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Geburtshilfe aktuell 21/3/2012
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PD Dr. Luigi RaioUniversitätsfrauenklinik Bern
Down Syndrom in der Schweiz: Gedanken, Fakten und pränatales Screening
Seit der Einführung eines neuen, nicht invasiven Testverfahrens für Trisomie 21 – in den Staaten seit wenigen Jahren und in der Schweiz offiziell seit dem 20. August 2012 – sind die Diskussionen über die gesellschaftlichen Implikation eines solchen Tests und überhaupt die Debatte über die Haltung der Gesellschaft gegenüber Down Syndrom und generell gegenüber Menschen mit Behinderungen wieder entflammt.
Die gleichen Befürchtungen und Ängste, welche bereits in den 80er Jahren mit der Einführung und Verbreitung der invasiven Diagnostik und in der Folge den erweiterten und immer komplexer werdenden Screeningmodalitäten für Down Syndrom, werden heute wieder mit gleichem Impetus auf den unterschiedlichsten Ebenen diskutiert. Moralische, ethische, soziale, religiöse, rechtliche und andere Gründe für oder gegen das Screening, für oder gegen Abtreibung oder für oder gegen Selbstbestimmung der schwangeren Frauen werden durch alle Gesellschaftsklassen, Altersklassen, von direkt Betroffenen oder nicht Betroffenen mit ähnlichem Interesse verfolgt und kommentiert. Ich will mit diesem Artikel keine weiteren Diskussionen initiieren und auch nicht polemisieren. Als Arzt welcher direkt und tagtäglich mit dieser Problematik konfrontiert ist, mit den Ängste der Frauen bzw. Eltern, ihrem Dilemma in der Entscheidungsfindung für oder gegen Tests, und den schweren, zum Teil tiefen und dunklen Abgründen welche sich da auftun nach Diagnoseeröffnung helfen primär solche Diskussionen wenig. Meine Aufgabe ist mir indes sehr klar bewusst. Wir sind nicht diejenigen, welche da Entscheidungen abnehmen oder den richtigen Weg wissen oder zu wissen meinen und vermitteln. Wir sind auch nicht die Handlanger der Labors welche Test verkaufen, nein. Unsere Aufgabe ist Kommunikation, erklären, aufklären, zeigen und nicht zuletzt auch beschützen.
Prävalenz des Down Syndroms in der Schweiz
Es erstaunt mich sehr, wie wenig brauchbare und nachvollziehbare Informationen über die Prävalenz des Down Syndroms in der Schweiz zu finden sind. Noch schwieriger ist es zu eruieren, ob sich das Verhalten der schwangeren Frauen nach Diagnose einer Aneuploidie in den Jahren verändert hat. Eine Ursache dabei ist sicher die Tatsache, dass der Abbruch der Schwangerschaft als solche wohl meldepflichtig ist, nicht aber die Diagnose Trisomie 21. Nützliche Informationen findet man auf der Homepage des Bundesamtes für Statistik [1–3] und hilfreich sind auch die Daten des EUROCAT Netzwerkes [4] welches seit 1979 europaweit mittels populationsbasierten Datenbanken die Prävalenz von Fehlbildungen und Chromosomenstörungen überwachen. Für die Schweiz dabei ist als einziger der Kanton Waadt vertreten. Von 1990 bis 2009 sind in der Waadt 150775 Geburten verzeichnet worden. Anhand dieser Daten kann man auch gut zeigen, dass das Durchschnittsalter der Frauen in den Jahren zugenommen hat [4]. Dies ist von Relevanz da die Prävalenz von Trisomien altersabhängig ist. Von 2000–2009 waren 25.5 % der Frauen >35 Jahre alt. Im Vergleich zu 1990–1999 wo 13.6 % der Schwangeren in dieser Alterskategorie lagen, bedeutet dies eine beinahe100 %ige Zunahme. Das durchschnittliche Alter von Frauen welche ein Kind mit Down Syndrom hatten, war z.B. 2004 mit 35.6 Jahren signifikant höher als bei Frauen ohne eine Trisomie (30.6 Jahre) [2]. Dieses durchschnittliche Alter bei Erstgeburt steigt seit den 70er Jahren kontinuierlich und linear an [3].Konsequenterweise sollten wir auch eine Zunahme von Kindern mit Trisomien erwarten. Dies trifft aber nur bedingt zu wenn man zwischen pränatal diagnostizierten Fällen und Lebendgeburten differenziert. So konnte die EUROCAT Gruppe zeigen, dass die Prävalenz von Trisomie 21 Fällen zugenommen hat wohingegen die Anzahl von Lebendgeburten in den untersuchten 20 Jahren stabil geblieben ist. Innerhalb von 20 Jahren wurden in der Waadt 437 Trisomie 21 Fälle an EUROCAT gemeldet.
Abb. 1. Anzahl IVBezüger mit Trisomie 21 zwischen 1990 und 2011 (blau) und jährliche Anzahl von neuen Fälle (rot) (modifiziert nach BSF1)
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In Malta, Polen oder Irland ist ein Abbruch z.B. nicht erlaubt und dort finden wir entsprechend eine hohe Lebendgeburtenrate (weit >90 %). Hingegen weisen Frankreich und die Schweiz (Waadt) mit über 70 % Interruptiones wegen Down Syndrom in den Jahren 1990–2009 die höchste Rate auf. Dies steht etwas im Wiederspruch mit einer Übersichtsarbeit aus Europa welche 1999 publiziert wurde und wo eine Abbruchrate von 96 % in den 80er Jahren und von 92 % in den 90er beschrieben worden ist [5]. Ein Trend der Zunahme der Abbrüche liess sich in dieser Arbeit nicht ermitteln. Schwierig zu interpretieren auch die Schweizer Zahlen hinsichtlich Down Syndrom und IVBezug (Abb. 1). Ab etwa 2000 stagniert die Anzahl von Menschen mit Trisomie 21 welche eine IVRente beziehen bzw. ab 2007 nimmt diese sogar ab. Im Median sind 8 (range 40 bis 8) Fälle pro Jahr dazugekommen [1]. Auch hier sieht man eine beinahe lineare Abnahme von neuen Fällen pro Jahr. Es ist aber unklar, wie das Bundesamt für Statistik diese Zahl berechnet und wie viele Fälle mit Down Syndrom nicht IVBezüger sind, wahrscheinlich ein kleiner Anteil. Jedenfalls passt der hohe Anteil von Schwangerschaftsbeendigungen mit der abnehmenden Gesamtanzahl von IVBezügern ermittelt aus den Statistiken des BSF zusammen. In anderen Worten ist es offenbar in der Schweiz so, dass die Neuzukommenden Fälle mit Down Syndrom die Todesfälle pro Jahr nicht mehr zu kompensieren vermögen.
Pränatale Screening auf Down Syndrom in der Schweiz
Die Screeningmodalitäten auf Down Syndrom haben sich in den Jahren stetig verbessert was dazu geführt hat, dass Indikationen für eine invasive Untersuchung (Amniozentese oder Chorionzottenbiopsie) beständig abgenommen haben bei steigender Detektionsrate des Tests. Das heute gängige Screeningverfahren ist der Ersttrimestertest welcher ein individuelles Risikoprofil berechnet aus der Kombination von mütterlichem Alter, fetaler Nacken
Davon wurden nur 23.3 % lebend geboren was einer Prävalenz von 67 Fällen auf 100000 Lebendgeburten entspricht oder 1:1478 Geburten [3]. Diese Zahl ist vergleichbar mit der gesamtschweizerischen Prävalenz von 1:1734 Geburten oder 58 auf 100000 Lebendgeburten welche 2004 publizierten worden ist [2]. Im Jahr 2004 sind jedenfalls noch 41 Kinder mit Trisomie 21 lebend geboren worden.
Verhalten der schwangeren Frau bei Diagnose „Down Syndrom“ in der Schweiz
Auch hier ist die Datenlage sehr mager. Aus den EUROCATDaten lässt sich entnehmen, dass deutliche Unterschiede bestehen zwischen den verschiedenen Ländern.
Abb. 1. Anzahl IVBezüger mit Trisomie 21 zwischen 1990 und 2011 (blau) und jährliche Anzahl von neuen Fälle (rot) (modifiziert nach BSF1)
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Chromosom 21. Auf die technischen Besonderheiten will ich hier nicht näher eingehen. Diese Technologie hat aber das Potential, nicht nur für die nichtinvasive Diagnose des DownSyndroms angewendet zu werden sondern auch für die anderen Trisomien. Es ist nur eine Frage der Zeit bis routinemässig ein vollständiger Karyotyp aus dem mütterlichen Blut generiert werden kann. Schon früher haben wir einige unserer diagnostischen Tests auf dieses oder ein ähnliches Verfahren gestützt. So zum Beispiel die Geschlechtsbestimmung im Rahmen von Abklärungen bei Xchromosomal vererbbaren Krankheiten, oder die Bestimmung des RhFaktors bei D alloimmunisierten Frauen. Dieser neue Test ist derart effektiv, dass er beinahe als diagnostischer Test, gleichgestellt einer invasiven Abklärung, betrachtet werden kann. Eine der grössten Arbeiten bis dato zeigte eine Sensitivität von 98.6 % und eine Spezifität von 99.8 % [12]. Dabei wurden drei Fälle falsch negativ (falsch als gesund erachtet) und ebenfalls 3 falsch positiv bewertet. Die meisten Studien wurden in Hochrisikokollektiven durchgeführt. Grosse Screeningstudien in einem Niederrisikokollektiv fehlen oder sind im Moment
transparenz und der Serumbiochemie (PAPPA und HCG). Neuere, verlässliche Zahlen über die Effektivität dieses Screenings in der Schweiz existieren nicht. 2001 und 2002 wurde in einer Studie aus Basel [6] und einer weiteren aus den deutschsprachigen Ländern Schweiz, Deutschland und Österreich [7], eine Detektionsrate für Down Syndrom von 93.3 % [6] bzw. 87.2 % [7] beschrieben bei einer falsch positiven Rate von 9.6 % [6] und 12 % [7]. Für heutige Verhältnisse sind das beachtliche Resultate wenn man bedenkt, dass damals die Integration der Biochemie noch nicht stattgefunden hatte. Diese hohe Detektionsrate war jedoch gebiased durch einen hohen Anteil von Frauen > 35 Jahren (25.4 % und 36.1 %). Das heutige Screening erreicht unter optimalen Bedingungen (standardisierte Messung der Nackentransparenz, Optimierung der Blutentnahme) eine Detektionsrate von 92.6 % bei einer falsch Positivrate von 5.2 % [8]. Diese falsch positive Rate kann durch die Integration von zusätzlichen sonographischen Markern (Abb. 2) auf 2–3 % gesenkt werden [8].In der EUROCATDatenbank kann entnommen werden, dass 62 % aller Trisomie 21 Fälle pränatal diagnostiziert wurden, im Waadtland >80 % entweder mittels Ultraschall vor 14 Wochen, Serumscreening oder direkt invasiv [4, 9].
Nichtinvasive, pränatale Diagnose (NIPD) von Trisomie 21
Viele Jahre lang suchte man nach der „ominösen fetalen Zelle“ im mütterlichen Kreislauf um damit den Karyotyp bestimmen zu können. Die Technik war derart kompliziert und die Zellen derart selten zu finden, dass andere Wege gesucht und auch gefunden wurden [10, 11]. Zirkulierende fetale DNA im mütterlichen Blut stellt heute die Basis dar für die NIPD. Dies und leistungsstarke Computer mit ausgeklügelten Algorhythmen erlauben es, die fetalen DNAFragmente anzureichern, zu quantifizieren und einem Chromosom zuzuordnen, im speziellen dem
A
B
C
Abb. 2. Auswahl von sonographischen Zusatzparameter welche das Risiko für Down Syndrom beeinflussen; (A) Ausschluss Tricuspidalinsuffizienz; (B) Ductus venosus Flussmuster; (C) Nasenbein. Allesamt normale Befunde
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Zusammenfassung
Die Prävalenz von pränatal diagnostizierten Down Syndrom Fälle in der Schweiz nimmt – bedingt durch das steigende Alter der Frauen – zu, ohne dass es aber zu einem Anstieg der Lebendgeburten gekommen ist. Der grösste Anteil dieser Schwangerschaften wird in der Schweiz abgebrochen. Das aktuelle Screenningverfahren basierend auf der Risikostratifizierung mittels Ersttrimestertest kann durch NIPD ergänzt werden vorausgesetzt, dieser wird dazu verwendet, die Rate an falsch Positiven zu reduzieren.
Literatur
1. Bundesamt für Statistik: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index.html.
2. Hässig G, Adams M, Zwimpfer A, Schwab P. Neugeborene in Schweizer Spitäler 2004. Bundesamt für Statistik.
3. BFS Aktuell. Demographisches Verhalten der Familien in der Schweiz 1970 bis 2008. Bundesamt für Statistik. September 2009.
4. Loane M, Morris JK, Addor MC et al. Twentyyear trends in the prevalence of Down syndrome and other trisomies in Europe: impact of maternal age and prenatal screening. Europ J Hum Gen 2012; doi:10.1038/ejhg.2012.94.
5. Mansfield C, Hopfer S, Martau TM. Termination rates after prenatal diagnosis of Down syndrome, Spina bifida, anencephaly, and Turner and Klinefelter syndrom: A systematic literature review. Prenat Diagn 1999; 19:808–812.
6. Tercanli S, Holzgreve W, Batukan C et al. Nackentransparenzscreening im 1.Trimenon: Ergebnisse einer prospektiven Studie bei 1980 Feten aus einem Zentrum in der Schweiz. Ultraschall in Med 2002; 23:22.26.
7. GasiorekWiens A, Tercanli S, Kozlowski P et al. Screening for trisomy 21 by fetal nuchal translucency and maternal age: a multicenter project in Germany, Austria and Switzerland. Ultrsound Obstet. Gynecol. 2001; 18:645–648.
8. Nicolaides KH, Spencer K, Avgidou K et al. Multicenter study of firsttrimester screening for trisomy 21 in 75821 pregnancies: results and estimation oft he potential impact of individual riskorientated twostage firsttrimester screening. Ultrasound Obstet. Gynecol. 2005; 25:221–226.
9. EUROCAT Website Database: http://www.eurocatnetwork.eu/PRENATALSCREENINGAndDIAGNOSIS/PrenatalDetectionRates (data upload 03/04/2012).
noch nicht abgeschlossen. Der Praena Test® wird auch durch die Firma als Screeningtest angeboten und er sollte auch nicht vor 10 Wochen angesetzt werden! Ein positives Ergebnis sollte entsprechend durch eine invasive Abklärung bestätigt werden. Problematisch sind auch die Kosten (1500.– SCFR) und die Dauer der Untersuchung (10–20 Tage). Neben diesen Limitierungen gibt es auch ethische Probleme da wir Gefahr laufen, dass dieser Test angeboten wird ohne die nötige und ausführliche Besprechung/Beratung und vorgängig eine Sonographie durchgeführt zu haben. Das Gestationsalter sollte bekannt sein, für Mehrlinge gibt es noch keine Erfahrungen. Natürlich ist es auch angebracht, dass schwere Fehlbildungen, welche bereits im 1.Trimenon erfassbar sind wie z.B. AcranieExencephalie, ausgeschlossen wurden. Da es offiziell als Screeningtest angeboten wird, sollte es in das bestehende Konzept integriert werden. Dies bedingt natürlich, dass die schwangere Frau den aktuellen Parcours der nichtdirektiven, pränatalen Beratung durchläuft und sie sich überlegen kann, welchen Weg und wie sie ihn begehen will. Im Falle eines auffälligen Erstrimesterresultates (im Moment in der Schweiz Risiko ≥1:380) wäre dann der Moment gekommen, wo man diese NIPD platzieren könnte. Natürlich können wir es auch wie die FMF London machen welche noch ein intermediäres Risiko bzw. Kollektiv definiert zwischen 1:100 und 1:1000 wo man Zusatzultraschallparameter untersuchen kann wie eine negative aWelle im Ductus venosus, eine Tricuspidalisinsuffizienz oder auch das Nasenbein und andere. (Abb. 2) Diese Details sind aber noch nicht in den entsprechenden Gremien diskutiert worden. Jedenfalls bin ich der Meinung, dass solange keine Studien vorliegen, welche zeigen, dass die Resultate auch in einem Niederrisikokollektiv ihre Gültigkeit haben, der Praena Test® dort keinen Sinn macht.Diese Entwicklung bedarf unsere ganze Aufmerksamkeit und auch Wachsamkeit. Sie birgt ein Riesenpotential an Neuerungen, Vereinfachungen und natürlich auch an potentiellen Gefahren für die Gesellschaft welche in der Gesamtheit im Moment noch nicht abschätzbar sind.
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12. Palomaki GE, Kloza EM,LambertMesserlian GM et. al. DANN sequencing of maternal plasma to detect Down syndrome: an international clinical validation study. Genet Med 2011; 13:013–20.
10. Lo YMD, Corbetta N, Chamberlain PF et al. Presence of fetal DANN in maternal plasma and serum. Lancet 1997; 350:485–7.
11. Chitty LS, Hill M, White H et al. Noninvasive prenatal testing for aneuploidyready for prime time? Am. J. Obstet. Gynecol. 2012.02.021.
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*Dietary Reference Intakes, The National Academies (www.nap.edu) 2001
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