BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR
ALPHABETISIERUNG UND GRUND-
BILDUNG IN SACHSEN-ANHALT
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS III
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
INHALT
1. Beitrag der ESF-Förderung zur Alphabetisierung und
Grundbildung in Sachsen-Anhalt 1
2. Überblick und Zielstellungen 1
3. Bewertung der Umsetzung der Förderung 6 3.1 Beschreibung und Analyse der Kursmaßnahmen 8 3.2 Beschreibung und Analyse der Sensibilisierungsmaßnahmen 16 3.3 Bewertung der Umsetzung der Förderung und Ableitung
von Empfehlungen für die Förderansätze 22
4. Beantwortung der Evaluierungsfragen 24
5. Abschließendes Fazit und Empfehlungen 32
ABBILDUNGEN
Abbildung 1: Überblick über die Ziele auf europäischer, Bundes- und Landesebene 2 Abbildung 2: Zentrale Evaluierungsfragen 4 Abbildung 3: Erhebungen und Auswertungen im Zuge der Evaluierung 5 Abbildung 4: Wechselwirkungen der Fördergegenstände (Kreislauf) 7 Abbildung 5: Interventionslogik - Kursmaßnahmen 9 Abbildung 6: Erwerbsstatus der Teilnehmenden bei Eintritt 10 Abbildung 7: Auswertung der teilnehmerbezogenen Daten bei Austritt 11 Abbildung 8: Zielgruppen der Alphabetisierungs- und Grundbildungskurse 14 Abbildung 9: Interventionslogik: Sensibilisierungsmaßnahmen 17 Abbildung 10: Adressatengruppen der Sensibilisierungsmaßnahmen - nach Typ 17 Abbildung 11: Adressatengruppen der Sensibilisierungsarbeit - nach Funktion 19 Abbildung 12: Förderansätze der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit 22 Abbildung 13: Organisatorisch und finanziell förderliche Rahmenbedingungen 27 Abbildung 14: Ländervergleich Freistaat Thüringen und Sachsen 31
TABELLEN
Tabelle 1: Fördervorhaben: spezifische Projektansätze 7 Tabelle 2: Fördervorhaben: Kursmaßnahmen 9 Tabelle 3: Fördervorhaben: Sensibilisierungsmaßnahmen 16
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 1
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1. BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ALPHABETISIE-
RUNG UND GRUNDBILDUNG IN SACHSEN-ANHALT
Das Thema Alphabetisierung hat seit der leo. – Level-One-Studie (2012)1 bundes- und landespo-
litisch an Bedeutung gewonnen. Das Land Sachsen-Anhalt nutzt in der derzeitigen Förderperiode
(2014-2020) den Europäischen Sozialfonds (ESF), um Angebote und Strukturen der Alphabetisie-
rungs- und Grundbildungsarbeit zu fördern und weiterzuentwickeln. Die über den ESF geförder-
ten Vorhaben sind Gegenstand der Evaluierung und somit des vorliegenden Berichts.
2. ÜBERBLICK UND ZIELSTELLUNGEN
Das Programm „Alphabetisierung und Verbesserung der Grundbildung Erwachsener im Rahmen
des lebenslangen Lernens (Alphabetisierung/Grundbildung)“, setzt das ESF-Programm Alphabeti-
sierung der Förderperiode 2007 bis 2013 fort.2 Es setzt die „Erneuerte Europäische Agenda für
Erwachsenenbildung (Europa 2020)“ zum Thema Alphabetisierung und Grundbildung um und
stützt sich u.a. auf den strategischen Rahmen für die europäische Zusammenarbeit auf dem Ge-
biet der allgemeinen und beruflichen Bildung (ET 2020). Zusätzliche nationale Regelungen um-
fassen das Gesetz zur Förderung der Erwachsenenbildung im Land Sachsen-Anhalt in der Fassung
vom 18.11.2005 in Verbindung mit der Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen gemäß
§§ 6 und 7 des Gesetzes zur Förderung der Erwachsenenbildung im Land Sachsen-Anhalt vom
19.05.2014.
Die „Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen für Maßnahmen des ESF-Programms „Al-
phabetisierung und Verbesserung der Grundbildung Erwachsener im Rahmen des lebenslangen
Lernens“3, ist im Bereich der Arbeitsmarktintegration und der Integration besonders Benachteilig-
ter (Prioritätssachse 2) verortet. Es wird das Spezifische Ziel der Verbesserung der Beschäfti-
gungsfähigkeit und Arbeitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosen und weiteren am Arbeits-
markt besonders benachteiligten Personengruppen (SZ 5) verfolgt.4 Ziel ist es, Chancen auf ge-
sellschaftliche Teilhabe und auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen und so die Zahl der Personen, die
potenziell von Armut und Ausgrenzung bedroht sind, zu verringern (EU-Kernziel 2020). Zielgrup-
pe sind arbeitsmarktferne Arbeitssuchende mit ausgeprägten beschäftigungsrelevanten Defiziten
und Integrationsschwierigkeiten, Menschen mit Diskriminierungserfahrungen sowie Erwachsene,
die von (funktionalem) Analphabetismus betroffen sind. Spezifisches Förderziel des Programms
„Alphabetisierung und Grundbildung“ ist es, die „Zahl der erwachsenen funktionalen Analphabe-
ten signifikant zu senken“5, von denen es in Sachsen-Anhalt Schätzungen zufolge etwa 200.000
gibt, und „das Verständnis für das Phänomen und die hiermit verbundenen Problemlagen des
funktionalen Analphabetismus zu stärken“6.
Die Einbettung der Förderung von Alphabetisierung und Grundbildung in das aktuelle Operatio-
nelle Programm (OP) des Landes Sachsen-Anhalt weist einen beschäftigungspolitischen Bezug
1 leo. – Level-One Studie. Presseheft, Hamburg, im Frühjahr 2011, Förderkennzeichen: W135900; abrufbar unter:
http://www.alphabetisierung.de/fileadmin/files/Dateien/Downloads_Texte/leo-Presseheft-web.pdf [zuletzt abgerufen am: 19.02.2018]
2 Das Programm baut somit auf den im Zuge der Förderperiode 2007-2013 gesammelten Erfahrungen zur Alphabetisierung und
Grundbildung auf. Die Otto von Guericke Universität Magdeburg wurde mit einer wissenschaftlichen Evaluation zur „Alphabetisierungs-
und Grundbildungsarbeit im Land Sachsen-Anhalt“ zur ESF-Förderperiode 2007-2013 beauftragt. Vgl. https://forschung-sachsen-
anhalt.de/project/wissenschaftliche-evaluation-alphabetisierungs-19318. Die Evaluation wurde uns vom Auftraggeber zur Verfügung
gestellt.
3 Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen für Maßnahmen des ESF-Programms „Alphabetisierung und Verbesserung der
Grundbildung Erwachsener im Rahmen des lebenslangen Lernens“, RdErl. Des MK vom 12.01.2016 (34-5300). Die Richtlinie wurde uns
vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt.
4 Alphabetisierung und Grundbildung soll einen Beitrag zu den formulierten Zielen und Zielwerten leisten. Output- und Ergebnisziele
sind für die Alphabetisierungs- und Grundbildungsmaßnahmen jedoch nicht vorgegeben.
5 Vgl. Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen für Maßnahmen des ESF-Programms „Alphabetisierung und Verbesserung der
Grundbildung Erwachsener im Rahmen des lebenslangen Lernens“.
6 Ebd. Weiter heißt es: „Funktionaler Analphabetismus ist gegeben, wenn die schriftsprachlichen Kompetenzen von Erwachsenen nied-
riger sind, als diejenigen, die minimal erforderlich sind und als selbstverständlich vorausgesetzt werden, um den jeweiligen gesell-
schaftlichen Anforderungen gerecht zu werden (vergleiche leo.-Level-One Studie von Grotlüschen/Riekmann 2011). Ähnliche Defizite
bestehen häufig in anderen Grundbildungsbereichen wie dem Rechnen und den Grundlagen des Wirtschaftens.“
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 2
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auf. Die leo. – Level-One-Studie besagt, dass von den geschätzten 7.5 Millionen von funktiona-
lem Analphabetismus betroffenen Erwachsenen in der Bundesrepublik Deutschland 57 Prozent
berufstätig sind. Zugleich wird davon ausgegangen, dass funktionaler Analphabetismus die Auf-
nahme und den Erhalt einer (sozialversicherungspflichtigen) Beschäftigung erschwert.
Zugleich ist die über den ESF geförderte Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit in Sachsen-
Anhalt vor dem Hintergrund der von Bund und Ländern vereinbarten und in der „Dekade für Al-
phabetisierung und Grundbildung (2016-2026)“ fortgeführten „Nationalen Strategie zur Alphabe-
tisierung und Grundbildung Erwachsener in Deutschland (2012-2016)“ zu betrachten. Ziel der
Dekade ist es, in „vertrauensvoller Zusammenarbeit“7 zwischen Bund und Ländern, entlang der
föderalen Kompetenzverteilung, die „positiven Entwicklungen [der Nationalen Strategie] zu inten-
sivieren und auszubauen, weitere Handlungsfelder zu beschreiten und zusätzliche Kooperations-
partner zu gewinnen“8.
Abbildung 1: Überblick über die Ziele auf europäischer, Bundes- und Landesebene
Quelle: Eigene Darstellung Ramboll Management Consulting auf Basis des Grundsatzpapiers zur Nationalen Dekade für Al-
phabetisierung und Grundbildung 2016-2026, des Operationellen Programms für den Europäischen Sozialfonds des Landes
Sachsen-Anhalt 2014-2020 und der Richtlinie für das Programm „Alphabetisierung und Grundbildung“.
Die Auswahl der bewilligten Fördervorhaben erfolgt über Ideenwettbewerbe (Juryverfahren). In
einem zweistufigen Verfahren sind Anträge an die Bewilligungsbehörde (Landesverwaltungsamt)
zu stellen, die eine Zulässigkeitsprüfung durchführt bevor die „Jury Alphabetisierung – Jury Al-
7 Grundsatzpapier zur Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung 2016-2026, Den funktionalen Analphabetismus in
Deutschland verringern und das Grundbildungsniveau erhöhen; Bundesministerium für Bildung und Forschung, Kultusministerkonfe-
renz, S. 4, abrufbar unter:
https://www.bibb.de/dokumente/pdf/a3_alphadekade_Grundsatzpapier_zur_Nationalen_Dekade_Alphabetisierung_und_Grundbildung_
final.pdf [zuletzt abgerufen am: 29.11.2017]
8 Ebd. S. 2.
Zahl der erwachsenen funktionalen Analphabeten signifikant senken und in Sachsen-Anhalt ein
Verständnis für das Phänomen und die hiermit verbundenen Problemlagen des funktionalen
Analphabetismus stärken
Förderung der sozialen Inklusion und Bekämpfung von Armut und jeglicher Diskriminierung
(Prioritätsachse 2) sowie Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit und Arbeitsmarktintegration
von Langzeitarbeitslosen und weiteren am Arbeitsmarkt besonders benachteiligter
Personengengruppen (Spezifische Ziel 5, IP 9a)
Senkung der von Armut und Ausgrenzung bedrohten Personen
Richtlinie
Sachsen-Anhalt
(ESF-OP)
Bund
(Dekade für
Alpha-
betisierung)
EU
(EU 2020-
Kernziel)
Personal
professionalisieren
Lernangebote
erweitern
Lese- und
Schreibkompetenzen
Erwachsener erhöhen
Strukturen
weiterentwickeln
Forschung
ausbauen
Öffentlichkeitsarbeit
verstärken
Sensibilisierungs-
maßnahmen in der
Gesellschaft mit dem
Themenschwerpunkt
Alphabetisierung und
Grundbildung
Maßnahmen zur
Alphabetisierung und
Grundbildung von
funktionalen
Analphabeten
Schulungen des
Personals in der
Alphabetisierungs-
und
Grundbildungsarbeit
Projekte die dazu
dienen, neue Lehr-
und Lernerfahrungen
auf dem Gebiet der
Alphabetisierung und
Grundbildung sowie
neue Möglichkeiten
der Ansprache und
Gewinnung der
Zielgruppe zu
entwickeln
Förder-
gegenstände
Wirkungserfassung und -stärkung
In vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, entlang der föderalen Kompetenzverteilung, die positiven Entwicklungen der Nationalen Strategie intensivieren und
ausbauen, weitere Handlungsfelder beschreiten und zusätzliche Kooperationspartner gewinnen.
Zentrale
Handlungs-
felder
(Grundsatz-
papier)
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 3
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pha“9 eine Empfehlung ausspricht. In der Jury Alphabetisierung sind, so heißt es in der Richtlinie,
neben der Landesverwaltung auch WiSo-Partner vertreten. Das zuständige Fachreferat ist das
Referat „Erwachsenenbildung, lebenslanges Lernen, politische Bildung, Dolmetscher und Überset-
zer“ im Ministerium für Bildung. Gefördert werden nach dem Gesetz zur Förderung der Erwachse-
nenbildung im Land Sachsen-Anhalt anerkannte Träger der Erwachsenenbildung über eine maxi-
male Projektlaufzeit von drei Jahren. Die Fördersumme beträgt mindestens 50.000 Euro.10 Ge-
währt werden bis zu 80 Prozent der zuwendungsfähigen Ausgaben. Die Projetträger müssen mit-
hin einen Eigenanteil von 20 Prozent erbringen.
Gefördert werden folgende vier Fördergegenstände:11
1. „Maßnahmen zur Alphabetisierung und Grundbildung von funktionalen Analphabeten“:
In Form von Kursen soll die Alphabetisierung und Grundbildung (funktionaler) Analphabeten
im Lesen, Schreiben und Rechnen verbessert werden. An den Kursen können Personen ab
dem vollendeten 15. Lebensjahr teilnehmen, die erhebliche Defizite in den schriftsprachlichen
und Grundbildungskompetenzen aufweisen. Gefördert werden in der Regel Kurse ab sechs
Personen, die in der Regel in Vollzeit mindestens 30 Stunden wöchentlich oder berufsbeglei-
tend mindestens sechs Stunden pro Woche umfassen sollen. Zudem wird in der Richtlinie für
eine bedarfsgerechte Förderung „individuelle Lernberatung und individuelle sozialpädagogi-
sche Unterstützung bei Problemlagen, die mit den Schriftsprache- und Grundbildungsdefiziten
in Zusammenhang stehen“, formuliert.
2. „Schulungen des Personals in der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit“:
Mit der „Schulung des Personals“ soll pädagogischem Personal die fachlichen, methodischen
und sozialen Kompetenzen vermittelt werden, die für die Alphabetisierungs- und Grundbil-
dungsarbeit notwendig sind und so ein Beitrag zur Professionalisierung in der Alphabetisie-
rung- und Grundbildungsarbeit geleistet werden. Grundsätzlich können sich die Fördervorha-
ben an Lehrkräfte wenden, die entweder ein pädagogisches Studium abgeschlossen oder „ei-
nen bundesweit angebotenen Kurs für die Kursleitung zur Verbesserung von Alphabetisierung
und Grundbildung absolviert haben“.
3. „Sensibilisierungsmaßnahmen in der Gesellschaft mit dem Themenschwerpunkt Alphabetisie-
rung und Grundbildung“:
Zur Erkennung von Analphabetismus sollen die geförderten Sensibilisierungsmaßnahmen bei-
tragen. Gefördert werden „entsprechende Maßnahmen zur Öffentlichkeitsarbeit, der fachli-
chen Information sowie des (professionsübergreifenden) Austauschs.“12 Dazu gehören zum
Beispiel Schulungen für Mitarbeitende von Unternehmen oder Arbeitsagenturen, um diese da-
bei zu unterstützen, (funktionalen) Analphabetismus zu erkennen und entsprechende Netz-
werkkompetenz zu entwickeln.
4. „Projekte die dazu dienen, neue Lehr- und Lernerfahrungen auf dem Gebiet der Alphabetisie-
rung und Grundbildung sowie neue Möglichkeiten der Ansprache und Gewinnung der Ziel-
gruppe zu entwickeln“:
Zum einen sollen Maßnahmen gefördert werden, die der „Ansprache und Ermutigung potenti-
eller Teilnehmer“ dienen und sie dabei unterstützen, die Alphabetisierungsangebote zu „errei-
chen“. Zum anderen sollen Maßnahmen gefördert werden, die sich an „Lernformen wie be-
gleitendes Lernen in einer Lernwerkstatt oder internetbasierte Lernangebote“ und somit an
den „Voraussetzungen und Lerntempos“ von (funktionalen) Analphabeten orientieren.
9 Hierbei handelt es sich laut Richtlinie um das „Kompetenzgremium Alphabetisierung beim Kultusministerium Sachsen-Anhalt. In der
Richtlinie heißt es: „Die vom Kultusministerium für die Dauer der ESF-Förderperiode berufene Jury Alphabetisierung (Jury Alpha) beim
Kultusministerium prüft die beim Landesverwaltungsamt bis zum Stichtag vorliegenden Anträge und gibt ein einheitliches Votum ab.
Das Kultusministerium entscheidet auf Basis des Votums der Jury Alpha.“
10 Die Zuwendung wird als Projektförderung, grundsätzlich als Anteilfinanzierung, als nicht rückzahlbarer Zuschuss gewährt. Angerech-
net werden Ausgaben zur Erfüllung des Bildungsauftrags gemäß §5 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung der Erwachsenenbildung im
Lande Sachsen-Anhalt.
11 Bei den Ausführungen zu den Fördergegenständen sind alle direkt aus der Richtlinie übernommenen Formulierungen in Anführungs-
striche gesetzt.
12 Weiter heißt es in der Richtlinie: „Dazu gehören a) die Akzeptanz von Analphabetisierung als Phänomen der Gesellschaft, b) die Er-
höhung des Verständnisses für die Lebenssituation von funktionalen Analphabeten und c) die Vernetzung von Kommunen, Sozialpart-
nern, pädagogischen Fachkräften und weiteren Akteuren zum Thema Alphabetisierung und Grundbildung.“
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 4
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
Vor dem Hintergrund der beschriebenen Ausgangslage dient die Evaluierung der über die Richtli-
nie zum Programm „Alphabetisierung und Grundbildung“ geförderten Maßnahmen dazu, folgende
Frage zu beantworten:
Abbildung 2: Zentrale Evaluierungsfragen
Quelle: Eigene Darstellung Ramboll Management Consulting
Im vorliegenden Bericht sind die Ergebnisse der Evaluierung des Beitrags des ESF zur Alphabeti-
sierung und Grundbildung in Sachsen-Anhalt im Zuge der Bewertung des EFRE und des ESF des
Landes Sachsen-Anhalt in der Förderperiode 2014-2020 aufbereitet. Auf Basis einer Wirkungs-
und Umsetzungsanalyse dient die Evaluierung dazu, zu beschreiben und zu beurteilen, inwiefern
die Förderung dazu beiträgt, die europäischen, bundes- und landespolitischen Ziele zu errei-
chen.13 Zugleich werden landespolitische Empfehlung zur Steuerung der Fördervorhaben zu Al-
phabetisierung und Grundbildung abgleitet, die im besten Falle noch in der aktuellen Förderperio-
de Berücksichtigung finden können.
Berichtsaufbau
• In Kapitel 3 wird die derzeitige Umsetzung der Förderung beschrieben, analysiert und be-
wertet. Das Kapitel enthält zum Abschluss eine Bewertung und Empfehlungen zu den zur-
zeit umgesetzten Förderansätzen.
• Kapitel 4 beantwortet die Evaluierungsfragen, die zum Teil über die Frage der Umsetzung
und Wirkung der derzeitigen Förderung hinausgehen.
• In Kapitel 5 wird auf Basis der in Kapitel 3 und 4 dargestellten Ergebnisse ein abschließen-
des Fazit gezogen und Empfehlungen auf Richtlinienebene und für zukünftige Förderungen
ausgesprochen.
Im Zuge der Evaluierung wurden folgende Auswertungen und Erhebungen durchgeführt:
• In der Daten- und Dokumentenanalyse wurden alle zur Verfügung stehenden Projektkonzepte
(Antragsunterlagen) sowie Sachberichte und teilnehmerbezogenen Daten ausgewertet. Der
Stichtag für die Projektkonzepte und Sachberichte ist der 01.01.2018. Die teilnehmerbezoge-
nen Daten beziehen sich auf den Zeitraum vom 10.08.2015 bis zum 09.02.2017.
13 Zum einen greift die Evaluierung greift gezielt die Umsetzungserfahren auf Projektebene zurück. In diesem Sinne handelt es sich um
eine implementationsanalytische Betrachtung, die der grundsätzlichen Annahme folgt, dass die Umsetzung von Interventionen einen
maßgeblichen Einfluss auf deren Wirksamkeit haben und wichtige Hinweise für eine Verbesserung der Wirksamkeit liefern können. Bei
der Wirkungsanalyse handelt es sich um eine theoriebasierte Zielbeitragsanalyse. Theoriebasiert heißt, dass wir grundsätzlich davon
ausgehen, dass zwischen Aktivitäten, Ergebnissen und Wirkungen ein kausaler Zusammenhang besteht, der nachgezeichnet und über-
prüft werden kann, um somit die Wirksamkeit der Förderung zu erörtern. Eine Zielbeitragsanalyse bedeutet, dass der Beitrag zur Ziel-
erreichung analysiert wird, gleichzeitig aber auch Einflussfaktoren auf die Zielerreichung berücksichtigt werden, die nicht unmittelbar
der Förderung zurechenbar sind.
• Welchen Beitrag leistet die Förderung zur Senkung der
von Armut und Ausgrenzung bedrohten Personen (EU-
Kernziel 2020)?
• Wie zweckmäßig ist das Programm vor dem
Hintergrund europäischer, bundes- und
landespolitischer Ziele und regionalen
Anforderungen in Sachsen-Anhalt?
• In welcher Beziehung steht das Programm
zu anderen Förderinstrumenten und
Angeboten in Sachsen-Anhalt und
bundesweit im Rahmen der Dekade für
Alphabetisierung und Grundbildung?
EU Bund und Land
ESF ESF-Landes-programm
• Welchen Beitrag leistet die Förderung zur sozialen
Innovation?
• Welchen (innovativen) Beitrag leistet das Programm
zur Förderung der Arbeitsmarktintegration und zur
Integration besonders Benachteiligter und zur
Erfüllung der ESF-Ziele?
• Welchen Beitrag leistet die Förderung zur
Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit und
Arbeitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosen und
weiteren am Arbeitsmarkt besonders benachteiligten
Personengruppen (Spezifisches Ziel 5)?
• Welchen Beitrag leistet die Förderung zur
Senkung der Zahl erwachsener
Analphabeten in Sachsen-Anhalt und zur
Stärkung des Verständnisses für das
Phänomen und die hiermit verbundenen
Problemlagen?
• Wie wirksam und effizient sind die
gewählten Förderschwerpunkte?
Welchen förderlichen finanziellen und organisatorischen
Rahmenbedingungen der Alphabetisierungs- und
Grundbildungsarbeit lassen sich aus der Evaluierung
ableiten?
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 5
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• Nach der Sichtung und Auswertung der Daten und Dokumente wurden vier qualitative Inter-
views durchgeführt. Die offenen, leitfadengestützten Interviews zum Programm und seiner
Umsetzung wurden mit zwei der Fördervorhaben geführt (Modellprojekt der VHS Magdeburg
und das Landesnetzwerk Alphabetisierung und Grundbildung Sachsen-Anhalt) sowie mit An-
sprechpersonen auf Verbandsebene (Landesverband der Volkshochschulen Sachsen-Anhalt
e.V. und Koordinierungsstelle Dekade für Alphabetisierung).
• Im Anschluss wurden zwei dreistündige Gruppendiskussionen mit den umsetzenden Projekt-
trägern durchgeführt. Unterteilt waren diese in solche Projektträger, die den Fördergegen-
stand „Maßnahmen zur Alphabetisierung und Grundbildung von funktionalen Analphabeten“
umsetzen und somit maßgeblich kursförmig arbeiten und den Projektträgern, die die anderen
Fördergegenstände, maßgeblich „Sensibilisierungsmaßnahmen in der Gesellschaft mit dem
Themenschwerpunkt Alphabetisierung und Grundbildung“, durchführen.14
• Die im Anschluss durchgeführten qualitativen Vertiefungsinterviews mit für Alphabetisierung
und Grundbildung verantwortlichen Personen der Landesregierung des Freistaats Thüringen
und Sachsen sowie im Burgenlandkreis dienen dazu, die gewonnenen Schlussfolgerungen zu
validieren und zu präzisieren. Demselben Zweck diente das Vertiefungsinterviews mit dem für
die Bewilligung zuständigen Landesverwaltungsamt. Flankierend zu den Interviews mit den
zuständigen Ansprechpersonen des Freistaats Thüringen und Sachsen wurde ein maßgeblich
auf den zugänglichen Angaben auf www.alphadekade.de15 Vergleich der Förderstrategien der
Bundesländer durchgeführt.
Abbildung 3: Erhebungen und Auswertungen im Zuge der Evaluierung
Quelle: Eigene Darstellung Ramboll Management Consulting
14 An den Gruppengesprächen haben von den geförderten Kursprojektträgern fünf von sechs teilgenommen sowie das Modellprojekt
der VHS in Magdeburg. Von den sonstigen geförderten Projektträgern haben an der zweiten Gruppendiskussion fünf von sechs teilge-
nommen.
15 Vgl. https://www.alphadekade.de/de/laender-1708.html, zuletzt abgerufen am 15.05.2018.
Daten- und Dokumentenanalyse
Auswertung der Projektanträge und vorliegenden
Sachberichte
Auswertung der vorliegenden Daten zum finanziellen und
materiellen Umsetzungsstand
1
Qualitative Interviews
Modellprojekt VHS Magdeburg
Landesnetzwerk Alphabetisierung und Grundbildung
Sachsen-Anhalt
2
Landesverband der Volkshochschulen Sachsen-Anhalt e.V.
Koordinierungsstelle Dekade für Alphabetisierung
(Bundesinstitut für Berufsbildung)
(Qualitative) Gruppendiskussionen
mit den Projektträgern der Fördervorhaben (getrennt nach den Fördergegenständen)
3
(Qualitative) Vertiefungsinterviews
mit der für das Programm verantwortlichen
Ansprechperson der Bewilligungsbehörde
(Landesverwaltungsamt)
mit dem Leiter des Amtes für Bildung, Kultur und Sport im
Burgenlandkreis
mit den für Alphabetisierung und Grundbildung
zuständigen Personen der Landesregierung im Freistaat
Thüringen und Sachsen
4
Die Interviews mit den zuständigen Ansprechpersonen des
Freistaats Thüringen und Sachsen wurden flankiert durch
einen Vergleich der Förderstrategien der
Bundesländer.
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3. BEWERTUNG DER UMSETZUNG DER FÖRDERUNG
Zum Zeitpunkt der Evaluierung (Stand: Februar 2018) waren 21 Fördervorhaben von 13 Projekt-
trägern in Höhe von 4.859.993,71 Euro inklusive der Eigenmittel der Projektträger16 bewilligt. Bei
den Projektträgern handelt es sich, wie von der Richtlinie vorgesehen, ausschließlich um aner-
kannte Träger der Erwachsenenbildung. Es nehmen sieben Volkshochschulen17, zwei Heimvolks-
hochschulen18 und vier landesweit agierende eingetragene Vereine an der Förderung teil.19 Ein
Blick auf die bewilligten Fördervorhaben zeigt einen eindeutigen Schwerpunkt auf Kurs- und Sen-
sibilisierungsmaßnahmen. 14 der 21 zum Zeitpunkt der Evaluierung bewilligten Fördervorhaben
setzen auch „Maßnahmen zur Alphabetisierung und Grundbildung von funktionalen Analphabe-
ten“ um, elf davon ausschließlich (52 Prozent20). Neun von 21 Fördervorhaben setzen auch den
Fördergegenstand „Sensibilisierungsmaßnahmen in der Gesellschaft mit dem Themenschwer-
punkt Alphabetisierung und Grundbildung“ um, vier davon ausschließlich (19 Prozent21). „Schu-
lungen des Personals in der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit“ sowie „Projekte die da-
zu dienen, neue Lehr- und Lernerfahrungen auf dem Gebiet der Alphabetisierung und Grundbil-
dung sowie neue Möglichkeiten der Ansprache und Gewinnung der Zielgruppe zu entwickeln“,
werden laut den Antragsunterlagen deutlich seltener umgesetzt.
Die Analyse der Umsetzungserfahrungen hat zwei für die Zielbeitragsanalyse zentrale Befunde
ergeben. Zum einen hat sie ergeben, dass sich die vier Fördergegenstände bezüglich ihrer Wirk-
samkeit gegenseitig bedingen und in der Projektumsetzung eng ineinandergreifen. Zum anderen
hat die Analyse ergeben, dass es prinzipiell zwei Projektansätze gibt, die sich quer zu den För-
dergegenständen unterscheiden lassen: Kursmaßnahmen auf der einen und Sensibilisierungs-
maßnahmen auf der anderen Seite.
Zwischen den Fördergegenständen besteht prinzipiell eine Wechselwirkung. Erst die Sensibilisie-
rung für Alphabetisierung schafft Zugänge zu den Zielgruppen und einen Motivationsmoment, das
Kursangebot zu nutzen. Zugleich sind qualifizierte Lehrkräfte und zielgruppengerechte Formate
eine Grundvoraussetzung für ein Kursangebot. Im Gegenzug stärkt ein „flächendeckendes
Kursangebot“22 die Effekte der Sensibilisierungsarbeit und aktiviert sowohl (funktionale) Analpha-
beten als auch die „mitwissenden Personen und Stellen“. Aus Sicht der Sensibilisierungsprojekt-
träger ist die Möglichkeit, auf konkrete Kursangebote verweisen zu können, eine wichtige Voraus-
setzung, um die Adressaten der Sensibilisierungsarbeit zur Teilnahme zu motivieren und so die
Effekte der Sensibilisierungsarbeit zusätzlich zu stärken.
16 Antragsstatistik OP 2014-2020_302.c; Druckdatum: 17.10.2017.
17 Insgesamt gibt es 15 öffentlich getragene Volkshochschulen in Sachsen-Anhalt. An der Förderung nicht beteiligt sind die Volkshoch-
schulen aus den Landkreisen Altmarkkreis Salzwedel, Stendal, Jerichower Land, Harz, Salzlandkreis und Mansfeld-Südharz sowie die
Volkshochschule der Stadt Halle (Saale).
18 Laut den Gruppengesprächen gibt es insgesamt vier Heimvolkshochschulen in Sachsen-Anhalt. Die Heimvolkshochschule Konrad-
Martin-Haus gGmbH und die Heimvolkshochschule Roncalli-Haus Magdeburg sind Trägerschaft der katholischen Kirche.
19 Auffallend ist, dass nicht alle (öffentlichen) Volkshochschulen in Sachsen-Anhalt, die Chance genutzt haben, ihr Grundbildungsange-
bot weiterzuentwickeln und Alphabetisierung zu stärken. Nach Einschätzungen der Gesprächspartner/-innen in den Interviews und den
Gruppendiskussionen könne dies darauf zurückzuführen sein, dass der administrative Aufwand von zeitlich begrenzten Projektförde-
rungen im Vergleich zu den anderen öffentlichen Förderungen, die Volkshochschulen erhalten, deutlich höher sei. Welche Gründe und
Beweggründe für eine Nicht-Teilnahme bestehen, kann allerdings im Zuge der vorliegenden Evaluierung nicht differenziert genug, erör-
tert werden.
20 Das bewilligte Projektvolumen beläuft sich auf 1.044.831,13 Euro, das entspricht 23 Prozent des gesamten bewilligten Volumens.
21 Das bewilligte Projektvolumen beläuft sich auf 1.054.329,66 Euro, das entspricht ebenfalls 23 Prozent des gesamten Volumens.
22 Nachfolgend sind alle wörtlich übernommenen Ausführungen der interviewten Gesprächspartner/-innen und Gruppendiskussionen in
Anführungsstrichen. Sind die nicht anderweitig gekennzeichnet handelt es sich somit um ein wörtliches Zitat aus den qualitativen Er-
hebungen.
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 7
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
Abbildung 4: Wechselwirkungen der Fördergegenstände (Kreislauf)
Quelle: Eigene Darstellung Ramboll Management Consulting
Die Trennung der Fördergegenstände weicht folgerichtigerweise in der Projektumsetzung auf.
Auch die Kursprojektträger entwickeln neue Wege der Ansprache und Gewinnung der Zielgruppe,
unterstützen zum Teil Schulungen des Personals und kommunizieren ihr Kursangebot öffentlich-
keitswirksam. In dieser Form leisten sie auch einen Beitrag dazu, neue Zugänge zur Zielgruppe
zu erschließen, ihre Kooperations- und Netzwerkpartner für die Thematik zu sensibilisieren sowie
für sich neue Lehr- und Lernformen zu entwickeln und zu erproben. Für Kursträger der Erwach-
senenbildung ist die Integration und Unterstützung der Zielgruppe ein zum größten Teil neuer Er-
fahrungswert. Aus der Projektumsetzung der Kurs- und Sensibilisierungsmaßnahmen können
mithin auch wichtige Hinweise zu erfolgsversprechenden Wegen der Ansprache und Gewinnung
sowie neuer Lehr- und Lernerfahrungen gezogen werden.
Bezüglich der eingeführten Unterscheidung in zwei zentrale Projektansätze sind die von den fol-
genden drei Projektträgern umgesetzten Fördervorhaben hervorzuheben. Im Vergleich verfolgen
sie spezifischere Ansätze und werden aus diesem Grund in den nachfolgenden Erläuterungen ge-
sondert behandelt:
• Die städtische Volkshochschule Magdeburg ist der einzige Projektträger, der alle vier Förder-
gegenstände umsetzt und damit auch der einzige Projektträger, der „Schulungen des Perso-
nals in der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit“ als Fördergegenstand ausgewählt
hat.
• Eine Sonderstellung nimmt auch das Fördervorhaben der Ländliche Erwachsenenbildung
(LEB) in Sachen-Anhalt e.V. in Kooperation mit der Katholischen Erwachsenenbildung e.V.
und Arbeit und Leben Bildungsvereinigung Sachsen-Anhalt e.V. ein. Zusammen setzen die
Projektträger das Netzwerk Alphabetisierung und Grundbildung in Sachsen-Anhalt um.
• Das einzige Fördervorhaben, welches laut Antragsunterlagen ausschließlich neue „Lehr- und
Lernerfahrungen auf dem Gebiet Alphabetisierung und Grundbildung sowie neue Möglichkei-
ten der Ansprache und Gewinnung von Zielgruppen“ entwickelt und erprobt (5 Prozent23),
wird von der HVHS Roncalli-Haus umgesetzt und richtet sich explizit an das pädagogische
Personal in Kindertagesstätten.
Tabelle 1: Fördervorhaben: spezifische Projektansätze
Projektträger Kurse Sensibili-
sierung
Projek-
te
Schu-
lungen
Ziel-/Adressaten-
gruppen
Projekt-
volumen
Laufzeit
(in
Monaten)
HVHS
Roncalli-Haus
Magdeburg
x pädagogisches Perso-
nal in Kindertagesein-
richtungen
624.453,26
Euro
35 Monate
23 Das entspricht 15 Prozent der bewilligten Gesamtmittel.
Sensibilisierung
(steigende Aufmerksamkeit
und Verständnis für das
Phänomen)
Neue Wege der Ansprache
und Gewinnung der
Zielgruppe (neue Zugänge) /
Entwicklung und Erprobung
neuer Lehr- und
Lernerfahrungen
Maßnahmen zur
Alphabtetisierung und
Grundbildung
(angepasste Kursformate
und flankierende Aktivitäten)
Schulungen des Personals
(Ansprache und Gewinnung
des Personals sowie
Aktivierung des Interesses,
in diesem Berfusfeld tätig zu
werden)
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 8
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
Projektträger Kurse Sensibili-
sierung
Projek-
te
Schu-
lungen
Ziel-/Adressaten-
gruppen
Projekt-
volumen
Laufzeit
(in
Monaten)
LEB in Kooperati-
on mit Arbeit und
Leben & der Ka-
tholischen Er-
wachsenenbildung
x x k.A. 406.680,77
Euro
36 Monate
VHS Magdeburg x x x x Erwachsene funktionale
Analphabeten
45.409,01
Euro24
10 Monate
x x x x Erwachsene funktionale
Analphabeten
248.247,84
Euro
24 Monate
Anmerkung: Die grau hinterlegten Maßnahmen waren zum Zeitpunkt der Evaluierung bereits abgeschlossen.
Es ist festzuhalten, dass alle Fördervorhaben, ungeachtet des Fördergegenstandes, potenziell ei-
nen Beitrag zu den in der Richtlinie zum Programm „Alphabetisierung und Grundbildung“ formu-
lierten Zielen leisten können – und zwar spezifisch in ihrem Zusammenwirken. Aus diesem Grund
ist auch die Schwerpunktsetzung laut Antragsstellung und die damit einhergehende Differenzie-
rung in zwei maßgeblich geförderte Projektansätze, wie in den untenstehenden Tabellen ausge-
wiesen, differenziert zu betrachten.
Nachfolgend sind die zentralen sich aus der Umsetzungsanalyse ergebenden Aspekte der Projek-
tumsetzung, unterschieden nach den zwei Projektansätzen, erörtert. Vorangestellt ist den jewei-
ligen Ausführungen eine Interventionslogik des entsprechenden Projektansatzes. Die Interventi-
onslogiken dienen dazu, die erwarteten Zusammenhänge zwischen Aktivitäten, Ergebnissen und
Wirkungen grafisch darzustellen. Außerdem werden maßnahmeninterne (d. h. durch das Pro-
gramm und die Projekte beeinflussbare) und maßnahmenexterne (d. h. durch das Programm und
die Projekte kaum beeinflussbare) Einflussfaktoren auf die Zielerreichung und die Wirksamkeit
des jeweiligen Projektansatzes dargestellt. In die Erstellung der Interventionslogiken sind die In-
formationen und Zusammenhänge, die sich aus der Daten- und Dokumentenanalyse sowie den
Interviews und Gruppendiskussionen ergeben, eingeflossen. Die Interventionslogiken könnten zu
einem späteren Zeitpunkt für eine summative Evaluation der Zielerreichung und der Wirksamkeit
der unterschiedlichen Projektansätze herangezogen werden.
3.1 Beschreibung und Analyse der Kursmaßnahmen
Die Ergebnisse der Evaluierung zeigen, dass die Ansprache und Gewinnung der Zielgruppe an-
spruchsvoll und ihre Kursteilnahme voraussetzungsvoll ist. Sowohl ein Kursangebot bereit zu hal-
ten als auch eine Kursteilnahme und deren Abschluss zu unterstützen sind hochschwellig. Wäh-
rend der Bedarf für Alphabetisierungskurse und somit die Relevanz der Förderung nicht in Frage
gestellt wird, ergeben die Auswertungen und Erhebungen, dass es in der Tat nicht einfach ist, die
Zielgruppe zu erreichen, zu einer Kursteilnahme zu motivieren und sie bis zum Abschluss des
Kurses motiviert zu halten – ungeachtet des damit einhergehenden Kompetenzzuwachses. Hier-
bei handelt es sich um einen generellen Erfahrungswert in der Alphabetisierungs- und Grundbil-
dungsarbeit. Die Nachfrage an Angeboten sei immer noch sehr gering und bisher werde nur ein
„Bruchteil“ der potenziellen Zielgruppe erreicht.
24 Das angegebene Projektvolumen liegt, wie das von vier weiteren bereits abgeschlossenen Projekten, unter der in der Richtlinie ent-
haltenen 50.000 Euro Mindestantragsvolumen. Hierbei handelt es sich um die ersten fünf Bewilligungen Ende 2015 bzw. Anfang 2016,
deren Laufzeit ein Jahr oder kürzer war.
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 9
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
Abbildung 5: Interventionslogik - Kursmaßnahmen
Quelle: Eigene Darstellung Ramboll Management Consulting.
Mit den Kursangeboten werden derzeit fast ausschließlich erwachsene (funktionale) Analphabeten
erreicht, auch wenn die Richtlinie Personen ab dem vollendeten 15. Lebensjahr als förderfähig
ausweist und dies von den interviewten Gesprächspartnerinnen und -partnern prinzipiell als fach-
lich sinnvoll erachtet wird.25 Der Erwerbsstatus der Zielgruppe stellt eine wichtige Unterscheidung
dar. Dies betrifft nicht nur Kursformate, -zeiten und zum Teil auch Kurs- und Lerninhalte, son-
dern prinzipiell auch die Frage nach der Motivation der potenziellen Teilnehmenden sowie ihren
Bedürfnissen, so die Einschätzung der Projektträger.
Tabelle 2: Fördervorhaben: Kursmaßnahmen
Projektträger Kurse Sensibili-
sierung
Pro-
jekte
Schu-
lungen
Ziel-/Adressaten-
gruppen
Projekt-
volumen
Laufzeit (in
Monaten)
KVHS
Anhalt-Bitterfeld
x Alpha-Level 1-4 48.220,90
Euro
13 Monate
x Alpha-Level 1-4 222.289,06
Euro
36 Monate
KVHS Börde x Alpha-Level 1-4 46.668,03
Euro
11 Monate
x Alpha-Level 1-4 163.902,92
Euro
36 Monate
KVHS Saalekreis x Alpha-Level 1-4 38.901,38
Euro
9 Monate
x Alpha-Level 1-4 76.460,40
Euro
18 Monate
x Alpha – Level 1-3,
Behinderte
119.740,32
Euro
36 Monate
KVHS Witten-
berg
x Alpha - Level 1-3 25.971,48
Euro
11 Monate
x Alpha - Level 1-3 185.748,28
Euro
36 Monate
25 Hier stellt sich die Frage, ob die Zielgruppe der Jugendlichen gesondert angesprochen und unterstützt werden müsste. Die Gruppen-
diskussionen bezogen sich ausschließlich auf erwachsene (funktionale) Analphabeten.
Projektaktivitäten Projektergebnisse ProjektwirkungenProjektoutputs
Entwicklung, Erprobung und Anpassungen von Alphabetisierungskursen (konzeptionell und organisatorisch)
Programmexterne Einflussfaktoren
• Aufmerksamkeit, Verständnis und Akzeptanz des Phänomens• Bekanntheit des Angebots• …
Programminterne Einflussfaktoren
Ansprache von Kooperations- und Netzwerkpartnern
(neue Wege der) Ansprache und Gewinnung der Teilnehmer/-innen (Zielgruppen)
• Kooperationsbereitschaft „mitwissender Stellen und Personen“• Verfügbarkeit von qualifizierten Honorarkräften• Personelle und zeitliche Ressourcen bei den Projektträgern• …
Steigende (öffentliche) Aufmerksamkeit für die Thematik (bei der Zielgruppe und „mitwissenden Stellen und Personen“)
Projektbezogene Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation und Verwaltungsstrukturen
Sozialer Kompetenzzuwachs, erhöhte Eigenständigkeit
Akquise (und Qualifizierung) der Honorarkräfte (Kurse und sozialpädagogische Begleitung)
Aktivierung und Erweiterung der Kooperations- und Netzwerkbeziehungen
(abgeschlossene und nicht abgeschlossene Teilnahme an Kursangeboten (Erwachsene)
(adressatengerechtes und differenziertes) Kursangebot und dessen Durchführung
Aufbau von personellem, fachlichem und organisatorischem Know-How bei den Projektträgern
Aktivierung und Erweiterung der Kooperations- und Netzwerkbeziehungen
Lebenslagen-, alltags- und berufsbezogene Vermittlung von Schriftkompetenzen
…
Vermittlung in weiterführende (sozial-psychologische) Unterstützungsangebote
Steigende Bekanntheit des Angebot unter den Kooperations- und Netzwerkpartnern
…
Verbesserung der Schreib-, Lese- und Rechenkompetenz
Aktivierung von (längerfristigen) Lern- und Teilhabeprozessen
Weiterentwicklung und Professionalisierung des Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit
…
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 10
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
Projektträger Kurse Sensibili-
sierung
Pro-
jekte
Schu-
lungen
Ziel-/Adressaten-
gruppen
Projekt-
volumen
Laufzeit (in
Monaten)
VHS
Burgenlandkreis
(KVHS)
x Funktionale Analpha-
beten, Menschen mit
Grundbildungsbedarf
mit und ohne Migra-
tionshintergrund,
Menschen mit Lern-
schwierigkeiten
340.266,74
Euro
23 Monate
VHS
Stadt Dessau-
Roßlau
x Alpha - Level 1-3 116.928,36
Euro
36 Monate
Anmerkung: Die grau hinterlegten Maßnahmen waren zum Zeitpunkt der Evaluierung bereits abgeschlossen.
Von den 78 bei Eintritt erfassten Personen war der größte Teil arbeitssuchend (59 Personen, 76
Prozent), 47 Personen davon langzeitarbeitslos (60 Prozent). Weitere 10 Prozent (8 Personen)
waren nicht erwerbstätig und 14 Prozent (11 Personen) erwerbstätig. Lediglich zwei von den 78
erfassten Personen waren unter 25 Jahre (drei Prozent), der größte Teil zwischen 25 bis 54 Jahre
(83 Prozent) und weitere 14 Prozent (11 Personen) 55 Jahre oder älter.
Abbildung 6: Erwerbsstatus der Teilnehmenden bei Eintritt26
Quelle: Eigene Darstellung Ramboll Management Consulting auf Basis der Auswertung der teilnehmerbezogenen Daten;
Gesamt: n=78 erfasste Personen bei Eintritt.
Von den 78 bei Eintritt erfassten Teilnehmenden waren zum Stichtag für die Datenauswertung 32
Personen bereits wieder ausgetreten (41 Prozent). Von diesen haben zehn den jeweiligen Kurs
absolviert, 22 ihn nicht bis zum Schluss besucht. Unter den Austritten waren 27 Personen, die bei
Eintritt arbeitsuchend waren (84 Prozent), davon 16 langzeitarbeitslos (50 Prozent); drei Perso-
nen waren erwerbstätig (neun Prozent) und zwei Personen nicht erwerbstätig (sechs Prozent).
Die Auswertung der teilnehmerbezogenen Daten stützen zentrale Erfahrungswerte der Projek-
tumsetzung: eine Teilnahme an einem Kurs und deren Abschluss ist hochschwellig. Betrachtet
man die Abbrecherquote scheint dies vor allem für erwerbstätige funktionale Analphabeten zuzu-
treffen. Auffallend ist zudem, dass auch unter den als arbeitssuchend und als langzeitarbeitslos
gemeldeten erfassten Teilnehmenden der Kurse die ‚Abbrecherquote‘27 vergleichsweise hoch ist.
26 Die teilnehmerbezogenen Daten umfassen die sechs ausschließlich Kurse durchführenden Träger und beziehen sich auf sieben För-
dervorhaben.
27 Die teilnehmerbezogenen Daten lassen keine valide Aussage darüber zu, welche Teilnehmenden die Kursteilnahme abgebrochen ha-
ben. Von den 78 bei Eintritt erfassten Teilnehmenden, haben 32 an der Austrittsbefragung teilgenommen. Von diesen haben 10 den
Kurs abgeschlossen und 22 ihn nicht bis zum Schluss besucht. Der Austrittsfragebogen erfasst Gründe für den Austritt und somit den
14%
10%
16%60%
Erwerbstätig (n=11)
Nicht erwerbstätig (n=8)
Arbeitslos (n=12)
Langzeitsarbeitslos (n=47)
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 11
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
Das ist insofern beachtenswert, als es diese Personengruppe ist, die potenziell am meisten von
der Kursteilnahme profitieren könnte und zudem die Personengruppe, die theoretisch am meisten
Zeit zur Verfügung hat.
Abbildung 7: Auswertung der teilnehmerbezogenen Daten bei Austritt
Quelle: Eigene Darstellung Ramboll Management Consulting auf Basis der Auswertung der teilnehmerbezogenen Daten;
Gesamt: n=32 über den Austrittsfragebogen erreichte Personen.
Die Ansprache und Gewinnung der Zielgruppe ist nur bedingt über übliche Wege erfolgreich. Kon-
sequenterweise haben die Kursprojektträger die Wege der Ansprache differenziert und diversifi-
ziert. Hierzu gehört auch die aktive Zusammenarbeit mit Kooperations- und Netzwerkpartnern,
die in ihrer Arbeit potenziell auf (funktionale) Analphabeten treffen. „Die Familienintegrationscoa-
ches führen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen einzeln an der Hand zu uns,“ führt es beispiels-
weise ein Kursprojektträger aus.28 Ein Erfahrungswert, den die anderen Kursprojektträger teilen:
Potenziell Interessierte „müssen an die Hand genommen werden“. Teilnehmende zu finden, ge-
staltet sich mithin aufwändig, die Gewinnung bedarf einer aktiven und individuellen Ansprache,
die sich zudem, so die Erfahrungswerte, nicht direkt und explizit auf „Alphabetisierung“ beziehen
darf. Erfolgreich ist es, die Zielgruppe dort anzusprechen, wo sie sich in ihrem Alltag bewegt. Ei-
nige Kursprojektträger haben hier gute Erfahrungen in der Kooperation mit sozialen Beratungs-
stellen und Alltagseinrichtungen wie etwa Kindertagesstätten, Jobcentern, Projekten und Initiati-
ven gemacht.29 Zudem sei die projektbezogene Zusammenarbeit mit öffentlichen und sozialen
Unterstützungsangeboten auch wichtig, um bei möglichem weiterführenden Unterstützungsbe-
darfen der Teilnehmenden, an diese vermitteln zu können.30 Eine steigende Bekanntheit des An-
gebots unter kommunalen und sozialen Einrichtungen trägt ferner zur erfolgreichen Ansprache
und Gewinnung von Teilnehmenden mittelbar bei. Am effizientesten, so die Kursprojektträger, sei
die „Mund-zu-Mund“-Propaganda: Mit wachsender Bekanntheit des Angebots innerhalb der Ziel-
gruppe selbst und bei den „mitwissenden Schnittstellen“ fällt die Ansprache und Gewinnung zu-
nehmend leichter. Aus diesem Grund sei es auch sinnvoll, Kurse mit geringen Teilnehmerzahlen
durchzuführen.
Eine ‚schulförmige‘ Kursteilnahme ist aufgrund der „Sensibilität“ der Zielgruppe voraussetzungs-
voll. Auch wenn betont wurde, dass die Zielgruppe sehr heterogen sei, handelt es sich um Men-
Abbruch nicht standardisiert. In den Gruppendiskussionen wurde vor allem bei berufstätigen Teilnehmenden Zeitmangel, generell
Überforderung als Gründe für einen Abbruch genannt.
28 Bei den Familienintegrationscoaches handelt es sich um die derzeit im OP in Sachen-Anhalt geförderte Maßnahme „Familien stärken-
Perspektiven eröffnen“, eine Teilaktion des Programms „Zukunft mit Arbeit“.
29 Hier gilt es festzuhalten, dass diese Form der Kooperation zur Ansprache und Gewinnung der Zielgruppe bei einigen Kursprojektträ-
gern besser zu funktionieren scheint als bei anderen (dies gilt bspw. auch für die Zusammenarbeit mit der öffentlichen Arbeitsverwal-
tung). Warum das so ist, kann im Zuge dieser Evaluierung nicht beantwortet werden.
30 Teilweise wurde über eine Kooperation mit dem Sozialamt berichtet, die u.a. eine Einzelfallbetreuung bei psychosoziale Problemlagen
umfasst.
5%
20%9%
27%
50%
59%
30%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
Absolventen (n=22) Abbrecher (n=10)
Langzeitsarbeitslos (n=16)
Arbeitslos (n=11)
Nicht erwerbstätig (n=2)
Erwerbstätig (n=3)
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 12
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
schen, die in der Regel schlechte „institutionelle Lernerfahrungen“ gemacht haben.31 Auf den
Punkt gebracht hat es einer der Kursprojektträger mit folgender Aussage: „Analphabetismus hat
immer einen Grund, meist sogar mehrere“. Diese in der Regel multiplen Gründe für den Analpha-
betismus schließen schlechte Lern- und Beziehungserfahrungen ein oder sind gar auf diese zu-
rückzuführen. Zugleich handelt es sich bei erwachsenen (funktionalen) Analphabeten um Men-
schen, die in der Regel lange mit ihrem „Defizit“ leben, zum Teil „trotzdem“ erwerbstätig sind und
elaborierte Strategien entwickelt haben, gleichwohl „zurecht zu kommen“. Entgegen einer der Al-
phabetisierungsarbeit oft zugrundeliegenden Annahme, Lesen und Schreiben zu können sei ein
„Selbstzweck“, haben die Kursprojektträger angeführt, dass es für die meisten Teilnehmenden
und solche, die potenziell interessiert sind, ein „Mittel zum Zweck“ darstellt, alltagsbezogen „bes-
ser zurecht zu kommen“. Die Motivation, an einem Kurs teilzunehmen, müsse somit differenziert
betrachtet werden und bei der Gestaltung und Durchführung der Kursformate, sowohl bezüglich
der Lerninhalte und lebensbegleitenden Hilfen, Berücksichtigung finden. Die Motivation und Le-
benslage der Teilnehmenden haben einen Einfluss darauf, inwiefern lebens- und alltagsbezogene
oder auch berufsbezogene Inhalte und Kenntnisse vermittelt werden sollten als auch darauf, wel-
che individuellen Problemlösungen erarbeitet werden sollten und welche Hilfe bei Schriftverkehr
benötigt werde. Je mehr die Lebenslage und Motivation der Teilnehmenden Berücksichtigung fin-
den, desto effizienter sei die Kursdurchführung. Dies trifft auch auf die Frage zu, inwiefern Men-
schen mit Migrationshintergrund, speziell Flüchtlinge integriert werden können. Die Erfahrungen
in der Projektumsetzung haben ergeben, dass die Kursangebote prinzipiell auch für Menschen mit
Migrationshintergrund, speziell Flüchtlinge von Interesse sind. Eine Erweiterung um diese Ziel-
gruppe ist mithin sinnvoll. Allerdings erfordert dies von den Kursprojektträgern eine noch stärker
differenzierte pädagogische und didaktische Umsetzung der Kursangebote.
Die Projekterfahrungen deuten zudem darauf hin, dass es eines „Krisenmoments“ bedarf, um die
Motivation zu finden, offen mit dem Defizit umzugehen, es abbauen zu wollen sowie hierfür auf
„institutionelle Bildungseinrichtungen“ zuzugehen und sich zuzutrauen, einen 300 bis 500 Unter-
richtseinheiten umfassenden mehrmonatigen Kurs zu absolvieren. Dieser Motivationsmoment sei
jedoch ein „zartes Pflänzchen“, welches von Seiten der Kursprojektträger individuell und fortlau-
fend gepflegt werden müsse. Hier können beispielsweise auch standardisierte Lernstandsmes-
sungen und ähnliche „Prüfungsmomente“, gerade zu Beginn einer Teilnahme, abschreckend wir-
ken. Das gleiche gilt für die von der Zielgruppe nicht nachvollziehbare Dokumentation von Anwe-
senheiten und/oder teilnehmerbezogenen Daten im Zuge der ESF-Förderung. Es bedarf hier einer
ständigen und engen Begleitung der Teilnehmenden, um diese „mitzunehmen“. Eine ergänzende
sozialpädagogische Begleitung wurde diesbezüglich als Erfolgsfaktor benannt, auch weil es sich
hier oft um eine „Vertrauensperson“ handele. Ein Vertrauensverhältnis müsse bestehen, damit
die Teilnehmenden sich auf für sie ungewohnte Situationen und Erfahrungen einlassen (können).
Grundsätzlich falle es Menschen mit Alphabetisierungs- und Grundbildungsdefiziten schwer, „von
einem Tag auf den anderen“ an einem regelmäßig stattfinden und langfristig ausgerichteten Un-
terricht im Kursformat teilzunehmen.
Ähnliche Erfahrungswerte wurden bezüglich des zu erwartenden Lernerfolgs durch die Kursteil-
nahme gesammelt.32 Wenn auch in der Regel eine Verbesserung der Kompetenzen der Teilneh-
menden verzeichnet werden kann, teilen die Kursprojektträger die Ansicht, dass sogar bei einer
fortlaufenden Absolvierung aller vier Alpha-Level-Kurse in der Regel nicht zu erwarten sei, dass
die Teilnehmenden Grundschulniveau erreichen. Dies wird dadurch erschwert, dass der Alphabe-
tisierungs- und Grundbildungsbezogene Lernerfolg von anderen, in der Regel „multiplen Problem-
lagen“, abhängt. Im Gegenzug konstatieren sie, dass der Kompetenzerwerb vor allem bei Sekun-
därkompetenzen zu verzeichnen sei und der Erfolg einer Kursteilnahme vor allem darin bestünde,
längerfristige Lern- und Teilhabeprozesse anzustoßen. Zudem wurde betont, Alphabetisierung sei
kein „Gruppenunterricht“. Im Gegenteil: Die Erfahrungen der Kursprojektträger deuten darauf
hin, dass die Kursformate flexibel ausgerichtet sein müssen, so dass eine individuelle Begleitung
der Teilnehmenden nach ihren Interessen und Bedarfen möglich ist und mithin am besten in
Kleingruppen erfolgen sollten. Die Kurse sollten zudem im besten Falle offen sein, so dass ein
„Soforteinstieg“ jederzeit möglich ist. Die derzeitige Umsetzung der Kursmaßnahmen liefert wich-
31 Das Modellprojekt Magdeburg formuliert es so: „Es gibt kaum ein Merkmal, welches alles Personen, die unsere Angebote nutzen, tei-
len. In der Regel haben sie allerdings auch in anderen Lebensbereichen Probleme. Alle tragen einen ‚Rucksack‘.“
32 Hier wurde auch auf die Informationen zu den Sprach- und Integrationskursen verwiesen. Angeblich schaffe es hier nur jeder Fünfte,
das B1-Level zu erreichen.
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 13
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
tige Hinweise für einen erfolgreichen Projektansatz der Alphabetisierungs- und Grundbildungsar-
beit. Hierzu gehören offene, flexible und individuelle Formate, die um eine sozialpädagogische
Begleitung ergänzt und sich auf lebens- und alltagsbezogene Lerninhalte beziehen. Die Ansprache
und Gewinnung der Teilnehmenden erfordert die Zusammenarbeit mit Akteuren im Sozialraum.
Hier wird die Vorgabe der aktuellen Förderung über den Fördergegenstand „Maßnahmen zur Al-
phabetisierung und Grundbildung von funktionalen Analphabeten“ als zu „starr“ empfunden. Es
stellt sich die Frage, warum die Kursprojektträger nicht noch stärker die Chance ergreifen, neue
Wege der Ansprache und neue Lehr- und Lernerfahrungen zu erproben und konsequenterweise
den korrespondierenden Fördergegenstand zu bedienen.
Die meisten Kursprojektträger haben ausgeführt, dass es für sie sehr aufwändig (gewesen) ist,
das notwendige qualifizierte pädagogische Personal zu finden. Einen Kurs anbieten zu können,
bedeutet mithin die Ansprache, Gewinnung und in Einzelfällen Qualifizierung der hierfür notwen-
digen Honorarkräfte. Hier bestehe ein ausgeprägter „Wettbewerb“ und „Konkurrenzkampf“ auf
dem Markt, unter anderem mit den Sprach- und Integrationskursen des Bundesamtes für Migra-
tion und Flüchtlinge (BAMF). Dieser werde erschwert dadurch, dass die Richtlinie vorsieht, dass
Honorarkräfte mit maximal 30 Euro/Unterrichtsstunde entlohnt werden können. Eine Honorar-
kraft eines Sprach- und Integrationskurses hingegen erhielte 35 Euro/Unterrichtsstunde. Zudem
stellt eine projektbezogen und zeitlich befristete Förderung (über den ESF) eine besondere Her-
ausforderung dar. Die Motivation, sich in diesem Bereich fortbilden zu lassen und beruflich tätig
zu werden, steigt mit der Aussicht auf eine Beschäftigung. Allerdings seien im Einzelfall verzöger-
te Kursbeginne und die generelle Befristung der Kursangebote hinderlich für die Motivation po-
tenzieller pädagogischer Fachkräfte. Generell wurde von interviewten Gesprächspartnerinnen und
-partnern in den Gruppendiskussionen konstatiert, dass es sich nur bedingt um ein „attraktives
Berufsfeld“ handele, auch wenn die Projekte ein steigendes Interesse an Qualifizierungen ver-
zeichnen. Die Kursprojekte müssen im Einzelfall viel Zeit investieren, um das pädagogische Fach-
personal zu finden und zu halten. Kein Zweifel besteht daran, dass die Aktivitäten der derzeitigen
Projektträger zu einer gesteigerten Bekanntheit des Tätigkeitsfeldes beitragen und Fachkräfte da-
zu motivieren, in diesem Bereich tätig zu werden. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die einzelnen
Fördervorhaben mit der Schulung des Personals im Zuge der derzeitigen Förderung überfördert
sein könnten.
Bezüglich der an den Kursen teilnehmenden (funktionalen) Analphabeten wurde betont, dass es
vor allem die „soziale Erfolge“ sind, die zu diesem Zeitpunkt auf die Förderung zurückzuführen
sind. Diese seien jedoch nur schwer messbar. Hierfür bräuchte es laut den Kursprojektträger vor
allem qualitativer Ansätze, die gleichzeitig ermöglichen, die „sozialen Erfolge“ zu sichern und die
darauf aufbauenden „fachlichen Erfolge“ zu ermöglichen. Eine Antwort auf die Frage, welche
Werkzeuge, Methoden und Instrumente dies sein könnten, haben die Projektträger derzeit (noch)
nicht. Dies deutet auf einen Unterstützungsbedarf hin. Es wäre sinnvoll, auf andere, bereits be-
stehende Erfahrungswerte und Evidenzen zurückzugreifen, falls vorhanden, und diese den Pro-
jektträgern zugänglich zu machen und nicht vom einzelnen Kursprojektträger zu erwarten, diese
eigenständig zu erarbeiten. Laut den Daten zum materiellen Umsetzungsstand sind von den 32
Personen, die an der Abschlussbefragung teilgenommen haben, sechs nach Abschluss arbeitssu-
chend gemeldet, die dies zu Beginn nicht waren. Eine weitere Person hat seit Eintritt angefangen,
eine schulische oder berufliche Aus- oder Weiterbildung zu absolvieren. Dies zeigt in der Ten-
denz, was das Aktivierungspotenzial von Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit Erwachse-
ner sein kann. Es zeigt zugleich, wie langfristig diese Lern- und Teilhabeprozesse angelegt sind.
Zudem deutet es auf die Frage nach der Anschlussperspektiven für die Teilnehmenden der
Kursangebote hin.
Ein kursförmiges Angebot zum Erwerb von Lese-, Schreib- und Rechenkompetenzen auf Grund-
schulniveau für (funktionale) erwachsene Analphabeten ist somit voraussetzungsvoll. Es erfordert
vor allem, ein adressatengerechtes, den individuellen Bedürfnissen der Teilnehmenden entspre-
chenden Formats. Ein solches Format sollte im besten Falle beinhalten, dass die Orte der Anspra-
che (und der Unterstützung) sowie der inhaltliche Fokus der Angebote der Lebenslagen, der Moti-
vation und den Kapazitäten der Zielgruppe entsprechen. Je nach Zielgruppe muss das Angebot,
um zielgruppen- und bedarfsgerecht zu sein, unterschiedlich ausgestaltet sein. Die Ausführungen
der Gesprächspartnerinnen und -partner sowie der Projektträger lassen folgende Differenzierung
zu:
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 14
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
Abbildung 8: Zielgruppen der Alphabetisierungs- und Grundbildungskurse
Quelle: eigene Darstellung Ramboll Management Consulting.
Bei dieser Differenzierung handelt sich um eine idealtypische Darstellung. Sie ist folglich weder
abschließend noch trennscharf. Selbstverständlich ist eine Kombination unter bestimmten Um-
ständen sinnvoll. Sie verdeutlicht nichtsdestoweniger, dass die beschäftigungsfördernde Funktion
der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit für erwachsene (funktionale) Analphabeten im
besten Falle eine mittelbare ist. Gesellschaftliche Teilhabe (auch am Arbeitsleben) steht für die
Zielgruppe, so die bisherigen Erkenntnisse der Projektumsetzung, eindeutig im Mittelpunkt. Die
Darstellung greift zudem auf, wie heterogen die Zielgruppe beziehungsweise ihre Lebenslagen,
ihre Motivation und ihre Kapazitäten sind. Das Wissen über ihre „Motivation und der Ursachen“
ihrer „Defizite“ ist laut den Einschätzungen der interviewten Gesprächspartnerinnen und -partner
noch nicht sehr ausgeprägt. Es erscheint mithin sinnvoll, das Erfahrungswissen über die Ziel-
gruppe zu vertiefen.
Es zeigt sich, dass „klassische“ Kursangebote mit dem Ziel des Kompetenzerwerbs derzeit nur
bedingt geeignet sind, um die Zielgruppe adressatengerecht anzusprechen und zu unterstützen.
Offene, alltagsbezogene und sozialräumlich ausgerichtete Angebote erscheinen mithin geeigne-
ter, um längerfristige Lern- und Teilhabeprozesse anzustoßen und zu begleiten. Im besten Falle
führen diese dazu, dass (funktionale) Analphabeten die Motivation und Ausdauer finden, ihre Le-
se- und Schreibdefizite gezielt abzubauen, indem sie einen Alphabetisierungs- und Grundbil-
dungskurs besuchen und erfolgreich abschließen. Eine Kombination aus „klassischen“ Kursange-
boten mit offenen und alltagsbezogenen Aktivitäten und Unterstützungsangeboten könnte zu-
künftig die Teilnahmewahrscheinlichkeit und den damit einhergehenden Kompetenzzuwachs und
somit die Effizienz und Wirksamkeit der geförderten Maßnahmen erhöhen.
Zielgruppen
(nach Funktion und Format unterschieden)
Nicht erwerbstätige erwachsene Analphabeten
Hier stehen vor allem die Stärkung der
gesellschaftlichen Teilhabe im Vordergrund. Die
Zielgruppe wird in ihrem Alltag angesprochen. Das
Format entspricht einer
lebensweltbezogenen
Alphabetisierung.
Erwerbstätige erwachsene Analphabeten
Die Zielgruppe wird in ihrem Arbeitsleben
angesprochen, um eine beschäftigungssichernde
Unetrstützung zu geben.
Das Format enstpricht
einer arbeitsplatzorientier-
ten Alphabetisierung.
Langzeitarbeitslose
erwachsene Analphabeten
Die Zielgruppe wird dabei
unterstützt, ihre Beschäftigungsfähigkeit auszubauen.
Angesprochen wird sie hauptsächlich als
Leistungsbezieher/-innen. Das Format enstpricht einer
berufsbezogenen Alphabetisierung.
Jugendliche
Jugendliche werden derzeit nicht erreicht. Hier scheint
es, spezielle, adressatengerechte und lebensphasen-
bezogene Wege der Ansprache und Formate der
Alphabetisierung zu brauchen, die prinzipiell mit der
Schulbildung verknüpft sein müssten.
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 15
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
Modellvorhaben: VHS Magdeburg
Die Erfahrungswerte des Modellprojekts bestätigen, dass grundsätzlich eine Kombination der
Fördergegenstände der Realität der Projektumsetzung entspricht. Zudem macht das Modellpro-
jekt gute Erfahrungen mit offenen, lebensweltbezogenen Angeboten, die nicht nur in der VHS
(„Lernwerkstatt“), sondern auch an anderen Orten im Sozialraum („Schreibstube“) stattfinden.
Das Modellprojekt verfolgt also den Ansatz, Menschen an diesen Orten direkt und nied-
rigschwellig Unterstützung mit der Schriftsprache anzubieten. Dies führe auch immer wieder
dazu, dass sich die so erreichten Menschen dazu entschließen, an einem Kurs beziehungsweise
einem Angebot in der VHS teilzunehmen. „Die Durchlässigkeit ist hier sehr hoch“, beschreibt es
die Projektleitung. Dies sei darauf zurückzuführen, dass es der Zielgruppe auf diese Weise er-
möglicht werde, erste positive Erfahrungswerte zu sammeln, ihre Motivation aufzubauen und
individuell an die Kursteilnahme und somit an langfristige Lernprozesse herangeführt zu wer-
den. Gleiches gilt für offene Kurse, wie beispielsweise die in der VHS durchgeführte „Lernwerk-
statt“, an der die Menschen unregelmäßig teilnehmen können, ihre ganz konkreten Fragen und
Aufgaben mitbringen, die sie derzeit beschäftigen und in einer offenen und lockeren Atmosphä-
re, ihre Kompetenzen individuell erweitern. Die „Lernwerkstatt“ hat es dem Modellprojekt zu-
dem erlaubt, das plötzlich angestiegene Interesse von Geflüchteten aufzugreifen und zu integ-
rieren. Die niedrigschwellige und alltagsbezogene Ansprache und Gewinnung der Teilnehmende
ist ein Erfolgsfaktor, offene, lebensbegleitende Kursformate ein anderer. Zudem gilt es, realis-
tische Erwartungen an den Lernerfolg zu stellen und im besten Falle längerfristige Lern- und
Teilhabeprozesse anzustoßen, die maßgeblich damit beginnen und folglich dazu beitragen, dass
die Zielgruppe eigenständiger und selbstbestimmter handeln kann.
Zurzeit stoßen die geförderten Kursprojektträger, so ein Ergebnis der Evaluierung, bezüglich ei-
nes adressatengerechten Formats an ihre Grenzen. Sie greifen zwar auf Vorerfahrungen in der
Grundbildungsarbeit zurück und beschreiben diese als eine ihrer „Kernaufgaben“. Bezüglich der
Anforderungen an die Alphabetisierungsarbeit mit erwachsenen (funktionalen) Analphabeten ste-
hen sie allerdings am Anfang. Hier entsteht auch ein Teil des nicht antizipierten Mehraufwands
bei der Umsetzung der Förderung, der im engeren Sinne als nicht förderfähig anerkannt wird. Die
Kursprojektträger sammeln zurzeit vor allem erste wichtige Erfahrungswerte darin, ihr Angebot
auszuweiten und zu professionalisieren und das hierfür notwendige personelle, fachliche und or-
ganisatorisches Know-How aufzubauen.
Die Förderbedingungen erschweren in bestimmten Punkten eine lernende Umsetzung für die Kur-
sprojektträger. Die Anwesenheits- und Dokumentationspflichten tragen zur Hochschwelligkeit der
Angebote bei. Die Vorgabe der Richtlinie, dass „in der Regel sechs Personen“ an einem Kurs teil-
nehmen sollten, führen im Einzelfall zur Verzögerung des Beginns. Hier riskieren die Kursprojekt-
träger, interessierte Teilnehmende sowie Honorarkräfte zu „verlieren“. Dasselbe gilt für längere
Unterbrechungen des Angebots, beispielsweise aufgrund der Antrags- und Bewilligungszyklen.
Zugleich ergibt sich durch die Mindestpersonenanzahl die Anforderung, dass alle sechs Teilneh-
menden bis zum Schluss des Kurses teilnehmen müssen.33 Dadurch werde quintessentiell, so die
Einschätzung der Kursprojektträger, die „Freiwilligkeit“ der Teilnahme untergraben. Diese wird al-
lerdings als Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Aktivierung im Sinne eines Anstoßes län-
gerfristiger Lern- und Teilhabeprozesse gesehen. Zugleich lässt sich konstatieren, dass der Auf-
wand zur Ansprache und Gewinnung von Teilnehmenden, die für einen Kurs notwendigen Hono-
rarkräfte und sozialpädagogisch begleitendes Personal ebenso wie tatsächliche Durchführung der
Kurse mehr (zeitlichen und personellen) Aufwand erfordert, als das in der Regel von den Kurspro-
jektträgern antizipiert wurde. Vor diesem Hintergrund wird vor allem der sich aus der ESF-
Förderung ergebende administrative Aufwand als belastend empfunden. Erschwerend käme hin-
zu, so die Projektträger, dass Grundbildung (als Teil des Weiterbildungssystems) generell unterfi-
nanziert sei.
33 Aus der Perspektive der Programmsteuerung und -abwicklung ist diese Mindestanforderung vor dem Hintergrund der Verhältnismä-
ßigkeit des administrativen Aufwands und auch bezüglich der intendierten Effekte der Projektförderung nichtsdestoweniger prinzipiell
nachvollziehbar.
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 16
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
Zwar haben die Kursprojektträger laut den Antragsunterlagen, die „Sensibilität“ der Zielgruppe
antizipiert. In den Konzepten sind entsprechend „lebenslagen-bezogenes“, „begleitendes“ Lernen,
„lebensweltbezogene Inhalte“ und die sozialpädagogische Begleitung, wie in der Richtlinie gefor-
dert, skizziert. Ebenso sind Kooperationen zur Ansprache und Gewinnung der Teilnehmenden be-
reits zur Antragsstellung vorgesehen. Allerdings zeigen die Erfahrungen der Projektumsetzung,
dass es sich hier bei den Kursprojektträgern um die Erprobung und Anwendung für sie neuartiger
und aufwändiger Konzepte handelt. Die Kursprojektträger erproben Wege zur Ansprache und
Gewinnung und sammeln Erfahrungen mit neuen Lehr- und Lernformen. Sie erweitern ihr Ange-
bot und ihre Kooperations- und Netzwerkbeziehungen. Zudem leisten sie einen Beitrag dazu,
dass Fachkräfte das Interesse aufbauen, im Feld der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit
mit Erwachsenen tätig zu werden und die Möglichkeit dazu haben.
3.2 Beschreibung und Analyse der Sensibilisierungsmaßnahmen
Fördervorhaben, die auch Sensibilisierungsmaßnahmen durchführen, sind in der nachfolgenden
Tabelle aufgelistet.
Tabelle 3: Fördervorhaben: Sensibilisierungsmaßnahmen
Projektträger Kurse Sensibili-
sierung
Pro-
jekte
Schu-
lungen
Ziel-/Adressaten-
gruppen
Projekt-
volumen
Laufzeit
(in Mona-
ten)
Arbeit und Leben
Bildungsvereini-
gung Sachsen-
Anhalt e.V.
x Arbeitgeberseite /
Unternehmen34
341.027,92
Euro
35 Monate
Arbeit und Leben
Bildungsvereini-
gung Sachsen-
Anhalt e.V.
x Öffentliche
Stellen35 (Jobcen-
ter)
310.849,92
Euro
35 Monate
Bildungswerk ver.di
Sachsen-Anhalt
e.V.
x Betriebs- und Per-
sonalräte36
264.995,99
Euro
12 Monate
HVHS Konrad-
Martin-Haus
x Kommunale und so-
ziale Stellen37 (Job-
center)
137.455,83
Euro
11 Monate
Ländliche
Erwachsenenbil-
dung (LEB) in Sa-
chen-Anhalt e.V.
x x Kommunale Stellen
und öffentliche Ar-
beitsverwaltung38
(Jobcenter)
599.791,35
Euro
35 Monate
HVHS Konrad-
Martin-Haus
x x Kommunale und so-
ziale Stellen (Job-
center)
495.983,95
Euro
36 Monate
Anmerkung: Die grau hinterlegten Maßnahmen waren zum Zeitpunkt der Evaluierung bereits abgeschlossen.
Die Sensibilisierungsmaßnahmen sammeln bezüglich der Adressatengruppen, analog zu den Ziel-
gruppen der Kursprojektträger, vergleichbare Erfahrungswerte. Die Adressatengruppen müssen
34 Im Antrag heißt es: „Führungskräfte des unteren, mittleren und oberen Managements, Betriebsräte und betriebliches Ausbildungs-
personal aus den Unternehmen des Landes Sachsen-Anhalts“.
35 Im Antrag heißt es: „Haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende öffentlicher Einrichtungen in Sachsen-Anhalt, hierzu zählen beispiels-
weise: Wohlfahrtsverbände, Familienzentren, Integrations- und Migrationsdienste, Jugendhilfeeinrichtungen, Bildungseinrichtungen /
Schulen, Kindertagesstätten, kommunale Ämter, Einrichtungen zur sozialen Grundsicherung, Arbeitsagenturen und Jobcenter“.
36 Im Antrag heißt es: „Betriebsräte verschiedener Branchen, Personalräte Sozialversicherungsträger, ver.di-Mitglieder großflächig
(möglichst ca. 20.000 oder 50.000 in der ver.di erfassten Mitglieder), in ver.di organisierte Personengruppen“.
37 Im Antrag heißt es: „Mitarbeitende in kommunalen Verwaltungsstrukturen sowie in Jobcentern, Arbeitsagenturen und anderen Ein-
richtungen zur sozialen Grundsicherung; Haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende in Wohlfahrtsverbänden, Familienzentren, Integrati-
ons- und Migrationsdienste, in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, in medizinischen Einrichtungen, in sozio-kulturellen Einrichtun-
gen; interessierte Öffentlichkeit (Einzelpersonen, Institutionen, öffentliche und freie Träger)“.
38 Im Antrag heißt es: „Akteure der Arbeitswelt, insbesondere Vermittler/innen bzw. Berater/innen der Jobcenter Salzwedel, Stendal
und Wittenberg; Träger von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen; Beratungsstellen der Ämter und Behörden; Kooperationspartner der
LEB (Gruppen, Vereine) / Einzelpersonen; funktionale Analphabeten aus den Zielgruppen Langzeitarbeitslose und Beschäftigte“.
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 17
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
in der Regel intensiv und individuell angesprochen werden, um zu einer Teilnahme motiviert zu
werden. Dies erfordere vor allem viel Überzeugungsarbeit im Einzelfall, die zum einen den Hand-
lungsbedarf, zum anderen die unmittelbaren Vorteile einer Teilnahme verdeutlichen müsse. Zu-
dem müsse mit den interessierten Adressaten individuelle Konzepte für Sensibilisierungsmaß-
nahmen erarbeitet werden.
Abbildung 9: Interventionslogik: Sensibilisierungsmaßnahmen
Quelle: eigene Darstellung Ramboll Management Consulting.
Prinzipiell lassen sich die Adressatengruppen der Sensibilisierungsmaßnahmen nach unterschied-
lichen Kriterien differenzieren. Zum einen können sie nach Typen unterschieden werden. Hier
zeigt sich, dass öffentliche, kommunale und soziale Stellen von fünf der neun Sensibilisierungs-
projekte adressiert werden, vier davon adressieren explizit Akteure der Arbeitsverwaltung. Die
Arbeitgeberseite und Unternehmen werden von zwei Fördervorhaben explizit als Adressatengrup-
pe genannt.39
Abbildung 10: Adressatengruppen der Sensibilisierungsmaßnahmen - nach Typ
Quelle: Eigene Darstellung Ramboll Management Consulting auf Basis der Auswertung der Projektanträge und Sachberichte.
Eine Zielgruppe, die in den Antragsunterlagen nur selten explizit genannt ist, in der Projek-
tumsetzung jedoch eine (zunehmend) wichtige Rolle spielt, sind kommunalpolitische Entschei-
dungsträgerinnen und -träger. In diesem Zusammenhang wurde sowohl in den qualitativen In-
39 Das Spektrum der Kooperations- und Netzwerkpartner der Kursprojektträger kann analog unterteilt werden.
Projektaktivitäten Projektergebnisse ProjektwirkungenProjektoutputs
Einbettung in vorhandene (kommunal-)politische Konzepte und Strategien
Programmexterne Einflussfaktoren
• Aufmerksamkeit, Verständnis und Akzeptanz des Phänomens• Bekanntheit und Inanspruchnahme der Kursangebote • (kommunal-)politischer Stellenwert des Themas• Zeitliche und personelle Ressourcen bei den Adressatengruppen• …
Programminterne Einflussfaktoren
Ansprache und Erweiterung von Kooperations- und Netzwerkpartnern
Entwicklung und Erprobung adressaten- und funktionsgerechter Sensibilisierungskonzepte
• Vorerfahrung in der Alphabetisierungs- und Sensibilisierungsarbeit• Vorhandene Netzwerke (Grad der Vernetzung)• Personelle und zeitliche Ressourcen der Projektträger• …
Wachsende Aufmerksamkeit, Verständnis und Akzeptanz des Phänomens und den damit einhergehenden Problemlagen
Projektbezogene Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation und Verwaltungsstrukturen
Identifizierung, Ansprache und Überzeugung der Adressaten
Aktivierung und Erweiterung der Kooperations- und Netzwerkbeziehungen
Vermittlung in das Angebot der Kursprojektträger
(adressaten- und funktionsgerechte) Sensibilisierungskonzepte und deren Durchführung Unterstützung bei der Integration der
Zielgruppe ins berufliche und gesellschaftliche Leben
Befähigung und Sensibilisierung beratener und begleiteter Organisationen und Stellen
…
Beitrag zur organisatorischen, fachlichen und strukturellen Weiterentwicklung der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit
…
Abbau von Diskriminierung und (sozialer) Isolation der Zielgruppe
…
Inanspruchnahme des Kursangebots, Beitrag zur Vermittlung von Kompetenzen
Erweitertes Erfahrungswissen in der Sensibilisierungsarbeit (gestärkte Vernetzung)
• Kommunale Ämter und
Verwaltung (Beratungsstellen)
• Einrichtungen zur sozialen
Grundsicherung (vor allem:
Jobcenter und
Arbeitsagenturen)
• Kinder- und
Jugendhilfeeinrichtungen
• Kindertagesstätten und Schulen
• Bildungseinrichtungen
• Integrations- und
Migrationsdienste
• Träger arbeitsmarktpolitischer
Maßnahmen
• Wohlfahrtsverbände
• Sozio-kulturelle Einrichtungen
• Familienzentren
Öffentliche und soziale
Einrichtungen
• Führungskräfte des unteren,
mittleren und oberen
Managements
• Betriebsräte und betriebliches
Ausbildungspersonal aus den
Unternehmen
• Betriebsräte verschiedener
Branchen
• Personalräte
Sozialversicherungsträger
• ver.di-Mitglieder und in ver.di
organisierte Personengruppen
• Medizinische Einrichtungen
• Interessierte Öffentlichkeit
(Einzelpersonen)
• funktionale Analphabeten aus
den Zielgruppen
Langzeitarbeitslose und
Beschäftigte
• Kooperationspartner der
Projektträger
Arbeitgeber und Unternehmen Sonstige
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 18
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
terviews als auch in den Gruppengesprächen intensiv diskutiert, welche kommunal- und landes-
politischen Strukturen und Aktivitäten in der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit wie
sinnvoll ineinandergreifen müssten. Auch wenn es schwierig ist, im Zuge dieser Evaluierung eine
abschließende und fundierte Antwort zu geben, so lässt sich festhalten, dass die Projektträger die
Erfahrung gemacht haben, dass ihre Bemühungen vor allem in Gebietskörperschaften fruchten,
in denen die kommunale Politik und Verwaltung ein Interesse an dem Thema hat. So hat das Mo-
dellprojekt Magdeburg beispielsweise die Entfristung einer bisher befristeten Stelle für Alphabeti-
sierung und Grundbildung in der Kommunalverwaltung als einen der größten Erfolge der derzeiti-
gen Projektumsetzung geschildert. Unterschiedliche Meinungen bestehen dazu, inwiefern die „po-
litische Aufmerksamkeit“ tatsächlich zunimmt. Während beispielsweise die Geschäftsstelle des
Netzwerks Alphabetisierung und Grundbildung schildert, dass das Thema mittlerweile „bildungs-
politischer Konsens“ sei, haben andere Sensibilisierungsprojektträger die Erfahrung gemacht,
dass es immer noch ein „politisch heißes“ Thema sei, zu dem sehr unterschiedliche Meinungen
über seine Relevanz und den tatsächlich vorhandenen Handlungsbedarf bestünden. Die politische
Aufmerksamkeit sei jedoch, so die einheitliche Meinung, eine Grundvoraussetzung für eine sinn-
volle Weiterentwicklung der Angebote und Strukturen der Alphabetisierungs- und Grundbildungs-
arbeit. Einige Sensibilisierungsprojektträger haben davon berichtet, gemeinsam mit der kommu-
nalen Verwaltung und Politik an der Integration und Stärkung des Themas Alphabetisierung und
Grundbildung im kommunalen Bildungskontext zu arbeiten.
Modellvorhaben: Netzwerk Alphabetisierung und Grundbildung in Sachsen-Anhalt
Das Netzwerk ist das einzige Fördervorhaben, welches die politische Ebene als explizite Adres-
satengruppe aufführt: „Das Landesnetzwerk verfolgt das Ziel, politische Entscheidungsträge-
rinnen und -träger einzubinden und zu aktivieren und so die politische Entscheidungsfindung
zu informieren und vorzubereiten.“ Vor diesem Hintergrund besonders relevante Erfolge sind
die Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt und die „ersten“
Landesmittel, die für das Netzwerk zur Verfügung gestellt wurden. Als sehr relevant beschreibt
das Netzwerk auch die Verbandsarbeit. Hier wird die gerade gegründete Landesinitiative, in der
sich verschiedenen Verbände, u.a. die Apothekervereinigung und der Landessportbund, zu-
sammenfinden, als großer Erfolg verzeichnet. Als Herausforderung wurde vom Netzwerk die
förderrechtlichen Bedingungen genannt. Vor allem die inhaltliche und fachliche Prüfung des
Landesverwaltungsamtes stehe, so die Einschätzung, immer wieder im Gegensatz zur Notwen-
digkeit einer dynamischen Projektumsetzung und dem „Innovationspotenzial“ einer Förderung
über den ESF.
Es zeigt sich, dass nicht notwendigerweise der Typ das wichtigste Unterscheidungsmerkmal ist,
sondern die Funktion, in der die jeweilige Organisation angesprochen und unterstützt wird. Dies
entscheidet schlussendlich darüber, welche Ziele, Konzepte und Aktivitäten verfolgt werden. Ähn-
lich wie bei den Zielgruppen der Kursprojektträger (vgl. Abbildung 8) handelt es sich hierbei um
eine erste Differenzierung, die selbstverständlich nicht ausschließt, dass eine Organisation in all
den Funktionen beraten und begleitet werden kann.
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 19
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
Abbildung 11: Adressatengruppen der Sensibilisierungsarbeit - nach Funktion
Quelle: eigene Darstellung Ramboll Management Consulting.
Die Erfahrungen der Projektumsetzung ergeben, dass die Bereitschaft einer Teilnahme an Sensi-
bilisierungsmaßnahmen sowohl vom Typ als auch von der Funktion abhängt. Während öffentliche
und kommunale Stellen, insbesondere die Arbeitsverwaltung, dem Thema aufgeschlossener ge-
genüber seien, verstehen sich diese Organisationen vor allem als „Schnittstelle“ zur Zielgruppe
und sind mithin daran interessiert, ihre Mitarbeitenden mit Kundenkontakt dabei zu unterstützen,
Analphabetismus besser erkennen zu können.
Exkurs: Zusammenarbeit mit der öffentlichen Arbeitsverwaltung
Insgesamt wenden sich vier von neun der Fördervorhaben, die (auch) Sensibilisierungsarbeit
leisten, an Akteure der öffentlichen Arbeitsverwaltung, spezifisch an Jobcenter. Auch wenn die
Zusammenarbeit mit der öffentlichen Arbeitsverwaltung bei den Kursprojektträgern als sehr
unterschiedlich skizziert wurde, wurden die Jobcenter und Agenturen als eine grundsätzlich
und im Vergleich sehr interessierte Adressatengruppe für Sensibilisierungstrainings (vornehm-
lich der Vermittler/-innen und Fallmanager/-innen) beschrieben. Hier kämen, im Unterschied
zu allen anderen Adressatengruppen, mittlerweile einzelne Jobcenter und Agenturen eigen-
ständig auf die Sensibilisierungsprojekte zu.
Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass der Wissensstand und die Erfahrungswerte bezüglich der Zu-
sammenarbeit mit der öffentlichen Arbeitsverwaltung weit auseinandergehen. Kaum bekannt
sind zum Beispiel der öffentlichen Arbeitsverwaltung zur Verfügung stehende Finanzierungs-
möglichkeiten für Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit der Leistungsbezieher und -
bezieherinnen beziehungsweise die Frage, welche Kriterien ein Kurs erfüllen muss, um als eine
anerkannte Maßnahme nach der Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung der Arbeitsförde-
rung (AZAV) anerkannt zu werden. Derzeit, so die Aussage der Kursprojektträger, werde im
besten Falle eine anteilige Fahrtkostenerstattung vom Jobcenter übernommen. Hier stellt sich
mitunter die Frage, ob bezüglich der Zielgruppe der Langzeitarbeitslosen gemeinsam mit der
Arbeitsverwaltung über geeignete Kursformate und -inhalte nachgedacht werden müsste.
Grundsätzlich wurde diskutiert, inwiefern die Zusammenarbeit intensiviert und weiterentwickelt
werden könne.
Im Vergleich sei es deutlich schwieriger, so die Projektträger der Sensibilisierungsarbeit, die Or-
ganisationen in ihrer Funktion als Arbeitgeber zu erreichen – ungeachtet des Typs der jeweiligen
Organisation. Vor allem die (privatwirtschaftliche) Arbeitgeberseite und Unternehmen seien zum
größten Teil entweder nicht von der Handlungsnotwendigkeit, den sich für sie ergebenden Vortei-
len oder aber von der Effizienz und Wirksamkeit möglicher Maßnahmen überzeugt.40 Letzteres
habe, so die Einschätzung der Sensibilisierungsprojektträger, auch damit zu tun, dass (funktiona-
le) Analphabeten in der Praxis schwer zu identifizieren seien und, so die Vermutung, die Stellung,
40 Zugleich sei auch bei den Adressatengruppen der Sensibilisierungsarbeit eine übertriebene Erwartungshaltung bezüglich des unmit-
telbaren Lernerfolgs zu verzeichnen. „Müssen die nicht nach fünf Jahren lesen und schreiben können?“
Adressatengruppen
(nach Funktion unterschieden)
Organisationen als Arbeitgeber
Die Organisationen werden als Arbeitgeber, also als
Orte der ”Teilhabe am Arbeitsleben” angesprochen.
Sie werden vornhemlich dabei unterstützt,
die Zielgruppe zu
integrieren, Diskriminierung
abzubauen und Isolation
entgegenzuwirken.
Organisationen als ”Schnittstelle” zur Zielgruppe
Die Organisationen werden angesprochen, weil sie
potenziell ”Kundenkontakt” mit der Zielgruppe haben.
Sie werden vornehmlich dabei
unterstützt, Analphabetismus
zu erkennen und die
Zielgruppe an Angebote
zu vermitteln.
Bildungseinrichtungen
Die Organisation wird als ”Ort der Bildung”
angesprochen, um Alphabetisierung in jeder
Lebensphase zu stärken und eine Sensibilisierung für
die Thematik zu entwickeln.
Organisation als
”Orte der Teilhabe”
Die Organisationen werden als ”Orte der Teilhabe”
addressiert. Sie werden vornehmlich dabei unterstützt,
die Zielgruppe besser am ”Leben in der Organisation”
teilhaben zu lassen.
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 20
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
Bedeutung und Akzeptanz von lebenslangen Lernen und Weiterbildung noch gering ausgeprägt
sei sowie die Rolle der Arbeitgeber diesbezüglich sehr unterschiedlich verstanden werde. Auch
wenn einige wenige Projektträger positive Erfahrungswerte gemacht haben und somit auch eine
einzelfallbezogene Kooperation möglich scheint, kommen sie zu der Schlussfolgerung, dass es ei-
ner strategischeren Kooperation mit der Arbeitgeberseite bedarf. Dies beträfe vor allem die meist
kleinen und mittelständischen Unternehmen in Sachsen-Anhalt, für die sich Sensibilisierungs-
maßnahmen schlicht aufgrund der Größe in der Regel nicht rechnen. Diskutiert wurde, inwiefern
es eines Angebots bedarf, mit dem mehrere kleinere und mittelständische Unternehmen gleich-
zeitigt erreicht werden könnten. Dies bestätigen die Erfahrungen der Kursprojektträger, die sich
kaum beziehungsweise nur in Einzelfällen an Unternehmen oder Unternehmerverbände richten.41
Der Arbeitsplatz als Ort der Ansprache und Gewinnung von Teilnehmenden spielt derzeit bei den
Projektträgern eine untergeordnete Rolle. Trotz der unterschiedlichen Offenheit, mit der potenzi-
elle Adressaten dem Thema begegnen, wurde ein gesteigertes Interesse, auch auf Seiten der Un-
ternehmen, als ein Erfolg der derzeitigen Förderung benannt.
Die Sensibilisierungsarbeit erfordert, so die Einschätzung der Projektträger, Institutionen und Ein-
richtungen dabei zu begleiten, ihr „institutionelles Selbstverständnis zu hinterfragen“. So berich-
teten die Sensibilisierungsprojektträger davon, dass der größte Teil ihrer Aktivitäten und Bemü-
hungen darauf abzielt, überhaupt beim Gegenüber die „Einsicht in die Notwendigkeit“ zu schaf-
fen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Das häufigste Argument des Gegenübers sei, das be-
träfe die jeweilige Organisation nicht. Ist die Einsicht vorhanden, dass es sich um eine relevante
Problematik handelt, begleiten die Sensibilisierungsprojektträger Organisationen und ihre Mitar-
beitenden dabei, hierfür aufmerksam zu werden und gemeinsam Maßnahmen zu entwickeln, die
es den (funktionalen) Analphabeten ermöglicht, problemloser und gleichberechtigter teilzuhaben
und in einem ersten Schritt offen mit ihrem ‚Defizit‘ umzugehen. Standardisierte Konzepte seien
hier wenig zielführend und nicht sonderlich effizient. Im Gegenteil: Hier habe sich vor allem die
Arbeit mit den Organisationen und nicht für die Organisationen als sehr erfolgreich erwiesen, um
Einstellungen und Handlungsweisen zu ändern. Es ginge auch immer wieder darum, mögliche
Vorteile einer Auseinandersetzung mit dem Thema zu betonen und nachvollziehbar zu machen.
Nicht zuletzt stellt sich für die Projektträger der Sensibilisierungsmaßnahmen, ähnlich wie für die
Kursprojektträger, die Frage, welche Anschlussperspektive sie den von ihnen erreichten Adressa-
ten aufzeigen können. Also die Frage, welche (geförderten) Instrumentarien zur Verfügung ste-
hen, wenn sich eine Einrichtung oder ein Unternehmen dazu entschieden hat, sich diesem Thema
anzunehmen. Als Beispiel wurde ein Kulturbetrieb genannt, welcher sich dazu entschieden hat,
Menschen mit Lese- und Schreibdefiziten eine gleichwertige Möglichkeit zu bieten, den Kulturbe-
trieb zu besuchen. Es bestehe jedoch keine Möglichkeit, beispielsweise für die Entwicklung und
Produktion „barrierefreier“ Inhalte auf (finanzielle) Unterstützung42 zurückzugreifen.
41 Einzelne Kursprojektträger haben darüber berichtet, beispielsweise den Unternehmerstammtisch zu nutzen, um auf das Angebot
aufmerksam zu machen.
42 Die finanzielle Unterstützung wurde betont, allerdings handelt es sich hier auch um pädagogische, prozessuale, organisatorische und
nicht zuletzt technische Fragen.
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 21
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
Modellvorhaben: Arbeit mit und in Kindertagesstätten (Adressat: Bildungseinrich-
tung)
„Alpha elementar“ richtet sich an Kindertagesstätten. Die Erzieherinnen und Erzieher werden
a) dabei unterstützt, den Umgang mit Schriftsprache von Anfang an zu fördern, b) gemeinsam
zu erarbeiten, welche fachlichen Voraussetzungen und Qualifikationen des Personals hierfür
notwendig sind und c) entsprechende Ansätze der Elternarbeit zu entwickeln. Hier ist die
grundlegende Idee, so die Projektleitung, dass „Pferd von hinten aufzuzäumen“, indem mögli-
che Problemlagen, die zu Analphabetismus beitragen könnten, frühzeitig erkannt und ihnen
begegnet werden.
Bezüglich der Elternarbeit heißt dies konkret, den Erzieherinnen und Erziehern zuerst zu ver-
deutlichen, dass Eltern, die beispielsweise immer dann kommen, wenn keine Öffnungszeiten
sind, womöglich das Schild mit den Öffnungszeiten nicht lesen können. Dann geht es darum,
gemeinsam Strategien und Vorgehensweisen zu entwickeln, die den Eltern eine Teilhabe am
Kitaleben ermöglichen, indem beispielsweise ein Poster gedruckt wird, welches die Öffnungs-
zeiten andersartig vermittelt.
Es geht in diesem Beispiel - und das gilt für viele der Sensibilisierungsmaßnahmen - nicht pri-
mär darum, Analphabeten dazu zu motivieren, ihre „Defizite“ durch eine Kursteilnahme auszu-
gleichen, sondern es geht darum, den Einrichtungen die Möglichkeit zu geben, Analphabeten
zu erkennen, anzusprechen und zu integrieren. Die Sensibilisierung hat also zum Ziel, es den
Analphabeten mit ihrem derzeitigen Kenntnisstand zu ermöglichen, teilzuhaben und so Diskri-
minierung abzubauen.
Angemerkt wurde von den Sensibilisierungsprojektträgern, dass es angeblich zu einer Unterfi-
nanzierung der Verwaltungs-, Sach- und Personalkosten käme. Dies wurde maßgeblich auf zwei
Gründe zurückgeführt. Zum einen sei es bei den Verwaltungs-, Sach- als auch Personalkosten
aus Trägerischt nicht immer nachvollziehbar, welcher Kostenanteil bei der Einzelnachweisprüfung
anerkannt werde. Die Einschätzung besteht, es wären im Gegensatz zu den vorgesehenen 80
Prozent in der Regel eher 70 bis 75 Prozent der Kosten, die beispielsweise bei der Raummiete
oder Projektpersonalgehältern anerkannt werden. Zum anderen sei der administrative Aufwand
für die Einzelnachweise und deren Prüfung bei den Projektträgern sehr hoch. Grundsätzlich
wurden Unsicherheit bezüglich der Förderfähigkeit von im Zuge der Projektumsetzung
durchgeführten Aktivitäten, wenn diese nicht eindeutig und vorab vereinbart wurden, deutlich.
Die Sensibilisierungsprojektträgern forderten mehr Flexibilität, um die Effizienz der
durchgeführten Maßnahmen zu erhöhen.
Die grundlegende Annahme, dass, wenn die gesellschaftliche Aufmerksamkeit und das Verständ-
nis für Analphabetismus (Erwachsener) steigen, dann auch die Bereitschaft (funktionaler) Anal-
phabeten steigt, an Kursen teilzunehmen, wird von allen Projektträgern geteilt. Diese Annahme
liegt mithin auch der Einschätzung zugrunde, einen Beitrag zur Senkung der Zahl (funktionaler)
Analphabeten leisten zu können. Bezüglich der Projektumsetzung tritt dieses Ziel im Vergleich
zum zweiten zentralen Ziel der Richtlinie bei den Sensibilisierungsmaßnahmen jedoch in den Hin-
tergrund. Die Ausführungen der Projektträger sowie Gesprächspartnerinnen und -partnern ma-
chen deutlich, dass die Verringerung von Barrieren für die Zielgruppe, am gesellschaftlichen Le-
ben teilzuhaben, ein eigenständiges und prinzipiell gleichwertiges Ziel zur Senkung der Zahl der
Analphabeten darstellt. Alle Sensibilisierungsprojektträger verfolgen das Ziel, das Verständnis für
Analphabetismus und die damit einhergehenden Problemlagen im alltäglichen Umfeld der Ziel-
gruppe zu erhöhen. Es ist davon auszugehen, dass dies auch Impulse setzt, die Strukturen und
das Angebot der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit weiterzuentwickeln. Am intensivs-
ten wurde hier die Frage diskutiert, welchen Stellenwert spezifisch Alphabetisierung in der
Grundbildung Erwachsener und generell Erwachsenenbildung im lebenslangen Lernen einnehmen
sollte.
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 22
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
3.3 Bewertung der Umsetzung der Förderung und Ableitung von Empfehlungen für die
Förderansätze
Die Beschreibung und Analyse der Umsetzung der Förderung sowie die darüber hinaus durchge-
führten Interviews und der Ländervergleich deuten darauf hin, dass drei relevante Ansätze zur
Förderung der Alphabetisierung und Grundbildung zu unterscheiden sind, die komplementär ver-
folgt werden sollten. Prinzipiell ergeben sich einige förderliche Rahmenbedingungen für die Kurs-
und Sensibilisierungsmaßnahmen, die durch die Arbeit einer Netzwerkstelle unterstützt werden
können und somit von der Projektförderung entkoppelt werden könnten.
Abbildung 12: Förderansätze der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit
Quelle: eigene Darstellung Ramboll Management Consulting.
3.3.1 Netzwerkarbeit
Die Netzwerkarbeit auf Landesebene kann sowohl die öffentliche Aufmerksamkeit als auch das
Verständnis für Analphabetismus fördern. Prinzipiell ist der Bedarf sowohl für Kurs- als auch Sen-
sibilisierungsmaßnahmen gegeben, die Inanspruchnahme aber derzeit noch gering. Den Bedarf
tatsächlich abzuschöpfen bedarf einer längerfristigen Aktivierung und diversifizierteren Zugängen.
Die Netzwerkarbeit kann hier einen wichtigen Beitrag zur Inanspruchnahme von Kurs- und Sensi-
bilisierungsmaßnahmen leisten. Darüber hinaus sollte ein Landesnetzwerk die fachliche Weiter-
entwicklung der Angebote und Strukturen unterstützen. Hierzu zählt auch die Qualifizierung,
Fort- und Weiterbildung von Fachkräften sowie die Unterstützung von wirksamen Projektansät-
Ziele und Aufgaben
Netzwerkarbeit
• Die landesweite und lokale Netzwerkarbeit
dient der Information und Beratung zu sowie
Koordinierung von Alphabetisierung und
Grundbildung.
• Ein Landesnetzwerk sollte zudem
öffentlichkeitswirksam arbeiten und vor allem
die fachliche und strukturelle
Weiterentwicklung unterstützen.
Kurs-
maßnahmen
und Aktivitäten
• Zum einen gehört hierzu eine
(flächendeckende) Grundversorgung mit
(klassischen) Bildungsangeboten.
• Zum anderen gehören hierzu
lebensweltbezogene, offene und
sozialraumorientierte Angebote und
Maßnahmen.
• Eine Kombination dieser Ansätze in einem
Projekt kann sinnvoll sein.
• In allen drei Fällen sollte eine Förderung
ermöglichen, die Zugänge zur Zielgruppe zu
erweitern.
Sensibili-
sierungsarbeit
• Sensibilisierungsarbeit sollte sich nicht primär
auf die Öffentlichkeitsarbeit konzentieren. Dies
scheint vor allem in Ergänzung mit
Netzwerkarbeit zielführend.
• Hauptsächlich sollte sich die
Sensibilisierungsarbeit in einem ersten Schritt
darauf konzentrieren, Organisationen,
Institutionen und Einrichtungen als
”Schnittstellen” dabei zu unterstützen,
Analphabetismus zu verstehen, zu erkennen
und die Zielgruppe in weiterführende
Untertsützungsangebote zu vermitteln.
Förderinhalte und Finanzierung
• Die Netzwerkarbeit sollte langfristig
ausgerichtet sein und bestimmte Aufgaben
dauerhaft finanziert werden.
• Zudem können diese Aufgaben projekt- und
bedarfsbezogen erweitert und finanziell
aufgestockt werden. Hierzu gehört
beispielsweise die fachliche Beratung und
Begleitung von Projekt- und
Programmumsetzungen. Des Weiteren wäre es
denkbar, über das Landesnetzwerk flexible
Budgets für Sensibilisierungsarbeit und
Qualifizierung zu vergeben.
• Eine Grundversorgung sollte über die
öffentlichen Einrichtungen der
Erwachsenenbildung erfolgen. Um Mittel
bedarfsgerecht zu investieren und gleichzeitig
die Qualität zu stärken, bietet es sich an, diese
über Landesmittelzuschüsse zu finanzieren.
• Zugleich können europäische oder zusätzliche
Landesmittel genutzt werden, um die
öffentlichen Einrichtungen der
Erwachsenenbildung dabei zu unterstützen,
alternative Angebote und Formate zu erproben
und in ihre Funktions- und Arbeitsweise zu
übernehmen.
• Darüber hinaus sollten Projekte und Initiativen
gefördert werden, die alternative und
ergänzende Formate erproben und entwickeln.
• Prinzipiell ist es sowohl bei den klassischen
Bildungsangeboten als auch bei den
innovativen Angeboten denkbar, den
Fördermittelempfängerkreis über die
öffentlichen Erwachsenenbildungsträger hinaus
zu öffnen.
• Die Sensibilisierungsarbeit sollte sich in einem
ersten Schritt auf die Aktivierung und Beratung
von Organisationen an der Schnittstelle zur
Zielgruppe fokussieren. Hier bietet es sich an,
bedarfsbezogen Maßnahmen zu refinanzieren.
• Ergänzt werden kann dies um strategisch
eingebettete Förderungen in Kooperation mit
der Arbeitsverwaltung und der Arbeitgeberseite
und/oder spezifische Fördermaßnahmen in
bestimmten Bildungseinrichtungen.
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 23
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
zen. Überlegenswert ist es, die landesweite Netzwerkarbeit um die lokale Netzwerkarbeit zu er-
gänzen. Die lokale Netzwerkarbeit kann in Zusammenarbeit mit der Kommunalverwaltung darauf
hinwirken, dass Alphabetisierung und Grundbildung strategisch in allen relevanten Bildungsberei-
chen berücksichtig und ausgebaut wird. Das derzeit in Sachsen-Anhalt geförderte Landesnetz-
werk sollte in diesem Sinne weiterentwickelt und gefördert werden. Im besten Falle könnte das
Landesnetzwerk auch das Landesverwaltungsamt (Bewilligungsbehörde) bei der fachlich-
inhaltlichen Prüfung der Förderfähigkeit und Beratung der umsetzenden Projekte entlasten.
3.3.2 Kursmaßnahmen und Aktivitäten
Für Kursmaßnahmen und Aktivitäten ergeben sich grundsätzlich zwei verschiedenen Ansätze, die
miteinander kombiniert oder parallel zueinander verfolgt werden können. Zum einen kann die
Grundversorgung und Qualität sowie Inanspruchnahme von Alphabetisierungs- und Grundbil-
dungsangeboten gefördert werden. Die Kursmaßnahmen sollten eine Grundversorgung, im bes-
ten Falle flächendeckend, ermöglichen. Es sollte gewährleistet werden, dass der Bedarf an Kurs-
maßnahmen jederzeit gedeckt und finanziert werden kann. Gleichzeitig sollten die Einrichtungen
der Kursmaßnahmen dabei unterstützt werden, ihre Angebote fachlich weiterzuentwickeln und ih-
re Strukturen zur Zielgruppenansprache und -gewinnung zielführend auszubauen.
Diese zum Kompetenzerwerb dienenden und kursförmigen Angebote sollten um Projekte und An-
gebote erweitert und kombiniert werden, die der gesellschaftlichen Teilhabe dienen und lebens-
weltbezogene, offene, flexible und sozialraumorientierte Ansätze verfolgen. Dies kann sowohl
über die Einrichtungen der Erwachsenenbildung als auch über andere soziale Einrichtungen oder
gar im Verbund als auch in Form von lokalen Projektinitiativen erfolgen. Grundsätzlich können
diese sehr unterschiedliche Formen annehmen – von Angeboten in Bildungsträgern über dezent-
rale Angebote im Sozialraum bis hin zu aufsuchenden Angeboten. Beide Ansätze erfordern
schlussendlich eine Erschließung unterschiedlicher Zugänge zur Zielgruppe und somit eine stärke-
re Kooperation im Sozialraum zur Erreichung der Zielgruppe. Letzteres sollte bei der Organisation
und Finanzierung von Kursmaßnahmen und Aktivitäten grundsätzlich gefordert, unterstützt und
finanziert werden. Je nachdem welche Einrichtungen und Träger als Infrastruktur für Alphabeti-
sierung und Grundbildung genutzt werden, sollte eine Förderung gezielt den hierfür notwendigen
Kapazitätsaufbau unterstützen. Hierzu zählt eine breite Finanzierung von Aktivitäten ebenso wie
eine fachliche Begleitung und längerfristig angelegte Projektförderungen.
In allen Fällen sollte eine Förderung den Aufwand für die Erschließung von Zugängen zur Ziel-
gruppe und der fachlichen und organisatorischen Weiterentwicklung von Angeboten und Koopera-
tionsstrukturen Rechnung tragen. Entlastet und unterstützt werden kann die Umsetzung von Ein-
zelprojekten durch die flankierende Netzwerkarbeit, insbesondere im Bereich der Öffentlichkeits-
arbeit, der Qualitätsentwicklung und Qualifizierung von Personal.
3.3.3 Sensibilisierungsarbeit
Sensibilisierungsarbeit sollte sich auf die konkrete Unterstützung und Begleitung von Einrichtun-
gen als Schnittstellen zur Zielgruppe konzentrieren. Zudem kann es sinnvoll sein, die Arbeitge-
berseite und die Arbeitsverwaltung gezielt anzusprechen sowie die Alphabetisierungs- und
Grundbildungsarbeit in Bildungseinrichtungen über die Erwachsenen- und/oder Weiterbildung
hinaus zu stärken. Alle drei Aspekte unterscheiden sich bezüglich der Angebote, Maßnahmen, In-
strumente und organisatorischen und fachlichen Rahmenbedingungen. Aus diesem Grund sollten
Förderungen diese Unterscheidung aufgreifen und spezifisch ausgestaltet werden.
Es lässt sich festhalten, dass es zielführend ist, die drei verschiedenen Förderstränge der Netz-
werkarbeit, der Kursmaßnahmen und Sensibilisierungsarbeit parallel zu verfolgen.
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 24
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
4. BEANTWORTUNG DER EVALUIERUNGSFRAGEN
Nachfolgend werden als Bewertung die zentralen Evaluierungsfragen (vgl. Abbildung 2) beant-
wortet. Danach folgt ein übergreifendes und abschließendes Fazit sowie Empfehlungen zur Aus-
gestaltung der derzeitigen und zukünftigen Förderung der Alphabetisierungs- und Grundbildungs-
arbeit.
1. Beitrag zu den Zielen des ESF-Landesprogramms „Alphabetisierung und Grundbil-
dung“
1.1 Welchen Beitrag leistet die Förderung zur Senkung der Zahl erwachsener Analphabeten in
Sachsen-Anhalt und zur Stärkung des Verständnisses für das Phänomen und die hiermit verbun-
denen Problemlagen?
Die Evaluierung hat ergeben, dass sowohl die Kurs- als auch die Sensibilisierungsprojektträger
wertvolle Erfahrungswerte bezüglich der Ziel- beziehungsweise Adressatengruppen aufbauen, An-
sätze und Formate der Kurs- und Sensibilisierungsarbeit entwickeln und erproben und so einen
Beitrag zu den in der Richtlinie formulierten Zielen leisten. Auch wenn dieser Beitrag bezüglich
der zwei zentralen in der Richtlinie formulierten Zielen differenziert zu betrachten ist. Unzweifel-
haft leisten alle geförderten Vorhaben einen Beitrag dazu, dass das Phänomen des Analphabetis-
mus und die hiermit verbundenen Problemlagen besser verstanden werden. Dies ist wiederum
unzweifelhaft eine wichtige Voraussetzung dafür, die Zahl der (funktionalen) Analphabeten sen-
ken zu können. Die Ergebnisse der Evaluierung verdeutlich jedoch, dass das Erreichen dieses
Ziels einer längerfristigen Investition bedarf. Zum anderen wurde das Erreichen dieses Ziels von
den Gesprächspartnerinnen und -partnern ebenso wie von den Projektträgern kritisch diskutiert.
Vor allem hat sich gezeigt, dass eine erfolgreiche Teilnahme der Zielgruppe an Kursen anspruchs-
und voraussetzungsvoll ist sowie ein maßgeblicher Erfolg vor allem darin besteht, langfristige
Lern- und Teilhabeprozesse anzustoßen. Die Impulse, die gesetzt werden, entfalten mittel- und
langfristig ihre gewünschten Effekte. Aus diesem Grund ist die Frage schlussendlich nicht ge-
trennt von der Frage der Nachhaltigkeit der Förderung zu beantworten. Die Einschätzung der in-
terviewten Gesprächspartnerinnen und -partnern sowie Projektträger, es handele sich bei Anal-
phabetismus Erwachsener um eine „Daueraufgabe“, unterstützt diese Einschätzung.43 Die Förde-
rung leistet somit vor allem einen Beitrag dazu, die in der Richtlinie differenzierter ausgeführten
Ziele zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe zu erreichen. Die Zahl der (funktionalen) An-
alphabeten signifikant zu senken, ist ein relevantes, aber sehr ambitioniertes und langfristiges
Ziel, das nicht allein über die Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener erreicht werden
kann, sondern in einem größeren bildungspolitischen Kontext betrachtet werden muss.
1.2 Wie wirksam und effizient sind die gewählten Förderschwerpunkte?
Die Evaluierung hat gezeigt, dass die Fördergegenstände vor allem im Zusammenspiel effizient
und wirksam sind. Das Zusammenspiel sollte auf der Umsetzungsebene stärker ermöglicht und
gefördert werden. Derzeit stoßen vor allem die Kursprojektträger an ihre Grenzen, da sie in der
Regel für sich neuartige Wege der Ansprache und Gewinnung von Teilnehmenden an Kursen und
entsprechende Kursformate entwickeln und erproben, dies aber über den von ihnen ausgewähl-
ten Fördergegenstand nicht abgedeckt wird. Es sollte deshalb darüber nachgedacht werden, zu-
künftig der Projektumsetzung entsprechende Projektansätze zu fördern und nicht zu kleinteilig
über verschiedene Fördergegenstände zu steuern. Um die Wirksamkeit und Effizienz zu erhöhen,
sollten die Projektträger stärker dabei unterstützt und begleitet werden, ihre Erfahrungswerte in
der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit sowie die damit einhergehenden Fähigkeiten und
Kompetenzen gezielt zu nutzen, um die Projektumsetzung fortlaufend anzupassen. Dies gilt so-
wohl kurz- als auch langfristig und beinhaltet auch eine Frage auf die Antwort, welche Anschluss-
perspektiven sich für die Ziel- und Adressatengruppen sowie Projektträger selber ergeben. Hierzu
gehört auch, bestehende Erkenntnisse und Evidenzen zur Alphabetisierung- und Grundbildungs-
arbeit für die Projektumsetzung nutzbar zu machen.
43 Die Annahme ist, dass erwachsenen funktionalen Analphabeten „nachwachsen“. Als der stärkste Indikator wird die derzeitige Schul-
abbrecherquote angeführt.
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 25
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
2. Beitrag zu den Zielen des ESF-OP
2.1 Welchen Beitrag leistet die Förderung zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit und Ar-
beitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosen und weiteren am Arbeitsmarkt besonders benach-
teiligten Personengruppen (Spezifisches Ziel 5)?
Die bisherige Projektumsetzung fördert vor allem die gesellschaftliche Teilhabe der Zielgruppe.
Der beschäftigungspolitische Bezug im Sinne eines unmittelbaren Beitrags zur Erhöhung der Be-
schäftigungsfähigkeit ist differenzierter zu bewerten. Der Umsetzungsstand und die Umsetzungs-
erfahrungen zeigen, dass Langzeitarbeitslose zwar durch die Kursangebote erreicht werden, in
der Regel aber Schwierigkeiten haben, diese abzuschließen. Die Vermutung der Projektträger ist,
dass dies auch darauf zurückzuführen sei, dass es sich nicht wirklich um eine „freiwillige Teil-
nahme“ handele, diese aber notwendig sei, um positive Lernerfahrungen zu sammeln. Hier sollte
über eine strategischere und intensivere Zusammenarbeit mit der Arbeitsverwaltung nachgedacht
werden, die beinhaltet, dass bereits vorhandenen Unterstützungsmöglichkeiten von Leistungsbe-
zieherinnen und -bezieher mit flankierenden Maßnahmen der ESF-Förderung ineinandergreifen.
Die Zielgruppe der erwerbstätigen (funktionalen) Analphabeten wird zudem noch kaum erreicht.
Hier deuten die Ergebnisse der Evaluierung darauf hin, dass es einer strategischeren Kooperation
mit der Arbeitgeberseite bedarf. Die Einzelfallkooperation kann jedoch einen wichtigen Beitrag
dazu leisten, dass die Aufmerksamkeit und Bereitschaft der Arbeitgeberseite für Alphabetisierung
am Arbeitsplatz und Teilhabe (funktionaler) Analphabeten am Arbeitsleben steigt. Eine konse-
quentere Ausrichtung auf die verschiedenen Lebenslagen und Bedürfnisse der Zielgruppen könnte
den Beitrag der Förderung erhöhen. Hierzu gehört auch einige der Alphabetisierungsarbeit zu-
grundeliegenden Annahmen zu überdenken. „Wir müssen einige Prämissen über Analphabeten
und ihre Motivation ehrlich hinterfragen, um passgenaue Unterstützung zu liefern. Hierzu gehört
auch, eine ehrliche Antwort auf die Frage zu finden: Warum sollte ich mich als Analphabet ‚ou-
ten‘, wenn ich eine Beschäftigung habe und halten kann?“
2.2 Welchen (innovativen) Beitrag leistet das Programm zur Förderung der Arbeitsmarktintegrati-on und zur Integration besonders Benachteiligter und zur Erfüllung der ESF-Ziele? Welchen Bei-trag leistet die Förderung zur sozialen Innovation?
Es ist davon auszugehen, dass die gesellschaftliche und soziale Integration durch die Förderung
gestärkt wird. Zweifelsohne stehen (funktionale) Analphabeten hier vor besonderen Herausforde-
rungen. Der Beitrag zur Arbeitsmarktintegration ist analog zur Frage der Integration von Lang-
zeitarbeitslosen als relevante Zielgruppe differenziert zu beantworten. Hierbei handelt es sich um
langfristig angestoßene Teilhabeprozesse. Zurzeit sammeln die Projektträger wertvolles Erfah-
rungswissen, welches ihre Projektansätze und -umsetzung in Zukunft im besten Falle stärkt. So
wird auch ein Beitrag zur sozialen Innovation im Sinne des ESF möglich.44 Soziale Innovation
kann gleichgesetzt werden mit der Entwicklung neuer Lösungen, d.h. es werden bedarfsgerechte-
re, effektivere oder effizientere Ansätze, Produkte, Dienstleistungen oder Modelle zur Bewälti-
gung sozialer, beschäftigungs- und bildungspolitischer Aufgaben entwickelt, und / oder es werden
neue soziale Beziehungen (Kooperationen, Netzwerke) aufgebaut oder neue Partner für beste-
hende Kooperationen oder Netzwerke hinzugewonnen. Die Evaluierung zeigt, dass alle Projekt-
träger wichtige Erfahrungen zur Bedarfsgerechtigkeit ihrer Ansätze sammeln und ihr Netzwerk
erweitern.
3. Beitrag zu den Bundes- und Landeszielen
3.1 Wie zweckmäßig ist das Programm vor dem Hintergrund europäischer, bundes- und landes-
politischer Ziele und regionalen Anforderungen in Sachsen-Anhalt?
Das Programm ist grundsätzlich vor dem Hintergrund europäischer, bundes- und landespoliti-
scher Ziele als zweckmäßig zu bewerten. Die in der Richtlinie unterschiedenen Fördergegenstän-
de greifen fünf der sechs zentralen Handlungsfelder der „Nationalen Strategie zur Alphabetisie-
rung und Grundbildung Erwachsener in Deutschland (2012-2016)“ explizit auf (vgl. Abbildung
44 Diese ist in Art. 9 Abs. 1 ESF-VO wir folgt definiert: „Der ESF fördert soziale Innovation auf allen Gebieten seines Interventionsbe-
reichs gemäß Artikel 3 dieser Verordnung, vor allem mit dem Ziel der lokalen oder regionalen Erprobung, Bewertung und Umsetzung in
größerem Maßstab von innovativen Lösungen, darunter auch auf lokaler oder regionaler Ebene, um sozialen Bedürfnissen in Partner-
schaft mit den relevanten Partnern und vor allem den Sozialpartnern zu begegnen.“
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 26
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
1).45 „Die vier Fördergegenstände sind so innovativ wie es nur geht,“ bewertet es explizit eine in-
terviewte Person. Mit der Entwicklung und Erprobung von neuen Lehr- und Lernformen ist zudem
eine der Schlussfolgerungen des Berichts zur wissenschaftlichen Evaluation „Alphabetisierungs-
und Grundbildungsarbeit im Land Sachsen –Anhalt“ in der Förderperiode 2007-201346 aufgegrif-
fen: Die Fördergegenstände von „kursorientierten Programme[n]“47, „Sensibilisierung“48 und
„professionalisierungs- und qualifizierungsbezogenen Projekten“49 um die Entwicklung und Erpro-
bung neuer Lehr- und Lernformen zu erweitern. Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern die
bundes- und landespolitischen Ziele und Aktivitäten stärker ineinandergreifen könnten. Zukünftig
sollte stärker berücksichtigt werden, welche Erkenntnisse und Evidenzen der bundespolitischen
Tätigkeiten wie auf landespolitische Förderungen transferiert werden können. Dies kann im bes-
ten Falle dazu beitragen, die landespolitische Förderung für Handlungsfelder zu nutzen, die nicht
bereits bundespolitisch in ähnlicher Form abgedeckt sind. Die Frage nach der Zweckmäßigkeit der
regionalen Anforderungen ist im Zuge der Evaluierung nur ansatzweise zu beantworten. Bei-
spielsweise ist es schwer zu bewerten, ob das von den Projektträgern geforderte „flächendecken-
de Angebot“ wirklich notwendig ist und wie weit das Land Sachsen-Anhalt davon entfernt ist. Die
Projektträger weisen einen Schwerpunkt im Süden des Landes Sachsen-Anhalt auf. 50 Gleichzeitig
hat sich bei den Erhebungen gezeigt, dass sich das Land bezüglich der kommunalpolitischen Aus-
gangssituationen wohl stark unterscheidet. Eine engere Kooperation mit der kommunalen Ebene
könnte hier wichtige Informationen darüber liefern, welche Angebote an welcher Stelle fehlen o-
der vielleicht bereits ausreichen.
3.2 In welcher Beziehung steht das Programm zu anderen Förderinstrumenten und Angeboten in
Sachsen-Anhalt und bundesweit im Rahmen der Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung?
Die Komplementarität beziehungsweise das Verhältnis zwischen dem Programm und anderen
Förderinstrumenten und Angeboten in Sachsen-Anhalt und bundesweit ist nur im Ansatz zu beur-
teilen. Es sollte grundsätzlich über ein stärkeres Ineinandergreifen bundes- und landespolitischer
Aktivitäten zur Erreichung der Ziele nachgedacht werden. Themenfelder, die bundespolitisch ab-
gedeckt sind und deren Erkenntnisse auf landespolitische Förderungen übertragen werden kön-
nen, sollten nicht gleichzeitig durch landespolitische Förderungen abgedeckt sein. Dies betrifft
maßgeblich die Frage nach Evidenzen zur Zielgruppe, Angeboten und Strukturen der Alphabeti-
sierungs- und Grundbildungsarbeit. Ergebnisse der Bundesförderung z.B. zu arbeitsplatzorientier-
ter Alphabetisierung und Grundbildung, zur Gestaltung von Angeboten zur Alphabetisierung und
Grundbildung von Arbeitslosen oder zur sozialraum- und lebensweltorientierten Alphabetisierung
sollten konsequent(er) genutzt werden, um die landespolitischen Förderungen zu präzisieren und
die Umsetzung der Fördervorhaben zu stärken.
4. Beitrag zu den EU-Zielen
4.1 Welchen Beitrag leistet die Förderung zur Senkung der von Armut und Ausgrenzung bedroh-
ten Personen (EU-Kernziel 2020)?
Prinzipiell wird hier ein relevanter Beitrag durch die Förderung geleistet. Wenn die Impulse, wie
sie derzeit gesetzt werden, zukünftig gestärkt beziehungsweise auf ihnen aufgebaut werden,
dann kann Alphabetisierung- und Grundbildungsarbeit vor allem präventiv dazu beitragen, dass
Menschen ihren Lebensunterhalt sichern und am gesellschaftlichen und sozialen Leben teilhaben
können.
45 Nicht explizit berücksichtigt ist das Handlungsfeld „Forschung ausbauen“ und das Querschnittsziel der Überprüfung der Wirksamkeit,
wobei mit der vorliegenden Evaluierung ein Beitrag zur Überprüfung der Wirksamkeit geleistet wird. Vgl. Grundsatzpapier zur Nationa-
len Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung 2016-2026, S. 4.
46 Dörner, O und Damm, C,: Bericht zur wissenschaftlichen Evaluation - „Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit im Land Sachsen
–Anhalt“ (ESF-Förderperiode 2007-2013), Otto von Guericke Universität Magdeburg, Dezember 2016, Magdeburg.
47 Ebd. S. 4.
48 Ebd.
49 Ebd. S. 5.
50 Hierbei ist es wichtig, anzumerken, dass der Sitz des Trägers nicht in jedem Fall mit dem Wirkungsgebiet des Fördervorhabens
gleichzusetzen ist. Beispielsweise arbeitet die Heimvolkshochschule Roncalli-Haus Magdeburg mit Kindertagesstätten in Magdeburg und
vier weiteren Landkreisen zusammen (Landkreis Stendal, Jerichower Land, Börde und Harz).
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5. Finanzielle und organisatorische Rahmenbedingungen
5.1 Welche förderlichen finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen der Alphabetisie-
rungs- und Grundbildungsarbeit lassen sich aus der Evaluierung ableiten?
Die Ergebnisse der Evaluierung ergeben einige Ansatzpunkte zur Beantwortung dieser Frage. Die
Frage ist im Zuge der Evaluierung dennoch nur bedingt zu beantworten. Dies liegt daran, dass
die Ziele und Zielgruppen der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit einen entscheidenden
Einfluss auf förderliche organisatorische und finanzielle Rahmenbedingungen haben. Im Umkehr-
schluss bedeutet dies, dass sich die Rahmenbedingungen beziehungsweise Anforderungen an Or-
ganisation und Finanzierung verändern, je nachdem welche spezifischen Ziele verfolgt und spezi-
ellen Zielgruppen adressiert werden.
Abbildung 13: Organisatorisch und finanziell förderliche Rahmenbedingungen
Quelle: eigene Darstellung Ramboll Management Consulting.
Förderliche organisatorische
Rahmenbedingungen
Ziele und
strategische
Ausrichtung
Förderliche Finanzierungsansätze
• Langfristige Ziele setzen und diese in eine alle
Lebensphasen umfassende Bildungsstrategie
einbetten.
• Kurz- und mittelfristig Prioritäten setzen, die
dazu beitragen, das Phänomen besser zu
verstehen und langfristige Lern- und
Teilhabeprozesse anzustoßen.
• Ziele und Zielgruppen der Förderung präzisieren.
• Den Wissens- und Erfahrungstransfer zwischen
bestehenden Förderungen ermöglichen.
• Europäische, Bundes-, Landes- und kommunale
Mittel komplementär einsetzen.
• Prinzipiell sinnvoll könnte ein Förderansatz sein,
der die Kommunen dabei unterstützt,
Alphabetisierung in der Erwachsenenbildung zu
stärken (z.B. die finanzielle Ausstattung der
Bildungsangebote erhöhen oder die
Koordinierungs- und Steuerungsaufgabe der
Kommunen bezüglich integrierter
Bildungsstrukturen und -angebote stärken).
Zielgruppen
und Formate
• Zielgruppe der Alphabetisierungs- und
Grundbildungsarbeit nach Erwerbsstatus und
Lebensphase differenziert ansprechen und die
Kooperation mit entsprechenden Einrichtungen
und Institutionen gewährleisten.
• Die Zielgruppe der langzeitarbeitslosen und
erwerbstätigen funktionalen Analphabeten in
Kooperation mit der Arbeitsverwaltung bzw.
Arbeitgeberseite ansprechen und unterstützen.
• Die Unterstützung von Jugendlichen über die
Schulbildung und flankierende schulische
Maßnahmen gewährleisten.
• Die Adressaten der Sensibilisierungsarbeit nach
ihrer Funktion unterscheiden und unterstützen.
• Die Arbeitsverwaltung und Arbeitgeberseite
strategisch, finanziell und projektbezogen
einbinden.
• Die Unterstützung von Jugendlichen könnte
bspw. über ergänzende und spezifische Fort- und
Weiterbildung der Lehrkräfte, in der Elternarbeit
oder der Integration von Alphabetisierungs- und
Grundbildungsarbeit in Programmen der
Schulsozialarbeit, an den Übergängen von
Schule in Ausbildung/Beruf oder bei Maßnahmen
zur Verhinderung des Schulabbruchs oder beim
Nachholen von Schulabschlüssen erfolgen.
Projekt- und
Förderansätze
• Grundsätzliche Unterscheidung in Kurs-,
Sensibilisierungs- und Netzwerkarbeit.
• Bei Maßnahmen und Aktivitäten zwischen
Bildungsangeboten zum Kompetenzerwerb und
zur Stärkung gesellschaftlicher Teilhabe
(integrierte Ansätze der lebensweltbezogenen
Unterstützung) unterscheiden.
• Einen Fokus auf das Erreichen der Zielgruppe
legen und diversifizierte Zugänge zur Zielgruppe
unterstützen.
• Adressaten der Sensibilisierungsarbeit vor allem
als „Schnittstelle“ zur Zielgruppe ansprechen
und unterstützen.
• Landesweite Netzwerkarbeit darauf ausrichten,
die Weiterentwicklung der Strukturen, Angebote
und Projekte der Alphabetisierungs- und
Grundbildungsarbeit zu stärken und so dazu
beitragen, dass Kurs- und
Sensibilisierungsmaßnahmen stärker in Anspruch
genommen werden. Eventuell um lokale
Netzwerkarbeit erweitern.
• Eine Grundversorgung von Alphabetisierungs-
und Grundbildungsangeboten (über öffentliche
Einrichtungen der Erwachsenen- oder
Weiterbildung) ermöglichen (z.B. in Form von
öffentlichen Bezuschussungen oder personeller
Ausstattung).
• Mögliche Ergänzung von Mitteln, die es
Einrichtungen der Erwachsenen- und
Weiterbildung ermöglichen, alternative Angebote
und Formate zu erproben und zu integrieren.
• Innovative oder integrierte Förderansätze
und/oder klassische Bildungsangebote auch von
anderen Träger als die der Erwachsenen- und
Weiterbildung unterstützen.
• Finanzierung von Projektaktivitäten, die eine
Diversifizierung der Zugänge verfolgen und
erschließen. Projekte unterstützen, die Zugänge
und Formate für nicht-erwerbstätige funktionale
Analphabeten erproben, mit dem Ziel, ihre
gesellschaftliche Teilhabe zu fördern (integrierte
Projektansätze).
• Langfristige Aufgaben einer Koordinierungs- und
Fachstelle dauerhaft (über Landesmittel)
finanzieren und eventuell flexible Budgets
einrichten (bspw. Sensibilisierung und
Qualifizierung), die bei Bedarf abrufbar sind.
Zudem Aufgaben eines Landesnetzwerks
projekt- und programmbezogen erweitern.
• Lokale Netzwerkarbeit (bspw. über lokale
Projektförderung, unmittelbare Unterstützung
der Gebietskörperschaften oder die Finanzierung
bzw. Aufstockung eines Koordinierungs-
)Stellenanteils, bspw. im Teilhabe- und
Bildungsmanagement, unterstützen.
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Ziele und strategische Ausrichtung: Die Zahl funktionaler Analphabeten (signifikant) zu senken,
bedarf einer längerfristigen Investition. Die Wahrscheinlichkeit, das Ziel zu erreichen, steigt,
wenn kurz- und mittelfristige Maßnahmen umgesetzt werden, die dazu beitragen, das Phänomen
besser zu verstehen und längerfristige Lern- und Teilhabeprozesse anzustoßen. Bei der Alphabe-
tisierungs- und Grundbildungsarbeit handelt es sich somit um langfristige Veränderungen, die
nicht zuletzt auch gesamtgesellschaftliche Einstellungen und bildungspolitische Grundsätze um-
fassen. Es ist ein in allen Lebensphasen relevantes Thema und sollte als ein integraler Bestandteil
einer Bildungsstrategie umgesetzt werden, die verschiedene föderale Kompetenzzuständigkeiten
umfassen müsste. Um relevante Veränderungen und Entwicklungen anzustoßen, scheint es zu-
dem sinnvoll, Ziele und Zielgruppen differenziert zu betrachten und (kurz- und mittelfristig) rea-
listische und möglichst präzise Ziele zu verfolgen.
Zielgruppen und Formate: Sowohl die Zielgruppen der Kursmaßnahmen als auch die Adressaten-
gruppen der Sensibilisierungsmaßnahmen sind nicht als homogene Gruppe zu verstehen. Viel-
mehr zeigt sich, dass je nach Zielgruppe und je nach Funktion der Adressatengruppen diese spe-
zifisch angesprochen und unterstützt werden müssen. Eine allen Zielgruppen und Adressaten-
gruppen zugrundeliegender „one size fits all approach“ scheint hingegen weniger effizient. Vor al-
lem die Frage der Zugänge zu den Zielgruppen ist besonders relevant.
Projekt- und Förderansätze: Die Ergebnisse der Evaluation lassen es sinnvoll erscheinen, prinzipi-
ell drei Förderansätze zu unterscheiden. Die Netzwerkarbeit kann landesweit und lokal dazu die-
nen sowohl die Kurs- als auch die Sensibilisierungsarbeit organisatorisch und fachlich zu stärken
und zu koordinieren. Es ist anzunehmen, dass dies mittel- bis langfristig dazu führt, dass der
theoretische Bedarf an Kurs- und Sensibilisierungsmaßnahmen tatsächlich zum Tragen kommt.
Der Ländervergleich ergibt, dass die Bundesländer die Netzwerkarbeit in Form von Koordinie-
rungs- und Fachstellen fördern. Auffällig ist, dass die Netzwerkstellen in der Regel auch einen
fachlichen Qualitäts- und Beratungsanspruch verfolgen. Dies scheint insofern sinnvoll, als so ge-
währleistet werden kann, dass fachliche, pädagogische und empirische Evidenzen der Alphabeti-
sierungs- und Grundbildungsarbeit aktiv in die Projektumsetzung getragen werden können und
so beispielsweise öffentliche Einrichtungen der Erwachsenenbildung, aktiv unterstützt werden,
diese in ihren Organisationen und Angebotsformaten umzusetzen.
Exkurs: Rolle, Verantwortung und Aufgaben der Koordinierungs- und Fachstellen für
Alphabetisierung und Grundbildung in den Bundesländern
Koordinierungs- und Fachstellen werden in der ein oder anderen Form in allen Bundesländern
gefördert. In sieben Bundesländern sind sie in Trägerschaft der Volkshochschulverbände.51 Zu
den häufigsten Aufgaben dieser Stellen gehören die Information und Beratung der interessier-
ten Öffentlichkeit, von Privatpersonen, Institutionen und Organisationen, umsetzenden Einrich-
tungen, Trägern und Verbänden sowie Fachkräften52. Zudem dienen die Koordinierungs- und
Fachstellen dazu, die Vernetzung zwischen Partnern aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Sozia-
lem und Zivilgesellschaft zu fördern. Ausgehend davon dienen die Koordinierungs- und Fach-
stellen in der Regel dazu, Transparenz über Angebote und Aktivitäten herzustellen, den Trans-
fer von Wissen und Erfahrungen zu unterstützen, politische Entscheidungsträgerinnen und -
träger zu beraten und zu informieren53, Fachveranstaltungen zu organisieren und durchzufüh-
ren sowie über den Bund initiierte Informationskampagnen und Aktivitäten54 durchzuführen
und zu koordinieren. Zudem übernehmen die Stellen häufig Aufgaben der Qualitätsentwicklung
und fachlichen Beratung von umsetzenden Stellen und Projekten sowie die Qualifizierung, Fort-
und Weiterbildung von Fachkräften verschiedener Bereiche der Alphabetisierungs- und Grund-
bildungsarbeit.
51 Zudem sind entweder Träger und Verbände der Erwachsenen- und/oder Weiterbildung oder eigens gegründete landesweite Netzwer-
ke mit der Umsetzung einer Koordinierungs- und Fachstelle beauftragt.
52 Die Information und Vermittlung von Qualifizierungs- und Fortbildungsangeboten für Fachkräfte ist in den meisten Fälle eine Aufgabe
der Koordinierungs- und Fachstelle. Zudem gibt es auch Koordinierungs- und Fachstellen, die direkt die Qualifizierung und Fortbildung
von Fachkräften übernehmen.
53 Hierzu gehört auch die Koordinierung entsprechender Landesprogramme, falls vorhanden.
54 Am häufigsten wurden hier „Lesen und Schreiben – Mein Schlüssel zur Welt“ sowie das „Alfa-Mobil“ genannt.
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Im Freistaat Thüringen gibt es seit 2012 das „Thüringer Bündnis für Alphabetisierung und
Grundbildung“55, umgesetzt vom Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport und dem
Thüringer Volkshochschulverband e.V. Ziel der Bündnisarbeit ist es, „die gesellschaftliche In-
tegration und Teilhabe der Betroffenen“ zu ermöglichen, „die Vernetzung und Zusammenarbeit
aller beteiligten Akteure in Thüringen“ zu stärken, „mehr Transparenz der bisherigen Angebo-
te“ zu schaffen und „die Weiterentwicklung der Beratungs- und Kursangebote sowie die Sensi-
bilisierung von Schlüsselpersonen“ zu unterstützen.56 Zudem initiiert und koordiniert der Thü-
ringer Volkshochschulverband den Ausbau von Alphabetisierungsmaßnahmen, führt Fortbil-
dungen und Fachveranstaltungen durch sowie unterstützt Betroffene und Fachkräfte durch In-
formation und Beratung.
Im Freistaat Sachsen gibt es seit 2010 die Koordinierungsstelle „koalpha“, die derzeit über
Mittel des ESF finanziert wird. Laut Ausschreibung57 übernimmt „koalpha“ folgende Aufgaben:
Initiierung, Koordinierung und Ausbau von Alphabetisierungsmaßnahmen; Information und Be-
ratung betroffener Menschen sowie von Multiplikatoren und Fachkräften; Öffentlichkeitsarbeit;
Durchführung von Fachveranstaltungen; Qualifizierungsmaßnahmen für Pädagogen und Fach-
kräfte sowie Schulung von Multiplikatoren; Weiterentwicklung der Qualitätsstandards für die
Alphabetisierungsmaßnahmen; Bestandsaufnahme und Dokumentation sowie Ableitung von
Handlungsempfehlungen für die Alphabetisierungsarbeit im Freistaat Sachsen. „koalpha“ un-
terhält zudem vier Regionalbüros in Sachsen, die frühzeitig über das Kursangebot informiert
werden und beim Teilnehmermatching unterstützen sowie die Sensibilisierungsarbeit vor Ort
leisten.
Bezüglich der Bildungsangebote hat die Evaluierung Ansatzpunkte dafür ergeben, dass vor allem
Ansätze erfolgsversprechend sind, die Formate umsetzen, die zusätzlich zum Kompetenzerwerb,
die gesellschaftliche Teilhabe der Zielgruppe fördern, indem sie die Partizipation der Zielgruppe
im Alltag stärken. Vieles deutet darauf hin, dass eine Grundversorgung an Alphabetisierungs- und
Grundbildungsangeboten nicht ausreichend ist. Es wird zwar betont, dass eine solche, im besten
Falle flächendeckende, Grundversorgung eine wichtige Voraussetzung ist,58 dass die Zugänge zur
Zielgruppe allerdings über lebensweltbezogene und sozialräumliche „Zusteuerung“ erfolgen muss.
Für die Träger der Erwachsenenbildung fordert dies eine Weiterentwicklung ihrer Funktions- und
Arbeitsweise. Die Projektumsetzung zeigt, dass die geförderten Volkshochschulen hier derzeit an
ihre Grenzen stoßen. Unterstützungsbedarf gibt es sowohl bei der fachlichen und organisatori-
schen Umsetzung als auch bei der Frage der Finanzierung der so entstehenden Aufwände zusätz-
lich zu den Kosten einer Kursdurchführung. Darüber hinaus kann der Ansatz verfolgt werden, (in-
novative) Projekte zu fördern, die gezielt der Erschließung der Zielgruppe dienen.
Sensibilisierungsarbeit hingegen sollte vor allem bei der Aufklärung und Aktivierung über die Be-
deutung des Phänomens und einen angemessenen Umgang mit dem Phänomen ansetzen. Dies
erfordert vor allem Überzeugungsarbeit bei den Adressaten und ihre Unterstützung als Schnitt-
stellenorganisationen zur Zielgruppe, um Analphabetismus zu verstehen, zu erkennen und die
Zielgruppe in weiterführende Unterstützungsangebote zu vermitteln. Eine Differenzierung der Ad-
ressatengruppen auf Grundlage der Funktion der Organisation zeigt, dass derzeit vor allem Orga-
nisationen erreicht werden, die als „Schnittstelle“ zur Zielgruppe ein Interesse daran haben, An-
alphabetismus besser zu verstehen, zu erkennen und der Zielgruppe Unterstützung anbieten zu
können. Hierfür wird auf Sensibilisierungstrainings und -workshops zurückgegriffen. Ähnlich
55 Dem Bündnis gehören mittlerweile 80 Partner an, zum Beispiel die lokalen Volkshochschulen, Einrichtungen der Erwachsenenbildung
sowie Jobcenter und Arbeitsagenturen. Geplant ist zudem, dass Einrichtungen der Erwachsenenbildung, die seit dem 1. Januar 2017
Alphabetisierungsmaßnahmen nach § 14 ThürEBG (Thüringer Erwachsenenbildungsgesetz) anbieten, eine Kooperation eingehen kön-
nen. Dazu liegen aber noch keine Erfahrungen vor. Die Informationen beziehen sich auf die schriftliche Beantwortung der Leitfragen
durch das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, Referat 28.
56 Die Zitate stammen aus der uns vorliegenden schriftlichen Beantwortung der Leitfragen des Vertiefungsinterviews.
57 Vgl. Sächsisches Staatsministerium für Kultus, Bekanntmachung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über einen Teilnah-
mewettbewerb zum Projekt „Koordinierungsstelle Alphabetisierung“ vom 30. Juni 2017.
58 Der Ländervergleich zeigt, dass es zurzeit vor allem in der Erwachsenen- oder Weiterbildung angesiedelt ist. In der Regel werden die
öffentlichen Träger der Erwachsenenbildung als Infrastruktur genutzt, um eine Grundversorgung an Alphabetisierungs- und Grundbil-
dungsangeboten vorzuhalten. In kommunaler Trägerschaft stellen diese Einrichtung zugleich eine Schnittstelle zu kommunalen Bil-
dungsstrategien und -maßnahmen dar.
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 30
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
könnte ein erster Schritt aussehen, der Organisationen als „Orte der Teilhabe“ anspricht und bei-
spielsweise Einrichtungen der Kultur-, Sport- und Vereinsarbeit dabei unterstützt, die Zielgruppe
gleichberechtigter anzusprechen und einzubinden. Organisationen als Arbeitgeber und „Orte der
Bildung“ zu sensibilisieren erfordert hingegen Förderungen und Maßnahmen, die grundlegendere
Veränderungsprozesse in den Organisationen begleiten. Die Projektumsetzung und Interviews
deuten darauf hin, dass der Bedarf an Sensibilisierungsarbeit mit zunehmender Aufmerksamkeit
und Bedeutung des Themas in der breiten und Fachöffentlichkeit steigen wird. Hier kann die län-
derübergreifende und lokale Netzwerkarbeit einen entscheidenden - vorbereitenden beziehungs-
weise aktivierenden - Beitrag leisten.
Der Ländervergleich zeigt, dass alle Bundesländer in der ein oder anderen Form die oben skiz-
zierten Förderstränge verfolgen. Die unterschiedlichen Finanzierungsmodelle weisen dabei ver-
schiedenen Kombinationsmöglichkeiten zwischen europäischen, Bundes- und Landesmitteln auf.
Auffallend ist, dass alle Bundesländer außer Sachsen-Anhalt Landesmittel in Alphabetisierung und
Grundbildung investieren.
Grundsätzlich ist eine Förderung aller drei Förderstränge über den europäischen Sozialfonds mög-
lich. Für eine Ergänzung um Landesmittel (Regelförderung und Programmförderung) spricht, dass
es sich bei der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit um eine dauerhafte Aufgabe handelt,
die zumindest im Kern auch dauerhaft finanziert und umgesetzt werden sollte. Als Teil der Er-
wachsenenbildung fällt dies in die Hoheit der Länder. Im Gegenzug ist eine Förderung über den
ESF mit den einhergehenden Unsicherheiten bezüglich zukünftiger thematischer Ausrichtungen
und Umsetzung von Förderprozessen verbunden. Der ESF bietet sich nichtsdestoweniger für den
gezielten Ausbau und Weiterentwicklung von bestimmten Handlungsfeldern und Projektansätzen
an.
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 31
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
Abbildung 14: Ländervergleich Freistaat Thüringen und Sachsen
Quelle: eigene Darstellung Ramboll Management Consulting auf Basis der Vertiefungsinterviews.
Auf Basis der skizzierten Bewertung, sind nachfolgend unsere Handlungsempfehlungen ausge-
führt, die sich an die landespolitische Programmsteuerung des Landes Sachsen-Anhalts richten.
(gesetzliche) Fördergrundlagen und Förderrahmen
• Landesförderung über §14 des Thüringer
Erwachsenenbildungsgesetzes (ThürEBG)
• Umsetzung von Bundesförderprogrammen
• Thüringer Bündnis für Alphabetisierung und
Grundbildung
• Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport
• Landes- und kommunale Mittel
• Finanzierung der Kurse der VHS und der freien
Träger und Teilnehmerentgelte über das Thüringer
Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (TMBJS,
2018/2019: 260.000 Euro) und über kommunale
Zuschüsse
• Bundesprogramme
• „AlphaKommunal Transfer“ (BMBF), Koordination
über Thüringer Volkshochschulverband (TVV e.V.)
• Förderung von 11 Mehrgenerationenhäuser über die
Förderrichtlinie zur Förderung von lebensweltlich
orientierten Entwicklungsvorhaben in der
Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener
• 2014 und 2015: „Arbeitsplatzorientierte
Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“
(BMBF)
• Grundversorgung an Kursen sowie
lebensweltbezogene, offene Formate
• über 23 Volkshochschulen: Kurse für Analphabeten,
seit 2010: in allen VHS eingerichtete „VHS
Lernzentrum Lesen und Schreiben“
• über Kursangebote der freien Träger (seit 2017)
• Netzwerk- und Bündnisarbeit (Vernetzung
beteiligter Akteure, Angebotstransparenz) sowie
Sensibilisierung von Schlüsselpersonen zur
Weiterentwicklung der Beratungs- und
Kursangebote
• über LOFT (Landesorganisation der freien Träger der
Erwachsenenbildung, landesweite Vernetzung) und
• seit 2012 über das Thüringer Netzwerk für
Alphabetisierung und Grundbildung (Thüringer
Bündnis für Alphabetisierung und Grundbildung)
• Grundbildungsangebot für Menschen, die nicht
ausreichend lesen und schreiben können sowie
Ermöglichung ihrer gesellschaftlichen Integration
und Teilhabe
• Alphabetisierung und Grundbildung sekundärer und
funktionaler Analphabeten (Deutsch und andere
Muttersprachen) erhöhen
Freistaat Thüringen Freistaat Sachsen
Ziele und Zielgruppen
Förderansätze
Finanzierung
• Landesförderung (und kommunale Zuschüsse) über
das Weiterbildungsgesetz und die
Weiterbildungskonzeption
• Förderung der „Alphabetisierung funktionaler
Analphabeten“ über den Europäischen Sozialfonds
(2014-2020)
• Sächsische Staatsministerium für Kultus
• Landes- und ESF-Mittel
• Weiterbildungsförderung: 2015/2016 rund 106.000
Euro für innovative Projekte
• ESF- und Landesmittel: „Alphabetisierung
funktionaler Analphabeten“, 2014-2020: rund 19
Millionen Euro, davon sieben aus Landesmitteln
• Bundesprogramme (Mento, BasisKOm, MGH, etc.)
werden mitgedacht
• Landesweiterbildungsförderung
• Grundversorgung an Kursangeboten (mit
Teilnehmerbeiträgen), grundsätzlich auch möglich:
innovative Projektförderung (Förderung anerkannter
Bildungsträger)
• Europäischer Sozialfonds
• Teilzeitkurse einschließlich pädagogischer
Begleitung und sog. „Praxisanteile“ mit der
Möglichkeit, die Kursangebote zielgruppenspezifisch
durchzuführen und eine Aufwandsentschädigung
für die Teilnahme zu zahlen (Zuwendungsempfänger
seit 2014 auch andere freie Träger (Bildungsträger),
100 Prozentförderung)
• Koordinierungsstelle „koalpha“, Träger:
Fortbildungsakademie der Wirtschaft (FAW) mit vier
regionalen Beratungsstellen (Information, Beratung,
ÖA, Koordinierung, Sensibilisierung, etc.)
• Modellvorhaben (zurzeit: erwerbstätige
Analphabeten und deren Arbeitgeber)
• Intensivierung der Angebote und Erhöhung der
Teilnehmerzahlen und Verbesserung der
Rahmenbedingungen (ressort- und
sektorübergreifendes Handeln, ÖA, Verzahnung,
etc.)
• Beschäftigungsfähigkeit und gesellschaftliche
Teilhabe lern- und schulungewohnter Menschen
erhöhen
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 32
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
5. ABSCHLIEßENDES FAZIT UND EMPFEHLUNGEN
Die Ergebnisse der Evaluierung verdeutlichen, dass das Ziel, die Zahl der (funktionalen) Analpha-
beten signifikant zu senken, einer längerfristigen Strategie und Investition bedarf. Bei der Alpha-
betisierung Erwachsener handelt es sich um langfristige Lern- und Teilhabeprozesse, die am bes-
ten unterstützt werden können, wenn die Zielgruppe entsprechend ihrer Lebenslagen und -
phasen, ihrer Motivation und ihren Kapazitäten angesprochen und begleitet wird. Dies erfordert
maßgeblich eine zielgruppengerechte Kombination von Lerninhalten, -formaten und nicht zuletzt
-orten, wobei es vor allem wichtig ist, die Zielgruppe der (funktionalen) Analphabeten entspre-
chend zu differenzieren und nicht als homogene Gruppe zu verstehen. Gleiches deutet sich be-
züglich der Sensibilisierungsmaßnahmen an. Auch die Adressaten der Sensibilisierungsarbeit
müssen als ‚Orte der gesellschaftlichen und beruflichen Teilhabe‘ intensiv und individuell ange-
sprochen und begleitet werden. Hierzu gehört auch eine Differenzierung der Adressaten nach ih-
rer Funktion und den damit einhergehenden Handlungs- und Veränderungsoptionen. Insbesonde-
re in ihrer Funktion als Arbeitgeber könnten zukünftig mehr Adressaten erreicht werden. Zudem
stellt sich die Frage, inwiefern es beispielsweise sinnvoll sein könnte, institutionelle Bildungsein-
richtungen gezielt bei der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit zu unterstützen.
Bestehende und zukünftige Landesförderungen sollten Projektansätze unterstützen, die auf den
derzeit gesammelten Erfahrungswerten bezüglich erfolgsversprechender Ansätze und hierfür för-
derlicher Rahmenbedingungen in der Projektumsetzung aufbauen. Die Evaluierung zeigt, dass es
sich hier sowohl bei den Projektträgern selber als auch bei den von ihnen erreichten Zielgruppen
und Adressaten sowie schlussendlich gesamtgesellschaftlich um beachtliche Veränderungsprozes-
se handelt. Zurzeit stellen sich diese Veränderungsprozesse auf Seiten der Projektträger ressour-
cenintensiv dar und erfordern die Umsetzung von ganzheitlichen Projektansätze, so dass unab-
hängig von dem jeweilig ausgewählten Fördergegenstand die Projekte in der Regel einen Beitrag
zu allen vier in der Richtlinie enthaltenen Fördergegenständen leisten. Folgerichtigerweise erfor-
dert die Steuerung dieser Veränderungsprozesse auch, strategische Grundsatzentscheidungen zu
treffen, die den kurz- und mittelfristigen Steuerungsentscheidungen zugrunde liegen sollten.
Hierzu gehört auch die Beantwortung von strategisch relevanten Fragen, die sich im Zuge der
Evaluierung ergeben haben. Beispielsweise die Frage, welche Zielgruppe mit der Landesförderung
erreicht und unterstützt werden soll. Eine Antwort auf diese Frage entscheidet schlussendlich
über passende Lerninhalte, Lernformate und Lernorte. Oder die Frage, welche Adressaten in wel-
cher Funktion für das Phänomen und die damit einhergehenden Problemlagen sensibilisiert wer-
den sollten. Eine Antwort auf diese Frage entscheidet schlussendlich auch über passende Wege,
Instrumente und Konzepte der Sensibilisierungsarbeit. Dies wiederum ist maßgeblich für die Wei-
terentwicklung der Förderansätze und schlussendlich für die Förderentscheidungen in der Alpha-
betisierungs- und Grundbildungsarbeit.
Vor diesem Hintergrund unterteilen sich die nachfolgenden Handlungsempfehlungen in solche, die
kurz- und mittelfristig im Zuge der aktuellen ESF-Förderperiode umgesetzt werden könnten und
solchen, die in Vorbereitung auf zukünftige ESF-Förderperioden und Landesförderungen Berück-
sichtigung finden sollten.
1. Empfehlungen für die aktuelle Förderperiode (2018 bis 2022)
Im Zuge der aktuellen ESF-Förderung empfehlen wir, die Veränderungsprozesse und damit ein-
hergehenden Entwicklungen vor Ort effektiver zu unterstützen, in dem die Förderung für die Pro-
jektträger so flexibel, transparent und einfach wie möglich umsetzbar gemacht wird. Für die be-
vorstehende Förderphase sollten die Kursprojektträger, falls relevant, dazu motiviert werden,
mehrere Fördergegenstände zu verfolgen, um ihnen zu ermöglichen, die umgesetzten Aktivitäten
und somit den tatsächlichen Aufwand der Projektumsetzung Rechnung zu tragen. Zudem sollte in
Zusammenarbeit mit der Bewilligungsbehörde, also dem Landesverwaltungsamt, darauf hingear-
beitet werden, Unterbrechungen und Verzögerungen aufgrund der Antrags- und Bewilligungszyk-
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 33
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
len möglichst zu reduzieren und die Zeiten zwischen Bewilligung und Auszahlung59 zu verringern,
so dass die Projektträger fortlaufend und ohne zu große finanzielle Vorleistung arbeiten können.
Die Ergebnisse der Evaluierung legen nahe, dass die niedrigschwellige Teilnahmemöglichkeit an
Kursen und flankierenden Aktivitäten eine wichtige Voraussetzung ist, um die Zielgruppe zu akti-
vieren. Zudem hat sich gezeigt, dass ein Kursangebot vorzuhalten und die Teilnehmerinnen und
Teilnehmer zum Abschluss des Kurses zu motivieren, grundsätzlich voraussetzungsvoll ist. Zur-
zeit gestaltet sich eine Teilnahme jedoch eher hochschwellig, was zum Teil auch auf die Förder-
bedingungen zurückzuführen ist (beispielsweise Mindestantragssumme, Vorgabe zur Teilnehmer-
zahl). Analog ist die Ansprache und Begleitung der Adressaten der Sensibilisierungsprojekte ein
aufwändiger Prozess. Ungeachtet der Frage der administrativen und finanziellen Verhältnismäßig-
keit erscheint es in der derzeitigen Förderperiode sinnvoll, so vielen Teilnehmerinnen und Teil-
nehmern wie möglich die Gelegenheit zu geben, einen Kurs zu besuchen.
Sollte die Möglichkeit bestehen, die derzeitige Richtlinie zu überarbeiten, dann empfehlen wir vor
diesem Hintergrund unter anderem folgende Änderungen und Anpassungen zu prüfen und wenn
relevant, umzusetzen, um die Umsetzung der Förderung zu verbessern:
• Eine Reduzierung der Mindestantragssumme ebenso wie eine Flexibilisierung der Vorgabe für
die Anzahl der Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer könnte die Projektträger dabei unter-
stützen, so viele Teilnehmende wie möglich zu erreichen.
• Eine entsprechende Anpassung der teilnehmerbezogenen Monitoring- und
Dokumentationspflichten könnte ebenfalls einen Beitrag dazu leisten, Personen zu erreichen,
denen eine regelmäßige und/oder personenbezogene Teilnahme nicht möglich ist. Eine
datengestützte Erfassung könnte beispielsweise auch über Besuche und nicht über
Besucherinnen und Besucher des Kursangebots erfolgen.
• Eine Anpassung des Stundenlohns für Honorarkräfte auf eine marktgerechte Entlohnung von
mindestens 35 Euro könnte den (finanziellen) Anreiz für die von den Projektträgern erreichten
interessierten und bereits tätigen Honorarkräfte erhöhen.
• Zudem könnte die Förderfähigkeit einer Aufwandsentschädigung für die Teilnehmenden die
Inanspruchnahme potenziell steigern.
• Eine Vereinfachung der Sachkostenabrechnung könnte den administrativen Aufwand bei den
Projektträgern reduzieren. Es sollte darüber nachgedacht werden, entweder eine
Pauschalierung der Sachkosten und/oder angemessene Grenzwerte für die Einzelnachweise
und Einzelnachweisprüfung einzuführen, so dass beispielsweise für Portokosten oder Bleistifte
nicht drei Kostenvoranschläge eingeholt werden müssen.
• Es könnte auch darüber nachgedacht werden, die Förderung für andere (Bildungs-)Träger zu
öffnen, um die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel auszuschöpfen.
2. Empfehlungen für zukünftige Förderungen und Förderperioden (im Falle des ESF ab
etwa 2021)
Die Ergebnisse der Evaluierung haben ergeben, dass eine erfolgreiche Kurs- und Sensibilisie-
rungsprojektumsetzung maßgeblich davon beeinflusst wird, wie aufgeschlossen zivilgesellschaftli-
che und öffentliche Akteure gegenüber dem Thema und dem sich ergebenden Handlungsbedarf
sind. Wir empfehlen dem Land Sachsen-Anhalt aus diesem Grund, diese Akteure strategisch ein-
zubinden und so einen Beitrag zur Wirksamkeit und Effizienz der Förderung zu leisten und gleich-
zeitig zukünftige Förderungen vorzubereiten.
Hier bietet es sich an, die bereits eingeführte und zum Teil über Landesmittel finanzierte Ge-
schäftsstelle des Netzwerks Alphabetisierung und Grundbildung zu stärken und als politische und
fachliche Beratungs- und Koordinierungsstelle weiterzuentwickeln. Kurz- und mittelfristig sollte
darüber nachgedacht werden, ob die Geschäftsstelle beispielsweise die fachliche und inhaltliche
Prüfung der Förderfähigkeit übernehmen könnte. Dadurch würde die Rolle des Netzwerkes, seiner
Geschäftsstelle und die Projektumsetzung fachlich und inhaltlich gestärkt sowie das Landesver-
waltungsamt entlastet. Dazu wäre es ratsam, das Netzwerk als eigenen Fördergegenstand in der
59 Als Gründe für die Zeiten zwischen Bewilligung und Auszahlung wurde seitens der Bewilligungsbehörde die oft umfangreiche Einzel-
nachweisprüfung sowie häufige inhaltliche Einzelfallentscheidungen zur Förderfähigkeit von Aktivitäten und Ausgaben genannt. Die Zu-
sammenarbeit mit dem zuständigen Fachreferat im Ministerium für Bildung wurde diesbezüglich als gut bewertet.
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 34
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
Richtlinie zu verankern und von der Projektförderung zu entkoppeln. Als Beispiel hierfür könnte
die Richtlinie „Schulerfolg sichern“ des Landes Sachsen-Anhalt dienen. Gleichzeitig eröffnet dies
die Möglichkeit, über das Netzwerk und seine Geschäftsstelle die strategische Abstimmung mit
relevanten Akteuren zu koordinieren und die Weiterentwicklung der Strukturen und Angebote
über Verbands- und Netzwerkarbeit trägerübergreifend zu fördern. Ein solch koordinierter und
kontinuierlicher Austausch mit relevanten Akteuren der Alphabetisierungs- und Grundbildungsar-
beit kann einen Beitrag zur Nachhaltigkeit der Förderung leisten, auch indem mögliche An-
schlussperspektiven für teilnehmende Personen, Adressaten der Sensibilisierungsarbeit und die
geförderten Projektträger selbst erschlossen werden. Die sich aus der Evaluierung ergebenden
zentralen Akteure, mit denen ein strategisch motivierter Dialog über die zukünftige Ausgestaltung
der Förderung der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit geführt werden sollte, sind:
• Komplementarität mit den Maßnahmen der Arbeitsverwaltung stärken:
Eine mit der Arbeitsverwaltung koordinierte Ansprache und Unterstützung der (langzeit-
)arbeitslosen (funktionalen) Analphabeten könnte sowohl die Arbeitsverwaltung in ihrer Ver-
antwortlichkeit für die Zielgruppe unterstützen als auch ein stärker aufeinander abgestimmtes
Maßnahmenportfolio zwischen bestehenden Fördermöglichkeiten von Leistungsbezieherinnen
und -beziehern und den über den ESF geförderten Maßnahmen ermöglichen. Das Netzwerk
und seine Geschäftsstelle könnte hier beispielsweise darauf hinwirken, dass die Verantwort-
lichkeiten und Möglichkeiten der Arbeitsverwaltung allen Projektträgern bekannt sind, um so
zum einen die Einzelfallkooperation zu stärken und zum anderen die Arbeitsverwaltung bei
der Betreuung und Begleitung ihrer Leistungsbezieherinnen und -bezieher gezielt zu unter-
stützen.
• Verbandsarbeit landesweit systematisieren und stärken:
Den Austausch mit den Verbänden und Einrichtungen der anerkannten Träger der Erwachse-
nenbildung nutzen, um die (zukünftige) Funktion, Rolle und Bedeutung der anerkannten Trä-
ger in der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit zu schärfen und so auch langfristige
Entwicklungen zu stärken. Zur Bekanntheit und somit Bedeutung der Angebote (Kurse und
Sensibilisierung) auf Verbandsebene der öffentlichen und sozialen Anlauf- und Beratungsstel-
len beitragen.
• Einbindung und Koordinierung mit kommunalpolitischen Entscheidungen und Strategien:
Die Evaluierung legt nahe, dass eine stärkere Berücksichtigung der kommunalen Ausgangsla-
ge und der kommunalpolitisch verfolgten Maßnahmen und Strategien (beispielsweise Bil-
dungsbüros) die landespolitische Förderung stärken könnte. Das Netzwerk und seine Ge-
schäftsstelle könnte dazu genutzt werden, kommunal verantwortliche Stellen und vor Ort
durchgeführte Aktivitäten, Projekte und Initiativen mit den über den ESF (und/oder Landes-
mittel) finanzierten Stellen und Projekten zusammenzuführen.
• Bundes- und landespolitische Förderungen stärker aufeinander abstimmen:
Gleiches gilt für eine Koordinierung mit bundespolitischen Förderungen und Strategien. Eine
noch stärkere Abstimmung dieser Aktivitäten, auch auf regionaler Ebene, könnte dazu beitra-
gen, dass landes- und bundespolitische Aktivitäten sinnvoller ineinandergreifen und stärker
abgegrenzt werden. Hierzu gehört auch ein systematischer Transfer bereits bestehender Evi-
denzen und Innovationen zu Ansätzen und Förderungen, die im Zuge bundespolitischer För-
derungen gesammelt wurden. Eine solche Abstimmung sollte auch zukünftige durch den Bund
abgedeckte Förderschwerpunkte und Handlungsfelder (zur arbeitsplatzorientierten oder sozi-
alräumlichen Alphabetisierungsarbeit) beinhalten, um zukünftig die Komplementarität und
Wirksamkeit der Landes- und Bundesförderungen zu gewährleisten.
Das so entstehende Netzwerk und gebündelte steuerungs- und umsetzungsrelevante Wissen soll-
te vom zuständigen Fachreferat begleitet und genutzt werden, um einen ressortübergreifenden
Dialog mit beschäftigungs- und bildungspolitisch relevanten Stellen des Bundes, des Landes und
der Kommunen zu führen, um Ziele, Förderungen und Aktivitäten aufeinander beziehen und von-
einander abgrenzen zu können. Dieser ressortübergreifende Dialog ist zugleich ein wichtiges In-
strument, um die langfristige Strategie und damit einhergehenden Investitionen zu entwickeln.
Die Evaluierung hat ergeben, dass einige der Alphabetisierungsarbeit zugrundeliegenden Annah-
men reflektiert werden sollten. Dies erfordert unserer Einschätzung nach einen offenen und kon-
struktiven Dialog über eben diese Annahmen und ihre Reflexion. Hierzu gehört maßgeblich die
Annahme, Lesen und Schreiben sei ein „Selbstzweck“ und könne (funktionalen) Analphabeten in
BEITRAG DER ESF-FÖRDERUNG ZUR ARBEITSMARKTINTEGRATION UND ZUR INTEGRATION BESONDERS 35
BENACHTEILIGTER - BEWERTUNG DER PRIORITÄTSACHSE 2: ALPHABETISIERUNG UND GRUNDBILDUNG
schulförmigen Kursen vermittelt werden. Diese Annahmen zu überdenken, könnte eine Präzisie-
rung der Zielgruppen, der passenden Formate und geeigneten Lernorte und -inhalte zur Folge
haben. Hierzu gehört nicht zuletzt die Frage, welche Formate am effizientesten sind und beinhal-
tet somit auch die Frage, welche Einrichtungen und Träger oder Verbundprojekte zukünftig diese
Formate umsetzen sollten sowie die Frage, welche Kapazitäten ihnen hierfür noch fehlen und wie
eine entsprechende Weiterentwicklung gezielt gefördert werden könnte. Hieran anschließend
stellt sich die Frage, welche Art der Förderung und welche Mittel sich am besten eignen. Bei-
spielsweise ergeben sich Anhaltspunkte für eine Antwort auf die Frage, wie sinnvoll es ist, aus-
schließlich anerkannte Träger der Erwachsenenbildung zu fördern. Dafür spricht, dass sie in der
Regel Vorerfahrungen in der Grundbildung haben und diese als eine ihrer „Kernaufgaben“ verste-
hen. Gleichzeitig zeigt sich, dass sie die Zielgruppe dann am besten erreichen und unterstützen
können, wenn Einrichtungen „sozialräumlich“ und „offen“ arbeiten oder wie es der Bericht zur
wissenschaftlichen Evaluation „Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit im Land Sachsen –
Anhalt“ aufgreift: „das (adressierte und teilnehmende) Subjekt in seiner lebensweltlichen Eigen-
willigkeit“60 berücksichtigt wird. Es stellt sich mithin die Frage, welche zukünftige Funktion, Rolle
und Bedeutung Träger der Erwachsenenbildung in der Alphabetisierungs- und Grundbildungsar-
beit haben sollten. Wenn diese Frage mit dem Stichwort „nachbarschaftliche, sozialräumliche Bil-
dungszentren“ beantwortet werden sollte, handelt es sich hier um eine längerfristige und gezielte
Weiterentwicklung ihrer Funktionsweise, die dialogisch und strategisch unterstützt werden sollte.
Hier könnte sich als zielführend erweisen, für die Projektauswahl zum Beispiel Unterstützungs-
und/oder Kooperationsvereinbarungen mit kommunalen Stellen zu fordern und zu berücksichti-
gen.
Eine kurz- und langfristig effiziente und wirksame Förderung und Steuerung der Alphabetisie-
rungs- und Grundbildungsarbeit des Landes Sachsen-Anhalt erfordert eine langfristig angelegte,
integrierte und koordinierte Strategie. Diese sollte soweit und so schnell wie möglich entworfen
und diskutiert werden. Nicht zuletzt bedeutet dies, über Zuständigkeiten und Verantwortlichkei-
ten zu sprechen. Hierzu gehören mithin Antworten auf folgende Fragen:
• Welche Bedeutung sollte Alphabetisierung / Grundbildung in der Erwachsenenbildung und in
Bezug auf lebenslanges Lernen einnehmen? Welche Ziele werden konkret verfolgt?
• Welche Strukturen und Angebote sind hierfür notwendig? Mit welchen Strukturen und Ange-
boten müssen diese ineinandergreifen?
• Welche Verantwortlichkeiten, Zuständigkeiten und Rollen ergeben sich zwischen welchen Ein-
richtungen und Trägern, zwischen welchen bildungspolitischen und beschäftigungspolitischen
Ressorts und auf welchen föderalen Ebenen (EU, Bund, Land, Kommune)?
• Welche Teilziele und Implementierungen können durch befristete Projektförderungen unter-
stützt, welche sollten dauerhaft finanziert werden? Wie kann u.a. durch eine „Anschubfinan-
zierung“ (z.B. in Form einer Projektförderung) eine langfristig tragfähige und nachhaltige
Struktur vor Ort geschaffen werden?
Eine dezidiertere Antwort auf diese Fragen würde es noch stärker als heute ermöglichen, auch
kurz- und mittelfristig Investitionen so zu tätigen, dass sie langfristig zur Umsetzung der gewähl-
ten Strategie beitragen. Antworten auf diese Fragen entscheiden zudem darüber, welches Wissen
systematisch genutzt werden sollte, um zukünftige Förderungen zielgerecht zu konzipieren, zu
implementieren und zu steuern.
60 Bericht zur wissenschaftlichen Evaluation - „Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit im Land Sachsen –Anhalt“, S. 3.
K O N T A K T:
Marcus Neureiter Manager T 030 30 20 20-137 F 030 30 20 20-299 M 0151 580 15-137
[email protected] Anna Iris Henkel Seniorberaterin T 030 30 20 20-280 F 030 30 20 20-299 M 0151 26 446-280