36 5. Aromatische Kohlenwasserstoffe Aufgrund der starken Aromas, das viele Benzolderivate ausströmen, nennt man sie aromatische Verbindungen. Deshalb gilt Benzol als Stammverbindung der Aromaten. Aromatische Ringe kommen in vielen biologisch wirksamen Substanzen vor, z.B.:
Wir werden hier nur Benzol-Derivate betrachten, und nicht aromatische Ringe, die ein Heteroatom enthalten (Kapitel-6), z.B. N, O oder S. 5.1 Die Benennung von Benzolderivaten Der allgemeine Ausdruck für substituierte Benzolderivate lautet Arene. Ein Aren als Substituent heisst Arylgruppe, abgekürzt Ar-. Die einfachste Arylgruppe heisst Phenyl-, C6H5-, abgekürzt Ph-. Einige Trivialnamen die häufig vorkommen:
Viele monosubstituierte Benzolderivate benennt man, indem man den Substituentennamen dem Wort "Benzol" voranstellt : 1-Brom-2,3-dimethylbenzol para-Nitrophenol meta-Chlortoluol Bei disubstituierten Benzolderivaten können die Substituenten drei mögliche Stellungen zueinander einnehmen: benachbarte Substituenten 1,2- (ortho), für 1,3-disubstituierte Verbindungen 1,3- (meta), für 1,4-disubstituierte Verbindungen 1,4- (para). Die Substituenten werden in alphabetischer Reihenfolge genannt.
Me O
HO N
NMe
O
Cl
N
NMe
N
N N
N
OH
HOOH
H
BenzenBenzol(Benzene)
Oestron
Diazepam(Valium) Nicotin
Harnsäure
Me
OH
NH2
O
Me
CHO
COOH
OMe
Me
Me
CN
Toluol(Sdp 110oC)
Phenol(Smp 43oC)
Anilin(Sdp 184oC)
Acetophenon(Smp 21oC)
Benzaldehyd(Sdp 178oC)
Benzoesäure(Smp 122oC)
Anisol(Sdp 154oC)
ortho-Xylol(Sdp 144oC)
Benzonitril(Sdp 188oC)
Styrol(Sdp 145oC)
37 5.2 Die Struktur von Benzol : Aromatizität Im Jahr 1825 erhielt der englische Wissenschaftler Faraday eine farblose Flüssigkeit mit der empirischen Formel CH. Diese Verbindung war mit der Theorie, nach der jeder Kohlenstoff vier Valenzen zu anderen Atomen ausbilden musste, nicht so einfach in Einklang zu bringen. Besonders die ungewöhnliche Stabilität und chemische Trägheit dieser Substanz fiel auf. Man nannte die Verbindung Benzol und stellte schliesslich die Summenformel C6H6 dafür auf. Ein Problem damals war, zu verstehen, warum nie zwei unterschiedliche Isomere von einem 1,2-disubstituierten Benzolderivat beobachtet werden konnten. Als Lösung schlug Kekulé im Jahre 1865 vor, dass Benzol aus sich rasch ineinander umwandelnden Isomeren von Cyclohexatrien bestehen sollte. Heute wissen wir, dasss diese Hypothese nicht völlig richtig ist. Nach der modernen Elektronentheorie kann man Benzol durch zwei äquivalente Resonanzstrukturen des Cyclohexatriens beschreiben: Benzol ist ungewöhnlich reaktionsträge. Es geht keine Additionsreaktionen wie normale Alkene ein. Molekülorbital-Modell des Benzols Das Benzolmolekül bildet ein regelmässiges Sechseck aus sechs sp2-hybridisierten Kohlenstoffatomen. Die Abbildung unten zeigt die elektronische Struktur des Benzolrings. Alle Kohlenstoffatome sind sp2-hybridisiert, und jedes p-Orbital steht senkrecht zur σ-Skellet und überlappt gleichmässig mit seinen beiden Nachbarn. Die sechs cyclisch angeordneten, überlappenden p-Orbitale werden umhybridisiert zu einen Satz von sechs neue Molekülarorbitalen (MO), wobei drei als bindende MOs gelten und mit 6-Elektronen besetzt sind, und drei anti-bindende MOs sind, und unbesetzt bleiben. Der π-bindende MO vom tiefsten Energie entspricht eine delokalisierte π-Elektronen-Wolke oberhalb und unterhalb der Ringebene.
Die Länge der aromatischen CC-Bindung liegt zwischen der einer Einfach- und der einer Doppelbindung. Valenz-Struktur-Beschreibung des Benzols Die Struktur von Benzol kann durch zwei gleichwertige Resonanzstrukturen von Cyclohexatrien wiedergegeben werden
H H
H H
38 Der wirkliche Zustand wird dann als "Zwischenzustand " oder "Resonanz-hybrid" zwischen diesen Grenzstrukturen wiedergegeben. Das Zeichen bedeutet, dass nicht etwa ein dynamisches Gleichgewicht zwischen zwei verschiedenen Molekülarten existiert, sondern dass der tatsächliche Zustand zwischen den Grenzstrukturen liegt und von diesen gewissermassen "umschrieben wird". Die Beschreibung einer wirklichen Struktur durch Kombination von nicht existierender Grenzstrukturen nennt man Resonanz. 5.3 Stabilität von Benzol Um ein Mass für die relative Stabilität einer Reihe von Alkenen zu bekommen, kann man ihre Hydrierungswärmen bestimmen. Ein ähnliches Experiment können wir mit Benzol durchführen, und seine Hydrierungswärme mit der von l,3 Cyclohexadien und Cyclohexen vergleichen :
Obwohl Benzol nur schwer hydriert wird, kann die Reaktion katalytisch durchgeführt werden , und man erhält für die Hydrierungswärme einen Wert von ∆Ho -206 kJ/mol. Der Unterschied zwischen den Hydrierungswärmen (und den Bildungsenthalpien ) beträgt ungefähr 124 kJ/mol und wird als Resonanzenergie von Benzol bezeichnet. Andere Namen dafür sind Delokalisierungsenergie, aromatische Stabilisierug, oder einfach Aromatizität von Benzol. 5.4 Die Hückel-Regel Mit Hilfe quantentheoretischer Rechnungen lässt sich zeigen, dass ein monocyclisches konjugiertes Polyen (d.h. alle C-Atome sp2 hybridisert) besonders stabil ist (d.h. Aromatizität besitzt), wenn es 4n+2 π-Elektronen enthält (n ist ganzzahlig), z.B.:
Benzol Naphthalin AnthracenPhenanthren
[14]-Annulen
cyclobutadiencyclooctatetraen
[16]-Annulen
Aromatisch (4n + 2 π-Elektronen)
Nicht-Aromatisch (4n π-Elektronen)
39 5.5 Elektrophile aromatische Substitution Aufgrund seiner π-Elektronen besitzt das Benzol-Molekül nucleophile Eigenschaften und reagiert deshalb vorwiegend mit Elektrophilen, z.B.:
Im Gegensatz zu den Alkenen führt ein solcher Angriff zu einer Substitution eines H-Atoms, nicht zu einer Addition. Z.B. Brominierung in Gegenwart eines Katalysators: Mechanismus der elektrophilen aromatischen Substitution: Die π-Elektronen aus dem Benzolring greifen Br+ an Ein Carbokation Zwischenprodukt wird gebildet Das Carbokation spaltet ein Proton ab Der erste Schritt ist thermodynamisch ungünstig, da die cyclische Delokalisierung und damit der aromatische Charakter dabei verloren geht. Nach diesem Schritt wird der aromatische Ring wieder regeneriert, indem das Proton von dem sp3-hybridisierten Kohlenstoff abgespalten wird. Dies ist energetisch günstiger als eine Reaktion mit einem Nukleophil, wodurch das Additionsprodukt entstünde:
NO2
SO3H Cl(Br) Me
O
Me
Nitrierung
Sulfonierung Halogenierung Friedel-CraftsAlkylierung
Friedel-CraftsAcylierung
40
Die Änderung der potentiellen Energie während der Reaktion von Benzol mit einem Elektrophil. Die Bildung des ersten Übergangszustand ist geschwindigkeitsbestimmend. Das Proton wird verhältnismässig rasch abgespalten. Die Reaktion von Benzol mit k.HNO3 bei mässig erhöhter Temperatur führt zur Nitrierung des Benzolrings:
Konz. H2SO4 reagiert bei RT nicht mit Benzol, sieht man von der Protonierung ab. "Rauchende Schwefelsäure" (Oleum) greift jedoch elektrophil an, da sie SO3 enthält. Aufgrund der stark elektronenziehenden Wirkung der drei Sauerstoffatome ist das S-Atom in SO3 so elektrophil, dass es Benzol direkt angreift :
In Friedel-Crafts-Reaktionen entstehen neue C-C Bindungen. In Gegenwart einer Lewis Säure, gewöhnlich Aluminiumchlorid, greifen Halogenalkane Benzol unter Bildung von Alkylbenzolderivaten an (Friedel-Crafts Alkylierung), Alkanoylhalogenide ergeben Alkanoylderivate (Friedel-Crafts Acylierung):
Energie
Reaktionskoordinat
H
Br
H
Br
Br+ HBr
NO2
H
SO3H
H
CH3 CH CH3
Cl
HCH
CH3
CH3CH
CH3
CH3
+
41 Die Reaktivität des Halogenalkans nimmt in der Reihenfolge RF > RCl > RBr > RI ab. Typische Lewis-Säuren sind bei dieser Reaktion (nach abnehmender Reaktivität geordnet) AlBr3, AlCl3, FeCl3, SbCl5 und BF3. Weitere Beispiele:
Durch Friedel-Crafts-Acylierung entstehen Aryl-Alkyl-Ketone. Z.B. Benzol reagiert mit Acetylchlorid in Gegenwart von AlCl3 und bildet Acetophenon : Die Bildung des Acylium-Kations geschieht allgemein durch die Reaktion von Alkanoylhalogeniden (Acylhaliden) mit AlCl3. Ähnlich reagieren Carbonsäureanhydride mit Lewis-Säuren, z.B.:
5.6 Induktive- und Resonanz-Effekte im Benzolring Ein Substituent am Benzolring übt einen elektronischen Effekt aus, indem er entweder Elektronendichte auf den Ring überträgt, oder Elektronendichte abzieht. Auf diese Weise kann ein monosubstituierter Benzolring, verglichen mit Benzol, andere chemische und physikalische Eigenschaften aufweisen, z.B. kann eine elektrophile aromatische Substitutionsreaktion viel langsamer (d.h. wird desaktiviert) oder schneller (d.h. wird aktiviert) ablaufen als mit Benzol. Das Abziehen oder Liefern von Elektronen kann durch Induktive- und durch Resonanz-Effekte zustandekommen. Induktive- und Resonanz-Effekte beeinflüssen viele chemische und physikalische Eigenschaften von Aromaten, nicht nur Ihre Reaktivität bei elektrophilen Substitutionsreaktionen.
Cl
CH3CH2 Cl
Me3C Cl
AlCl3, CS2, 25o
AlCl3, 0o
AlCl3, 25o
Allgemein
AlCl3
R-CO-Cl
O
R
42 Induktive- und Resonanz-Effekte Betrachten wir Beispiele von elektronenliefernden und elektronenziehenden Substituenten: Me = σ-Donator CF3 = σ-Akzeptor Relativ elektronenreicher Relativ elektronenarmer Ring (reaktiver) Ring (weniger reaktiv) Induktive Effekte sind Polarisationseffekte, die über σ-Bindungen übertragen werden (siehe s.10). Es ist auch möglich, dass ein Substituent an einen aromatischen Ring mit p-Elektronen zu den p-Elektronen des Ringes in Konjugation tritt und dadurch entweder negative Ladung aus dem ungesättigten System abzieht oder negative Ladung in dieses hineindrückt. Häufig spricht man von einem mesomeren Effekt oder Resonanzeffekt, was daherrührt, dass man in diesen Fällen die Ladungsdichteverteilung durch Kombination verschiedener Grenzstrukturen beschreiben kann, da eine Delokalisation der p-Elektronen eintritt, z.B. ein π-Akzeptor
Ihre Akzeptorwirkung (die Stärke des mesomeren Effektes) steigt mit der Bereitschaft des Substituenten, negative Ladung aufzunehmen.
Andere π-Akzeptorgruppen: In der folgenden Reihe nimmt er darum nach rechts zu:
N
O
ON
O
O
N
O
O
N
O
O
NOO
O R O R O R O R
O
ORC N
O
RNO
O
43 π-Donorgruppen Da N elektronegativer ist als C, übt die -NH2 Gruppe einen leicht elektronenziehenden Effekt aus (induktiver Effekt). Das freie Elektronenpaar des N-Atoms kann jedoch in das aromatische π-System miteingebracht werden, sodass die Ladungsdichte des Ringes erhöht wird:
Dieser Resonanzeffekt überwiegt den induktiven Effekt bei weitem. Anilin ist deshalb für weitere Substitution reaktiver als Benzol. Das elektronegative O-Atom in Phenol wirkt ebenfalls elektronenziehend (induktiver Effekt). Aber auch hier überwiegt der Einfluss der Resonanz (p-Donoreffekt), sodass der Benzolkern elektronenreicher wird: π-Donorgruppen: 5.7 Orientierung und relative Geschwindigkeit einer Zweitsubstitution Übt ein bereits vorhandener Substituent einen Einfluss darauf aus, an welcher Stelle im Ring ein Elektrophil angreift, und wie schnell die Reaktion abläuft (im Vergleich zu Benzol)? Schauen wir zuerst Toluol an, das die induktiv aktivierende Methylgruppe trägt:
Die elektrophile Nitrierung von Toluol führt hauptsächlich zu ortho und para-Substitution. Die Nitrierung ist kein Spezialfall:
N
H
HN
H
HN
H
H
NH
H
N
H
H
Me Me Me Me
+ +
o-Nitrotoluol m-Nitrotoluol p-Nitrotoluol
Me Me Me Me
p-Bromtoluolm-Bromtoluolo-Bromtoluol
++
Br2FeBr3 Br
BrBr40% <1% 60%
44 Trifluormethylbenzol ist gegenüber dem elektrophilen Angriff desaktiviert und reagiert deshalb nur zögernd. Unter energischen Bedingungen aber erhält man Substitution, jedoch nur in meta-Stellung:
Für einen elektrophilen Angriff auf einem resonanz-aktivierten Benzolring ist oft nicht einmal ein Katalysator notwendig. Die Reaktion verläuft rasch und vollständig regioselektiv zu den (oft mehrfach) substituierten ortho- und para-Produkten:
Anisol reagiert ungefähr 1000x schneller als Benzol ! Wenden wir uns nun Benzolderivaten zu, die durch Resonanz desaktivierende Gruppen tragen. Hierher gehört die Benzoesäure, bei der die Nitrierung 1000x langsamer verläuft als bei Benzol:
Die Nitrierung führt überwiegend zum meta-Produkt. Die Halogene (-F, -Cl, -Br, -I) als Substituenten bilden eine dritte Gruppe, die den Ring desaktivieren (Chlorbenzol reagiert ≈15-fach langsamer als Benzol), jedoch hauptsächlich ortho- und para- substituierte Produkte bilden :
CF3 CF3
NH2 NH2 OH OH
3 Br2
H2O
BrBr
Br
Br Br
Br
3 Br2
H2O
HN
O
Me
NHAc NHAc NHAc
OMe OMe OMe OMe
+ +
+ +
o-Nitroacetanilid m-Nitroacetanilid p-Nitroacetanilid
o-Nitroanisol m-Nitroanisol p-NitroanisolAnisol
NO2
NO2NO2
NO2
NO2NO2
H2SO4 / HNO3
21% spüren 79%
H2SO4 / HNO3
40% 2% 58%
COOH COOH COOH COOH
+ +
m-Nitrobenzoesäure p-Nitrobenzoesäureo-Nitrobenzoesäure
H2SO4 / HNO3 NO2
NO2 NO218% 80% 2%
Cl Cl Cl Cl
+ +HNO3/H2SO4
NO2
NO2NO230% 2% 68%
45 Dirigierende Wirkung von Substituenten bei der elektrophilen aromatischen Substitution: Ortho- und para-dirigierend Ortho- und para-dirigierend Meta-dirigierend aktivierend desaktivierend desaktivierend (σ und π-Donorgruppen) (σ und π-Akzeptorgruppen) -NH2, -NHR, -NR2 -Cl, -Br, -I -NO2 -CF3 -NH-COR -NR3+ -COOH -OH, -OR -COOR -CO-R -R (Alkyl, Aryl) -SO3H -CN 5.8 Mechanistische Erklärung Können wir Mechanismen aufstellen, die diese Selektivitäten erklären können ? Dazu wollen wir die möglichen Resonanzstrukturen des Kations zeichnen, das nach dem Angriff des Elektrophils (E+) entsteht. Dabei stellen wir fest, das σ und π-Donorsubstituenten, die ortho- oder para- stehen, das Zwischenprodukt (und den dazu führenden Übergangszustand) stabilisieren:
Nur durch den Angriff in ortho- und para-Stellung entsteht ein Kation mit einer Resonanzstruktur, die eine positiven Ladung neben der Alkylgruppe trägt. Da diese Struktur etwas vom Charakter eines 3o-Carbenium-Ions hat, kommt ihr mehr Bedeutung zu (d.h. ist stabiler) als anderen, die die positive Ladung an einem 2o C-Atom tragen. Durch einen meta-Angriff dagegen entsteht eine Zwischenstufe, in der keine der möglichen Resonanzstrukturen von der Stabilität eines 3o-Carbenium-Ions profitiert. Der elektrophile Angriff auf ein C-Atom ortho- oder para- zu einer Methyl(Alkyl)-Gruppe führt deshalb zu einer Zwischenstufe, die stabiler ist als die, welche durch einen meta-Angriff entstehen würde. Sie entsteht daher relativ schnell über einen Übergangszustand mit relativ niedriger Energie (Vgl. Seite 39).
Me
Me Me Me
Me Me Me
Me Me Me
H
E
H
E
H
E
HE
HE
HE
E H E H E H
Besonders stabileResonanzstruktur
Besonders stabileResonanzstruktur
46 Auch beim elektrophilen Angriff auf einen Resonanz-aktivierten Benzol-Ring kann man die beobachtete Regioselektivitäten durch Resonanzstrukturen der verschiedenen intermediären Kationen erklären. z.B.:
Ortho- und para-Substitutionen sind bevorzugt, da sie über Zwischenprodukte verlaufen, für die man vier Resonanzstrukturen aufstellen kann, während bei der Zwischenstufe eines meta-Angriffs nur drei zu formulieren sind. Wenn wir nun Benzolderivate betrachten, die Resonanz desaktivierende Gruppen tragen:
Der Angriff auf die meta-Position vermeidet hier, dass eine positive Ladung neben der elektronenziehenden Carboxygruppe entsteht. Bei ortho- und para- Angriff hingegen ist dies nicht der Fall, d.h. hier müssen recht energiereiche Resonanzstrukturen formuliert werden. Bei anderen desaktivierenden Substituenten ist die Situation analog. Halogenatome wie Cl und Br sind räumlich viel grösser als O- und N-Atome. Obwohl ein p-Donor-Effekt von -Cl noch vorhanden ist, ist der Resonanz-Effekt nicht so wirksam (wie bei N- und O-Atome), weil die p-Orbital am -Cl schlechter mit den benachbarten p-Orbitale des Benzolringes überlappen. N-, O-, und Cl-Atome sind alle elektronegativ (σ-Akzeptorwirkung), aber mit O- und N-Atome ist der Resonanz-Effekt (p-Donor) viel stärker. Das heisst, Chlorbenzol ist weniger reaktiv, bezorzugt aber immer noch Substitutionsreaktionen in ortho- und para-Positionen. Z.B.
OH
OH OH OH
OH OH OH
OH OH OH
H
E
H
E
H
E
HE
HE
HE
E H E H E H
OHH
E
OH
E H
Besonders stabile Resonanzstruktur
Besonders stabile Resonanzstruktur
Besonders instabileResonanzstruktur
COOH
C COOH COOH
COOH COOH COOH
COOH COOH COOH
H
EH
E
H
E
HE
HE
HE
E H E H E H
O OHδ-
δ+
Besonders instabileResonanzstruktur
47
Ein Resonanzeffekt führt nochmals bevorzugt zu ortho- und para-Produkte. 5.9 Elektrophiler Angriff auf disubstituierte Benzole Die Wirkungen zweier Substituenten auf die relative Geschwindigkeit und auf die Orientierung der elektrophilen Substitution des Benzolrings addieren sich. Z.B.:
Wenn zwei in entgegengesetzte Richtung lenkende Gruppen vorhanden sind, sie üben ihren Einfluss gewöhnlich unabhängig voneinander aus. Konkurrieren die Substituenten miteinander um den Ort der Substitution, setzt sich die stärker aktivierende (oder desaktivierende) Gruppe durch. Resonanz-Effekte sind normalerweise stärker als Induktive-Effekte. Z.B.:
Wenn räumlich ausgedehnte Gruppen vorhanden sind, ist eine Stellung zwischen diesen Substituenten oft aus sterischen Gründen ungünstig: Z.B.
In den meisten anderen Fällen ergeben sich Produktgemische. 5.10 Synthetische Aspekte Benzol fällt bei verschiedenen technischen Prozessen an, z.B. in der aromatischen Fraktion von Rohöl-Destillat. Jährlich werden weltweit etwa 35 Millionen Tonnen Benzol hergestellt. Von 1940 bis ungefähr 1960 wurde das meiste Benzol auf der Basis der Steinkohle hergestellt. Seit 1950 wird es auch aus Erdöl gecrackt.
Cl Cl ClH
E
H
E
H
E
ClCl
H
E
Me
NO2
Me
NO2
Methyl dirigiert hierNitro dirigiert hier
Me
OH
Me
OH
Methyl dirigiert hier
OH dirigiert hier
Cl Cl
Me MeSterisch gehindert
48 Synthese Planung Bei der Synthese eines spezifischen Benzolderivats hängt alles davon ab, ob der erste eingeführte Substituent weitere Substituenten in die richtige Position dirigiert:
Aromatische-Carbonsäuren Es gibt bestimmte Reaktionen, welche die dirigierende Wirkung eines Substituenten umkehren können. z.B. der Benzolring ist wegen seiner Resonanzenergie oxidationsbeständig. Aber eine Alkyl Seitenkette kann zu einer Carbonsäure oxidiert werden:
z.B. für die Synthese von para-Brombenzoesäure :
Aromatische-Amine Eine meta-dirigierende Nitrogruppe kann in die ortho- und para-dirigierende Aminogruppe umgewandelt werden. Nitrogruppen können zu Aminogruppen reduziert werden: Für eine Synthese von p-Aminobenzoesäure (ein Bestandteil des Vitamins Tetrahydrofolsäure) :
Aufpassen: Friedel-Crafts Reaktionen an Nitrobenzol sind nicht möglich: -NO2 wirkt zu stark desaktivierend !
Cl
Cl
NO2
NO2
Nitrobenzol
Chlorbenzol
Me
Br
Me
Me
Br
COOH
Brp-Brombenzoesäure
Me COOH COOH
NO2
Me
Toluol NO2 NH2
49 5.11 Mehrkernige benzoide Kohlenwasserstoffe Durch Kondensation oder Annelierung mehrerer Benzolringe ergibt sich eine Verbindungsklasse, die man als mehrkernige benzoide Kohlenwasserstoffe bezeichnet. z.B.
An diesen Ringen kann man, wie zu erwarten ist, elektrophile Substitutionen durchführen, die nach demselben Mechanismus wie die entsprechenden Reaktionen an Benzol und seinen Derivaten verlaufen. Der neue Hauptschwerpunkt liegt mit der Regioselektivität solche Prozesse, die wir aber hier nicht betrachten werden. Viele der mehrkernigen benzoiden Kohlenwasserstoffe sind karzinogen (krebserregend). Ein besonders gut erforschtes Molekül ist Benz[a]pyren. Benz[a]pyren entsteht bei der Verbrennung organischer Materie, wie Automobiltreibstoff und Erdöl, bei der Müllverbrennung, bei Waldbränden, man findet es in Zigaretten und im Zigarrenrauch und sogar in gegrilltem Fleisch. Wodurch kommt nun die karzinogene Wirkung von Benz[a]pyren zustande ? Man nimmt an, dass ein oxidierendes Enzym (eine Oxidase) aus der Leber den Kohlenwasserstoff in das C7/C8 -Epoxid überführt. Ein anderes Enzym (Epoxid-Hydratase) katalysiert die Hydratisierung des Produkts zum trans-Diol (Vgl. Seite 35). Durch weitere Oxidation entsteht dann das eigentliche Karzinogen, ein neues C9/C10 -Epoxid:
Vermutlich erfolgt das krebsauslösende Ereignis dann, wenn der Aminstickstoff des Guanins, einer der Basen im DNA-Strang, das Epoxid Nukleophil angreift :
NaphthalinAnthracen Tetracen
(Naphthacen)Phenanthren
TriphenylenPyren Benzo[a]pyren
O HOOH
HOOH
O
Benzo[a]pyren
Karzinogen
HN
N N
N
DNAH2N
O HOOH
OH
HN
HN
N
N
N
DNA
O
HOOH
O
50 Bei dieser Reaktion wird die Struktur eines Basenpaare der DNA geändert, was zu Fehlern und Störungen bei der DNA-Replikation führt. Diese Fehler können zu einer Veränderung (Mutation) des genetischen Information führen, wodurch dann unter Umstände das Wachstum einer Linie von rasch und undifferenziert wuchernden Zellen ausgelöst wird, was typisch für Krebs ist.
Benzo[a]pyren+DNA Graphene Graphen ist die Bezeichnung für eine Modifikation des Kohlenstoffs mit zweidimensionaler Struktur, in der jedes Kohlenstoffatom von drei weiteren umgeben ist, so dass sich ein bienenwabenförmiges Muster ausbildet (Vgl. Oben). Graphen hat ungewöhnliche Eigenschaften, die es sowohl für die Grundlagenforschung als auch für Anwendungen interessant machen, und zwar vor allem in der Physik (wie auch der Nobelpreis aussagt, der 2010 vergeben wurde). Beispielsweise sind Graphen-Flächeneinkristalle innerhalb der Flächen außerordentlich steif und fest. Wegen der hohen elektrischen Leitfähigkeit von Graphen wird derzeit an der Frage geforscht, ob Graphen Silicium als Transistormaterial ablösen könnte. Als Fullerene (Einzahl: das Fulleren; engl. Buckminsterfullerene or Bucky-balls) werden hohle, geschlossene Moleküle (mit häufig hoher Symmetrie, z. B. Ih-Symmetrie für C60) aus Kohlenstoffatomen, die sich in Fünf- und Sechsecken anordnen, bezeichnet. Sie stellen (neben Diamant, Graphit, Lonsdaleit, Chaoit, Kohlenstoffnanoröhren und Graphen) eine weitere Modifikation des chemischen Elements Kohlenstoff dar.