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Diplomarbeit Zur Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion im Fernsehen als Bestandteil praxisbezogen vermittelter Medienkompetenz. Evaluation eines Trainings für HauptschülerInnen von Benjamin Caspar Fauth Freiburg, Sommersemester 2008 Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Psychologie Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie BetreuerInnen: Dr. Helmut Wetzel und Prof. Dr. Gabriele Lucius-Hoene Externer Betreuer: PD Dr. Armin Castello, Pädagogische Hochschule Freiburg

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Diplomarbeit

Zur Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion im Fernsehen

als Bestandteil praxisbezogen vermittelter Medienkompetenz.

Evaluation eines Trainings für HauptschülerInnen

von Benjamin Caspar Fauth

Freiburg, Sommersemester 2008

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Institut für Psychologie

Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie

BetreuerInnen: Dr. Helmut Wetzel und Prof. Dr. Gabriele Lucius-Hoene

Externer Betreuer: PD Dr. Armin Castello, Pädagogische Hochschule Freiburg

Abstract

Auf der Grundlage einer theoretischen Modellierung des Verhältnisses von Realität und

Fiktion beschreibt die vorliegende Arbeit die Entwicklung und Evaluation eines

Trainingsprogramms für jugendliche HauptschülerInnen, das die Fähigkeit zu

Unterscheidungen zwischen Realität und Fiktion im Fernsehen fördern soll. Die empirische

Evaluation in einem 2x2 Prä-Post-Design mit Kontrollgruppe bescheinigt dem Training eine

hohe Wirksamkeit in allen erhobenen Variablen. Damit erweist sich auch das theoretische

Konzept als angemessen und steht nun für weitere Untersuchungen zur Verfügung.

Danksagung

Bedanken möchte ich mich bei meinen Betreuern PD Dr. Armin Castello und Dr. Helmut

Wetzel und bei meiner Betreuerin Prof. Dr. Gabriele Lucius-Hoene.

Danken möchte ich auch Prof. Dr. Michael Charlton, ohne den ich nicht nur diese Arbeit nicht

geschrieben hätte, sondern wohl auch das Studium der Psychologie nach dem zweiten

Semester abgebrochen hätte.

Armin Castello danke ich besonders, weil er es mir ermöglicht hat, diese Arbeit im Rahmen

des Projekts „hsTV“ zu schreiben und weil ich seit mittlerweile 3 Jahren unter seiner

Projektleitung arbeiten kann.

In der Arbeitsgruppe Schule und Medien – Armin Castello, Martina Göpfert, Nadia Juga und

Melanie Vollmer – genieße ich immer wieder unsere „unkonventionelle Forschungsarbeit“.

Sie hat mich nachhaltig geprägt.

Martina Göpfert danke ich für ausführliche Korrekturen des Texts. Und dafür, dass sie mir als

Tischnachbarin in unserem Büro immer wieder mit fachlichem Rat zur Seite stand und sich

geduldig alles angehört hat, was ich zur Realität zu sagen hatte.

Matthias Nawrat hat die Arbeit akribisch korrigiert. Außerdem ist er als Mitbewohner

unersetzlich. Dank dafür.

Norman Eckert hat für körperliche Ertüchtigung und geistige Entwirrung gesorgt. Danke.

Danke, Monika und Werner Fauth.

Danke, Lisa Schäfer!

3

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung .......................................................................................................................... 5

2 Theorie............................................................................................................................... 9

2.1 Realität, Fiktion und Fernsehen ................................................................................. 9

2.1.1 Kritische Theorie .............................................................................................. 10

2.1.2 Poststrukturalismus .......................................................................................... 11

2.1.3 Kritik ................................................................................................................ 12

2.1.3.1 Bild vom Rezipienten ................................................................................... 12

2.1.3.2 Sinn und Unsinn von Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen ........................ 14

2.1.4 Wissenssoziologische und konstruktivistische Reformulierungen – Klärung zentraler Begriffe.............................................................................................................. 16

2.2 Realität und Fiktion in der Medienwirklichkeit ....................................................... 19

2.3 Modellierungen der Fiktion ...................................................................................... 25

2.3.1 Darstellungsbezogene Theorien der Fiktion .................................................... 28

2.3.2 Semantische Theorien der Fiktion .................................................................... 31

2.3.3 Pragmatische Theorien der Fiktion .................................................................. 35

2.3.4 Pragmatik als vorgeordnete Perspektive .......................................................... 38

2.4 Integratives Modell von Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen ................................ 41

2.4.1 Pragmatische Perspektive ................................................................................. 42

2.4.2 Inhaltlich-semantische Perspektive .................................................................. 43

2.4.3 Darstellungsbezogen-formale Perspektive ....................................................... 45

2.4.4 Fazit .................................................................................................................. 46

2.5 Medienkompetenz .................................................................................................... 46

2.5.1 Einbettung in ein allgemeines Konzept von Medienkompetenz ...................... 48

2.5.2 Spezifische Kompetenzen ................................................................................ 51

2.5.2.1 Formatwissen ............................................................................................... 51

2.5.2.2 Verarbeitungsstrategien ................................................................................ 52

2.5.2.3 Hinterfragende Grundhaltung ...................................................................... 53

2.6 Die Zielgruppe: HauptschülerInnen zwischen 12 und 15 Jahren ............................. 54

2.7 Das Training ............................................................................................................. 58

2.7.1 Formatwissen ................................................................................................... 59

2.7.2 Strategien .......................................................................................................... 61

4

3 Empirie ............................................................................................................................ 65

3.1 Fragestellungen ........................................................................................................ 65

3.2 Operationalisierungen .............................................................................................. 67

3.2.1 Formatwissen und Werkkategorien (Fragestellungen 1 und 2) ....................... 68

3.2.2 Strategierepräsentation (Fragestellung 3) ......................................................... 70

3.3 Methoden und Verfahren ......................................................................................... 72

3.3.1 Überprüfung der Messmittel ............................................................................ 72

3.3.2 Evaluationsstudie ............................................................................................. 74

3.3.2.1 Die Skalen Formatwissen und Strategierepräsentation ................................ 74

3.3.2.2 Items zum Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien ............................... 74

3.4 Untersuchungsfeld und Teilnehmende ..................................................................... 75

3.5 Durchführung ........................................................................................................... 76

3.5.1 Planung der Umsetzung ................................................................................... 76

3.5.2 Tatsächliche Umsetzung .................................................................................. 77

3.6 Ergebnisse ................................................................................................................ 78

3.6.1 Stichprobenbeschreibung ................................................................................. 78

3.6.2 Daten zur Mediennutzung ................................................................................ 80

3.6.3 Qualität der Messmittel .................................................................................... 81

3.6.4 Summative Evaluation des Trainings ............................................................... 84

3.6.4.1 Formatwissen ............................................................................................... 84

3.6.4.2 Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien ................................................. 86

3.6.4.3 Strategierepräsentation ................................................................................. 88

4 Diskussion ....................................................................................................................... 90

4.1 Stichprobe ................................................................................................................. 90

4.2 Daten zur Mediennutzung ........................................................................................ 91

4.3 Qualität der Messmittel ............................................................................................ 92

4.4 Summative Evaluation ............................................................................................. 93

4.5 Kritische Reflektion ................................................................................................. 95

5 Literatur .......................................................................................................................... 98

6 Anhang .......................................................................................................................... 106

5

1 Einleitung

„Bevor ich begann, mich mit dem Thema zu beschäftigen, schien alles klar: Die Fiktion gehörte zum Spielfilm, der Geschichten erzählt, während der Dokumentarfilm in den Bereich der Nichtfiktion fiel.“ (Tröhler, 2002, S. 9)

Jugendliche HauptschülerInnen sehen jeden Tag ungefähr 2,5 Stunden fern (Kutteroff &

Behrens, 2007, S. 23). Es kann beobachtet werden, dass die dabei gesehenen Sendungen

zunehmend diffusere und komplexere Grenzkonstruktionen zwischen realen und fiktionalen

Darstellungen für ihre RezipientInnen bereithalten (Meckel, 2002). Neue Fernsehformate wie

das Infotainment, die Doku-Soap oder die Pseudo-Doku lassen ihren Realitätsbezug

systematisch ungeklärt oder versuchen gar, fiktive Inhalte fälschlich als dokumentarische

auszugeben.

Auf Seiten der jugendlichen RezipientInnen stehen dem jedoch keine gesteigerten

Verarbeitungskompetenzen gegenüber. Im Gegenteil: In Untersuchungen wie den PISA-

Studien wird deutlich, dass solche Verarbeitungsstrategien gerade HauptschülerInnen

erhebliche Probleme bereiten. Da die Vermittlung von Medienkompetenz in den meisten

Lehrplänen verbindlich festgeschrieben ist, liegt es nahe, auch die Fähigkeit zu Realitäts-

Fiktions-Unterscheidungen im schulischen Kontext zu fördern. Dabei sollte es heute

selbstverständlich sein, dass solche Programme evaluiert und mithin auf ihre Wirksamkeit

geprüft werden (Christiansen, 2001). Die vorliegende Arbeit will dies leisten.

Am Anfang dieses Vorhabens steht jedoch das Problem, dass es ohne ein theoretisch

und empirisch tragfähiges Konzept des Verhältnisses von Realität und Fiktion im Fernsehen

nicht möglich ist, angemessen über Prozesse der Rezeption zu sprechen, geschweige denn

spezifische Kompetenzen in den Blick zu bekommen. Es können grundsätzlich zwei Seiten

der Medienkommunikation unterschieden werden: die des medialen Produkts (eines Textes

oder einer Sendung) und die der Rezeption. Hauptproblem der bisherigen psychologischen

Forschungen zur „perceived reality“ (Hawkins, 1977) ist, dass die Seite des medialen

Produkts nicht hinreichend differenziert betrachtet wurde. Aus einer dezidiert

medienkritischen Sicht wurde dabei angenommen, die Inhalte des Fernsehens seien „generell

unrealistisch und wirklichkeitsfern“ (Rothmund, Schreier & Groeben, 2001a, S. 34). Daher

sei die dem Medium global zugeschriebene Realitätsnähe bzw. -ferne ein direkter Indikator

für die Medienkompetenz der RezipientInnen.

6

Sucht man aber diese Kompetenzen gezielt zu stärken, stößt die Annahme einer

generell wirklichkeitsfernen Scheinwelt des Mediums schnell an ihre Grenzen. In der

vorliegenden Arbeit sollen solche Vereinfachungen vermieden werden, indem zunächst

begrifflich geklärt wird, auf welche Weise in Bezug auf das Fernsehen von einer Darstellung

der „Wirklichkeit“ ausgegangen werden kann und inwiefern auf Seiten des medialen Produkts

sinnvoll von Unterscheidungen zwischen Realität und Fiktion gesprochen werden kann.

Die Arbeit lässt sich daher in zwei aufeinander aufbauende Teile gliedern. Der erste

Teil sucht eben dieses hochkomplexe Verhältnis von Realität und Fiktion in der heutigen

Fernsehlandschaft zu klären. Er ist geschrieben unter der Frage, wie dieses Verhältnis

theoretisch zu fassen ist und was eine entsprechende Modellierung für konkrete Prozesse der

Rezeption bedeutet. Der zweite Teil befasst sich mit einer praxisbezogenen Intervention, die

auf dieser theoretischen Grundlage konzipiert wurde und die Fähigkeit zu Unterscheidungen

zwischen Realität und Fiktion stärken soll. Dabei geht es um die empirisch zu beantwortende

Frage, ob dieses Training bei jugendlichen HauptschülerInnen wirksam ist.

Im Einzelnen ist die Arbeit wie folgt gegliedert:

Der theoretische Teil der Arbeit umfasst sieben Abschnitte, die aufeinander aufbauen

und eine Argumentationslinie bilden.

Im ersten Abschnitt geht es um das Verhältnis des Fernsehens zur Realität. Es wird

argumentiert, dass es wenig Sinn macht, generalisierend von einer durch das Fernsehen

simulierten Scheinwelt zu sprechen, wie dies auch in kritischen und postmodernen Theorien

häufig getan wird. Vielmehr gewinnt gerade vor dem Hintergrund zunehmend unklarer

Grenzkonstruktionen zwischen Realität und Fiktion im Fernsehen die Untersuchung der

Grenzen und ihrer Überschreitungen eine besondere Bedeutung.

Daher wird im zweiten Abschnitt anhand von Beispielen aus dem aktuellen

Fernsehprogramm aufgezeigt, wie die Vermischungen von Realität und Fiktion im Fernsehen

konkret aussehen. Dabei werden Prozesse der Fiktionalisierung und Authentifzierung als

zentrale Merkmale neuer Programmformen herausgearbeitet. Sie haben zur Folge, dass die

beschriebenen Sendungen ein hohes Maß an Verwirrungen und Unklarheiten für ihre

RezipientInnen bereithalten.1

Im dritten Abschnitt wird zunächst die Seite des medialen Produkts ausführlich

thematisiert, um diesen Unklarheiten auf Seiten der RezipientInnen systematisch begegnen zu

1 Dabei soll es in der vorliegenden Arbeit nicht um mögliche Folgen von Vermischungen von Realität und Fiktion im Fernsehen z.B. für die Entwicklung von Einstellungen oder Werten bei den jugendlichen RezipientInnen gehen. Auch dies wäre sicherlich eine spannende Aufgabe, würde aber ebenso eine vorherige Klärung des Verhältnisses von Realität und Fiktion auf Seiten des medialen Produkts voraussetzen, der hier besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird.

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können. Dabei geht es zentral um die oben schon angesprochene Frage, wie das Verhältnis

von Realität und Fiktion im Fernsehen theoretisch beschrieben werden kann. Es handelt sich

also um Versuche, die im vorigen Abschnitt beschriebenen Phänomene theoretisch zu fassen,

um auf dieser Theorie eine praxisbezogene Intervention aufzubauen. Dabei zeigt sich, dass

der Problembereich Realität und Fiktion seit jeher in den Literaturwissenschaften intensiv

diskutiert wird.2 Es werden verschiedene Theorien gesichtet und bewertet, die sich dem

Phänomen der Fiktion aus unterschiedlichen Perspektiven nähern.

Im vierten Abschnitt wird daran anschließend das drei Ebenen Modell von Rothmund,

Schreier und Groeben (z.B. 2001b) vorgestellt, welches den Anspruch hat, diese

unterschiedlichen Perspektiven zu integrieren. Es ist außerdem in der Lage, die

„Verklammerung“ (Charlton & Schneider, 1997, S. 8) von medialem Produkt und seiner

Rezeption in Bezug auf Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen differenziert zu beschreiben.

Damit ist die Grundlage gelegt, auf der rezipientenseitige Kompetenzen beschrieben werden

können, die für solche Unterscheidungen relevant sind.

Im fünften Abschnitt werden diese spezifischen Kompetenzen beschrieben und in ein

allgemeines Konzept von Medienkompetenz eingebettet.

Im sechsten Abschnitt werden jugendliche HauptschülerInnen zwischen 12 und 15

Jahren als die Zielgruppe des Trainings betrachtet. Dies geschieht mit einem sehr engen

Fokus auf jene Kompetenzen, die für souveräne Unterscheidungen zwischen Realität und

Fiktion nötig sind. Die Jugendlichen treten hier also als Zielgruppe des Trainings ins Zentrum

der Betrachtung. In den vorgestellten empirischen Untersuchungen zeigen sich tatsächlich

erhebliche Schwächen der Jugendlichen in den relevanten Bereichen, die einen großen Bedarf

an gezielter Förderung erkennen lassen.

Im siebenten Abschnitt wird schließlich der Teil eines Trainingsprogramms

vorgestellt, der diese Förderung leisten soll. Dem Training liegt das im dritten und vierten

Abschnitt herausgearbeitete theoretische Modell zugrunde. Es hat die Umsetzung dieser

Theorie in eine praxisbezogene Intervention zur Aufgabe, die auf die Bedürfnisse und

Fähigkeiten der Jugendlichen abgestimmt ist und sich in den Schulalltag integrieren lässt.

Im empirischen Teil der Arbeit geht es um die Evaluation der Wirksamkeit dieses

Trainings. Hierzu wurde ein 2x2 Prä-Post-Untersuchungsplan mit Kontrollgruppe etabliert.

2 Die Thematisierung literaturwissenschaftlicher Theorien erfolgt zum einen aus pragmatischen Erwägungen, zum anderen liegt ihr die Überzeugung zugrunde, „dass die sozial- und geisteswissenschaftliche Medienforschung zu ihrer Weiterentwicklung auf einen verstärkten interdisziplinären Dialog angewiesen ist.“ (Charlton & Schneider, 1997, S. 7)

8

Im ersten Abschnitt werden zunächst die Fragestellungen expliziert und die

statistischen Hypothesen formuliert. Im zweiten Abschnitt wird in Bezug auf die

Operationalisierung der Konstrukte der Einsatz eines Fragebogens begründet und dessen

Konstruktion beschrieben. Der Fragebogen enthält insgesamt drei Skalen und zwei

Einzelitems, die speziell im Hinblick auf die Überprüfung der Wirksamkeit des Trainings

ausgearbeitet wurden. In Abschnitt drei werden die statistischen Verfahren vorgestellt, mit

deren Hilfe zum einen die Qualität der Messmittel und zum anderen die Wirksamkeit des

Trainings bewertet werden können. Im vierten und fünften Abschnitt werden das

Untersuchungsfeld und die Durchführung der Untersuchung beschrieben.

Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt im sechsten Abschnitt. Dabei werden zunächst

die soziodemographischen Merkmale der Stichprobe und Daten zur Mediennutzung

vorgestellt. Außerdem werden Kennwerte zur Beurteilung der Qualität der Messmittel

angegeben. Darauf folgt die Darstellung der Ergebnisse der eigentlichen Evaluationsstudie.

Im Diskussionskapitel werden die empirischen Ergebnisse interpretiert und bewertet.

Zudem werden sie an die zugrunde liegenden theoretischen Konstrukte rückgebunden. Dabei

wird das Verhältnis von Theorie und Praxis in der vorliegenden Arbeit kritisch hinterfragt.

Ein kurzer Ausblick auf weitere Forschungsvorhaben schließt die Arbeit ab.

9

2 Theorie

2.1 Realität, Fiktion und Fernsehen

Die folgenden Überlegungen sollen das Verhältnis des Fernsehens zur „Realität“ aus

verschiedenen (medien-)theoretischen Blickwinkeln beleuchten. Besondere Aufmerksamkeit

wird dabei der Frage gewidmet, inwiefern die verschiedenen Sichtweisen zu dem Vorhaben

beitragen können, theoretische Rahmenelemente für eine praxis- und subjektbezogene

Intervention fruchtbar zu machen. Die vorgenommene Kritik resultiert damit nicht nur aus der

Theorie heraus, sondern ebenso aus der Überlegung, was bestimmte Standpunkte für das Ziel

bedeuten, ein Training für Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen als Teil eines

Förderprogramms zu entwickeln und zu implementieren.

Die Frage nach dem Verhältnis von Fernsehbildern und Realität erregt Gemüter und

Geister seitdem die ersten Fernseher in den 50er Jahren Einzug in die Wohnstuben der

Menschen hielten. Dort wurden die dem Publikum aus den Kinosälen bekannten Filme und

Dokumentationen gezeigt. Das Kino hatte die aus der Buch- und Zeitungskultur tradierten

Unterscheidungen zwischen historisch-berichtenden und narrativ-fiktionalen Formaten

übernommen. In der Blütezeit der Kinopaläste in den 20er Jahren wurde vor dem eigentlichen

Spielfilm jeweils eine Art Nachrichtenmagazin (in Deutschland die Wochenschau) gezeigt,

das über aktuelle Geschehnisse in der Welt berichtete. Durch die Technik des Fernsehens kam

zusätzlich die Möglichkeit auf, Ereignisse live zu übertragen und zu verfolgen. Das erste

mediale Großereignis dieser Art war die Krönung von Elisabeth II. 1953 in London. Darüber

schreiben Elsner, Gumbrecht, Müller und Spangenberg (1994): „Der mentale Schock,

Raumgrenzen bei Gleichzeitigkeit des Erlebens überwinden zu können, oder auch, den

Wahrnehmungshorizont über körperlich sensuelle Beschränkungen hinweg durch Echtzeit-

Übertragungen von realen Ereignissen erweitern zu können, hinterließ in vielen

Textäußerungen und Presseberichten seine Spuren.“ (S. 182)3

Der Fernseher, so wurde bald deutlich, stellte so etwas wie eine mediale Revolution

dar. Diese Revolution basiert auf dem besonderen Verhältnis zwischen den Bildern des

Fernsehens und der Wirklichkeit des Alltags. Der oft wiederholte Vergleich der

Fernsehkamera mit dem menschlichen Auge kam ebenfalls in den 50er Jahren auf. „Nach

3 Hervorhebung im Original.

10

dieser Vorstellung übernahm die Fernsehkamera quasi stellvertretend für den Menschen die

Funktion, sich in der Welt zu bewegen und Wirklichkeit zu betrachten; im Unterschied zu

Kino galt Fernsehen als ein Medium, das echtes Leben unverfälscht wiedergab, so wie die

Kamera-Augen es eingefangen hatten“ (Elsner et al., 1994, S. 184). Gleichzeitig gab es auch

im Fernsehen jene fiktiven „Spielfilme“, die dem Publikum aus dem Kino bekannt waren. Ihr

besonderes Verhältnis zur „Realität“ wird im Vergleich mit dem Roman deutlich. Dort muss

der Leser sich die Bilder der Geschichte aus den Buchstaben erschließen, im Film bekommt

er sie als solche, als audiovisuelles Produkt, direkt geliefert. Die Rollen jedoch waren klar

geschieden: Auf der einen Seite die „Kamera-Augen“, die das „echte Leben“ zeigen. Auf der

anderen Seite die gespielten Filme, die den Zuschauern eine erfundene Welt präsentierten,

dies jedoch audiovisuell und durchaus „realistisch“.

2.1.1 Kritische Theorie

Mit der massenweisen Ausbreitung des Fernsehens rückt die Macht der Fernsehbilder über

den Menschen und sein Leben in den Fokus des Interesses der Medientheorie. Zunehmend

wird deutlich, dass die Realität von den „Kamera-Augen“ nicht einfach nur eingefangen und

übertragen, sondern verändert wird und auf die Realität der RezipientInnen zurückwirkt.

Zuerst formuliert und auf den Punkt gebracht wurde dieses Unbehagen am neuen Medium

Fernsehen von den exilierten Horkheimer und Adorno (2000/ Erst. 1947) in der

Kulturindustriethese. Sie beschreiben die Kultur im Allgemeinen und das Fernsehen im

Besonderen als Teil einer pervertierten Gesellschaftsordnung. Die zentrale Stelle, die die

Kulturindustrie im Gebäude der Kritischen Theorie einnimmt, ist bestimmt durch ihre

Funktion, eine Surrogatwirklichkeit zu schaffen, in die die Massen aus ihrer eigenen

Lebenswirklichkeit fliehen können, um so die Verhältnisse ihrer eigenen Lebenswirklichkeit

zu vergessen.

Gleichzeitig ist das Fernsehen Teil jener ökonomischen Maschinerie,4 die diese

Lebenswirklichkeit durch die Gleichschaltung der RezipientInnen nachhaltig bestimmt, man

kann sagen: determiniert. „Die Art, in der ein junges Mädchen das obligatorische date

annimmt und absolviert, der Tonfall am Telephon und in der vertrautesten Situation, die Wahl

der Worte im Gespräch, ja das ganze nach den Ordnungsbegriffen der heruntergekommenen

4 „In der Tat ist es der Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis, in dem die Einheit des Systems immer dichter zusammenschließt. Verschwiegen wird dabei, daß der Boden, auf dem Technik Macht über die Gesellschaft gewinnt, die Macht der ökonomisch Stärksten über die Gesellschaft ist.“ (Horkheimer und Adorno, 2000/1947, S. 129)

11

Tiefenpsychologie aufgeteilte Innenleben bezeugt den Versuch, sich selbst zum

erfolgsadäquaten Apparat zu machen, der bis in die Triebregungen hinein dem von der

Kulturindustrie präsentierten Modell entspricht.“ (Horkheimer & Adorno 2000/1947)

Interessant ist hier, dass die beschriebenen wirklichkeitsverändernden und –determinierenden

Mechanismen nicht nur von verfälschten Nachrichten oder Propaganda ausgehen, sondern

auch vom ideologischen Gehalt von Spielfilmen und Cartoons. Sie sind es ja, die das

„Modell“ vorgeben, nach dem die Zuschauenden sich verhalten.

Es wird jedoch deutlich, dass diese Theorie implizit eine „prä-kulturindustrielle

Wirklichkeit“ voraussetzt, in der die beschriebenen Effekte noch nicht wirken. Diese

„eigentliche Wirklichkeit“ würde nach Horkheimer und Adorno sodann „von der

Massenkultur, allen voran dem Fernsehen verzerrt, verschleiert, nivelliert und abgeschafft“

(Keppler, 2006, S. 22). Auf diese Weise würde sie dann zur medial präsentierten und von den

Menschen übernommenen Surrogatwirklichkeit werden.

2.1.2 Poststrukturalismus

In diesem Punkt sieht Keppler (2006) eine interessante Parallele zu neueren

poststrukturalistischen Medientheoretikern wie Baudrillard (1990), Virilio (1993) oder auch

Bolz (1992). Demnach werde von diesen allerdings nicht mehr eine veränderte und verzerrte

Wirklichkeit beklagt, sondern mit pathetischer Geste eben jene neue mediale Wirklichkeit zur

„eigentlichen Wirklichkeit“ erklärt, hinter der alles vormals „Reale“ verschwinde. „Deshalb

könne man die Medienrealität auch nicht mehr als Abbild der Wirklichkeit oder als

Wirklichkeit aus zweiter Hand bezeichnen, sondern es handele sich um ein völliges

Verschwinden der Wirklichkeit. Die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Inszenierung

(‚Simulation’) wird hinfällig, der Begriff ‚Wirklichkeit’ habe sozusagen seine Bedeutung

gewechselt.“ (Früh, 1994, S. 37) In der postmodernen Medienwelt ist demnach „das Medium-

Sein zum eigentlichen Sein geworden. Die Wirklichkeit, an die wir glauben, ist die

Wirklichkeit, die in den Medien erscheint. Was dort nicht eintrittsfähig ist, hat niederen

Seinsrang. So hat sich die alte Ordnung von Sein und Schein verkehrt.“ (Welsch, 1991, S. 37)

Wie das Zitat deutlich macht, findet die Theoriebildung hier auf einer recht hohen

Abstraktionsebene statt. Außerdem liegt der Fokus – wie auch in der Kritischen Theorie – auf

der Untersuchung von Medienprodukten und entsprechenden Diskursen. So tritt die Ebene der

konkreten Rezeption in den Hintergrund. Wenn die Rezipientenseite doch thematisiert wird,

dann eher metaphorisch und spekulativ, wie Sutter (1995) pointiert darstellt. „Denn wenn man

12

fragt, wie es denn zu dem behaupteten Vorrang der medialen Form gekommen ist, stößt man

systematisch ins Leere: So bemüht Bolz anthropologische Spekulationen wie die, daß die

abendliche Versammlung vor dem magisch flackernden Bildschirm die Urhorde vor dem

Lagerfeuer wiederholt’ (Bolz 1992: 132).“ (S. 347) Auch das folgende Zitat von Bolz (1991)

mag das Gesagte verdeutlichen: „Die Bilder aus aller Welt ersetzen das Weltbild. Man könnte

sagen: Das Bildsein gewinnt ontologischen Vorrang vor dem Sein. […] Die Welt der

Simulkra5 absorbiert den Schein und liquidiert das Reale“ (S. 104).

In eben diesem Sinne fragt Baudrillard (1991) provokant, ob denn der Golfkrieg

wirklich stattgefunden habe (vgl. auch Weisenbacher, 1995). Er zeigt damit, dass wir von

diesem als selbstverständlich hingenommenen und intensiv verfolgten Ereignis nur über

Medienberichte Kenntnis haben und nur haben können. Diese Argumentation läuft darauf

hinaus, dass auch in den Nachrichten als dem Anspruch nach wirklichkeitsvermittelndem

Format eine simulierte und für den Zuschauer vollkommen unhinterfragbare Welt präsentiert

wird, die sich in ihrem Wirklichkeitsbezug nicht mehr von den ursprünglich davon

verschiedenen fiktionalen Formaten unterscheiden lässt. Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen

wären damit sinnlose, weil inhaltsleere, Operationen. Das wäre der Endpunkt einer

Entwicklung „hin zur totalen medialen Simulation, bei der Realität und Fiktion

ununterscheidbar werden“ (Vollbrecht, 2001, S. 124).

2.1.3 Kritik

Im Folgenden sollen die zitierten Positionen in der Hauptsache unter zwei Gesichtspunkten

kritisiert werden. Der erste betrifft die Subjektkonstruktion als mehr oder weniger implizit in

jeder Medientheorie mitgeführtem Bild vom Rezipienten. Als zweites soll es um die Frage

nach Sinn und Unsinn der eigentlichen Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion gehen.

2.1.3.1 Bild vom Rezipienten

Die Kritische Theorie ist für ihre kulturpessimistische Sicht eines passiven und von den

Produkten der Kulturindustrie überwältigten Rezipienten vielfach kritisiert worden (vgl.

beispielhaft Goldbeck, 2004). In der Tat kommt kaum eine medientheoretische Abhandlung

zum Thema aus, ohne sich von Adornos (1963a; 1963b; Horkheimer & Adorno 2000/1947, S.

128ff.) klassischen Aufsätzen kritisch abzugrenzen (vgl. dazu wiederum kritisch: Behrens,

5 Das „Simulakrum“ bezeichnet bei Baudrillard die in der Postmoderne durch die Medien simulierte Scheinwelt (vgl. Baudrillard, 1978).

13

2004). Obgleich Baudrillard (1991) und auch Bolz (1991) die Kritische Theorie der

Massenmedien grundsätzlich in Frage stellen, kommen sie doch mit ihr darin überein, dass für

die Zuschauenden keinerlei Handlungsspielraum gegenüber der undurchdringlichen

Medienwirklichkeit mehr bleibt. „Die Wirklichkeit vollzieht sich auf dem Bildschirm und die

Aufklärungsmöglichkeiten [für das Subjekt – Anm.] verlieren sich in den medialen

Inszenierungen.“ (Sutter, 1995, S. 347)

Diese Sichtweise kann für eine Arbeit, die eben solche „Aufklärungsmöglichkeiten“

untersuchen will, nicht zielführend sein. RezipientInnen sind eben nicht schlichte

„Zielscheiben von Medienreizen“, wie Charlton (1997) es ausdrückt, der maßgeblich eine

Sichtweise des Rezipienten als aktiv Sinn Konstruierenden geprägt hat (vgl. z.B. Charlton &

Neumann-Braun, 1992). Die postmoderne Theorie verliert im steten Prozess von

Massenkommunikation und Rezeption die eine Seite, nämlich die der rezipierenden Subjekte,

systematisch aus dem Blickfeld. Auf diesem Abstraktionsniveau kann nicht mehr deutlich

gemacht werden, wie konkrete Prozesse der Massenkommunikation mit konkreten Prozessen

der Rezeption zusammenhängen. Für die vorliegende Arbeit wird aber ein Modell gebraucht,

das es erlaubt, die Besonderheiten der zu untersuchenden Zielgruppe zu fokussieren und

systematisch auf das massenmediale Angebot zu beziehen.

Das ist ein pragmatisches Argument. In ähnlicher Weise argumentiert Keppler (2006)

auf theoretischer Ebene von phänomenologischer Warte aus. Ihre Kritik läuft auf den

Einwand hinaus, „dass es Medien gleich welcher Art nur innerhalb und zusammen mit einer

Praxis ihres Gebrauchs als Medien geben kann. […] Denn allein in ihrem Gebrauch

entwickeln die Medien eine innere Logik, an die dieser Gebrauch bis zu einem gewissen Grad

gebunden ist. […] Grundsätzlich aber verhält es sich so, dass Medium und Gebrauch

zusammen eine Handlungsweise ermöglichen, die nicht durch eine dieser Komponenten

definitiv festgelegt ist.“ (Keppler, 2006, S. 26f.) In gleicher Weise argumentiert Sutter (1995)

aus systemtheoretischer Sicht: „Das Postulat bloßer Simulationseffekte muss jedoch

zumindest die kognitiven Konstruktionsleistungen der Medienrezipienten ausblenden: Wie

die medialen Präsentationen von den Zuschauern verarbeitet werden, kommt als Frage nicht

in den Blick.“ (S. 353) Wenn diese Kritik ernst genommen wird, kann es gelingen, den von

postmoderner und kritischer Theorie beschriebenen Determinismus aufzulösen. So wird der

Blick frei, um die je konkreten Verhältnisse von medialer Wirklichkeit, Lebenswirklichkeit

und Rezeption in Augenschein zu nehmen. Ebenso wenig, wie aus der bloßen Beobachtung

eines Rezipienten auf das gesehene mediale Angebot geschlossen werden kann, ist es

möglich, aus der Untersuchung von Massenkommunikation (hier Fernsehsendungen) die

14

notwendige Hilflosigkeit der Zuschauenden bei der Verarbeitung zu folgern. Allerdings muss

es als wertvoller Beitrag poststrukturalistischer Medientheorie gesehen werden, das spezifisch

neue dieses medialen Angebots erkannt und beschrieben zu haben: die zunehmende

Vermischung von „Kamera-Auge“ und gespielten Filmen.

2.1.3.2 Sinn und Unsinn von Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen

Der zweite Kritikpunkt bezüglich der oben zitierten Positionen wendet sich zunächst gegen

die simple Gleichsetzung von als real oder fiktiv markierten Medieninhalten, wie sie aus der

poststrukturalistischen Argumentation folgt. Hier kann man zunächst festhalten, dass das

Fernsehen selbst ständig die Unterscheidung zwischen Realem und Fiktivem trifft. Anspruch

einer Nachrichtensendung ist es, „die Wirklichkeit“ darzustellen – so, wie sie ist. Spielfilme

haben diesen Anspruch nicht. Sie können allerdings „auf einer wahren Begebenheit“ beruhen,

was dann auch in Ankündigungen und Vorschauen besonders betont wird. Es wird Wert

darauf gelegt, weil es offenbar wichtig ist, weil es einen Unterschied macht.

Auch für die Zuschauenden ist diese Unterscheidung relevant. Die besondere

Faszination, die so genannte Handyvideos für Jugendliche haben, beruht ja nicht auf der

besonderen Härte der gezeigten Gewalt. Die meisten Actionfilme aus Hollywood sind

gewalthaltiger, zeigen Mord, Totschlag und Verstümmelung – dagegen scheinen die

Prügelszenen in den Clips der Jugendlichen vergleichsweise harmlos. Dass sie es – offenbar

auch in der Wahrnehmung der Jugendlichen – nicht sind, beruht auf ihrem besonderen Status,

der besagt: hier wird die Realität gezeigt, das hier ist reale Gewalt. Aus demselben Grund ist

beispielsweise auch das Reality-Format Jackass so erfolgreich, in dem sich junge Männer

dabei filmen lassen, wie sie sich absichtlich Schmerzen zufügen und diese in heiterer

Atmosphäre ertragen.

Auch experimentell konnte gezeigt werden, dass es einen Unterschied in der

emotionalen Verarbeitung macht, ob RezipientInnen gesehene Inhalte für real oder fiktiv

halten. Schorr (1996) zeigte ProbandInnen eine Fernsehserie, die entweder mit der Instruktion

eingeleitet wurde, es handele sich um rein fiktive Ereignisse, oder die gezeigten Ereignisse

hätten sich wirklich so ereignet und seien für das Fernsehen nachgedreht worden. Außerdem

wurde ein Reality-TV-Beitrag gezeigt. Die emotionale Reaktion der TeilnehmerInnen

(operationalisiert durch Skalen, die „Emotionale Gereiztheit“, „Empathische Einfühlung“ und

„Persönliche Betroffenheit“ messen sollen) war unter der Reality-TV-Bedingung gegenüber

der Serie signifikant erhöht. Diejenige Serienversion, die mit dem Hinweis eingeleitet wurde,

es handele sich um reale Ereignisse, löste jedoch annähernd gleich hohe und gegenüber der

15

anderen Serienversion signifikant höhere emotionale Reaktionen aus. Der wahrgenommene

Realitätsgehalt einer Fernsehsendung ist also ein wichtiger Moderator für ihre potentielle

Wirkung bei den Zuschauenden.

Zudem seien noch kurz jene spektakulären Fälle von massenweiser Verwechslung von

medialer Realität und Fiktion angesprochen, die in der Geschichte der Medien bekannt

geworden sind. Sie zeigen besonders plakativ, dass die rezipientenseitige Einschätzung des

Realitätsstatus’ von rezipierten Inhalten nicht irrelevant ist. Am bekanntesten sind hier wohl

die Schilderungen von Zuschauerreaktionen auf die Ausstrahlung der Hörspielfassung von

H.G. Wells War of the Worlds im Jahre 1938. Das Hörspiel beschreibt in realistischer

Darstellung eine Invasion von Wesen vom Mars, die die gesamte Erde bedroht. Groeben und

Schreier (2000a) gehen davon aus, „dass es [das Hörspiel – Anm.] zumindest zeitweise von

ca. 1 Million AmerikanerInnen als ‚Realität’ missverstanden wurde“ (S. 168). Cantril (1985),

der ausführliche Interviews mit Betroffenen geführt hat, beschreibt die panischen Reaktionen

der RezipientInnen: „Lange bevor die Sendung zu Ende war, beteten und weinten viele

Menschen in den Vereinigten Staaten und versuchten, außer sich vor Angst, zu fliehen, um

dem Tod durch die Marsmenschen zu entkommen. Einige versuchten Angehörige zu retten.“

(S. 15) Rosengren, Arvidson und Sturesson (1975) berichten von ähnlichen Reaktionen auf

den fiktiven Bericht von einer AKW-Katastrophe in Schweden („Barsebäck Panik”).

In der vorliegenden Arbeit soll es nicht um die langfristigen Folgen von

Verwechslungen oder Unklarheiten in Bezug auf Realität und Fiktion gehen. Dennoch sei an

dieser Stelle angemerkt, dass dieses Thema offenkundig für Kinder und Jugendliche eine

besondere Relevanz besitzt. Die in der entwicklungspsychologischen Literatur beschriebene

ontogenetische Konstruktion von Realität (vgl. klassisch: Piaget, 1978) ist selbstverständlich

immer auch geprägt von medialen Einflüssen.6 Dabei ist der Wissensvorrat, an dem aus dem

Fernsehen übernommene Informationen, Sichtweisen und Weltbilder korrigiert werden

könnten, im Vergleich zu Erwachsenen geringer. Hier spielt auch die institutionell vermittelte

formale Bildung eine große Rolle. Jugendliche werden von Fernsehangeboten gezielt

angesprochen mit Themen wie Freundschaft, Liebe und Sexualität, die gerade in diesem Alter

interessant sind. Hier soll jedoch nicht über die Auswirkungen fraglicher Realitätsmodelle

spekuliert werden, sondern schlicht die besondere Bedeutsamkeit des Themas für die

jugendliche Zielgruppe festgehalten werden.

Es lässt sich also durchaus pragmatisch aber mit gutem Grund argumentieren, dass es

weiterhin Sinn macht, über „Grenzkonstruktionen“ (Groeben & Schreier, 2000b, S. 180ff.) 6 Einen Überblick über den Zusammenhang von Fernsehgewalt, den vermuteten negativen Wirkungen und dem Wissen um die Fiktivität der dargestellten Inhalte geben z.B. Freitag und Zeittler (1999).

16

zwischen realen und fiktionalen Formaten nachzudenken. Dies gilt auch und gerade wegen

der von poststrukturalistischer Seite so eindringlich beschriebenen Veränderungen der

Medienwelt.

2.1.4 Wissenssoziologische und konstruktivistische Reformulierungen – Klärung zentraler

Begriffe

Im Folgenden sollen im Anschluss an das bisher Gesagte für die vorliegende Arbeit zentrale

Begriffe geklärt werden. Nach der Problematisierung des Verhältnisses von Medien und

Realität soll nun dargelegt werden, in welcher Weise sinnvoll von Wirklichkeit und

Medienwirklichkeit gesprochen werden kann und welche Rolle Unterscheidungen zwischen

Realität und Fiktion in den Medien dabei spielen.

Die oben (in Abschnitt 2.1.3.2) zitierten Beispiele zeigen recht drastisch, dass die

Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion in den Medien nicht nur auf Seiten der

Medienprodukte, sondern auch auf Seiten der RezipientInnen eine hohe Relevanz besitzt.

Dabei ist es zunächst unerheblich, welchen Status die gesendeten Inhalte „tatsächlich“ haben.

Es muss nicht entschieden werden, ob ein Ereignis „in (der) Wirklichkeit“ so passiert ist, wie

darüber berichtet wird. Man kann nämlich davon unabhängig festhalten, dass die Frage nach

Realität oder Fiktion für RezipientInnen wichtig ist, weil die Antwort darauf nicht folgenlos

bleibt. Eben dies bezeichnet das klassische wissenssoziologische Diktum von Thomas (1928):

„If men define situations as real, they are real in their consequences.“ (S. 572)

In diesem Sinne lassen sich auch und vor allem aus konstruktivistischer Sicht diese

Unterscheidungen als fundamental wichtige Operationen beschreiben. „Nur über

grundlegende und konkrete Unterscheidungen funktioniert unsere gesellschaftliche

Kommunikation. Unsere Lebenswelt lässt sich nur über Entscheidungen als

Lebenswirklichkeit operationalisieren – in den Worten Gregory Batesons über ‚Differenzen

durch Differenzen’ (‚differences which make a difference’). Eine wesentliche Unterscheidung

verläuft zwischen Fakten und Fiktionen, zwischen Dichtung und Wahrheit. Viele weitere

Unterscheidungen sind damit verbunden […]. Alle diese Unterscheidungen machen

bedeutsame, weil sozial folgenreiche Unterschiede.“ (Meckel, 2002, 31f.)

Der im Zitat verwendete Begriff der Lebenswelt ist nach den bis hier vorgebrachten

Argumenten eine schwierige Konstruktion geworden. In den vorigen Abschnitten wurde mehr

oder weniger explizit von „Wirkungen von Medien in der Realität“ gesprochen. Wenn in der

vorliegenden Arbeit in diesem Sinne von „der Realität“ die Rede ist, so ist damit jene von

17

dem „gesellschaftlichen Jedermann“ (Berger & Luckmann, 1970, S. 16) fraglos und

selbstverständlich erlebte Alltagswelt gemeint, die (mit zum Teil verschiedenen

Bedeutungsschattierungen) in Phänomenologie und Wissenssoziologie als Lebenswelt

beschrieben wird (vgl. grundlegend Husserl, 1986). Mit dem Begriff Lebenswirklichkeit (im

Folgenden auch: Alltagswirklichkeit) betont Meckel (2002) den wirklichkeitskonstruierenden

Aspekt der Lebenswelt. Die soziale Konstruktion der Wirklichkeit entsteht durch

Unterscheidungen, wie Luhmann (z.B. 1984) betont. Dieser Mechanismus wurde oben schon

für die Unterscheidung zwischen medialer Realität und Fiktion aufgezeigt. Mit dieser

konstruktivistischen Reformulierung muss auch über den ontologischen Status der

Wirklichkeit „an sich“ nicht endgültig entschieden werden. Es reicht anzunehmen, dass es

eine uns allen vertraute Lebenswelt gibt, „die sich als Wirklichkeit par excellence darstellt“

(Berger & Luckmann, 1970, S. 24).

Das sichere Wissen um die von uns direkt erfahrbare Welt ist jedoch verbunden mit

dem Wissen um Bereiche, die außerhalb unserer unmittelbaren Erfahrung liegen. Sie sind uns

nicht unmittelbar, sondern nur vermittelt über moderne Kommunikationsmedien wie das

Fernsehen zugänglich. Durch sie haben wir beispielsweise Kenntnis von den Ereignissen in

Bagdad während des Irakkriegs. Die Lebenswelt, die über Unterscheidungen zur

Lebenswirklichkeit wird, kann von dieser Medienwirklichkeit unterschieden werden – sie

kann jedoch nicht klar von ihr getrennt werden.

Was bedeutet das? Der Begriff Medienwirklichkeit soll die in den Medien gezeigten

Inhalte bezeichnen. Man kann nach Luhmann (1996) in diesem „Sinne von der Realität der

Massenmedien sprechen, nämlich im Sinne dessen, was für sie oder durch sie für andere als

Realität erscheint.“ (S. 14)7 Diese Realität wird jedoch selbstverständlich in unsere

Alltagswirklichkeit integriert und wirkt damit auf unsere Lebenswelt zurück. Zwischen

Alltags- und Medienwirklichkeit liegt daher keine feste Grenze, die abgeschlossene

Wirklichkeitsbereiche voneinander trennt. Eher handelt es sich um eine „Binnengrenze

innerhalb derselben Wirklichkeitsordnung“ (Elsner, Gumbrecht, Müller & Spangenberg,

1994, S. 184).

Diese Tatsache liegt in der Struktur gesellschaftlicher Kommunikation selbst

begründet. Die „alltägliche Wirklichkeit hängt entscheidend von ihrer Kommunizierbarkeit

ab. Wie vor allem Niklas Luhmann betont hat, erhält sich eine gemeinsame soziale Welt

wesentlich über die Möglichkeit anschlussfähiger Kommunikationen. Die Wiedergabe und

7 Es ist diese Medienrealität, die in unterschiedlichsten Zusammenhängen immer wieder dafür kritisiert wird, eine – wie auch immer angenommene – „eigentliche Wirklichkeit“ unzureichend, verzerrt oder falsch darzustellen, vgl. z.B. Gerbner (1976).

18

Weitergabe, die Ausformung und Umformung von Wissen und Orientierung sind

gesellschaftsbildende Prozesse der Kommunikation, an denen die technisch vermittelte

Kommunikation einen stetig wachsenden Anteil hat.“ (Keppler, 2006, S. 31) Ohne die

Medien wäre heutzutage eine gemeinsame, allen vertraute und von allen selbstverständlich

hingenommene Lebenswirklichkeit gar nicht mehr möglich. Das ist die zentrale These von

Luhmanns (1996) Betrachtung der Massenmedien.

„Weil das so ist, kann man mit gutem Recht sagen, dass die heutigen

gesellschaftlichen Verhältnisse mediale Lebensverhältnisse sind. Nur muss auch das richtig

verstanden werden. Es bedeutet, dass es keine Bereiche des sozialen Lebens gibt, die in ihrer

Wirklichkeit nicht durch Prozesse der medialen Kommunikation geprägt wären. Diese stellt

eine conditio sine qua non des modernen Lebens dar: Ohne sie geht es nicht. Das bedeutet

aber andererseits nicht, dass die soziale Wirklichkeit nichts weiter als eine Konstruktion oder

ein Effekt ‚der Medien’ wäre.“ (Keppler, 2006, S. 31)

In diesem Sinne wurde schon in Abschnitt 2.1.3.1 argumentiert: Medien sind nur

Medien in der sozialen Praxis ihres Gebrauchs und sie haben ihre Wirkungen nur, weil sie

Teil dieser sozialen und kulturellen Praxis sind. Nur in diesem Sinne ist es überhaupt sinnvoll,

von „Medienwirkungen“ zu sprechen.

Also: Die Realität der Massenmedien (Medienrealität) ist nicht selbst zur

Alltagswirklichkeit geworden, ist mit dieser aber auf mannigfaltige Weise verwoben und stellt

quasi das Fundament dar, auf dem gesellschaftlich geteilte Wirklichkeit heutzutage noch

hergestellt werden kann. In diesem Sinne sind Alltags- und Medienwirklichkeit zwar

unterscheidbar, aber eben nicht klar voneinander trennbar. Die Prägung der

Alltagswirklichkeit durch die Medien ist dabei – das ist oben deutlich geworden – wesentlich

vermittelt über produkt- und rezipientenseitige Unterscheidungen zwischen Realität und

Fiktion.

„Realität ist das, woran wir unsere Überzeugungen korrigieren können; aber

korrigieren können wir sie nur, indem wir im Gebrauch unterschiedlicher Wahrnehmungs-

und Informationsmedien zu neuen Überzeugungen gelangen. Daher sind die feinen

Unterschiede zwischen dokumentarischen und fiktionalen Bildern eine wesentliche Quelle

des Wissens darüber, was die historische Wirklichkeit kennzeichnet und was (vorerst) nicht.“

(Keppler, 2006, S. 181f.)

19

2.2 Realität und Fiktion in der Medienwirklichkeit

Erst mithilfe der beobachtungsleitenden Unterscheidungen zwischen Alltags- und

Medienwirklichkeit und zwischen medialer Realität und Fiktion können die jeweiligen

Grenzkonstruktionen und deren Überschreitungen im Fernsehen untersucht werden. Im

Folgenden soll anhand von Beispielen deutlich gemacht werden, wie die Vermischungen

zwischen dokumentarischen und fiktionalen Sendungen konkret aussehen. Dies ist ein

notwendiger erster Schritt auf dem Weg zu einem praxisbezogenen Trainingsprogramm: Es

muss geklärt werden, mit welchen konkreten Inhalten die Jugendlichen heute überhaupt

konfrontiert sind und was ihre Problematik ausmacht.

„Die Vermischung von Fakten und Fiktionen, die Verwischung der Grenzen der

Genres – dieses Phänomen gehört seit jeher zum Prozess der Modernisierung als

Reorientierung von Differenzmodellen.“ (Meckel, 2002, S. 33) Besonders deutlich zeigen

sich diese Prozesse heute im Fernsehen. Sie werden schon seit Anfang der 90er Jahre unter

den Stichworten Ästhetisierung (Welsch, 1993), Dramatisierung (Göttlich, Nieland & Schatz,

1998) und Fiktionalisierung (Pietraß, 2002) diskutiert. Unter diesen Begriffen wird die

Ausstattung ursprünglich dokumentarischer Inhalte mit dramatisierenden und ästhetisierenden

Gestaltungsmerkmalen verstanden, die vormals nur aus dem Bereich der fiktionalen Formate

bekannt waren.

Ein einfaches aber aufschlussreiches Beispiel ist der Titel der

Hauptnachrichtensendung des Senders RTL II, die bis 1996 Action News (RTL II, 2008) hieß.

„News“ deutet auf eine Nachrichtensendung hin, wobei „Action“ auf ein fiktionales

filmisches Genre verweist, bei dem schnelle Schnitte, große Ereignisdichte und spektakulär

arrangierte Szenen kennzeichnende Merkmale sind. Die Aufbereitung der Beiträge erfolgt auf

entsprechende Weise. Wesentlich subtiler sind die von Baudrillard (1991) angesprochenen

Arten der modernen Kriegsberichterstattung (vgl. auch Abschnitt 2.1.2). Die aus den

Nachrichten bekannten grünlich schimmernden Nachtbilder von Bombeneinschlägen in

Bagdad haben nichts mehr von dem Realitätsbezug des Kamera-Auges als eines Abbilds der

Realität. Die „unwirkliche“ Ästhetik der Bilder schafft bei den Zuschauenden heute wohl

nicht mehr jenen „mentalen Schock“, der die RezipientInnen beim „Beisein“ der Krönung

von Königin Elisabeth II. durchfuhr. Die Art und Weise der Darstellung scheint die Bilder

von ihrem Realitätsbezug zu lösen.

Kurze Filme mit Nachtbildern aus dem Irakkrieg stehen heute im Internet-Videoportal

„YouTube“ neben den neuesten Musikvideos und folgen einer ähnlichen Darstellungsweise

20

wie diese. So zeigt der Clip „Just one night in hell“8 offenbar authentische Aufnahmen eines

Militärhubschraubers im Nachteinsatz, die mit Rockmusik von AC/DC („Highway to Hell“,

Atco-Records, 1979) unterlegt sind. Der Clip bekommt so selbst den Charakter eines

Musikvideos. Das ist eine spezielle Art der Ästhetisierung von Kriegsbildern.

Als Gegenstück zu solchen Prozessen der Fiktionalisierung können im Fernsehen in

den letzten Jahren vermehrt Prozesse der Authentifizierung beobachtet werden, um die es im

Folgenden ausführlicher gehen soll. Mit der Authentifizierung einer Sendung soll nach

Pietraß (2002) darauf hingewiesen werden, „dass der Zuschauer hier an einem Stück

wirklichen Lebens Teil hat.“ (S. 367) Dabei ist es für die Beobachtung dieser Prozesse

wiederum unerheblich, ob tatsächlich „wirkliches Leben“ gezeigt wird, oder nicht (vgl.

Abschnitt 2.1.4).

Als Beispiel sei wiederum ein Videoclip genannt. Das von Michael Moore gedrehte

Video zu „Sleep now in the Fire” von Rage Against the Machine (Epic-Records, 2000)9

beschreibt quasi die Geschichte seiner eigenen Entstehung, die zugleich die Geschichte einer

Auflehnung der rebellischen Band gegen amerikanische Autoritäten ist. Zu beginn des Clips

stehen als Inserts die Einblendungen „Monday… Wall Street announces record profits, record

layoffs…“ und „Tuesday… New York City decrees Rage Against the Machine ‘shall NOT

play on Wall Street.’”. Mit der Einblendung „Wednesday…” beginnt die Musik und der Clip

zeigt die Musiker der Band, wie sie im Laufschritt auf eine Bühne vor der New Yorker Börse

an der Wall Street stürmen und zu spielen beginnen. Im Laufe des Videos wird das Bemühen

der New Yorker Polizei gezeigt, den Auftritt der Band zu unterbinden, was jedoch aufgrund

des tumultartigen Zuschauerandrangs nicht gelingt. In einem dramatischen Höhepunkt wird

der Regisseur Michael Moore von der Polizei abgeführt. Kurz danach ist zu sehen, wie die

Rollos vor den Toren der Börse heruntergelassen werden. Am Ende des Videos steht die

Einblendung „At 2:52pm, in the middle of the trading day, the Stock Exchange was forced to

close its doors.“

Wie die Bilder aus dem Irakkrieg fiktionalisiert werden, werden jene dieses Clips

authentifiziert. Das heißt, den Zuschauenden wird über Bilder und Einblendungen vermittelt:

die gezeigten Ereignisse haben wirklich stattgefunden. Damit verlässt das Musikvideo seine

Position als reine Fiktion. Das fiktionale Format ist zugleich Dokumentation seiner eigenen

Entstehung (zur Klassifizierung des Musikvideos als „fiktionale Textsorte“ vgl. Doelker,

1991, S. 162). Eine nähere Analyse würde weitere Genrevermischungen zeigen. Denn freilich

ist der Clip auch nicht einfach die Dokumentation eines Videodrehs – Szenenwechsel und 8 Online verfügbar unter: http://de.youtube.com/watch?v=qYAUcBaXmXI&feature=related [4.5.2008]. 9 Online verfügbar unter: http://de.youtube.com/watch?v=Jz8wU9DdbqU [4.5.2008].

21

Dramaturgie sind eindeutig die eines „klassischen“ Musikvideos und passen exakt zur Musik.

Zudem werden immer wieder eindeutig fiktionale Bilder von einer nachgespielten

Fernsehquizsendung eingeblendet.

Authentifizierung ist auch das zentrale Merkmal des noch recht neuen Genres der

Pseudo-Dokumentation oder „Scripted Reality“ (Constantin Entertainment, 2008). Bei dieser

Art von Sendungen wird von den Machern großer Wert darauf gelegt, den Bildern einen

dokumentarischen Anstrich zu verleihen. Wie dies konkret aussieht, kann an der Sendung

Lenßen und Partner verdeutlicht werden, die mit Marktanteilen von bis zu 23% (Angaben der

Produktionsfirma Constantin Entertainment, 2008) eine der erfolgreichsten in diesem Bereich

ist. Hauptfigur ist der Anwalt Ingo Lenßen, der von dem Anwalt Ingo Lenßen gespielt wird.

In der Serie lösen der Anwalt und sein Team von Privatdetektiven fiktive Fälle. Jenseits der

Serie ist Ingo Lenßen jedoch tatsächlich Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei in Bodmann-

Ludwigshafen am Bodensee.

„Authentizität und Glaubwürdigkeit“ ist nach Ansicht des Produzenten Ulrich Brock

das wichtigste Kriterium bei Produktion und Vermarktung der Sendung (Hamburger

Abendblatt, 2003). In der Serie wird mit verschiedenen Mitteln an der Aufrechterhaltung

möglicher Verwirrungen um den Realitätsbezug des Gezeigten gearbeitet. So treten auch

andere Laiendarsteller unter ihrem echten Namen in der Serie auf. Die Kameraführung ist

bewusst amateurhaft gehalten; häufig werden scheinbare Bilder von versteckten

Überwachungskameras eingesetzt. Zudem wird das gezeigte immer wieder mit einem

dokumentarischen Kommentar aus dem Off versehen, Schauplätze und Uhrzeit einer Szene

werden eingeblendet, ebenso wie die Namen und das Alter der vorkommenden Personen, wie

dies sonst bei Reportagen üblich ist. Mit demselben Effekt werden teilweise Personen und

Nummernschilder unkenntlich gemacht, wie dies in Dokumentationen oder Nachrichten zum

Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen geschieht.

Die durch diese Mittel erzeugten Unsicherheiten scheinen sich nicht auf das

Fernsehpublikum zu beschränken. In den Online-Ausgaben der großen Programmzeitschriften

und Programm-Service-Portale finden sich allein acht verschiedene Genrebezeichnungen (vgl.

Tabelle 1). Dabei reicht das Spektrum von eher traditionellen Bezeichnungen wie Serie,

Thriller oder Information bis hin zu Neuschöpfungen wie Ermittler-Doku oder Real-Life-

Krimiserie und der sich selbst scheinbar widersprechenden Bezeichnung Doku-Soap. Dazu

kommen noch der von der Produktionsfirma Constantin-Entertainment benutze Begriff

22

Scripted Reality und die in der wissenschaftlichen Literatur zumeist verwendete Bezeichnung

Pseudo-Dokumentation (Nickel-Bacon, Groeben & Schreier, 2000).10

Tabelle 1: Genrebezeichnungen der Sendung Lenßen und Partner bei verschiedenen Programmzeitschriften und Internetportalen.

Bezeichnung Quelle Einsehbar unter

Ermittler-Soap TV-Today

TV-Spielfilm http://www.tvtoday.de/ http://www.tv-spielfilm.de

Ermittler-Doku tvtv http://www.tvtv.de/

Doku-Soap rtv http://www.rtv.de/

Real-Life-Krimiserie TV-Movie TV Hören und Sehen

http://www.tv-movie.de/ http://www.tvhus.de/

Information Funkuhr TV-Digital

http://www.funkuhr.de/

Reihe Hörzu Super-TV

http://www.hoerzu.de/

Thriller Looki http://www.looki.de/

Serie Klack http://www.klack.de/

Scripted Reality Constantin-Entertainment http://www.constantin-entertainment.de/

Pseudo-Dokumentation Nickel-Bacon et al. (2002)

Legt man die Leitunterscheidung zwischen Realität und Fiktion an, so fällt auf, dass 4 von 8

Bezeichnungen auf den dokumentarischen Charakter der Sendung anspielen und damit

suggerieren, es handele sich nicht um nach Drehbuch von (Laien-) SchauspielerInnen

inszenierte Geschichten, sondern berichte aus dem Alltag des echten Rechtsanwalts Ingo

Lenßen und seinem Team. Dabei ist es bemerkenswert, wie konträr sich die Bezeichnungen

gegenüberstehen. Zum Beispiel Ermittler-Soap und Ermittler-Doku. „Soap“ weist ebenso

eindeutig auf eine erfundene Geschichte hin, wie „Doku“ auf einen Bericht aus dem echten

Leben. Genauso verhält es sich mit den Spartenbezeichnungen Serie und Information. Bei

Funkuhr und TV-Digital läuft Lenßen und Partner unter derselben Genrebezeichnung wie die

Tagesschau,11 und damit ist die Verwirrung komplett.

Unter der Internetadresse www.lenssenundpartner.de finden sich nicht etwa

Informationen zur Sendung, sondern die Seite von „Lenßen und Partner, Rechtsanwälte,

10 Eine genauere Analyse wird zeigen, dass Pseudo-Dokumentation zur Beschreibung der Sendung und als Genrebezeichnung tatsächlich am besten geeignet ist. 11 Dabei laufen eindeutig fiktionale Sendungen durchaus unter der Bezeichnung „Serie“ oder „Spielfilm“.

23

Kanzlei für Familien-, Erb-, und Strafrecht“ in Bodmann-Ludwigshafen, die tatsächlich von

dem Anwalt Ingo Lenßen geführt wird.12 Damit bekommen Verwechslungen zwischen

medialer Realität und Fiktion eine neue Bedeutung. Klassische Anekdoten handeln

beispielsweise von ZuschauerInnen, die in Briefen den Schauspieler Klausjürgen Wussow13

um medizinischen Rat fragen. Eine ähnlich eindeutige Verwechslung läge vor, wenn sich z.B.

ein Angestellter an Horst Tappert14 wenden würde, weil er seinen Vorgesetzten verdächtigt,

Firmengelder zu veruntreuen. Was jedoch, wenn der Zuschauer mit demselben Problem bei

Ingo Lenßen anriefe?

Ebenfalls zentral ist das Moment der Authentifizierung in Formen des

Unterhaltungsfernsehens, die „Menschen wie du und ich“ in den Mittelpunkt des Geschehens

stellen. Ihren Ursprung haben diese Formate in den Quizshows der 60er und 70er Jahre, deren

Konzept schlicht darin bestand, normale Menschen im Studio um die Wette raten zu lassen. In

der weiteren Entwicklung wandelt sich die Rolle der TeilnehmerInnen an diesen Shows. Sie

sind nun nicht mehr nur Spielpartner, sondern „Akteure ihres eigenen Lebens“ (Keppler,

2004, S. 7). In den betreffenden Sendungen wird das Herzblatt gefunden und die

Traumhochzeit gefeiert, es werden intime Geständnisse gemacht und um Verzeihung gebeten,

wobei nur die Liebe zählt. Die Akteure werden zu Super- oder zumindest Popstars und

erleben Verwandlungen vom hässlichen Entlein zum wunderschönen Schwan als next

Topmodel. „Das Fernsehen wird zum Anwalt einer inszenierten und gleichwohl realen

Verbesserung und Überhöhung des wirklichen Lebens.“ (Ebd.) Keppler (1994; 2006) hat für

diese Formate den Begriff des performativen Realitätsfernsehens geprägt.15

In Bezug auf Authentifizierung macht diese Entwicklung einen weiteren Schritt, wenn

nicht mehr klar ist, welche Veränderungen im Leben der Akteure durch die Sendung bedingt

sind und welche nicht. Zum Beispiel: Beruhigt sich das hyperaktive Kind wegen der

Interventionen der Super Nanny oder wegen der gesteigerten Aufmerksamkeit der überall

anwesenden Fernsehkameras? Wäre Familie Müller auch ohne die Sendung Mein neues

Leben nach Australien ausgewandert? Ist sie überhaupt ausgewandert? Was hier thematisch

wird, ist der schmale Grat zwischen Inszenierung und Dokumentation. Dieser schmale Grat

12 Interessanterweise erfolgt die Präsentation des Teams der Kanzlei auf der Homepage wiederum im Stil einer Fernsehserie und damit fiktionalisiert! 13 Wussow spielte von 1985–1988 die Rolle des Prof. Brinkmann in der Serie Schwarzwaldklinik und von 1996 bis 2003 die Rolle des Chefarzts in der Serie Klinik unter Palmen (vgl. Rössler, 1988; IMDb, 2008). 14 Tappert spielte von 1973 bis 1998 die Rolle des Derrick in der gleichnamigen Krimiserie (vgl. Tappert, 1998). 15 Dazu Keppler (1994) definitorisch: „Es handelt sich hier um Unterhaltungssendungen, die sich zur Bühne herausgehobener Aktionen machen, mit denen gleichwohl direkt oder konkret in die Alltagswirklichkeit der Menschen eingegriffen wird. Hier wird nicht allein Prestige oder Geld gewonnen (oder eben nicht gewonnen), was reale Lebensänderungen zur Folge haben kann, hier werden soziale Handlungen ausgeführt, die als solche bereits das alltägliche soziale Leben der Akteure verändern.“ (S. 8f.)

24

ist an sich nicht neu. Neu ist die Tatsache, dass im Fernsehen bewusst damit gespielt wird.

Zum Beispiel gibt es nunmehr Sendungen, deren Inhalt es ist, „normale Menschen“ in ihrem

Lebens- und Arbeitsalltag zu begleiten. Da gibt es die Polizisten Toto und Harry, die auf ihren

Streifengängen von einer Kamera begleitet werden, oder die Brüder Ludolf, deren Leben als

Schrottplatzbesitzer in der gleichnamigen Serie gezeigt wird. Die hierfür benutze

Genrebezeichnung Doku-Soap macht den hybriden Charakter dieser Sendungen deutlich:

Zum einen handelt es sich um eine Dokumentation über das Leben der realen Familie Ludolf.

Zum anderen jedoch braucht die Sendung aufgrund ihrer wöchentlichen Sendefrequenz

immer wieder Elemente, die die Spannung steigern und dann mitunter schlicht fiktiv sind.

Zum Beispiel fängt ein Auto wie von Geisterhand an zu Leben und die betreffende Folge

handelt von den Reaktionen der drei Brüder auf das Geisterauto. Wichtig ist, dass von der

Sendung selbst nicht markiert wird, welcher Teil erfunden, inszeniert oder dokumentiert ist.

Dabei wurde bis hier noch außer acht gelassen, dass auch der Realitätsbezug von

Dokumentationen nie eindeutig sein kann. Denn freilich inszenieren sich Menschen vor der

Kamera (als exponiertem sozialen Rahmen) auch selbst (Goffman, 1959; in Bezug auf das

Fernsehen vgl. Tröhler, 2002, S. 33). Sehe ich also den „echten“ Polizisten Harry oder den

sich für das Fernsehen inszenierenden? Ist der Weinkrampf der gerade ausgeschiedenen

Kandidatin von Popstars echt oder gespielt? Oder irgendwie beides? Tröhler (2002) lässt von

ähnlichen Überlegungen ausgehend die Frage offen, ob „bereits diese Formen der

Performance von sozialen Akteuren in einem Film als fiktionalisierendes oder gar

fiktivisierendes Moment zu betrachten sind oder erst jene, die an eine Verdoppelung der Rolle

geknüpft sind, wie dies für SchauspielerInnen, die eine fiktive Figur verkörpern, der Fall ist“

(S. 33).

All die Beispiele aus diesem Abschnitt haben gemeinsam, dass sie vormals recht feste

Grenzkonstruktionen zwischen Genres mit unterschiedlichem Realitätsbezug aufweichen.

Dabei kann diese Entwicklung als zentrales Merkmal der Veränderung der Programmstruktur

im Fernsehen seit den 90er Jahren gesehen werden (Paus-Haase, Schnatmeyer & Wegener,

2000). Die hier angeführten Beispiele ließen sich fortsetzen. Die gezeigten Probleme, allein

eine passende Sammelbezeichnung für die neuen Pseudo-Dokumentationen zu finden, zeigen,

wie schwierig der Umgang mit den neuen Phänomenen zu sein scheint. Dabei ist es

bezeichnend, dass entsprechende Unsicherheiten offenbar auch auf Seiten derer bestehen, die

sich als Redakteure von Programmzeitschriften professionell mit dem Thema beschäftigen.

Eins wird damit deutlich: Selbst für geübte RezipientInnen, die sich intensiv mit dieser Frage

beschäftigen, ist oftmals nicht mehr zu entscheiden, was in der Sendung über das echte Leben

25

der dargestellten Personen berichtet und was nach einem vorgegebenen Drehbuch mehr oder

weniger inszeniert, erfunden oder gespielt ist. In jedem Fall hält das Fernsehen heute ein

großes Potential an Verwirrung und Verunsicherung für seine RezipientInnen bereit.

Als Grundlage für eine nähere Beschäftigung mit der Perspektive der RezipientInnen

ist jedoch zunächst ein weiterer Zwischenschritt nötig. Um zu verstehen, was die sich

verändernde Medienwelt für die RezipientInnen bedeutet, muss zunächst geklärt werden, wie

das Verhältnis von Realität und Fiktion im Fernsehen heute theoretisch gefasst werden kann.

Dabei kann es nach dem Gesagten nicht mehr darum gehen, Realität und Fiktion sauber

voneinander zu trennen, sondern die Art und Weise ihrer Verbindung in den Blick zu

bekommen. Es gilt also, ein tragfähiges Konzept zu finden, das es erlaubt, die „Grenzen,

Distanzen und Überschneidungen“ (Tröhler, 2002, S. 14) von Realität und Fiktion theoretisch

zu beschreiben. Ziel ist es, die Grundlage für ein praxisbezogenes Trainingsprogramm zu

schaffen, mithin die zu erarbeitende Theorie empirisch fruchtbar zu machen. Das gesuchte

Modell muss in der Lage sein, die heutige Medienwirklichkeit hinreichend komplex

abzubilden, diese mit konkreten Prozessen der Rezeption in Verbindung zu setzen und

schließlich Möglichkeiten für die Förderung entsprechender Kompetenzen aufzuzeigen.

2.3 Modellierungen der Fiktion

Für dieses Unterfangen scheint die literaturwissenschaftliche Diskussion um den Begriff der

Fiktion von zentraler Bedeutung zu sein. Es wird im Folgenden recht schnell deutlich werden,

dass diese Diskussion inhaltlich um dieselben Probleme kreist, mit denen wir es in der

vorliegenden Arbeit zu tun haben.

Der Begriff Fiktion bezeichnet den erfundenen beziehungsweise imaginären Charakter

von in Texten dargestellten Welten (Barsch, 2004, S. 63). Der etymologische Ursprung des

Begriffs der Fictio liegt in dem Verb fingere, was mit gestalten/bilden, mit erdichten und sich

vorstellen, aber auch mit erheucheln und vorgeben übersetzt werden kann (Hau, 2006, S.

352). Das Besondere der Fiktion ist der fehlende Wahrheitsanspruch ihrer Aussagen und

damit ihre Beziehung zur Wirklichkeit. Diese Besonderheit brachte Platon (1982) dazu, in der

Politeia von der „Lügenhaftigkeit der Dichtung“ (S. 85) zu sprechen. Umgekehrt wurde der

Fiktion in der Kunst auch in neueren Darstellungen immer wieder eine „höhere Wahrheit“

26

zugesprochen, eben weil sie von den Einschränkungen der Alltagsrealität entbunden sei.16

Einigkeit besteht in diesen Sichtweisen, wie auch in der Alltagssprache, in Bezug auf die

Gegenstellung der Fiktion zur Realität.

Erste Zusammenhänge zwischen beiden Begriffen macht Barsch (2004) deutlich,

wenn er den Vergleich zum Spiel zieht. „Genuiner Ort für Fiktionalität ist das Spiel: es

negiert einerseits den eindeutigen Bezug zur Realität, andererseits ist den Regeln zu folgen,

solange man spielt“ (S. 181). Während eines Fußballspiels gelten andere Regeln als in der

Alltagswirklichkeit, beispielsweise einer vorweihnachtlichen Einkaufspassage.17 Für die Zeit

des Spiels ist diese „alternative Welt mit ihrer eigenen Logik“ (Tröhler, 2002, S.18) für die

Beteiligten jedoch ebenso real. Sie ist also keine Illusion, keine Scheinwelt und kein Trugbild,

wie Platon behauptete. Im Spiel wird – wie in der Fiktion – eine „kleine Welt“ (Eco, 1989)

geschaffen, die von den Regeln und Verpflichtungen der Alltagswirklichkeit zunächst

losgelöst ist und eigene dagegen setzt.18 Ohne die Analogie überzustrapazieren, wird hierbei

erneut etwas deutlich: Das Spiel steht zwar gewissermaßen außerhalb der Alltagswirklichkeit,

weil es anderen Regeln folgt. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Wirklichkeit nicht in das

Spiel hereinbrechen könnte. Ein gutes Beispiel ist der Kopfstoß von Zinedine Zidane in der

109. Minute des Endspiels der Fußball-Weltmeisterschaft von 2006. Er zeigt, dass ein Ort für

Fiktionalität – hier: das Spiel – niemals vollständig gegen die Wirklichkeit abgeschirmt

werden kann.19

Es soll hier jedoch zunächst noch ein Schritt zurückgegangen werden, damit Theorien

der Fiktion systematisch gesichtet werden können. Dabei werde ich den Begriff Fiktion als

Oberbegriff für das zu bestimmende Phänomen beibehalten. „Der Bezugspunkt des

Verständnisses von Fiktion als Nicht-Wirklichkeit ist die jeweilige Alltagswirklichkeit –

unabhängig von der erkenntnistheoretischen, historischen oder kulturellen Relativität ihrer

Konzeption.“ (Blume, 2001, S. 113) In diesem Sinne wurde auch in Abschnitt 2.1.4

argumentiert. Die schon benutzten Begriffe Fiktionalität und fiktional bezeichnen im

Folgenden eine Werkkategorie, liegen also auf der Ebene des Erzählens einer Geschichte.

16 Vgl. z.B. Maquard (1983) oder Adorno (1973), der schon im Vorwort seiner „Vorlesungen zur Ästhetik“ anmerkt: „Mit ihrer Autonomie ist die Kunst aus der Bürgerlichen Gesellschaft ausgebürgert.“ (S. 1) 17 Zum Begriff der Alltagswirklichkeit vgl. Abschnitt 2.1.4. 18 Zur hier angesprochenen „Theorie der möglichen Welten“ vgl. Zipfel (2001, S. 83). 19 Es ließen sich unzählige Beispiele finden, die die Analogie des (Fußball-) Spiels zur Fiktion weiter erhellen. Das wohl berühmteste Bonmot des Fußballs – „Entscheidend ist auf’m Platz“ – unterstreicht die Grenze zu Wirklichkeiten, in denen andere Regeln als die des Spiels gelten. In die selbe Richtung argumentiert auch Huub Stevens (2008), der anmerkt: „das schöne am Fußball ist doch: Wir können noch so viel Theater drum herum machen, das Spiel wird immer noch innerhalb der Außenlinien entschieden und nicht von einem Maskotchen, vom Fernsehen oder von einem Zeitschrifteninterview“ (S. 54). In umgekehrter Richtung zieht beispielsweise Klaus Theweleit (2004) Verbindungen zwischen den verschiedenen „Welten“, wenn er vom „Fußball als Realitätsmodell“ spricht.

27

Fiktivität und fiktiv bezeichnen dagegen auf der Ebene der erzählten Geschichte eine

Eigenschaft der dargestellten Sachverhalte als nicht der Wirklichkeit entsprechend (Blume,

2001, S.165). Man kann also beispielsweise sagen, „Star Wars“ ist ein fiktionaler Film,

während Luke Skywalker eine fiktive Figur ist.20

Literaturwissenschaftliche Fiktionstheorien können nach zwei Gesichtspunkten

geordnet und systematisiert werden.

Erstens kann gefragt werden, wie eindeutig die jeweiligen Theorien Realität und

Fiktion voneinander trennen. In diesem Sinne teilen Pavel (1986, S. 11ff.) und Tröhler (2002,

S. 12f.) die Theoretiker in „Segregationisten“ und „Integrationisten“. Erstere trennen

fiktionale Texte streng von faktualen, Wirklichkeit behauptenden Texten.21 Hier wird die

Fiktion auch schnell in die Nähe von Trugbildern und Lügen gebracht. Die Zweiten hingegen

sehen – zugespitzt – keine wesentlichen Unterschiede zwischen fiktionalen und

nichtfiktionalen Darstellungen. Solche Positionen wurden schon in Abschnitt 2.1.2

dargestellt. Sie finden sich sowohl im frühen Empirismus (Tröhler, 2002, S. 13), als auch in

neueren poststrukturalistischen und konstruktivistischen Positionen. Blume (2004) teilt

nahezu analog zu den „Segregationisten“ und „Integrationisten“ in die Kategorien

„Autonomismus“ (S. 16ff.) und „Panfiktionalismus“ (S. 12ff.).

Die zweite Möglichkeit, Theorien der Fiktion zu ordnen, besteht darin, nach der

Perspektive zu fragen, unter der Realität und Fiktion beschrieben werden. Nickel-Bacon,

Groeben und Schreier (2000) unterteilen in darstellungsbezogene, semantische und

pragmatische Theorien. Darstellungsbezogene Theorien machen Fiktionalität an

textinhärenten (syntaktischen) Merkmalen fest. Fiktionale und faktuale Texte unterscheiden

sich demnach in der Art und Weise, wie ihre Inhalte dargestellt werden. Semantische

Theorien hingegen betonen den fiktiven Charakter von in fiktionalen Texten dargestellten

Inhalten. Zentrales Moment der Unterscheidung ist damit eine fehlende oder vorhandene

Referenz von im Text beschriebenen Sachverhalten (Namen, Ereignissen usw.) auf die

Wirklichkeit. So wird die Fiktion über Fiktivität bestimmt. Star Wars ist fiktional, weil die

gezeigten Inhalte (Luke Skywalker, Darth Vader und die Raumschiffe) fiktiv sind.

Pragmatische Theorien der Fiktion beschreiben daneben vor allem die jeweils kulturell

geprägte Kommunikationssituation, unter der Fiktionalität „ausgehandelt“ wird. Ich werde

20 Mit diesen Ebenen wird in Literatur, Kino und Fernsehen gespielt. Beispielsweise gibt es in der fiktionalen Serie „Die Simpsons“ die fiktive „Itchy-und-Scratchy-Show“ als Serie in der Serie. 21 Der Begriff „Text“ wird hier und im Folgenden sowohl für Literatur im weitesten Sinne als auch für Fernsehsendungen, Kinofilme usw. verwendet. Vgl. für diesen „erweiterten Textbegriff“ auch Abschnitt 2.6 und Jurga (1997).

28

weiter unten noch sehr ausführlich auf die pragmatischen Konzeptionen eingehen, weil sie die

umfassendste Perspektive zur Beobachtung von Fiktion liefern.

Tabelle 2: Übersicht der verschiedenen Theorieperspektiven auf die Fiktion

Theorieperspektive Fokus auf

Syntaktisch Art und Weise der Darstellung

Semantisch dargestellte Inhalte

Pragmatisch kulturelle Rezeptionskonventionen

Die beschriebene Dreiteilung der Perspektiven in darstellungsbezogene, semantische und

pragmatische Theorien findet sich in den meisten Übersichtsarbeiten zum Thema (z.B.

Tröhler, 2002; Zipfel, 2001).

Interessanterweise kommt Pietraß (2002) aus gänzlich anderer, nämlich

medienpädagogischer und interaktionstheoretischer Perspektive, zu einer ganz ähnlichen

Dreiteilung. Sie bezieht sich jedoch nicht auf literarische Texte oder Kinofilme, sondern auf

das Fernsehen. Dies zeigt, wie auch Nickel-Bacon et al. (2000) betonen, dass es möglich ist,

die vorgestellten literaturwissenschaftlichen Theorien auf andere Medien als die Literatur zu

übertragen. Im Folgenden sollen unter jeder der drei Perspektiven relevante theoretische

Ansätze diskutiert werden. Die Auswahl und Gewichtung der klassischen Arbeiten erfolgt

dabei nach der Zielsetzung, die drei Perspektiven als verschiedene Ebenen eines Modells zu

integrieren.22

2.3.1 Darstellungsbezogene Theorien der Fiktion

Prägend für die Diskussion um Fiktion und Fiktionalität ist noch heute die klassische Arbeit

zur Logik der Dichtung von Käte Hamburger (1977), die erstmals 1957 erschien. Darin

vertritt Hamburger die These von „echten objektiven Symptomen“ (S. 64f.), an denen ein

fiktionaler Text zu erkennen und von einem faktualen zu unterscheiden sei. Diese Symptome

liegen auf der Darstellungsebene. Das wichtigste „Symptom“ ist die Trennung von

erzählender und erlebender Instanz im Text. Weil der Autor eines Tatsachenberichts keinen

Einblick in die Gedankenwelt der vorkommenden Personen hat, kann er über diese auch nicht

berichten. Anders der Autor literarischer Werke, der aus auktorialer Perspektive alle

22 Die Begriffe Ebenen und Perspektiven werden im Folgenden in Bezug auf die unterschiedlichen Zugänge zur Fiktion weitestgehend synonym gebraucht.

29

Gedanken und Gefühle seiner Figuren kennt. Schließlich hat er sie erfunden. „Die epische

Fiktion ist der einzige erkenntnistheoretische Ort, wo die Ich-Originalität (oder Subjektivität)

einer dritten Person als einer dritten dargestellt werden kann.“ (Hamburger, 1977, S. 79) Nach

Vogt (1990) zeigen diese Merkmale „definitiv die Fiktionalität eines erzählenden Textes an.“

(S. 30)

In einer anderen, ebenfalls darstellungsbezogenen Sichtweise macht Dorrit Cohn

(1990) Fiktionalität an der Trennung zwischen Autor und Erzählinstanz fest, die eine

narratologische signpost of fictionality darstelle. Beide Positionen sind in der

Literaturwissenschaft vielfach kritisiert worden (Zimmermann, 1971; Weimar, 1974).

Kernpunkt der Kritik ist dabei die behauptete Textimmanenz der Fiktionalitätskriterien, d.h.

Probleme bekommen rein darstellungsbezogene Theorien beispielsweise bei fingierten

Autobiographien wie Günter Grass’ (2002/ Erst. 1959) Blechtrommel. Erzählinstanz und

erlebende Person sind hier gleich – Gedanken und Gefühle sind in der Ich-Form beschrieben,

dennoch ist der Text eindeutig fiktional. Die Gründe dafür, dass dieses Werk (in

Übereinstimmung mit der Autorenintention) als fiktionales rezipiert wird, sind damit nicht

rein auf der Ebene des Textes zu suchen.

Ein diesbezüglich interessanter Befund stammt von Wildekamp, van Montfoord und

van Ruiswijk (1980). Sie fanden, „dass nur Literaturstudenten und –studentinnen die

Unterscheidung zwischen Fiction und Non-Fiction auf Grund darstellungsbezogener

Textmerkmale vornehmen, dass aber StudentInnen anderer Fächer ebenso wie Schülerinnen

und Schüler die Unterscheidung anhand inhaltlicher Kriterien wie Unwahrscheinlichkeit oder

Unwahrheit treffen. Diese Kriterien stellen aber Fiktionssignale auf semantischer Ebene dar.“

(Nickel-Bacon et al., 2000, S. 272)

In Bezug auf das Fernsehen scheint es ebenfalls schwierig, gute Fiktionalitätskriterien

auf Darstellungsebene zu finden. Wichtige Arbeiten zur empirischen Erforschung solcher

Hinweise hat Angela Keppler (2006) geleistet. Sie vergleicht die Darstellung terroristischer

Anschläge in Spielfilmen und Nachrichtensendungen und kommt zu einer Reihe von

darstellungsbezogenen Unterschieden. Dazu gehört zum Beispiel – wie auch in der

Literaturtheorie – das Fehlen oder Vorhandensein von Personen, aus deren Erleben heraus

eine Situation dargeboten wird. Dazu kommen Merkmale wie Kameraposition, Schnittfolge,

begleitender Kommentar oder einen „narrativen, über die gesamte Stecke des Films

durchgehaltenen Großrhythmus“ (S. 179). Bemerkenswert ist zunächst der große Aufwand,

der betrieben werden muss, um in akribischen qualitativen Analysen von auf Bild- und

Tonebene transkribiertem Material auf eine vorläufige Liste solcher Merkmale zu kommen.

30

Die Untersuchungen von Keppler (2006) zeigen zwei für unser Anliegen zentrale

Ergebnisse. Erstens machen sie deutlich, dass es die oben zitierten „definitiven“ (Vogt, 1990)

oder „objektiven“ (Hamburger, 1977) darstellungsbezogenen Merkmale der Fiktion nicht

gibt. „Wie sehr wir diese Liste aber erweitern mögen, sie wird weder notwendige noch für

sich allein hinreichende Bedingungen eines fiktionalen oder nichtfiktionalen filmischen Stils

enthalten können.“ (Keppler, 2006, S. 180) Zweitens wird mit den Ergebnissen eine zentrale

Tatsache deutlich, die damit zusammenhängt: Sämtliche darstellungsbezogenen Merkmale

finden sich sowohl in fiktionalen wie in nichtfiktionalen Sendungen. Eindrucksvoll zeigt

Keppler dies am Beispiel einer Amateuraufnahme, die ohne vorherige Bearbeitung und

Kommentar in einer Tagesthemen-Sondersendung am 11. September 2001 gezeigt wurde. Im

kontrastiven Vergleich dieses Beitrags wird deutlich, wie sehr alle anderen „herkömmlichen“

Nachrichtenbeiträge schon dramaturgisch, licht- und kameratechnisch usw. bearbeitet sind.

Diese Bearbeitungen sind eindeutig Hinweise auf Fiktionalität, finden sich aber auch in

Nachrichtensendungen.23

Dem besonderen Reiz des oben beschriebenen Video-Clips von Rage Against the

Machine würde man mit Kepplers Liste von darstellungsbezogenen Fiktionsmerkmalen allein

nicht gerecht. Beachtet man nur Schnittfolge, Dramaturgie und Kameraperspektive, wäre der

Clip schlicht fiktional. Gleiches gilt für die fiktionalisierten (Pietraß, 2002) Bilder aus dem

Irakkrieg. Ein Großteil der Merkmale, die zur Authentifizierung der Serie Lenßen und Partner

(siehe oben) eingesetzt werden, liegen auf darstellungsbezogener Ebene. Bestes Beispiel ist

die in der Serie immer wieder verwendete Perspektive der Überwachungskamera. Auch in

Kepplers (2006) Untersuchungen wird deutlich, dass authentifizierende Darstellungsformen

als Stilmittel in fiktionalen Sendungen benutzt werden.

Darstellungsbezogene Hinweise sind also für sich genommen eine sehr unsichere

Grundlage für Entscheidungen für oder gegen die Fiktionalität eines Textes. In diesem Sinne

argumentierte schon Aristoteles. In seiner Poetik schreibt er ca. 335 v.Chr.: „Denn der

Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich nicht dadurch voneinander, daß sich

der eine in Versen und der andere in Prosa mitteilt - man könnte ja auch das Werk Herodots

[antiker Historiker – Anm.] in Verse kleiden, und es wäre in Versen um nichts weniger ein

Geschichtswerk als ohne Verse-; sie unterscheiden sich vielmehr dadurch, daß der eine das

wirklich Geschehene mitteilt, der andere, was geschehen könnte.“ (Aristoteles, 2008, Absatz

23 Und zwar, wie das Beispiel zeigt, auch in gemeinhin als seriös anerkannten. Interessant wäre es zu untersuchen, was diese Seriösität im Gegensatz zu den oben schon genannten „RTLII Action News“ ausmacht. Dabei steht in Frage, ob es sich bei den Unterschieden um ein bloßes Mehr an Dramatisierung (sensu Göttlich, Nieland & Schatz, 1998, vgl. Abschnitt 2.2) oder um qualitativ andere Darstellungsformen handelt.

31

9). Letzteres ist aber, wie schon die Strategien der Nicht-LiteraturstudentInnen in der Studie

von Wildekamp, van Montfoord und van Ruiswijk (1980), auf semantischer Ebene zu

verorten.

Ziel der Perspektive der Darstellungsebene kann es demnach nicht sein, das eine

sichere Kriterium über den fiktionalen Status einer Sendung zu finden. Vielmehr muss es

darum gehen, einzelne Signale als Hinweise zu entdecken und miteinander zu verrechnen.

Analog zur literaturwissenschaftlichen Konzeption von Anderegg (1983) könnte so eine

„Welt der Übergänge“ (S. 172) zwischen fiktionalen und nichtfiktionalen Hinweisen in

Sendungen angenommen werden. Diese Hinweise stehen dann nach Pietraß (2002) in einem

„konnotativen Verhältnis zum Bildinhalt“ (S. 373), konstituieren also nicht selbst die

Bedeutung des Inhalts, sondern verändern diese lediglich.

Als Fazit lässt sich also feststellen, dass es auf darstellungsbezogener Ebene keine

eindeutigen Kriterien für die Fiktionalität einer Sendung gibt, sondern nur „viele

Unterschiede, die einen Unterschied machen“ (Keppler 2006, S. 179), wenn sie verrechnet

werden. Die Bestimmung der entsprechenden Hinweise ist zudem sehr aufwändig und in

Bezug auf das Fernsehen noch recht unsystematisch. Nicht zuletzt deshalb scheinen

RezipientInnen, die nicht Medien- oder Literaturwissenschaften studiert haben, die

Beurteilung des Realitätsstatus’ eines Texts eher an inhaltlichen Kriterien festzumachen

(Wildekamp, van Montfoord & van Ruiswijk, 1980). Theorien, die diese Perspektive

fokussieren, sollen im Folgenden besprochen werden.

2.3.2 Semantische Theorien der Fiktion

Wie oben schon angedeutet, soll in semantischen Theorien der Fiktion die Bestimmung der

Werkkategorie über die dargestellten Inhalte geleistet werden. Dabei ist in der

Literaturwissenschaft der vorhandene oder fehlende Bezug von Sprache auf eine

außersprachliche oder außertextuelle Wirklichkeit von entscheidender Bedeutung.

Grundlegend ist hier Gottfried Gabriels (1975) „semantische Theorie der Literatur“. Gabriel

stellt fest, dass ein und derselbe Satz sowohl im fiktionalen wie im nicht-fiktionalen Text

stehen könnte.24 Entscheidender Unterschied ist die so genannte Referenzialisierbarkeit:

„’fiktionale Rede’ heiße diejenige nicht-behauptende Rede, die keinen Anspruch auf

Referenzialisierbarkeit oder auf Erfülltheit erhebt.“ (S. 28) Das heißt, im Text genannte

24 Womit beide Sätze auf Darstellungsebene gleich sind.

32

Elemente der Erzählung haben keine Entsprechung in der Wirklichkeit.25 Zum Beispiel

befand sich auf dem historischen Schiff Titanic kein Passagier namens Jack Dawson – der im

Film Titanic gezeigte Jack hat also keine Referenz in der Wirklichkeit. Die Handlungen des

fiktiven Jack sind damit „Zeichen, die auf kein in der Wirklichkeit existierendes Individuum

angewendet werden können“ (Thürnau, 1994, S. 17). Dies ist in semantischen Theorien der

Fiktion zentrales Merkmal der Fiktionalität.

Ähnlich der oben dargestellten Theorie von Hamburger (1977/1957) gibt es auch hier

zahlreiche Versuche, die Fiktion autonomistisch zu bestimmen, sie also durch ihren

kategorialen Unterschied zur Wirklichkeit zu definieren. Nach diesen Theorien „würden

Ausdrücke, die in einen fiktionalen Kontext eingebunden sind, […] von jeglichen

unmittelbaren Bezügen zur Wirklichkeit entkleidet (radikaler Autonomismus)“ (Blume, 2004,

S. 16). Dabei wird häufig versucht, das spezifisch Literarische eines Textes über seine

Fiktivität zu bestimmen.26 So werden beispielsweise bei Lämmert (1991) literarische Texte

als solche gekennzeichnet, die von einem Lebenszusammenhang erzählen, „der von der realen

Wirklichkeit schon durch seine Abrundung kategorial verschieden ist“ (S. 26). Mit der

„Abrundung“ der fiktiven Geschichte gegenüber der Wirklichkeit klingt bei Lämmert

wiederum ein altes Motiv der aristotelischen Poetik an. Darin kennzeichnet Aristoteles die

Tragödie u.a. als „in sich geschlossene Handlung“ (Absatz 6). Im Sinne der

Abgeschlossenheit von Literatur gegenüber der Wirklichkeit argumentiert auch Keller (1980),

der meint, Literatur sei „Fiktion, weil sie den Realitätsbezug kappt, im Raum der Imagination,

des bloß Vorgestellten verbleibt.“ (S. 7) Dass dies eine schwierige Behauptung ist, zeigen

Fälle, in denen ein vom Autor vermeintlich „gekappter Realitätsbezug“ in der Rezeption eben

nicht als solcher wahrgenommen wird. Auf die Spitze getrieben wird diese Problematik, wenn

vor Gericht geklärt werden muss, ob eine im Roman (als fiktionalem Genre) dargestellte

Person fiktiv ist oder eindeutig auf eine „wirkliche“ Person verweist. Im aktuellen Fall von

Maxim Billers Esra bedeutete dies nicht nur, dass der Roman verboten wurde (Seiler, 2007),

sondern auch, dass die vermeintlich im Roman dargestellte Person 50.000 Euro

Schmerzensgeld vom Autor bekam (Spiegel, 2008). Biller hatte über intime Details aus dem

Liebes- und Sexualleben der Protagonistin Esra geschrieben, in denen sich seine ehemalige

Freundin eindeutig wieder erkannte und daraufhin gegen die Veröffentlichung des Buches

klagte. Dass es überhaupt eines Gerichts bedarf, um hier Kunstfreiheit gegen

25 Zur Problematisierung des Begriffs „Wirklichkeit“ vgl. nochmals Abschnitt 2.1.4. 26 Dabei dient die Abgrenzung von literarischen Texten gegenüber nicht-literarischen wohl auch der Abgrenzung der Literaturwissenschaft gegenüber anderen Wissenschaften.

33

Persönlichkeitsrechte abzuwägen, zeigt, dass es mit dem gekappten Realitätsbezug im

fiktionalen Text so einfach nicht ist.

Damit hat auch Anderegg (1977) Unrecht, wenn er behauptet, dass „der Fiktivtext am

Bestehenden nicht gemessen werden kann.“ (S. 96) Eben dies ist ja passiert: weil der Roman

am Bestehenden gemessen wurde und offenbar auch messbar war, wurde er verboten.

Dennoch ist die Kennzeichnung von Billers Text als Roman und damit als fiktional nicht

irrelevant: „Wäre ‚Esra’ als Erfahrungsbericht veröffentlich worden, wäre es mit den

Unterlassungsauflagen ganz schnell gegangen, so wie es bei Dieter Bohlens ‚Nichts als die

Wahrheit’ ganz schnell ging.“ (Seiler, 2007, S. 14) Dies jedoch verweist schon auf

pragmatische Kategorien, um die es unten noch ausführlicher gehen wird.

Dem Problem des mehr oder weniger eindeutigen Wirklichkeitsbezugs wird in

semantischen Theorien durch Einführung einer „Als-Ob Konstruktion“ begegnet (Gabriel,

1975; Thürnau, 1994). Demnach seien Aussagen bzw. Produktinhalte in fiktionalen Texten

nicht als solche relevant, sondern müssten immer schon unter fiktionalen Vorzeichen gelesen

werden, unter denen eben dieser Bezug suspendiert sei. In diesem Sinne wird wieder für eine

kategoriale Abgeschlossenheit der Fiktion gegenüber der Wirklichkeit argumentiert – ohne,

dass allerdings deutlich gemacht werden kann, wie es zu einer solchen Rezeption unter dem

Vorzeichen des Als-Ob (Vaihinger, 1986/ Erst. 1911) kommen kann.27 Blume (2004) bemerkt

dazu kritisch: „Es wird zwar zugegeben, daß Bezüge auf Realien in fiktionalen Texten

vorkommen, sie werden aber – auf unbestimmt gelassene Art und Weise – von ihrem

Wirklichkeitsbezug gelöst, jedenfalls sei dieser für das Textganze nicht von Bedeutung.“ (S.

19)

Die Rede von der Autonomie der Kunst und damit der Literatur und des Films kommt

jedoch nicht von ungefähr. Ohne Autonomie könnte sie nicht vollbringen, was ja gerade ihren

Reiz ausmacht, nämlich jene imaginären „Small Worlds“ (Eco, 1989) zu schaffen, in die

LeserInnen sich hineinbegeben und um derentwillen Literatur rezipiert wird. Die Suspension

des Wirklichkeitsbezugs erfolgt jedoch niemals vollständig. Es muss beachtet werden, dass

auch im fiktionalen Text immer nicht-fiktive Elemente zu finden sind. Selbst in der

fantastischen Welt des „Herrn der Ringe“ gelten die Gesetze der Schwerkraft und die

Menschen reiten auf den Pferden und nicht umgekehrt. Noch deutlicher wird diese Tatsache

im Fall von historischen Filmen und Romanen, in denen bekannte Fakten akribisch dar- und

nachgestellt werden. Zum Beispiel war es Teil des großen kommerziellen Erfolgs des Films

Titanic, dass das Schiff mit allen Details, auch des Innenraums bis hin zur originalgetreuen 27 Diese Frage wird – wie wir in Abschnitt 2.3.3 sehen werden – in pragmatischen Theorien der Fiktion behandelt.

34

Nachbildung der Verzierungen des Silberbestecks in der ersten Klasse, genau rekonstruiert

worden ist (Töteberg, 2005). Die Umgebung, in der die fiktiven Figuren Jack und Rose

agieren, ist also nicht fiktiv, sondern verweist eindeutig auf die Wirklichkeit. Außerdem ist sie

„für das Textganze“ offenbar durchaus relevant. Wie wäre es sonst zu erklären, dass vor

Drehbeginn sämtliche historischen Details des Schiffes genau recherchiert worden sind und

für den Film eigene Tauchfahrten zum Wrack der Titanic unternommen wurden (ebd.)?28

Diese Beispiele bringen uns dazu zuzugeben, „daß wir selbst bei der unmöglichsten

aller Welten, um von ihr beeindruckt, verwirrt, verstört oder berührt zu sein, auf unsere

Kenntnis der wirklichen Welt bauen müssen. […] Dies aber bedeutet: Die fiktiven Welten

sind Parasiten der wirklichen Welt.“ (Eco, 1996, S. 112) Ohne eine Vorstellung von

Wirklichkeit wäre also auch die Fiktion nicht möglich. Damit ist aber auch eine Geschichte,

die unter semantischer Perspektive betrachtet in gar keiner Weise Bezug auf die Wirklichkeit

nimmt, schlichtweg undenkbar. „Außerdem löst sich mit dem inhaltlich-semantisch

fundierten Nachweis von realitätsnahen oder gar realitätsentsprechenden Textelementen,

genauer gesagt: von Textbedeutungen, die im Sinne des herrschenden Wirklichkeitsmodells

als referenzialisierbar und damit als real betrachtet werden müssen, die von Gabriel und

Thürnau immer schon vorausgesetzte Dichotomie zwischen Fiction und Non-Fiction

tendenziell auf“ (Nickel-Bacon et al., 2000, S. 277). Fiction (als Werkkategorie) ist auf Ebene

der Inhalte nicht auf fiktive Elemente beschränkt, sondern stellt immer eine Mischung von

Fiktivem und Nicht-Fiktivem dar. Der häufigste Fall ist dabei, dass fiktive Personen

(Individua) in realen Umgebungen (Generalia) agieren. Dies ist jedoch keineswegs immer so.

Zum Beispiel ist der Anwalt Ingo Lenßen aus der Serie Lenßen und Partner eine „erfüllte

Referenz“ (im Sinne Gabriels) auf den echten Ingo Lenßen. Auch die Umgebung (Stadt

München) ist real; die Handlungen um die dargestellten Fälle sind fiktiv.

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass die Inhaltsebene wertvolle

Bestimmungsstücke für den Begriff der Fiktion bereithält. Semantische Theorien leiden

jedoch zu einem Großteil an dem Versuch, fiktionale Texte auf der Ebene der dargestellten

Inhalte kategorial von nicht-fiktionalen zu trennen, was ein unmögliches Unterfangen ist. Ein

positiver Beitrag semantischer Ansätze ist der Versuch, die Fiktivität einzelner Inhalte zu

identifizieren. Dieses Verdienst bleibt, obgleich die Existenz solcher Inhalte kein

hinreichendes Kriterium für Fiktionalität ist. Ob es sich überhaupt lohnt, nach solchen

28 Außerdem – so könnte man hinzufügen – werden diese Unternehmungen auch auf Rezipientenseite ernst genommen, wie die vielen Diskussionsforen zeigen, die sich mit so genannten Filmfehlern beschäftigen. Hier wird beispielsweise leidenschaftlich diskutiert, ob ein bestimmtes Bild im Innenraum der Titanic hängen konnte oder nicht (vgl. http://www.fehler-im-film.de/forum/showthread.php?t=1396).

35

hinreichenden Kriterien zu suchen, oder ob die genannten Vermischungen nicht geradezu

konstitutiv für den Begriff der Fiktion sind, wird im Folgenden Thema sein. Außerdem wird

es dort um die hier bewusst nicht gestellte Frage nach der Sicht der RezipientInnen gehen:

Was sind die rezipientenseitigen Bedingungen für die Möglichkeit der Identifizierung fiktiver

Inhalte? Nach beiden (miteinander zusammenhängenden) Punkten wird vor allem in

pragmatischen Theorien der Fiktion gefragt.

2.3.3 Pragmatische Theorien der Fiktion

Sowohl darstellungsbezogene als auch semantische Theorien versuchen, das Phänomen

Fiktion allein auf der Ebene des Textes zu beschreiben, was wie wir gesehen haben, nicht

befriedigend gelungen ist. Pragmatische Theorien versuchen die Perspektive zu erweitern,

indem sie Produktions- und Rezeptionshandlungen von KommunikationsteilnehmerInnen in

die theoretische Modellierung mit einbeziehen. Nach Nickel-Bacon et al. (2000) lässt sich

Fiktion „nicht auf abstrakter, d.h. von kommunikativen Kontexten losgelöster Textebene,

sondern nur im Rahmen soziokulturell bestimmter Kommunikationstypen“ (S. 278)

bestimmen.29 Damit ist Fiktionalität – ganz im Sinne der in Abschnitt 2.1.4 angestellten

konstruktivistischen Reformulierungen – nicht mehr Eigenschaft eines Textes, sondern eine

Eigenschaft, die einem Text zugeschrieben wird (vgl. Schreier, Groeben, Rothmund &

Nickel-Bacon, 2001, S. 37).

Innerhalb der Semiotik bezeichnet die Pragmatik die Beziehung zwischen den Zeichen

und ihren Benutzern (Eco, 1994). In einer paradigmatischen Arbeit umreißt Austin (1962) das

Themengebiet der Pragmatik als Suche nach Antworten auf die Frage „How to do things with

words?“. Angewendet auf eine Theorie der Fiktion könnte man somit aus pragmatischer

Perspektive fragen: How to do fiction? Entscheidend an dieser Formulierung ist, dass

Fiktionalität nicht einfach entsteht und dann objektiv beobachtet werden kann (vgl.

Hamburger, 1977), sondern gemacht wird und zwar auf Autoren- bzw. Produzentenseite und

auf Seiten der Rezeption. „Das ontologische Argument muss durch ein funktionalistisches

ersetzt werden. Fiktion und Wirklichkeit können daher nicht mehr als ein Seinsverhältnis,

sondern müssen als ein Mitteilungsverhältnis begriffen werden.“ (Iser, 1976, zitiert nach Jauß,

1982, S. 293)

Um dieses Verhältnis in den Blick zu bekommen, sucht Iser (1991) zu klären, wie

produktseitige Fiktionalität zu fassen ist. Grundlegend dafür ist eine Feststellung, die auch 29 Damit wird deutlich, dass es sich bei der oben (Abschnitt 2.3) formulierten Analogie der Fiktion zum Spiel um einen Vergleich auf pragmatischer Ebene handelt.

36

oben schon getroffen wurde: „Das Oppositionsverhältnis von Fiktion und Wirklichkeit würde

die Diskussion des Fiktiven im Text um seine entscheidende Dimension verkürzen; denn

offensichtlich gibt es im fiktionalen Text sehr viel Realität“ (ebd.). Ebenfalls in

Übereinstimmung mit den oben gemachten Feststellungen argumentiert Iser, solche Realitäten

in Texten seien „ihrerseits keine Fiktionen und sie werden auch nicht zu solchen, nur weil sie

in die Darstellung fiktionaler Texte eingehen.“ (ebd., S. 20; vgl. auch Abschnitt 2.3.2)

Das fundamental Neue an seiner Theorie der Fiktion ist die Ersetzung des

Begriffspaars Realität vs. Fiktion durch eine „Triade des Realen, Fiktiven und Imaginären“

(ebd., S. 19). Iser selbst bringt seine Überlegungen zu Realität, Fiktion und Imagination in

einem zentralen Satz auf den Punkt: „Enthält der fiktionale Text Reales, ohne sich in dessen

Beschreibung zu erschöpfen, so hat seine fiktive Komponente wiederum keinen

Selbstzweckcharakter, sondern ist als fingierte die Zurüstung eines Imaginären.“ (S. 18) Die

bei Iser (1991) zentralen Begriffe des Realen, des Fiktiven und des Imaginären sollen im

Folgenden kurz geklärt werden.

Das Reale ist für Iser im weitesten Sinne das, worauf der Text Bezug nimmt, also

andere Texte oder die gegebene außertextuelle Welt. Das Imaginäre ist am besten mit einer

spontanen, unwillkürlichen und nicht zielgerichteten Phantasie oder Vorstellung zu

beschreiben. Das Fiktive ist dem gegenüber ein zielgerichteter, „intentionaler Akt“ (ebd., S.

20) und den Menschen jenseits der Literatur von der Lüge und der Täuschung her bekannt.

Das Imaginäre und das Fiktive sind den Menschen nach Iser aus ihrem alltäglichen Leben

bekannt, sie gehören zu den menschlichen „Evidenzerfahrungen“ (ebd., S. 15) und sind damit

Dispositionen der anthropologischen Grundausstattung (Iser, 1990).

Das Fiktionale eines Textes ist für Iser das Ergebnis des Zusammenspiels von Realem

und Imaginärem. Dieses Zusammenspiel geschieht durch die produzentenseitigen „Akte des

Fingierens“. Ein solcher Akt ist jene „Zurüstung eines Imaginären“ zum Realen im obigen

Zitat. Beispielsweise handeln im fiktionalen Film Titanic die imaginären Personen Jack und

Rose auf dem realen Schiff Titanic. Ganz im Sinne von Eco (1996; vgl. auch Abschnitt 2.3.2)

impliziert damit jede Fiktion die uns gegebene faktische Realität, überschreitet diese jedoch

durch die Verflechtung mit fiktiven Elementen. Die Beziehung von Imaginärem und Realem

kann dabei als wechselseitige Grenzüberschreitung gesehen werden. „Die

Grenzüberschreitung widerfährt demnach dem Realen wie dem Imaginären; jenes wird

irrealisiert, dieses erfährt Realwerdung.“ (Sill, 2001, S. 128f.) In der Fiktion treffen sich also

gewissermaßen Realität und Imagination, büßen ihren jeweils spezifischen Charakter ein und

werden durch die Akte des Fingierens zum Fiktiven. „In der Überführung wiederholter

37

lebensweltlicher Realität zum Zeichen für anderes manifestiert sich die Grenzüberschreitung

als eine Form der Irrealisierung; in der Überführung des Imaginären als eines Diffusen in

bestimmte Vorstellungen geschieht ein Realwerden des Imaginären.“ (Iser, 1991, S. 129)

Welches aber sind die so genannten Akte des Fingierens und wie sehen sie aus? Iser

geht von drei intentionalen Akten aus, die autorenseitig entscheidend für die Fiktionalität

eines Textes sind: Selektion, Kombination und Selbstanzeige als Fiktion. Im fiktionalen Text

werden Elemente mit unterschiedlichen Wirklichkeitsbezügen ausgewählt und zu einem

neuen Arrangement miteinander kombiniert. Im Gegensatz zum berichtenden Text ist der

fiktionale dabei nicht auf historisch oder aktuell verbürgte Elemente beschränkt, ist aber frei,

auch diese zu kombinieren.30

Für die vorliegende Arbeit von Interesse ist vor allem der dritte Akt des Fingierens

nach Iser: die „Selbstanzeige des Textes als Fiktion“, die Iser (1991) auch als „Entblößung

seiner Fiktionalität“ (S. 35) bezeichnet: „Es kennzeichnet die Literatur im weitesten Sinne,

daß sie sich durch ein Signalrepertoire als fiktional zu verstehen gibt.“ (Ebd.) Diese

Fiktionssignale werden bei Iser jedoch ausdrücklich nicht wie bei Hamburger (1977) als

eindeutig und objektiv erkennbar gesehen. Stattdessen vollzieht Iser (1991) den

entscheidenden Schritt pragmatischer Modellierungen der Fiktion, indem er zu ihrer

Bestimmung Textproduktion und Rezeption zueinander in Beziehung setzt. Damit wird die

Fiktion gewissermaßen sozialisiert. „Denn das im Text markierte Fiktionssignal wird erst zu

einem solchen durch bestimmte, historisch variierende Konventionen, die Autor und

Publikum teilen und die mit den entsprechenden Signalen aufgerufen werden. Daher

bezeichnet das Fiktionssignal nicht etwa Fiktion schlechthin, sondern den ‚Kontrakt’

zwischen Autor und Leser, dessen Regelungen den Text nicht als Diskurs, sondern als

‚inszenierten Diskurs’ ausweisen.“ (S. 35)

Dabei ist der „Kontrakt“ oder „kommunikative Vertrag“ ein Schlüsselbegriff

pragmatischer Theorien nicht nur in der Literaturwissenschaft, sondern auch in der Theorie

der AV-Medien. Dies wird zum Beispiel in einem Sonderheft zur Pragmatik des Films der

Zeitschrift montage/av deutlich, in welchem die Autoren im Editorial anmerken: „Nicht der

Text an sich, sondern der Text innerhalb bestimmter institutioneller Kontexte ist Gegenstand

der Untersuchung […] Ein Schlüsselbegriff ist hierbei der des ‚kommunikativen Vertrages’

30 Damit gehört Iser, wie auch Eco, zu einer Gruppe von Theoretikern, „die die Semantik von der Pragmatik her betrachten“, wie es Nickel-Bacon et al. (2000, S. 278) ausdrücken. Das heißt, die Theorie verzichtet nicht auf eine semantische Betrachtungsweise, sieht diese aber als der Pragmatik nachgeordnet (vgl. Abschnitt 2.3.4).

38

oder ‚Pakts’, der erst die Rahmenbedingungen schafft, innerhalb derer die Zuschauer Texte

verstehen können.“ (Curtis et al., 2002, S. 4)31

In Bezug auf Fiktionalität hat bereits Schmidt (1980a) einen „Fiktionsvertrag“

beschrieben. Dieser basiert auf unterschiedlichen Konventionen, unter denen non-fiktionale

und fiktionale Texte rezipiert werden müssen. Diese sind zum einen die

„Tatsachenkonvention“, die beinhaltet, dass Aussagen und Behauptungen im Sinne der

Überprüfbarkeit wahr sein müssen. Und zum anderen die „Ästhetikkonvention“, die diesen

Anspruch aussetzt und stattdessen Kriterien wie Schönheit oder Genusspotential anlegt. Die

intuitiv relativ rigide gemachten Unterscheidungen zwischen Realität und Fiktion sind nach

Schmidt (1980b) bedingt durch die Sozialisation. „Schmidt führt also die intuitiv als natürlich

verstandene Dichotomie von Fiktion und Wirklichkeit zurück auf die Sozialisation in zwei

prinzipiell unterschiedenen Diskursen, welche von soziokulturellen, mithin dem historischen

Wandel unterliegenden Konventionen geregelt werden, die bei Produktion und Rezeption von

Fiction und Non-Fiction jeweils unterschiedliche Einstellungen bedingen.“ (Nickel-Bacon et

al. 2000, S. 284).

2.3.4 Pragmatik als vorgeordnete Perspektive

Damit wird zum ersten Mal in der vorliegenden Argumentation ausdrücklich die Perspektive

der RezipientInnen thematisiert. Um zu einem umfassenderen Konzept der Fiktion und ihrer

Rezeption zu kommen, wird im Folgenden die Bedeutung des „Fiktionsvertrags“ für die

Betrachtung der Fiktion unter semantischer Perspektive herausgearbeitet. Dabei wird sich

zeigen, dass es letztlich eine Integration der hier vorgestellten Perspektiven ist, die in der

Lage ist, einen tragfähigen Begriff der Fiktion zu etablieren.

Eco (1996) beleuchtet die Perspektive der RezipientInnen in seiner Beschreibung des

„Vertrags“ genauer. Er fragt nach Folgen und Voraussetzungen der Begegnung mit

fiktionalen Texten auf Seiten der RezipientInnen. „Die Grundregel jeder Auseinandersetzung

mit einem erzählenden Werk ist, daß der Leser stillschweigend einen Fiktionsvertrag mit den

Autor schließen muss, der das beinhaltet, was Coleridge ‚the willing suspension of disbelief’,

die willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit nannte. Der Leser muss wissen, daß das, was

31 Dabei ist die Rede von einem „Vertrag“ keineswegs unproblematisch, wie schon die Anführungszeichen zeigen innerhalb derer der Begriff zumeist verwendet wird. Das macht vor allem Sutter (2001) deutlich, wenn er die unreflektierte Verwendung des Interaktionsbegriffs kritisiert, wo doch eigentlich die Massenkommunikation eine „Rede ohne Antwort“ bleibt (vgl. dazu wiederum kritisch: Charlton (2001), der den Vertragsabschluß als sequentielle Handlungsfolge von „turns“ expliziert). Es ist hier jedoch nicht der Platz, diese Debatte weiter zu vertiefen.

39

ihm erzählt wird, eine ausgedachte Geschichte ist, ohne darum zu meinen, daß der Autor ihm

Lügen erzählt.“ (Eco, 1996, S. 103)

Der suspension of disbelief ist ein interessantes Konstrukt, denn offenbar gilt er in der

Rezeption niemals für den gesamten Text als solchen, sondern immer nur für bestimmte

Bereiche. Zum Beispiel: Nur weil Der Herr der Ringe eindeutig fiktional ist, bedeutet dies

nicht, dass die RezipientInnen es ohne weiteres hinnehmen würden, wenn hier auf einmal die

Gesetze der Schwerkraft nicht mehr gelten würden. Im Rahmen der Matrix-Filme kann dies

hingenommen werden, weil das Schweben als in der „Matrix Welt“ mögliche Form der

Fortbewegung eingeführt wurde. Man sieht: Abweichungen von der Wirklichkeit der

Alltagswelt müssen vom Film gekennzeichnet und von den RezipientInnen akzeptiert werden:

„alles, was im Text nicht ausdrücklich als verschieden von der wirklichen Welt erwähnt oder

beschrieben wird, muß als übereinstimmend mit den Gesetzen und Bedingungen der

wirklichen Welt verstanden werden.“ (Eco, 1996, S. 112) Dies ist eine direkte Folge der oben

beschriebenen Eigenart der Fiktion, Parasit der wirklichen Welt zu sein.

In seiner Version des Fiktionsvertrags kommt Eco (1996) auf die Rolle der

Fiktionssignale zurück, durch die es erst zum suspension of disbelief kommen kann. Er betont

jedoch, „daß es keine unumkehrbaren Fiktionssignale gibt – außer wenn Elemente des

Paratextes ins Spiel kommen.“ (S. 166)32 Der Paratext ist allgemein definiert als Text, der die

Funktion hat, die Bedeutung eines Haupttextes zu steuern, zu ergänzen oder in einer

bestimmten Weise zu kommentieren (Genette, 1992). In Bezug auf Medienprodukte ist das

Paradebeispiel die Gattungsbezeichnung, etwa als Roman oder als Spielfilm. Paratextuelle

Bezeichnungen oder Einschübe sind ein wichtiges Thema pragmatischer Theorien, weil sie in

Bezug auf die Abstimmungsleistungen zwischen Text und RezipientInnen direkt

„kommunikationssteuernde“ Hinweise für die Rezeption darstellen. Die Bezeichnung

Spielfilm zeigt also an, dass das Gesehene als fiktional zu rezipieren ist.

In dem in Kap. 2.2 beschriebenen Clip von Rage Against the Machine sind es die

Einblendungen zu Beginn, die die RezipientInnen darauf hinweisen, dass das Gezeigte nicht

erfunden ist, sondern wirklich stattgefunden hat. In gleicher Weise sind es die uneinheitlichen

und zum Teil irreführenden paratextuellen Gattungsbezeichnungen der Serie Lenßen und

Partner, welche das hohe „Verwirrungspotential“ für die Zuschauenden bereithalten. Zur

Verdeutlichung der „Pragmatik als vorgeordneter Perspektive“ mag man sich einen Zuschauer

vorstellen, der aus der Fernsehzeitung die Genrebezeichnung Information entnimmt (vgl.

Abschnitt 2.2) und mit entsprechenden Erwartungen die Sendung anschaut.

32 Hervorhebung von mir.

40

Freilich können auch Gattungsbezeichnungen und andere Paratexte die Rezeption

niemals determinieren. Nicht einmal die Zuordnung zu einer bestimmten Gattung wird allein

durch Merkmale des Medienprodukts vorgenommen, sondern wird in der

Anschlusskommunikation ausgehandelt (Keppler & Seel, 2002). Wiederum sind die

divergierenden Genrebezeichnungen von Lenßen und Partner das beste Beispiel.

Entscheidend ist also auch hier die Berücksichtigung der Perspektive der

RezipientInnen. In diesem Sinne betonen Nickel-Bacon et al. (2000): Den

„produzentenseitigen Signalen der Fiktionalität (oder Nichtfiktionalität) entsprechen auf

Rezipient(innen)seite komplementäre durch medienbezogenes Wissen erworbene Kriterien,

die durchaus unterschiedlich differenziert sein können […]. Daher ist Rusch zuzustimmen,

dass Fiktionalisierung als kognitive Operation abhängig ist vom (textexternen) Welt- und

Medienwissen der Rezipientinnen und Rezipienten, z.B. über Genres“ (S. 285). Das Wissen

um unterschiedliche Genres und deren Realitätsanspruch ist nicht nur für die Teilnahme am

literarischen Diskurs unverzichtbar – das gleiche gilt in Bezug auf das Fernsehen.

Allerdings sind auch die fernsehbezogenen paratextuellen Formatbezeichnungen –

anders als noch von Eco (1996) behauptet – keine verlässlichen bzw. eindeutigen Fiktions-

oder Realitätssignale. Das ist bei der Betrachtung der Pseudo-Dokumentation deutlich

geworden. Ebenso argumentiert Tröhler (2002), wenn auch etwas überspitzt: „Wollen wir uns

jedoch dem komplexen Grenzbereich zwischen Fiktion und Nichtfiktion nähern, so hilft uns

eine außertextuell begründete, kategorische Trennung der beiden diskursiven Modi nicht

weiter“ (S. 21). Für einen tragfähigen Begriff der Fiktion ist es daher angezeigt, die

pragmatische Perspektive nicht als einzige, sondern als eine vorgeordnete zu betrachten. Das

würde bedeuten, dass Fiktionssignale auf semantischer Ebene ihre Bedeutung für die

Rezipierenden erst nach erfolgter pragmatischer Klassifikation erhalten.

„Von der vorgeordneten pragmatischen Rahmenperspektive aus sind dann Texte oder

Medienprodukte durchaus auch auf inhaltlich-semantischer wie auf darstellungsbezogenen-

formaler Ebene hinsichtlich ihrer Realitätsnähe zu analysieren […] Eine von der Pragmatik

her analysierte Textsemantik kann zur Identifikation inhaltsbezogener Fiktionssignale und

zugleich zur Bestimmung von Graden der Fiktivität dienen, die tendenziell zu einem

Kontinuum fiktionaler Werke führt, dessen Grenzen zu nichtfiktionalen Werken hin offen

sind.“ (Nickel-Bacon et al., 2000, S. 288)33

33 Hervorhebung von mir.

41

2.4 Integratives Modell von Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen

Ein solches Modell zu formulieren, hat sich die Kölner Arbeitsgruppe um Norbert Groeben

und Margrit Schreier zur Aufgabe gemacht. Das Modell hat sowohl den Anspruch, bisherige

Fiktionstheorien zu integrieren, als auch den hauptsächlich produktorientierten Ansätzen

dezidiert die Perspektive der RezipientInnen gegenüberzustellen. Es sollte so in der Lage sein,

die der Werkebene korrespondierenden Rezeptionsprozesse und die dafür notwendigen

Wissensbestände und Kompetenzen auf Seiten der ZuschauerInnen zu beschreiben. Im

Anschluss an die hier vorgestellten Theorien der Fiktion stellen Schreier, Groeben, Rothmund

und Nickel-Bacon (2001) das Modell vor, das Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen auf eben

jenen drei Ebenen differenziert, die in den vorigen Abschnitten dargestellt wurden. Unter

jeder Perspektive (d.h. auf jeder Ebene) werden Produkt- und Rezeptionsseite getrennt

betrachtet und aufeinander bezogen. Mit der Betonung der Perspektive der RezipientInnen

verschiebt sich die zentrale Fragestellung der vorliegenden Arbeit: wurde im Rahmen der

Fiktionstheorien bisher vor allem gefragt, was Fiktion ausmacht, wird es nun darauf

aufbauend mehr und mehr um die Frage gehen, wie rezeptionsseitig mit diesem Phänomen

umgegangen werden kann.

Die Reihung der drei Perspektiven geschieht bei Schreier et al. (2001) bewusst von

einer vorgeordneten pragmatischen über eine semantisch-inhaltliche hin zu einer

darstellungsbezogen-formalen Ebene (Abbildung 1).

42

Produktseite Rezeptionsseite

Pragmatische Ebene

Werkkategorie Fiktion, Mischtypus, Non-Fiktion Werkkategorie

(keinen) Anspruch auf Wirklichkeits- entsprechung

(keine) Erwartung von Wirklichkeits-

entsprechung

Semantische Ebene

Produktinhalt Wirklichkeitsferne ------- Wirklichkeitsnähe Erfahrungsinhalt

möglich – unmöglich real – irreal

möglich - unmöglich wahrscheinlich - unwahrscheinlich

Darstellungsbezogene Ebene

Vermittlungsmodus Real-Life-Ferne ------- Real-Life-Nähe Erfahrungsmodus

Abbildung 1: Drei Ebenen Modell. Modifiziert nach Rothmund et al. (2001b).

2.4.1 Pragmatische Perspektive

Unter der ersten Perspektive werden die Medienprodukte Werkkategorien zugeordnet, die

sich in ihrem Realitätsbezug unterscheiden. Neben den klassischen, intuitiv angenommenen

Kategorien Fiction und Non-Fiction wird hier eine der heutigen Fernsehlandschaft

angemessene dritte Kategorie des Mischtypus aufgemacht. Produktseitig unterscheiden sich

die Kategorien in ihrem Anspruch, Realität zu vermitteln oder erfundene Geschichten zu

zeigen. Dem gegenüber stehen auf Seiten der RezipientInnen entsprechende Erwartungen an

die Wirklichkeitsentsprechung einer Sendung der jeweiligen Kategorie. Dies ist ganz im

Sinne von Schmidts (1980a) Unterscheidung zwischen Tatsachen- und Ästhetikkonvention

(vgl. Abschnitt 2.3.3). Bei der Kategorie Mischform bleibt der Anspruch unklar oder muss in

Frage gestellt werden. Rezipientenseitige Unklarheiten in der Erwartung müssen

43

hingenommen werden. Rothmund et al. (2001b) sprechen auch von einer „bedingten

Erwartung von Wirklichkeitsentsprechung“ (S. 38).

Die Zuordnung eines Werks (einer Sendung) zu einer Kategorie erfolgt nach

pragmatischen Merkmalen oder Indikatoren. Dies können zum Beispiel Sendungstitel sein,

die auf eine Dokumentation hindeuten, oder die Einblendung von Namen von Schauspielern

(„starring“), was auf eine fiktionale Sendung hindeutet. Der für das Fernsehen wichtigste

Realitäts- oder Fiktionsindikator ist aber sicherlich die „Gattungsbezeichnung“ als

Bestimmung des Formats. Solche Gattungsbezeichnungen sind eindeutig

„kommunikationssteuernde Merkmale“ nach Schmidt (1980a; vgl. auch Abschnitt 2.3.3). Die

Bezeichnungen Spielfilm oder Serie wecken die Erwartung auf eine erfundene Geschichte,

während die Bezeichnungen Nachrichten oder Magazin einen Bericht über die Wirklichkeit

erwarten lassen.

Dass die pragmatische Ebene im Modell eine „vorgeordnete“ ist, bedeutet, dass alle

Realitäts- und Fiktionssignale der nachfolgenden Ebenen mit einer bestimmten

Erwartungshaltung verarbeitet werden. „Die Zuordnung eines Medienprodukts unter

pragmatischer Perspektive zu einer bestimmten Werkkategorie beeinflusst demnach die

Rezeption und Verarbeitung des Medienprodukts unter semantisch inhaltlicher sowie unter

darstellungsbezogener Perspektive.“ (Schreier et al., 2001, S. 42)

2.4.2 Inhaltlich-semantische Perspektive

Als Fiktionssignale auf inhaltlicher Ebene gelten die Wirklichkeitsnähe bzw.

Wirklichkeitsferne der gezeigten Inhalte. Schreier et al. (2001) greifen hierfür auf ein Konzept

von Landwehr (1975) zurück. Danach bestehen Texte auf semantischer Ebene immer aus

verschiedenen Elementen, die unterschiedlichen „Seinsmodi“ zuzuordnen sind, nämlich des

Realen und Irrealen und des Möglichen und Unmöglichen (vgl. Abbildung 1). „Danach sind

Inhalte umso wirklichkeitsnäher, je mehr reale und mögliche Elemente sie aufweisen;

komplementär sind wirklichkeitsferne Inhalte durch Aspekte von Irrealität und Unmöglichkeit

gekennzeichnet.“ (Schreier et al., 2001, S. 42) Damit wird auch die zentrale Einsicht aus Isers

(1991) und Ecos (1996) Überlegungen übernommen, wonach auch fiktionale Texte immer

eine Menge realer Elemente enthalten (vgl. Abschnitt 2.3.2). Es gibt zwar z.B. im Fantasyfilm

eindeutig irreale und unmögliche Darstellungen und Figuren wie z.B. die Orks in Der Herr

der Ringe – dies muss jedoch nicht so sein. Wirklichkeitsferne Inhalte müssen in fiktionalen

Werken nicht überwiegen: „in der Mehrzahl ist für Fiktionen […] gerade die Kombination

44

des Irrealen (partiell auch des Realen) mit dem Möglichen (sowie dem Unmöglichen)

charakteristisch, wie dies etwa Iser in seiner Kategorie des Imaginären konzeptualisiert hat

(s.a. Eco 1994)“ (Schreier et al., 2001, S. 42). Das Mischungsverhältnis aus Realem und

Imaginärem bestimmt also die Wirklichkeitsnähe des Werks. Auch fiktionale Sendungen

können damit einen hohen Grad an Wirklichkeitsnähe aufweisen. Die Dichotomie zwischen

fiktiv und nicht-fiktiv wird überwunden.

Soviel zur Ebene des Produktinhalts. Ihr steht auf Seiten der RezipientInnen der

„Erfahrungsinhalt“ gegenüber (vgl. Abbildung 1). Dass dieser hier thematisiert werden kann,

ist begründet durch die Vorordnung der pragmatischen Perspektive. So kann hier eine Frage

in den Blick treten, die unter rein semantischen Ansätzen gar nicht zu stellen ist, nämlich, wie

denn RezipientInnen Urteile darüber fällen, was als „referenzialisierbar“ gesehen wird und

was nicht.

„Die Perspektive ‚Erfahrungsinhalt’ bezieht sich auf die Wirklichkeitsnähe des

rezipierten Produktinhalts (qua Übereinstimmung mit dem je subjektiven Weltwissen).“

(Rothmund et al., 2001b, S. 87)34 Aus der Verrechnung verschiedener Kriterien für

Wirklichkeitsnähe ergibt sich, wo RezipientInnen ein Produkt auf dem Kontinuum zwischen

Wirklichkeitsnähe und –ferne ansiedeln (vgl. Abbildung 1). Die einzelnen Kriterien ergeben

sich wiederum aus Kombinationen der Urteilskomponenten „un-/wahrscheinlich“ und „un-

/möglich“. Verschiedene inhaltliche Elemente eines medialen Produkts werden so basierend

auf dem individuellen Weltwissen nach der Möglichkeit und der Wahrscheinlichkeit ihres

Vorkommens eingeschätzt. Die Beurteilung ist also niemals absolut, sondern geschieht stets

vor dem Hintergrund einer je individuellen Wirklichkeitsauffassung.

Kriterium für die Wirklichkeitsnähe eines Produkts ist die eingeschätzte

Wahrscheinlichkeit eines gezeigten Inhalts, wobei Wahrscheinlichkeit hier freilich eine

bestehende Möglichkeit impliziert. So würde z.B. ein Streit zwischen einem Paar in einer

Seifenoper (Lübbecke, 1996) in dieser Perspektive als wirklichkeitsnah eingestuft, da der

Streit zwischen einem Paar auch in der Realität nicht nur möglich, sondern auch sehr

wahrscheinlich ist. Ein „schwaches Kriterium für Wirklichkeitsferne“ (Rothmund et al.,

2001b, S. 87) liegt vor, wenn ein Inhalt als prinzipiell möglich, aber unwahrscheinlich

eingeschätzt wird. Beispielsweise könnte ein Rezipient zu dem Schluss kommen, es sei

durchaus möglich, dass ein einzelner Mann eine ganze Horde von Terroristen alleine zur

Strecke bringt, wenngleich dies nicht sehr wahrscheinlich ist. Ein „starkes Kriterium für

Wirklichkeitsferne“ liegt vor, wenn ein Inhaltsaspekt als unwahrscheinlich und unmöglich

34 Hervorhebung von mir.

45

eingeschätzt wird, z.B. die magischen Kräfte von Harry Potter oder die Orks in Der Herr der

Ringe.

Mit dieser Perspektive des rezipientenseitigen Erfahrungsinhalts lehnt sich das Modell

in diesem Punkt auch an klassische medienpsychologische Konzepte der perceived reality an.

Dabei sind hier vor allem die Dimensionen „Social Expectations“ (Hawkins, 1977) bzw.

„Social Realism“ (Fitch, Huston & Wright, 1993) von Bedeutung. Sie beschreiben nicht, wie

die semantischen Theorien der Literaturwissenschaft eine „Referenz auf die Realität“, sondern

vielmehr eine Übereinstimmung des Gesehenen mit dem Wissen über die soziale Welt.

2.4.3 Darstellungsbezogen-formale Perspektive

Unter der darstellungsbezogenen Perspektive geht es Produktseitig um die Art und Weise der

medialen Vermittlung der Inhalte (vgl. Abbildung 1). Als Realitäts- bzw. Fiktionssignale im

Fernsehen können hier die von Keppler (1996) herausgearbeiteten Merkmale, wie

Kameraführung oder Schnittfolge, genannt werden (vgl. Abschnitt 2.3.1). Eine

differenziertere Ausarbeitung valider darstellungsbezogener Signale steht jedoch noch aus.

Nickel-Bacon et al. (2000) bemerken zur Problematik solcher Signale lediglich, dass „deren

Beschreibung im Einzelnen noch zu leisten ist“ (S. 292). Nach den in Abschnitt 2.3.1

gemachten Feststellungen scheint dies jedoch keine einfache Aufgabe zu sein. Grund hierfür

ist wohl auch, dass auf darstellungsbezogener Ebene, anders als auf den anderen Ebenen,

elaborierte Konzepte aus den Literaturwissenschaften nicht einfach übernommen werden

können, weil die Art und Weise der Darstellung in Literatur und AV-Medien

grundverschieden ist. Hier handelt es sich um reine Sprache und dort um bewegte Bilder und

Ton. Fest steht, dass die Signale auch hier auf einem Kontinuum angeordnet werden können.

Für Schreier et al. (2001) liegt dies zwischen den Polen „realistisch“ und „non-realistisch“

(vgl. Abbildung 1).

Dem medialen Vermittlungsmodus entspricht auf Seiten der RezipientInnen der

Erfahrungsmodus. Dieser ist eindeutiger bestimmt: „Die Perspektive ‚Erfahrungsmodus’

bezieht sich auf die Real-Life-Nähe der Rezeptionserfahrung (qua Übereinstimmung mit

unmittelbaren, authentischen Erfahrungen).“ (Rothmund et al., 2001b, S.88) Sie ist also im

Modell relativ basal konzipiert als Unterschied zwischen medialer und non-medialer

Erfahrung. Dieser wird zum Beispiel an fehlenden Sinnesmodalitäten festgemacht. In Bezug

auf das Fernsehen fehlen zum Beispiel olfaktorische und taktile Erfahrungen. Zuschauende

können die Titanic zwar sehen und hören, riechen jedoch nicht das Meer und spüren nicht den

46

Wind auf ihrer Haut. Es lassen sich so jedoch auch gestalterische Merkmale von Sendungen

im Allgemeinen unterscheiden. Das in Abschnitt 2.3.1 besprochene Beispiel einer

unkommentierten und ungeschnittenen Amateuraufnahme vom 11.9.2001 zeigt, dass diese

Art der Vermittlung für einen Zuschauenden tatsächlich eine größere Real-Life-Nähe bedeutet

als herkömmliche Nachrichtenbeiträge, die zum Beispiel aus einer Vogelperspektive gefilmt

sind, die man im „real-life“ normalerweise nicht einnimmt.

2.4.4 Fazit

Der große Vorteil des drei Ebenen Modells von Rothmund et al. (2001b) liegt in seiner hohen

Integrationsfähigkeit für verschiedene Sichtweisen auf den Problembereich Fiktion und in

seiner expliziten Thematisierung der Rezeptionsseite. Dabei ist entscheidend, dass auf Seiten

der RezipientInnen auf jeder der drei Ebenen ein eigenes Urteil gefällt wird. Diese drei Urteile

sind dabei niemals dichotom, sondern werden auf einem Kontinuum verortet (bzw. können

auf der Ebene Werkkategorie der „Mischform“ zugerechnet werden). Dabei sind die Urteile

auf den drei Ebenen unabhängig von einander, müssen also nicht übereinstimmen, und

müssen nicht zu einem Gesamturteil verrechnet werden. Diese theoretische Wendung ist der

entscheidende Vorteil des Modells gegenüber allen früheren Konzepten.

2.5 Medienkompetenz

Die konsequente Hinwendung zur Perspektive der RezipientInnen macht es möglich,

Kompetenzen zu beschreiben, die nötig sind, um Realitäts-Fiktions-Urteile auf den

verschiedenen Ebenen des Modells zu fällen. Damit erweisen sich die ausführlichen

Vorarbeiten zur Klärung des Phänomens Fiktion an dieser Stelle als fruchtbar. Nach der

differenzierten Aufschlüsselung des Verhältnisses von Realität und Fiktion im Fernsehen und

den dazugehörigen Prozessen der Rezeption, kann die Fähigkeit zu Unterscheidungen

zwischen Realität und Fiktion nun eingebettet werden in ein allgemeines Modell von

Medienkompetenz. Medienkompetenz stellt mit seiner dimensionalen Struktur ein

Rahmenkonzept dar, innerhalb dessen deutlich gemacht werden kann, welche Kompetenzen

es im Einzelnen sind, die die Grundlage zu Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen bilden und

wie sie theoretisch zu fassen sind.

47

Dass die Fähigkeit zu Differenzierungen zwischen Realität und Fiktion im Rahmen

von Medienkompetenz nicht irrelevant ist, zeigen Beispiele, die auch in der tagesaktuellen

Presse immer wieder ein großes Echo hervorrufen. So erschien in der Süddeutschen Zeitung

vom 4.2.2008 die folgende Meldung der Nachrichtenagentur AFP:

„Viele Briten halten Sherlock Holmes für wirklich

Zahlreiche Briten können Fakt und Fiktion offenbar nicht mehr auseinanderhalten: Sie sind

überzeugt, der literarische Meisterdetektiv Sherlock Holmes habe wirklich gelebt. Einen ihrer

bedeutendsten Staatsmänner verweisen sie hingegen ins Reich der Sage.

Die Briten verlieren offenbar den Sinn für die Realität: Eine Umfrage ergab, dass 60

Prozent der Inselbewohner davon überzeugt sind, der literarische Meisterdetektiv Sherlock

Holmes habe wirklich gelebt. Zugleich meinte fast die Hälfte der vom Fernsehsender UKTV

Gold Befragten, der englische König Richard Löwenherz, der im zwölften Jahrhundert

regierte, sei nur eine Erfindung. Doch nicht nur die weit zurückliegende Historie schien den

3000 Teilnehmern zu entgleiten: Fast ein Viertel glaubte auch, dass der ehemalige

Premierminister Winston Churchill nicht wirklich existiert habe. Churchill war zweimal

Premierminister von Großbritannien und regierte das Land während des Zweiten Weltkriegs.

Er gilt weltweit als einer der größten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts, bei etlichen Briten

allerdings offenbar nicht. (APF/dpa/gal/mmk)“

Bei aller methodischer Skepsis, die bei der Berichterstattung über Ergebnisse von

Umfragen angebracht ist, gibt die Meldung doch einen Hinweise darauf, dass souveräne

Differenzierungen zwischen Realität und Fiktion auch in der „Normalbevölkerung“ nicht als

selbstverständlich vorausgesetzt werden können. Nimmt man die oben gemachte Feststellung

hinzu, dass schon die Fiktion an sich immer eine Mischung aus Realem und Imaginärem ist,

und dass auch „die Realität“ im Fernsehen zunehmend dramatisiert und ästhetisiert wird, mag

dieser Befund kaum noch verwundern. Es wird damit auch das von Winterhoff-Spurk (1989,

S. 104ff.) beschriebene Modell unplausibel, das in Bezug auf die Medienrezeption zwei

unterschiedliche Gedächtnisspeicher annimmt: einen medial-realen und einen medial-

fiktionalen. Mediale Inhalte würden demnach in komplett getrennten Speichern verarbeitet.

Davon wiederum trennt Winterhoff-Spurk (ebd.) noch einen „personal-realen“ Speicher, der

für außermediale Erfahrungen verantwortlich sei. Dabei ist es, wie auch Mikos (1996)

anmerkt, „fraglich, ob die mentalen Modelle und kognitiven Schemata, die bei der Rezeption

eine Rolle spielen, wirklich so strikt zwischen diesen drei Speichern trennen; schließlich liegt

die besondere Erlebnisqualität fiktionaler Erzählungen darin, daß sie für real genommen

werden können.“ (S. 76) Gleichzeitig, so könnte man hinzufügen, sind auch historische

48

Figuren medial soweit fiktionalisiert (Pietraß, 2002), dass ihre Zuordnung offenbar vielen

Menschen schwer fällt.

In die gleiche Richtung weisen die Ergebnisse einer Untersuchung der Rezeption des

Pseudo-Dokumentarfilms The Blair Witch Projekt von Groeben und Schreier (2000a). Der

Horrorfilm bedient sich auf Darstellungsebene ähnlicher Mittel zur Authentifizierung, wie sie

oben für die Fernsehserie Lenßen und Partner beschrieben wurden. Dabei spielt der Film in

Ankündigungen und Werbung auch auf pragmatischer Ebene mit Realitätssignalen (vgl. ebd.,

S. 8; auch dies eine Parallele zu Lenßen und Partner). Groeben und Schreier werteten

Diskussionsbeiträge in einem Internetforum zum Film inhaltsanalytisch aus. Dabei war die

leitende Frage, welcher Werkkategorie die RezipientInnen den Film zuordnen. Es zeigte sich,

dass von 40 ForumsteilnehmerInnen, die diese Zuordnung vornahmen, 29 den Film sicher der

Kategorie Fiction zuordneten. Das heißt aber, dass 27% der untersuchten Stichprobe den Film

nicht mit Sicherheit zuordnen konnten oder ihn falsch zuordneten (ebd., S. 12).

Problematisch für die RezipientInnen in Bezug auf solche Pseudo-Dokumentationen

ist offenbar eine fehlende oder zumindest eingeschränkte „Selbstentblößung des Textes als

Fiktion“, die Iser (1991) als dritten Akt des Fingierens beschrieben hat (vgl. Abschnitt 2.3.3).

Hier sind die oben herausgearbeiteten verschiedenen Perspektiven von Bedeutung, die es

erlauben, nach fehlender Selbstanzeige auf pragmatischer Ebene die Einschätzung auf

semantischer Ebene zu korrigieren. Um einem Film wie The Blair Witch Projekt zu begegnen,

scheint ein einfaches 3-Speicher-Modell wie das von Winterhoff-Spurk (1989) jedenfalls

nicht ausreichend zu sein. Dagegen sollte es durch die Einbettung von Realitäts-Fiktions-

Unterscheidungen in ein allgemeines Konzept von Medienkompetenz möglich sein, die den

einzelnen Differenzierungen zugrunde liegenden kognitiven Mechanismen greifbar zu

machen.

2.5.1 Einbettung in ein allgemeines Konzept von Medienkompetenz

„Der Begriff ‚Medienkompetenz’ ist en vogue“ bemerkt Dieter Baacke (1999, S.7) in einem

programmatischen Artikel. Als Konzept taucht Medienkompetenz 1973 mit Baackes

Habilitationsschrift „Kommunikation und Kompetenz – Grundlegung einer Didaktik und

Kommunikation ihrer Medien“ zum ersten Mal auf. Laut Vollbrecht (1999) „nimmt die

Rezeptionsgeschichte des Kompetenzbegriffs in der Medienpädagogik hier ihren Anfang.“

(S.13) Nach Baacke (2007) „soll Medienkompetenz den Nutzer befähigen, die neuen

Möglichkeiten der Informationsverarbeitung auch souverän handhaben zu können.“ (S.98)

49

Dabei ist bis hier hin deutlich geworden, dass auch das Fernsehen mit seinen neuen und alten

Inhalten spezifische Kompetenzen beim Rezipienten voraussetzt und gleichsam einfordert

(vgl. auch Göpfert, 2008).

Baacke (1999) gliedert das Konzept in die Teilbereiche Medienkritik, Medienkunde,

Mediennutzung und Mediengestaltung. Der Bereich Medienkritik bleibt bei Baacke relativ

unklar und scheint eher auf die Aufdeckung politischer und wirtschaftlicher Verwicklungen in

der Medienlandschaft zu zielen (vgl. die Sicht der Kritischen Theorie, Abschnitt 2.1.1). Der

Bereich Medienkunde umfasst zum einen medienbezogene Wissensbestände und zum anderen

bedienerische Fähigkeiten („Handfertigkeiten“). Vor allem die Wissensbestände sind für

RFU-Urteile relevant. Hierein fallen auch Kenntnisse über unterschiedliche Formate und

deren Entstehungsbedingungen („Genrewissen“), mithin Informationen darüber, ob ein

Format als fiktional zu sehen ist oder den Anspruch erhebt, Realität wiederzugeben. Die

Anwendung dieses Wissens ist bei Baacke (1999) in dem Bereich Mediennutzung verortet

und als „Programm-Nutzungskompetenz“ begrifflich gefasst. Innerhalb von Baackes

Konzeption ist es vor allem das in der Rezeption angewandte Medienwissen, das hier von

Bedeutung ist (vgl. die Hervorhebungen in Tabelle 3).35

Tabelle 3: Dimensionen der Medienkompetenz

Baacke (1999)

Groeben (2002)

Medienkritik - analytisch - reflexiv - ethisch

Medienbezogene Kritikfähigkeit (4)

Medienkunde

- informativ (Wissensbestände) - instrumentell-qualifikatorisch

Medienwissen/Medialitätsbewusstsein (1) Selektion/Kombination von Mediennutzung (5)

Mediennutzung - rezeptiv anwendend - interaktiv anbietend

Medienspezifische Rezeptionsmuster (2)

Mediengestaltung - innovativ - kreativ

Produktive Partizipationsmuster (6)

Medienbezogene Genussfähigkeit (3)

Anschlusskommunikation (7)

Hervorgehoben sind für die vorliegende Arbeit besonders relevante Konzepte, Besprechung im Text. Zahlen in Klammern: Logische Reihenfolge in der „Prozessperspektive“ von Groeben (2002).

35 Der Bereich „Mediengestaltung“ ist hier weniger von Belang.

50

Im Rückgriff auf Baacke (1999) und eine ähnliche Differenzierung von Tulodziecki (1997)

legt Groeben (2002) die aktuell wohl umfassendste und elaborierteste „Dimensionale

Binnenstrukturierung des Konzepts Medienkompetenz“ (S.165) vor. Der Bereich

Medienwissen (vgl. Tabelle 3) in der ersten Dimension bei Groeben deckt sich weitestgehend

mit Baackes informativer Medienkunde. Hinzu tritt bei Groeben (2002) innerhalb dieser

Dimension das Medialitätsbewusstsein. Dieses ist wiederum aufgefächert in drei

Dimensionen: (a) die Realitäts-Medialitäts-Unterscheidung, (b) die Realitäts-Fiktions-

Unterscheidungen und (c) die parasozialen Beziehungen. Punkt (a) bezeichnet zunächst die

Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen medialer und unmittelbar gemachter Erfahrung. Dies

entspricht der dritten Ebene (Erfahrungsmodus) im oben vorgestellten drei Ebenen Modell

(Abschnitt 2.4). Dass die Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen (Punkt b) bereits hier als

Wissens- und Bewusstseinskomponente thematisch wird, zeigt die Relevanz verschiedener

Dimensionen von Medienkompetenz für das Konzept der Realitäts-Fiktions-Unterscheidung.

Als nächste Dimension sind hier die „Medienspezifischen Rezeptionsmuster“ zu

nennen. Diese sind vor allem unterschiedliche Verarbeitungsschemata für unterschiedliche

Programminhalte. „Dazu gehören also Verarbeitungsstrategien in einer sinnvollen Passung zu

den unterschiedlichen TV-‚Formaten’ genauso wie […] das Genrewissen bei der Rezeption

von Belletristik, wie die adäquate emotionale Reaktion auf Horrorfilme.“ (Groeben, 2002,

S.169) Zu unterschiedlichen Formaten und Genres gehören wie oben beschrieben

unterschiedliche Erwartungen auf Seiten der RezipientInnen, die auf den formatspezifischen

Wissens- und Erfahrungsbeständen aufbauen.

Gänzlich neu im Vergleich zu Baackes Konzeption ist die Dimension

„Medienbezogene Genussfähigkeit“. Sie baut wiederum auf den vorangegangenen

Dimensionen auf. Für die Konzeption von RFU ist in Bezug auf das „Genusspotential“ einer

Sendung vor allem die Fähigkeit zur ko-intentionalen Rezeption (Landwehr, 1975) von

Bedeutung. Diese bezeichnet das spielerische Sich-Einlassen auf eine fiktionale Welt und ihre

Realitätssetzungen, wie sie vom Autor intendiert sind.

Ist die Genussfähigkeit vor allem für fiktionale Inhalte wichtig, so ist Groebens

Dimension der „Medienbezogenen Kritikfähigkeit“ vor allem in Bezug auf non-fiktionale

Formate von Bedeutung. Dabei geht es um die kritische Bewertung anhand von

Qualitätskriterien wie z.B. sachliche vs. sensationsbetonte Darstellung oder ausgewogene vs.

tendenziöse Berichterstattung.36

36 Die übrigen Dimensionen der Medienkompetenz nach Groeben müssen hier nicht weiter vertieft werden.

51

2.5.2 Spezifische Kompetenzen

Setzt man die Dimensionen von Medienkompetenz nach Baacke (1999) und Groeben (2002)

in Verbindung mit dem drei Ebenen Modell von Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen

(Abschnitt 2.4), so sind es zwei Bereiche, die es näher zu fokussieren gilt. Erstens die

informative Medienkunde nach Baacke bzw. das Medienwissen nach Groeben. Das hier

verortete Formatwissen ist die Grundlage für die Zuordnung einer Sendung zu einer

Werkkategorie, was der ersten Ebene des RFU-Modells entspricht. Zweitens die

Verarbeitungsstrategien der rezeptiv anwendenden Mediennutzung nach Baacke bzw. der

medienspezifischen Rezeptionsmuster nach Groeben. Die hier thematisierten Strategien

werden gebraucht, um auf der inhaltlich-semantischen und auf der darstellungsbezogenen

Ebene des Modells Urteile fällen zu können. Die beiden Bereiche Formatwissen und

Verarbeitungsstrategien sollen in Bezug auf die zugrunde liegenden kognitiven Mechanismen

kurz näher betrachtet werden.

2.5.2.1 Formatwissen

Das Formatwissen (bzw. „Gattungswissen“) wird von Schreier und Appel (2002, S. 237) im

Rahmen der Fähigkeit zur ko-intentionalen Rezeption als „Voraussetzungsaspekt“ für

Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen gesehen, auf dem alle weiteren Prozesse aufbauen. Es

lässt sich theoretisch am besten im Rahmen eines Konzepts kognitiver Schemata beschreiben.

„We propose that certain formal features have come to be associated with certain types of

content in ways that activate schemata for specific program genres. These genre schemata are

how children organize the world of TV; they establish expectations concerning the processing

demands required, the informative or entertainment value, and the reality status of programs.”

(Fitch, Huston & Wright, 1993, S. 39) Der Realitätsstatus eines Formats wird bei Fitch,

Huston und Wright als „fundamental attribute“ des dazugehörigen Schemas gesehen. Folglich

konzipieren sie den Aufbau kognitiver Schemata hierarchisch und nehmen an, dass einzelne

Schemata eingebettet sind in so genannte „superodinate schemata“ (ebd., S. 41), die fiktionale

von non-fiktionalen Werken trennen.

In der Film- und Medienwissenschaft sind Schematheorien sehr gut etabliert. So führt

beispielsweise Bordwell (1989) das Filmverstehen auf das Wirken von vier zentralen

Schemata zurück (Personen-, Szenen-, Narrations- und Formatschema). Dabei dient das

Formatschema nach Göpfert (2008) dazu, „einen Text als Ganzes einzugruppieren und ihn im

Kontext anderer Texte zu verorten. Es bestimmt aufgrund von Vergleichsprozessen die

Übereinstimmung von Merkmalen einer Sendung mit dem fernsehspezifischen Wissen über

52

Formate und ermöglicht so eine Zuordnung zu einem bestimmten Genre und den damit

verbundenen Konventionen.“ (S. 20)

Göpfert und Castello (2006) sowie Göpfert (2008) bringen das Formatschema in

Verbindung mit einer dazugehörigen Kategorisierungskompetenz. Die diesbezüglich

relevanten basalen kognitiven Fähigkeiten sind die des induktiven Denkens nach Klauer

(1993) und des selektiven Kombinierens nach Sternberg (1985). Es geht also darum, einzelne

Teile aufgrund gleicher oder ähnlicher Merkmale zu einer Gruppe zusammenzufassen. In

Bezug auf das Fernsehen geht es darum, einzelne Sendungen auf bestimmte Merkmale hin zu

untersuchen und sie aufgrund von Gleichheit oder Ähnlichkeit dieser Merkmale einer

Sendungsart zuzuordnen, die einem Format entspricht. Diese Formate können dann im Sinne

eines „superordinate schema“ bezüglich ihres Realitätsstatus’ eingeschätzt werden. Dies

entspricht dann der rezipientenseitigen Werkkategorie im drei Ebenen Modell von Rothmund

et al. (2001b).

2.5.2.2 Verarbeitungsstrategien

Zentrales Ergebnis der Darstellung in Abschnitt 2.2 war es jedoch, dass eine Kategorisierung

auf dieser Ebene häufig nicht ausreicht bzw. gar nicht möglich ist. Das kann der Fall sein bei

unklarer Zuordnung durch fehlende oder uneindeutige „Selbstentblößung“ (Iser, 1991), bei

der Realitätssignale als Stilmittel eingesetzt werden oder mit unterschiedlichen

Realitätsbezügen gespielt wird. Die fehlende werkseitige Anzeige als Fiktion kann dabei bis

zum „Täuschungsversuch“ gehen. Gerade dafür hält das drei Ebenen Modell die inhaltlich-

semantische und die darstellungsbezogene Perspektive bereit, wobei hier vor allem die

inhaltliche thematisiert werden soll.37

Die semantische Ebene trägt der zunehmenden Vermischung der Genres Rechnung,

die in Abschnitt 2.2 unter den Stichworten Fiktionalisierung und Authentifizierung (Pietraß,

2002) diskutiert wurden. Dabei geht es um das Hinterfragen einzelner Elemente medialer

Darstellungen bezüglich ihrer Wirklichkeitsnähe bzw. -ferne. Dies kann konkret

operationalisiert werden über Strategien zur Einschätzung von Möglichkeit und

Wahrscheinlichkeit des Gesehenen. Auf dieser Ebene muss kein Pauschalurteil über die

gesamte Sendung gefällt werden, sondern es werden einzelne Elemente bewertet. Diese

können dann verrechnet werden. Wichtig ist, dass die Einschätzungen immer nur vor dem

Hintergrund des je individuellen Weltwissens vorgenommen werden können. Die zugrunde

37 Neben der Perspektive Werkkategorie soll im Training vor allem die inhaltliche Perspektive vermittelt werden. Zur Begründung: siehe unten.

53

liegenden kognitiven Prozesse sind also die Identifizierung und Isolierung einzelner

Informationen im Sendungstext und ihr Abgleich mit dazu relevanten Gedächtnisinhalten

(vgl. Baumert, 2002).

2.5.2.3 Hinterfragende Grundhaltung

Zu den basalen kognitiven Fähigkeiten treten in Bezug auf Realitäts-Fiktions-

Unterscheidungen Aspekte von Medienkompetenz hinzu, die eher auf motivationaler oder

Einstellungsebene liegen. Insofern wird hier unter kompetenter Fernsehnutzung auch eine

bestimmte Herangehensweise an das Medium verstanden. Sie kann im Vergleich zu den eher

kognitiven Fähigkeiten als eine Art Metakompetenz gesehen werden. Dazu gehört als

zentraler Bestandteil eine Sichtweise, die die im Fernsehen präsentierte Realität grundsätzlich

und unabhängig von der jeweiligen Werkkategorie als eine mögliche Perspektive auf die

Wirklichkeit auffasst. Dem zugrunde liegt eine kritische Grundhaltung gegenüber medial

präsentierten Wirklichkeitsmodellen.

Mit der Betonung dieser Metakompetenz wird die Position der RezipientInnen dem

Medium gegenüber gestärkt: Sie sind ihm nicht hilflos ausgeliefert, wie dies zum Beispiel in

der Sicht von Pietraß (2002) der Fall zu sein scheint. In der Diskussion um Realitätssignale in

fiktionalen Sendungen bemerkt sie: „Wenn sich der Zuschauer anhand gegebener Hinweise

für einen bestimmten Wirklichkeitsbezug und die entsprechende Art der Teilhabe am

Geschehen entscheidet, so tut er dies, gleich ob die Hinweise, die der Produzent gibt, falsch

oder richtig sind. Durchschaut er die Richtigkeit [sic] von Interpretationshinweisen nicht,

wird, ja muss er ihnen folgen […]. Medienkompetenz erfährt hier ihre Grenzen und [wird] zu

einer Frage der Medienethik, in diesem Fall der Verantwortung des Bildproduzenten.“ (Ebd.,

S. 376)38 Obwohl freilich Fragen der Medienethik nicht ausgeklammert werden können, ist

doch der bloße Appell an das Gewissen der ProduzentInnen eindeutig zu wenig.

An Pietraß’ Position ist vor allem der dieser Sicht zugrunde liegende Reiz-Reaktions-

Determinismus zu kritisieren (womit die Argumentation wieder bei der aller Theorie

mitschwingenden Subjektkonstruktion als Bild vom Rezipienten angelangt wäre, vgl.

Abschnitt 2.1.3.1). Dabei scheint ein Reiz-Reaktionsmodell als Zustandsbeschreibung der

Fernsehnutzung vieler Jugendlicher gar nicht so unangebracht, wie Doelker (2002) deutlich

macht. „Vor diesem Hintergrund wäre ein wesentlicher Aspekt von Medienkompetenz die

Dekonditionierung der Heranwachsenden von vordergründigem Reiz-Reaktionsverhalten“

(Spanhel, 2005, S. 103). In Bezug auf Medienkompetenz scheint eine Stärkung der

38 Hervorhebung von mir.

54

Subjektposition im Sinne einer ansatzweisen Unterbrechung solcher Muster ein viel

versprechender Weg zu sein.

Dass bei der im Projekt hsTV39 untersuchten Zielgruppe – HauptschülerInnen im Alter

von 12-15 Jahren – ein „Bedarf“ an gerade an den hier explizierten Kompetenzen besteht, soll

im Folgen deutlich gemacht werden.

2.6 Die Zielgruppe: HauptschülerInnen zwischen 12 und 15 Jahren

Nachdem nun die theoretischen Grundlagen für ein Medienkompetenztraining für Realitäts-

Fiktions-Unterscheidungen gelegt sind, steht es noch aus, die Notwendigkeit einer solchen

Förderung für die anvisierte Zielgruppe deutlich zu machen. Dabei soll es zunächst kurz um

die Institution Hauptschule gehen. Sodann geht es darum, Nutzungsdaten speziell für die

Zielgruppe zu sichten. Diese können in Zusammenhang gebracht werden mit verschiedenen

Bedingungs- und Prädiktorvariablen, die im Rahmen der medienpsychologischen Perceived-

Reality-Forschung intensiv untersucht worden sind. „Perceived-Reality“ bezeichnet ein

globales Ausmaß an rezipientenseitig wahrgenommener Wirklichkeitsnähe von

Fernsehinhalten, unabhängig von der Art dieser Inhalte (für einen Überblick vgl. Rothmund et

al. 2001a). Darauf aufbauend werden noch Daten vorgestellt, die die oben als grundlegend

herausgearbeiteten Variablen Formatwissen und Verarbeitungsstrategien fokussieren. Es geht

also in diesem Kapital nicht darum, ein umfassendes Bild der Lebenswelt von Jugendlichen

zu liefern. Vielmehr werden die Jugendlichen hier unter dem recht engen Fokus auf die oben

explizierten Kompetenzen betrachtet. Überspitzt könnte man sagen, die Jugendlichen

interessieren hier nicht als Jugendliche, sondern als Zielgruppe des Trainings.

Unstrittig in der schon seit längerer Zeit hitzig geführten Diskussion um das deutsche

Schulsystem ist, dass sich Bedeutung und Zusammensetzung der Hauptschule seit ihrer

Einführung als „Volksschule“ im 19. Jh. stark gewandelt haben (Rekus, Hintz und Ladenthin

1998, S. 209ff.). Ausdruck dieses Wandels sind die seit Jahren stetig sinkenden

SchülerInnenzahlen. Im Schuljahr 2006/07 besuchten 10% aller Schüler in

allgemeinbildenden Schulen die Hauptschule. In Baden-Württemberg liegt der Anteil mit

14% noch etwas darüber. Seit dem Schuljahr 2001/02 ist die Zahl der HauptschülerInnen in

Deutschland damit um 14,4% gesunken (Statistisches Bundesamt, 2007). Den

vergleichsweise schlechten Ruf der Hauptschule bringen Rekus et al. (1998) auf den Punkt:

39 Vgl. zum Projekt: Abschnitt 2.7 und Kapitel 3 (Empirie). Zusammenfassend zum Gesamtprojekt hsTV vgl. auch: www.ag-sum.de.

55

„Der Besuch einer Hauptschule, der in der Regel nicht auf einer freien Entscheidung,

sondern auf dem Zwang zur Erfüllung der Schulpflicht auf dem untersten Niveau beruht, wird

auch subjektiv oft als Beginn einer Negativkarriere wahrgenommen. Dabei trifft die soziale

Abwertung den einzelnen wie die gesamte Institution, was wiederum deren Anziehungskraft

weiter mindert sowie den Prozeß noch verstärkt.“ (S. 227)

Bedeutsame Unterschiede zwischen den SchülerInnen der verschiedenen deutschen

Schulformen finden sich in nahezu allen Bereichen – so auch in Bezug auf das Fernsehen. Die

jährlich durchgeführten JIM-Studien („Jugend, Information, (Multi-) Media“) des

Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (mpfs) ergeben ein aussagekräftiges

Bild der Mediennutzung Jungendlicher zwischen 12 und 19 Jahren. Danach sehen 92% aller

Befragten regelmäßig fern, 63% tun dies täglich. Die durchschnittliche Sehdauer beträgt dann

etwa zwei Stunden. Dabei sehen HauptschülerInnen durchschnittlich eine halbe Stunde länger

fern als GymnasiastInnen (Kutteroff & Behrens, 2007, S.23). In Bezug auf eine mögliche

Korrelation der Sehdauer zu Realitätseinschätzungen kommen Rothmund et al. (2001a) zu

dem Schluss: „Hier konnte wie erwartet ein positiver Zusammenhang zwischen

Nutzungshäufigkeit und Perceived Reality von Kindern gesichert werden: VielseherInnen

schreiben TV-Sendungen mehr Realismus und Realitätsgehalt zu als WenigseherInnen.“ (S.

38)

Der Anteil derer, die einen eigenen Fernseher in ihrem Zimmer haben, ist nach

Kutteroff und Behrens (2007, S.11) bei den HauptschülerInnen mit 74% deutlich höher als bei

den GymnasiastInnen mit 60%. Ein eigener Fernseher bedeutet zumeist auch mehr Zeit

alleine vor dem Fernseher. Für Realitäts-Fiktions-Urteile bedeutet dies weniger

Möglichkeiten, die eigenen Einschätzungen in der Anschlusskommunikation mit

‚signifikanten Anderen’ abzugleichen. Messaris und Kerr (1984) fanden einen solchen

negativen Zusammenhang zwischen Eltern-Kind-Interaktionen und Perceived Reality.

Man könnte mit Greenfield (1987) davon ausgehen, dass sich mit einer intensiveren

Nutzung des Fernsehens im Sinne eines „learning by doing“ auch entsprechende

Wissensbestände etablieren würden. Biermann und Schulte (1996) berichten jedoch über

deutlich reduziertes fernsehbezogenes Wissen bei HauptschülerInnen im Vergleich zu

SchülerInnen an Gymnasien. Danach können 57% der HauptschülerInnen keine korrekten

Angaben zur Finanzierungsform der Sender machen (Gymnasiasten 21%). HauptschülerInnen

schätzen das Fernsehen als komplizierter und weniger verständlich ein. Interessant ist auch

das Ergebnis, dass sich HauptschülerInnen nach eigenen Angaben vom Fernsehen eher

„überzeugen“ lassen als SchülerInnnen an Gymnasien (ebd., S. 117f.).

56

Von großer Relevanz für die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis, dass die

Differenzierung verschiedener „Programmarten“ (Formate) 47% der HauptschülerInnen nicht

gelingt (SchülerInnen an Gymnasien 20%). Das bedeutet, dass beinahe die Hälfte der

SchülerInnen Schwierigkeiten hat, die nach dem drei Ebenen Modell grundlegende

Zuordnung einer Sendung zu einer Werkkategorie vorzunehmen.

Zu ähnlich deutlichen Ergebnissen kommt die PISA-Studie von 2000 (Artelt et al.,

2001).40 Anders als bei Biermann und Schulte (1996) ging es dort im Bereich Lesen jedoch

nicht um Wissensbestände, sondern um Kompetenzen, also handlungsbezogene Fähigkeiten.

Im Bericht des deutschen PISA-Konsortiums heißt es hierzu: „Lesen ist mehr denn je

erforderlich, um die notwendigen Grundlagenkompetenzen für eine selbstbestimmte,

bedürfnisgerechte und bedächtige Nutzung des gesamten Medienensembels zu schaffen.“ (S.

133) In diesem Sinne läuft auch die Argumentation von Wagner (2004) „im Endergebnis

darauf hinaus, dass Lese- und Medienkompetenz in einem engen Zusammenhang gesehen

werden müssen.“ (S. 181) Die Feststellung, dass Lese- und Medienkompetenz verwandte

Konzepte darstellen, mithin die Rezeption ähnliche Fähigkeiten erfordert, ist ebenso wenig

neu wie ein erweiterter Textbegriff, der auch z.B. Fernsehsendungen als Texte theoretisch

fassen kann (vgl. Jurga, 1997; 1999). Das ist auch der „erweiterte Textbegriff, mit dem in

[der] PISA-Studie gearbeitet wird. Geht man von diesem Textbegriff aus, wird

Lesekompetenz zu Lese- und Medienkompetenz.“ (Wagner 2004, S. 180)

Die Lesekompetenz nach PISA ist ein theoretisch und empirisch gut elaboriertes

Konstrukt. Die entsprechenden Skalen messen:

− die Fähigkeit zur Identifikation von Informationen in Texten („Informationen

ermitteln“),

− die Fähigkeit, die Intention eines Textes richtig zu erkennen („textbezogenes

Interpretieren“) und

− die Fähigkeit, „Verbindungen zwischen Informationen aus dem Text und allgemeinem

Alltagswissen herzustellen“ („Reflektieren und Bewerten“) (Artelt et al., 2001, S. 12).

Gerade mit dem ersten und dem dritten Punkt sind jene Fähigkeiten benannt, die oben

(Abschnitt 2.5.2.2) als zentrale kognitive Mechanismen für die inhaltlich-semantische

Perspektive des drei Ebenen Modells beschrieben wurden. Die Fähigkeit zur Einschätzung der

Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit von gesehenen Fernsehinhalten im Abgleich mit dem

40 Die hier referierten Ergebnisse beziehen sich auf die Ergebnisse der PISA-Studie von 2000, da hier die Lesekompetenz den Schwerpunkt der Untersuchung bildete, während in den Jahren 2003 und 2006 Mathematik bzw. Naturwissenschaften besonders fokussiert wurden. Die Ergebnisse der deutschen SchülerInnen im Bereich Lesekompetenz unterscheiden sich in den Jahren 2003 (Prenzel et al., 2005) und 2006 (Prenzel et al., 2007) nicht signifikant von den Werten aus dem Jahr 2000.

57

persönlichen Weltwissen (oder dem Wissen über die Alltagswirklichkeit – Alltagswissen,

siehe Abschnitt 2.1.4) kann damit als maßgeblich beeinflusst von der Lesekompetenz nach

PISA gelten.

Der OECD-Durchschnitt auf der „Gesamtskala Lesen“ liegt bei 500 Punkten (SD =

100). Der durchschnittliche Gesamtwert deutscher SchülerInnen liegt bei 484 Punkten, wobei

die Streuung mit 111 Punkten in der deutschen Stichprobe mit Abstand am größten ist (Artelt

et al., 2001, S.14).41

SchülerInnen an Hauptschulen erreichen einen Durchschnittswert von 394 Punkten,

was deutlich unter den Werten anderer Schulformen liegt (Realschulen 494, Gymnasien 582

Punkte). Alle Mittelwerte unterscheiden sich signifikant (Deutsches PISA-Konsortium, 2001,

S. 121). Die Schulzugehörigkeit erklärt 48% der Varianz der Gesamtskala Lesen (ebd.). Mit

394 Punkten liegt der Mittelwert deutscher HauptschülerInnen innerhalb der Kompetenzstufe

I (335-407 Punkte), welche die niedrigste von insgesamt 5 Stufen ist (Baumert et al., 2002,

S.17).

Abbildung 2 zeigt Mittelwerte von Schulen nach Schulformen geordnet. Auch hier ist

die Verteilung der durchschnittlichen Lesekompetenz-Werte auf die verschiedenen

Schulformen eindeutig.

41 Die große Leistungsdifferenz in Deutschland zeigt sich auch am Abstand zwischen den 5% Leistungsschwächsten und den 5% Leistungsstärksten SchülerInnen, der mit 366 Punkten ebenfalls mit Abstand der größte aller OECD Staaten ist.

58

Abbildung 2: Schulen nach Schulform und mittlerer Lesekompetenz der 15-Jährigen (in %). Aus: Artelt et al. (2001, S.45).

Während die Mehrheit der deutschen Hauptschulen einen Wert von 1-1,5

Standardabweichungen unter dem deutschen Mittelwert (484 Punkte) erreichen, liegt eine

große Mehrheit der Gymnasien bei einem Wert von 0,5-1 Standartabweichung über dem

Durchschnitt. Dabei gibt es weder Hauptschulen über dem Durchschnitt noch Gymnasien

darunter.

Setzt man also die in Abschnitt 2.5.2 als zentral für Realitäts-Fiktions-

Unterscheidungen herausgearbeiteten Variablen Formatwissen und Verarbeitungsstrategien in

Beziehung zu vorliegenden Daten über die Zielgruppe, so wird ein deutlicher Förderbedarf

erkennbar.

2.7 Das Training

Aus dieser Situation heraus wurde von der Arbeitsgruppe Schule und Medien („AG sum“) an

der Universität Freiburg mit dem Manual „hsTV“ ein praxisbezogenes Trainingsprogramm

ausgearbeitet, das den Bereich Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen als zentralen Bestandteil

beinhaltet (Castello, Göpfert, Fauth, Juga & Vollmer, im Druck a). Das Manual ist inhaltlich

und didaktisch auf die Zielgruppe der HauptschülerInnen zwischen 12 und 15 Jahren

59

abgestimmt. Es besteht aus 7 Übungseinheiten à 90 Minuten, die auf den drei theoretisch

fundierten Bereichen Medienbotschaften verstehen, Medienbotschaften kritisch hinterfragen

und Medien sinnvoll nutzen und ihre Wirkungen reflektieren basieren (vgl. Castello, Göpfert,

Fauth, Juga & Vollmer, im Druck b). Die Übungen zu Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen

sind dem zweiten Bereich zugeordnet. Der Bereich Formatwissen wird in den Sitzungen 2

und 3 vermittelt (Die Titel der Sitzungen sind „Berichtende Sendungsarten“ und „Erzählende

Sendungsarten“), während spezielle Verarbeitungsstrategien in der 6. Sitzung vermittelt

werden („Wirklich?“).

2.7.1 Formatwissen

Als erster Schritt wird in den Übungseinheiten das Wissen um verschiedene Formate und

Merkmale dieser Sendungskategorien vermittelt. Dazu werden die zur Kategorisierung

notwendigen Identifikations- und Vergleichsprozesse eingeübt. Auch in den

Filmwissenschaften sind Genres keine fest gefügten Kategorien, je nach Blinkwinkel und

Akzentuierung könnte ein und dieselbe Sendung durchaus unterschiedlichen

Sendungskategorien zugeordnet werden. Daher wurde es notwendig, für die Zielgruppe

relevante Sendungen zu erheben und auf eine für die Schüler/innen überschaubare und

dennoch hilfreiche Anzahl zu begrenzen. Auf der Basis der Einschaltquoten der Zielgruppe

(Lukesch, 2004) wurde schon in einem Vorgängerprojekt (Castello, Göpfert, Juga & Fauth,

2006) die in Abbildung 3 dargestellte Kategorisierung vorgenommen.

60

Abbildung 3: Cluster der zu vermittelnden Sendungsarten. Modifiziert nach Castello, Göpfert, Juga und Fauth (2006).

Dabei ist, wie die Grafik zeigt, für die vorliegende Arbeit vor allem der Unterschied zwischen

den ersten beiden Clustern auf der einen und dem dritten auf der anderen Seite von

Bedeutung.42 Er hat hier den Status eines „superordinate schema“ nach Fitch, Huston und

Wright (1993, vgl. auch Abschnitt 2.5.2.1).

Die Unterscheidung der Werkkategorie (erste Perspektive im drei Ebenen Modell) ist

zentral markiert durch die in Sitzung 2 thematisierten Berichtenden Sendungsarten (Cluster 1

und 2) und die in Sitzung 3 thematisierten Erzählenden Sendungsarten (Cluster 3; vgl.

Abbildung 3). Dabei werden erstere den SchülerInnen vermittelt als Sendungsarten, „die über

die Wirklichkeit berichten“ (Castello, Göpfert, Fauth, Juga & Vollmer, im Druck a, S. 24).

Über die Erzählenden Sendungsarten heißt es im Manual: „In diesen Sendungen wird nicht

etwas gezeigt, was wirklich passiert ist, sondern es werden erfundene Geschichten erzählt.

[…] In diesen erfundenen Geschichten spielen dann natürlich auch nicht Personen mit ihrem

echten Namen, sondern es sind Schauspieler, die ihre Rollen spielen.“ (Ebd.) Hier wird die

42 Die Unterscheidung zwischen Cluster 1 und 2 entspricht der Trennung von „Dokumentarischen“ und „Ludischen Texten“ nach Doelker (1991, S. 158ff.). Auch diese Trennung wird mit der in Abschnitt 2.2 beschriebenen Entwicklung der Fernsehlandschaft zunehmend fraglich.

Sendungen, in denen sich reale Personen entsprechend den innerhalb einer bestimmten Umgebung („Arbeitskontext“) geltenden Regeln verhalten (z.B. „Moderatorenrolle“).

Sendungen, in denen Schauspieler Rollen spielen und eine Geschichte in einer ausgedachten Realität erzählt wird.

Cluster 1 • Nachrichten

• Magazin

• Ratgeber

• Reportage

Cluster 2

• Shows

• Anruffernsehen Cluster 3 Seifenoper Serie Spielfilm

Wie viele Folgen?

Wie viele

Geschichten?

abgeschlossene Geschichten?

Haupt- und Nebengeschichte

Hauptgeschichte ja, Nebenge-schichte nein

ja

mehrere

„Zopfdrama-turgie“

viele

1

Kontinuität wird erreicht durch: Personen und Personen Narration Narration

Berichtend: Wissen über „die Welt da draußen“ fließt in Form von Einspielungen in die Sendung ein und wird demnach auch benötigt, um zu verstehen.

Spielerisch: Der Fokus liegt auf der Interaktion der Beteiligten und dem Geschehen innerhalb des Studios.

viele

1

RFU

61

Schwierigkeit deutlich, den SchülerInnen einen (wie wir gesehen haben) relativ komplexen

Sachverhalt in verständlicher Sprache zu vermitteln, ohne dabei inkonsistent zu werden. Die

im Manual gewählten Formulierungen scheinen hierfür geeignet zu sein. Ebenfalls aus

Gründen der Komplexitätsreduktion wird in den Sitzungen 2 und 3 keine Mischkategorie

eingeführt. Die daraus entstehende Dichotomie wird dann in der sechsten Sitzung

(Strategievermittlung) in ein Kontinuum gewandelt.

Zentrales Merkmal der Übungen zur Kategorisierung von Formaten ist der direkte

Praxisbezug. Das heißt, die Kategorien werden nicht abstrakt, sondern am praktischen

Beispiel, also echten Sendungen, vermittelt. Die Vorgehensweise in der Übung ist dabei

zunächst induktiv. Es wird also durch Vergleiche von Merkmalen einzelner Sendungen auf

eine übergeordnete Kategorie geschlossen (Generalisierung). Dazu werden in der Sitzung

einzelne Sendungen angeschaut und es wird anhand von Leitfragen über Ähnlichkeiten und

Unterschiede diskutiert. Die Ergebnisse werden dann auf Plakaten festgehalten, wobei ein

Plakat für jede Sendungsart steht und die jeweiligen zentralen Merkmale enthält. Die

Unterscheidung der Werkkategorien wird hier wiederum verdeutlicht durch unterschiedliche

Farben der Plakate für Berichtende und Erzählende Sendungsarten. Um die so entstehenden

Kategorien zu festigen, werden zum Abschluss der Sitzungen 2 und 3 Screenshots einzelner

Sendungen in einem spielerischen Quiz den Sendungsarten zugeordnet. Die kognitive

Verarbeitung ist dabei deduktiv. Die Vorgehensweise, bottom-up und top-down Prozesse zu

kombinieren, verspricht den größtmöglichen Lernerfolg.

2.7.2 Strategien

Die Vermittlung von Strategien für Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen ist Thema in der

sechsten Sitzung des Manuals hsTV. Dabei wird besonderes Gewicht auf die inhaltlich-

semantische Perspektive des drei Ebenen Modells gelegt. Strategien, die sich auf die

darstellungsbezogene Ebene beziehen, werden im Training nicht explizit thematisiert.

Wichtigster Grund hierfür ist die begrenzte Zeit, die innerhalb des gesamten Trainings für den

Bereich Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen zur Verfügung steht. Die Entscheidung für eine

Thematisierung der inhaltlich-semantischen Perspektive ist begründet durch die leichtere

Vermittelbarkeit und den größeren Nutzen im Vergleich zu darstellungsbezogenen Strategien.

Realitäts- und Fiktionssignale sind auf dieser Ebene, wie wir in Abschnitt 2.3.2 gesehen

haben, relativ schwer zu identifizieren. Zudem stellen sie „schwache“ Hinweise (Rothmund et

62

Ist das wirklich oder erfunden?

Kommt so was oft vor, ist es „wahrscheinlich“?

nein

ja

Kannst Du an der Sendungsart erkennen, ob das wirklich oder erfunden ist?

ja

nein

Ist das im wirklichen Leben überhaupt möglich?

Dann weißt Du, ob Du das glauben kannst oder nicht!

Erfunden!

Könnte schon sein, kommt aber eher selten vor,

also aufgepasst!

Wirklich!

ja

nein

al. 2001b) dar, die nur in der Summe bedeutsam werden („viele Unterschiede, die einen

Unterschied machen“ – vgl. Abschnitt 2.3.1).

Auf der inhaltlich-semantischen Ebene ist das Hinterfragen der Wirklichkeitsnähe

bzw. -ferne medialer Darstellungen operationalisiert über die Einschätzung von Möglichkeit

und Wahrscheinlichkeit des Gesehenen (vgl. Abschnitt 2.4.2). Dieses Konzept wird den

SchülerInnen zunächst anhand eines Beispiels aus dem Alltag näher gebracht. Dabei wird

auch der zentrale Begriff Strategie eingeführt und auf das Fernsehen übertragen: „Das, was

wir jetzt gemacht haben, ist eine Strategie, also eine Hilfe oder ein Plan, wie man vorgehen

kann, wenn man sich überlegen will, ob etwas wirklich sein kann. Und genauso kann man das

auch mit einer Fernsehsendung machen.“ (Castello, Göpfert, Fauth, Juga & Vollmer, im

Druck a, S. 50)

Nach und nach wird mit den SchülerInnen ein Entscheidungsbaum erarbeitet und

dessen Nützlichkeit als Strategie betont, um eine Antwort auf die Frage „Ist das wirklich oder

erfunden?“ zu finden. Der Entscheidungsbaum ist in Abbildung 4 dargestellt.

Abbildung 4: Entscheidungsbaum zu Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen unter inhaltlich-semantischer Perspektive. Aus: Castello, Göpfert, Fauth, Juga und Vollmer (im Druck a, S.51).

Mit der ersten Frage werden die als dichotom behandelten Werkkategorien aus den Sitzungen

2 und 3 wieder aufgenommen. Diese Dichotomie wird dann über das Konzept von

Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit in der zweiten und dritten Frage zum Teil aufgebrochen.

63

Die Formulierung „…also aufgepasst!“ entspricht der in Abschnitt 2.5.2.3 beschriebenen

kritisch-hinterfragenden Grundhaltung, die den SchülerInnen näher gebracht werden soll.

Weil der konkrete Bezug zur Praxis des Fernsehens zu den wichtigsten Grundsätzen

des Trainings gehört, wird die gelernte Strategie in der folgenden Übung an

Fernsehsendungen angewandt. Diese wurden dafür aus dem Fernsehen aufgenommen und

liegen auf einer DVD dem Manual bei. Es werden Ausschnitte aus den in Tabelle 4 genannten

Sendungen gemeinsam angeschaut.

Tabelle 4: In Sitzung 6 diskutierte Beispielsendungen

Sendung Dauer

1 Stargate 1:44

2 Verbotene Liebe 3:09

3 Apollo 13 3:52

4 Das Familiengericht 1:41

5 Der Clan der Erdmännchen 2:02

6 Lenßen und Partner 1:59

7 Schmeckt nicht gibt’s nicht 2:30

Gesamtdauer in Minuten 16:52

Die Ausschnitte werden dann im Plenum anhand der folgenden Leitfragen diskutiert:

− Was für eine Sendungsart war das?

− Könnt ihr daran erkennen, ob das wirklich oder erfunden ist?

− Warum?

− Gab es in der Sendung eine Stelle, die euch merkwürdig vorkam und bei der ihr euch

nicht sicher seid, ob das echt ist oder erfunden?

− Ist das, was euch merkwürdig vorkam, nach dem, was wir heute über die Welt wissen,

überhaupt möglich?

− Ist es auch wahrscheinlich? Kommt so etwas oft vor? (Ebd., S. 52)

Als Anweisung für den/die TrainerIn heißt es dazu im Manual: „Bei der Diskussion in der

Gruppe sollte darauf geachtet werden, dass unterschiedliche Auffassungen ausdrücklich

erlaubt sind und die Schüler/innen sich nicht gegenseitig angehen sollen, wenn jemand eine

unpopuläre Meinung vertritt.“ (Ebd.) Es ist in Abschnitt 2.2 deutlich geworden, dass in

Anbetracht der heutigen Fernsehlandschaft bezüglich der Art und Weise der

Wirklichkeitsentsprechung von Sendungen Unklarheiten bestehen bleiben können und

vielleicht müssen. Diese Unklarheiten werden im Training explizit benannt und es wird nicht

64

der wohl sinnlose Versuch unternommen, sie endgültig aufzulösen. Dazu heißt es im Manual:

„Wir waren vielleicht nicht immer derselben Meinung, aber das ist auch in Ordnung. Wichtig

ist, dass ihr jetzt einen Weg kennt, wie ihr Euch selber eine Meinung bilden und selbst

entscheiden könnt, ob ihr etwas glauben wollt oder nicht.“ (Ebd., S. 54).

Zudem wird in der Diskussion wohl auch den SchülerInnen deutlich werden, dass es

nicht immer möglich ist, eine Sendung den dichotomen Kategorien „Wirklich“ oder

„Erfunden“ zuzuordnen. Dem trägt eine abschließende Übung Rechnung, bei der die

gesehenen Sendungen (Tabelle 4) in einer Gruppenarbeit auf einem „Wirklichkeitsstreifen“

eingeordnet werden. Dieser entspricht einem Kontinuum zwischen Wirklichkeitsnähe und -

ferne. Dabei wird zum einen die Anwendung der erlernten Strategien trainiert. Zum anderen

wird so noch einmal sehr anschaulich deutlich, wie fließend die Grenzkonstruktionen

zwischen medialer Realität und Fiktion sind. Damit wurde ein weiteres zentrales Ergebnis der

theoretischen Betrachtungen umgesetzt.

65

3 Empirie

3.1 Fragestellungen

Im theoretischen Teil dieser Arbeit wurden zwei Aspekte von Medienkompetenz

herausgearbeitet, die für Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen besonders relevant sind. Zum

einen das Formatwissen als „Vorraussetzungsaspekt“ und zum anderen spezifische

Verarbeitungsstrategien – hier vor allem die Beurteilung von Möglichkeit und

Wahrscheinlichkeit des Gesehenen. Auf der Basis dieser theoretischen Überlegungen wurde

das Trainingsmanual hsTV konzipiert, das den Anspruch hat, auch diese Bereiche gezielt

praxisbezogen zu fördern.

Im empirischen Teil dieser Arbeit soll nun geklärt werden, ob das Training die

anvisierten Effekte erreicht und mithin wirksam ist. Die durch die Empirie zu beantwortende

Frage kann daher allgemein wie folgt formuliert werden:

Bewirkt das Training eine Verbesserung der Fähigkeit zu Realitäts-Fiktions-

Unterscheidungen?

Dabei liegt es nahe, die Fragestellung in die beiden Unterbereiche Formatwissen und

Strategierepräsentation aufzuteilen, um eventuelle Effekte differenziert abbilden zu können.

Sinnvoll ist es auch, im Bereich Formatwissen den Wirklichkeitsanspruch der einzelnen

Formate in den Werkkategorien Fiction und Non-Fiction besonders zu berücksichtigen (vgl.

den Begriff des superordinate schema in Abschnitt 2.5.2.1). Daraus ergeben sich die

folgenden Unterfragestellungen:

1. Ist das Training in der Lage, fernsehbezogenes Formatwissen zu vermitteln?

2. Ist das Training in der Lage, das Wissen um den Wirklichkeitsanspruch der

Werkkategorien zu vermitteln?

3. Ist das Training in der Lage, die im Manual vermittelten Rezeptionsstrategien zu

vermitteln?

66

Daraus ergeben sich die folgenden formalen Hypothesen:

1. Hypothese:

Der Zuwachs des Formatwissens vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt ist bei den

SchülerInnen der Experimentalgruppe großer als bei jenen der Kontrollgruppe. Die

statistischen Hypothesen werden wie folgt formuliert:

Es sei σ²AB die Varianz des Interaktionseffekts zwischen den Faktoren A (EG/KG) und B

(Prä-/Postmessung).

H0: σ²AB = 0

H1: σ²AB ≠ 0

2. Hypothese:

Die Berücksichtigung des Wissens um den Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien als

Prädiktor in einer Regressionsgleichung mit der Gruppenzugehörigkeit (EG/KG) als

Kriterium bewirkt eine Verbesserung der Vorhersagegüte zum zweiten, nicht jedoch zum

ersten Messzeitpunkt. Die statistischen Hypothesen werden wie folgt formuliert:

Es sei βt1 der Regressionskoeffizient mit den Werten der Prä-Messung und βt2 der

Regressionskoeffizient mit den Werten der Post-Messung.

H0: βt2 = 0

H1: βt1 = 0 und βt2 > 0

3. Hypothese:

Die Verbesserung in der Einschätzung der Nützlichkeit von Rezeptionsstrategien ist vom

ersten zum zweiten Messzeitpunkt bei den SchülerInnen in der Experimentalgruppe größer als

bei jenen in der Kontrollgruppe. Die statistischen Hypothesen werden wie folgt formuliert:

Es sei σ²AB die Varianz des Interaktionseffekts zwischen den Faktoren A (EG/KG) und B

(Prä-/Postmessung).

H0: σ²AB = 0

H1: σ²AB ≠ 0

67

3.2 Operationalisierungen

Für die Beantwortung der Fragestellungen soll ein Fragebogen konstruiert werden. Dies

bringt gegenüber Interviews zunächst den Vorteil, dass Durchführungs- und

Auswertungsobjektivität gesichert sind. Zudem kann die Reliabilität durch Kennwerte der

internen Konsistenz schnell und unproblematisch bestimmt werden. Dem steht als

Hauptproblematik die Durchführbarkeit der Befragung im Klassenverband gegenüber. Die

Frage ist, ob es gelingt, die Aufmerksamkeit der SchülerInnen über einen relativ langen

Zeitraum auf einen Fragebogen fokussiert zu halten. Hier wären halbstrukturierte

Einzelinterviews von Vorteil. Diese wären allerdings sehr aufwendig zu realisieren und

würden wohl die zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen übersteigen. Es soll daher

darauf geachtet werden, dass der Fragebogen so kurz wie möglich gehalten bleibt.

Ein weiteres Argument für den Einsatz von Fragebögen betrifft Aspekte der Validität.

Es kann davon ausgegangen werden, dass bei den SchülerInnen an Hauptschulen zum Teil

erhebliche Probleme bei der Fähigkeit zur Verbalisierung vorhanden sind (vgl. Abschnitt 2.6).

Hier kann es – vor allem im Bereich Strategierepräsentation – von Vorteil sein, wenn die

entsprechenden Fragen einerseits auch mündlich gestellt werden, und den SchülerInnen zum

anderen die möglichen Antworten auch schriftlich vorliegen. Ansonsten könnte ein zu großer

Varianzanteil auf die Verbalisierungsfähigkeit und nicht auf die Repräsentation der Strategien

zurückzuführen sein. Items mit Antwortvorgaben (Bortz & Döring, 2006, S. 214) sind dazu

geeignet, diese Probleme zu vermeiden.

Zuletzt ist es nicht unwichtig, dass im Rahmen des Gesamtprojekts hsTV ein

Fragebogen entwickelt werden soll. Die Vorteile der Entwicklung von RFU-Skalen und deren

Integration in den Fragebogen liegen nicht nur in der hohen Praktikabilität und Ökonomie,

sondern auch in einer optimalen Vergleichbarkeit mit anderen Bereichen des Trainings hsTV.

Auf Ebene der einzelnen Items gilt es bei der Operationalisierung der Fragestellung in

der Hauptsache zunächst vier Kriterien zu beachten:

1. Die schon angesprochene Kürze, d.h. es sollten möglichst wenige Items sein, um die

Aufmerksamkeit der SchülerInnen nicht überzustrapazieren.

2. Die Inhaltsvalidität, d.h. die Items sollen das im Training Gelernte dennoch

vollständig abbilden können (Klauer, 1984).

3. Die Formulierung der Items sollte Alter und Bildungsstand der Zielgruppe

angemessen sein.

68

4. Die Vermeidung von Messartefakten durch „gute Distraktoren“ nach Bortz und

Döring (2006, S. 215; vgl. auch Wilcox, 1981).

Anhand dieser Kriterien soll im Folgenden die Formulierung von Items zuerst auf

Wissensebene (Fragestellungen 1 und 2) und dann auf der Ebene der Strategierepräsentation

(Fragestellung 3) besprochen werden.

3.2.1 Formatwissen und Werkkategorien (Fragestellungen 1 und 2)

Das zu erlernende Formatwissen stellt einen „homogenen Wissensbereich“ (Bortz & Döring,

2006, S. 216) dar, d.h. es ist eindeutig entscheidbar, was als richtiges und was als falsches

Wissen zu werten ist. Die einzelnen Formate werden im Training zunächst als geschlossene

Kategorien vermittelt, wobei Fiction von Non-Fiction als Werkkategorien deutlich

voneinander unterschieden werden. Für das Abfragen solcher Wissensbereiche empfehlen

Bortz und Döring (ebd.) Zuordnungsaufgaben, bei denen die Teilnehmenden an einer

Untersuchung die Aufgabe haben, einzelne Elemente einer Serie mit den Elementen einer

anderen Serie zu verbinden.

Für den Bereich Formatwissen soll in diesem Sinne eine Liste der gelernten

Formatbezeichnungen (vgl. Abbildung 3) mit den im Training vermittelten besonderen

Merkmalen der einzelnen Formate in Verbindung gebracht werden. Dazu sollen zwei Skalen

konstruiert werden – eine für fiktionale und eine für non-fiktionale Formate (Berichtende

Sendungsarten und Erzählende Sendungsarten). Beispiele für die Formulierung der Items der

Skala Berichtende Sendungsarten gibt Abbildung 5. Konkrete Aufgabe der SchülerInnen ist

es, eine Formatbezeichnung mit der richtigen Aussage zu verbinden. Die Ausformulierung

der beiden Gesamtskalen findet sich im Anhang.

69

Abbildung 5: Beispiele für Items und Distraktoren der Skala Berichtende Sendungsarten zur Messung des Formatwissens.

Besonderer Wert soll hier noch auf die Formulierung der Items zur Messung des Wissens

über den Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien gelegt werden. Die im Manual

durchgehend verwendeten kategorialen Bezeichnungen Erzählende Sendungsarten (Fiction)

und Berichtende Sendungsarten (Non-Fiction) sollen auch bei dieser Itemkonstruktion

verwendet werden. Die Aussagen, die mit diesen Bezeichnungen verbunden werden sollen,

sollen passend zum Training (vgl. Abschnitt 2.7) zum einen die Referenz auf die

„Wirklichkeit“ (Non-Fiction) und zum anderen die Betonung von „erfundenen Geschichten“

(Fiction) beinhalten. Als sprachlich angemessene Gestaltung der Items (Kriterium 3, s.o.)

ergeben sich daher die Formulierungen in Tabelle 5, die das für die Unterscheidung der

Werkkategorien notwendige Wissen abbilden (Kriterium 2, s.o.).

Tabelle 5: Items zur Messung des Wissens über den Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien

1 Sendungsarten, die über die Wirklichkeit berichten

Berichtende Sendungsarten

2 Sendungsarten, in denen erfundene Geschichten gezeigt werden

Erzählende Sendungsarten

Magazin

Nachrichten

Show berichtet über verschiedene Dinge z.B. Promis und Technik

Hier wird zu nur einem Thema oder Ereignis ausführlich berichtet.

ist immer auf dem neusten Stand

Da werden Gäste und ein Publikum eingeladen

Da kann man anrufen und etwas kaufen oder gewinnen

70

Mögliche Artefakte, die entstehen können, weil bei Item 1 die Zuordnung allein aufgrund des

Signalwortes „berichten“ erfolgen könnte, werden durch das zu wählende Versuchsdesign

ausgeschlossen (s.u.). Um eine verlässliche Messung zu erhalten, werden die Items im

einzusetzenden Fragebogen FB_TV_1 integriert. Sie werden eingeordnet in eine Reihe von

Items, die allgemeines Wissen über das Fernsehen abfragen. Hinzu kommen im Fragebogen

drei Distraktoren (Kriterium 4, s.o.), sodass der Bogen aus einem Set von acht Aussagen

besteht, die fünf Begriffen richtig zugeordnet werden müssen (siehe Anhang).

Eine mögliche Verletzung von Kriterium 1 (Länge des Bogens) soll hier zugunsten

einer größtmöglichen Validität (Kriterium 4) in Kauf genommen werden.

3.2.2 Strategierepräsentation (Fragestellung 3)

Im Sinne der Inhaltsvalidität (Kriterium 2) sollten von der Skala „Strategierepräsentation“ alle

im Manual hsTV thematisierten Strategien abgebildet werden (vgl. Abschnitt 2.7.2). Diese

sind:

− Überlegungen zum Format der Sendung (hier wird das zuvor als deklaratives Wissen

Abgefragte als Rezeptionsstrategie relevant).

− Damit zusammenhängend: Überlegungen, ob es sich bei den gezeigten Personen um

Schauspieler handelt.

− Beurteilung der grundsätzlichen Möglichkeit von gesehenen Inhalten.

− Beurteilung der Wahrscheinlichkeit von gesehenen Inhalten.

Punkt 1 und damit zusammenhängend Punkt 2 dienen der Beurteilung des gesehenen Formats

und bilden damit die Perspektive „Werkkategorie“ im drei Ebenen Modell (Abbildung 1) als

Verarbeitungsstrategie ab. Die Strategien 3 und 4 bilden die Perspektive „Erfahrungsinhalt“

ab und dienen damit einer Beurteilung der Wirklichkeitsnähe und –ferne (vgl. Abbildung 1).

Tabelle 6: Itemübersicht mit Perspektive, Inhaltsbereich und Nummer im FB_TV_1

Perspektive nach Rothmund et al. (2001b)

Inhaltsbereich des Items

Item Nr. im FB_TV_1 (siehe Abbildung 6)

Werkkategorie Format Schauspieler

47 49

Erfahrungsinhalt Möglichkeit Wahrscheinlichkeit

46 50

71

Die oben angestellten Überlegungen zu Verbalisierungsfähigkeit und sprachlichem

Verständnis bei der Zielgruppe (Kriterium 3) legen es nahe, die einzelnen Strategien als

Aussagen zu formulieren und sie hinsichtlich ihrer Nützlichkeit für eine

Wirklichkeitsbeurteilung bewerten zu lassen. Die Bewertung erfolgt dabei auf einer 4-

stufigen Ratingskala mit den Endpunkten „gar nicht nützlich“ und „sehr nützlich“. Hierfür

bieten sich „numerische Marken“ (Bortz & Döring, 2006, S. 177) von 0 bis 3 an, wobei die

Null dem Endpunkt „gar nicht nützlich“ entspricht. Die so entstehende Testskala ist angelehnt

an die klassische Likert-Skala (Likert, 1932). Die hier zumeist verwendete 5-stufige

Ratingskala wird jedoch aufgegeben, um zu erwartende Tendenzen zur Mitte (Bortz &

Döring, 2006, S. 184) auszuschließen. Die 4-stufige Ratingskala zwingt die Teilnehmenden,

sich für eine Tendenz zu entscheiden. Daraus ergeben sich die in Abbildung 6 dargestellten

Formulierungen für die Skala „Strategierepräsentation“.

Um den Transfer des Gelernten aus dem sehr praxisbezogenen Lernsetting auf die eher

abstrakte Ebene des Fragebogens zu gewährleisten, wird den Teilnehmenden die Instruktion

gegeben, sich gedanklich in die Rezeptionssituation zu begeben, sich also konkret

vorzustellen, vor dem Fernseher zu sitzen und eine Sendung anzuschauen.

Was kannst Du tun, um herauszufinden, ob diese Geschichte wirklich passiert sein könnte

oder ob die Geschichte ausgedacht und erfunden ist? Auch hier sind verschiedene Möglichkeiten beschrieben, was Du tun kannst und Du sollst

wieder angeben, wie nützlich Du diese Möglichkeiten findest. 0 bedeutet wieder, dass Du das gar nicht nützlich findest, 3 bedeutet, dass Du das sehr

nützlich findest.

gar nicht nützlich

sehr nützlich

46 Ich kann mir überlegen, ob das, was da gezeigt wird, überhaupt möglich ist.

0 1 2 3

47 Ich kann mir überlegen, was für eine Art von Sendung das ist. 0 1 2 3

48 Ich kann mir überlegen, ob man sich das, was da gezeigt wird, überhaupt ausdenken kann.

0 1 2 3

49 Ich kann mir überlegen, ob es die Personen im wirklichen Leben auch gibt oder ob das Schauspieler sind.

0 1 2 3

50 Ich kann darüber nachdenken, ob das, was da gezeigt wird, wahrscheinlich ist, ob es oft vorkommt.

0 1 2 3

Abbildung 6: Die Skala RFU-Strategierepräsentation im Fragebogen FB_TV_1

Da die Strategierepräsentation eine eigene psychometrische Skala darstellt und im

Fragebogen als eigener, abgeschlossener Fragenbereich integriert werden soll, kommt der

Formulierung des Distraktors (Kriterium 4, s.o.) besondere Bedeutung zu (Item 48 in

72

Abbildung 6). Er hat die Aufgabe, mögliche Antworttendenzen im Sinne eines „Response-

Sets“ (Bortz & Döring, 2006, S. 224) sichtbar zu machen und dient damit der eindeutigen

Interpretierbarkeit der Daten (interne Validität). In Bezug auf die vorliegende Testskala

könnten sich Antworttendenzen aus der zweimaligen Messung (prä-post) ergeben: Es besteht

die Möglichkeit, dass die SchülerInnen die Nützlichkeit der abgefragten Strategien bei der

zweiten Messung höher bewerten, einfach weil sie der Meinung sind, als „gute SchülerInnen“

nach dem Training höhere Werte angeben zu müssen als vor dem Training. Das kann

ausgeschlossen werden, wenn sich der Wert von Item 48 nicht verändert, da es von der

Formulierung her den anderen entspricht, inhaltlich jedoch keine im Training vermittelte

Strategie zur Wirklichkeitsbeurteilung darstellt.

3.3 Methoden und Verfahren

3.3.1 Überprüfung der Messmittel

Eine Messung kann immer nur so gut sein wie der Fragebogen, mit dem gemessen wird.

Daher wird zum einen die Praktikabilität, Verständlichkeit und Durchführungsdauer des

Fragebogens in einer Vorstudie getestet. Zum anderen werden die Skalen vor der Auswertung

der Evaluationsdaten auf ihre Qualität geprüft.

Anhand der Evaluationsstichprobe (Daten zu t1) werden für die Skalen die

Qualitätsmerkmale Rohwerteverteilung, Homogenität, Itemschwierigkeit und Interne

Konsistenz bestimmt. Die Itemanalyse wird dabei auf Grundlage der klassischen Testtheorie

vorgenommen, die sich in der Forschungspraxis bewährt hat (Sprung & Sprung, 1984).

Die Rohwerteverteilung vermittelt einen ersten Überblick über das von einzelnen

Items oder Skalen evozierte Antwortverhalten in der zu untersuchenden Stichprobe. Dabei ist

es zum einen von Bedeutung, ob der gesamte Wertebereich der Ratingskala ausgeschöpft

wird und zum anderen, ob die Rohwertverteilung normalverteilt ist (Kolmogorov-Smirnov-

Test). Die Normalverteilung ist relevant als Voraussetzung für die meisten

inferenzstatistischen Verfahren. Eine Verletzung der Normalverteilung ist nach Bortz &

Döring (2006, S. 218) hinnehmbar, wenn sie theoriekonform ist und in der Untersuchung mit

größeren Stichproben (N > 30) operiert wird.

Die Itemschwierigkeit bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frage richtig

beantwortet wird bzw. einer Aussage zugestimmt wird. Für die vorliegenden Messmittel wird

73

die Berechnung der entsprechenden Indizes wie folgt vorgenommen: Für die zweistufigen

Items wird die Zahl der Personen, die das Item richtig gelöst haben, dividiert durch die

Gesamtzahl der teilnehmenden Personen. Für die mehrstufigen Skalen wird die Summe der

auf einer Skala insgesamt erreichten Punkte durch die maximal erreichbare Punktzahl

dividiert (Lienert & Raatz, 1994). Die Schwierigkeit wird hier also nicht für die einzelnen

Items, sondern für die Gesamtskala errechnet. Extrem schwierige oder extrem leichte Items

oder Skalen sind problematisch, weil sie Unterschiede zwischen Personen und Gruppen nur

unzureichend abzubilden in der Lage sind. Daher sind Schwierigkeiten im mittleren Bereich

anzustreben (Bortz & Döring, 2006, S. 219).

Die Homogenität einer Skala spiegelt deren Eindimensionalität wider. Da mit der

Skala „Strategierepräsentation“ ein einheitliches Konstrukt gemessen werden soll, ist zu

fordern, dass die einzelnen Items der Skala untereinander korrelieren. Die mittlere paarweise

Korrelation der Items miteinander quantifiziert die Homogenität. Nach Briggs und Cheek

(1986, S. 115; zitiert nach Bortz und Döring, 2006, S. 220) liegen optimale Homogenitäten

zwischen 0,2 und 0,4. Darunter sind hinter einer Testskala mehrere Konstrukte zu vermuten,

darüber ist die Skala redundant.

Die Interne Konsistenz ist ein Maß zur Bestimmung der Reliabilität einer Skala und

misst damit ihre Genauigkeit. Nach den Axiomen der klassischen Testtheorie müsste eine

völlig reliable Skala bei wiederholter Anwendung an denselben Personen exakt die gleichen

Werte messen, da hier die Fehlervarianz gleich null wäre. Die Reliabilität gibt an, wie sehr die

empirischen Werte einer Messung von den (geschätzten) wahren Werten abweichen. Zur

Schätzung der messfehlerfreien „wahren“ Varianz kann bei homogenen Skalen die

gemeinsame Varianz zweier Testhälften herangezogen werden (Testhalbierungsreliabilität)

(Bortz und Döring, 2006, S. 198). Die Berechnung der internen Konsistenz mithilfe des

Alphakoeffizienten (Cronbach, 1951) ist an diese Methode angelehnt. Danach werden die

Reliabilitäten für alle möglichen Testhalbierungen errechnet und gemittelt. Cronbachs Alpha

ist damit genauer als herkömmliche Verfahren der Testhalbierung. Allerdings führt das

Verfahren, wie Bortz und Döring (2006, S. 199) anmerken, bei Skalen mit wenigen Items zu

erheblich kleineren Alpha-Werten als bei vielen Items. Das gilt es bei der Interpretation zu

berücksichtigen.

74

3.3.2 Evaluationsstudie

Zur Überprüfung der Wirksamkeit des Trainings soll ein Prä-Post-Design mit einer

Experimental- und einer Kontrollgruppe etabliert werden (2x2 Versuchsplan).43 Im Folgenden

werden kurz die statistischen Verfahren zur Datenauswertung vorgestellt.

3.3.2.1 Die Skalen Formatwissen und Strategierepräsentation

Um mögliche Veränderungen vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt auf statistische

Signifikanz zu prüfen, soll eine zweifaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholung

gerechnet werden. In das Verfahren wird die Tatsache miteinbezogen, dass zwei Messungen

an einer Gruppe nicht unabhängig voneinander sind, wie es die klassische Testtheorie fordert.

Stattdessen wird als Voraussetzung für die Varianzanalyse mit Messwiederholung gefordert,

dass die Varianz der Messfehler unter den jeweiligen Faktorstufen gleich ist. Sie ist damit das

geeignete Verfahren zur Überprüfung von Unterschieden in einer intervallskalierten aV, die

zu zwei Zeitpunkten (uV1 – Messwiederholungsfaktor) bei zwei Gruppen (uV2 –

Gruppierungsfaktor) gemessen wird. Dabei ist ein Interaktionseffekt zwischen beiden

Faktoren zu erwarten. Während beide Gruppen zum ersten Messzeitpunkt gleichauf liegen

sollten, sollte die Experimentalgruppe zum zweiten Messzeitpunkt einen höheren Wert als die

Kontrollgruppe aufweisen. Auch mögliche Prätest-Unterschiede gehen so gleich in die

Berechnung mit ein. Das ist vor allem wegen des quasiexperimentellen Charakters der Studie

relevant (siehe Abschnitt 3.4).

Zur Sicherung der praktischen Bedeutsamkeit der Ergebnisse wird die Effektstärke d

mit Korrektur von Vortest-Unterschieden für quasiexperimentelle Untersuchungen nach der

Formel dkorr = dNachtest-dVortest berechnet (Klauer, 1993). Dabei wird zur Berechnung von d die

Mittelwertsdifferenz von Experimental- und Kontrollgruppe durch die gemittelte Streuung

von Experimental- und Kontrollgruppe dividiert. Es werden die von Cohen (1988)

angegebenen Konventionen übernommen, wonach die Klassifizierung der Effekte als

klein/mittel/groß nach den Stufen .2/.5/.8 erfolgt.

3.3.2.2 Items zum Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien

Zur Prüfung möglicher Veränderungen der einzelnen Items zum Wissen um den

Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien von ersten zum zweiten Messzeitpunkt soll das

Verfahren der binären logistischen Regression angewendet werden. Regressionsanalytische

43 Die nähere Beschreibung des Versuchsplans geschieht im Abschnitt 3.4. (Durchführung). Der Versuchsplan wird hier nur kurz angesprochen, um Überlegungen zur statistischen Datenanalyse anstellen zu können.

75

Verfahren dienen der Vorhersage eines Kriteriums durch einen oder mehrere Prädiktoren. Die

binäre logistische Regression erlaubt es, die Vorhersagegüte von Prädiktoren für

nominalskalierte Kriterien zu schätzen. Es kann so beurteilt werden, ob durch die

Einbeziehung des Antwortverhaltens der SchülerInnen (richtig/falsch) deren

Gruppenzugehörigkeit vorhergesagt werden kann. Der Messzeitpunkt wird miteinbezogen,

indem durch die Methode „Einschluss“ die Variablenwerte zu t1 und zu t2 als

Regressionskoeffizienten in die Regressionsgleichung aufgenommen werden (Bühl, 2006, S.

272). Dabei sollte nur der Wert zu t2 die Vorhersagegüte des Modells signifikant verbessern.

Das heißt: Die Kenntnis des Antwortverhaltens eines Schülers zum zweiten Messzeitpunkt

verbessert die Vorhersage seiner Gruppenzugehörigkeit signifikant; der entsprechende

Regressionskoeffizient unterscheidet sich von Null. Zur Bestimmung der Effektgröße wird

der Index Nagelkerkes R² berechnet, der analog zum Determinationskoeffizienten R² der

linearen Regression zu interpretieren ist (vgl. ebd., S. 376). Bortz und Döring (2002, S. 604)

klassifizieren die Effekte der multiplen Korrelation nach den Stufen .02/.15/.35

(klein/mittel/groß).

3.4 Untersuchungsfeld und Teilnehmende

Die Überprüfung der Wirksamkeit des Manuals sollte unter Praxisbedingungen stattfinden

und wird daher als Feldstudie geplant. Das Training und die Messungen werden also in der

Schule im Rahmen der üblichen Unterrichtseinheiten realisiert. Dies stellt eine hohe

Generalisierbarkeit der Ergebnisse im Sinne der Externen Validität sicher. Das Training soll

unabhängig von den in der Evaluationsstudie aktuellen Zeitpunkten, Schulen und

SchülerInnen wirksam sein. Die zu erreichende Altersgruppe entspricht den Klassenstufen 6

und 7. Um die entsprechenden Klassen zu rekrutieren, werden alle Hauptschulen im Bereich

das Regierungspräsidiums Freiburg angeschrieben. In dem Anschreiben wird das

Grundkonzept des Trainings kurz erläutert mit der Bitte, bei Interesse Kontakt mit der

Arbeitsgruppe Schule und Medien (sum) aufzunehmen.

Schulen, die sich melden, aber nach einem Gespräch nicht zur Durchführung des

Trainings bereit sind, werden der Kontrollgruppe zugeordnet. Dieses Vorgehen ist im

Rahmen der Untersuchung gerechtfertigt, weil das Training auch später nur dort durchgeführt

werden wird, wo die verantwortlichen Lehrer und Schulleiter damit einverstanden sind.

Dennoch entspricht das Design damit einer quasiexperimentellen Untersuchung, da die

76

Teilnehmenden nicht zufällig der Experimental- und Kontrollgruppe zugeordnet werden

(Randomisierung). Die damit einhergehende Gefährdung der internen Validität wird

zugunsten einer größeren Praxisnähe in Kauf genommen. Zudem wird möglichen

Verfälschungen mit dem Prä-Post-Design und der Durchführung in mehreren Klassen aus

mehreren Schulen begegnet.

Die anzustrebende Größe der Stichprobe ist abhängig von den zu erwartenden

Effekten, dem alpha-Niveau und dem verwendeten statistischen Verfahren. Göpfert (im

Druck) konnte bei FörderschülerInnen für den Bereich fernsehbezogene RFU mit demselben

theoretischen Hintergrund kleine bis mittlere Effekte erzielen. Im Rahmen dieser Arbeit sind

ähnliche Effektstärken zu erwarten. Nach Bortz und Döring (2006, S.628) ergibt sich daraus

für die Varianzanalyse ein optimaler Stichprobenumfang von N=64 (mittlere Effekte) bis

N=393 (kleine Effekte). Der extreme Unterschied zwischen beiden Werten lässt das

Verfahren etwas fraglich erscheinen. Es wird daher ein möglichst großes N angestrebt, für die

Experimentalgruppe sollen jedoch mindestens 6-8 Klassen rekrutiert werden, für die

Kontrollgruppe 4-5. Das sollte auch nach möglichen Dropouts noch ein ausreichend großes N

garantieren, um gefundene Effekte statistisch gegen Irrtum sichern zu können.

3.5 Durchführung

3.5.1 Planung der Umsetzung

Nach einem ersten Gespräch mit den SchulleiterInnen wird ein ausführlicheres Gespräch mit

den jeweiligen KlassenlehrerInnen vereinbart. Dort werden zentrale Inhalte und Ziele des

Manuals hsTV besprochen und erläutert. Sind LehrerInnen und SchülerInnen bereit und

motiviert, das Training durchzuführen, wird die erste Messung (FB_TV_1) vom

Versuchsleiter im Klassenverband durchgeführt. Hier werden auch soziodemographische

Merkmale und Mediennutzungsdaten der SchülerInnen erhoben (siehe Anhang). Das Training

wird dann von den LehrerInnen im Klassenverband durchgeführt. Nach der dritten Sitzung

wird die zweite Messung (FB_TV_2) vorgenommen. Sie beinhaltet die Postmessung der

Items zum Formatwissen und zum Wissen um den Wirklichkeitsanspruch der

Werkkategorien. Nach der siebten Sitzung wird die dritte Messung (FB_TV_3)

vorgenommen. Sie beinhaltet die Postmessung der Skala RFU-Strategierepräsentation. Die

Befragungen 2 und 3 werden von den LehrerInnen eigenständig vorgenommen. Alle

77

Messungen finden wie das Training im Klassenverband statt. Um Objektivität und

Standardisierung der Messungen sicherzustellen, werden die LehrerInnen speziell in Bezug

hierauf vom Versuchsleiter instruiert. Abbildung 7 gibt einen Überblick über das Design der

Evaluationsstudie.

Abbildung 7: Das Design der Evaluationsstudie im Überblick

3.5.2 Tatsächliche Umsetzung

In acht Klassen an sieben verschiedenen Schulen konnten Lehrkräfte dafür gewonnen werden,

das Manual selbst unter Betreuung durch die Arbeitsgruppe sum durchzuführen. Vier

Lehrkräften ist es nicht gelungen, das Training soweit in ihre Planungen zum Schuljahr zu

integrieren, dass es innerhalb des durch die Projektlaufzeit festgelegten Zeitraums beendet

werden konnte. In zwei von diesen Klassen konnten noch Daten zum zweiten Messzeitpunkt

erhoben werden, von den anderen beiden liegen nur Daten vom ersten Messzeitpunkt vor.

Somit konnte das Training in vier Klassen vollständig durchgeführt und die Daten

komplett erhoben werden. Die Kontrollgruppenklassen konnten zu beiden Messzeitpunkten,

abgesehen von einzelnen, am Messtermin fehlenden Schülern, vollständig befragt werden.

Die entsprechenden Schüler- und Klassenzahlen zu den drei Messzeitpunkten finden sich in

Tabelle 7.

FB_TV_1: • Soziodemgraphische Daten • Daten zur Mediennutzung • Formatwissen • Werkkategorien • Strategierepräsentation

FB_TV_2: • Formatwissen • Werkkategorien FB_TV_3:

• Strategierepräsentation

Prä-Messung

Post-Messung

Beginn des Trainings 3. Sitzung Ende des Trainings

Sitzungen 2 und 3 (Formatwissen und Werkkategorien)

Sitzung 6 (Verarbeitungs- strategien)

78

Tabelle 7: Die Stichprobe im Verlauf

Gruppe N zu t1 N zu t2 N zu t3 Vollständige Datensätze

EG 158 116 89 87

KG 81 76 76 76

Gesamt 239 192 165 163

Klassen 13 11 9 9

Die Stichprobe umfasste zu t1 239 Schüler/innen, wobei 158 der Experimentalgruppe und 81

der Kontrollgruppe angehörten. Die Kontrollgruppe verringerte sich bei den Postmessungen

um fünf Personen. Der Dropout bei der Experimentalgruppe lag höher, in dieser Gruppe

konnten 87 vollständige Datensätze erhoben werden.

3.6 Ergebnisse

In diesem Abschnitt werden zunächst soziodemographische Merkmale und relevante

Mediennutzungsdaten der Stichprobe dargestellt. Dann werden Kennwerte zur Überprüfung

der Messmittel angegeben. Im Hauptteil wird dann über die Ergebnisse der summativen

Evaluation berichtet. Diese sind differenziert in die Skalen Berichtende Sendungsarten und

Erzählende Sendungsarten, in die Items Werkkategorien und die Skala

Strategierepräsentation.

3.6.1 Stichprobenbeschreibung

Die Altersverteilungen innerhalb der Experimental- und Kontrollgruppe sind vergleichbar. In

beiden Gruppen sind SchülerInnen mit einem Alter von 13 Jahren am häufigsten vertreten,

auch das Durchschnittsalter liegt bei ca. 13 Jahren (Abbildung 8).

79

0

20

40

60

80

100

EG 1,9 8,9 26,6 36,7 19 5,7

KG 0 2,5 24,7 51,9 17,3 3,7

10 11 12 13 14 15

Mittelwert SD

EG 12,80 (1,1)

KG 12,95 (0,8)

Abbildung 8: Altersverteilung, Häufigkeiten in Prozent

Hinsichtlich der Geschwisteranzahl und des Geschlechterverhältnisses – in beiden Gruppen

überwiegen die männlichen Schüler zu einem geringen, vergleichbaren Anteil – zeigen sich

ebenfalls keine nennenswerten Unterschiede.

Das Verhältnis von SchülerInnen mit deutscher Muttersprache zu anderen

Muttersprachen liegt ungefähr bei zwei Drittel zu einem Drittel. In der Experimentalgruppe

sind die SchülerInnen mit nicht-deutscher Muttersprache etwas häufiger vertreten als in der

Kontrollgruppe (Abbildung 9).

0

20

40

60

80

100

deutsch 58,1 69,1

nicht deutsch 41,9 30,9

EG KG

Abbildung 9: Muttersprache, Häufigkeiten in Prozent

80

3.6.2 Daten zur Mediennutzung

Zunächst wurden die SchülerInnen anhand geschlossener Antwortvorgaben gefragt, wie

häufig sie fernsehen (Abbildung 10).

0

20

40

60

80

100

Gesamt 70,3 21,8 4,2 2,1

EG 70,1 24 3,2 2,6

KG 74,1 18,5 6,2 1,2

jeden Tagmehrmals pro

Woche

nur am

Wochenende

1 mal pro

Woche

Abbildung 10: „Wie oft siehst Du fern?“, Angaben in Prozent

Die überwiegende Mehrheit der SchülerInnen in Experimental- und Kontrollgruppe gibt an,

jeden Tag fern zu sehen. Jeweils ca. ein Fünftel der SchülerInnen gibt an, mehrmals pro

Woche zu schauen. Der Anteil derer, die nur am Wochenende oder einmal pro Woche

schauen, liegt deutlich darunter. Experimental- und Kontrollgruppe unterscheiden sich nur

geringfügig.

Anschließend wurden die SchülerInnen gefragt, wie lange sie in einem solchen Fall

fernsehen. Erfragt wurde damit die Dauer eines Einzelereignisses, unabhängig von der

Häufigkeit bzw. Frequenz, mit der die SchülerInnen fernsehen. Wenn der Fernseher

eingeschaltet wird, läuft er nach übereinstimmender Angabe von Experimental- und

Kontrollgruppe durchschnittlich 2,6-2,7 Stunden.

Eine weitere, für die vorliegende Arbeit relevante Frage ist, ob die SchülerInnen einen

eigenen Fernseher in ihrem Zimmer haben (Abbildung 11).

81

0

20

40

60

80

100

Gesamt 59,1

EG 55,8

KG 65,4

eigener Fernseher

Abbildung 11: „Hast Du einen eigenen Fernseher in Deinem Zimmer?“ Angaben in Prozent

Die Frage beantwortet eine knappe Mehrheit der SchülerInnen positiv. Zwischen EG und KG

besteht ein Unterschied von ca. 10%.

3.6.3 Qualität der Messmittel

Für die einzelnen Skalen und Items werden im Folgenden Kennwerte für die

Rohwerteverteilung, die Itemschwierigkeiten, die Homogenität und die Interne Konsistenz

angegeben (vgl. Abschnitt 3.3.1). Zunächst sind die Rohwerteverteilungen grafisch

dargestellt:

Skalen Formatwissen

0

20

40

60

80

100

Häufigkeit 3 10 22 40 51 39 31 18 4 17

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Abbildung 12: Rohwerteverteilung des Index’ Berichtende Sendungsarten, absolute Häufigkeiten, maximale Punktzahl: 9

82

Die Rohwerte des Index’ Berichtende Sendungsarten decken den gesamten Wertebereich ab.

Der Modus liegt bei 4 und damit in der Mitte des Wertebereichs. Dennoch weicht die

Verteilung signifikant von der Normalverteilung ab.

0

20

40

60

80

100

Häufigkeit 19 65 84 53 6 8

0 1 2 3 4 5

Abbildung 13: Rohwerteverteilung des Index’ Erzählende Sendungsarten, absolute Häufigkeiten, maximale Punktzahl: 5

Auch die Rohwerte des Index’ Erzählende Sendungsarten decken den gesamten Wertebereich

ab. Mit einem Modus von 2 ist die Verteilung leicht linkssteil. Auch hier liegt eine

signifikante Abweichung von der Normalverteilung vor.

Werkkategorien

0

50

100

150

200

Häufigkeit 73 162

richtig falsch0

50

100

150

200

Häufigkeit 73 162

richtig falsch

Abbildung 14: Rohwerteverteilung des Items zur Werkkategorie Non-Fiction, absolute Häufigkeiten

Abbildung 15: Rohwerteverteilung des Items zur Werkkategorie Fiction, absolute Häufigkeiten

Das Item zur Werkkategorie Fiction haben deutlich mehr SchülerInnen falsch beantwortet,

ohne dass man jedoch von einem Bodeneffekt sprechen könnte. Es ist bemerkenswert, dass

das Item zur Werkkategorie Non-Fiction exakt dieselbe Verteilung aufweist, wie das zur

Kategorie Fiction.

83

Strategierepräsentation

0

20

40

60

80

100

Häufigkeit 5 4 12 12 21 22 28 28 34 31 13 8 11

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Abbildung 16: Rohwerteverteilung des Index’ Strategierepräsentation, absolute Häufigkeiten, maximale Punktzahl: 12

Die Rohwerteverteilung der Skala Strategierepräsentation deckt den gesamten Wertebereich

ab. Mit einem Modus bei 8 ist sie rechtssteil, ohne dass man jedoch von einem Deckeneffekt

sprechen könnte.

In Tabelle 8 sind Schwierigkeit, Homogenität und interne Konsistenz (Cronbachs α)

für die einzelnen Skalen und Item angegeben.

Tabelle 8: Schwierigkeit, Homogenität und Cronbachs α der Skalen und Items

Skala/Item Schwierigkeit Homogenität Cronbachs α

Berichtende Sendungsarten .51 .129 .573

Erzählende Sendungsarten .39 .066 .253

Werkkategorie Non-Fiction .31 - -

Werkkategorie Fiction .31 - -

Strategierepräsentation .55 .263 .584

Die Schwierigkeiten der Skalen zum Formatwissen und zur Strategierepräsentation liegen im

optimalen mittleren Bereich. Die Items zu den Werkkategorien sind eher schwierig, lassen so

aber auch genügend Spielraum, um eventuelle Trainingseffekte gut abbilden zu können.

Homogenität und interne Konsistenz (Cronbachs α) sind bei den Erzählenden

Sendungsarten recht niedrig. Optimale Werte ergeben sich hier für die Indizes Berichtende

Sendungsarten und Strategierepräsentation (vgl. Abschnitt 3.3.1).

84

3.6.4 Summative Evaluation des Trainings

3.6.4.1 Formatwissen

Erster Index im Bereich Formatwissen ist Berichtende Sendungsarten. Er umfasst 9 Items, bei

denen es Aufgabe der SchülerInnen war, die im Training vermittelten Formate der richtigen

Beschreibung zuzuordnen. In Abbildung 17 sind die Ergebnisse grafisch dargestellt:

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

EG 4,53 6,38

KG 4,43 4,16

prä post

Abbildung 17: Index Berichtende Sendungsarten, Mittelwerte, Prä-Post-Vergleich

Es zeigt sich hier ein deutlicher Anstieg innerhalb der Trainingsgruppe bei leichtem Absinken

der Kontrollgruppe. Die SchülerInnen, die am Training teilgenommen haben, konnten sich im

Durchschnitt um beinahe eine Standardabweichung verbessern (vgl. Tabelle 9).

Tabelle 9: Mittelwerte und Standardabweichungen, Index Berichtende Sendungsarten

Prä SD Post SD

EG 4,53 (2,1) 6,38 (2,2)

KG 4,43 (2,1) 4,16 (2,1)

Tabelle 10: Signifikanzwerte und Effektstärke, Index Berichtende Sendungsarten, *=p<.05

Signifikanz dkorr

Haupteffekt .000*

Interaktionseffekt .000* 0.99

Der deutliche Anstieg führt zu einem signifikanten Haupteffekt über die Zeit, doch auch der

Interaktionseffekt wird signifikant. Die Effektstärke erreicht mit dkorr=.99 ein hohes Niveau

und steht damit für einen großen Effekt.

85

Der zweite Index im Bereich Formatwissen ist Erzählende Sendungsarten. Auch hier war die

Zuordnung von Formaten zu einer richtigen Beschreibung gefordert. In Abbildung 18 sind die

Ergebnisse grafisch dargestellt:

0

1

2

3

4

5

prä post

EG

KG

Abbildung 18: Index Erzählende Sendungsarten, Mittelwerte, Prä-Post-Vergleich

Der Anstieg der Trainingsgruppe beträgt hier durchschnittlich beinahe zwei

Standardabweichungen (vgl. Tabelle 11), was einen noch deutlicheren Anstieg bedeutet, als

es beim Index Berichtende Sendungsarten der Fall war. Die SchülerInnen der Kontrollgruppe

schneiden zum zweiten Messzeitpunkt minimal besser ab als zum ersten Messzeitpunkt, die

SchülerInnen der Trainingsgruppe können sich hiervon jedoch eindeutig absetzen.

Tabelle 11: Mittelwerte und Standardabweichungen, Index Erzählende Sendungsarten

Prä SD Post SD

EG 1,98 (1,0) 3,95 (1,4)

KG 1,96 (1,2) 2,18 (1,2)

Tabelle 12: Signifikanzwerte und Effektstärke, Index Erzählende Sendungsarten, *=p<.05

Signifikanz dkorr

Haupteffekt .000*

Interaktionseffekt .000* 1.33

Haupt- und Interaktionseffekt werden auch bei diesem Index signifikant, die Effektstärke von

dkorr=1.33 liegt im Bereich einer ganzen Standardabweichung – ein großer Effekt.

86

3.6.4.2 Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien

Bei dem Item zur Werkkategorie Non-Fiction war gefordert, die Bezeichnung Berichtende

Sendungsarten mit der korrekten Aussage „Sendungsarten, die über die Wirklichkeit

berichten“ zu verbinden.

0

20

40

60

80

100

EG 33,1 50

KG 27,2 23,7

prä post

Abbildung 19: Richtige Aussagen zum Wirklichkeitsanspruch von Non-Fiction, Angaben in Prozent

In der Experimentalgruppe vergrößert sich der Anteil korrekter Antworten vom ersten zum

zweiten Messzeitpunkt um 17%. Der Anteil in der Kontrollgruppe ist dagegen noch leicht

rückläufig.

Tabelle 13: Prädiktoren in der binären logistischen Regression, Item Non-Fiction, *=p<.05

Signifikanz Nagelkerkes R²

Prä-Messwert .456

Post-Messwert .000* .098

Die Aufnahme des Prä-Messwertes in die Regressionsgleichung ergibt keine

signifikante Verbesserung der Vorhersagegüte des Modells. Der durch die Methode

Einschluss miteinbezogene Post-Messwert bewirkt dagegen eine signifikante Verbesserung.

Durch die Aufnahme des Post-Messwertes in die Regressionsgleichung kann Zugehörigkeit

zu EG oder KG signifikant besser vorhergesagt werden. Die Effektgröße entspricht mit einem

R² von .1 einem kleinen Effekt.

87

Bei dem Item zur Werkkategorie Fiction war gefordert, die Bezeichnung Erzählende

Sendungsarten mit der korrekten Aussage „Sendungsarten, in denen erfundene Geschichten

gezeigt werden“ zu verbinden.

0

20

40

60

80

100

EG 33,1 38,8

KG 27,1 21,1

prä post

Abbildung 20: Richtige Aussagen zum Wirklichkeitsanspruch von Fiction, Angaben in Prozent

In der Experimentalgruppe vergrößert sich der Anteil korrekter Antworten vom ersten zum

zweiten Messzeitpunkt um ca. 6%. Der Anteil in der Kontrollgruppe ist dagegen leicht

rückläufig.

Tabelle 14: Prädiktoren in der binären logistischen Regression, Item Fiction, *=p<.05

Signifikanz Nagelkerkes R²

Prä-Messwert .437

Post-Messwert .017* .05

In Bezug auf die logistische Regression gilt dasselbe, was oben für die Kategorie Non-Fiction

gesagt wurde: Durch die Aufnahme des Post-Messwertes in die Regressionsgleichung kann

Zugehörigkeit zu EG oder KG signifikant besser vorhergesagt werden. Die Effektgröße ist

hier mit einem R² von .05 ebenfalls klein.

88

3.6.4.3 Strategierepräsentation

Im Bereich Strategierepräsentation wurde die Bewertung der vier Strategien (vgl. Tabelle 6,

Abschnitt 3.2) zu einem Gesamtwert gemittelt. Der Skalenwert repräsentiert die

durchschnittlich eingeschätzte Nützlichkeit dieser vier Vorgehensweisen. Der Maximalwert

ist dabei 3 („sehr nützlich“; vgl. Abschnitt 3.2.2). In Abbildung 21 sind die Ergebnisse

grafisch dargestellt:

0

0,5

1

1,5

2

2,5

3

prä post

EG

KG

Abbildung 21: Index Strategierepräsentation, Mittelwerte, Prä-Post-Vergleich

Die Experimentalgruppe erfährt zum zweiten Messzeitpunkt einen Anstieg um ca. eine halbe

Standardabweichung (vgl. Tabelle 15). Die Kontrollgruppe liegt zum ersten Messzeitpunkt

noch knapp über der Experimentalgruppe, fällt zum zweiten Messzeitpunkt leicht ab und liegt

dann unter dem Wert der Experimentalgruppe.

Tabelle 15: Mittelwerte und Standardabweichungen, Index Strategierepräsentation

Prä SD Post SD

EG 1,66 (0,70) 1,9 (0,63)

KG 1,75 (0,76) 1,69 (0,69)

Tabelle 16: Signifikanzwerte und Effektstärke, Index Strategierepräsentation, *=p<.05

Signifikanz dkorr

Haupteffekt .089

Interaktionseffekt .007* .44

89

Der Anstieg in der Experimentalgruppe bei gleichzeitigem leichtem Absinken der

Kontrollgruppe führt zu einem signifikanten Interaktionseffekt. Der Haupteffekt ist nicht

signifikant. Die Größe der Veränderung liegt mit einer Effektstärke von dkorr=.44 im

mittleren Bereich.

Dabei erfährt der Distraktor (Item 48) keine signifikante Veränderung, wie Tabelle 17 zeigt.

Tabelle 17: Distraktor-Item, Mittelwerte und Signifikanz des Interaktionseffekts, *=p<.05

Prä Post Sig. Interaktionseffekt

EG 1,50 1,71 .240

KG 1,61 1,55

90

4 Diskussion

In der vorliegenden Arbeit ist es gelungen, die theoretischen Reflektionen in eine

praxisbezogene Intervention umzusetzen und erfolgreich zu evaluieren. Dazu war es zunächst

notwendig, einen Begriff der „Wirklichkeit“ zu etablieren, der sich nicht in

erkenntnistheoretischen Aporien verliert (Abschnitt 2.1.4). Über eine differenzierte Kritik an

poststrukturalistischen und kritischen-materialistischen Theorien wurde sodann verdeutlicht,

dass es gerade wegen der heute in Frage stehenden Grenzkonstruktionen zwischen Realität

und Fiktion Sinn macht, über ein theoretisches Konzept nachzudenken, das es erlaubt, deren

Verhältnis in den Blick zu nehmen (Abschnitt 2.1.3). Um dies leisten zu können, waren

zunächst umfangreiche theoretische Vorarbeiten notwendig, die sich intensiv mit dem

literaturwissenschaftlichen Begriff der Fiktion beschäftigten und die entsprechenden

Konzepte auf das Fernsehen bezogen (Abschnitt 2.3). Auf dieser Grundlage wurde dann ein

Modell (nach Rothmund et al., 2001b) vorgestellt, das die verschiedenen Perspektiven auf

drei Ebenen integriert. Dieses erlaubte es, die zuvor vor allem fokussierte Ebene der medialen

Produkte systematisch mit der Ebene der Rezeption in Verbindung zu bringen (Abschnitt 2.4).

Mithilfe dieses Modells konnte es zum einen gelingen, spezifische Kompetenzen zu

extrahieren, die Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen zugrunde liegen (Abschnitt 2.5). Zum

anderen konnte auf dieser Basis ein praxisbezogenes Trainingsprogramm vorgestellt werden,

das genau diese Kompetenzen gezielt fördert und damit den empirisch nachgewiesenen

Schwächen von jugendlichen HauptschülerInnen in eben diesen Bereichen begegnet

(Abschnitte 2.6 und 2.7).

Die Ergebnisse der empirischen Evaluationsstudie werden im Folgenden interpretiert.

Daran anschließend wird zum Abschluss dieser Arbeit noch einmal das Verhältnis von

Theorie und Praxis diskutiert.

4.1 Stichprobe

In Bezug auf den Verlauf der Stichprobengröße fällt zunächst die relativ hohe Dropout-Rate

in der Experimentalgruppe auf. 37% der SchülerInnen, von denen zum ersten Messzeitpunkt

Daten erhoben wurden, haben das Training nicht beendet oder gar nicht erst begonnen.

Hauptursache für die hohen Raten ist die „Mortalität“ von vier ganzen Klassen. In allen vier

Fällen wurde glaubhaft versichert, dass kein Zusammenhang zum Manualkonzept oder dessen

91

Inhalten bestand, sondern dass es sich lediglich um eine zeitlich-organisatorische Problematik

handelte. Eine der Lehrkräfte hat die Schule verlassen und daher auch das Training nicht

beendet. In einer weiteren Klasse wurde das Training zwar beendet, die Datenerhebung

geschah jedoch zu spät, um noch in die Analyse miteinbezogen werden zu können.

Dennoch bleibt die Frage, ob unter Umständen Prätest-Unterschiede für die hohen

Dropout-Raten verantwortlich sind, etwa in dem Sinne, dass nur die leistungsstärksten

Klassen das Training zu Ende gebracht haben, was die Ergebnisse verfälschen würde

(„selektiver Dropout“, vgl. Metzler & Krause, 1997, S. 59). Um dies zu prüfen, wurden die

Prä-Messwerte der Abbrecher mit denen der Nicht-Abbrecher verglichen. Dabei konnten

keinerlei bedeutsame Unterschiede zwischen diesen Gruppen gefunden werden. In Bezug auf

diesen Punkt ist die Validität der Ergebnisse also gesichert.

Da es sich bei der vorliegenden Evaluationsstudie um ein quasi-experimentelles

Design handelt, soll auf die Vergleichbarkeit von Experimental- und Kontrollgruppe vor der

Intervention besonderer Wert gelegt werden. Hinweise auf die Repräsentativität der

Gesamtstichprobe in Bezug auf relevante Variablen der Mediennutzung gibt der Vergleich

mit den Daten der JIM Studie (Kutteroff & Behrens, 2007). Beides soll im Folgenden

thematisiert werden.

Das Durchschnittsalter ist in Experimental- und Kontrollgruppe nahezu identisch. Dies

ist wegen der untersuchten Klassenstufen nicht ungewöhnlich, aber in Bezug auf

reifungsbedingte Veränderungen keineswegs irrelevant. In der Gesamtstichprobe sind ca.

87% Prozent der SchülerInnen zwischen 12 und 14 Jahre alt. Die Gesamtstichprobe entspricht

somit, bis auf wenige Ausnahmen, der Zielgruppe des Trainings hsTV.

In Bezug auf die Muttersprache fällt zunächst der relativ hohe Anteil an nicht-

deutschen Muttersprachlern auf. Dieser ist in der EG noch etwa 10% höher als in der KG.

Diese Unterschiede sind jedoch nicht signifikant (Chi²-Test: p=.12) und damit in Bezug auf

die Berechnungen vernachlässigbar.

4.2 Daten zur Mediennutzung

Die erhobenen Daten zur Häufigkeit des Fernsehkonsums in der Gesamtstichprobe decken

sich mit denen der JIM-Studie (Kutteroff & Behrens, 2007), die an einer repräsentativen

Stichprobe erhoben wurden. Dabei liegen die Unterschiede zum Beispiel in Bezug auf den

Fernsehkonsum „jeden Tag/ mehrmals pro Woche“ im Bereich einer Nachkommastelle (92%

92

in der JIM-Studie und 92,1% in der vorliegenden Stichprobe) und sind damit

bemerkenswerter Weise nahezu identisch. Die Unterschiede zwischen EG und KG in der

vorliegenden Stichprobe sind ebenfalls sehr gering und damit zu vernachlässigen. Dasselbe

gilt für die Dauer des Fernsehkonsums. Auch hier unterscheiden sich EG und KG nicht und

die Angaben der Gesamtstichprobe decken sich exakt mit denen der JIM-Studie (vgl.

Abschnitt 2.6). Gerade Dauer und Frequenz des Fernsehkonsums wurden in Abschnitt 2.6

(Medienkompetenz) als zentrale Einflussvariablen auf die Fähigkeit zu Realitäts-Fiktions-

Unterscheidungen herausgearbeitet. Hier sind die Repräsentativität der Gesamtstichprobe und

die Vergleichbarkeit von EG und KG sichergestellt.

Kleinere Unterschiede zwischen der Gesamtstichprobe und den Daten der JIM-Studie

ergeben sich in Bezug auf den eigenen Fernseher im Zimmer. Hier liegt der in der

vorliegenden Stichprobe gefundene Anteil etwa 14% unter dem der JIM-Studie. Das bedeutet

nach der Argumentation in Abschnitt 2.6 eine leicht günstigere Ausgangsposition der

untersuchten SchülerInnen im Vergleich zur Gesamtpopulation, die jedoch aufgrund ihrer

Größe nicht weiter ins Gewicht fallen sollte. Wichtiger ist hier der Unterschied zwischen

Experimental- und Kontrollgruppe innerhalb der vorliegenden Stichprobe, beträgt dieser doch

beinahe 10%. Eine nähere statistische Analyse ergibt jedoch, dass dieser Unterschied nicht

signifikant und damit vernachlässigbar ist (Chi²-Test: p=.165).

4.3 Qualität der Messmittel

Hier ist zunächst die Frage nach der Normalverteilung der Rohdaten zu stellen. Zwar ergibt

der Kolmogorov-Smirnov-Test bei allen drei Skalen eine signifikante Abweichung von der

Normalverteilung, diese Verletzung ist jedoch hinzunehmen, weil das N in der vorliegenden

Studie deutlich größer als 30 ist (vgl. Bortz & Döring, 2006, S. 218; bzw. Abschnitt 3.3.1).

Die recht geringen Werte der Homogenität und internen Konsistenz bei der Skala

Erzählende Sendungsarten sind aus zwei Gründen hinnehmbar: Zum einen muss beachtet

werden, dass die Skala nur fünf Items umfasst, was zu einer tendenziellen Unterschätzung der

internen Konsistenz durch Cronbachs α führt. Zum anderen ist die Skala durch die

Trainingsinhalte so begründet, dass sie genau das gelernte Wissen abfragt und daher nicht

zugunsten einer homogeneren Skala verändert werden sollte. Wichtiger ist die Forderung

nach Eindimensionalität bei der Skala Strategierepräsentation, da hinter dieser ein

93

übergeordnetes Konstrukt „RFU-Kompetenz“ vermutet wird. Hier sind die Werte der internen

Konsistenz hervorragend.

Als Fazit der empirischen Überprüfung der Messmittel kann festgehalten werden, dass

sie insgesamt den gängigen Qualitätsmerkmalen genügen und also für den Einsatz in der

Praxis geeignet sind. Es ist gelungen, den Fragebogen so zu konzipieren, dass die

SchülerInnen weder unter- noch überfordert werden und vorhandene Veränderungen in

optimaler Weise erfasst werden können. Die oben vorgestellten Daten können also sinnvoll

interpretiert werden, was im nächsten Abschnitt geschehen soll.

4.4 Summative Evaluation

Fragestellung 1: Formatwissen

Die Ergebnisse im Bereich Formatwissen sind sehr gut. Die Effektgrößen übertreffen

mit .99 bzw. 1.33 noch den per Konvention festgelegten „großen Effekt“ (Cohen, 1988; vgl.

auch Abschnitt 3.3.2.1). Mit der Absicherung des Ergebnisses gegen den Zufall durch die

statistische Signifikanzprüfung kann in Bezug auf Fragestellung 1 (Abschnitt 3.1) die H0

verworfen werden. Nach der Datenlage kann damit angenommen werden, dass das Training

im Bereich Formatwissen sehr wirksam ist.

Das ist aus zwei Gründen von besonderer Bedeutung. Erstens wurden von Biermann

und Schulte (1996, S. 117f.) gerade in diesem Bereich eklatante Wissensdefizite bei

HauptschülerInnen festgestellt. Demnach konnten knapp 50% der HauptschülerInnen

verschiedene Formate nicht auseinander halten (vgl. Abschnitt 2.6). Zweitens stellt das

Formatwissen die wohl wichtigste Grundlage für fernsehbezogene Kompetenzen im

Allgemeinen und Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen im Speziellen dar (Abschnitt 2.5.2.1).

Dieses Wissen ist Vorraussetzung für alle weiteren Kompetenzen. Daher sind die sehr guten

Effekte gerade in diesem Bereich sehr erfreulich.

Fragestellung 2: Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien

In Bezug auf das Wissen um den Wirklichkeitsanspruch der Werkkategorien konnte in

beiden Bereichen – Fiction und Non-Fiction – eine signifikante Verbesserung in der

Experimentalgruppe erreicht werden. Die Ergebnisse in diesem Bereich sind zufrieden

stellend. Auch hier kann in Bezug auf Fragestellung 2 (Abschnitt 3.1) die H0 verworfen

werden.

94

Allerdings sind die Bestimmtheitskoeffizienten R² mit .1 bzw. .05 vergleichsweise

klein.44 Es fragt sich, ob die Ursachen hierfür in den entsprechenden Einheiten des Trainings

zu suchen sind. Hier wurde der Unterschied zwischen den Werkkategorien jedoch sehr

explizit und ausführlich thematisiert. Dazu kam die deutliche Trennung zwischen Sitzung 2

und 3 und die unterschiedlichen Farben der Plakate zu „Berichtenden und Erzählenden

Sendungsarten“ (vgl. Abschnitt 2.7).

Ein anderer, plausiblerer Grund für die eher kleinen Effekte könnte in

messtechnischen Problemen liegen. Wie in Abschnitt 3.2.1 (Operationalisierungen)

beschrieben wurde, befanden sich die beiden Items in einem Pool von insgesamt 8 Items, die

entweder Distraktoren waren oder allgemeine Begriffe zum Thema Fernsehen abfragten (vgl.

den Fragebogen im Anhang, S. 5). Diese allgemeinen Begriffe wurden im Training nicht sehr

ausführlich behandelt, was zu durchgehend schlechten Ergebnissen in diesem Bereich des

Fragebogens geführt hat. So ist es denkbar, dass das fehlende Wissen über die allgemeinen

Begriffe unter Umständen zu einer Demotivation beim Ausfüllen des Bogens geführt hat, von

dem auch die Items zum Wirklichkeitsanspruch betroffen waren.

Fragestellung 3: Strategierepräsentation

Die Ergebnisse im Bereich Strategierepräsentation sind ebenfalls gut. Die

Experimentalgruppe erfährt eine signifikante Steigerung der eingeschätzten Nützlichkeit der

einzelnen Strategien. Damit kann auch in Bezug auf Fragestellung 3 (Abschnitt 3.1) die H0

eindeutig verworfen werden. Der mittelgroße Effekt von .44 bescheinigt den gefunden

Gruppenunterschieden eine ausreichende Größe, um für die Praxis relevant zu sein.

Dies ist erfreulich, weil hier offenbar die in Abschnitt 2.6 herausgearbeiteten

Schwächen der Zielgruppe im Bereich Verarbeitungsstrategien zum Teil kompensiert werden

konnten. Den Problemen der Zielgruppe, „Verbindungen zwischen Informationen aus dem

Text und allgemeinem Alltagswissen herzustellen“ (Artelt et al. 2001, S. 12), wurde gezielt

begegnet, indem eine ebensolche Strategie erlernt und am praktischen Beispiel geübt wurde.

Dies war offenbar erfolgreich.

Als Fazit zu den Ergebnissen der Evaluationsstudie lässt sich festhalten, dass das

Training im Bereich Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen wirksam ist. Die guten Ergebnisse

der Evaluation lassen darauf schließen, dass das theoretische Konzept auch als Grundlage für

eine praxisbezogene Intervention geeignet ist. Die in den Abschnitten zur Theorie geleisteten

44 Man beachte jedoch die Konventionen, die für regressionsanalytische Verfahren nicht die für Mittelwertsunterschiede üblichen Stufen von .2/.5/.8 vorsehen, sondern die Stufen .02/.15/.35 (vgl. Bortz und Döring, 2002, S. 604).

95

umfangreichen Vorarbeiten waren also von Nutzen. Um das Verhältnis von Theorie und

Praxis in der vorliegenden Arbeit soll es im nächsten Abschnitt noch ausführlicher gehen.

4.5 Kritische Reflektion

Ein schwieriges Problem der Arbeit war die Umsetzung der hochkomplexen Theorie in ein

praxisbezogenes Training. Dabei galt es, die erarbeiteten theoretischen Konzepte zum

Verhältnis von Realität und Fiktion so zu vermitteln, dass jugendliche HauptschülerInnen

davon profitieren können. Beachtet werden musste auch, dass für den Bereich Realitäts-

Fiktions-Unterscheidungen innerhalb des gesamten Trainings hsTV nur eine begrenzte Zeit

zur Verfügung stand.

Hier konnte mit der Explizierung und Vermittlung kognitiver Strategien ein guter Weg

gefunden werden, dennoch eine wirksame und für die HauptschülerInnen hilfreiche

Intervention zu gestalten. Die Jugendlichen bekommen so ein hilfreiches „Werkzeug“ an die

Hand, sich in den unübersichtlichen Grenzen und Grenzüberschreitungen zwischen Realität

und Fiktion zurecht zu finden. Allerdings ist, bedingt durch den begrenzten zeitlichen

Rahmen, die darstellungsbezogen-formale Ebene des drei Ebenen Modells im Training nicht

explizit berücksichtigt worden (vgl. Abschnitt 2.7.2). Es ist sicher eine spannende Aufgabe

für zukünftige Arbeiten, diese Ebene auf ähnliche Weise wie die inhaltlich-semantische

Ebene in einem Training zu konzeptualisieren. Es scheinen jedoch zuvor noch weitere

produktorientierte Vorarbeiten in diesem Bereich nötig zu sein, um für die Umsetzung auf

ähnlich elaborierte Konzepte zurückgreifen zu können (vgl. Abschnitt 2.3.1). Grundsätzlich

hat das theoretische Konzept in der vorliegenden Arbeit sehr umfangreiche Vorarbeiten nötig

gemacht, auf die auch in Zukunft aufgebaut werden kann.

Dabei zeichnet sich das hier erarbeitete Konzept durch seine große Strukturiertheit bei

gleichzeitiger Offenheit aus. Auf seiner Grundlage sind zum Beispiel auch Untersuchungen

denkbar, die weniger versuchen, vorgegebenes Strategiewissen zu vermitteln, sondern eher

bei den von den SchülerInnen intuitiv angewandten Strategien ansetzen. Es ist zu vermuten,

dass hier mit den richtigen, diagnostisch sensitiven Instrumenten zu Tage tritt, was dann

wiederum für Interventionen genutzt werden kann.

Die empirische Studie bescheinigt dem Training hervorragende Effekte. Um

Interpretier- und Generalisierbarkeit der Ergebnisse bewerten zu können, sei in Bezug auf

aktuelle Diskussionen in der Evaluationsforschung (Cook & Shadish, 1994; Christiansen,

96

2001) noch das Verhältnis von interner und externer Validität angesprochen (vgl. Bortz &

Döring 2002, S. 504ff.).

Die interne Validität dieser Ergebnisse kann im Rückblick als gesichert angesehen

werden. Dies gilt mit den in Abschnitt 3.4 thematisierten Einschränkungen, die sich aus dem

quasiexperimentellen Charakter der Evaluationsstudie ergeben und von daher grundsätzlich

die Interpretierbarkeit der Ergebnisse gefährden. Da sich diese Gefährdungen vor allem aus

vor der Untersuchung vorhandenen Unterschieden zwischen Experimental- und

Kontrollgruppe ergeben, ist auf diese besonders geachtet worden. Die Auswertung und

Interpretation der Prätest-Daten in den Abschnitten 3.6.1 und 3.6.2 hat ergeben, dass diese

Vergleichbarkeit in Bezug auf relevante Variablen sichergestellt ist. Dies gilt sowohl für die

soziodemgraphischen Merkmale, als auch für die in diesem Zusammenhang besonders

wichtigen Mediennutzungsdaten. Außerdem hat die Betrachtung der Dropouts in Abschnitt

4.1 ergeben, dass kein Zusammenhang zu den Leistungen der SchülerInnen besteht.

Der quasiexperimentelle Charakter der Untersuchung als Feldstudie wurde in Kauf

genommen, um eine besonders hohe ökologische Validität zu gewährleisten. Diese ist in

zweifacher Hinsicht berücksichtigt worden. Zum einen durch die Durchführung des Trainings

in der natürlichen Unterrichtsstruktur mit den LehrerInnen als TrainerInnen. Zum anderen

innerhalb der einzelnen Sitzungen durch den intensiven Einsatz von Fernsehausschnitten, die

es möglich machten, die erlernten Strategien direkt am praktischen Beispiel anzuwenden. In

der klassischen „UTOS“-Notierung von Cronbach (1982)45 sind dies Aspekte der

Generalisierbarkeit, die das Treatment (praktische Beispiele aus dem Fernsehprogramm, von

LehrerInnen vermittelt) und das Setting (Schulkontext) betreffen.

Als Ansatzpunkt für weitere Forschungen im Bereich Realitäts-Fiktions-

Unterscheidungen bietet sich der Aspekt „Observations“ an, also die Frage nach der

Generalisierbarkeit der Messungen. Die hier benutzten Messinstrumente hatten die Aufgabe,

Effekte dieses speziellen Trainings abzubilden. Dabei wurde die ökologische Validität bei der

Formulierung des Fragebogens durchaus berücksichtigt (vgl. Abschnitt 3.2). Interessant wäre

es allerdings auch, ein Messmittel (u.U. auch ein halbstrukturiertes Interview) zu entwickeln,

das es erlaubt, direkt im Rezeptionsprozess angewandte Kompetenzen zu erheben. Ein

solches Instrument könnte zum einen helfen, die Wirksamkeit des vorliegenden Trainings

weiter zu validieren. Zum anderen würden die Ergebnisse solcher Untersuchungen sicher

weitere Interventionsmöglichkeiten im Bereich Realitäts-Fiktions-Unterscheidungen

aufzeigen. 45 Dabei steht UTOS für die Generalisierbarkeit von: Units, Treatments, Observations und Settings (vgl. auch Cook & Shadish, 1994, S. 550f.).

97

Die Ausarbeitung eines für solche weiteren Untersuchungen notwendigen, auf die Praxis

bezogenen theoretischen Unterbaus, ist mit der vorliegenden Arbeit geleistet worden.

98

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106

6 Anhang

___________________________________________

Hallo! Dieser Fragebogen ist „anonym“. Das heißt, Dein Name soll nicht draufstehen, damit niemand Fremdes wissen kann, wer von Euch welche Antworten gegeben hat. Wir geben den Fragebogen auch niemandem weiter, der Euch kennt, nicht an Eure Eltern und nicht an Eure Lehrer/in. Der bleibt geheim, versprochen! Da Du aber mehrere Fragebogen ausfüllen wirst, ist es für uns wichtig, zu wissen, welche zusammen zu einer Person gehören. Damit wir das zuordnen können, fülle bitte dieses Feld mit Deinen Anfangsbuchstaben und Deinem Geburtsdatum aus:

_____ _____ _____ _____ 19_____ Und dieses Feld mit Deiner Klasse: _______

1. Buchstabe Vorname

1. Buchstabe Nachname

Geburts-Tag

Geburts-Monat

Geburts-Jahr

Klasse

107

Wir möchten Dir gern ein paar Fragen dazu stellen, wie das so ist, wenn Du Fernsehen schaust. Bitte antworte ehrlich, denn wir wollen wissen, wie das wirklich bei Dir ist und werden es auch keinem verraten! Bitte kreuze bei jeder von diesen Fragen nur ein Kästchen an!

1 Wie oft siehst Du fern? jeden Tag mehrmals pro Woche

nur am Wochen-

Ende

1 mal pro Woche

weniger als 1 mal pro

Woche

2 Wie lange siehst Du dann normalerweise fern?

Stunden

3 Was denkst Du über die Zeit, die Du fernsiehst? weniger

fernsehen wäre gut

das ist genau

richtig so

mehr fernsehen wäre gut

4 Gibt es für Dich eine Regel zum fernsehen? ja nein

5 Wenn ja: Was denkst Du über diese Regel? Ich finde die Regel zu locker

Die Regel ist genau richtig so

Ich finde die Regel zu streng

6 Was denkst Du, wie lange andere Kinder fernsehen? weniger als

ich genauso

lang länger als

ich

7 Hast Du einen eigenen Fernseher in deinem Zimmer? ja nein

Achtung: Bei dieser Frage kannst Du mehrere Kästchen ankreuzen!

8 Wenn Du fernsiehst, wer ist dann ab und zu dabei?

meine Eltern meine

Geschwister

meine Freunde oder Freundinnen

niemand

Bitte bring die Leute, bei denen Du angekreuzt hast, dass die mit Dir zusammen fernsehen, in eine Reihe. Auch wenn Du alleine Fernsehen schaust, kommt das auf einen Platz auf dem Treppchen. Ganz vorne, auf Platz 1, schreibst Du bitte diejenigen oben auf das Treppchen, die am häufigsten mit Dir Fernsehschauen, auf Platz 2 diejenigen, die am zweithäufigsten mit Dir fernsehen, und so weiter. 9 a-d

Platz 1 (am häufigsten) Platz 2

(am zweit-häufigsten)

Platz 3 (am dritt-häufigsten)

Platz 4 (am viert-häufigsten)

108

Auf dieser Seite stehen in den dick umrandeten Kästchen rechts verschiedene Personen. Auf der linken Seite sind verschiedene Aufgaben beschrieben. Eine Aufgabe gehört nur zu einer bestimmten Person. Es gibt für jede Person nur eine richtige Aufgabe, deshalb geht zu jedem dick umrandeten Kästchen nur eine Linie. Auf der linken Seite in den dünn umrandeten Kästchen bleiben deshalb auch Aufgaben übrig. Diese Kästchen werden mit keiner Person verbunden. Bitte verbinde die Aufgaben auf der linken Seite mit der richtigen Person: 10

11

12

13

14

15

16

Nachrichtensprecher

Reporter

Moderator

Experte

entscheidet, wie lange eine Sendung dauert.

führt uns durch die verschiedenen Berichte einer Sendung oder leitet ein Gespräch

muss über Alles Bescheid wissen, was an einem Tag passiert ist

weiß sehr viel über ein bestimmtes Thema und spricht deswegen im Fernsehen darüber

berichtet direkt vom Ort des Geschehens über aktuelle Ereignisse oder führt Interviews mit Augenzeugen und Experten.

präsentiert die Nachrichten

sagt an, welche Sendung als nächstes gezeigt wird

109

Dieses Mal sind auf der linken Seite Beschreibungen für bestimmte Arten von Sendungen in den dünn umrandeten Kästchen. Auf der rechten Seite in den dick umrandeten Kästchen stehen diesmal Begriffe, wie man solche Sendungen nennt. Bitte verbinde diese besonderen Merkmale auf der linken Seite mit dem richtigen Begriff in den dick umrandeten Kästchen auf der rechten Seite. Auch hier bleiben auf der linken Seite wieder Kästchen übrig, die keine Linie bekommen, weil zu jedem dick umrandeten Kästchen nur eine richtige Antwort passt. 17

18

19

20

21

22

23

24

25

Magazin

Nachrichten

Ratgeber

Show

Da kann man anrufen und seine Meinung zu einem bestimmten Thema sagen

berichtet über verschiedene Dinge z.B. Promis und Technik

Hier wird zu nur einem Thema oder Ereignis ausführlich berichtet.

ist immer auf dem neusten Stand

Da werden Gäste und ein Publikum eingeladen

Da werden Bücher vorgestellt und von mehreren Gästen bewertet

gibt tolle Tipps für den Alltag

Anruffernsehen

Reportage

Da kann man anrufen und etwas kaufen oder gewinnen

Da kann man anrufen, wenn man Probleme hat

110

Auch hier sollst Du wieder die Erklärungen auf der linken Seite mit dem richtigen Begriff für solche Arten von Sendungen in den dick umrandeten Kästchen auf der rechten Seite verbinden. Von den Erklärungen bleiben auch wieder welche übrig, weil zu jedem Begriff nur eine richtige Erklärung passt. Aber das kennst Du ja jetzt schon. 26

27

28

29

30

Soap

Serie

Spielfilm

Da wird eine einzige Geschichte von Anfang bis Ende erzählt

zeigt die Welt, wie sie wirklich ist

Da werden viele Geschichten gleichzeitig erzählt, die miteinander verflochten sind

Da wird eine Haupt- und eine Nebengeschichte erzählt

Da werden Geschichten immer so erzählt, dass man darüber lachen kann

111

Und noch mal dasselbe Spiel. Bitte verbinde die Erklärungen auf der linken Seite mit dem richtigen Begriff auf der rechten Seite. Weil es mehr Erklärungen als Begriffe gibt, bleiben dabei auf der linken Seite ein paar Kästchen übrig, das muss so sein, denn für die ist der richtige Begriff nicht dabei. Wichtig ist, dass Du mit jedem der dick umrandeten Begriffskästchen die eine richtige Erklärung verbindest. 31

32

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34

35

36

37

38

berichtende

Sendungsarten

Sender

Sendung

Sendungsart

In sich abgeschlossener Teil des Fernsehprogramms

Gruppe von Sendungen, in denen ein Moderator vorkommt

Der Teil, mit dem das Fernsehgerät das Fernsehprogramm empfängt

Sendungsarten, die über die Wirklichkeit berichten

Einrichtung, die Programme produziert oder kauft und sie dann über Antenne oder Satellit ausstrahlt

Sendungsarten, in denen erfundene Geschichten gezeigt werden

Sendungen, in denen mit Spezialeffekten Dinge gezeigt werden, die eigentlich gar nicht möglich sind

Gruppe von ähnlichen Sendungen

erzählende

Sendungsarten

112

Stell Dir mal vor, Du sitzt gemütlich zuhause und siehst Fernsehen. Es läuft eine Sendung, in der eine Geschichte gezeigt wird und du möchtest sie gerne verstehen. Was kannst Du tun, um die Sendung besser zu verstehen? Hier sind verschiedene Möglichkeiten beschrieben, was Du tun kannst, um eine Sendung besser zu verstehen. Dahinter sollst Du auf einer Skala angeben, was Du denkst, wie nützlich jede Möglichkeit ist. 0 bedeutet, Du findest das gar nicht nützlich, 3 bedeutet, Du findest das sehr nützlich, um eine Sendung besser zu verstehen. gar nicht sehr nützlich nützlich

39 Ich kann auf die Personen achten, die vorkommen. 0 1 2 3

40 Ich kann mir überlegen, wie diese Personen sind, was für Eigenschaften sie haben.

0 1 2 3

41 Ich kann darüber nachdenken, welche Gründe die Personen für das haben, was sie tun.

0 1 2 3

42 Ich kann mir überlegen, wer sich die Sendung noch anschaut. 0 1 2 3

43 Ich kann darüber nachdenken, was bisher schon passiert ist. 0 1 2 3

44 Ich kann mir überlegen, wie es weitergehen könnte. 0 1 2 3

45 Ich kann mir überlegen, was für eine Art von Sendung es ist. 0 1 2 3

Was kannst Du tun, um herauszufinden, ob diese Geschichte wirklich passiert sein könnte oder ob die Geschichte ausgedacht und erfunden ist? Auch hier sind verschiedene Möglichkeiten beschrieben, was Du tun kannst und Du sollst wieder angeben, wie nützlich Du diese Möglichkeiten findest. 0 bedeutet wieder, dass Du das gar nicht nützlich findest, 3 bedeutet, dass Du das sehr nützlich findest. gar nicht sehr nützlich nützlich

46 Ich kann mir überlegen, ob das, was da gezeigt wird, überhaupt möglich ist.

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47 Ich kann mir überlegen, was für eine Art von Sendung das ist. 0 1 2 3

48 Ich kann mir überlegen, ob man sich das, was da gezeigt wird, überhaupt ausdenken kann.

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49 Ich kann mir überlegen, ob es die Personen im wirklichen Leben auch gibt oder ob das Schauspieler sind.

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50 Ich kann darüber nachdenken, ob das, was da gezeigt wird, wahrscheinlich ist, ob es oft vorkommt.

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Jetzt möchten wir Dich bitten, zu ein paar Aussagen anzukreuzen, ob das bei Dir so ist, bzw. ob das Deine Meinung ist, oder nicht. Bitte antworte ehrlich. Es gibt wieder vier Möglichkeiten, wie Du antworten kannst:

0.= Ganz falsch! 1.= Eher falsch. 2.= Eher richtig. 3.= Ganz richtig!

Bitte kreuze zu jedem Satz die eine Antwort an, die am besten zu Dir passt. Der erste Gedanke ist dabei oft der beste.

Ganz Eher Eher Ganz falsch! falsch. richtig. richtig!

51 Was ich am Nachmittag mache, hängt davon ab, was im Fernsehen kommt.

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52 Meistens entscheidet der Zufall darüber, was ich mir im Fernsehen anschaue.

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53 Bevor ich lange überlege, was ich tun könnte, schalte ich einfach den Fernseher ein.

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54 Vieles von dem, was in meiner Freizeit passiert, hängt vom Zufall ab.

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55 Ich kenne viele Möglichkeiten, um meinen Nachmittag so zu gestalten wie es mir gefällt.

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56 Wenn ich mir eine Fernsehsendung vorher extra ausgesucht habe, gefällt sie mir auch meistens.

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57 Wenn ich mir für nachmittags etwas vornehme, bin ich mir ganz sicher, dass ich das auch machen werde.

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58 Manchmal weiß ich nicht so richtig etwas mit meiner Zeit anzufangen.

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59 Ich kann vieles tun, um Spaß zu haben und Fernsehen ist eins davon.

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Ob ich mir eine Fernsehsendung vorher aussuche oder nicht, macht keinen Unterschied, weil ich doch nicht weiß, ob sie mir gefallen wird.

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61 Mir fällt meistens etwas ein, was ich tun kann, wenn mir langweilig ist.

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62 Oft ist es mir zu anstrengend, etwas anderes zu planen, dann schaue ich lieber fern.

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63 Ich schaue mir oft Sendungen an, die mir nicht so gut gefallen, weil jemand anderes die gerade sehen will.

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64 Wenn ich ein bisschen suche, finde ich meistens auch eine Sendung, die mir gefällt.

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Was findest Du, ab welchem Alter sollten Kinder fernsehen? _________ Was könnte in einer Sendung gezeigt werden, die Grundschulkinder auf keinen Fall sehen sollten? __________________________________________________________________________

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Warum sollten die das nicht sehen? Was könnte dadurch passieren?

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Hier werden einige Szenen aus verschiedenen Sendungen beschrieben. Du sollst jeweils ankreuzen, für welches Alter eine solche Sendung geeignet ist.

Für welches Alter ist diese Sendung geeignet? 0-6 6-12 12-16 16-18 ab 18

68 Ein Mädchen und ein Junge sitzen knutschend auf einer Couch. Sie flüstert ihm ins Ohr, dass sie nun bereit ist für das „erste Mal“.

69 Ein bei einem Bombenanschlag zerstörter Zug wird gezeigt und ein Sprecher verkündet, dass 18 Menschen bei diesem Anschlag ums Leben gekommen sind.

70 Vier bunte Plüschfiguren hüpfen über eine Wiese, winken und sagen „Hallo“. Da finden sie einen Ball.

71 Eine Party ist im Gange. Es wird getanzt und geflirtet, ein paar trinken Bier. Das Mädchen, das allen Jungs gefällt, steht am Rand der Tanzfläche und raucht.

72 Ein Mann und eine Frau streiten sich. Er brüllt sie an und schlägt ihr ins Gesicht.

73 Man hört einen Schuss und ein Mann rennt weg. Kurz danach biegt eine Fußgängerin um die Ecke, sie bleibt plötzlich stehen, reißt die Augen auf und schreit.

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Ein Mädchen sitzt auf einer schmutzigen Matratze, sie schwitzt stark. Mit zittrigen Händen bindet sie einen Arm ab und spritzt sich eine Flüssigkeit in die Armbeuge. Jetzt lächelt sie und legt sich entspannt zurück.

75 Ein paar Jungs ziehen sich zum Fußballtraining um. Einer macht eine beleidigende Bemerkung über Italiener. Alle lachen und zeigen auf Lorenzo.

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Ein Paar liegt in einem Bett, sie streicheln sich. Man kann sich denken, dass die beiden unter der Decke nackt sind. Man sieht, wie sie sich küssen, dann schwenkt die Kamera auf das Fenster, durch das der Mond zu sehen ist.

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Woran kannst Du Werbung im Fernsehen erkennen? __________________________________________________________________________

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Was denkst Du, was Werbung beabsichtigt? Was will sie von Ihren Zuschauern? __________________________________________________________________________

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Was hat Werbung mit Dir zu tun? __________________________________________________________________________

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Zum Schluss haben wir noch ein paar kurze Fragen zu Deiner Person, dann hast Du es geschafft! Dein Alter: _________

Wie viele Geschwister hast Du? __________

Deine Muttersprache: _________________________

Dein Geschlecht: weiblich männlich

Deine Hobbies:

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Vielen Dank!

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