellen, mithin dem historischen
Wandel unterliegenden Konventionen geregelt werden, die bei Produktion und Rezeption von
Fiction und Non-Fiction jeweils unterschiedliche Einstellungen bedingen.“ (Nickel-Bacon et
al. 2000, S. 284).
2.3.4 Pragmatik als vorgeordnete Perspektive
Damit wird zum ersten Mal in der vorliegenden Argumentation ausdrücklich die Perspektive
der RezipientInnen thematisiert. Um zu einem umfassenderen Konzept der Fiktion und ihrer
Rezeption zu kommen, wird im Folgenden die Bedeutung des „Fiktionsvertrags“ für die
Betrachtung der Fiktion unter semantischer Perspektive herausgearbeitet. Dabei wird sich
zeigen, dass es letztlich eine Integration der hier vorgestellten Perspektiven ist, die in der
Lage ist, einen tragfähigen Begriff der Fiktion zu etablieren.
Eco (1996) beleuchtet die Perspektive der RezipientInnen in seiner Beschreibung des
„Vertrags“ genauer. Er fragt nach Folgen und Voraussetzungen der Begegnung mit
fiktionalen Texten auf Seiten der RezipientInnen. „Die Grundregel jeder Auseinandersetzung
mit einem erzählenden Werk ist, daß der Leser stillschweigend einen Fiktionsvertrag mit den
Autor schließen muss, der das beinhaltet, was Coleridge ‚the willing suspension of disbelief’,
die willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit nannte. Der Leser muss wissen, daß das, was
31 Dabei ist die Rede von einem „Vertrag“ keineswegs unproblematisch, wie schon die Anführungszeichen zeigen innerhalb derer der Begriff zumeist verwendet wird. Das macht vor allem Sutter (2001) deutlich, wenn er die unreflektierte Verwendung des Interaktionsbegriffs kritisiert, wo doch eigentlich die Massenkommunikation eine „Rede ohne Antwort“ bleibt (vgl. dazu wiederum kritisch: Charlton (2001), der den Vertragsabschluß als sequentielle Handlungsfolge von „turns“ expliziert). Es ist hier jedoch nicht der Platz, diese Debatte weiter zu vertiefen.
39
ihm erzählt wird, eine ausgedachte Geschichte ist, ohne darum zu meinen, daß der Autor ihm
Lügen erzählt.“ (Eco, 1996, S. 103)
Der suspension of disbelief ist ein interessantes Konstrukt, denn offenbar gilt er in der
Rezeption niemals für den gesamten Text als solchen, sondern immer nur für bestimmte
Bereiche. Zum Beispiel: Nur weil Der Herr der Ringe eindeutig fiktional ist, bedeutet dies
nicht, dass die RezipientInnen es ohne weiteres hinnehmen würden, wenn hier auf einmal die
Gesetze der Schwerkraft nicht mehr gelten würden. Im Rahmen der Matrix-Filme kann dies
hingenommen werden, weil das Schweben als in der „Matrix Welt“ mögliche Form der
Fortbewegung eingeführt wurde. Man sieht: Abweichungen von der Wirklichkeit der
Alltagswelt müssen vom Film gekennzeichnet und von den RezipientInnen akzeptiert werden:
„alles, was im Text nicht ausdrücklich als verschieden von der wirklichen Welt erwähnt oder
beschrieben wird, muß als übereinstimmend mit den Gesetzen und Bedingungen der
wirklichen Welt verstanden werden.“ (Eco, 1996, S. 112) Dies ist eine direkte Folge der oben
beschriebenen Eigenart der Fiktion, Parasit der wirklichen Welt zu sein.
In seiner Version des Fiktionsvertrags kommt Eco (1996) auf die Rolle der
Fiktionssignale zurück, durch die es erst zum suspension of disbelief kommen kann. Er betont
jedoch, „daß es keine unumkehrbaren Fiktionssignale gibt – außer wenn Elemente des
Paratextes ins Spiel kommen.“ (S. 166)32 Der Paratext ist allgemein definiert als Text, der die
Funktion hat, die Bedeutung eines Haupttextes zu steuern, zu ergänzen oder in einer
bestimmten Weise zu kommentieren (Genette, 1992). In Bezug auf Medienprodukte ist das
Paradebeispiel die Gattungsbezeichnung, etwa als Roman oder als Spielfilm. Paratextuelle
Bezeichnungen oder Einschübe sind ein wichtiges Thema pragmatischer Theorien, weil sie in
Bezug auf die Abstimmungsleistungen zwischen Text und RezipientInnen direkt
„kommunikationssteuernde“ Hinweise für die Rezeption darstellen. Die Bezeichnung
Spielfilm zeigt also an, dass das Gesehene als fiktional zu rezipieren ist.
In dem in Kap. 2.2 beschriebenen Clip von Rage Against the Machine sind es die
Einblendungen zu Beginn, die die RezipientInnen darauf hinweisen, dass das Gezeigte nicht
erfunden ist, sondern wirklich stattgefunden hat. In gleicher Weise sind es die uneinheitlichen
und zum Teil irreführenden paratextuellen Gattungsbezeichnungen der Serie Lenßen und
Partner, welche das hohe „Verwirrungspotential“ für die Zuschauenden bereithalten. Zur
Verdeutlichung der „Pragmatik als vorgeordneter Perspektive“ mag man sich einen Zuschauer
vorstellen, der aus der Fernsehzeitung die Genrebezeichnung Information entnimmt (vgl.
Abschnitt 2.2) und mit entsprechenden Erwartungen die Sendung anschaut.
32 Hervorhebung von mir.
40
Freilich können auch Gattungsbezeichnungen und andere Paratexte die Rezeption
niemals determinieren. Nicht einmal die Zuordnung zu einer bestimmten Gattung wird allein
durch Merkmale des Medienprodukts vorgenommen, sondern wird in der
Anschlusskommunikation ausgehandelt (Keppler & Seel, 2002). Wiederum sind die
divergierenden Genrebezeichnungen von Lenßen und Partner das beste Beispiel.
Entscheidend ist also auch hier die Berücksichtigung der Perspektive der
RezipientInnen. In diesem Sinne betonen Nickel-Bacon et al. (2000): Den
„produzentenseitigen Signalen der Fiktionalität (oder Nichtfiktionalität) entsprechen auf
Rezipient(innen)seite komplementäre durch medienbezogenes Wissen erworbene Kriterien,
die durchaus unterschiedlich differenziert sein können […]. Daher ist Rusch zuzustimmen,
dass Fiktionalisierung als kognitive Operation abhängig ist vom (textexternen) Welt- und
Medienwissen der Rezipientinnen und Rezipienten, z.B. über Genres“ (S. 285). Das Wissen
um unterschiedliche Genres und deren Realitätsanspruch ist nicht nur für die Teilnahme am
literarischen Diskurs unverzichtbar – das gleiche gilt in Bezug auf das Fernsehen.
Allerdings sind auch die fernsehbezogenen paratextuellen Formatbezeichnungen –
anders als noch von Eco (1996) behauptet – keine verlässlichen bzw. eindeutigen Fiktions-
oder Realitätssignale. Das ist bei der Betrachtung der Pseudo-Dokumentation deutlich
geworden. Ebenso argumentiert Tröhler (2002), wenn auch etwas überspitzt: „Wollen wir uns
jedoch dem komplexen Grenzbereich zwischen Fiktion und Nichtfiktion nähern, so hilft uns
eine außertextuell begründete, kategorische Trennung der beiden diskursiven Modi nicht
weiter“ (S. 21). Für einen tragfähigen Begriff der Fiktion ist es daher angezeigt, die
pragmatische Perspektive nicht als einzige, sondern als eine vorgeordnete zu betrachten. Das
würde bedeuten, dass Fiktionssignale auf semantischer Ebene ihre Bedeutung für die
Rezipierenden erst nach erfolgter pragmatischer Klassifikation erhalten.
„Von der vorgeordneten pragmatischen Rahmenperspektive aus sind dann Texte oder
Medienprodukte durchaus auch auf inhaltlich-semantischer wie auf darstellungsbezogenen-
formaler Ebene hinsichtlich ihrer Realitätsnähe zu analysieren […] Eine von der Pragmatik
her analysierte Textsemantik kann zur Identifikation inhaltsbezogener Fiktionssignale und
zugleich zur Bestimmung von Graden der Fiktivität dienen, die tendenziell zu einem
Kontinuum fiktionaler Werke führt, dessen Grenzen zu nichtfiktionalen Werken hin offen
sind.“ (Nickel-Bacon et al., 2000, S. 288)33
33 Hervorhebung von mir.
41
2.4 Integratives Modell von Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen
Ein solches Modell zu formulieren, hat sich die Kölner Arbeitsgruppe um Norbert Groeben
und Margrit Schreier zur Aufgabe gemacht. Das Modell hat sowohl den Anspruch, bisherige
Fiktionstheorien zu integrieren, als auch den hauptsächlich produktorientierten Ansätzen
dezidiert die Perspektive der RezipientInnen gegenüberzustellen. Es sollte so in der Lage sein,
die der Werkebene korrespondierenden Rezeptionsprozesse und die dafür notwendigen
Wissensbestände und Kompetenzen auf Seiten der ZuschauerInnen zu beschreiben. Im
Anschluss an die hier vorgestellten Theorien der Fiktion stellen Schreier, Groeben, Rothmund
und Nickel-Bacon (2001) das Modell vor, das Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen auf eben
jenen drei Ebenen differenziert, die in den vorigen Abschnitten dargestellt wurden. Unter
jeder Perspektive (d.h. auf jeder Ebene) werden Produkt- und Rezeptionsseite getrennt
betrachtet und aufeinander bezogen. Mit der Betonung der Perspektive der RezipientInnen
verschiebt sich die zentrale Fragestellung der vorliegenden Arbeit: wurde im Rahmen der
Fiktionstheorien bisher vor allem gefragt, was Fiktion ausmacht, wird es nun darauf
aufbauend mehr und mehr um die Frage gehen, wie rezeptionsseitig mit diesem Phänomen
umgegangen werden kann.
Die Reihung der drei Perspektiven geschieht bei Schreier et al. (2001) bewusst von
einer vorgeordneten pragmatischen über eine semantisch-inhaltliche hin zu einer
darstellungsbezogen-formalen Ebene (Abbildung 1).
42
Produktseite Rezeptionsseite
Pragmatische Ebene
Werkkategorie Fiktion, Mischtypus, Non-Fiktion Werkkategorie
(keinen) Anspruch auf Wirklichkeits- entsprechung
(keine) Erwartung von Wirklichkeits-
entsprechung
Semantische Ebene
Produktinhalt Wirklichkeitsferne ------- Wirklichkeitsnähe Erfahrungsinhalt
möglich – unmöglich real – irreal
möglich - unmöglich wahrscheinlich - unwahrscheinlich
Darstellungsbezogene Ebene
Vermittlungsmodus Real-Life-Ferne ------- Real-Life-Nähe Erfahrungsmodus
Abbildung 1: Drei Ebenen Modell. Modifiziert nach Rothmund et al. (2001b).
2.4.1 Pragmatische Perspektive
Unter der ersten Perspektive werden die Medienprodukte Werkkategorien zugeordnet, die
sich in ihrem Realitätsbezug unterscheiden. Neben den klassischen, intuitiv angenommenen
Kategorien Fiction und Non-Fiction wird hier eine der heutigen Fernsehlandschaft
angemessene dritte Kategorie des Mischtypus aufgemacht. Produktseitig unterscheiden sich
die Kategorien in ihrem Anspruch, Realität zu vermitteln oder erfundene Geschichten zu
zeigen. Dem gegenüber stehen auf Seiten der RezipientInnen entsprechende Erwartungen an
die Wirklichkeitsentsprechung einer Sendung der jeweiligen Kategorie. Dies ist ganz im
Sinne von Schmidts (1980a) Unterscheidung zwischen Tatsachen- und Ästhetikkonvention
(vgl. Abschnitt 2.3.3). Bei der Kategorie Mischform bleibt der Anspruch unklar oder muss in
Frage gestellt werden. Rezipientenseitige Unklarheiten in der Erwartung müssen
43
hingenommen werden. Rothmund et al. (2001b) sprechen auch von einer „bedingten
Erwartung von Wirklichkeitsentsprechung“ (S. 38).
Die Zuordnung eines Werks (einer Sendung) zu einer Kategorie erfolgt nach
pragmatischen Merkmalen oder Indikatoren. Dies können zum Beispiel Sendungstitel sein,
die auf eine Dokumentation hindeuten, oder die Einblendung von Namen von Schauspielern
(„starring“), was auf eine fiktionale Sendung hindeutet. Der für das Fernsehen wichtigste
Realitäts- oder Fiktionsindikator ist aber sicherlich die „Gattungsbezeichnung“ als
Bestimmung des Formats. Solche Gattungsbezeichnungen sind eindeutig
„kommunikationssteuernde Merkmale“ nach Schmidt (1980a; vgl. auch Abschnitt 2.3.3). Die
Bezeichnungen Spielfilm oder Serie wecken die Erwartung auf eine erfundene Geschichte,
während die Bezeichnungen Nachrichten oder Magazin einen Bericht über die Wirklichkeit
erwarten lassen.
Dass die pragmatische Ebene im Modell eine „vorgeordnete“ ist, bedeutet, dass alle
Realitäts- und Fiktionssignale der nachfolgenden Ebenen mit einer bestimmten
Erwartungshaltung verarbeitet werden. „Die Zuordnung eines Medienprodukts unter
pragmatischer Perspektive zu einer bestimmten Werkkategorie beeinflusst demnach die
Rezeption und Verarbeitung des Medienprodukts unter semantisch inhaltlicher sowie unter
darstellungsbezogener Perspektive.“ (Schreier et al., 2001, S. 42)
2.4.2 Inhaltlich-semantische Perspektive
Als Fiktionssignale auf inhaltlicher Ebene gelten die Wirklichkeitsnähe bzw.
Wirklichkeitsferne der gezeigten Inhalte. Schreier et al. (2001) greifen hierfür auf ein Konzept
von Landwehr (1975) zurück. Danach bestehen Texte auf semantischer Ebene immer aus
verschiedenen Elementen, die unterschiedlichen „Seinsmodi“ zuzuordnen sind, nämlich des
Realen und Irrealen und des Möglichen und Unmöglichen (vgl. Abbildung 1). „Danach sind
Inhalte umso wirklichkeitsnäher, je mehr reale und mögliche Elemente sie aufweisen;
komplementär sind wirklichkeitsferne Inhalte durch Aspekte von Irrealität und Unmöglichkeit
gekennzeichnet.“ (Schreier et al., 2001, S. 42) Damit wird auch die zentrale Einsicht aus Isers
(1991) und Ecos (1996) Überlegungen übernommen, wonach auch fiktionale Texte immer
eine Menge realer Elemente enthalten (vgl. Abschnitt 2.3.2). Es gibt zwar z.B. im Fantasyfilm
eindeutig irreale und unmögliche Darstellungen und Figuren wie z.B. die Orks in Der Herr
der Ringe – dies muss jedoch nicht so sein. Wirklichkeitsferne Inhalte müssen in fiktionalen
Werken nicht überwiegen: „in der Mehrzahl ist für Fiktionen […] gerade die Kombination
44
des Irrealen (partiell auch des Realen) mit dem Möglichen (sowie dem Unmöglichen)
charakteristisch, wie dies etwa Iser in seiner Kategorie des Imaginären konzeptualisiert hat
(s.a. Eco 1994)“ (Schreier et al., 2001, S. 42). Das Mischungsverhältnis aus Realem und
Imaginärem bestimmt also die Wirklichkeitsnähe des Werks. Auch fiktionale Sendungen
können damit einen hohen Grad an Wirklichkeitsnähe aufweisen. Die Dichotomie zwischen
fiktiv und nicht-fiktiv wird überwunden.
Soviel zur Ebene des Produktinhalts. Ihr steht auf Seiten der RezipientInnen der
„Erfahrungsinhalt“ gegenüber (vgl. Abbildung 1). Dass dieser hier thematisiert werden kann,
ist begründet durch die Vorordnung der pragmatischen Perspektive. So kann hier eine Frage
in den Blick treten, die unter rein semantischen Ansätzen gar nicht zu stellen ist, nämlich, wie
denn RezipientInnen Urteile darüber fällen, was als „referenzialisierbar“ gesehen wird und
was nicht.
„Die Perspektive ‚Erfahrungsinhalt’ bezieht sich auf die Wirklichkeitsnähe des
rezipierten Produktinhalts (qua Übereinstimmung mit dem je subjektiven Weltwissen).“
(Rothmund et al., 2001b, S. 87)34 Aus der Verrechnung verschiedener Kriterien für
Wirklichkeitsnähe ergibt sich, wo RezipientInnen ein Produkt auf dem Kontinuum zwischen
Wirklichkeitsnähe und –ferne ansiedeln (vgl. Abbildung 1). Die einzelnen Kriterien ergeben
sich wiederum aus Kombinationen der Urteilskomponenten „un-/wahrscheinlich“ und „un-
/möglich“. Verschiedene inhaltliche Elemente eines medialen Produkts werden so basierend
auf dem individuellen Weltwissen nach der Möglichkeit und der Wahrscheinlichkeit ihres
Vorkommens eingeschätzt. Die Beurteilung ist also niemals absolut, sondern geschieht stets
vor dem Hintergrund einer je individuellen Wirklichkeitsauffassung.
Kriterium für die Wirklichkeitsnähe eines Produkts ist die eingeschätzte
Wahrscheinlichkeit eines gezeigten Inhalts, wobei Wahrscheinlichkeit hier freilich eine
bestehende Möglichkeit impliziert. So würde z.B. ein Streit zwischen einem Paar in einer
Seifenoper (Lübbecke, 1996) in dieser Perspektive als wirklichkeitsnah eingestuft, da der
Streit zwischen einem Paar auch in der Realität nicht nur möglich, sondern auch sehr
wahrscheinlich ist. Ein „schwaches Kriterium für Wirklichkeitsferne“ (Rothmund et al.,
2001b, S. 87) liegt vor, wenn ein Inhalt als prinzipiell möglich, aber unwahrscheinlich
eingeschätzt wird. Beispielsweise könnte ein Rezipient zu dem Schluss kommen, es sei
durchaus möglich, dass ein einzelner Mann eine ganze Horde von Terroristen alleine zur
Strecke bringt, wenngleich dies nicht sehr wahrscheinlich ist. Ein „starkes Kriterium für
Wirklichkeitsferne“ liegt vor, wenn ein Inhaltsaspekt als unwahrscheinlich und unmöglich
34 Hervorhebung von mir.
45
eingeschätzt wird, z.B. die magischen Kräfte von Harry Potter oder die Orks in Der Herr der
Ringe.
Mit dieser Perspektive des rezipientenseitigen Erfahrungsinhalts lehnt sich das Modell
in diesem Punkt auch an klassische medienpsychologische Konzepte der perceived reality an.
Dabei sind hier vor allem die Dimensionen „Social Expectations“ (Hawkins, 1977) bzw.
„Social Realism“ (Fitch, Huston & Wright, 1993) von Bedeutung. Sie beschreiben nicht, wie
die semantischen Theorien der Literaturwissenschaft eine „Referenz auf die Realität“, sondern
vielmehr eine Übereinstimmung des Gesehenen mit dem Wissen über die soziale Welt.
2.4.3 Darstellungsbezogen-formale Perspektive
Unter der darstellungsbezogenen Perspektive geht es Produktseitig um die Art und Weise der
medialen Vermittlung der Inhalte (vgl. Abbildung 1). Als Realitäts- bzw. Fiktionssignale im
Fernsehen können hier die von Keppler (1996) herausgearbeiteten Merkmale, wie
Kameraführung oder Schnittfolge, genannt werden (vgl. Abschnitt 2.3.1). Eine
differenziertere Ausarbeitung valider darstellungsbezogener Signale steht jedoch noch aus.
Nickel-Bacon et al. (2000) bemerken zur Problematik solcher Signale lediglich, dass „deren
Beschreibung im Einzelnen noch zu leisten ist“ (S. 292). Nach den in Abschnitt 2.3.1
gemachten Feststellungen scheint dies jedoch keine einfache Aufgabe zu sein. Grund hierfür
ist wohl auch, dass auf darstellungsbezogener Ebene, anders als auf den anderen Ebenen,
elaborierte Konzepte aus den Literaturwissenschaften nicht einfach übernommen werden
können, weil die Art und Weise der Darstellung in Literatur und AV-Medien
grundverschieden ist. Hier handelt es sich um reine Sprache und dort um bewegte Bilder und
Ton. Fest steht, dass die Signale auch hier auf einem Kontinuum angeordnet werden können.
Für Schreier et al. (2001) liegt dies zwischen den Polen „realistisch“ und „non-realistisch“
(vgl. Abbildung 1).
Dem medialen Vermittlungsmodus entspricht auf Seiten der RezipientInnen der
Erfahrungsmodus. Dieser ist eindeutiger bestimmt: „Die Perspektive ‚Erfahrungsmodus’
bezieht sich auf die Real-Life-Nähe der Rezeptionserfahrung (qua Übereinstimmung mit
unmittelbaren, authentischen Erfahrungen).“ (Rothmund et al., 2001b, S.88) Sie ist also im
Modell relativ basal konzipiert als Unterschied zwischen medialer und non-medialer
Erfahrung. Dieser wird zum Beispiel an fehlenden Sinnesmodalitäten festgemacht. In Bezug
auf das Fernsehen fehlen zum Beispiel olfaktorische und taktile Erfahrungen. Zuschauende
können die Titanic zwar sehen und hören, riechen jedoch nicht das Meer und spüren nicht den
46
Wind auf ihrer Haut. Es lassen sich so jedoch auch gestalterische Merkmale von Sendungen
im Allgemeinen unterscheiden. Das in Abschnitt 2.3.1 besprochene Beispiel einer
unkommentierten und ungeschnittenen Amateuraufnahme vom 11.9.2001 zeigt, dass diese
Art der Vermittlung für einen Zuschauenden tatsächlich eine größere Real-Life-Nähe bedeutet
als herkömmliche Nachrichtenbeiträge, die zum Beispiel aus einer Vogelperspektive gefilmt
sind, die man im „real-life“ normalerweise nicht einnimmt.
2.4.4 Fazit
Der große Vorteil des drei Ebenen Modells von Rothmund et al. (2001b) liegt in seiner hohen
Integrationsfähigkeit für verschiedene Sichtweisen auf den Problembereich Fiktion und in
seiner expliziten Thematisierung der Rezeptionsseite. Dabei ist entscheidend, dass auf Seiten
der RezipientInnen auf jeder der drei Ebenen ein eigenes Urteil gefällt wird. Diese drei Urteile
sind dabei niemals dichotom, sondern werden auf einem Kontinuum verortet (bzw. können
auf der Ebene Werkkategorie der „Mischform“ zugerechnet werden). Dabei sind die Urteile
auf den drei Ebenen unabhängig von einander, müssen also nicht übereinstimmen, und
müssen nicht zu einem Gesamturteil verrechnet werden. Diese theoretische Wendung ist der
entscheidende Vorteil des Modells gegenüber allen früheren Konzepten.
2.5 Medienkompetenz
Die konsequente Hinwendung zur Perspektive der RezipientInnen macht es möglich,
Kompetenzen zu beschreiben, die nötig sind, um Realitäts-Fiktions-Urteile auf den
verschiedenen Ebenen des Modells zu fällen. Damit erweisen sich die ausführlichen
Vorarbeiten zur Klärung des Phänomens Fiktion an dieser Stelle als fruchtbar. Nach der
differenzierten Aufschlüsselung des Verhältnisses von Realität und Fiktion im Fernsehen und
den dazugehörigen Prozessen der Rezeption, kann die Fähigkeit zu Unterscheidungen
zwischen Realität und Fiktion nun eingebettet werden in ein allgemeines Modell von
Medienkompetenz. Medienkompetenz stellt mit seiner dimensionalen Struktur ein
Rahmenkonzept dar, innerhalb dessen deutlich gemacht werden kann, welche Kompetenzen
es im Einzelnen sind, die die Grundlage zu Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen bilden und
wie sie theoretisch zu fassen sind.
47
Dass die Fähigkeit zu Differenzierungen zwischen Realität und Fiktion im Rahmen
von Medienkompetenz nicht irrelevant ist, zeigen Beispiele, die auch in der tagesaktuellen
Presse immer wieder ein großes Echo hervorrufen. So erschien in der Süddeutschen Zeitung
vom 4.2.2008 die folgende Meldung der Nachrichtenagentur AFP:
„Viele Briten halten Sherlock Holmes für wirklich
Zahlreiche Briten können Fakt und Fiktion offenbar nicht mehr auseinanderhalten: Sie sind
überzeugt, der literarische Meisterdetektiv Sherlock Holmes habe wirklich gelebt. Einen ihrer
bedeutendsten Staatsmänner verweisen sie hingegen ins Reich der Sage.
Die Briten verlieren offenbar den Sinn für die Realität: Eine Umfrage ergab, dass 60
Prozent der Inselbewohner davon überzeugt sind, der literarische Meisterdetektiv Sherlock
Holmes habe wirklich gelebt. Zugleich meinte fast die Hälfte der vom Fernsehsender UKTV
Gold Befragten, der englische König Richard Löwenherz, der im zwölften Jahrhundert
regierte, sei nur eine Erfindung. Doch nicht nur die weit zurückliegende Historie schien den
3000 Teilnehmern zu entgleiten: Fast ein Viertel glaubte auch, dass der ehemalige
Premierminister Winston Churchill nicht wirklich existiert habe. Churchill war zweimal
Premierminister von Großbritannien und regierte das Land während des Zweiten Weltkriegs.
Er gilt weltweit als einer der größten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts, bei etlichen Briten
allerdings offenbar nicht. (APF/dpa/gal/mmk)“
Bei aller methodischer Skepsis, die bei der Berichterstattung über Ergebnisse von
Umfragen angebracht ist, gibt die Meldung doch einen Hinweise darauf, dass souveräne
Differenzierungen zwischen Realität und Fiktion auch in der „Normalbevölkerung“ nicht als
selbstverständlich vorausgesetzt werden können. Nimmt man die oben gemachte Feststellung
hinzu, dass schon die Fiktion an sich immer eine Mischung aus Realem und Imaginärem ist,
und dass auch „die Realität“ im Fernsehen zunehmend dramatisiert und ästhetisiert wird, mag
dieser Befund kaum noch verwundern. Es wird damit auch das von Winterhoff-Spurk (1989,
S. 104ff.) beschriebene Modell unplausibel, das in Bezug auf die Medienrezeption zwei
unterschiedliche Gedächtnisspeicher annimmt: einen medial-realen und einen medial-
fiktionalen. Mediale Inhalte würden demnach in komplett getrennten Speichern verarbeitet.
Davon wiederum trennt Winterhoff-Spurk (ebd.) noch einen „personal-realen“ Speicher, der
für außermediale Erfahrungen verantwortlich sei. Dabei ist es, wie auch Mikos (1996)
anmerkt, „fraglich, ob die mentalen Modelle und kognitiven Schemata, die bei der Rezeption
eine Rolle spielen, wirklich so strikt zwischen diesen drei Speichern trennen; schließlich liegt
die besondere Erlebnisqualität fiktionaler Erzählungen darin, daß sie für real genommen
werden können.“ (S. 76) Gleichzeitig, so könnte man hinzufügen, sind auch historische
48
Figuren medial soweit fiktionalisiert (Pietraß, 2002), dass ihre Zuordnung offenbar vielen
Menschen schwer fällt.
In die gleiche Richtung weisen die Ergebnisse einer Untersuchung der Rezeption des
Pseudo-Dokumentarfilms The Blair Witch Projekt von Groeben und Schreier (2000a). Der
Horrorfilm bedient sich auf Darstellungsebene ähnlicher Mittel zur Authentifizierung, wie sie
oben für die Fernsehserie Lenßen und Partner beschrieben wurden. Dabei spielt der Film in
Ankündigungen und Werbung auch auf pragmatischer Ebene mit Realitätssignalen (vgl. ebd.,
S. 8; auch dies eine Parallele zu Lenßen und Partner). Groeben und Schreier werteten
Diskussionsbeiträge in einem Internetforum zum Film inhaltsanalytisch aus. Dabei war die
leitende Frage, welcher Werkkategorie die RezipientInnen den Film zuordnen. Es zeigte sich,
dass von 40 ForumsteilnehmerInnen, die diese Zuordnung vornahmen, 29 den Film sicher der
Kategorie Fiction zuordneten. Das heißt aber, dass 27% der untersuchten Stichprobe den Film
nicht mit Sicherheit zuordnen konnten oder ihn falsch zuordneten (ebd., S. 12).
Problematisch für die RezipientInnen in Bezug auf solche Pseudo-Dokumentationen
ist offenbar eine fehlende oder zumindest eingeschränkte „Selbstentblößung des Textes als
Fiktion“, die Iser (1991) als dritten Akt des Fingierens beschrieben hat (vgl. Abschnitt 2.3.3).
Hier sind die oben herausgearbeiteten verschiedenen Perspektiven von Bedeutung, die es
erlauben, nach fehlender Selbstanzeige auf pragmatischer Ebene die Einschätzung auf
semantischer Ebene zu korrigieren. Um einem Film wie The Blair Witch Projekt zu begegnen,
scheint ein einfaches 3-Speicher-Modell wie das von Winterhoff-Spurk (1989) jedenfalls
nicht ausreichend zu sein. Dagegen sollte es durch die Einbettung von Realitäts-Fiktions-
Unterscheidungen in ein allgemeines Konzept von Medienkompetenz möglich sein, die den
einzelnen Differenzierungen zugrunde liegenden kognitiven Mechanismen greifbar zu
machen.
2.5.1 Einbettung in ein allgemeines Konzept von Medienkompetenz
„Der Begriff ‚Medienkompetenz’ ist en vogue“ bemerkt Dieter Baacke (1999, S.7) in einem
programmatischen Artikel. Als Konzept taucht Medienkompetenz 1973 mit Baackes
Habilitationsschrift „Kommunikation und Kompetenz – Grundlegung einer Didaktik und
Kommunikation ihrer Medien“ zum ersten Mal auf. Laut Vollbrecht (1999) „nimmt die
Rezeptionsgeschichte des Kompetenzbegriffs in der Medienpädagogik hier ihren Anfang.“
(S.13) Nach Baacke (2007) „soll Medienkompetenz den Nutzer befähigen, die neuen
Möglichkeiten der Informationsverarbeitung auch souverän handhaben zu können.“ (S.98)
49
Dabei ist bis hier hin deutlich geworden, dass auch das Fernsehen mit seinen neuen und alten
Inhalten spezifische Kompetenzen beim Rezipienten voraussetzt und gleichsam einfordert
(vgl. auch Göpfert, 2008).
Baacke (1999) gliedert das Konzept in die Teilbereiche Medienkritik, Medienkunde,
Mediennutzung und Mediengestaltung. Der Bereich Medienkritik bleibt bei Baacke relativ
unklar und scheint eher auf die Aufdeckung politischer und wirtschaftlicher Verwicklungen in
der Medienlandschaft zu zielen (vgl. die Sicht der Kritischen Theorie, Abschnitt 2.1.1). Der
Bereich Medienkunde umfasst zum einen medienbezogene Wissensbestände und zum anderen
bedienerische Fähigkeiten („Handfertigkeiten“). Vor allem die Wissensbestände sind für
RFU-Urteile relevant. Hierein fallen auch Kenntnisse über unterschiedliche Formate und
deren Entstehungsbedingungen („Genrewissen“), mithin Informationen darüber, ob ein
Format als fiktional zu sehen ist oder den Anspruch erhebt, Realität wiederzugeben. Die
Anwendung dieses Wissens ist bei Baacke (1999) in dem Bereich Mediennutzung verortet
und als „Programm-Nutzungskompetenz“ begrifflich gefasst. Innerhalb von Baackes
Konzeption ist es vor allem das in der Rezeption angewandte Medienwissen, das hier von
Bedeutung ist (vgl. die Hervorhebungen in Tabelle 3).35
Tabelle 3: Dimensionen der Medienkompetenz
Baacke (1999)
Groeben (2002)
Medienkritik - analytisch - reflexiv - ethisch
Medienbezogene Kritikfähigkeit (4)
Medienkunde
- informativ (Wissensbestände) - instrumentell-qualifikatorisch
Medienwissen/Medialitätsbewusstsein (1) Selektion/Kombination von Mediennutzung (5)
Mediennutzung - rezeptiv anwendend - interaktiv anbietend
Medienspezifische Rezeptionsmuster (2)
Mediengestaltung - innovativ - kreativ
Produktive Partizipationsmuster (6)
Medienbezogene Genussfähigkeit (3)
Anschlusskommunikation (7)
Hervorgehoben sind für die vorliegende Arbeit besonders relevante Konzepte, Besprechung im Text. Zahlen in Klammern: Logische Reihenfolge in der „Prozessperspektive“ von Groeben (2002).
35 Der Bereich „Mediengestaltung“ ist hier weniger von Belang.
50
Im Rückgriff auf Baacke (1999) und eine ähnliche Differenzierung von Tulodziecki (1997)
legt Groeben (2002) die aktuell wohl umfassendste und elaborierteste „Dimensionale
Binnenstrukturierung des Konzepts Medienkompetenz“ (S.165) vor. Der Bereich
Medienwissen (vgl. Tabelle 3) in der ersten Dimension bei Groeben deckt sich weitestgehend
mit Baackes informativer Medienkunde. Hinzu tritt bei Groeben (2002) innerhalb dieser
Dimension das Medialitätsbewusstsein. Dieses ist wiederum aufgefächert in drei
Dimensionen: (a) die Realitäts-Medialitäts-Unterscheidung, (b) die Realitäts-Fiktions-
Unterscheidungen und (c) die parasozialen Beziehungen. Punkt (a) bezeichnet zunächst die
Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen medialer und unmittelbar gemachter Erfahrung. Dies
entspricht der dritten Ebene (Erfahrungsmodus) im oben vorgestellten drei Ebenen Modell
(Abschnitt 2.4). Dass die Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen (Punkt b) bereits hier als
Wissens- und Bewusstseinskomponente thematisch wird, zeigt die Relevanz verschiedener
Dimensionen von Medienkompetenz für das Konzept der Realitäts-Fiktions-Unterscheidung.
Als nächste Dimension sind hier die „Medienspezifischen Rezeptionsmuster“ zu
nennen. Diese sind vor allem unterschiedliche Verarbeitungsschemata für unterschiedliche
Programminhalte. „Dazu gehören also Verarbeitungsstrategien in einer sinnvollen Passung zu
den unterschiedlichen TV-‚Formaten’ genauso wie […] das Genrewissen bei der Rezeption
von Belletristik, wie die adäquate emotionale Reaktion auf Horrorfilme.“ (Groeben, 2002,
S.169) Zu unterschiedlichen Formaten und Genres gehören wie oben beschrieben
unterschiedliche Erwartungen auf Seiten der RezipientInnen, die auf den formatspezifischen
Wissens- und Erfahrungsbeständen aufbauen.
Gänzlich neu im Vergleich zu Baackes Konzeption ist die Dimension
„Medienbezogene Genussfähigkeit“. Sie baut wiederum auf den vorangegangenen
Dimensionen auf. Für die Konzeption von RFU ist in Bezug auf das „Genusspotential“ einer
Sendung vor allem die Fähigkeit zur ko-intentionalen Rezeption (Landwehr, 1975) von
Bedeutung. Diese bezeichnet das spielerische Sich-Einlassen auf eine fiktionale Welt und ihre
Realitätssetzungen, wie sie vom Autor intendiert sind.
Ist die Genussfähigkeit vor allem für fiktionale Inhalte wichtig, so ist Groebens
Dimension der „Medienbezogenen Kritikfähigkeit“ vor allem in Bezug auf non-fiktionale
Formate von Bedeutung. Dabei geht es um die kritische Bewertung anhand von
Qualitätskriterien wie z.B. sachliche vs. sensationsbetonte Darstellung oder ausgewogene vs.
tendenziöse Berichterstattung.36
36 Die übrigen Dimensionen der Medienkompetenz nach Groeben müssen hier nicht weiter vertieft werden.
51
2.5.2 Spezifische Kompetenzen
Setzt man die Dimensionen von Medienkompetenz nach Baacke (1999) und Groeben (2002)
in Verbindung mit dem drei Ebenen Modell von Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen
(Abschnitt 2.4), so sind es zwei Bereiche, die es näher zu fokussieren gilt. Erstens die
informative Medienkunde nach Baacke bzw. das Medienwissen nach Groeben. Das hier
verortete Formatwissen ist die Grundlage für die Zuordnung einer Sendung zu einer
Werkkategorie, was der ersten Ebene des RFU-Modells entspricht. Zweitens die
Verarbeitungsstrategien der rezeptiv anwendenden Mediennutzung nach Baacke bzw. der
medienspezifischen Rezeptionsmuster nach Groeben. Die hier thematisierten Strategien
werden gebraucht, um auf der inhaltlich-semantischen und auf der darstellungsbezogenen
Ebene des Modells Urteile fällen zu können. Die beiden Bereiche Formatwissen und
Verarbeitungsstrategien sollen in Bezug auf die zugrunde liegenden kognitiven Mechanismen
kurz näher betrachtet werden.
2.5.2.1 Formatwissen
Das Formatwissen (bzw. „Gattungswissen“) wird von Schreier und Appel (2002, S. 237) im
Rahmen der Fähigkeit zur ko-intentionalen Rezeption als „Voraussetzungsaspekt“ für
Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen gesehen, auf dem alle weiteren Prozesse aufbauen. Es
lässt sich theoretisch am besten im Rahmen eines Konzepts kognitiver Schemata beschreiben.
„We propose that certain formal features have come to be associated with certain types of
content in ways that activate schemata for specific program genres. These genre schemata are
how children organize the world of TV; they establish expectations concerning the processing
demands required, the informative or entertainment value, and the reality status of programs.”
(Fitch, Huston & Wright, 1993, S. 39) Der Realitätsstatus eines Formats wird bei Fitch,
Huston und Wright als „fundamental attribute“ des dazugehörigen Schemas gesehen. Folglich
konzipieren sie den Aufbau kognitiver Schemata hierarchisch und nehmen an, dass einzelne
Schemata eingebettet sind in so genannte „superodinate schemata“ (ebd., S. 41), die fiktionale
von non-fiktionalen Werken trennen.
In der Film- und Medienwissenschaft sind Schematheorien sehr gut etabliert. So führt
beispielsweise Bordwell (1989) das Filmverstehen auf das Wirken von vier zentralen
Schemata zurück (Personen-, Szenen-, Narrations- und Formatschema). Dabei dient das
Formatschema nach Göpfert (2008) dazu, „einen Text als Ganzes einzugruppieren und ihn im
Kontext anderer Texte zu verorten. Es bestimmt aufgrund von Vergleichsprozessen die
Übereinstimmung von Merkmalen einer Sendung mit dem fernsehspezifischen Wissen über
52
Formate und ermöglicht so eine Zuordnung zu einem bestimmten Genre und den damit
verbundenen Konventionen.“ (S. 20)
Göpfert und Castello (2006) sowie Göpfert (2008) bringen das Formatschema in
Verbindung mit einer dazugehörigen Kategorisierungskompetenz. Die diesbezüglich
relevanten basalen kognitiven Fähigkeiten sind die des induktiven Denkens nach Klauer
(1993) und des selektiven Kombinierens nach Sternberg (1985). Es geht also darum, einzelne
Teile aufgrund gleicher oder ähnlicher Merkmale zu einer Gruppe zusammenzufassen. In
Bezug auf das Fernsehen geht es darum, einzelne Sendungen auf bestimmte Merkmale hin zu
untersuchen und sie aufgrund von Gleichheit oder Ähnlichkeit dieser Merkmale einer
Sendungsart zuzuordnen, die einem Format entspricht. Diese Formate können dann im Sinne
eines „superordinate schema“ bezüglich ihres Realitätsstatus’ eingeschätzt werden. Dies
entspricht dann der rezipientenseitigen Werkkategorie im drei Ebenen Modell von Rothmund
et al. (2001b).
2.5.2.2 Verarbeitungsstrategien
Zentrales Ergebnis der Darstellung in Abschnitt 2.2 war es jedoch, dass eine Kategorisierung
auf dieser Ebene häufig nicht ausreicht bzw. gar nicht möglich ist. Das kann der Fall sein bei
unklarer Zuordnung durch fehlende oder uneindeutige „Selbstentblößung“ (Iser, 1991), bei
der Realitätssignale als Stilmittel eingesetzt werden oder mit unterschiedlichen
Realitätsbezügen gespielt wird. Die fehlende werkseitige Anzeige als Fiktion kann dabei bis
zum „Täuschungsversuch“ gehen. Gerade dafür hält das drei Ebenen Modell die inhaltlich-
semantische und die darstellungsbezogene Perspektive bereit, wobei hier vor allem die
inhaltliche thematisiert werden soll.37
Die semantische Ebene trägt der zunehmenden Vermischung der Genres Rechnung,
die in Abschnitt 2.2 unter den Stichworten Fiktionalisierung und Authentifizierung (Pietraß,
2002) diskutiert wurden. Dabei geht es um das Hinterfragen einzelner Elemente medialer
Darstellungen bezüglich ihrer Wirklichkeitsnähe bzw. -ferne. Dies kann konkret
operationalisiert werden über Strategien zur Einschätzung von Möglichkeit und
Wahrscheinlichkeit des Gesehenen. Auf dieser Ebene muss kein Pauschalurteil über die
gesamte Sendung gefällt werden, sondern es werden einzelne Elemente bewertet. Diese
können dann verrechnet werden. Wichtig ist, dass die Einschätzungen immer nur vor dem
Hintergrund des je individuellen Weltwissens vorgenommen werden können. Die zugrunde
37 Neben der Perspektive Werkkategorie soll im Training vor allem die inhaltliche Perspektive vermittelt werden. Zur Begründung: siehe unten.
53
liegenden kognitiven Prozesse sind also die Identifizierung und Isolierung einzelner
Informationen im Sendungstext und ihr Abgleich mit dazu relevanten Gedächtnisinhalten
(vgl. Baumert, 2002).
2.5.2.3 Hinterfragende Grundhaltung
Zu den basalen kognitiven Fähigkeiten treten in Bezug auf Realitäts-Fiktions-
Unterscheidungen Aspekte von Medienkompetenz hinzu, die eher auf motivationaler oder
Einstellungsebene liegen. Insofern wird hier unter kompetenter Fernsehnutzung auch eine
bestimmte Herangehensweise an das Medium verstanden. Sie kann im Vergleich zu den eher
kognitiven Fähigkeiten als eine Art Metakompetenz gesehen werden. Dazu gehört als
zentraler Bestandteil eine Sichtweise, die die im Fernsehen präsentierte Realität grundsätzlich
und unabhängig von der jeweiligen Werkkategorie als eine mögliche Perspektive auf die
Wirklichkeit auffasst. Dem zugrunde liegt eine kritische Grundhaltung gegenüber medial
präsentierten Wirklichkeitsmodellen.
Mit der Betonung dieser Metakompetenz wird die Position der RezipientInnen dem
Medium gegenüber gestärkt: Sie sind ihm nicht hilflos ausgeliefert, wie dies zum Beispiel in
der Sicht von Pietraß (2002) der Fall zu sein scheint. In der Diskussion um Realitätssignale in
fiktionalen Sendungen bemerkt sie: „Wenn sich der Zuschauer anhand gegebener Hinweise
für einen bestimmten Wirklichkeitsbezug und die entsprechende Art der Teilhabe am
Geschehen entscheidet, so tut er dies, gleich ob die Hinweise, die der Produzent gibt, falsch
oder richtig sind. Durchschaut er die Richtigkeit [sic] von Interpretationshinweisen nicht,
wird, ja muss er ihnen folgen […]. Medienkompetenz erfährt hier ihre Grenzen und [wird] zu
einer Frage der Medienethik, in diesem Fall der Verantwortung des Bildproduzenten.“ (Ebd.,
S. 376)38 Obwohl freilich Fragen der Medienethik nicht ausgeklammert werden können, ist
doch der bloße Appell an das Gewissen der ProduzentInnen eindeutig zu wenig.
An Pietraß’ Position ist vor allem der dieser Sicht zugrunde liegende Reiz-Reaktions-
Determinismus zu kritisieren (womit die Argumentation wieder bei der aller Theorie
mitschwingenden Subjektkonstruktion als Bild vom Rezipienten angelangt wäre, vgl.
Abschnitt 2.1.3.1). Dabei scheint ein Reiz-Reaktionsmodell als Zustandsbeschreibung der
Fernsehnutzung vieler Jugendlicher gar nicht so unangebracht, wie Doelker (2002) deutlich
macht. „Vor diesem Hintergrund wäre ein wesentlicher Aspekt von Medienkompetenz die
Dekonditionierung der Heranwachsenden von vordergründigem Reiz-Reaktionsverhalten“
(Spanhel, 2005, S. 103). In Bezug auf Medienkompetenz scheint eine Stärkung der
38 Hervorhebung von mir.
54
Subjektposition im Sinne einer ansatzweisen Unterbrechung solcher Muster ein viel
versprechender Weg zu sein.
Dass bei der im Projekt hsTV39 untersuchten Zielgruppe – HauptschülerInnen im Alter
von 12-15 Jahren – ein „Bedarf“ an gerade an den hier explizierten Kompetenzen besteht, soll
im Folgen deutlich gemacht werden.
2.6 Die Zielgruppe: HauptschülerInnen zwischen 12 und 15 Jahren
Nachdem nun die theoretischen Grundlagen für ein Medienkompetenztraining für Realitäts-
Fiktions-Unterscheidungen gelegt sind, steht es noch aus, die Notwendigkeit einer solchen
Förderung für die anvisierte Zielgruppe deutlich zu machen. Dabei soll es zunächst kurz um
die Institution Hauptschule gehen. Sodann geht es darum, Nutzungsdaten speziell für die
Zielgruppe zu sichten. Diese können in Zusammenhang gebracht werden mit verschiedenen
Bedingungs- und Prädiktorvariablen, die im Rahmen der medienpsychologischen Perceived-
Reality-Forschung intensiv untersucht worden sind. „Perceived-Reality“ bezeichnet ein
globales Ausmaß an rezipientenseitig wahrgenommener Wirklichkeitsnähe von
Fernsehinhalten, unabhängig von der Art dieser Inhalte (für einen Überblick vgl. Rothmund et
al. 2001a). Darauf aufbauend werden noch Daten vorgestellt, die die oben als grundlegend
herausgearbeiteten Variablen Formatwissen und Verarbeitungsstrategien fokussieren. Es geht
also in diesem Kapital nicht darum, ein umfassendes Bild der Lebenswelt von Jugendlichen
zu liefern. Vielmehr werden die Jugendlichen hier unter dem recht engen Fokus auf die oben
explizierten Kompetenzen betrachtet. Überspitzt könnte man sagen, die Jugendlichen
interessieren hier nicht als Jugendliche, sondern als Zielgruppe des Trainings.
Unstrittig in der schon seit längerer Zeit hitzig geführten Diskussion um das deutsche
Schulsystem ist, dass sich Bedeutung und Zusammensetzung der Hauptschule seit ihrer
Einführung als „Volksschule“ im 19. Jh. stark gewandelt haben (Rekus, Hintz und Ladenthin
1998, S. 209ff.). Ausdruck dieses Wandels sind die seit Jahren stetig sinkenden
SchülerInnenzahlen. Im Schuljahr 2006/07 besuchten 10% aller Schüler in
allgemeinbildenden Schulen die Hauptschule. In Baden-Württemberg liegt der Anteil mit
14% noch etwas darüber. Seit dem Schuljahr 2001/02 ist die Zahl der HauptschülerInnen in
Deutschland damit um 14,4% gesunken (Statistisches Bundesamt, 2007). Den
vergleichsweise schlechten Ruf der Hauptschule bringen Rekus et al. (1998) auf den Punkt:
39 Vgl. zum Projekt: Abschnitt 2.7 und Kapitel 3 (Empirie). Zusammenfassend zum Gesamtprojekt hsTV vgl. auch: www.ag-sum.de.
55
„Der Besuch einer Hauptschule, der in der Regel nicht auf einer freien Entscheidung,
sondern auf dem Zwang zur Erfüllung der Schulpflicht auf dem untersten Niveau beruht, wird
auch subjektiv oft als Beginn einer Negativkarriere wahrgenommen. Dabei trifft die soziale
Abwertung den einzelnen wie die gesamte Institution, was wiederum deren Anziehungskraft
weiter mindert sowie den Prozeß noch verstärkt.“ (S. 227)
Bedeutsame Unterschiede zwischen den SchülerInnen der verschiedenen deutschen
Schulformen finden sich in nahezu allen Bereichen – so auch in Bezug auf das Fernsehen. Die
jährlich durchgeführten JIM-Studien („Jugend, Information, (Multi-) Media“) des
Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (mpfs) ergeben ein aussagekräftiges
Bild der Mediennutzung Jungendlicher zwischen 12 und 19 Jahren. Danach sehen 92% aller
Befragten regelmäßig fern, 63% tun dies täglich. Die durchschnittliche Sehdauer beträgt dann
etwa zwei Stunden. Dabei sehen HauptschülerInnen durchschnittlich eine halbe Stunde länger
fern als GymnasiastInnen (Kutteroff & Behrens, 2007, S.23). In Bezug auf eine mögliche
Korrelation der Sehdauer zu Realitätseinschätzungen kommen Rothmund et al. (2001a) zu
dem Schluss: „Hier konnte wie erwartet ein positiver Zusammenhang zwischen
Nutzungshäufigkeit und Perceived Reality von Kindern gesichert werden: VielseherInnen
schreiben TV-Sendungen mehr Realismus und Realitätsgehalt zu als WenigseherInnen.“ (S.
38)
Der Anteil derer, die einen eigenen Fernseher in ihrem Zimmer haben, ist nach
Kutteroff und Behrens (2007, S.11) bei den HauptschülerInnen mit 74% deutlich höher als bei
den GymnasiastInnen mit 60%. Ein eigener Fernseher bedeutet zumeist auch mehr Zeit
alleine vor dem Fernseher. Für Realitäts-Fiktions-Urteile bedeutet dies weniger
Möglichkeiten, die eigenen Einschätzungen in der Anschlusskommunikation mit
‚signifikanten Anderen’ abzugleichen. Messaris und Kerr (1984) fanden einen solchen
negativen Zusammenhang zwischen Eltern-Kind-Interaktionen und Perceived Reality.
Man könnte mit Greenfield (1987) davon ausgehen, dass sich mit einer intensiveren
Nutzung des Fernsehens im Sinne eines „learning by doing“ auch entsprechende
Wissensbestände etablieren würden. Biermann und Schulte (1996) berichten jedoch über
deutlich reduziertes fernsehbezogenes Wissen bei HauptschülerInnen im Vergleich zu
SchülerInnen an Gymnasien. Danach können 57% der HauptschülerInnen keine korrekten
Angaben zur Finanzierungsform der Sender machen (Gymnasiasten 21%). HauptschülerInnen
schätzen das Fernsehen als komplizierter und weniger verständlich ein. Interessant ist auch
das Ergebnis, dass sich HauptschülerInnen nach eigenen Angaben vom Fernsehen eher
„überzeugen“ lassen als SchülerInnnen an Gymnasien (ebd., S. 117f.).
56
Von großer Relevanz für die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis, dass die
Differenzierung verschiedener „Programmarten“ (Formate) 47% der HauptschülerInnen nicht
gelingt (SchülerInnen an Gymnasien 20%). Das bedeutet, dass beinahe die Hälfte der
SchülerInnen Schwierigkeiten hat, die nach dem drei Ebenen Modell grundlegende
Zuordnung einer Sendung zu einer Werkkategorie vorzunehmen.
Zu ähnlich deutlichen Ergebnissen kommt die PISA-Studie von 2000 (Artelt et al.,
2001).40 Anders als bei Biermann und Schulte (1996) ging es dort im Bereich Lesen jedoch
nicht um Wissensbestände, sondern um Kompetenzen, also handlungsbezogene Fähigkeiten.
Im Bericht des deutschen PISA-Konsortiums heißt es hierzu: „Lesen ist mehr denn je
erforderlich, um die notwendigen Grundlagenkompetenzen für eine selbstbestimmte,
bedürfnisgerechte und bedächtige Nutzung des gesamten Medienensembels zu schaffen.“ (S.
133) In diesem Sinne läuft auch die Argumentation von Wagner (2004) „im Endergebnis
darauf hinaus, dass Lese- und Medienkompetenz in einem engen Zusammenhang gesehen
werden müssen.“ (S. 181) Die Feststellung, dass Lese- und Medienkompetenz verwandte
Konzepte darstellen, mithin die Rezeption ähnliche Fähigkeiten erfordert, ist ebenso wenig
neu wie ein erweiterter Textbegriff, der auch z.B. Fernsehsendungen als Texte theoretisch
fassen kann (vgl. Jurga, 1997; 1999). Das ist auch der „erweiterte Textbegriff, mit dem in
[der] PISA-Studie gearbeitet wird. Geht man von diesem Textbegriff aus, wird
Lesekompetenz zu Lese- und Medienkompetenz.“ (Wagner 2004, S. 180)
Die Lesekompetenz nach PISA ist ein theoretisch und empirisch gut elaboriertes
Konstrukt. Die entsprechenden Skalen messen:
− die Fähigkeit zur Identifikation von Informationen in Texten („Informationen
ermitteln“),
− die Fähigkeit, die Intention eines Textes richtig zu erkennen („textbezogenes
Interpretieren“) und
− die Fähigkeit, „Verbindungen zwischen Informationen aus dem Text und allgemeinem
Alltagswissen herzustellen“ („Reflektieren und Bewerten“) (Artelt et al., 2001, S. 12).
Gerade mit dem ersten und dem dritten Punkt sind jene Fähigkeiten benannt, die oben
(Abschnitt 2.5.2.2) als zentrale kognitive Mechanismen für die inhaltlich-semantische
Perspektive des drei Ebenen Modells beschrieben wurden. Die Fähigkeit zur Einschätzung der
Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit von gesehenen Fernsehinhalten im Abgleich mit dem
40 Die hier referierten Ergebnisse beziehen sich auf die Ergebnisse der PISA-Studie von 2000, da hier die Lesekompetenz den Schwerpunkt der Untersuchung bildete, während in den Jahren 2003 und 2006 Mathematik bzw. Naturwissenschaften besonders fokussiert wurden. Die Ergebnisse der deutschen SchülerInnen im Bereich Lesekompetenz unterscheiden sich in den Jahren 2003 (Prenzel et al., 2005) und 2006 (Prenzel et al., 2007) nicht signifikant von den Werten aus dem Jahr 2000.
57
persönlichen Weltwissen (oder dem Wissen über die Alltagswirklichkeit – Alltagswissen,
siehe Abschnitt 2.1.4) kann damit als maßgeblich beeinflusst von der Lesekompetenz nach
PISA gelten.
Der OECD-Durchschnitt auf der „Gesamtskala Lesen“ liegt bei 500 Punkten (SD =
100). Der durchschnittliche Gesamtwert deutscher SchülerInnen liegt bei 484 Punkten, wobei
die Streuung mit 111 Punkten in der deutschen Stichprobe mit Abstand am größten ist (Artelt
et al., 2001, S.14).41
SchülerInnen an Hauptschulen erreichen einen Durchschnittswert von 394 Punkten,
was deutlich unter den Werten anderer Schulformen liegt (Realschulen 494, Gymnasien 582
Punkte). Alle Mittelwerte unterscheiden sich signifikant (Deutsches PISA-Konsortium, 2001,
S. 121). Die Schulzugehörigkeit erklärt 48% der Varianz der Gesamtskala Lesen (ebd.). Mit
394 Punkten liegt der Mittelwert deutscher HauptschülerInnen innerhalb der Kompetenzstufe
I (335-407 Punkte), welche die niedrigste von insgesamt 5 Stufen ist (Baumert et al., 2002,
S.17).
Abbildung 2 zeigt Mittelwerte von Schulen nach Schulformen geordnet. Auch hier ist
die Verteilung der durchschnittlichen Lesekompetenz-Werte auf die verschiedenen
Schulformen eindeutig.
41 Die große Leistungsdifferenz in Deutschland zeigt sich auch am Abstand zwischen den 5% Leistungsschwächsten und den 5% Leistungsstärksten SchülerInnen, der mit 366 Punkten ebenfalls mit Abstand der größte aller OECD Staaten ist.
58
Abbildung 2: Schulen nach Schulform und mittlerer Lesekompetenz der 15-Jährigen (in %). Aus: Artelt et al. (2001, S.45).
Während die Mehrheit der deutschen Hauptschulen einen Wert von 1-1,5
Standardabweichungen unter dem deutschen Mittelwert (484 Punkte) erreichen, liegt eine
große Mehrheit der Gymnasien bei einem Wert von 0,5-1 Standartabweichung über dem
Durchschnitt. Dabei gibt es weder Hauptschulen über dem Durchschnitt noch Gymnasien
darunter.
Setzt man also die in Abschnitt 2.5.2 als zentral für Realitäts-Fiktions-
Unterscheidungen herausgearbeiteten Variablen Formatwissen und Verarbeitungsstrategien in
Beziehung zu vorliegenden Daten über die Zielgruppe, so wird ein deutlicher Förderbedarf
erkennbar.
2.7 Das Training
Aus dieser Situation heraus wurde von der Arbeitsgruppe Schule und Medien („AG sum“) an
der Universität Freiburg mit dem Manual „hsTV“ ein praxisbezogenes Trainingsprogramm
ausgearbeitet, das den Bereich Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen als zentralen Bestandteil
beinhaltet (Castello, Göpfert, Fauth, Juga & Vollmer, im Druck a). Das Manual ist inhaltlich
und didaktisch auf die Zielgruppe der HauptschülerInnen zwischen 12 und 15 Jahren
59
abgestimmt. Es besteht aus 7 Übungseinheiten à 90 Minuten, die auf den drei theoretisch
fundierten Bereichen Medienbotschaften verstehen, Medienbotschaften kritisch hinterfragen
und Medien sinnvoll nutzen und ihre Wirkungen reflektieren basieren (vgl. Castello, Göpfert,
Fauth, Juga & Vollmer, im Druck b). Die Übungen zu Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen
sind dem zweiten Bereich zugeordnet. Der Bereich Formatwissen wird in den Sitzungen 2
und 3 vermittelt (Die Titel der Sitzungen sind „Berichtende Sendungsarten“ und „Erzählende
Sendungsarten“), während spezielle Verarbeitungsstrategien in der 6. Sitzung vermittelt
werden („Wirklich?“).
2.7.1 Formatwissen
Als erster Schritt wird in den Übungseinheiten das Wissen um verschiedene Formate und
Merkmale dieser Sendungskategorien vermittelt. Dazu werden die zur Kategorisierung
notwendigen Identifikations- und Vergleichsprozesse eingeübt. Auch in den
Filmwissenschaften sind Genres keine fest gefügten Kategorien, je nach Blinkwinkel und
Akzentuierung könnte ein und dieselbe Sendung durchaus unterschiedlichen
Sendungskategorien zugeordnet werden. Daher wurde es notwendig, für die Zielgruppe
relevante Sendungen zu erheben und auf eine für die Schüler/innen überschaubare und
dennoch hilfreiche Anzahl zu begrenzen. Auf der Basis der Einschaltquoten der Zielgruppe
(Lukesch, 2004) wurde schon in einem Vorgängerprojekt (Castello, Göpfert, Juga & Fauth,
2006) die in Abbildung 3 dargestellte Kategorisierung vorgenommen.
60
Abbildung 3: Cluster der zu vermittelnden Sendungsarten. Modifiziert nach Castello, Göpfert, Juga und Fauth (2006).
Dabei ist, wie die Grafik zeigt, für die vorliegende Arbeit vor allem der Unterschied zwischen
den ersten beiden Clustern auf der einen und dem dritten auf der anderen Seite von
Bedeutung.42 Er hat hier den Status eines „superordinate schema“ nach Fitch, Huston und
Wright (1993, vgl. auch Abschnitt 2.5.2.1).
Die Unterscheidung der Werkkategorie (erste Perspektive im drei Ebenen Modell) ist
zentral markiert durch die in Sitzung 2 thematisierten Berichtenden Sendungsarten (Cluster 1
und 2) und die in Sitzung 3 thematisierten Erzählenden Sendungsarten (Cluster 3; vgl.
Abbildung 3). Dabei werden erstere den SchülerInnen vermittelt als Sendungsarten, „die über
die Wirklichkeit berichten“ (Castello, Göpfert, Fauth, Juga & Vollmer, im Druck a, S. 24).
Über die Erzählenden Sendungsarten heißt es im Manual: „In diesen Sendungen wird nicht
etwas gezeigt, was wirklich passiert ist, sondern es werden erfundene Geschichten erzählt.
[…] In diesen erfundenen Geschichten spielen dann natürlich auch nicht Personen mit ihrem
echten Namen, sondern es sind Schauspieler, die ihre Rollen spielen.“ (Ebd.) Hier wird die
42 Die Unterscheidung zwischen Cluster 1 und 2 entspricht der Trennung von „Dokumentarischen“ und „Ludischen Texten“ nach Doelker (1991, S. 158ff.). Auch diese Trennung wird mit der in Abschnitt 2.2 beschriebenen Entwicklung der Fernsehlandschaft zunehmend fraglich.
Sendungen, in denen sich reale Personen entsprechend den innerhalb einer bestimmten Umgebung („Arbeitskontext“) geltenden Regeln verhalten (z.B. „Moderatorenrolle“).
Sendungen, in denen Schauspieler Rollen spielen und eine Geschichte in einer ausgedachten Realität erzählt wird.
Cluster 1 • Nachrichten
• Magazin
• Ratgeber
• Reportage
Cluster 2
• Shows
• Anruffernsehen Cluster 3 Seifenoper Serie Spielfilm
Wie viele Folgen?
Wie viele
Geschichten?
abgeschlossene Geschichten?
Haupt- und Nebengeschichte
Hauptgeschichte ja, Nebenge-schichte nein
ja
mehrere
„Zopfdrama-turgie“
viele
1
Kontinuität wird erreicht durch: Personen und Personen Narration Narration
Berichtend: Wissen über „die Welt da draußen“ fließt in Form von Einspielungen in die Sendung ein und wird demnach auch benötigt, um zu verstehen.
Spielerisch: Der Fokus liegt auf der Interaktion der Beteiligten und dem Geschehen innerhalb des Studios.
viele
1
RFU
61
Schwierigkeit deutlich, den SchülerInnen einen (wie wir gesehen haben) relativ komplexen
Sachverhalt in verständlicher Sprache zu vermitteln, ohne dabei inkonsistent zu werden. Die
im Manual gewählten Formulierungen scheinen hierfür geeignet zu sein. Ebenfalls aus
Gründen der Komplexitätsreduktion wird in den Sitzungen 2 und 3 keine Mischkategorie
eingeführt. Die daraus entstehende Dichotomie wird dann in der sechsten Sitzung
(Strategievermittlung) in ein Kontinuum gewandelt.
Zentrales Merkmal der Übungen zur Kategorisierung von Formaten ist der direkte
Praxisbezug. Das heißt, die Kategorien werden nicht abstrakt, sondern am praktischen
Beispiel, also echten Sendungen, vermittelt. Die Vorgehensweise in der Übung ist dabei
zunächst induktiv. Es wird also durch Vergleiche von Merkmalen einzelner Sendungen auf
eine übergeordnete Kategorie geschlossen (Generalisierung). Dazu werden in der Sitzung
einzelne Sendungen angeschaut und es wird anhand von Leitfragen über Ähnlichkeiten und
Unterschiede diskutiert. Die Ergebnisse werden dann auf Plakaten festgehalten, wobei ein
Plakat für jede Sendungsart steht und die jeweiligen zentralen Merkmale enthält. Die
Unterscheidung der Werkkategorien wird hier wiederum verdeutlicht durch unterschiedliche
Farben der Plakate für Berichtende und Erzählende Sendungsarten. Um die so entstehenden
Kategorien zu festigen, werden zum Abschluss der Sitzungen 2 und 3 Screenshots einzelner
Sendungen in einem spielerischen Quiz den Sendungsarten zugeordnet. Die kognitive
Verarbeitung ist dabei deduktiv. Die Vorgehensweise, bottom-up und top-down Prozesse zu
kombinieren, verspricht den größtmöglichen Lernerfolg.
2.7.2 Strategien
Die Vermittlung von Strategien für Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen ist Thema in der
sechsten Sitzung des Manuals hsTV. Dabei wird besonderes Gewicht auf die inhaltlich-
semantische Perspektive des drei Ebenen Modells gelegt. Strategien, die sich auf die
darstellungsbezogene Ebene beziehen, werden im Training nicht explizit thematisiert.
Wichtigster Grund hierfür ist die begrenzte Zeit, die innerhalb des gesamten Trainings für den
Bereich Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen zur Verfügung steht. Die Entscheidung für eine
Thematisierung der inhaltlich-semantischen Perspektive ist begründet durch die leichtere
Vermittelbarkeit und den größeren Nutzen im Vergleich zu darstellungsbezogenen Strategien.
Realitäts- und Fiktionssignale sind auf dieser Ebene, wie wir in Abschnitt 2.3.2 gesehen
haben, relativ schwer zu identifizieren. Zudem stellen sie „schwache“ Hinweise (Rothmund et
62
Ist das wirklich oder erfunden?
Kommt so was oft vor, ist es „wahrscheinlich“?
nein
ja
Kannst Du an der Sendungsart erkennen, ob das wirklich oder erfunden ist?
ja
nein
Ist das im wirklichen Leben überhaupt möglich?
Dann weißt Du, ob Du das glauben kannst oder nicht!
Erfunden!
Könnte schon sein, kommt aber eher selten vor,
also aufgepasst!
Wirklich!
ja
nein
al. 2001b) dar, die nur in der Summe bedeutsam werden („viele Unterschiede, die einen
Unterschied machen“ – vgl. Abschnitt 2.3.1).
Auf der inhaltlich-semantischen Ebene ist das Hinterfragen der Wirklichkeitsnähe
bzw. -ferne medialer Darstellungen operationalisiert über die Einschätzung von Möglichkeit
und Wahrscheinlichkeit des Gesehenen (vgl. Abschnitt 2.4.2). Dieses Konzept wird den
SchülerInnen zunächst anhand eines Beispiels aus dem Alltag näher gebracht. Dabei wird
auch der zentrale Begriff Strategie eingeführt und auf das Fernsehen übertragen: „Das, was
wir jetzt gemacht haben, ist eine Strategie, also eine Hilfe oder ein Plan, wie man vorgehen
kann, wenn man sich überlegen will, ob etwas wirklich sein kann. Und genauso kann man das
auch mit einer Fernsehsendung machen.“ (Castello, Göpfert, Fauth, Juga & Vollmer, im
Druck a, S. 50)
Nach und nach wird mit den SchülerInnen ein Entscheidungsbaum erarbeitet und
dessen Nützlichkeit als Strategie betont, um eine Antwort auf die Frage „Ist das wirklich oder
erfunden?“ zu finden. Der Entscheidungsbaum ist in Abbildung 4 dargestellt.
Abbildung 4: Entscheidungsbaum zu Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen unter inhaltlich-semantischer Perspektive. Aus: Castello, Göpfert, Fauth, Juga und Vollmer (im Druck a, S.51).
Mit der ersten Frage werden die als dichotom behandelten Werkkategorien aus den Sitzungen
2 und 3 wieder aufgenommen. Diese Dichotomie wird dann über das Konzept von
Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit in der zweiten und dritten Frage zum Teil aufgebrochen.
63
Die Formulierung „…also aufgepasst!“ entspricht der in Abschnitt 2.5.2.3 beschriebenen
kritisch-hinterfragenden Grundhaltung, die den SchülerInnen näher gebracht werden soll.
Weil der konkrete Bezug zur Praxis des Fernsehens zu den wichtigsten Grundsätzen
des Trainings gehört, wird die gelernte Strategie in der folgenden Übung an
Fernsehsendungen angewandt. Diese wurden dafür aus dem Fernsehen aufgenommen und
liegen auf einer DVD dem Manual bei. Es werden Ausschnitte aus den in Tabelle 4 genannten
Sendungen gemeinsam angeschaut.
Tabelle 4: In Sitzung 6 diskutierte Beispielsendungen
Sendung Dauer
1 Stargate 1:44
2 Verbotene Liebe 3:09
3 Apollo 13 3:52
4 Das Familiengericht 1:41
5 Der Clan der Erdmännchen 2:02
6 Lenßen und Partner 1:59
7 Schmeckt nicht gibt’s nicht 2:30
Gesamtdauer in Minuten 16:52
Die Ausschnitte werden dann im Plenum anhand der folgenden Leitfragen diskutiert:
− Was für eine Sendungsart war das?
− Könnt ihr daran erkennen, ob das wirklich oder erfunden ist?
− Warum?
− Gab es in der Sendung eine Stelle, die euch merkwürdig vorkam und bei der ihr euch
nicht sicher seid, ob das echt ist oder erfunden?
− Ist das, was euch merkwürdig vorkam, nach dem, was wir heute über die Welt wissen,
überhaupt möglich?
− Ist es auch wahrscheinlich? Kommt so etwas oft vor? (Ebd., S. 52)
Als Anweisung für den/die TrainerIn heißt es dazu im Manual: „Bei der Diskussion in der
Gruppe sollte darauf geachtet werden, dass unterschiedliche Auffassungen ausdrücklich
erlaubt sind und die Schüler/innen sich nicht gegenseitig angehen sollen, wenn jemand eine
unpopuläre Meinung vertritt.“ (Ebd.) Es ist in Abschnitt 2.2 deutlich geworden, dass in
Anbetracht der heutigen Fernsehlandschaft bezüglich der Art und Weise der
Wirklichkeitsentsprechung von Sendungen Unklarheiten bestehen bleiben können und
vielleicht müssen. Diese Unklarheiten werden im Training explizit benannt und es wird nicht
64
der wohl sinnlose Versuch unternommen, sie endgültig aufzulösen. Dazu heißt es im Manual:
„Wir waren vielleicht nicht immer derselben Meinung, aber das ist auch in Ordnung. Wichtig
ist, dass ihr jetzt einen Weg kennt, wie ihr Euch selber eine Meinung bilden und selbst
entscheiden könnt, ob ihr etwas glauben wollt oder nicht.“ (Ebd., S. 54).
Zudem wird in der Diskussion wohl auch den SchülerInnen deutlich werden, dass es
nicht immer möglich ist, eine Sendung den dichotomen Kategorien „Wirklich“ oder
„Erfunden“ zuzuordnen. Dem trägt eine abschließende Übung Rechnung, bei der die
gesehenen Sendungen (Tabelle 4) in einer Gruppenarbeit auf einem „Wirklichkeitsstreifen“
eingeordnet werden. Dieser entspricht einem Kontinuum zwischen Wirklichkeitsnähe und -
ferne. Dabei wird zum einen die Anwendung der erlernten Strategien trainiert. Zum anderen
wird so noch einmal sehr anschaulich deutlich, wie fließend die Grenzkonstruktionen
zwischen medialer Realität und Fiktion sind. Damit wurde ein weiteres zentrales Ergebnis der
theoretischen Betrachtungen umgesetzt.
65
3 Empirie
3.1 Fragestellungen
Im theoretischen Teil dieser Arbeit wurden zwei Aspekte von Medienkompetenz
herausgearbeitet, die für Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen besonders relevant sind. Zum
einen das Formatwissen als „Vorraussetzungsaspekt“ und zum anderen spezifische
Verarbeitungsstrategien – hier vor allem die Beurteilung von Möglichkeit und
Wahrscheinlichkeit des Gesehenen. Auf der Basis dieser theoretischen Überlegungen wurde
das Trainingsmanual hsTV konzipiert, das den Anspruch hat, auch diese Bereiche gezielt
praxisbezogen zu fördern.
Im empirischen Teil dieser Arbeit soll nun geklärt werden, ob das Training die
anvisierten Effekte erreicht und mithin wirksam ist. Die durch die Empirie zu beantwortende
Frage kann daher allgemein wie folgt formuliert werden:
Bewirkt das Training eine Verbesserung der Fähigkeit zu Realitäts-Fiktions-
Unterscheidungen?
Dabei liegt es nahe, die Fragestellung in die beiden Unterbereiche Formatwissen und
Strategierepräsentation aufzuteilen, um eventuelle Effekte differenziert abbilden zu können.
Sinnvoll ist es auch, im Bereich Formatwissen den Wirklichkeitsanspruch der einzelnen
Formate in den Werkkategorien Fiction und Non-Fiction besonders zu berücksichtigen (vgl.
den Begriff des superordinate schema in Abschnitt 2.5.2.1). Daraus ergeben sich die
folgenden Unterfragestellungen:
1. Ist das Training in der Lage, fernsehbezogenes Formatwissen zu vermitteln?
2. Ist das Training in der Lage, das Wissen um den Wirklichkeitsanspruch der
Werkkategorien zu vermitteln?
3. Ist das Training in der Lage, die im Manual vermittelten Rezeptionsstrategien zu
vermitteln?
66
Daraus ergeben sich die folgenden formalen Hypothesen:
1. Hypothese:
Der Zuwachs des Formatwissens vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt ist bei den
SchülerInnen der Experimentalgruppe großer als bei jenen der Kontrollgruppe. Die
statistischen Hypothesen werden wie folgt formuliert:
Es sei σ²AB die Varianz des Interaktionseffekts zwischen den Faktoren A (EG/KG) und B
(Prä-/Postmessung).
H0: σ²AB = 0
H1: σ²AB ≠ 0
2. Hypothese:
Die Berücksichtigung des Wissens um den Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien als
Prädiktor in einer Regressionsgleichung mit der Gruppenzugehörigkeit (EG/KG) als
Kriterium bewirkt eine Verbesserung der Vorhersagegüte zum zweiten, nicht jedoch zum
ersten Messzeitpunkt. Die statistischen Hypothesen werden wie folgt formuliert:
Es sei βt1 der Regressionskoeffizient mit den Werten der Prä-Messung und βt2 der
Regressionskoeffizient mit den Werten der Post-Messung.
H0: βt2 = 0
H1: βt1 = 0 und βt2 > 0
3. Hypothese:
Die Verbesserung in der Einschätzung der Nützlichkeit von Rezeptionsstrategien ist vom
ersten zum zweiten Messzeitpunkt bei den SchülerInnen in der Experimentalgruppe größer als
bei jenen in der Kontrollgruppe. Die statistischen Hypothesen werden wie folgt formuliert:
Es sei σ²AB die Varianz des Interaktionseffekts zwischen den Faktoren A (EG/KG) und B
(Prä-/Postmessung).
H0: σ²AB = 0
H1: σ²AB ≠ 0
67
3.2 Operationalisierungen
Für die Beantwortung der Fragestellungen soll ein Fragebogen konstruiert werden. Dies
bringt gegenüber Interviews zunächst den Vorteil, dass Durchführungs- und
Auswertungsobjektivität gesichert sind. Zudem kann die Reliabilität durch Kennwerte der
internen Konsistenz schnell und unproblematisch bestimmt werden. Dem steht als
Hauptproblematik die Durchführbarkeit der Befragung im Klassenverband gegenüber. Die
Frage ist, ob es gelingt, die Aufmerksamkeit der SchülerInnen über einen relativ langen
Zeitraum auf einen Fragebogen fokussiert zu halten. Hier wären halbstrukturierte
Einzelinterviews von Vorteil. Diese wären allerdings sehr aufwendig zu realisieren und
würden wohl die zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen übersteigen. Es soll daher
darauf geachtet werden, dass der Fragebogen so kurz wie möglich gehalten bleibt.
Ein weiteres Argument für den Einsatz von Fragebögen betrifft Aspekte der Validität.
Es kann davon ausgegangen werden, dass bei den SchülerInnen an Hauptschulen zum Teil
erhebliche Probleme bei der Fähigkeit zur Verbalisierung vorhanden sind (vgl. Abschnitt 2.6).
Hier kann es – vor allem im Bereich Strategierepräsentation – von Vorteil sein, wenn die
entsprechenden Fragen einerseits auch mündlich gestellt werden, und den SchülerInnen zum
anderen die möglichen Antworten auch schriftlich vorliegen. Ansonsten könnte ein zu großer
Varianzanteil auf die Verbalisierungsfähigkeit und nicht auf die Repräsentation der Strategien
zurückzuführen sein. Items mit Antwortvorgaben (Bortz & Döring, 2006, S. 214) sind dazu
geeignet, diese Probleme zu vermeiden.
Zuletzt ist es nicht unwichtig, dass im Rahmen des Gesamtprojekts hsTV ein
Fragebogen entwickelt werden soll. Die Vorteile der Entwicklung von RFU-Skalen und deren
Integration in den Fragebogen liegen nicht nur in der hohen Praktikabilität und Ökonomie,
sondern auch in einer optimalen Vergleichbarkeit mit anderen Bereichen des Trainings hsTV.
Auf Ebene der einzelnen Items gilt es bei der Operationalisierung der Fragestellung in
der Hauptsache zunächst vier Kriterien zu beachten:
1. Die schon angesprochene Kürze, d.h. es sollten möglichst wenige Items sein, um die
Aufmerksamkeit der SchülerInnen nicht überzustrapazieren.
2. Die Inhaltsvalidität, d.h. die Items sollen das im Training Gelernte dennoch
vollständig abbilden können (Klauer, 1984).
3. Die Formulierung der Items sollte Alter und Bildungsstand der Zielgruppe
angemessen sein.
68
4. Die Vermeidung von Messartefakten durch „gute Distraktoren“ nach Bortz und
Döring (2006, S. 215; vgl. auch Wilcox, 1981).
Anhand dieser Kriterien soll im Folgenden die Formulierung von Items zuerst auf
Wissensebene (Fragestellungen 1 und 2) und dann auf der Ebene der Strategierepräsentation
(Fragestellung 3) besprochen werden.
3.2.1 Formatwissen und Werkkategorien (Fragestellungen 1 und 2)
Das zu erlernende Formatwissen stellt einen „homogenen Wissensbereich“ (Bortz & Döring,
2006, S. 216) dar, d.h. es ist eindeutig entscheidbar, was als richtiges und was als falsches
Wissen zu werten ist. Die einzelnen Formate werden im Training zunächst als geschlossene
Kategorien vermittelt, wobei Fiction von Non-Fiction als Werkkategorien deutlich
voneinander unterschieden werden. Für das Abfragen solcher Wissensbereiche empfehlen
Bortz und Döring (ebd.) Zuordnungsaufgaben, bei denen die Teilnehmenden an einer
Untersuchung die Aufgabe haben, einzelne Elemente einer Serie mit den Elementen einer
anderen Serie zu verbinden.
Für den Bereich Formatwissen soll in diesem Sinne eine Liste der gelernten
Formatbezeichnungen (vgl. Abbildung 3) mit den im Training vermittelten besonderen
Merkmalen der einzelnen Formate in Verbindung gebracht werden. Dazu sollen zwei Skalen
konstruiert werden – eine für fiktionale und eine für non-fiktionale Formate (Berichtende
Sendungsarten und Erzählende Sendungsarten). Beispiele für die Formulierung der Items der
Skala Berichtende Sendungsarten gibt Abbildung 5. Konkrete Aufgabe der SchülerInnen ist
es, eine Formatbezeichnung mit der richtigen Aussage zu verbinden. Die Ausformulierung
der beiden Gesamtskalen findet sich im Anhang.
69
Abbildung 5: Beispiele für Items und Distraktoren der Skala Berichtende Sendungsarten zur Messung des Formatwissens.
Besonderer Wert soll hier noch auf die Formulierung der Items zur Messung des Wissens
über den Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien gelegt werden. Die im Manual
durchgehend verwendeten kategorialen Bezeichnungen Erzählende Sendungsarten (Fiction)
und Berichtende Sendungsarten (Non-Fiction) sollen auch bei dieser Itemkonstruktion
verwendet werden. Die Aussagen, die mit diesen Bezeichnungen verbunden werden sollen,
sollen passend zum Training (vgl. Abschnitt 2.7) zum einen die Referenz auf die
„Wirklichkeit“ (Non-Fiction) und zum anderen die Betonung von „erfundenen Geschichten“
(Fiction) beinhalten. Als sprachlich angemessene Gestaltung der Items (Kriterium 3, s.o.)
ergeben sich daher die Formulierungen in Tabelle 5, die das für die Unterscheidung der
Werkkategorien notwendige Wissen abbilden (Kriterium 2, s.o.).
Tabelle 5: Items zur Messung des Wissens über den Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien
1 Sendungsarten, die über die Wirklichkeit berichten
Berichtende Sendungsarten
2 Sendungsarten, in denen erfundene Geschichten gezeigt werden
Erzählende Sendungsarten
Magazin
Nachrichten
Show berichtet über verschiedene Dinge z.B. Promis und Technik
Hier wird zu nur einem Thema oder Ereignis ausführlich berichtet.
ist immer auf dem neusten Stand
Da werden Gäste und ein Publikum eingeladen
Da kann man anrufen und etwas kaufen oder gewinnen
70
Mögliche Artefakte, die entstehen können, weil bei Item 1 die Zuordnung allein aufgrund des
Signalwortes „berichten“ erfolgen könnte, werden durch das zu wählende Versuchsdesign
ausgeschlossen (s.u.). Um eine verlässliche Messung zu erhalten, werden die Items im
einzusetzenden Fragebogen FB_TV_1 integriert. Sie werden eingeordnet in eine Reihe von
Items, die allgemeines Wissen über das Fernsehen abfragen. Hinzu kommen im Fragebogen
drei Distraktoren (Kriterium 4, s.o.), sodass der Bogen aus einem Set von acht Aussagen
besteht, die fünf Begriffen richtig zugeordnet werden müssen (siehe Anhang).
Eine mögliche Verletzung von Kriterium 1 (Länge des Bogens) soll hier zugunsten
einer größtmöglichen Validität (Kriterium 4) in Kauf genommen werden.
3.2.2 Strategierepräsentation (Fragestellung 3)
Im Sinne der Inhaltsvalidität (Kriterium 2) sollten von der Skala „Strategierepräsentation“ alle
im Manual hsTV thematisierten Strategien abgebildet werden (vgl. Abschnitt 2.7.2). Diese
sind:
− Überlegungen zum Format der Sendung (hier wird das zuvor als deklaratives Wissen
Abgefragte als Rezeptionsstrategie relevant).
− Damit zusammenhängend: Überlegungen, ob es sich bei den gezeigten Personen um
Schauspieler handelt.
− Beurteilung der grundsätzlichen Möglichkeit von gesehenen Inhalten.
− Beurteilung der Wahrscheinlichkeit von gesehenen Inhalten.
Punkt 1 und damit zusammenhängend Punkt 2 dienen der Beurteilung des gesehenen Formats
und bilden damit die Perspektive „Werkkategorie“ im drei Ebenen Modell (Abbildung 1) als
Verarbeitungsstrategie ab. Die Strategien 3 und 4 bilden die Perspektive „Erfahrungsinhalt“
ab und dienen damit einer Beurteilung der Wirklichkeitsnähe und –ferne (vgl. Abbildung 1).
Tabelle 6: Itemübersicht mit Perspektive, Inhaltsbereich und Nummer im FB_TV_1
Perspektive nach Rothmund et al. (2001b)
Inhaltsbereich des Items
Item Nr. im FB_TV_1 (siehe Abbildung 6)
Werkkategorie Format Schauspieler
47 49
Erfahrungsinhalt Möglichkeit Wahrscheinlichkeit
46 50
71
Die oben angestellten Überlegungen zu Verbalisierungsfähigkeit und sprachlichem
Verständnis bei der Zielgruppe (Kriterium 3) legen es nahe, die einzelnen Strategien als
Aussagen zu formulieren und sie hinsichtlich ihrer Nützlichkeit für eine
Wirklichkeitsbeurteilung bewerten zu lassen. Die Bewertung erfolgt dabei auf einer 4-
stufigen Ratingskala mit den Endpunkten „gar nicht nützlich“ und „sehr nützlich“. Hierfür
bieten sich „numerische Marken“ (Bortz & Döring, 2006, S. 177) von 0 bis 3 an, wobei die
Null dem Endpunkt „gar nicht nützlich“ entspricht. Die so entstehende Testskala ist angelehnt
an die klassische Likert-Skala (Likert, 1932). Die hier zumeist verwendete 5-stufige
Ratingskala wird jedoch aufgegeben, um zu erwartende Tendenzen zur Mitte (Bortz &
Döring, 2006, S. 184) auszuschließen. Die 4-stufige Ratingskala zwingt die Teilnehmenden,
sich für eine Tendenz zu entscheiden. Daraus ergeben sich die in Abbildung 6 dargestellten
Formulierungen für die Skala „Strategierepräsentation“.
Um den Transfer des Gelernten aus dem sehr praxisbezogenen Lernsetting auf die eher
abstrakte Ebene des Fragebogens zu gewährleisten, wird den Teilnehmenden die Instruktion
gegeben, sich gedanklich in die Rezeptionssituation zu begeben, sich also konkret
vorzustellen, vor dem Fernseher zu sitzen und eine Sendung anzuschauen.
Was kannst Du tun, um herauszufinden, ob diese Geschichte wirklich passiert sein könnte
oder ob die Geschichte ausgedacht und erfunden ist? Auch hier sind verschiedene Möglichkeiten beschrieben, was Du tun kannst und Du sollst
wieder angeben, wie nützlich Du diese Möglichkeiten findest. 0 bedeutet wieder, dass Du das gar nicht nützlich findest, 3 bedeutet, dass Du das sehr
nützlich findest.
gar nicht nützlich
sehr nützlich
46 Ich kann mir überlegen, ob das, was da gezeigt wird, überhaupt möglich ist.
0 1 2 3
47 Ich kann mir überlegen, was für eine Art von Sendung das ist. 0 1 2 3
48 Ich kann mir überlegen, ob man sich das, was da gezeigt wird, überhaupt ausdenken kann.
0 1 2 3
49 Ich kann mir überlegen, ob es die Personen im wirklichen Leben auch gibt oder ob das Schauspieler sind.
0 1 2 3
50 Ich kann darüber nachdenken, ob das, was da gezeigt wird, wahrscheinlich ist, ob es oft vorkommt.
0 1 2 3
Abbildung 6: Die Skala RFU-Strategierepräsentation im Fragebogen FB_TV_1
Da die Strategierepräsentation eine eigene psychometrische Skala darstellt und im
Fragebogen als eigener, abgeschlossener Fragenbereich integriert werden soll, kommt der
Formulierung des Distraktors (Kriterium 4, s.o.) besondere Bedeutung zu (Item 48 in
72
Abbildung 6). Er hat die Aufgabe, mögliche Antworttendenzen im Sinne eines „Response-
Sets“ (Bortz & Döring, 2006, S. 224) sichtbar zu machen und dient damit der eindeutigen
Interpretierbarkeit der Daten (interne Validität). In Bezug auf die vorliegende Testskala
könnten sich Antworttendenzen aus der zweimaligen Messung (prä-post) ergeben: Es besteht
die Möglichkeit, dass die SchülerInnen die Nützlichkeit der abgefragten Strategien bei der
zweiten Messung höher bewerten, einfach weil sie der Meinung sind, als „gute SchülerInnen“
nach dem Training höhere Werte angeben zu müssen als vor dem Training. Das kann
ausgeschlossen werden, wenn sich der Wert von Item 48 nicht verändert, da es von der
Formulierung her den anderen entspricht, inhaltlich jedoch keine im Training vermittelte
Strategie zur Wirklichkeitsbeurteilung darstellt.
3.3 Methoden und Verfahren
3.3.1 Überprüfung der Messmittel
Eine Messung kann immer nur so gut sein wie der Fragebogen, mit dem gemessen wird.
Daher wird zum einen die Praktikabilität, Verständlichkeit und Durchführungsdauer des
Fragebogens in einer Vorstudie getestet. Zum anderen werden die Skalen vor der Auswertung
der Evaluationsdaten auf ihre Qualität geprüft.
Anhand der Evaluationsstichprobe (Daten zu t1) werden für die Skalen die
Qualitätsmerkmale Rohwerteverteilung, Homogenität, Itemschwierigkeit und Interne
Konsistenz bestimmt. Die Itemanalyse wird dabei auf Grundlage der klassischen Testtheorie
vorgenommen, die sich in der Forschungspraxis bewährt hat (Sprung & Sprung, 1984).
Die Rohwerteverteilung vermittelt einen ersten Überblick über das von einzelnen
Items oder Skalen evozierte Antwortverhalten in der zu untersuchenden Stichprobe. Dabei ist
es zum einen von Bedeutung, ob der gesamte Wertebereich der Ratingskala ausgeschöpft
wird und zum anderen, ob die Rohwertverteilung normalverteilt ist (Kolmogorov-Smirnov-
Test). Die Normalverteilung ist relevant als Voraussetzung für die meisten
inferenzstatistischen Verfahren. Eine Verletzung der Normalverteilung ist nach Bortz &
Döring (2006, S. 218) hinnehmbar, wenn sie theoriekonform ist und in der Untersuchung mit
größeren Stichproben (N > 30) operiert wird.
Die Itemschwierigkeit bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frage richtig
beantwortet wird bzw. einer Aussage zugestimmt wird. Für die vorliegenden Messmittel wird
73
die Berechnung der entsprechenden Indizes wie folgt vorgenommen: Für die zweistufigen
Items wird die Zahl der Personen, die das Item richtig gelöst haben, dividiert durch die
Gesamtzahl der teilnehmenden Personen. Für die mehrstufigen Skalen wird die Summe der
auf einer Skala insgesamt erreichten Punkte durch die maximal erreichbare Punktzahl
dividiert (Lienert & Raatz, 1994). Die Schwierigkeit wird hier also nicht für die einzelnen
Items, sondern für die Gesamtskala errechnet. Extrem schwierige oder extrem leichte Items
oder Skalen sind problematisch, weil sie Unterschiede zwischen Personen und Gruppen nur
unzureichend abzubilden in der Lage sind. Daher sind Schwierigkeiten im mittleren Bereich
anzustreben (Bortz & Döring, 2006, S. 219).
Die Homogenität einer Skala spiegelt deren Eindimensionalität wider. Da mit der
Skala „Strategierepräsentation“ ein einheitliches Konstrukt gemessen werden soll, ist zu
fordern, dass die einzelnen Items der Skala untereinander korrelieren. Die mittlere paarweise
Korrelation der Items miteinander quantifiziert die Homogenität. Nach Briggs und Cheek
(1986, S. 115; zitiert nach Bortz und Döring, 2006, S. 220) liegen optimale Homogenitäten
zwischen 0,2 und 0,4. Darunter sind hinter einer Testskala mehrere Konstrukte zu vermuten,
darüber ist die Skala redundant.
Die Interne Konsistenz ist ein Maß zur Bestimmung der Reliabilität einer Skala und
misst damit ihre Genauigkeit. Nach den Axiomen der klassischen Testtheorie müsste eine
völlig reliable Skala bei wiederholter Anwendung an denselben Personen exakt die gleichen
Werte messen, da hier die Fehlervarianz gleich null wäre. Die Reliabilität gibt an, wie sehr die
empirischen Werte einer Messung von den (geschätzten) wahren Werten abweichen. Zur
Schätzung der messfehlerfreien „wahren“ Varianz kann bei homogenen Skalen die
gemeinsame Varianz zweier Testhälften herangezogen werden (Testhalbierungsreliabilität)
(Bortz und Döring, 2006, S. 198). Die Berechnung der internen Konsistenz mithilfe des
Alphakoeffizienten (Cronbach, 1951) ist an diese Methode angelehnt. Danach werden die
Reliabilitäten für alle möglichen Testhalbierungen errechnet und gemittelt. Cronbachs Alpha
ist damit genauer als herkömmliche Verfahren der Testhalbierung. Allerdings führt das
Verfahren, wie Bortz und Döring (2006, S. 199) anmerken, bei Skalen mit wenigen Items zu
erheblich kleineren Alpha-Werten als bei vielen Items. Das gilt es bei der Interpretation zu
berücksichtigen.
74
3.3.2 Evaluationsstudie
Zur Überprüfung der Wirksamkeit des Trainings soll ein Prä-Post-Design mit einer
Experimental- und einer Kontrollgruppe etabliert werden (2x2 Versuchsplan).43 Im Folgenden
werden kurz die statistischen Verfahren zur Datenauswertung vorgestellt.
3.3.2.1 Die Skalen Formatwissen und Strategierepräsentation
Um mögliche Veränderungen vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt auf statistische
Signifikanz zu prüfen, soll eine zweifaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholung
gerechnet werden. In das Verfahren wird die Tatsache miteinbezogen, dass zwei Messungen
an einer Gruppe nicht unabhängig voneinander sind, wie es die klassische Testtheorie fordert.
Stattdessen wird als Voraussetzung für die Varianzanalyse mit Messwiederholung gefordert,
dass die Varianz der Messfehler unter den jeweiligen Faktorstufen gleich ist. Sie ist damit das
geeignete Verfahren zur Überprüfung von Unterschieden in einer intervallskalierten aV, die
zu zwei Zeitpunkten (uV1 – Messwiederholungsfaktor) bei zwei Gruppen (uV2 –
Gruppierungsfaktor) gemessen wird. Dabei ist ein Interaktionseffekt zwischen beiden
Faktoren zu erwarten. Während beide Gruppen zum ersten Messzeitpunkt gleichauf liegen
sollten, sollte die Experimentalgruppe zum zweiten Messzeitpunkt einen höheren Wert als die
Kontrollgruppe aufweisen. Auch mögliche Prätest-Unterschiede gehen so gleich in die
Berechnung mit ein. Das ist vor allem wegen des quasiexperimentellen Charakters der Studie
relevant (siehe Abschnitt 3.4).
Zur Sicherung der praktischen Bedeutsamkeit der Ergebnisse wird die Effektstärke d
mit Korrektur von Vortest-Unterschieden für quasiexperimentelle Untersuchungen nach der
Formel dkorr = dNachtest-dVortest berechnet (Klauer, 1993). Dabei wird zur Berechnung von d die
Mittelwertsdifferenz von Experimental- und Kontrollgruppe durch die gemittelte Streuung
von Experimental- und Kontrollgruppe dividiert. Es werden die von Cohen (1988)
angegebenen Konventionen übernommen, wonach die Klassifizierung der Effekte als
klein/mittel/groß nach den Stufen .2/.5/.8 erfolgt.
3.3.2.2 Items zum Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien
Zur Prüfung möglicher Veränderungen der einzelnen Items zum Wissen um den
Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien von ersten zum zweiten Messzeitpunkt soll das
Verfahren der binären logistischen Regression angewendet werden. Regressionsanalytische
43 Die nähere Beschreibung des Versuchsplans geschieht im Abschnitt 3.4. (Durchführung). Der Versuchsplan wird hier nur kurz angesprochen, um Überlegungen zur statistischen Datenanalyse anstellen zu können.
75
Verfahren dienen der Vorhersage eines Kriteriums durch einen oder mehrere Prädiktoren. Die
binäre logistische Regression erlaubt es, die Vorhersagegüte von Prädiktoren für
nominalskalierte Kriterien zu schätzen. Es kann so beurteilt werden, ob durch die
Einbeziehung des Antwortverhaltens der SchülerInnen (richtig/falsch) deren
Gruppenzugehörigkeit vorhergesagt werden kann. Der Messzeitpunkt wird miteinbezogen,
indem durch die Methode „Einschluss“ die Variablenwerte zu t1 und zu t2 als
Regressionskoeffizienten in die Regressionsgleichung aufgenommen werden (Bühl, 2006, S.
272). Dabei sollte nur der Wert zu t2 die Vorhersagegüte des Modells signifikant verbessern.
Das heißt: Die Kenntnis des Antwortverhaltens eines Schülers zum zweiten Messzeitpunkt
verbessert die Vorhersage seiner Gruppenzugehörigkeit signifikant; der entsprechende
Regressionskoeffizient unterscheidet sich von Null. Zur Bestimmung der Effektgröße wird
der Index Nagelkerkes R² berechnet, der analog zum Determinationskoeffizienten R² der
linearen Regression zu interpretieren ist (vgl. ebd., S. 376). Bortz und Döring (2002, S. 604)
klassifizieren die Effekte der multiplen Korrelation nach den Stufen .02/.15/.35
(klein/mittel/groß).
3.4 Untersuchungsfeld und Teilnehmende
Die Überprüfung der Wirksamkeit des Manuals sollte unter Praxisbedingungen stattfinden
und wird daher als Feldstudie geplant. Das Training und die Messungen werden also in der
Schule im Rahmen der üblichen Unterrichtseinheiten realisiert. Dies stellt eine hohe
Generalisierbarkeit der Ergebnisse im Sinne der Externen Validität sicher. Das Training soll
unabhängig von den in der Evaluationsstudie aktuellen Zeitpunkten, Schulen und
SchülerInnen wirksam sein. Die zu erreichende Altersgruppe entspricht den Klassenstufen 6
und 7. Um die entsprechenden Klassen zu rekrutieren, werden alle Hauptschulen im Bereich
das Regierungspräsidiums Freiburg angeschrieben. In dem Anschreiben wird das
Grundkonzept des Trainings kurz erläutert mit der Bitte, bei Interesse Kontakt mit der
Arbeitsgruppe Schule und Medien (sum) aufzunehmen.
Schulen, die sich melden, aber nach einem Gespräch nicht zur Durchführung des
Trainings bereit sind, werden der Kontrollgruppe zugeordnet. Dieses Vorgehen ist im
Rahmen der Untersuchung gerechtfertigt, weil das Training auch später nur dort durchgeführt
werden wird, wo die verantwortlichen Lehrer und Schulleiter damit einverstanden sind.
Dennoch entspricht das Design damit einer quasiexperimentellen Untersuchung, da die
76
Teilnehmenden nicht zufällig der Experimental- und Kontrollgruppe zugeordnet werden
(Randomisierung). Die damit einhergehende Gefährdung der internen Validität wird
zugunsten einer größeren Praxisnähe in Kauf genommen. Zudem wird möglichen
Verfälschungen mit dem Prä-Post-Design und der Durchführung in mehreren Klassen aus
mehreren Schulen begegnet.
Die anzustrebende Größe der Stichprobe ist abhängig von den zu erwartenden
Effekten, dem alpha-Niveau und dem verwendeten statistischen Verfahren. Göpfert (im
Druck) konnte bei FörderschülerInnen für den Bereich fernsehbezogene RFU mit demselben
theoretischen Hintergrund kleine bis mittlere Effekte erzielen. Im Rahmen dieser Arbeit sind
ähnliche Effektstärken zu erwarten. Nach Bortz und Döring (2006, S.628) ergibt sich daraus
für die Varianzanalyse ein optimaler Stichprobenumfang von N=64 (mittlere Effekte) bis
N=393 (kleine Effekte). Der extreme Unterschied zwischen beiden Werten lässt das
Verfahren etwas fraglich erscheinen. Es wird daher ein möglichst großes N angestrebt, für die
Experimentalgruppe sollen jedoch mindestens 6-8 Klassen rekrutiert werden, für die
Kontrollgruppe 4-5. Das sollte auch nach möglichen Dropouts noch ein ausreichend großes N
garantieren, um gefundene Effekte statistisch gegen Irrtum sichern zu können.
3.5 Durchführung
3.5.1 Planung der Umsetzung
Nach einem ersten Gespräch mit den SchulleiterInnen wird ein ausführlicheres Gespräch mit
den jeweiligen KlassenlehrerInnen vereinbart. Dort werden zentrale Inhalte und Ziele des
Manuals hsTV besprochen und erläutert. Sind LehrerInnen und SchülerInnen bereit und
motiviert, das Training durchzuführen, wird die erste Messung (FB_TV_1) vom
Versuchsleiter im Klassenverband durchgeführt. Hier werden auch soziodemographische
Merkmale und Mediennutzungsdaten der SchülerInnen erhoben (siehe Anhang). Das Training
wird dann von den LehrerInnen im Klassenverband durchgeführt. Nach der dritten Sitzung
wird die zweite Messung (FB_TV_2) vorgenommen. Sie beinhaltet die Postmessung der
Items zum Formatwissen und zum Wissen um den Wirklichkeitsanspruch der
Werkkategorien. Nach der siebten Sitzung wird die dritte Messung (FB_TV_3)
vorgenommen. Sie beinhaltet die Postmessung der Skala RFU-Strategierepräsentation. Die
Befragungen 2 und 3 werden von den LehrerInnen eigenständig vorgenommen. Alle
77
Messungen finden wie das Training im Klassenverband statt. Um Objektivität und
Standardisierung der Messungen sicherzustellen, werden die LehrerInnen speziell in Bezug
hierauf vom Versuchsleiter instruiert. Abbildung 7 gibt einen Überblick über das Design der
Evaluationsstudie.
Abbildung 7: Das Design der Evaluationsstudie im Überblick
3.5.2 Tatsächliche Umsetzung
In acht Klassen an sieben verschiedenen Schulen konnten Lehrkräfte dafür gewonnen werden,
das Manual selbst unter Betreuung durch die Arbeitsgruppe sum durchzuführen. Vier
Lehrkräften ist es nicht gelungen, das Training soweit in ihre Planungen zum Schuljahr zu
integrieren, dass es innerhalb des durch die Projektlaufzeit festgelegten Zeitraums beendet
werden konnte. In zwei von diesen Klassen konnten noch Daten zum zweiten Messzeitpunkt
erhoben werden, von den anderen beiden liegen nur Daten vom ersten Messzeitpunkt vor.
Somit konnte das Training in vier Klassen vollständig durchgeführt und die Daten
komplett erhoben werden. Die Kontrollgruppenklassen konnten zu beiden Messzeitpunkten,
abgesehen von einzelnen, am Messtermin fehlenden Schülern, vollständig befragt werden.
Die entsprechenden Schüler- und Klassenzahlen zu den drei Messzeitpunkten finden sich in
Tabelle 7.
FB_TV_1: • Soziodemgraphische Daten • Daten zur Mediennutzung • Formatwissen • Werkkategorien • Strategierepräsentation
FB_TV_2: • Formatwissen • Werkkategorien FB_TV_3:
• Strategierepräsentation
Prä-Messung
Post-Messung
Beginn des Trainings 3. Sitzung Ende des Trainings
Sitzungen 2 und 3 (Formatwissen und Werkkategorien)
Sitzung 6 (Verarbeitungs- strategien)
78
Tabelle 7: Die Stichprobe im Verlauf
Gruppe N zu t1 N zu t2 N zu t3 Vollständige Datensätze
EG 158 116 89 87
KG 81 76 76 76
Gesamt 239 192 165 163
Klassen 13 11 9 9
Die Stichprobe umfasste zu t1 239 Schüler/innen, wobei 158 der Experimentalgruppe und 81
der Kontrollgruppe angehörten. Die Kontrollgruppe verringerte sich bei den Postmessungen
um fünf Personen. Der Dropout bei der Experimentalgruppe lag höher, in dieser Gruppe
konnten 87 vollständige Datensätze erhoben werden.
3.6 Ergebnisse
In diesem Abschnitt werden zunächst soziodemographische Merkmale und relevante
Mediennutzungsdaten der Stichprobe dargestellt. Dann werden Kennwerte zur Überprüfung
der Messmittel angegeben. Im Hauptteil wird dann über die Ergebnisse der summativen
Evaluation berichtet. Diese sind differenziert in die Skalen Berichtende Sendungsarten und
Erzählende Sendungsarten, in die Items Werkkategorien und die Skala
Strategierepräsentation.
3.6.1 Stichprobenbeschreibung
Die Altersverteilungen innerhalb der Experimental- und Kontrollgruppe sind vergleichbar. In
beiden Gruppen sind SchülerInnen mit einem Alter von 13 Jahren am häufigsten vertreten,
auch das Durchschnittsalter liegt bei ca. 13 Jahren (Abbildung 8).
79
0
20
40
60
80
100
EG 1,9 8,9 26,6 36,7 19 5,7
KG 0 2,5 24,7 51,9 17,3 3,7
10 11 12 13 14 15
Mittelwert SD
EG 12,80 (1,1)
KG 12,95 (0,8)
Abbildung 8: Altersverteilung, Häufigkeiten in Prozent
Hinsichtlich der Geschwisteranzahl und des Geschlechterverhältnisses – in beiden Gruppen
überwiegen die männlichen Schüler zu einem geringen, vergleichbaren Anteil – zeigen sich
ebenfalls keine nennenswerten Unterschiede.
Das Verhältnis von SchülerInnen mit deutscher Muttersprache zu anderen
Muttersprachen liegt ungefähr bei zwei Drittel zu einem Drittel. In der Experimentalgruppe
sind die SchülerInnen mit nicht-deutscher Muttersprache etwas häufiger vertreten als in der
Kontrollgruppe (Abbildung 9).
0
20
40
60
80
100
deutsch 58,1 69,1
nicht deutsch 41,9 30,9
EG KG
Abbildung 9: Muttersprache, Häufigkeiten in Prozent
80
3.6.2 Daten zur Mediennutzung
Zunächst wurden die SchülerInnen anhand geschlossener Antwortvorgaben gefragt, wie
häufig sie fernsehen (Abbildung 10).
0
20
40
60
80
100
Gesamt 70,3 21,8 4,2 2,1
EG 70,1 24 3,2 2,6
KG 74,1 18,5 6,2 1,2
jeden Tagmehrmals pro
Woche
nur am
Wochenende
1 mal pro
Woche
Abbildung 10: „Wie oft siehst Du fern?“, Angaben in Prozent
Die überwiegende Mehrheit der SchülerInnen in Experimental- und Kontrollgruppe gibt an,
jeden Tag fern zu sehen. Jeweils ca. ein Fünftel der SchülerInnen gibt an, mehrmals pro
Woche zu schauen. Der Anteil derer, die nur am Wochenende oder einmal pro Woche
schauen, liegt deutlich darunter. Experimental- und Kontrollgruppe unterscheiden sich nur
geringfügig.
Anschließend wurden die SchülerInnen gefragt, wie lange sie in einem solchen Fall
fernsehen. Erfragt wurde damit die Dauer eines Einzelereignisses, unabhängig von der
Häufigkeit bzw. Frequenz, mit der die SchülerInnen fernsehen. Wenn der Fernseher
eingeschaltet wird, läuft er nach übereinstimmender Angabe von Experimental- und
Kontrollgruppe durchschnittlich 2,6-2,7 Stunden.
Eine weitere, für die vorliegende Arbeit relevante Frage ist, ob die SchülerInnen einen
eigenen Fernseher in ihrem Zimmer haben (Abbildung 11).
81
0
20
40
60
80
100
Gesamt 59,1
EG 55,8
KG 65,4
eigener Fernseher
Abbildung 11: „Hast Du einen eigenen Fernseher in Deinem Zimmer?“ Angaben in Prozent
Die Frage beantwortet eine knappe Mehrheit der SchülerInnen positiv. Zwischen EG und KG
besteht ein Unterschied von ca. 10%.
3.6.3 Qualität der Messmittel
Für die einzelnen Skalen und Items werden im Folgenden Kennwerte für die
Rohwerteverteilung, die Itemschwierigkeiten, die Homogenität und die Interne Konsistenz
angegeben (vgl. Abschnitt 3.3.1). Zunächst sind die Rohwerteverteilungen grafisch
dargestellt:
Skalen Formatwissen
0
20
40
60
80
100
Häufigkeit 3 10 22 40 51 39 31 18 4 17
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Abbildung 12: Rohwerteverteilung des Index’ Berichtende Sendungsarten, absolute Häufigkeiten, maximale Punktzahl: 9
82
Die Rohwerte des Index’ Berichtende Sendungsarten decken den gesamten Wertebereich ab.
Der Modus liegt bei 4 und damit in der Mitte des Wertebereichs. Dennoch weicht die
Verteilung signifikant von der Normalverteilung ab.
0
20
40
60
80
100
Häufigkeit 19 65 84 53 6 8
0 1 2 3 4 5
Abbildung 13: Rohwerteverteilung des Index’ Erzählende Sendungsarten, absolute Häufigkeiten, maximale Punktzahl: 5
Auch die Rohwerte des Index’ Erzählende Sendungsarten decken den gesamten Wertebereich
ab. Mit einem Modus von 2 ist die Verteilung leicht linkssteil. Auch hier liegt eine
signifikante Abweichung von der Normalverteilung vor.
Werkkategorien
0
50
100
150
200
Häufigkeit 73 162
richtig falsch0
50
100
150
200
Häufigkeit 73 162
richtig falsch
Abbildung 14: Rohwerteverteilung des Items zur Werkkategorie Non-Fiction, absolute Häufigkeiten
Abbildung 15: Rohwerteverteilung des Items zur Werkkategorie Fiction, absolute Häufigkeiten
Das Item zur Werkkategorie Fiction haben deutlich mehr SchülerInnen falsch beantwortet,
ohne dass man jedoch von einem Bodeneffekt sprechen könnte. Es ist bemerkenswert, dass
das Item zur Werkkategorie Non-Fiction exakt dieselbe Verteilung aufweist, wie das zur
Kategorie Fiction.
83
Strategierepräsentation
0
20
40
60
80
100
Häufigkeit 5 4 12 12 21 22 28 28 34 31 13 8 11
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Abbildung 16: Rohwerteverteilung des Index’ Strategierepräsentation, absolute Häufigkeiten, maximale Punktzahl: 12
Die Rohwerteverteilung der Skala Strategierepräsentation deckt den gesamten Wertebereich
ab. Mit einem Modus bei 8 ist sie rechtssteil, ohne dass man jedoch von einem Deckeneffekt
sprechen könnte.
In Tabelle 8 sind Schwierigkeit, Homogenität und interne Konsistenz (Cronbachs α)
für die einzelnen Skalen und Item angegeben.
Tabelle 8: Schwierigkeit, Homogenität und Cronbachs α der Skalen und Items
Skala/Item Schwierigkeit Homogenität Cronbachs α
Berichtende Sendungsarten .51 .129 .573
Erzählende Sendungsarten .39 .066 .253
Werkkategorie Non-Fiction .31 - -
Werkkategorie Fiction .31 - -
Strategierepräsentation .55 .263 .584
Die Schwierigkeiten der Skalen zum Formatwissen und zur Strategierepräsentation liegen im
optimalen mittleren Bereich. Die Items zu den Werkkategorien sind eher schwierig, lassen so
aber auch genügend Spielraum, um eventuelle Trainingseffekte gut abbilden zu können.
Homogenität und interne Konsistenz (Cronbachs α) sind bei den Erzählenden
Sendungsarten recht niedrig. Optimale Werte ergeben sich hier für die Indizes Berichtende
Sendungsarten und Strategierepräsentation (vgl. Abschnitt 3.3.1).
84
3.6.4 Summative Evaluation des Trainings
3.6.4.1 Formatwissen
Erster Index im Bereich Formatwissen ist Berichtende Sendungsarten. Er umfasst 9 Items, bei
denen es Aufgabe der SchülerInnen war, die im Training vermittelten Formate der richtigen
Beschreibung zuzuordnen. In Abbildung 17 sind die Ergebnisse grafisch dargestellt:
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
EG 4,53 6,38
KG 4,43 4,16
prä post
Abbildung 17: Index Berichtende Sendungsarten, Mittelwerte, Prä-Post-Vergleich
Es zeigt sich hier ein deutlicher Anstieg innerhalb der Trainingsgruppe bei leichtem Absinken
der Kontrollgruppe. Die SchülerInnen, die am Training teilgenommen haben, konnten sich im
Durchschnitt um beinahe eine Standardabweichung verbessern (vgl. Tabelle 9).
Tabelle 9: Mittelwerte und Standardabweichungen, Index Berichtende Sendungsarten
Prä SD Post SD
EG 4,53 (2,1) 6,38 (2,2)
KG 4,43 (2,1) 4,16 (2,1)
Tabelle 10: Signifikanzwerte und Effektstärke, Index Berichtende Sendungsarten, *=p<.05
Signifikanz dkorr
Haupteffekt .000*
Interaktionseffekt .000* 0.99
Der deutliche Anstieg führt zu einem signifikanten Haupteffekt über die Zeit, doch auch der
Interaktionseffekt wird signifikant. Die Effektstärke erreicht mit dkorr=.99 ein hohes Niveau
und steht damit für einen großen Effekt.
85
Der zweite Index im Bereich Formatwissen ist Erzählende Sendungsarten. Auch hier war die
Zuordnung von Formaten zu einer richtigen Beschreibung gefordert. In Abbildung 18 sind die
Ergebnisse grafisch dargestellt:
0
1
2
3
4
5
prä post
EG
KG
Abbildung 18: Index Erzählende Sendungsarten, Mittelwerte, Prä-Post-Vergleich
Der Anstieg der Trainingsgruppe beträgt hier durchschnittlich beinahe zwei
Standardabweichungen (vgl. Tabelle 11), was einen noch deutlicheren Anstieg bedeutet, als
es beim Index Berichtende Sendungsarten der Fall war. Die SchülerInnen der Kontrollgruppe
schneiden zum zweiten Messzeitpunkt minimal besser ab als zum ersten Messzeitpunkt, die
SchülerInnen der Trainingsgruppe können sich hiervon jedoch eindeutig absetzen.
Tabelle 11: Mittelwerte und Standardabweichungen, Index Erzählende Sendungsarten
Prä SD Post SD
EG 1,98 (1,0) 3,95 (1,4)
KG 1,96 (1,2) 2,18 (1,2)
Tabelle 12: Signifikanzwerte und Effektstärke, Index Erzählende Sendungsarten, *=p<.05
Signifikanz dkorr
Haupteffekt .000*
Interaktionseffekt .000* 1.33
Haupt- und Interaktionseffekt werden auch bei diesem Index signifikant, die Effektstärke von
dkorr=1.33 liegt im Bereich einer ganzen Standardabweichung – ein großer Effekt.
86
3.6.4.2 Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien
Bei dem Item zur Werkkategorie Non-Fiction war gefordert, die Bezeichnung Berichtende
Sendungsarten mit der korrekten Aussage „Sendungsarten, die über die Wirklichkeit
berichten“ zu verbinden.
0
20
40
60
80
100
EG 33,1 50
KG 27,2 23,7
prä post
Abbildung 19: Richtige Aussagen zum Wirklichkeitsanspruch von Non-Fiction, Angaben in Prozent
In der Experimentalgruppe vergrößert sich der Anteil korrekter Antworten vom ersten zum
zweiten Messzeitpunkt um 17%. Der Anteil in der Kontrollgruppe ist dagegen noch leicht
rückläufig.
Tabelle 13: Prädiktoren in der binären logistischen Regression, Item Non-Fiction, *=p<.05
Signifikanz Nagelkerkes R²
Prä-Messwert .456
Post-Messwert .000* .098
Die Aufnahme des Prä-Messwertes in die Regressionsgleichung ergibt keine
signifikante Verbesserung der Vorhersagegüte des Modells. Der durch die Methode
Einschluss miteinbezogene Post-Messwert bewirkt dagegen eine signifikante Verbesserung.
Durch die Aufnahme des Post-Messwertes in die Regressionsgleichung kann Zugehörigkeit
zu EG oder KG signifikant besser vorhergesagt werden. Die Effektgröße entspricht mit einem
R² von .1 einem kleinen Effekt.
87
Bei dem Item zur Werkkategorie Fiction war gefordert, die Bezeichnung Erzählende
Sendungsarten mit der korrekten Aussage „Sendungsarten, in denen erfundene Geschichten
gezeigt werden“ zu verbinden.
0
20
40
60
80
100
EG 33,1 38,8
KG 27,1 21,1
prä post
Abbildung 20: Richtige Aussagen zum Wirklichkeitsanspruch von Fiction, Angaben in Prozent
In der Experimentalgruppe vergrößert sich der Anteil korrekter Antworten vom ersten zum
zweiten Messzeitpunkt um ca. 6%. Der Anteil in der Kontrollgruppe ist dagegen leicht
rückläufig.
Tabelle 14: Prädiktoren in der binären logistischen Regression, Item Fiction, *=p<.05
Signifikanz Nagelkerkes R²
Prä-Messwert .437
Post-Messwert .017* .05
In Bezug auf die logistische Regression gilt dasselbe, was oben für die Kategorie Non-Fiction
gesagt wurde: Durch die Aufnahme des Post-Messwertes in die Regressionsgleichung kann
Zugehörigkeit zu EG oder KG signifikant besser vorhergesagt werden. Die Effektgröße ist
hier mit einem R² von .05 ebenfalls klein.
88
3.6.4.3 Strategierepräsentation
Im Bereich Strategierepräsentation wurde die Bewertung der vier Strategien (vgl. Tabelle 6,
Abschnitt 3.2) zu einem Gesamtwert gemittelt. Der Skalenwert repräsentiert die
durchschnittlich eingeschätzte Nützlichkeit dieser vier Vorgehensweisen. Der Maximalwert
ist dabei 3 („sehr nützlich“; vgl. Abschnitt 3.2.2). In Abbildung 21 sind die Ergebnisse
grafisch dargestellt:
0
0,5
1
1,5
2
2,5
3
prä post
EG
KG
Abbildung 21: Index Strategierepräsentation, Mittelwerte, Prä-Post-Vergleich
Die Experimentalgruppe erfährt zum zweiten Messzeitpunkt einen Anstieg um ca. eine halbe
Standardabweichung (vgl. Tabelle 15). Die Kontrollgruppe liegt zum ersten Messzeitpunkt
noch knapp über der Experimentalgruppe, fällt zum zweiten Messzeitpunkt leicht ab und liegt
dann unter dem Wert der Experimentalgruppe.
Tabelle 15: Mittelwerte und Standardabweichungen, Index Strategierepräsentation
Prä SD Post SD
EG 1,66 (0,70) 1,9 (0,63)
KG 1,75 (0,76) 1,69 (0,69)
Tabelle 16: Signifikanzwerte und Effektstärke, Index Strategierepräsentation, *=p<.05
Signifikanz dkorr
Haupteffekt .089
Interaktionseffekt .007* .44
89
Der Anstieg in der Experimentalgruppe bei gleichzeitigem leichtem Absinken der
Kontrollgruppe führt zu einem signifikanten Interaktionseffekt. Der Haupteffekt ist nicht
signifikant. Die Größe der Veränderung liegt mit einer Effektstärke von dkorr=.44 im
mittleren Bereich.
Dabei erfährt der Distraktor (Item 48) keine signifikante Veränderung, wie Tabelle 17 zeigt.
Tabelle 17: Distraktor-Item, Mittelwerte und Signifikanz des Interaktionseffekts, *=p<.05
Prä Post Sig. Interaktionseffekt
EG 1,50 1,71 .240
KG 1,61 1,55
90
4 Diskussion
In der vorliegenden Arbeit ist es gelungen, die theoretischen Reflektionen in eine
praxisbezogene Intervention umzusetzen und erfolgreich zu evaluieren. Dazu war es zunächst
notwendig, einen Begriff der „Wirklichkeit“ zu etablieren, der sich nicht in
erkenntnistheoretischen Aporien verliert (Abschnitt 2.1.4). Über eine differenzierte Kritik an
poststrukturalistischen und kritischen-materialistischen Theorien wurde sodann verdeutlicht,
dass es gerade wegen der heute in Frage stehenden Grenzkonstruktionen zwischen Realität
und Fiktion Sinn macht, über ein theoretisches Konzept nachzudenken, das es erlaubt, deren
Verhältnis in den Blick zu nehmen (Abschnitt 2.1.3). Um dies leisten zu können, waren
zunächst umfangreiche theoretische Vorarbeiten notwendig, die sich intensiv mit dem
literaturwissenschaftlichen Begriff der Fiktion beschäftigten und die entsprechenden
Konzepte auf das Fernsehen bezogen (Abschnitt 2.3). Auf dieser Grundlage wurde dann ein
Modell (nach Rothmund et al., 2001b) vorgestellt, das die verschiedenen Perspektiven auf
drei Ebenen integriert. Dieses erlaubte es, die zuvor vor allem fokussierte Ebene der medialen
Produkte systematisch mit der Ebene der Rezeption in Verbindung zu bringen (Abschnitt 2.4).
Mithilfe dieses Modells konnte es zum einen gelingen, spezifische Kompetenzen zu
extrahieren, die Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen zugrunde liegen (Abschnitt 2.5). Zum
anderen konnte auf dieser Basis ein praxisbezogenes Trainingsprogramm vorgestellt werden,
das genau diese Kompetenzen gezielt fördert und damit den empirisch nachgewiesenen
Schwächen von jugendlichen HauptschülerInnen in eben diesen Bereichen begegnet
(Abschnitte 2.6 und 2.7).
Die Ergebnisse der empirischen Evaluationsstudie werden im Folgenden interpretiert.
Daran anschließend wird zum Abschluss dieser Arbeit noch einmal das Verhältnis von
Theorie und Praxis diskutiert.
4.1 Stichprobe
In Bezug auf den Verlauf der Stichprobengröße fällt zunächst die relativ hohe Dropout-Rate
in der Experimentalgruppe auf. 37% der SchülerInnen, von denen zum ersten Messzeitpunkt
Daten erhoben wurden, haben das Training nicht beendet oder gar nicht erst begonnen.
Hauptursache für die hohen Raten ist die „Mortalität“ von vier ganzen Klassen. In allen vier
Fällen wurde glaubhaft versichert, dass kein Zusammenhang zum Manualkonzept oder dessen
91
Inhalten bestand, sondern dass es sich lediglich um eine zeitlich-organisatorische Problematik
handelte. Eine der Lehrkräfte hat die Schule verlassen und daher auch das Training nicht
beendet. In einer weiteren Klasse wurde das Training zwar beendet, die Datenerhebung
geschah jedoch zu spät, um noch in die Analyse miteinbezogen werden zu können.
Dennoch bleibt die Frage, ob unter Umständen Prätest-Unterschiede für die hohen
Dropout-Raten verantwortlich sind, etwa in dem Sinne, dass nur die leistungsstärksten
Klassen das Training zu Ende gebracht haben, was die Ergebnisse verfälschen würde
(„selektiver Dropout“, vgl. Metzler & Krause, 1997, S. 59). Um dies zu prüfen, wurden die
Prä-Messwerte der Abbrecher mit denen der Nicht-Abbrecher verglichen. Dabei konnten
keinerlei bedeutsame Unterschiede zwischen diesen Gruppen gefunden werden. In Bezug auf
diesen Punkt ist die Validität der Ergebnisse also gesichert.
Da es sich bei der vorliegenden Evaluationsstudie um ein quasi-experimentelles
Design handelt, soll auf die Vergleichbarkeit von Experimental- und Kontrollgruppe vor der
Intervention besonderer Wert gelegt werden. Hinweise auf die Repräsentativität der
Gesamtstichprobe in Bezug auf relevante Variablen der Mediennutzung gibt der Vergleich
mit den Daten der JIM Studie (Kutteroff & Behrens, 2007). Beides soll im Folgenden
thematisiert werden.
Das Durchschnittsalter ist in Experimental- und Kontrollgruppe nahezu identisch. Dies
ist wegen der untersuchten Klassenstufen nicht ungewöhnlich, aber in Bezug auf
reifungsbedingte Veränderungen keineswegs irrelevant. In der Gesamtstichprobe sind ca.
87% Prozent der SchülerInnen zwischen 12 und 14 Jahre alt. Die Gesamtstichprobe entspricht
somit, bis auf wenige Ausnahmen, der Zielgruppe des Trainings hsTV.
In Bezug auf die Muttersprache fällt zunächst der relativ hohe Anteil an nicht-
deutschen Muttersprachlern auf. Dieser ist in der EG noch etwa 10% höher als in der KG.
Diese Unterschiede sind jedoch nicht signifikant (Chi²-Test: p=.12) und damit in Bezug auf
die Berechnungen vernachlässigbar.
4.2 Daten zur Mediennutzung
Die erhobenen Daten zur Häufigkeit des Fernsehkonsums in der Gesamtstichprobe decken
sich mit denen der JIM-Studie (Kutteroff & Behrens, 2007), die an einer repräsentativen
Stichprobe erhoben wurden. Dabei liegen die Unterschiede zum Beispiel in Bezug auf den
Fernsehkonsum „jeden Tag/ mehrmals pro Woche“ im Bereich einer Nachkommastelle (92%
92
in der JIM-Studie und 92,1% in der vorliegenden Stichprobe) und sind damit
bemerkenswerter Weise nahezu identisch. Die Unterschiede zwischen EG und KG in der
vorliegenden Stichprobe sind ebenfalls sehr gering und damit zu vernachlässigen. Dasselbe
gilt für die Dauer des Fernsehkonsums. Auch hier unterscheiden sich EG und KG nicht und
die Angaben der Gesamtstichprobe decken sich exakt mit denen der JIM-Studie (vgl.
Abschnitt 2.6). Gerade Dauer und Frequenz des Fernsehkonsums wurden in Abschnitt 2.6
(Medienkompetenz) als zentrale Einflussvariablen auf die Fähigkeit zu Realitäts-Fiktions-
Unterscheidungen herausgearbeitet. Hier sind die Repräsentativität der Gesamtstichprobe und
die Vergleichbarkeit von EG und KG sichergestellt.
Kleinere Unterschiede zwischen der Gesamtstichprobe und den Daten der JIM-Studie
ergeben sich in Bezug auf den eigenen Fernseher im Zimmer. Hier liegt der in der
vorliegenden Stichprobe gefundene Anteil etwa 14% unter dem der JIM-Studie. Das bedeutet
nach der Argumentation in Abschnitt 2.6 eine leicht günstigere Ausgangsposition der
untersuchten SchülerInnen im Vergleich zur Gesamtpopulation, die jedoch aufgrund ihrer
Größe nicht weiter ins Gewicht fallen sollte. Wichtiger ist hier der Unterschied zwischen
Experimental- und Kontrollgruppe innerhalb der vorliegenden Stichprobe, beträgt dieser doch
beinahe 10%. Eine nähere statistische Analyse ergibt jedoch, dass dieser Unterschied nicht
signifikant und damit vernachlässigbar ist (Chi²-Test: p=.165).
4.3 Qualität der Messmittel
Hier ist zunächst die Frage nach der Normalverteilung der Rohdaten zu stellen. Zwar ergibt
der Kolmogorov-Smirnov-Test bei allen drei Skalen eine signifikante Abweichung von der
Normalverteilung, diese Verletzung ist jedoch hinzunehmen, weil das N in der vorliegenden
Studie deutlich größer als 30 ist (vgl. Bortz & Döring, 2006, S. 218; bzw. Abschnitt 3.3.1).
Die recht geringen Werte der Homogenität und internen Konsistenz bei der Skala
Erzählende Sendungsarten sind aus zwei Gründen hinnehmbar: Zum einen muss beachtet
werden, dass die Skala nur fünf Items umfasst, was zu einer tendenziellen Unterschätzung der
internen Konsistenz durch Cronbachs α führt. Zum anderen ist die Skala durch die
Trainingsinhalte so begründet, dass sie genau das gelernte Wissen abfragt und daher nicht
zugunsten einer homogeneren Skala verändert werden sollte. Wichtiger ist die Forderung
nach Eindimensionalität bei der Skala Strategierepräsentation, da hinter dieser ein
93
übergeordnetes Konstrukt „RFU-Kompetenz“ vermutet wird. Hier sind die Werte der internen
Konsistenz hervorragend.
Als Fazit der empirischen Überprüfung der Messmittel kann festgehalten werden, dass
sie insgesamt den gängigen Qualitätsmerkmalen genügen und also für den Einsatz in der
Praxis geeignet sind. Es ist gelungen, den Fragebogen so zu konzipieren, dass die
SchülerInnen weder unter- noch überfordert werden und vorhandene Veränderungen in
optimaler Weise erfasst werden können. Die oben vorgestellten Daten können also sinnvoll
interpretiert werden, was im nächsten Abschnitt geschehen soll.
4.4 Summative Evaluation
Fragestellung 1: Formatwissen
Die Ergebnisse im Bereich Formatwissen sind sehr gut. Die Effektgrößen übertreffen
mit .99 bzw. 1.33 noch den per Konvention festgelegten „großen Effekt“ (Cohen, 1988; vgl.
auch Abschnitt 3.3.2.1). Mit der Absicherung des Ergebnisses gegen den Zufall durch die
statistische Signifikanzprüfung kann in Bezug auf Fragestellung 1 (Abschnitt 3.1) die H0
verworfen werden. Nach der Datenlage kann damit angenommen werden, dass das Training
im Bereich Formatwissen sehr wirksam ist.
Das ist aus zwei Gründen von besonderer Bedeutung. Erstens wurden von Biermann
und Schulte (1996, S. 117f.) gerade in diesem Bereich eklatante Wissensdefizite bei
HauptschülerInnen festgestellt. Demnach konnten knapp 50% der HauptschülerInnen
verschiedene Formate nicht auseinander halten (vgl. Abschnitt 2.6). Zweitens stellt das
Formatwissen die wohl wichtigste Grundlage für fernsehbezogene Kompetenzen im
Allgemeinen und Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen im Speziellen dar (Abschnitt 2.5.2.1).
Dieses Wissen ist Vorraussetzung für alle weiteren Kompetenzen. Daher sind die sehr guten
Effekte gerade in diesem Bereich sehr erfreulich.
Fragestellung 2: Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien
In Bezug auf das Wissen um den Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien konnte in
beiden Bereichen – Fiction und Non-Fiction – eine signifikante Verbesserung in der
Experimentalgruppe erreicht werden. Die Ergebnisse in diesem Bereich sind zufrieden
stellend. Auch hier kann in Bezug auf Fragestellung 2 (Abschnitt 3.1) die H0 verworfen
werden.
94
Allerdings sind die Bestimmtheitskoeffizienten R² mit .1 bzw. .05 vergleichsweise
klein.44 Es fragt sich, ob die Ursachen hierfür in den entsprechenden Einheiten des Trainings
zu suchen sind. Hier wurde der Unterschied zwischen den Werkkategorien jedoch sehr
explizit und ausführlich thematisiert. Dazu kam die deutliche Trennung zwischen Sitzung 2
und 3 und die unterschiedlichen Farben der Plakate zu „Berichtenden und Erzählenden
Sendungsarten“ (vgl. Abschnitt 2.7).
Ein anderer, plausiblerer Grund für die eher kleinen Effekte könnte in
messtechnischen Problemen liegen. Wie in Abschnitt 3.2.1 (Operationalisierungen)
beschrieben wurde, befanden sich die beiden Items in einem Pool von insgesamt 8 Items, die
entweder Distraktoren waren oder allgemeine Begriffe zum Thema Fernsehen abfragten (vgl.
den Fragebogen im Anhang, S. 5). Diese allgemeinen Begriffe wurden im Training nicht sehr
ausführlich behandelt, was zu durchgehend schlechten Ergebnissen in diesem Bereich des
Fragebogens geführt hat. So ist es denkbar, dass das fehlende Wissen über die allgemeinen
Begriffe unter Umständen zu einer Demotivation beim Ausfüllen des Bogens geführt hat, von
dem auch die Items zum Wirklichkeitsanspruch betroffen waren.
Fragestellung 3: Strategierepräsentation
Die Ergebnisse im Bereich Strategierepräsentation sind ebenfalls gut. Die
Experimentalgruppe erfährt eine signifikante Steigerung der eingeschätzten Nützlichkeit der
einzelnen Strategien. Damit kann auch in Bezug auf Fragestellung 3 (Abschnitt 3.1) die H0
eindeutig verworfen werden. Der mittelgroße Effekt von .44 bescheinigt den gefunden
Gruppenunterschieden eine ausreichende Größe, um für die Praxis relevant zu sein.
Dies ist erfreulich, weil hier offenbar die in Abschnitt 2.6 herausgearbeiteten
Schwächen der Zielgruppe im Bereich Verarbeitungsstrategien zum Teil kompensiert werden
konnten. Den Problemen der Zielgruppe, „Verbindungen zwischen Informationen aus dem
Text und allgemeinem Alltagswissen herzustellen“ (Artelt et al. 2001, S. 12), wurde gezielt
begegnet, indem eine ebensolche Strategie erlernt und am praktischen Beispiel geübt wurde.
Dies war offenbar erfolgreich.
Als Fazit zu den Ergebnissen der Evaluationsstudie lässt sich festhalten, dass das
Training im Bereich Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen wirksam ist. Die guten Ergebnisse
der Evaluation lassen darauf schließen, dass das theoretische Konzept auch als Grundlage für
eine praxisbezogene Intervention geeignet ist. Die in den Abschnitten zur Theorie geleisteten
44 Man beachte jedoch die Konventionen, die für regressionsanalytische Verfahren nicht die für Mittelwertsunterschiede üblichen Stufen von .2/.5/.8 vorsehen, sondern die Stufen .02/.15/.35 (vgl. Bortz und Döring, 2002, S. 604).
95
umfangreichen Vorarbeiten waren also von Nutzen. Um das Verhältnis von Theorie und
Praxis in der vorliegenden Arbeit soll es im nächsten Abschnitt noch ausführlicher gehen.
4.5 Kritische Reflektion
Ein schwieriges Problem der Arbeit war die Umsetzung der hochkomplexen Theorie in ein
praxisbezogenes Training. Dabei galt es, die erarbeiteten theoretischen Konzepte zum
Verhältnis von Realität und Fiktion so zu vermitteln, dass jugendliche HauptschülerInnen
davon profitieren können. Beachtet werden musste auch, dass für den Bereich Realitäts-
Fiktions-Unterscheidungen innerhalb des gesamten Trainings hsTV nur eine begrenzte Zeit
zur Verfügung stand.
Hier konnte mit der Explizierung und Vermittlung kognitiver Strategien ein guter Weg
gefunden werden, dennoch eine wirksame und für die HauptschülerInnen hilfreiche
Intervention zu gestalten. Die Jugendlichen bekommen so ein hilfreiches „Werkzeug“ an die
Hand, sich in den unübersichtlichen Grenzen und Grenzüberschreitungen zwischen Realität
und Fiktion zurecht zu finden. Allerdings ist, bedingt durch den begrenzten zeitlichen
Rahmen, die darstellungsbezogen-formale Ebene des drei Ebenen Modells im Training nicht
explizit berücksichtigt worden (vgl. Abschnitt 2.7.2). Es ist sicher eine spannende Aufgabe
für zukünftige Arbeiten, diese Ebene auf ähnliche Weise wie die inhaltlich-semantische
Ebene in einem Training zu konzeptualisieren. Es scheinen jedoch zuvor noch weitere
produktorientierte Vorarbeiten in diesem Bereich nötig zu sein, um für die Umsetzung auf
ähnlich elaborierte Konzepte zurückgreifen zu können (vgl. Abschnitt 2.3.1). Grundsätzlich
hat das theoretische Konzept in der vorliegenden Arbeit sehr umfangreiche Vorarbeiten nötig
gemacht, auf die auch in Zukunft aufgebaut werden kann.
Dabei zeichnet sich das hier erarbeitete Konzept durch seine große Strukturiertheit bei
gleichzeitiger Offenheit aus. Auf seiner Grundlage sind zum Beispiel auch Untersuchungen
denkbar, die weniger versuchen, vorgegebenes Strategiewissen zu vermitteln, sondern eher
bei den von den SchülerInnen intuitiv angewandten Strategien ansetzen. Es ist zu vermuten,
dass hier mit den richtigen, diagnostisch sensitiven Instrumenten zu Tage tritt, was dann
wiederum für Interventionen genutzt werden kann.
Die empirische Studie bescheinigt dem Training hervorragende Effekte. Um
Interpretier- und Generalisierbarkeit der Ergebnisse bewerten zu können, sei in Bezug auf
aktuelle Diskussionen in der Evaluationsforschung (Cook & Shadish, 1994; Christiansen,
96
2001) noch das Verhältnis von interner und externer Validität angesprochen (vgl. Bortz &
Döring 2002, S. 504ff.).
Die interne Validität dieser Ergebnisse kann im Rückblick als gesichert angesehen
werden. Dies gilt mit den in Abschnitt 3.4 thematisierten Einschränkungen, die sich aus dem
quasiexperimentellen Charakter der Evaluationsstudie ergeben und von daher grundsätzlich
die Interpretierbarkeit der Ergebnisse gefährden. Da sich diese Gefährdungen vor allem aus
vor der Untersuchung vorhandenen Unterschieden zwischen Experimental- und
Kontrollgruppe ergeben, ist auf diese besonders geachtet worden. Die Auswertung und
Interpretation der Prätest-Daten in den Abschnitten 3.6.1 und 3.6.2 hat ergeben, dass diese
Vergleichbarkeit in Bezug auf relevante Variablen sichergestellt ist. Dies gilt sowohl für die
soziodemgraphischen Merkmale, als auch für die in diesem Zusammenhang besonders
wichtigen Mediennutzungsdaten. Außerdem hat die Betrachtung der Dropouts in Abschnitt
4.1 ergeben, dass kein Zusammenhang zu den Leistungen der SchülerInnen besteht.
Der quasiexperimentelle Charakter der Untersuchung als Feldstudie wurde in Kauf
genommen, um eine besonders hohe ökologische Validität zu gewährleisten. Diese ist in
zweifacher Hinsicht berücksichtigt worden. Zum einen durch die Durchführung des Trainings
in der natürlichen Unterrichtsstruktur mit den LehrerInnen als TrainerInnen. Zum anderen
innerhalb der einzelnen Sitzungen durch den intensiven Einsatz von Fernsehausschnitten, die
es möglich machten, die erlernten Strategien direkt am praktischen Beispiel anzuwenden. In
der klassischen „UTOS“-Notierung von Cronbach (1982)45 sind dies Aspekte der
Generalisierbarkeit, die das Treatment (praktische Beispiele aus dem Fernsehprogramm, von
LehrerInnen vermittelt) und das Setting (Schulkontext) betreffen.
Als Ansatzpunkt für weitere Forschungen im Bereich Realitäts-Fiktions-
Unterscheidungen bietet sich der Aspekt „Observations“ an, also die Frage nach der
Generalisierbarkeit der Messungen. Die hier benutzten Messinstrumente hatten die Aufgabe,
Effekte dieses speziellen Trainings abzubilden. Dabei wurde die ökologische Validität bei der
Formulierung des Fragebogens durchaus berücksichtigt (vgl. Abschnitt 3.2). Interessant wäre
es allerdings auch, ein Messmittel (u.U. auch ein halbstrukturiertes Interview) zu entwickeln,
das es erlaubt, direkt im Rezeptionsprozess angewandte Kompetenzen zu erheben. Ein
solches Instrument könnte zum einen helfen, die Wirksamkeit des vorliegenden Trainings
weiter zu validieren. Zum anderen würden die Ergebnisse solcher Untersuchungen sicher
weitere Interventionsmöglichkeiten im Bereich Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen
aufzeigen. 45 Dabei steht UTOS für die Generalisierbarkeit von: Units, Treatments, Observations und Settings (vgl. auch Cook & Shadish, 1994, S. 550f.).
97
Die Ausarbeitung eines für solche weiteren Untersuchungen notwendigen, auf die Praxis
bezogenen theoretischen Unterbaus, ist mit der vorliegenden Arbeit geleistet worden.
98
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106
6 Anhang
___________________________________________
Hallo! Dieser Fragebogen ist „anonym“. Das heißt, Dein Name soll nicht draufstehen, damit niemand Fremdes wissen kann, wer von Euch welche Antworten gegeben hat. Wir geben den Fragebogen auch niemandem weiter, der Euch kennt, nicht an Eure Eltern und nicht an Eure Lehrer/in. Der bleibt geheim, versprochen! Da Du aber mehrere Fragebogen ausfüllen wirst, ist es für uns wichtig, zu wissen, welche zusammen zu einer Person gehören. Damit wir das zuordnen können, fülle bitte dieses Feld mit Deinen Anfangsbuchstaben und Deinem Geburtsdatum aus:
_____ _____ _____ _____ 19_____ Und dieses Feld mit Deiner Klasse: _______
1. Buchstabe Vorname
1. Buchstabe Nachname
Geburts-Tag
Geburts-Monat
Geburts-Jahr
Klasse
107
Wir möchten Dir gern ein paar Fragen dazu stellen, wie das so ist, wenn Du Fernsehen schaust. Bitte antworte ehrlich, denn wir wollen wissen, wie das wirklich bei Dir ist und werden es auch keinem verraten! Bitte kreuze bei jeder von diesen Fragen nur ein Kästchen an!
1 Wie oft siehst Du fern? jeden Tag mehrmals pro Woche
nur am Wochen-
Ende
1 mal pro Woche
weniger als 1 mal pro
Woche
2 Wie lange siehst Du dann normalerweise fern?
Stunden
3 Was denkst Du über die Zeit, die Du fernsiehst? weniger
fernsehen wäre gut
das ist genau
richtig so
mehr fernsehen wäre gut
4 Gibt es für Dich eine Regel zum fernsehen? ja nein
5 Wenn ja: Was denkst Du über diese Regel? Ich finde die Regel zu locker
Die Regel ist genau richtig so
Ich finde die Regel zu streng
6 Was denkst Du, wie lange andere Kinder fernsehen? weniger als
ich genauso
lang länger als
ich
7 Hast Du einen eigenen Fernseher in deinem Zimmer? ja nein
Achtung: Bei dieser Frage kannst Du mehrere Kästchen ankreuzen!
8 Wenn Du fernsiehst, wer ist dann ab und zu dabei?
meine Eltern meine
Geschwister
meine Freunde oder Freundinnen
niemand
Bitte bring die Leute, bei denen Du angekreuzt hast, dass die mit Dir zusammen fernsehen, in eine Reihe. Auch wenn Du alleine Fernsehen schaust, kommt das auf einen Platz auf dem Treppchen. Ganz vorne, auf Platz 1, schreibst Du bitte diejenigen oben auf das Treppchen, die am häufigsten mit Dir Fernsehschauen, auf Platz 2 diejenigen, die am zweithäufigsten mit Dir fernsehen, und so weiter. 9 a-d
Platz 1 (am häufigsten) Platz 2
(am zweit-häufigsten)
Platz 3 (am dritt-häufigsten)
Platz 4 (am viert-häufigsten)
108
Auf dieser Seite stehen in den dick umrandeten Kästchen rechts verschiedene Personen. Auf der linken Seite sind verschiedene Aufgaben beschrieben. Eine Aufgabe gehört nur zu einer bestimmten Person. Es gibt für jede Person nur eine richtige Aufgabe, deshalb geht zu jedem dick umrandeten Kästchen nur eine Linie. Auf der linken Seite in den dünn umrandeten Kästchen bleiben deshalb auch Aufgaben übrig. Diese Kästchen werden mit keiner Person verbunden. Bitte verbinde die Aufgaben auf der linken Seite mit der richtigen Person: 10
11
12
13
14
15
16
Nachrichtensprecher
Reporter
Moderator
Experte
entscheidet, wie lange eine Sendung dauert.
führt uns durch die verschiedenen Berichte einer Sendung oder leitet ein Gespräch
muss über Alles Bescheid wissen, was an einem Tag passiert ist
weiß sehr viel über ein bestimmtes Thema und spricht deswegen im Fernsehen darüber
berichtet direkt vom Ort des Geschehens über aktuelle Ereignisse oder führt Interviews mit Augenzeugen und Experten.
präsentiert die Nachrichten
sagt an, welche Sendung als nächstes gezeigt wird
109
Dieses Mal sind auf der linken Seite Beschreibungen für bestimmte Arten von Sendungen in den dünn umrandeten Kästchen. Auf der rechten Seite in den dick umrandeten Kästchen stehen diesmal Begriffe, wie man solche Sendungen nennt. Bitte verbinde diese besonderen Merkmale auf der linken Seite mit dem richtigen Begriff in den dick umrandeten Kästchen auf der rechten Seite. Auch hier bleiben auf der linken Seite wieder Kästchen übrig, die keine Linie bekommen, weil zu jedem dick umrandeten Kästchen nur eine richtige Antwort passt. 17
18
19
20
21
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Magazin
Nachrichten
Ratgeber
Show
Da kann man anrufen und seine Meinung zu einem bestimmten Thema sagen
berichtet über verschiedene Dinge z.B. Promis und Technik
Hier wird zu nur einem Thema oder Ereignis ausführlich berichtet.
ist immer auf dem neusten Stand
Da werden Gäste und ein Publikum eingeladen
Da werden Bücher vorgestellt und von mehreren Gästen bewertet
gibt tolle Tipps für den Alltag
Anruffernsehen
Reportage
Da kann man anrufen und etwas kaufen oder gewinnen
Da kann man anrufen, wenn man Probleme hat
110
Auch hier sollst Du wieder die Erklärungen auf der linken Seite mit dem richtigen Begriff für solche Arten von Sendungen in den dick umrandeten Kästchen auf der rechten Seite verbinden. Von den Erklärungen bleiben auch wieder welche übrig, weil zu jedem Begriff nur eine richtige Erklärung passt. Aber das kennst Du ja jetzt schon. 26
27
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Soap
Serie
Spielfilm
Da wird eine einzige Geschichte von Anfang bis Ende erzählt
zeigt die Welt, wie sie wirklich ist
Da werden viele Geschichten gleichzeitig erzählt, die miteinander verflochten sind
Da wird eine Haupt- und eine Nebengeschichte erzählt
Da werden Geschichten immer so erzählt, dass man darüber lachen kann
111
Und noch mal dasselbe Spiel. Bitte verbinde die Erklärungen auf der linken Seite mit dem richtigen Begriff auf der rechten Seite. Weil es mehr Erklärungen als Begriffe gibt, bleiben dabei auf der linken Seite ein paar Kästchen übrig, das muss so sein, denn für die ist der richtige Begriff nicht dabei. Wichtig ist, dass Du mit jedem der dick umrandeten Begriffskästchen die eine richtige Erklärung verbindest. 31
32
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berichtende
Sendungsarten
Sender
Sendung
Sendungsart
In sich abgeschlossener Teil des Fernsehprogramms
Gruppe von Sendungen, in denen ein Moderator vorkommt
Der Teil, mit dem das Fernsehgerät das Fernsehprogramm empfängt
Sendungsarten, die über die Wirklichkeit berichten
Einrichtung, die Programme produziert oder kauft und sie dann über Antenne oder Satellit ausstrahlt
Sendungsarten, in denen erfundene Geschichten gezeigt werden
Sendungen, in denen mit Spezialeffekten Dinge gezeigt werden, die eigentlich gar nicht möglich sind
Gruppe von ähnlichen Sendungen
erzählende
Sendungsarten
112
Stell Dir mal vor, Du sitzt gemütlich zuhause und siehst Fernsehen. Es läuft eine Sendung, in der eine Geschichte gezeigt wird und du möchtest sie gerne verstehen. Was kannst Du tun, um die Sendung besser zu verstehen? Hier sind verschiedene Möglichkeiten beschrieben, was Du tun kannst, um eine Sendung besser zu verstehen. Dahinter sollst Du auf einer Skala angeben, was Du denkst, wie nützlich jede Möglichkeit ist. 0 bedeutet, Du findest das gar nicht nützlich, 3 bedeutet, Du findest das sehr nützlich, um eine Sendung besser zu verstehen. gar nicht sehr nützlich nützlich
39 Ich kann auf die Personen achten, die vorkommen. 0 1 2 3
40 Ich kann mir überlegen, wie diese Personen sind, was für Eigenschaften sie haben.
0 1 2 3
41 Ich kann darüber nachdenken, welche Gründe die Personen für das haben, was sie tun.
0 1 2 3
42 Ich kann mir überlegen, wer sich die Sendung noch anschaut. 0 1 2 3
43 Ich kann darüber nachdenken, was bisher schon passiert ist. 0 1 2 3
44 Ich kann mir überlegen, wie es weitergehen könnte. 0 1 2 3
45 Ich kann mir überlegen, was für eine Art von Sendung es ist. 0 1 2 3
Was kannst Du tun, um herauszufinden, ob diese Geschichte wirklich passiert sein könnte oder ob die Geschichte ausgedacht und erfunden ist? Auch hier sind verschiedene Möglichkeiten beschrieben, was Du tun kannst und Du sollst wieder angeben, wie nützlich Du diese Möglichkeiten findest. 0 bedeutet wieder, dass Du das gar nicht nützlich findest, 3 bedeutet, dass Du das sehr nützlich findest. gar nicht sehr nützlich nützlich
46 Ich kann mir überlegen, ob das, was da gezeigt wird, überhaupt möglich ist.
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47 Ich kann mir überlegen, was für eine Art von Sendung das ist. 0 1 2 3
48 Ich kann mir überlegen, ob man sich das, was da gezeigt wird, überhaupt ausdenken kann.
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49 Ich kann mir überlegen, ob es die Personen im wirklichen Leben auch gibt oder ob das Schauspieler sind.
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50 Ich kann darüber nachdenken, ob das, was da gezeigt wird, wahrscheinlich ist, ob es oft vorkommt.
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Jetzt möchten wir Dich bitten, zu ein paar Aussagen anzukreuzen, ob das bei Dir so ist, bzw. ob das Deine Meinung ist, oder nicht. Bitte antworte ehrlich. Es gibt wieder vier Möglichkeiten, wie Du antworten kannst:
0.= Ganz falsch! 1.= Eher falsch. 2.= Eher richtig. 3.= Ganz richtig!
Bitte kreuze zu jedem Satz die eine Antwort an, die am besten zu Dir passt. Der erste Gedanke ist dabei oft der beste.
Ganz Eher Eher Ganz falsch! falsch. richtig. richtig!
51 Was ich am Nachmittag mache, hängt davon ab, was im Fernsehen kommt.
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52 Meistens entscheidet der Zufall darüber, was ich mir im Fernsehen anschaue.
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53 Bevor ich lange überlege, was ich tun könnte, schalte ich einfach den Fernseher ein.
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54 Vieles von dem, was in meiner Freizeit passiert, hängt vom Zufall ab.
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55 Ich kenne viele Möglichkeiten, um meinen Nachmittag so zu gestalten wie es mir gefällt.
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56 Wenn ich mir eine Fernsehsendung vorher extra ausgesucht habe, gefällt sie mir auch meistens.
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57 Wenn ich mir für nachmittags etwas vornehme, bin ich mir ganz sicher, dass ich das auch machen werde.
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58 Manchmal weiß ich nicht so richtig etwas mit meiner Zeit anzufangen.
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59 Ich kann vieles tun, um Spaß zu haben und Fernsehen ist eins davon.
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Ob ich mir eine Fernsehsendung vorher aussuche oder nicht, macht keinen Unterschied, weil ich doch nicht weiß, ob sie mir gefallen wird.
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61 Mir fällt meistens etwas ein, was ich tun kann, wenn mir langweilig ist.
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62 Oft ist es mir zu anstrengend, etwas anderes zu planen, dann schaue ich lieber fern.
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63 Ich schaue mir oft Sendungen an, die mir nicht so gut gefallen, weil jemand anderes die gerade sehen will.
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64 Wenn ich ein bisschen suche, finde ich meistens auch eine Sendung, die mir gefällt.
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Was findest Du, ab welchem Alter sollten Kinder fernsehen? _________ Was könnte in einer Sendung gezeigt werden, die Grundschulkinder auf keinen Fall sehen sollten? __________________________________________________________________________
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Warum sollten die das nicht sehen? Was könnte dadurch passieren?
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Hier werden einige Szenen aus verschiedenen Sendungen beschrieben. Du sollst jeweils ankreuzen, für welches Alter eine solche Sendung geeignet ist.
Für welches Alter ist diese Sendung geeignet? 0-6 6-12 12-16 16-18 ab 18
68 Ein Mädchen und ein Junge sitzen knutschend auf einer Couch. Sie flüstert ihm ins Ohr, dass sie nun bereit ist für das „erste Mal“.
69 Ein bei einem Bombenanschlag zerstörter Zug wird gezeigt und ein Sprecher verkündet, dass 18 Menschen bei diesem Anschlag ums Leben gekommen sind.
70 Vier bunte Plüschfiguren hüpfen über eine Wiese, winken und sagen „Hallo“. Da finden sie einen Ball.
71 Eine Party ist im Gange. Es wird getanzt und geflirtet, ein paar trinken Bier. Das Mädchen, das allen Jungs gefällt, steht am Rand der Tanzfläche und raucht.
72 Ein Mann und eine Frau streiten sich. Er brüllt sie an und schlägt ihr ins Gesicht.
73 Man hört einen Schuss und ein Mann rennt weg. Kurz danach biegt eine Fußgängerin um die Ecke, sie bleibt plötzlich stehen, reißt die Augen auf und schreit.
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Ein Mädchen sitzt auf einer schmutzigen Matratze, sie schwitzt stark. Mit zittrigen Händen bindet sie einen Arm ab und spritzt sich eine Flüssigkeit in die Armbeuge. Jetzt lächelt sie und legt sich entspannt zurück.
75 Ein paar Jungs ziehen sich zum Fußballtraining um. Einer macht eine beleidigende Bemerkung über Italiener. Alle lachen und zeigen auf Lorenzo.
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Ein Paar liegt in einem Bett, sie streicheln sich. Man kann sich denken, dass die beiden unter der Decke nackt sind. Man sieht, wie sie sich küssen, dann schwenkt die Kamera auf das Fenster, durch das der Mond zu sehen ist.
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Woran kannst Du Werbung im Fernsehen erkennen? __________________________________________________________________________
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Was denkst Du, was Werbung beabsichtigt? Was will sie von Ihren Zuschauern? __________________________________________________________________________
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Was hat Werbung mit Dir zu tun? __________________________________________________________________________
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Zum Schluss haben wir noch ein paar kurze Fragen zu Deiner Person, dann hast Du es geschafft! Dein Alter: _________
Wie viele Geschwister hast Du? __________
Deine Muttersprache: _________________________
Dein Geschlecht: weiblich männlich
Deine Hobbies:
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Vielen Dank!
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