Prof. Dr. O. Meuffels, Christologie
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0. Aufbau und Zielperspektive der Vorlesung
0.1 Der Aufbau
„Die Theologie im 20. Jahrhundert steht ganz im
Zeichen einer Neubesinnung auf die alles tragende
und umgreifende Bedeutung der Christologie.
Verantwortlich für diese christologische Wende ist
die neu aufgebrochene Frage nach Grund und Mit-
te, nach Norm und Wesen des Christentums. Min-
destens ebenso wichtig wie diese Vergewisserung
christlicher Identität im Rückgriff auf Jesus Chris-
tus ist die Suche nach neuer und zeitgemäßer Be-
wahrheitung der Heilsbedeutung des Christuser-
eignisses, also der Aufweis seiner ungebrochenen
Relevanz.“
(Arno Schilson, Art. Christologie III. Christologie im 20. Jahrhundert, in:
LThK3 2, 1170.)
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Wie kann die Relevanz des Christusereignisses für Gott und
Mensch für die heutige Zeit aufgewiesen werden?
Ansatz beim Menschen ansetzen, weil Jesus Mensch war.
Aber in einem Spannungsfeld, das den Menschen herausfor-
dert, weil Jesus als Gottes Sohn geglaubt bzw. verstanden
wird.
Das bedeutet:
Unser Menschsein in der Geschichtlichkeit unserer Existenz
ist ein wesentlicher Horizontbereich der Christologie.
Die geschichtliche Grundsituation des Menschen entspricht
der Selbstoffenbarung Gottes in Christus mitten in der Ge-
schichte von Mensch und Welt.
Jesus als Christus führt aber zugleich die Krise alles
Menschlichen herauf.
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BALTHASAR spricht im Blick auf Jesus Christus von einer
„Tat Gottes auf den Menschen zu, Tat <Gottes>, die sich sel-
ber vor dem Menschen und für ihn auslegt.“
Hans Urs von Balthasar, Glaubhaft ist nur Liebe (Christ heute, Fünfte Reihe, Bd 1), Einsiedeln 41975, 5.
D.h.:
1. Die Christologie bedarf als Glaubens-Horizont unbedingt
der Logik Gottes, die wir nur im Glauben entgegennehmen
können, da die Agape-Logik Gottes nicht weltlichen Maßen
und Vorstellungen entspricht. (Kreuz)
2. Da dieser Glaube seine eigene Geschichte hat, muss die in-
dividuelle Perspektive in den Horizont der kirchlichen Glau-
benstradition gestellt werden.
3. Es ist deshalb der methodische Horizont der Christologie
mit den Spannungspolen: Bibel, Tradition, Vernunft und
Glaube klar abzustecken.
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Nach BALTHASAR „gibt <es> keine ‘Unterlegung’ eines ande-
ren Textes unter den Text Gottes, durch den er lesbar und
verständlich ... werden könnte“, vielmehr müssen wir im
Glauben in Gottes Selbstoffenbarung in Christus eintreten.
Hans Urs von Balthasar, Glaubhaft ist nur Liebe (Christ heute, Fünfte Reihe, Bd 1), Einsiedeln 41975, 32.
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0.2 Die Zielperspektiven
anthropologische Zielperspektive:
Christologie ist Anthropologie, oder sie ist gar nichts. Von der
Christologie her kann aufgezeigt werden, wie gelungenes
Menschsein aussieht.
christologische Zielperspektive:
Christologie ist doppelt geschichtlich: bezogen auf das irdische
Menschsein Jesu sowie auf die Entfaltung seines Wirkens
durch seinen Geist in der Glaubens-Geschichte der Kirche.
Eine solche geschichtliche Christologie ist nur trinitarisch un-
ter dem Stichwort „Relation in Liebe“ zu entfalten.
Die zu erarbeitende Christologie wird trinitarisch grund-
gelegt, geschichtlich entfaltet und in ihrer anthropo-
logischen Relevanz dargelegt. Die Liebe erweist sich dabei
als verbindende Mitte Gottes und des Menschen. Analo-
gieloses Urbild ist hier Jesus Christus selbst.
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I. Prolegomena
1. Der heutige Horizont einer modernen Christologie
1.1 Der Mensch als bleibende Frage
Die Identität unseres Personseins ergibt sich nicht allein aus
der Faktizität des vordergründig Gegebenen, sondern in un-
serem Personsein sind wir Fragende über die Grenzen des
Faktischen hinaus.
Der Mensch fragt in einem freiheitlichen Kommunikations-
prozess:
Wer bin ich? Was macht mein Menschsein aus?
Warum bin gerade ich existent?
nach seiner Identität angesichts der Spannung von Leben und Tod.
Indem wir so über uns selbst, über unsere Möglichkeits-
bedingungen nachdenken (transzendentale Reflexion), be-
ziehen wir uns immer schon auf ein heiliges Geheimnis, das
wir im Glauben personal ansprechen und Gott nennen.
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Wer bin ich? Was macht mein Menschsein aus?
Problem des Leidens und zwar persönlich wie gesellschaftlich
„Der Mensch trägt sein Frage- und Ausrufezeichen, auf
Transparenten gemalt, streikend, im Protestzug durch die
Schöpfung.“
Hans Urs von Balthasar, Pneuma und Institution (SkTh 4), Einsiedeln 1974, 14.
Hier kann gerade die unendliche Offenheit des fragenden
Menschen in seiner Geistigkeit und Leiblichkeit auf ein heili-
ges Geheimnis hin aufweisen, dass der Mensch nicht auf Gene
und biologisches Material zu reduzieren ist.
Innerhalb dieses Spannungsbogens ist es dem Menschen mög-
lich, sich in seiner Geistigkeit und Leibhaftigkeit in Raum und
Zeit und in einer komplexen kommunikativen Bezogenheit auf
Mitmensch, Welt und Gott in seinem Personsein zu realisie-
ren.
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Warum bin gerade ich existent?
In allen Anfragen, in allen Selbstüberstiegen auf andere Men-
schen und andere Umweltsituationen hin, gibt es einen Ruhe-
punkt in mir, der mir die Selbstgewissheit gibt: es ist gut, dass
es Dich gibt.
als transzendentales Argument formuliert:
Der Mensch greift aus auf das umfassende Geheimnis von
Welt und Mensch, ein Geheimnis, das ihn in seiner leib-
haftigen Geistigkeit denken und handeln lässt, somit auch den
Grund seiner Personalität ausmacht.
Dieser geheimnisvolle Grund lässt uns in unserer eigenen Ei-
genständigkeit sein, aber ist in der freiheitlichen Eigenstän-
digkeit dennoch der letzte Grund unserer Würde.
Ausgespanntsein des Menschen zwischen Selbstbesitz und
Selbstüberstieg, Immanenz und Tranzendenz
als existenziell bedrängende Erfahrung
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So fragt der Mensch nach seiner Identität angesichts der
Spannung von Leben und Tod.
Auch die Philosophie vermag hier keinen letztgültigen Trost
zu spenden, da der Mensch mit all seinen Möglichkeiten am
Ende ist. Vielmehr bedarf es der freien Selbstmitteilung des
heiligen Geheimnisses, das wir Gott nennen.
Offenbarung als Medium der Begegnung von Gott und
Mensch
die in der Person Jesu Christi mitten in der Geschichte rea-
lisiert ist
Von daher gilt: Der Mensch kommt zuhöchst zu sich selbst,
wenn Gott sich dem Menschen zutiefst mitteilt und der
Mensch diese Mitteilung offen entgegennimmt.
Nach RAHNER STh VI 548 ist die Menschwerdung Gottes da-
rum zugleich „der einmalig höchste Wesensvollzug des Men-
schen überhaupt.“
Will der Mensch sich selbst finden, muss er auf Gottes
Handeln im Menschen Jesus schauen.
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1.2 Gottes zuvorkommende Liebesantwort an den Menschen
1.2.1 Die Notwendigkeit der Umkehr angesichts der Agape
Gottes
Sofern wir in Christus dem Geheimnis Gottes begegnen und
dieses Geheimnis Gottes in Christus die Tiefe unseres
Menschseins freilegt, muss unser Denken ganz und gar von
diesem Christusgeheimnis her bestimmt sein. Es ist eine
Umkehr, eine Metanoia, eine Krisis des menschlichen Den-
kens und Handelns erforderlich.
Gott kann nur durch Gott selbst erkannt werden.
Eine Anthropologie gründet letztlich im vorgängigen Primat
der Selbstoffenbarung Gottes, die uns in der hypostatischen
Union in Christus im konkreten Leben dieses Jesus als des
Christus geschenkt ist.
Die Liebe ist das Vermittlungsprinzip zwischen Gott und
Mensch, die Liebe ist der Inhalt der Offenbarung, sie ist
aber auch die Erkenntnisform, auf die wir uns einzulassen
haben.
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1.2.2 Gottes Liebesdrama in der Geschichte
Streit zwischen MOLTMANN und RAHNER um die Relevanz der
gesellschaftlichen Bedingungen der Christuserkenntnis neben
der existentiellen Selbsterfahrung
Balthasar hat diese Spannung fruchtbar gemacht.
theologische Ästhetik als Schau der sich offenbarenden
Liebesherrlichkeit Gottes, die in Jesus Christus zu ihrem
Höhepunkt kommt.
Von dieser Liebesherrlichkeit muss sich der Betrachter gläu-
big erfassen lassen.
Aber diese Schau ist nach Balthasar unmittelbar auch Wahr-
nehmung eines dramatischen Ereignisses: Gott kämpft in
Christus aus seiner Liebe heraus um diese Welt und gegen das
Böse.
Der Mensch ist in seiner Freiheit herausgefordert, sich zu ent-
scheiden.
Übergang in einen geschichtlich-dramatischen Ansatz
Betonung von Liebe und Freiheit
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1.3 Gottes geschichtliche Selbstmitteilung in Jesus Christus
Unlösbare Relation zwischen dem konkreten Leben und sei-
nem letzten Urgrund in Gott, aber keine notwendige Entspre-
chung!
Vgl. Abrahamserzählung: Gen 12ff
Gottes Offenbarung in der Geschichtszeit und die religiöse Su-
che des Menschen laufen nicht in einer vorprogrammierten
Zielrichtung direkt aufeinander zu, sondern es gibt viele Ab-
wege und Brüche von Seiten des Menschen.
Kongruenz zwischen Gott und Mensch besteht nur,
1.) wo die Selbstmitteilung und Selbstoffenbarung Gottes
auf den gläubig offenen Menschen trifft
2.) wenn der Mensch seinen ganzen Geist und seine gan-
ze leibliche Lebensexistenz auf diesen Gott hin aus-
richtet, denn
3.) in einzigartiger Weise in Jesus Christus.
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Heilsbekenntnisse im AT:
- Gottes gute Schöpfung, gestört durch die Sünde des
Menschen (vgl. Gen 1-4),
- Gottes Proexistenz für sein Volk (vgl. Ex 3,14),
- Gottes geschichtliche Wirkmacht (vgl. Ex 15,1-19) und
sein Bundesangebot, verbunden mit einer entspre-
chenden Lebensführung (vgl. Ex 19 u. 20).
Diese Linie im Alten Testament kommt in der Selbstmitteilung
Gottes in Jesus Christus zu seinem absoluten Höhepunkt:
- Selbstoffenbarung des trinitarischen Gottes
- in der Gottesoffenbarung und Menschenoffenbarung
in eins fallen
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Biblische Belege zum Verständnis der Person Jesu
Christi:
- Joh 3,16: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen
einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt,
nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.“
- 1 Joh 4,8b-9: „... Gott ist die Liebe. Die Liebe Gottes wur-
de unter uns dadurch offenbar, daß Gott seinen einzigen
Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn le-
ben.“
- Gal 4,4-6: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott sei-
nen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz un-
terstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz
stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen. Weil ihr
aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in
unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater.“
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- Er ist die Fülle der Zeit (vgl. Mk 1,15).
- Im Leben und Schicksal dieses Jesus aus Nazaret wird
dem Menschen das Heil Gottes selbst geschenkt (vgl.
Röm 4,25; Phil 2,6-11; 1 Tim 2,5 u. ö.).
- Jesus ist das ewige Wort Gottes, in dem nach dem Jo-
hannesprolog sogar die Welt geschaffen wurde (Joh 1,3).
- Im Fleisch ist uns das Wort des Lebens geschenkt (Joh
1,4.14).
- 1 Tim 2,4-6: „... er [Gott] will, dass alle Menschen gerettet
werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.
Denn: Einer ist Gott; Einer auch Mittler zwischen Gott
und den Menschen: der Mensch Christus Jesus, der sich
als Lösegeld hingegeben hat für alle, ein Zeugnis zur
vorherbestimmten Zeit ...“.
- Kol 1,19f: „... Gott wollte in seiner ganzen Fülle in ihm
wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen, alles im
Himmel und auf Erden“.
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Systematische Konsequenz:
Die Heils-Bedeutsamkeit Jesu Christi für uns
Menschen (= Soteriologie) - gerade in einer
umfassenden und eschatologischen Dimension
- ist in der Lehre von Jesus als dem Christus,
dem Wort Gottes, dem von Gott Gesandten
und Erhöhten verankert. Umgekehrt gilt: Die
innere Fülle der Christologie als Lehre von Je-
sus, dem Christus, äußert sich in der Lehre
vom Heil für die Menschen, also in der Sote-
riologie.
Nur wenn Jesus der Christus ist, also seins-
mäßig in einer einzigartigen Beziehung zu
Gott selbst steht, kann er auch eine universale
Heilsbedeutung für uns Menschen haben.
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2. Was meint: „wissenschaftliche Christologie“?
2.1 Zwei unabdingbare Voraussetzungen wissenschaftlicher
Theologie
Wissenschaftliche Theologie erhebt den Anspruch, vernunft-
gemäß den Glaubensakt und Glaubensinhalt zu explizieren
(vgl. 1 Kor 14,15 oder auch 1 Petr 3,15).
Eine wissenschaftliche Christologie verlangt:
- die der jeweiligen Zeit angemessene begriffliche Fas-sung
- den Dialog verschiedener Verstehens-Modelle (binnen- wie nicht-theologisch)
- den Erweis der Wahrheit Jesu Christi angesichts der weltlichen Pluralität
Daraus folgt:
1. Voraussetzung: Wissenschaftliche Christologie kommt vom
Christusglauben her bzw. setzt eine persönliche Gottesbe-
gegnung voraus.
2. Voraussetzung: Christologie bezieht sich auf die personale
Christusbegegnung (= Glauben) im Zeugnis der
Jüngergemeinschaft (= Kirche).
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2.2 Definition und Inhalt einer wissenschaftlichen Christolo-
gie
Wissenschaftliche Christologie ist
die methodisch reflektierte und systematisch argumentie-
rende Begründung,
innere Entfaltung und Vermittlung
des Christusereignisses als Einheitszentrum aller Theolo-
gie,
insofern Jesus als der Christus Gottes in seiner Person, in
seiner Sendung und seinem irdischen Schicksal
die Menschen in ihrer Selbsttranszendenz und Freiheit auf
dramatisch- geschichtliche Weise in die Ver-Antwortung
ruft,
so dass die menschliche Person in der Entscheidung für die
in Christus und seinem Geist erschienene Liebe Gottes
in das trinitarische Leben Gottes eingeführt wird
und somit durch Christus die gnadenhafte Erfüllung ihrer
geschöpflichen Existenz (in Selbsttranszendenz und Frei-
heit) geschenkt erhält.
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Konkrete Inhalte der Christologie sind:
- die Reich-Gottes-Proklamation Jesu
- die Relation Jesu zu seinem Vater (Gebet)
- die Salbung Jesu mit Heiligem Geist (Christus = der Ge-
salbte, der Messias)
- seine Lehre, sein Handeln
- das Kreuz
- die Auferstehung, Erhöhung und die Geistsendung
- seine Präsenz in der Kirche
- seine Wiederkunft am Ende der Zeit
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Eine moderne Christologie muss
von anthropologischen Fragestellungen ausgehen.
biblisch ansetzen.
die christologischen Dogmen der Kirche kreativ rezipieren.
seinsgeschichtlich wie universalhistorisch aufweisen, daß das
dramatische Christusereignis eine kommunikative Bezie-
hungswirklichkeit darstellt, die Gottes innerste trinitarische
Wesenstiefe offenlegt, dem Menschen seine wahre
geschöpfliche Würde vorstellt und alle Geschichtszeit an ihr
Ziel bringt.
soteriologisch entfalten, inwiefern Jesus Christus das Heil
von Mensch und Welt ist.
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3. Die Grammatik der Christologie
3.1 Die christologische Ursynthese von Kreuz und Auferste-hung
Ansatzpunkt einer wissenschaftlichen Christologie
Christologie muss beim Urkerygma der Auferweckungs-zeugen ansetzen, aber dann zweifach darüber hinaus gehen:
a) Gott selbst handelt am Gekreuzigten und initiiert das Osterereignis, die Osterbotschaft und den Osterglau-ben.
b) Christus, der Erhöhte, erweist sich als Sohn Gottes (vgl. Gal 1,16; Phil 2,6-11) bzw. als Offenbarer des Va-ters (vgl. Röm 1,1-4) und trägt als solcher in seinem Geist den Glauben aller Christuszeugen.
Christologie muss auf den historischen Jesus rekurrieren, da der Auferweckte der Mann aus Nazaret war.
Christologie kann nur als „Beziehungsgrammatik“ formu-liert werden, die Gott-Vater, sein Wirken mit und an Jesus im Geist und unser Betroffensein im Glauben umfasst.
Zur personalen Identität Jesu als Grund seines heils-geschichtlichen Wirkens gibt es nur einen dogmati-schen, d. h. vom Glauben ausgehenden Zugang.
Ausgehend vom Auferweckungsereignis wird in der Per-spektive des Glaubens nach der personalen Identität Jesu als des erhöhten Christus gefragt.
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Ingolf Ulrich DALFERTH schreibt in „Der auferweckte Ge-
kreuzigte“, S. 31:
„Das eigentliche Thema der Christologie ist
gerade nicht ... der historisch faßbare Jesus
von Nazaret und seine modellhafte ethisch re-
ligiöse Bedeutung für uns. Das eigentliche
Thema ist vielmehr der erste Auferweckte
Gottes, so daß gilt: Mit dem Bekenntnis zur
Auferweckung Jesu durch Gott steht und fällt
der christliche Glaube ...“.
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3.2 Statt Mythos: Verweis in die Geschichte
Mythos:
eine bildhafte, symbolische Rede, die die begriffliche
Vermittlung übersteigt und dem Menschen ein nicht
verfügbares Urwissen ermöglichen soll.
Funktionen: erklären, begründen und beglaubigen.
sowohl Interpretationsweise wie das Interpretat sind
mythisch
Mythologie:
nur die Interpretation des faktisch Gegebenen ist my-
thisch
In den Grenzbereichen von Gott und Welt, Natur und
Kultur bauen Mythen mit Hilfe der Sprache ein umfas-
sendes Sinnsystem neuer, symbolischer Ordnung auf.
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Aber:
Der Mensch in seiner Begrenztheit und geschichtlichen
Eingebundenheit vermag niemals den Gesamtsinn von
Welt, Leben und Geschichte zu überschauen oder gar
zu erfassen. Die Natur ist dem Menschen immer
vor-gegeben.
Ein umfassendes Weltverständnis wird nur möglich,
-wenn die Gesamtwirklichkeit als Sinnraum Gottes
-und der Lebensraum des Menschen in seiner Differen-zierung von Natur und Kultur
aufgefasst wird.
Da Gott zur Gesamtwirklichkeit in Beziehung steht, be-
findet er sich auch in einem Querverhältnis zu Kultur
und Natur, somit auch zum Mythos.
Die Brücke zwischen Schöpfer und Schöpfung ist allein
mit Jesus Christus gegeben. In ihm wird die Differenz
von Gott und Welt geschichtlich vermittelt.
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3.3 Die trinitarische Lesart
Ansatz bei Ostern als hermeneutischem Zirkel des Glaubens:
Jesus wird hier nicht nur als Sohn des Vaters offenbar, son-
dern in Kreuz und Auferstehung wird auch der Vater
eschatologisch bestimmt: in Differenz und in Einheit mit
dem Sohn, eben in Liebe.
Vom Leben Jesu her müssen wir Gott trinitarisch denken,
so dass umgekehrt das Leben Jesu als Leben des fleischge-
wordenen Logos, also der zweiten Person in Gott, verstan-
den werden muss.
Daraus folgt:
Der Gegenstand unserer christlichen Gotteserkenntnis ist
nicht Gott "an sich", sondern seine Selbstoffenbarung in der
Menschwerdung Jesu Christi.
Der Grund unserer Gotteserkenntnis ist Gott selbst.
Das Mittel unserer Gotteserkenntnis ist der Heilige Geist.
Der Vollzug unserer Erkenntnis ist der Glaube, verstanden
als Aneignung des in Jesus Christus und dem Geist eröffne-
ten Heilswillens des Vaters.
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4. Christologie im Spannungsfeld von Bibel, Geschichte und
Dogma
4.1 Ein christologischer Paradigmenwechsel in der Neuzeit
Christologie von oben (Deszendenz-Christologie)
Ansatz beim biblischen Kerygma
Christus wird vom Vater in die Welt gesandt, um sie nach
dem Sündenfall zu erlösen
Geheimnis der Gottmenschlichkeit Jesu Christi
Vermittlung durch die Kirche
Christologie von unten (Aszendenz-Christologie)
anthropologische Wende: Ansatz beim Menschen in seinem
vernunfthaften Selbstvollzug
Frage nach den Verständnisbedingungen von Offenbarung
Jesu Menschlichkeit als Verweis auf seine Göttlichkeit
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4.2 Der philosophische Hintergrund
Descartes:
Unterscheidung von res extensa und res cogitans
Methode des radikalen Zweifels zur Begründung der Sub-
jektivität
„Discours de la methode“ IV,1:
„Alsbald aber fiel mir auf, daß, während ich auf diese Weise
zu denken versuchte, alles sei falsch, doch notwendig ich, der
es dachte, etwas sei.. Und indem ich erkannte, daß diese
Wahrheit: ‘ich denke, also bin ich’, so fest und sicher ist, daß
die ausgefallensten Untersuchungen der Skeptiker sie nicht zu
erschüttern vermöchten, so entschied ich, daß ich sie ohne Be-
denken als ersten Grundsatz der Philosophie, die ich suchte,
ansetzen könne.“
Meditationes II,3:
„Er <Gott> täusche mich, soviel er kann, niemals jedoch wird
er es fertigbringen, daß ich nichts bin, solange ich denke, daß
ich etwas sei“.
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Konsequenzen:
1. für die Natur des Ich: Ich = Bewusstsein und Denken
2. für die Existenz Gottes
Idee des Unendlichen als transzendentaler Grund des Be-
wusstseins
als eingebborene Idee, die den Schluss auf die Existenz Got-
tes erlaubt
Aber: Reduktion der Wirklichkeit auf den Geist
Religion als Vernunftreligion
Tilgung der anstößigen Historizität
Diastase zwischen Jesus der Geschichte und Christus des
Glaubens
Christusbekenntnis als subjektive Projektion
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4.3 Christologien in rationalistischem Kontext
Suche nach dem idealen Gehalt des Dogmas!
Johann Salomo Semler
Die an sich vernünftige und natürliche Religion liegt in einer Gestalt vor, die der begrenzten Auffassungsgabe der alten Völker angepasst war, weshalb einige Mythologeme (Inkarnation, Jungfrauengeburt, Wunder, Sühnetod, leibliche Auferweckung) rational kritisiert und ausgeschieden werden müssen.
Sozinianismus des 16. Jhs. (Fausto Sozini)
Der Glaube muss vor allem von den nicht vernunftgemäßen Trini-täts-, Zwei-Naturen- und Erbsünden-Lehren gereinigt werden. Je-sus gibt als bloßer Mensch nur ein sittliches Vorbild, dem nachzuei-fern das Leben nach dem Tod verdient.
Gotthold Ephraim Lessing
betont den fehlenden Begründungs-Zusammenhang zwischen dem historischen Jesus und dem Christus des Dogmas: „Zufällige Ge-schichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunft-wahrheiten nie werden.“
Immanuel Kant
deutet die Idee vom Sohn Gottes als die mit der Schöpfung inten-dierte Menschheit in ihrer Vernünftigkeit und moralischen Voll-kommenheit, aus der die Glückseligkeit hervorgeht, so dass die Got-tesbeziehung des Menschen einer strikten Moralisierung unterwor-fen wird.
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Folie 30
Friedrich Daniel Schleiermacher
sieht dagegen in Jesus nicht nur ein pädagogisches Vorbild,
sondern unseren Erlöser, dessen historische Personalität
durch eine besondere Gottesbeziehung ausgezeichnet gewe-
sen sein muss. Den ontologischen Status dieser Beziehung
klärt Schleiermacher jedoch nicht.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel
deutet das geschichtliche Jesusereignis als ewige Vernunft-
wahrheit, indem er die unendliche Dynamik des Denkens (=
Geist) im Dreischritt von These, Antithese und Synthese mit
dem Gedachten (= die historische Wirklichkeit) in Überein-
stimmung zu bringen versucht. So wird die Religion zu ei-
nem Moment im Prozess des sich weltgeschichtlich entfal-
tenden absoluten Geistes, der als allumfassendes Versöh-
nungsgeschehen begriffen werden muss. Zumindest die his-
torische Einmaligkeit Jesu geht jedoch hier verloren.
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Folie 31
4.4 Die Destruktion des Christusdogmas
David Hume
erklärt die Inhalte des Christusdogmas zum Produkt einer
noch nicht aufgeklärten Vernunft, die in unzulässiger Weise
über das allein in seiner bloßen Menschlichkeit wissbare Le-
ben Jesu spekuliere.
Hermann Samuel Reimarus
betrachtet wegen der vermeintlichen Widersprüchlichkeit
der Textzeugnisse die Evangelien als mutwillige Fälschun-
gen. Jesu sei als irdisch-politischer Messias gescheitert; die
Auferstehung sei Erfindung seiner Jünger.
David Friedrich Strauß
geht zwar von einem historischen Kern der Evangelien aus,
der aber durch einen rationalistisch zu tilgenden Christus-
mythos überhöht wurde, so dass Jesus für ihn letztlich nur
als Vertreter einer Humanitätsreligion erscheint.
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Folie 32
Walter KASPER schreibt in „Jesus, der Christus“ S. 32:
„Hinter der historischen Rückfrage nach Jesus
stand ... einerseits das Interesse des Glaubens und
der Erneuerung des Glaubens, andererseits aber
stand auch der Geist der Aufklärung Pate, als die
neue biblische Theologie und damit die Le-
ben-Jesu-Forschung aus der Taufe gehoben wurde.
Diese muss deshalb auch im größeren Zusammen-
hang der neuzeitlichen Ideologiekritik und der
Emanzipation von vorgegebenen Autoritäten und
Traditionen gesehen werden.“
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Folie 33
4.5 Die Leben-Jesu-Forschung
Begriffsklärung
Historie (narratio rerum gestarum) meint das faktisch Ge-
schehene als Tatsachenwahrheit. Die Historie gibt einen
neutral objektiven Bericht über ein vergangenes Geschehen.
Geschichte ist im Sinne der Aufklärung geprägt
a) durch den Menschen als Subjekt der Erkenntnis, das Ge-
schichte mitbestimmt, aber auch von der Geschichte be-
stimmt wird;
b) durch die Freiheitstaten des vernünftigen Menschen in-
nerhalb der historischen Gegebenheiten.
Geschichte steht im hermeneutischen Zirkel von Vorverständ-
nis und kreativer Neuinterpretation.
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Folie 34
Kierkegaard:
Unterscheidung zwischen „geschichtlich“ (existenzielle Ebe-
ne) und „historisch“ (objektive Faktizität)
Unterscheidung zwischen historischem Jesus und geschicht-
lichem Glauben an Christus
Albert Schweitzer:
erweist das Scheitern der sog. Leben-Jesu-Forschung
Jesusbilder als idealisierte Projektionen
moderne Formgeschichte:
Evangelien als Verkündigungszeugnis
Martin Kähler sagt deshalb:
„Der wirkliche Christus ist der gepredigte Christus“.1
1 M. Kähler, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche,
biblische Christus, hg. von E. Wolf, München 19694, 44; vgl. dazu W. Kasper, Jesus 36.
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Folie 35
4.6 Der Christus des Kerygmas
Martin Kähler
betont, daß das Glaubenszeugnis der frühen Kirche der ein-
zige Zugang zur historischen Gestalt Jesu sei. Im urkirchli-
chen Kerygma aber werde Jesus selbst zugänglich.
Johannes Weiß
konzentriert sich auf Jesu Reich-Gottes-Botschaft als An-
kündigung eines von außen kommenden kosmischen Dra-
mas, dessen mythologische Ausdrucksform allein zu kritisie-
ren sei.
Rudolf Bultmann
liest die mythologische Sprache des NT aus dem Selbstver-
ständnis des modernen Menschen (= Entmythologisierung).
Im Christus-Wort ruft Gott den Menschen in die Entschei-
dung des Glaubens und gibt ihm so ein neues Existenzver-
ständnis (= existentiale Interpretation). Hier bleibt unklar,
wie der Glaube über die Entscheidungssituation hinaus ge-
schichtlich lebbar bleiben soll.
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Folie 36
4.7 Suche nach einem Neuansatz
Ernst Käsemann
Die Evangelien sind am geschichtlichen Jesus interessiert. Basis ihrer Theologie ist die Einheit von geglaubtem Christus und irdischem Jesus. Formgeschichtlich sind viele authentische Jesusworte oder -taten nachweisbar.
1500-Jahr-Feier des Konzils von Chalkedon
Die klassische Christologie von oben ist – bei voller Wah-rung ihrer Substanz – in eine Christologie von unten zu transformieren. Dabei ist bei der anthropologischen Fra-gestellung des Menschen nach sich selbst anzusetzen.
Karl Rahner, Edward Schillebeeckx, Piet Schoonenberg, Wal-ter Kasper
Ein solcher Ansatz überwindet die Diastase zwischen
a) der Gottessohnschaft Jesu und der Menschlichkeit des Menschen
b) dem irdischen Jesus und dem Christus des Glaubens bzw. zwischen Geschichte und Dogma
c) Erkenntnisform und objektivem Erkenntnisinhalt des Glaubens
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5. Der anthropologisch-transzendentale wie geschichtliche Ansatz der Christologie
Der Glaubensakt muss als einheitlicher Akt zwei Momente in-
tegrieren:
die Transzendentalität des Geistes auf Gott hin
die Geschichtlichkeit unseres leiblichen Lebens im Mitei-
nander mit anderen.
Der Glaubensakt entspricht auf diese Weise den erkenntnis-
theoretischen Zugangswegen zur Christologie.
Jesus ist in seinem konkreten Gehorsam dem Vater gegenüber
sowie in seiner konkret gelebten Gottes- und Menschenbezie-
hung der Offenbarer.
doppelter Zugang zu dieser integrativen Einheit von Ge-
schichte und transzendentaler Anthropologie
1. Zugangsweg: der Mensch
2. Zugangsweg: verbum caro
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Folie 38
zum 1. Zugangsweg: der Mensch
Aufbau eines subjektiven Bewusstseins aus der wechselseiti-
gen Vermittlung von Wirklichkeit und Denken
Eingelassensein in die Geschichte als Miteinander der Frei-
heitstaten der Menschen
Aufbau von personaler Identität als relationale Größe
Frage nach sich selbst und den transzendentalen Bedin-
gungen seines Denkens
Frage nach dem heiligen Geheimnis, also Gott
G. L. MÜLLER schreibt in seiner Christologie, S. 52:
„Geschichte ist die vom Personsein getragene Vermittlung in
die Unmittelbarkeit zu sich selbst, zur anderen Person und zur
Wirklichkeit überhaupt. Die personale Begegnung ist der ur-
sprüngliche Ort von Wirklichkeitserfahrung.“
Transzendenz Gottes trägt mitten in der Geschichte die
Personkonstitution
Selbsttranszendenz des Menschen als Medium der
Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus
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zum 2. Zugansweg: verbum caro
Als leibliches und geschichtlich situiertes Ereignis vermag
das Wort zutiefst geistige Gehalte der Wahrheit oder des
Lebens zum Ausdruck bringen.
Theologie der Selbstoffenbarung in Christus:
Das ganze Leben Jesu ebenso wie seine menschliche Rede als
Wort der Offenbarung Gottes
So erhält der Mensch auf allermenschlichste Weise Kunde
von Gott:
Ant-Wort auf seine Frage nach Gott
Ant-Wort auf die Fragen des Menschseins selbst.
Als christologische Grundaussage halten wir fest:
Jesus ist die geschichtliche Gegenwartsgestalt der
Selbstoffenbarung Gottes als ganzheitlich-leibliches
Offenbarungs- und Selbstmitteilungswort an den Men-
schen.
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Voraussetzungen und Konsequenzen
1. Eine Voraussetzung negativer Art:
Die vollkommene Kongruenz von Jesu transzendentalem
Identitätsvollzug mit seiner geschichtlichen Lebensgestal-
tung im Sinne seiner Sendung gründet nicht in einer anthro-
pologischen oder kosmologischen Notwendigkeit.
2. Offenbarungstheologische Voraussetzungen:
Wenn Gott als der Absolute sich dem Menschen als
geschöpfliche Person offenbart, dann kann dies nur ein Ge-
schehen aus freier Liebe sein.
Die Person Jesu ist dann ein Hinweis darauf, dass die Perso-
nalität des Menschen in der dreipersonalen Einheit in Gott
gründet und wahre Liebe Personsein voraussetzt und voll-
endet.
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3. Eine Voraussetzung christologischer Art:
Der personbildende Kern dieses Jesus ist seine Lie-
bes-Relation zum Vater, aus der heraus er der ewige Logos,
Selbst-Ausspruch des Vaters, also der Sohn ist.
Alle menschlichen Entscheidungen und alle zutiefst mensch-
lichen Akte sind also geprägt vom Logos in seiner ewigen
Liebes-Relation zum Vater (wahrer Gott und wahrer
Mensch).
Von daher bilden die geschichtliche Seite des Lebens Jesu als
Mensch und der transzendentale Vollzug der Person Jesu in
reiner vollkommener Bezogenheit zum Vater eine nicht lös-
bare Einheit.
4. Eine Konsequenz glaubensmäßig-soteriologischer Art:
Im Glauben als Freundschaft mit Jesus Christus findet der
Mensch die Tiefe seiner eigenen Personalität und Freiheit in
der sich selbst übersteigenden Begegnung mit Gott sowie in
der Begegnung mit den Nächsten mitten in den Akten seines
alltäglichen Lebens.
Gemeinsames Medium dieser Begegnung ist die Liebe.
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6. Erkenntnistheoretische Abschlussbemerkung und Darstel-
lung eines großen Streites
Balthasars Kritik an Rahner
1. Ist die übernatürliche Transzendenz schon Gnaden-
erfahrung? Und wenn ja, ist eine solche Erfahrung bereits
eine Begegnung mit dem personalen Gott und von daher
implizit spezifisch christlich-trinitarisch geprägt?
2. Theologie hat vom geschichtlichen Faktum des Menschge-
wordenen auszugehen, das "jede transzendental-
theologische Relativierung des Ereignisses ... ver-
unmöglicht" und die Schöpfung je schon als theologisch
überformt qualifiziert. Gerade das Kreuz als Mitte christ-
lichen Glaubens ist transzendental nicht einholbar.
3. Die transzendentale Reflexion des kategorialen Erkennens
führt den Menschen nicht über sich hinaus, sondern führt
ihn zu sich selbst als Frage zurück. Es ist deshalb nicht legi-
tim, die christliche Wahrheit in ihrer unableitbaren Einzig-
artigkeit transzendental als vom "anonymen Christen"
immer schon gewusst, weil transzendental vorgezeichnet,
vorwegzunehmen.
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II. Jesus der Christus im Licht des biblischen
Zeugnisses - eine systematische Rückfrage
1. Das Alte Testament
1.1 Das Alte Testament als Verstehenshorizont
der Person Jesu Christi
1.2. Heilserfahrungen im Alten Bund
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1.2.1 Heil als gesegnetes, erfülltes Leben
Ein gelungenes Leben in Gesundheit mit Nachkommen sowie
in einem befriedeten Land in Recht und Freiheit samt einem
intakten Gotteslob galt als ein Leben in Fülle.
(1 Sam 17,26.36; Ps 42,3 , Ps 36,10, Dtn 30,19f; Ez 18,4-9)
1.2.2 Gottes erlösendes Handeln als geschichtlicheBefreiung
Das Heil wird verstanden als Befreiung aus leiblichen, sozia-len, ökonomischen Zwängen.
Rückgriff auf Mittlergestalten wie Mose oder Debora (vgl. Ri 5,2-31; 3,9f; 4,3-10).
Die Herausführung aus Ägypten gilt als Befreiungstat schlechthin, die gegenwärtig gehalten wird
a) im erzählenden Bericht (vgl. Ex 3,7f; 13,17-14 u. ö.), b) in prophetischer Rede (vgl. Hos 11,1; 13,4 u. ö.), c) im Hymnus (vgl. Ps 68; 77f; 105; 107 u. ö.), d) im Kult (vgl. das sog. kleine geschichtliche Credo in
Dtn 26,5-10).
Die Grunderfahrung der Befreiung besitzt handlungs-orientierenden Charakter (vgl. Ex 20,2; Dtn 5,6f vgl. Lev 25,17.38-46).
Das Heil des einzelnen besteht in Errettung aus äußerer oder innerer Not (vgl. Ps 17; 18; 30 u. a.).
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1.2.3 Heil als Herrschaft Jahwes auf dem Zion, im Tempel und in der Davidsdynastie
Der Ort der heilschenkenden Gegenwart Jahwes ist der Tempel, der Zionsberg, ja die gesamte Stadt Jerusalem (vgl. 1 Kön 8,12f; Ps 9,12 und Jes 8,18); dies besingen die Zionslieder (Ps 46; 48; 76; 87).
Jes 7,9 und 28,16 schärfen den Glauben als notwendige Voraussetzung ein.
Die Heilszusage verwandelt sich in Unheilsankündigung (vgl. z. B. Jes 6,9-13; 3,8.16-24; 22,1-14), Schuldanklage und Gerichtsansage (vgl. Mi 1,5.9; 3,10; Zef 1,4.12f; Jer 7,11f; 15,5f; 26,6 u. ö.).
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1.2.4 Sünde, Sühne und gnadenhafte Erlösung
Zur Wiederherstellung der gestörten Ordnungs-verhältnisse gab es im Alten Bund Sühnerituale: Sün-denbockritus (vgl. Lev 16,10.21f); Hingabe des Blutes im stellvertretenden Opfertier (vgl. Lev 17,11): Der Mensch erfährt Entsühnung und befindet sich in einer ge-läuterten Beziehung zu seinem Gott.
Ein vertieftes Sündenbewußtsein im Zusammenhang mit dem Babylonischen Exil führt dazu, daß fast der gesamte Kult als Sühne verstanden wird (vgl. Ez 43,7).
Die prophetische Kult-Kritik seit Hosea warnt davor, den sühnenden Kult als Alibi für fehlende Nächstenliebe zu verstehen (vgl. Hos 6,6; Am 5,21-25).
1.2.5 Das Gericht und neue eschatologische Heilshoffnun-gen
Die Zerstörung Jerusalems samt Tempel und Königtum (587/586) sowie die Deportation ins Exil waren die Kata-strophe schlechthin. Alle Heilshoffnungen brachen zu-sammen (vgl. Ez 16; 20; 23):
Jes 55,6-7; Ez 33,10-20 sind Zeugnisse aufkeimender Heilshoffnung (vgl. Jes 43,18f): die Heimkehr des Volkes als neuer Exodus (vgl. Jes 43,16ff) und die nationale Wiederauferstehung (vgl. Esra 40-48).
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1.2.6 Hoffnung auf eine universale innere und äußere
Erlösung
Das errettende Heil bezieht sich auf ein zukünftig-
eschatologisches Geschehen, das die innersten
Schichten des Menschen erfasst
Zudem soll diese Erneuerung alle Völker, ja den
ganzen Kosmos betreffen.
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1.3 Mittlergestalten des göttlichen Heilshan-delns
Lichtherrlichkeit: kabod; rabbinisch: schechinah
Name
Weisheit (Spr 8-9; Sir 24): chokmah; griechisch: sophia
Wort (dabar; LXX: logos)
Geist Gottes (ruah)
Diese Formen und Medien der Selbstoffenbarung Jah-
wes vergegenwärtigen Gott unmittelbar und sind fast
mit ihm identisch.
Daneben gibt es noch
charismatische Heilsmittlerfunktionen (vgl. Ri 3,10; 6,33f; 1
Sam 11,6) in vorstaatlicher Zeit
ein königliches und priesterliches Mittleramt in staatlicher
Zeit
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1.3.1 Die vorexilische Königstheologie
König als Retter und als Mittler des Segens JHWHs
Prophetische Kritik am Königtum (vgl. Ri 9,8.15; 1Sam
8,6-20; Hos 8,4)
König als der „Gesalbte JHWHs“ (vgl. 1Sam 2,10.35)
Geistbezug
„Messias“ als Titel des Königs
Die Theologie des königlichen Amtes nach Ps 2,6-9:
1. Der König ist nicht naturhaft-physisch Gottes Sohn, son-
dern er wird anlässlich der Inthronisation „heute“ von
Jahwe als Sohn adoptiert; durch diesen Sohn kann Jahwe
sich als wirkmächtig erweisen. Mit Jahwe ist der König
Hirte (2 Sam 5,2) und Hüter seines Volkes, aber auch Is-
raels eigentlicher Priester (Ps 110,4).
2. Außer der Gottessohnschaft werden dem König Weltherr-
schaft und Überlegenheit zugesagt.
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1.3.2 Die messianische Erwartung
- Hoffnung auf den Anbruch einer gerechten und
friedvollen, messianischen Zeit.
- Propheten verheißen zukünftige Herrschergestalt:
Natansankündigung (2 Sam 7,11b.16)
Immanuelorakel (Jes 7,6.13.14)
Jesaja sagt die Geburt eines dynastischen Er-
ben voraus als Unterpfand dafür, dass Jahwe
seinem Volk beistehen werde.
- Die ideale Königsgestalt (Jes 9,1-7):
Altorientalistisches Königsideal
Nähe des Königs zu Gott als Gottes Mittler in
der Welt
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1.3.3 Wechselnde Heilsmittlerhoffnungen in
nachexilischer Zeit
Nach der Zerstörung Jerusalems: Zentrale Rolle des Wortes und der Propheten, als Mittlergestalten.
Ezechiel: Wiederauferstehung des Volkes
Ez 34,23f; 37,24f; 34,25-31; 2,1; 39,29.
Deuterojesaja: Gottesknechtslieder
Jes 42,1-9; 49,1-9c; 50,4-9; 52,13-53,12.
Tritojesaja: Das erwartete Licht der Völker bleibt noch aus, aber der Prophet weiß sich messianisch beauftragt.
vgl. Jes 58,8; 61,1f.
Haggai/Sacharja: eschatologische Begeisterung
Hag 2,23; Sach 3,8; 6,12; vgl. Hag 1,1.
Priesterschrift: Das Priesteramt ist jene Institution, die Israel vor Jahwe vertritt und Jahwes Heil in der Gegen-wart vermittelt
vgl. Lev 21,7f.10.12; Num 35,25.
Deuterosacharja: verheißt den erwarteten König der Zukunft
Sach 9,9f.
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1.3.4 Die Hoffnung auf den „Messias“ bzw. den
Menschensohn
Die frühjüdische Apokalyptik forderte einen völlig
radikalen Neuansatz (vgl. Dan 2,34f.44f.; 3,33).
Dieser Menschensohn ist der kollektive oder individuel-
le Repräsentant des siegreichen Gottesreiches über al-
le weltlichen Imperien.
Er ist die Verbindung zwischen dem transzendenten
Gott und den konkreten geschichtlichen Verhältnis-
sen, die gerichtet werden.
Von daher steht der Menschensohn in einer gewissen
Nähe zur davidischen Königstheologie
So ist in äethHen 46,1-8; 48,6f aus dem Menschensohn
eine individuelle Gestalt von irdischer Herkunft ge-
worden (62,14).
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1.4 Die Offenheit des Alten Bundes
Hans Urs von Balthasar:
Drei Argumente, um die Offenheit des Alten Bundes neu
zu qualifizieren
1. Nachexilisch wird die Geschichtszeit des Bundes
als leere Zeit empfunden Es wird Hungersnöte
geben, weil das Volk keinen Hunger nach Gott
besitzt (vgl. Am 8,11-12); es gibt keine Propheten
mehr (1 Makk 4,46; 9,27).
2. In der ereignislosen Zeit nach dem Exil wurde
das Interesse u. a. auf das Wort gelenkt.
3. Zur Treue am Wort gesellte sich die sühnende
Darbringung des kultischen Opfers. Dazu floss
Blut vom Lebendigen. → Damit offenbart sich
nach Balthasar ein wesentliches Paradox des Al-
ten Bundes offenbart.
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„So ist der Alte Bund innerlich zu ei-
nem zeitlichen Ende hin angelegt, das
allerdings nicht als Zeitlosigkeit, son-
dern nur als das Mysterium des
Ineinsfalls von echter Zeit und echter
Ewigkeit gedacht werden kann: Eintritt
echter Ewigkeit in die Zeit (Mensch-
werdung Gottes), Eintritt echter Zeit in
die Ewigkeit (Auferstehung Christi und
in ihm der Schöpfung).“
(H. U. von Balthasar, Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik.
Bd. III,2,1, Einsiedeln 1967, 380.)
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2. Person und Geschichte Jesu Christi
2.1 Der irdische Jesus
2.1.1 Biographische Daten
Datum Politische Herrscher Ereignisse
7-4 v. Chr. Herodes I (37-4 v. Chr.)
Augustus (27 v. Chr. - 14
n. Chr.)
Geburt in Bethle-
hem (Judäa)
27-28 n. Chr. Antipas, Tetrarch von
Galiläa und Peräa
(4 v. Chr. - 39 n. Chr.)
Tiberius (14-37)
Taufe im Jordan,
Beginn des
öffentlichen Wir-
kens
07.04.30 (?)
um 33
33/35
Pontius Pilatus (26-36) Kreuzigung
Ostererfahrung der
Jünger
Tod des Stephanus
Bekehrung des Pau-
lus
(G. L. Müller, Christologie, in: W. Beinert, Glaubenszugänge Bd. 2, 86.)
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2.1.2 Johannes der Täufer und Gottes
Zorn
Gerichtsbotschaft des Johannes: Mt 3,7-10 parr
(vgl. Am 5,20; Joel 2,2; Zeph 1,15; Jes 13,3.9.13; Ez
7,3.8.19).
Johannes' Umkehrtaufe ist ein endzeitlicher
Akt, der in keiner heilsgeschichtlichen Kontinui-
tät mehr steht.
Wir können davon ausgehen, dass Johannes,
wenn er sich als „Vorläufer“ bezeichnet hat, Be-
zug auf den Messias oder Menschensohn ge-
nommen hat.
Menschensohn: äthHen 46,6; 49,2f; 52; 50,2;
51,2ff; 48,9; 51,1-5; vgl. Herodot 6,19.
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2.1.3 Die Botschaft Jesu
2.1.3.1 Die Gerichtsaussagen in der
Verkündigung Jesu
Die Botschaft vom Gericht ist mit der
Verkündigung Jesu unlösbar verbunden:
vgl. Mt 8,11f; 18,23-34; Lk 10,23f par;
11,31f.
Ein doppelter Gerichtsausgang: Lk
17,20ff (= aus Q); Mk 9,43-48 par; vgl. Lk
12,8f.
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Grundsatzbestimmungen:
a) Indem der Mensch sein eigenes Gottesbild in
den Vordergrund stellt und mit Tora und Kult
von sich aus das Gottesverhältnis gestaltet, wird
er als Geschöpf nicht seiner tieferen Bestim-
mung gerecht.
b) Diese grundsätzlich falsche Lebensaus-
richtung, die zu kurz greift, wird zudem Gott
selbst in seinem Gottsein nicht gerecht. Diesen
Gott bestimmt Jesus vielmehr als den barmher-
zig liebenden Vater (vgl. Lk 15,11ff).
c) Gott ratifiziert nicht einfach in einem ange-
nommenen Letzten Gericht menschliche Le-
bensentwürfe, sondern Jesus propagiert einen
Gott, der durch Jesu Tun seine Güte aufleuch-
ten lassen möchte, damit der Mensch sich er-
neut an der Liebe Gottes ausrichtet.
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2.1.3.2 Die Botschaft von der Herrschaft
Gottes
a) Die Rede von der Herrschaft Gottes im Früh-
judentum
Königsvorstellung Gottes in der Zionstheologie: vgl. Jes 6,1ff;
Zionspsalmen 46; 48; 84; 87; Jahwe-König-Psalmen: 47; 93;
96-99; vgl. für die weitere Wirkungsgeschichte auch Tob 13; Sir
51,12; 2 Makk 1,24-29f.
Offizielle Tempeltheologie: vgl. Jes 6,1ff; vgl. Ps 47,9
Einige Aspekte:
a) Der königliche Gott Israels ist umgeben von einem großen
Hofstaat (vgl. Ps 103,19ff).
b) Als König ist Jahwe Herrscher über alle Völker und deren
Götter (vgl. Ps 2).
c) Er ist König der Erde (vgl. Ps 47,8).
d) Jerusalem als irdischer Regierungssitz symbolisierte zu-
gleich, daß die Zionstadt samt Tempel Thronsitz des Herrn
der Welt ist.
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b) Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft
ba) Zukunft, Gegenwart und Nähe der Gottes-herrschaft
1. Akzent: Die Zukünftigkeit der Gottesherrschaft
Ziel ist die vollendete Gottesherrschaft, aber ihre Dynamik
wirkt schon jetzt, in Jesu Tätigkeit.
2. Akzent: Die Gegenwart der Gottesherrschaft
Die Gegenwart ist Anfang der Heilszeit. Dabei hebt Jesus
aber zugleich die Jetztzeit von der Vergangenheit ab:
- Mt 13,16f = Lk 10,21f
- Mt 11,5f = Lk 7,22f
- Mt 11,11 = Lk 7,28
- Mt 8,21f = Lk 9,50f; Mk 2,21ff
3. Akzent: Die Person Jesu als „Ort“ der anbrechenden
Gottesherrschaft: Lk 10,18; 11,20 par.
Fazit: Jesus sieht die zukünftige Gottesherrschaft sich jetzt
durchsetzen. In seinem Wirken fallen Gegenwart und Zu-
kunft schon zusammen (vgl. Mk 2,18-22).
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bb) Die geschöpfliche Wirklichkeit als Horizont der
Gottesherrschaft
„Für Jesus gibt es ganz unabhängig von der Heils-
geschichte eine fundamentalere und umfassendere
Erfahrungswelt, die angesichts der Verlorenheit
Israels, radikalisiert durch die verbrauchte Heils-
geschichte, gleichwohl für die dem Menschen als
heilsam begegnende Gottesherrschaft durchsichtig
gemacht werden kann, nämlich seine eigene
Geschöpflichkeit und die seiner Welt. Diese Ge-
samtwelt alltäglicher Geschöpflichkeit und nicht
die Heilsgeschichte ist der Horizont, in dem die von
Jesus verkündigte Gottesherrschaft dem Menschen
nahe ist und erfahrbar wird.“2
J. Becker, Jesus von Nazaret, Berlin/New York 1996, 162.
2 Ebd. 162
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bc) Gericht und Errettung
Die Gottesherrschaft ist ein Angebot purer
Liebe, auf die der Mensch keinerlei Anspruch
erheben darf. So unterliegt die Vollmacht,
Sünden zu vergeben, allein der hoheitlichen
Barmherzigkeit des Vaters (vgl. Mk 2,1-12; Lk
7,47; Joh 7,53-8,11 = sekundär).
Gericht: Entscheidung für oder gegen die von
Jesus angesagte Gottesherrschaft (Mt 7,24-27;
24,38-42).
Annahme oder Ablehnung dieser Botschaft
Entscheidung über Leben oder Ruin.
Jetzt ist eine qualifizierte Zeit gegeben, die die
Menschen verpflichtet (Mk 9,43.45.47).
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2.1.4 Vermittlungsweisen der Gottesherrschaft
2.1.4.1 Die Gleichnisreden
“Im Gleichnis spitzt sich die Spra-
che so zu, daß das, wovon die Re-
de ist, in der Sprache selber kon-
kret wird und eben dadurch die
Angesprochenen in ihrer eigenen
Existenz neu bestimmt... Im
Gleichnis ereignet sich etwas, und
zwar so, daß sich dann auch durch
das Gleichnis etwas ereignet.“
(E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 51986, 400.)
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Allegorien leiten von einer Welt in die an-
dere über. Die initiale Erzählebene hat da-
bei dienende Funktion, da das eigentliche
Gewicht mit der unterlegten Welt gegeben
ist (vgl. Mt 22,1-14).
Gleichnisse greifen vertraute Szenen aus
dem Alltag auf. Dieses Vertrauen soll den
Hörer vertrauensvoll zur Nähe des Gottes-
reiches führen.
Parabeln interessieren sich für den beson-
deren Einzelfall. Dabei erhält die alltägli-
che Normalität unerwartete Risse, so daß
die Welt und das Weltverstehen in eine
Krise geraten. So wird Nähe zur un-
gewöhnlichen Botschaft Jesu erzeugt.
Beispiel: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32)
Gleichnis Allegorie
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1. Es gibt nur ein tertium comparationis zwischen Bild- und Sachhälfte, die jeweils als ganze auf-einander zu beziehen sind (sog. "one-point-approach").
1. Es gibt viele Vergleichs-punkte zwischen Bild- und Sachhälfte (vgl. die Punkt-für-Punkt-Auslegung Mk 4,13-20; Mt 13,36-43).
2. Das Gleichnis ist aus dem Vergleich entstanden, bei dem Bild und Sache neben-einander stehen und durch die Vergleichspartikel "wie" verbunden werden.
2. Die Allegorie entsteht aus der Metapher, bei der das Bild die Sache ersetzt. Alle-gorien enthalten eine Metaphernkette, bei der je-des Glied für sich übersetzt wird.
3. Die verwendeten Bilder sind realistisch und entsprechen alltäglicher Erfahrung.
3. Die verwendeten Bilder sind künstlich und konstruiert. Sie widersprechen alltäg-licher Erfahrung (vgl. das Tier mit den sieben Hör-nern aus Dan 7).
4. Die Sachaussage ist all-gemein verständlich, die bildliche Form dient der Anschaulichkeit. Gleich-nisse sind kommunikativ.
4. Der Inhalt ist nur Ein-geweihten verständlich, die über einen "Schlüssel" zum Verstehen verfügen (vgl. die Parabeltheorie Mk 4,10-12). Allegorien sind esoterisch und darum exklusiv.
5. Die Gleichnisse gehen auf den historischen Jesus zu-rück, der sich an alle Men-schen gewandt hat.
5. Die Urgemeinde (und die ganze spätere Kirche) deu-tete die Gleichnisse als Alle-gorien.
(Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen, 1996, 292f.)
Gleichnisse
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"Gleichnisse (i. e. S.) unterscheiden sich von Ver-gleichen und Bildworten durch die Ausführlichkeit der Bildgestaltung... Sie schildern ein wiederkehrendes, typi-sches Geschehen, das (meist) im Präsens dargestellt wird. In der Argumentation knüpfen sie oft an das Selbstverständliche an, das überall Konsens findet. Klassische Beispiele sind z. B. die Gleichnisse vom Senf-korn und Sauerteig (Mk 4,30-32)."
Parabeln
"Parabeln dagegen erzählen (im Aorist) einen unge-wöhnlichen Einzelfall und argumentieren gegen den Konsens. Sie fordern zu einer Stellungnahme zu dem berichteten ungewöhnlichen Verhalten heraus und wol-len dadurch auch auf der Sachebene eine Einstellungs- und Verhaltensänderung bewirken. Die Übergänge zwi-schen den verschiedenen Formen sind fließend. So be-gegnet im Gleichnis von der selbstwachsenden Saat ein typisches, wiederkehrendes Geschehen in der Form ei-ner Erzählung - Jülicher rechnet die Perikope zu den Parabeln, Bultmann dagegen zu den Gleichnissen (i. e. S.)." (Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen, 1996, 295.)
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2.1.4.2 Mahlgemeinschaft als Aufnahme in die
Gottesherrschaft
Alttestamentlich: Jes 25,6; vgl. Ps 132,15; 146,7; 147.
Jesu Gastmähler sind Ereignisse der ankommenden
Gottesherrschaft selbst:
Mt 11,18f = Lk 7,33f.; Lk 10,7 = Mt 10,11; Lk 14,15-24 =
Mt 22,1-10
Mk 1,31; 2,15ff; 2,18ff; 3,20; 7,1ff; 14,3ff; Lk 8,1-3;
10,8.38ff; 13,26; 14,1ff; 15,1f.
Besondere Charakteristika:
1. Sie stehen im eschatologischen Horizont der
angebrochenen Gottesherrschaft.
2. Sie integrieren Ausgestoßene und Sünder (vgl.
Mt 5,3 par; 11,5 par; vgl. Lk 14,21 par; vgl. Mt
11,19 par).
3. Sie werden mehrfach gefeiert.
Kritik gesetzestreuer Juden: Mk 2,15-17 par; Mk 7,1-23 par;
Lk 15,1ff (vgl. Mt 11,19 par; Mt 22,9f par).
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2.1.4.3 Wunderheilungen
a) Zeichen des anbrechenden Gottesreiches mitten in der
Welt.
b) Zeichen für die Sendung und Vollmacht Jesu, der sich
in der Sendung des Vaters weiß.
c) Sie verweisen auf das ganzheitliche Heil, das dem
Menschen verheißen ist und das in Jesu wundersa-
mem, heilendem Tun bereits proleptisch vorweg auf-
leuchtet.
Zwischen den Wunderberichten und deutenden
Logien ist zu unterscheiden.
Legendäre Wunderberichte wollen:
a) die Lehrvollmacht Jesu begründen (Mk
1,21-27)
b) urgemeindliche Lebensnormen fundieren (Mk
3,1-6 par)
c) oder sie dienen der Gemeindeparänese (Mk
8,22-26).
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Folie 69
Negativ scheiden folgende Wundertypen als
nicht jesuanisch aus:
- Selbsthilfewunder (vgl. Mt 4,5-7 par Mk 15,31f
parr)
- Strafwunder (vgl. Lk 9,52-55; Apg 5,1-11)
- Christologische Epiphanien (Mk 1,9-13 parr,
6,45-52 parr; 9,2-10 parr)
- Wunder an der außermenschlichen Schöpfung
(Mk 6,32-44 parr; 8, 1-10 par; Joh 2,1-10)
- Totenerweckungen (Mk 5,21-43 parr; Lk 7,11-
17; Joh 11,1-44)
- Normative Einschübe in Wundergeschichten
sind zu isolieren und als Einschub wahrzu-
nehmen (vgl. Mk 2,1-12; 3,1-6).
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Positiv liegt bei den Therapien (z. B. Mk 1,29-31
parr; 1,40-45 parr) und Exorzismen (vgl. Mk 1,21-
28 parr; 7,24-30 par) wohl ursprüngliche Jesus-
wirklichkeit vor.
Wortüberlieferung (Logien) mit z. T. echtem
Jesusgut:
- aus der Logienquelle: Lk 7,22f par; 10,13-15 par;
10,23f u. ö.
- aus Markus: 3,4 parr; 3,21 parr; 3,23-27 parr u. ö.
- aus dem Lk-Sondergut: Lk 4,25-27; 10,18; 13,32.
Fazit: Die Wundertätigkeit Jesu hat für das Wir-
ken Jesu als konstitutiv zu gelten, und zwar als
Vermittlungsweise der Gottesherrschaft.
Diese Herrschaft will das Heil und die Befreiung
des ganzen Menschen. Dies realisiert Jesus durch
sein therapeutisches Tun in proleptischer Weise.
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Folie 71
Kann man in unserer heutigen moder-
nen, naturwissenschaftlichen Welt die
Rede vom Wunder noch aufrechterhal-
ten?
"Mit der Kontingenz des Geschehens ist ... ei-
ne unmittelbare Beziehung jedes einzelnen
Ereignisses auf den göttlichen Ursprung aller
Dinge gegeben, unbeschadet aller Beteiligung
von geschöpflichen ‘Zweitursachen’ an dem,
was geschieht. Weil es nicht selbstverständlich
ist, dass überhaupt etwas geschieht, darum ist
nicht nur das Entstehen, sondern auch und
erst recht der Fortbestand der kreatürlichen
Gestalten und Zustände in jedem Augenblick
wunderbar.“
(W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 2, Göttin-
gen 1991, 62f.)
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Philosophisch-theologische Ebene:
a) Zum Wunder gehört auf der phänomenalen Ebene
das Außerordentliche, das Staunen erregt. Dieses Er-
eignis ist jedoch für sich vieldeutig. Eindeutigkeit er-
hält es erst durch die Verkündigung, die im Glauben
anerkannt wird.
b) Zum Wunder auf der religiösen Ebene gehört, dass es
einer persönlichen Initiative jenes Gottes entspringt,
der uns Menschen personal ansprechen und in seine
Gemeinschaft führen will. Diese Anrede verleiblicht
sich auf vielerlei Weise.
c) Diese Verleiblichung geschieht durch geschöpfliche
Zweitursachen (z. B. Tun und Wort Jesu), wobei es zu
einer eigenartigen Steigerung von geschöpflicher Reali-
tät und göttlichem Handeln kommt.
d) Aufgrund der geschöpflichen Vermittlung ist ein
Wunder in sich vieldeutig. Es ist somit zugleich Ent-
scheidungsraum des Glaubens.
(Vgl. W. Kasper, Jesus der Christus 111f.)
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2.1.5 Die Sendungsautorität Jesu
2.1.5.1 Der Anspruch Jesu und sein Wissen
Dass Jesus sich selbst einen hohen autoritativen Anspruch gegeben hat, können wir aus folgenden neutestamentlichen Fakten ersehen:
a) Er übt Tischgemeinschaft und realisiert so eine umfassende, befreiende Schöpfungsgemeinschaft mit allen Menschen. Er handelt an Gottes Stelle (als Finger Gottes).
b) Er verkündigt mit einer Autorität, die sich sogar über die Tora stellt. Diese Vollmacht gründet in ihm selbst (vgl. Mk 1,22.27).
c) Er ruft Jünger in seine Nachfolge; an ihm ent-scheidet sich die Stellungnahme des Menschen dem Reich Gottes gegenüber. Die Berufung (vgl. Mk 1,17) geschieht frei und souverän (vgl. Mk 3,13).
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2.1.5.2 Die Hoheitstitel
a) Jesus als Messias
Die Frage, ob Jesus selbst diesen Titel für sich verwandt hat, lässt sich an folgenden Stellen entscheiden:
Petrusbekenntnis in Mk 8,27-33 parr
Kunstprodukt des Markus
Streit um die Davidssohnfrage in Mk 12,35-37 parr
eindeutig nachösterlich
Bekenntnis Jesu vor dem Synedrium in Mk 14,60-64 parr
markinische Redaktion
Resümee:
Erst von der nachösterlichen Bekenntnisbildung her wird der Messiastitel auf Jesus übertragen. Die verschiedenen Konzepte, die dabei angewandt werden, verweisen darauf, dass Jesus selbst hier keine Vorgaben gemacht hat. Die ältesten Spuren solcher Bekenntnisbildung in Röm 10,9; 1 Thess 1,10 zeigen darüber hinaus, dass diese Traditionen die christologische Hoheit Jesu erst mit Ostern be-ginnen lassen.
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b) Jesus und der Menschensohn
Der Begriff Menschensohn begegnet exklusiv nur in Je-sus-Logien. Keine andere Person spricht vom Menschen-sohn. Allerdings spricht Jesus vom Menschensohn nie in Ich-Form, sondern nur in Er-Form. Diese Distanzierung, wie sie z. B. in Lk 12,8 vorliegt, lässt den Eindruck ent-stehen, als handle es sich um zwei verschiedene Personen.
Nach den Synoptikern nimmt Jesus keine andere Bezeich-nung für eine endzeitliche Hoffnungsgestalt in den Mund.
Die nachösterliche christologische Konzeption umschreibt Jesus sehr kräftig in der Funktion des Menschensohnes, der an Ostern erhöht wurde, aber bald wiederkommen wird, um Gericht zu halten. Dabei wird jedoch der Titel „Menschensohn“ nicht direkt auf Jesus übertragen (1 Kor 16,22; 1 Thess 1,9f; 4,13ff).
Fazit:
Einige Menschensohnworte werden wohl auf Jesus selbst zurückgehen. Aufgrund dieser Vorgabe hat sich dann nachösterlich zunächst die Christologie als Menschensohn-christologie entfaltet. Dennoch liegt es nahe, dass Jesus mit dem Menschensohn jemand anderes als sich selbst gemeint hat (vgl. Lk 12,8).
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Die Menschensohnchristologie der Synoptiker beschreibt
die Hoheit Jesu auf dreifache Weise:
1. Der Menschensohn muss leiden und auferweckt werden
(vgl. Mk 8,31 parr; 9,31 parr; 10,33f parr; Mk 9,9 = Mt 17,9;
Mk 10,45 = Mt 20,28; Mk 14,21 parr; Mk 14,41 = Mt 26,45)
2. Darüber hinaus gibt es Aussagen vom gegenwärtig wir-
kenden Menschensohn. Sie sind an der Vollmacht Jesu
als Menschensohn interessiert (vgl. z. B. Mk 2,10 parr;
2,28 parr; für die Logienquelle: Mt 8,20 = Lk 9,58; Mt 11,19
= Lk 7,34).
3. Schließlich gibt es Aussagen über den kommenden Men-
schensohn, in denen die frühjüdischen Elemente am
deutlichsten spürbar sind. Jesu Autorenschaft ist hier
wahrscheinlich (vgl. Lk 17,26-30 = Mt 24,37-41).
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c) Jesus, der Sohn Gottes
Die sich ausfaltende Rede vom Gottessohn bot der
frühesten Christologie mehrere Möglichkeiten:
Das innerste Persongeheimnis, die Sendungs-
autorität Jesu konnte anschaulich zur Sprache ge-
bracht werden: Als menschgewordener Gottes-
sohn ist er das Bild des unsichtbaren Gottes (vgl.
Joh 1,14).
Den Titel konnte man im Rekurs auf das
Natansorakel in 2 Sam 7,12-14 bzw. Ps 2,7 mit den
Messiasaussagen sowohl auf den leidenden Gerech-
ten wie auch auf den erhöhten Messias Jesus über-
tragen.
Schließlich konnte man vom Titel des „Gottessoh-
nes“ aus die Linien zur Schöpfungsmittlerschaft
und zur Präexistenz ziehen.
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„Wie die Texte zeigen, ist ‘der Vater’ und ‘der
Sohn’ in der Regel nebeneinander angewandt wor-
den. Von dem Sohn wird dort gesprochen, wo auch
die Vaterschaft Gottes ausdrücklich genannt ist. Es
geht um das Aufeinanderbezogensein von Vater
und Sohn. ‘Der Sohn’ ist Jesus vom Vater her, und
‘der Vater’ ist Gott wegen und durch den Sohn.
Man wird noch präzisieren können: die Sohnschaft
Jesu ist von der einzigartigen Stellung und ihm
verliehenen Vollmacht her zu verstehen.“
Ferdinand Hahn, Christologische Hoheitstitel, Göttingen 31966, 327.
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2.1.6 Der Tod Jesu
2.1.6.1 Der aufbrechende Konflikt: Umgang
mit der Tora
Autoritäten im Judentum: Tora und Kult
Jesu Verkündigung der basileia tou theou
→ absoluter Neuanfang
Die Gottesherrschaft ist der Tora gegen-
über vorrangig
Die Sabbatkonflikte Jesu
Mk 3,6: „Da gingen die Pharisäer hinaus und
fassten zusammen mit den Anhängern des Hero-
des den Beschluss, Jesus umzubringen.“
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2.1.6.2 Der Anfang vom Ende: der Tempel-
protest
J Gnilka und H. Merklein: Tempelprotest war
eine reale Tat Jesu.
Jesus greift nicht den Tempel als solchen an,
sondern er kritisiert die Art und Weise, wie
die Menschen mit der Gegenwart Gottes im
Tempel umgehen (kultische Vorgänge im Ju-
dentum).
Jesu Tempelaktion = frontaler Angriff auf das
Judentum der damaligen Zeit.
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2.1.6.3 Das Letzte Abendmahl
Ritus Gebete
1. Becher: Eingießen von Wein u. Wasser
Auftragen der Vorspeise
2 Segensgebete (Hausvater od. vor-nehmster Gast)
2. Becher: Auftragen des Haupt-gerichtes (Passahlamm, ungesäuer-tes Brot, grüne Bitterkräuter)
Dankgebet (Hausvater), Hände-waschung Verkosten und Austeilen der Speisen Frage eines Kindes (Gastes): "Wa-rum ist diese Nacht verschieden von allen Nächten?" - Verlesung der Passah-Haggada (Auszug aus Ägypten) - Rezitation des großen Hallel I (Pss 113; 114,1-8)
Leerung des 2. Bechers Essen der Hauptmahlzeit
Händewaschung, Lobgebet
3. Becher: Mischung des Bechers,
der nun herumgereicht wird
4. Becher: Mischen und Trinken
Dankgebet (daher: Kelch des Segens) Rezitation des großen Hallel II (Pss 115-118
[G. Koch, Sakramentenlehre - Das Heil aus den Sakramenten, in: W. Beinert (Hrsg.), Glaubenszugänge. Bd. 3, 426f (Schaubild erstellt von W. Beinert).]
Jesu Brot-Handlung
Jesu Wein-Handlung
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„Er hinterläßt seiner Jüngerschaft ein Mahl,
in dem die Menschen des kraft seines Todes
eröffneten Bundes mit Gott als Anwärter
des endgültigen Gottesreiches teilhaftig
werden und in dem er im Zeichen des Brotes
unter ihnen bleibt. Jesus hat somit seinem
Tod eine heilseffiziente Wirkung zu-
gesprochen, die aber in ihrer Ausrichtung
auf das Reich Gottes gesehen werden muß.“
J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus (1-8,26) (EKK II/1),
288.
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Mk 14,22-24: 22Während des Mahls nahm er das Brot und sprach
den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es
ihnen und sagte: Nehmt, das ist mein Leib. 23Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet,
reichte ihn den Jüngern, und sie tranken alle da-
raus. 24Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut, das Blut
des Bundes, das für viele vergossen wird.
Mt 26,26-28: 26Während des Mahls nahm Jesus das Brot und
sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot,
reichte es den Jüngern und sagte: Nehmt und eßt;
das ist mein Leib. 27Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet
und reichte ihn den Jüngern mit den Worten:
Trinkt alle daraus; 28das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele
vergossen wird zur Vergebung der Sünden.
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Lk 22,19f: 19Und er nahm Brot, sprach das Dankgebet, brach das
Brot und reichte es ihnen mit den Worten: Das ist
mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu
meinem Gedächtnis! 20Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sagte:
Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut, das
für euch vergossen wird.
1 Kor 11,23-25: 23Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch
dann überliefert habe: Jesus, der Herr, nahm in der
Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot, 24sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das
ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächt-
nis! 25Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und
sprach: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem
Blut. Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Ge-
dächtnis!
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Für die innerste Personalität Jesu bedeutet dies ein mehrfa-
ches:
Im Angesicht des Todes und im Hinblick auf die eigene
absolute Hilflosigkeit und Ohnmacht bewährt sich noch-
mals Jesu relationales Selbstverständnis zum Vater hin.
Für die Soteriologie bedeutet dies: Der letzte Heils/sinn
dieses Sterbens liegt nicht in einem dar-zu-bringenden
Opfer, sondern es liegt in der Hingabe aus Liebe.
Der Vater lässt es zu, dass der menschgewordene Logos
durch seinen Tod nochmals die radikale Ablehnung der
Menschen von innen einholt. Jesus, der Mensch, entspre-
chend geht seine letzten Schritte im Gehorsam gegenüber
der väterlichen Sendung.
Durch die Selbsthingabe des Menschen Jesus, auch in den
Heilswillen Gottes hinein, vollendet sich die totale Liebe
für die Verlorenen.
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2.1.6.4 Prozess und Hinrichtung
2.1.6.5 Ansätze zu einer Theologie des
Kreuzestodes
a) Grundsatzüberlegungen
b) Neutestamentliche Interpretationswege
Nach Röm 8,32 wie auch nach Joh 3,16; 10,17-18 erwirkt die „Dahingabe“ des „Sohnes Gottes“ „für uns alle“ die Versöhnung: Opferlamm (vgl. Joh 1,29; 1 Kor 5,7); der Opferpriester (vgl. Hebr 3,14ff und 9,14), Sühnende (vgl. Röm 3,25), Rechtfertigende (Röm 5,9), der den Neuen Bund Besiegelnde (Mt 26,28 parr und 1 Kor 11,25).
Jesu Hingabe für uns geht bis zu einem Platztausch. Der Preisgegebene wird „zur Sünde gemacht“ (2 Kor 5,21) und „zum Fluch“ (Gal 3,13), damit wir „Gottes Bundesgerech-tigkeit werden“ (vgl. 2 Kor 8,9; Joh 1,29; Röm 5,18; 6,3ff).
Die Frucht des Versöhnungsgeschehens kann als Befreiung des Menschen verstanden werden: aus der Sklaverei der Sünde (Röm 7; Joh 8,34), des Teufels (Joh 8,44), „des Ge-setzes der Sünde und des Todes“ (Röm 8,2) durch das „Lö-segeld“ (Mk 10,45 par) des Blutes Christi (vgl. 1 Kor 6,20; 7,32; 1 Petr 1,18f).
Jesu Tod ist Befreiung zur Mit-Sohnschaft (vgl. Eph 1,5ff), indem wir „Glieder seines Leibes“ werden (1 Kor 12; Eph 4 u. ö.). Mit dem Geist Christi begnadet, dürfen wir Gott un-
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seren Vater nennen (vgl. Gal 4,6f; Röm 8,10-17; Gal 5,13.18-25; Joh 8,31f).
Aufgrund der erbarmenden Liebe des Vaters (vgl. Röm 8,39) und Christi (ebd. 35) ist der Sohn vom Vater „für uns alle dahingegeben“ worden (ebd. 32). Die übergroße Liebe Gottes zur Welt hat ihn bewogen, seinen Sohn preiszugeben (vgl. Joh 3,16) und auf diese Weise die Welt mit sich zu ver-söhnen (2 Kor 5,19; Kol 1,20).
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c) Die Rede vom „stellvertretenden Sühneopfer“
"Bei Paulus begegnet ein eindeutiger Zusammenhang zwi-schen der Versöhnungsvorstellung und dem Stellvertre-tungstod Jesu. Dieser Zusammenhang ist vorpaulinisch nicht nachzuweisen. Erst Paulus hat ihn hergestellt, indem er die profane katalassein-Vorstellung, die schon in der vor-paulinischen Tradition eine Rolle spielte (2 Kor 5,19a.b), mit der ebenfalls der vorpaulinischen Tradition entstam-menden Vorstellung von Christi Tod 'für uns' verknüpfte (2 Kor 5,14.21; Röm 5,6-8). Mit den neutestamentlichen Tex-ten wollen wir vom Tod Christi 'für uns' bzw. 'für unsere Sünden' als stellvertretendem Sühnetod reden. Wenn man hier nun den Begriff 'Sühne' einführt, bringt man die Sache allerdings auf einen Nenner, der in den paulinischen Texten selbst fehlt, da die Sühneterminologie an keiner Stelle mit Für-uns-Wendungen verbunden ist. Solange diese Tatsache beachtet wird und man sich darüber im klaren ist, dass die Vorstellung von Jesu Tod für uns traditionsgeschichtlich der deutero-jesajanischen 'Sühne'-Vorstellung, einer Son-derausprägung der alttestamentlichen Sühnevorstellung, entliehen ist, kann man vom stellvertretenden Sühnetod Christi als dem Ermöglichungsgrund der paulinischen Ver-söhnungsvorstellungen reden. Paulus interpretiert die Ver-söhnungsvorstellungen so, daß Versöhnung durch den stell-vertretenden Sühnetod Christi ermöglicht wird ...".
(Cilliers Breytenbach, Versöhnung. Eine Studie zur paulinischen Soteriologie (WMANT 60), Neukirchen-Vluyn 1989, 221.)
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ca) Prinzip Stellvertretung
exklusive Stellvertretung
Eine Leistung wird vollkommen von einem Vertreter
abgegolten und braucht von dem Vertretenen nicht
mehr erbracht werden. Eine solche Vorstellung ent-
spricht jedoch nicht dem neutestamentlichen Befund.
inklusive Stellvertretung
Jesus wird verstanden als Repräsentant der Menschheit
insgesamt, so daß sich an ihm paradigmatisch vollzieht,
woran wir proleptisch, das heißt im Spannungsfeld von
Gegenwart und Eschaton, Anteil haben (vgl. Röm 6,5;
vgl. 2 Kor 5,14.17f; Röm 6,13f).
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cb) Sühne als theologische Kategorie
Gott als Subjekt des Sühnegeschehens
Trinitarischer Rahmen der Stellvertretung Jesu
Eröffnung neuer Gottesgemeinschaft für den Sünder
Dahlfert, Der Gekreuzigte Auferweckte, S. 271:
„Von der Heilsbedeutung des Todes Jesu zu sprechen heißt, von diesem Tod so sprechen, daß das zur Sprache kommt, was das Neue Testament von ihm zu sagen sucht, wenn es ihn als Sühneopfer zur Sprache bringt.“
die kultkritische Pointe
Nach Hartmut Gese ist Sühne die Inkorporation in die Gemeinschaft mit Gott, also Wiederherstellung des Le-bens-Kontaktes.
Als eschatologische Sühne Chisti ist das Handeln Gott universal entschränkt, d.h. ein für allemal geschehen (vgl. 1Joh 2,2).
Dahlfert spricht von einer Identitätsübertragung im Glauben, durch die der Tod Jesu für uns zum Heil wird, d.h. uns an der eschatologischen Nähe Gottes Anteil gibt.
Ihre Voraussetzung ist die Inkorporation Gottes in Jesus bis zu seinem Tod am Kreuz.
An die Stelle der das alttestamentliche Opfer strukturie-renden Elemente von Konsekration und Inkorporation treten also Gottes Liebeshandeln und der Glaube.
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Folie 91
Die bleibende anthropologische Relevanz der Sühne
Menschen sind bereits vorbewusst aufgrund ihrer Leiblichkeit und im Blick auf das Geheimnis ihres Seins untereinander verbunden.
Die ontologische Verbundenheit lässt sich mit dem Göttlichen, das uns auf Gologotha offenbart wurde in Beziehung setzen.
Dann kann unsere Solidarität für andere als Sendung durch jenen verstanden werden, der, in Solidarität mit uns, sühnend für uns ans Kreuz gegangen ist - aus Liebe.
Fazit:
Der Begriff der Sühne ist von der Solidarität der Menschen untereinander sowie von der Proexistenz Christi her zu ver-stehen.
Dabei wird dem Menschen nicht seine Verantwortung abge-nommen; er bleibt unvertretbar.
Wohl aber wird dem Menschen dort beigestanden, wo er mit seinen eigenen Möglichkeiten am Ende ist, so dass er aufs neue seiner Verantwortung in Freiheit und Liebe gerecht werden kann.
So ist der Mensch in der stellvertretenden Sühne eines ande-ren getragen und umgriffen vom Mit-Sein des anderen.
An der Stelle unseres Versagens befreit uns Christus.
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d) Trinitarische Ausfaltung (Hans Urs von Balthasar)
Wie kommen im Fokus des Kreuzes Liebe und Sünde überein?
1. These:
In Christus als Bruder der Menschen ist der Mensch ernstgenommen. Gerade in seiner sündhaften Situation ist die Befreiung von ihm selbst her nicht mehr möglich, weshalb Jesus stellvertretend für uns diese Befreiung in Liebe bewirkt.
2. These:
Der eigentlich Handelnde im Kreuzesdrama ist und bleibt Gott, der damit seinem innersten Wesen ent-spricht und so auch seiner fehlgegangenen Schöpfung treu bleibt, um sie zu ihrer eigentlich vorbestimmten Vollendung zu führen.
3. These:
Die absolute Liebe Gottes in Jesus läßt sich so sehr auf das Ränkespiel sündhafter Weltstrukturen ein, daß die Sünde von innen heraus aufgesprengt werden kann, wo-von allerdings erst der Sieg der Auferstehung Zeugnis ablegt.
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Folie 93
2.2. Der auferweckte und erhöhte Christus
2.2.1 Der neutestamentliche Befund
2.2.1.1 Alte Bekenntnisformeln
a) Eingliedrige Auferweckungsformeln
„Gott, der Jesus aus (von) den Toten auferweckt hat“ oder „Gott hat Jesus aus (den) Toten auferweckt“: 1 Thess 1,10; Gal 1,1; 1 Kor 6,14; Röm 4,24; 8,11; Apg 2,24.32 u. ö.;
passivisch: Röm 6,4.9; 7,4; 1 Kor 15,12.20; Mk 16,6 par u. ö.;
als Auferstehungsformel: 1 Thess 4,14; Mk 8,31 par; 9,9f. 31 par; 10,34 u. ö.
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b) Ausgestaltete Auferweckungsformeln
Die Auferstehungsformeln wurden erweitert
1. auf die alles auslösenden Erscheinungen hin: 1 Kor 14,4f; Lk 24,34; Apg 10,39 u. ö.
2. im Hinblick auf die gegenwärtige Heilsmittlerstellung des erhöhten Herrn: Röm 1,3f; 10,9; 8,34 u. ö.
3. im Hinblick auf sein Sterben: 1 Thess 4,14; Röm 8,34; Mk 8,31 u. ö. und dessen soteriologische Bedeutung: 1 Kor 15,3-5; Röm 4,25 u. ö.
4. im Blick auf Taufe und Bekehrung: Röm 6,3f; Kol 2,12f; Eph 2,5f; 5,14 sowie auf die eigene Auferstehung der Christuszugehörigen: 1 Thess 4,13ff; 1 Kor 15,12ff u. ö.
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2.2.1.2 Späte Ostererzählungen
a) Die Erzählungen vom leeren Grab
Ob das Grab nun leer war oder nicht, ist historisch umstrit-ten:
1. Da Frauen, die das Grab entdeckten, nach jüdischem Recht nicht zeugnisfähig waren, ist der Bericht keine Legende. Aber: Nach V. 8 besteht die Aufgabe der Frauen nicht im Zeugnis-geben; überdies könnte diese Erzählung im hellenistischen Mi-lieu entstanden sein, wo Frauen durchaus Zeugnisrecht hat-ten.
2. Die Zeitangabe am dritten Tag bzw. nach drei Tagen (vgl. Mk 14,58) stimmt überein mit der Aussage „am ersten Tag der Woche“ (z. B. Mk 16,1), also der Gemeindezusammenkunft, die nicht mehr am Sabbat, sondern am Sonntag stattfand. Aber: Die Zeitangabe „am dritten Tage“ z. B. in 1 Kor 15,4 ist eine theologische Aussage, wonach Gott seinen Getreuen nicht länger als drei Tage allein lässt (Hos 6,2).
3. Die jüdische Polemik hat das leere Grab nicht bestritten, son-dern nur anders gedeutet (vgl. Mt 28,15; Joh 15,20). Aber: Diese Texte gehören einer späteren Reflexionsstufe an.
4. Die Auferstehungsbotschaft hätte sich nicht in Jerusalem hal-ten können, hätte es den Leichnam im Grab gegeben. Aber: Ein solches Zeigen des Leichnams war nicht möglich, nicht einmal für den Fall, dass das Grab leer war. Denn das Öffnen des Grabes war weder den Freunden noch den Gegnern Jesu zuzutrauen.
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b) Die Erscheinungserzählungen
Sichtet man die Erscheinungserzählungen, so sind vier Motive zu eruieren:
1. Bestätigung der Auferstehung durch die persönliche Erscheinung des Herrn.
2. Beauftragung und Sendung (vgl. Mt 28,16-20; Lk 24,36-49; Joh 20,19-23). Aus der personalen Begegnung (Mt 28,18; Lk 24,36b.45f; Joh 20,19.21) erfolgt die Sendung (vgl. Mt 28,19f; Lk 24,47f; Joh 20,21b), verbunden mit der Verheißung einer bleibenden Gegenwart des Erhöh-ten (vgl. Mt 28,20; Lk 24,49; Joh 20,22).
3. Wiedererkennung: Lk 24,13-31; Joh 21,4b.9.12f; Joh 20,24-29; Lk 24,33-35; Joh 20,24; Lk 24,31; Joh 20,17a.29; Lk 24,15f; Joh 20,14ff; Lk 24-30-32; Joh 21,12f; Mt 18,20.
4. Identitätsbeweis aufgrund vorangegangenen Zweifels, insbesondere bei Lk und Joh (Lk 24,36-43; Joh 20,19f.24-29), bei dem die Pole Unberührbarkeit und Berührbarkeit einen dialektischen Zusammenhang bil-den (vgl. Lk 24,39; Joh 20,20.27).
Fazit:
Älter als alle Ostererzählungen, ob Grabes- oder Erschei-nungserzählungen, ist die Überzeugung, daß der Gekreu-zigte lebt und den Jüngern begegnet ist.
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Folie 97
Auferstehung und Erscheinungen Jesu: Historisch konstatierbare Sachverhalte
öffentliches Wirken Jesu Tod Jesu am Kreuz (vgl. Dtn 21,23) ca. 30 nC Flucht/Heimkehr nach Galiläa Wende im Jüngerverhalten auslösendes X ? Rückkehr nach Jerus./Urgemeinde/
? Behauptung der Auferweckung Jesu: eingliedrige Auferweckungsformel (z. B. Röm 4,24; 10,9; Apg 2,32; Mk 9,9f; Mt 28,7) mehrgliedrige Auferweckungsformeln (z. B. Röm 4,25; 6,3f; 8,34; 1 Kor 15,3-5; Lk 24,34) Behauptung von Erscheinungen ca. 35/37: Paulus sieht Petrus + Jakobus in Jerusalem (15 Tage) ca. 50/51: Paulus gibt den Kor die erhaltene Tradition weiter: 1 Kor 15,3-5: Christus gestorben (Aor.) für unsre Sünden ndS begraben (Aor.) auferweckt (dur. Perf.) am 3. Tag ndS erschienen (Aor.) dem Kephas, dann den Zwölfen; 15,6-7 500, Jakobus, allen Aposteln; (15,8f fügt Paulus an: zuletzt auch mir) Gal 1,12.15f; 1 Kor 9,1; Phil 3,8-12 Grabfindungserzählungen (Jerusalem) Mk 16,1-8 (ca. 70) Mk 16,7 Erscheinungserzählungen (Galiläa) (Beauftragung oder Rekognition) Lk 24,1-11 Mt 28,1-15 Mt 28,16-20 Lk 24,13-53 Joh 20,1-18 (12) Joh 20,19-29 21,1-23 Mk 16,9-16 (Hans Kessler, Sucht den Lebenden nicht bei den Toten. Die Auferstehung Jesu Christi in bi-blischer, fundamentaltheologischer und systematischer Sicht, Würzburg 1995, 158.)
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Folie 98
2.2.2 Hermeneutische Voraussetzungen zur Entste-hung des Auferstehungsglaubens
Niemand ist unmittelbarer Zeuge des Auferstehungs-ereignisses gewesen.
Wenn das NT hier dennoch Brücken schlägt, so mit Hilfe der Kategorie der Begegnung.
Auslösender Faktor sind (nach dem vorpaulinischen Traditionsstück in 1 Kor 15,3-7) die Erscheinungen.
Handelndes Subjekt ist in dem ganzen Geschehen Gott bzw. Jesus, und von diesem Initialereignis her wird der Auferstehungsglaube in den Jüngern grundgelegt.
Paulus qualifiziert den Inhalt dieses Widerfahrnisses in Gal 1,15f als Offenbarung Jesu als Sohn Gottes.
Diese Beschreibungen im NT verbieten es, den Oster-glauben von psychologisch bedingten, subjektiven Vi-sionen der Jünger herzuleiten.
Von dieser Erfahrung her kann man dann rückwir-kend sagen, dass die Auferstehung ein historisches Er-eignis ist, also ein Ereignis, bei dem der tote Jesus als Mensch dieser Welt in das Leben Gottes übergegan-gen ist.
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2.2.3 Inhalte des Auferweckungsglaubens in
systematischer Perspektive
2.2.3.1 Zum Zeugnis berufen
2.2.3.2 Sprachmodelle für die Auferweckung Jesu
a) Sprachmodell: Auferstehung
bezeichnet ursprünglich den Akt des Aufrichtens oder Aufste-hens vom Schlaf oder von einer Krankheit.
Es ereignet sich eine vollkommen neue Tat in die herkömmli-che Welt hinein, die eine Störung der bisherigen Zusammen-hänge bedeutet.
b) Sprachmodell: Erhöhung
Phil 2,8f, Apg 2,32f, 1 Tim 3,16, Röm 10,9 u. ö.
Aufnahme in Gottes Leben und seine Macht.
Der Gekreuzigte ist durch Auferweckung und Erhöhung zur Rechten Gottes zum Messias (vgl. Apg 2,36), zum Sohn Gottes (vgl. Röm 1,4) bzw. zum Kyrios (vgl. Apg 2,36; Phil 2,11) einge-setzt:
1. Aspekt: Die Macht und Herrschaft des erhöhten Gekreuzigten
2. Aspekt: Der erhöhte Herr besitzt eine universale Heilsmittler-schaft
3. Aspekt: Erhöhung als Himmelfahrt
Prof. Dr. O. Meuffels, Christologie
Folie 100
c) Sprachmodell: Leben
Mit dem Begriff Leben wird die Auferstehungs-thematik in hellenistisches Denken übersetzt.
Der Gekreuzigte ist „am Leben“ (Röm 6,10; 2 Kor 4,10f; 13,4; Apg 25,19; Lk 24,23); er ist „lebendig“ (Lk 24,5; Apg 1,3); „er stirbt nicht mehr“ (Röm 6,9; Apg 13,34).