BINDUNG UND ADHSPD Dr. Rüdiger Kißgen
Universität zu Köln
1. Begriffsklärung ADHS
2. Grundlagen der Bindungstheorie
3. Bindungsrepräsentation bei Müttern von
ADHS-Kindern
Übersicht
Hyperkinetische Störungen (HKS) sind durch ein durchgehendes Muster von
Unaufmerksamkeit,
Überaktivität und
Impulsivität
gekennzeichnet, das in einem für den Entwicklungsstand des Betroffenen abnormen Ausmaß situationsübergreifend auftritt. Die Störung beginnt vor dem Alter von 6 Jahren und sollte in mindestens 2 Lebensbereichen/Situationen (z.B. in der Schule, in der Familie, in der Untersuchungssituation) über mehr als 6 Monate auftreten.
Definition „Hyperkinetische Störungen“
ICD-10:
(F90) hyperkinetische Störungen
F90.0 einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung
F90.1 hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens
F90.8 andere hyperkinetische Störungen
F90.9 nicht näher bezeichnete hyperkinetische Störung
Forschungskriterien ICD-10:
(F90) hyperkinetische Störungen
G1 Unaufmerksamkeit (mind. 6 Monate, 6 von 9 Kriterien)
G2 Überaktivität (mind. 6 Monate, 3 von 5 Kriterien)
G3 Impulsivität (mind. 6 Monate, 1 von 4 Kriterien)
G4 Beginn der Störung: vor dem siebten Lebensjahr
G5 Symptomausprägung:
Symptome in mehr als einer Situation wie z.B. zu Hause, in der Schule, an anderem Ort
G6 Symptome von G1 – G3:
verursachen deutliches Leiden oder Beeinträchtigung der sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsfähigkeit
G7 Kriterien für andere Störungen:
werden nicht erfüllt (F84, F30, F32, F41)
DSM-IV-TR:
Störungen der Aufmerksamkeit, der Aktivität und des
Sozialverhaltens
314.00 Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung, Vorwiegend unaufmerksamer Typus
314.01 Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung, Mischtypus (F90.0) sowie vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typus (F90.1)
314.9 Nicht näher bezeichnete Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (F90.9)
ADHS: Prävalenz
3-9% in nicht-klinischen Stichproben
NRW*:
95.000 Kinder und Jugendliche im Jahr 2008 in NRW
(vgl. Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit in NRW)
Anstieg der ambulanten Behandlungsdiagnosen im
Zeitraum 2005-2008 um 46%
1,3% (n=1237) der ambulant behandelten Kinder und
Jugendlichen wurden 2008 stationär aufgenommen
*vgl. PTK-Newsletter 4/2010
ADHS: Ursache
Trotz jahrzehntelanger Bemühungen
(Molekulargenetik, Neurophysiologie, bildgebende
Verfahren, neurowissenschaftliche Verhaltensanalyse
etc.) weiter strittig.
Aber: Empirische Hinweise dafür, dass sich
Temperament und Vitalität des Säuglings ätiologisch
auswirken können.
Ebenso: Überstimulierendes, aufdringliches Verhalten
der Hauptbezugspersonen.
(vgl. z.B. Carlson et al. 1995; Emde & Fonagy 1997; Sroufe 1997; Wolke et al. 2002)
ADHS: Behandlung
Aufklärung und Beratung (Psychoedukation) der
Eltern, des Kindes/Jugendlichen und des Erziehers
bzw. des Klassenlehrers
Elterntraining und Interventionen in der Familie
Interventionen im Kindergarten/in der Schule
Kognitive Therapie des Kindes/Jugendlichen
Pharmakotherapie zur Verminderung hyperkinetischer
Symptome
Fazit: Vorgehen sollte multimodal und altersspezifisch sein!
1. Begriffsklärung ADHS
2. Grundlagen der Bindungstheorie
3. Bindungsrepräsentation bei Müttern von
ADHS-Kindern
Übersicht
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Bindungsverhaltensweisen
• Signalverhalten
Schreien, Weinen sowie Lächeln, Vokalisieren, Anblicken,Anklammern, ...Die Bindungspersonen werden animiert, sich dem Kind zuzuwenden undsich in seiner Nähe aufzuhalten.
• Annäherungsverhalten
Nähe herstellen, Nachfolgen, SuchenMotorisch aktives Verhalten des Kindes in Richtung Bindungsperson zurHerstellung von Nähe.
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Entwicklung der Bindungsqualität bis zum
ersten Lebensjahr
• Abhängigkeit von der Qualität des Umgangs der BPs mit den kindlichen Signalen
• Qualität des Umgangs mit kindlichen Signalen variiert von BP zu BP
• Kind passt sich personenspezifisch an die unterschiedlichen Qualitäten des Umgangs mit seinen Signalen an
• es resultieren bis zum 12. Monat individuelle Bindungsqualitäten des Kindes an seine BPs
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Qualität des Umgangs mit kindlichen Signalen
- Das Feinfühligkeitskonzept -
Feinfühligkeit ist die Fähigkeit des Erwachsenen,
die Signale des Kindes
• wahrzunehmen,
• sie richtig zu interpretieren,
• angemessen und
• prompt auf sie zu reagieren.
(vgl. Ainsworth, Bell & Stayton, 1974)
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Verhaltenssysteme
Bindungsverhaltenssystem
Pflegeverhaltenssystem
Explorationsverhaltenssystem
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Verteilung der Bindungsmuster im 12. Monat:
Nicht-klinische Stichproben(vgl. Goldberg, 1995)
0
10
20
30
40
50
60
Prozentuale Verteilung
sicher
unsicher-vermeidend
unsicher-ambivalent
desorganisiert
Universität zu Köln
Bedeutung der desorganisierten
Bindung für die weitere Entwicklung
Risikofaktor
für eine psychopathologische Entwicklung bis hin zur kinder- und jugendpsychiatrischen
Behandlungsbedürftigkeit
Universität zu Köln
Zusammenhang zwischen Feinfühligkeit der
Bezugsperson, Bindungssicherheit des Kindes und
dessen psychosozialer Entwicklung
Bindungssicherheit
Psychosoziale Entwicklung:
- Kindergarten
- Schule
- usw.
FeinfühligkeitIntervention (z.B. STEEPTM)
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Perspektivenübernahme
Was hat zu dieser Situation
geführt?
Wie geht es diesem Kind?
Woran erkennen Sie das?
Was braucht das Kind jetzt?
Wenn das Kind schon sprechen
könnte: Was würde es jetzt sagen?
Wenn Niemand das Kind hört: Was
passiert als Nächstes?
Wie war es, als Sie ein kleines Kind
waren?
Wer hat Sie gehört?
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Intergenerationale Transmission- Mütter sicher gebundener Kinder -
73
85
14
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Prozentuale Verteilung
sicher
unsicher-vermeidend
unsicher-ambivalent
desorganisiert
(vgl. van IJzendoorn, 1995)
Universität zu Köln
Intergenerationale Transmission- Mütter bindungsdesorganisierter Kinder -
22
16
9
53
0
10
20
30
40
50
60
Prozentuale Verteilung
sicher
unsicher-vermeidend
unsicher-ambivalent
desorganisiert
(vgl. van IJzendoorn, 1995)
1. Begriffsklärung ADHS
2. Grundlagen der Bindungstheorie
3. Bindungsrepräsentation bei Müttern von
ADHS-Kindern
Übersicht
Humanwissenschaftliche Fakultät: Department Heilpädagogik und Rehabilitation
PD Dr. R. Kißgen, Vanessa Kummetat (Dipl. Heilpäd.), Prof. Dr. R. Schleiffer
Medizinische Fakultät: Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie
PD Dr. K. Sevecke, PD Dr. M. Krischer, Prof. Dr. G. Lehmkuhl
Bindungsrepräsentation bei Müttern von
ADHS-Kindern
Arbeitsgruppen an der Universität zu Köln
Gruppendefinition der Stichprobenmütter
A-Gruppe (n=13)
Mütter von ADHS-Kindern, die klinisch (psychotherapeutisch u.
medikamentös) behandelt werden
B-Gruppe (n=19)
Mütter von ADHS-Kindern, deren Symptome klinisch nicht
behandlungsbedürftig sind
C-Gruppe (n=19)
Mütter von Kindern ohne Diagnose
Hypothese bzgl. Auftretenshäufigkeit nicht-sicherer
und desorganisierter Bindungsrepräsentation:
A>B>C
Inventare
Diagnostik-System für psychische Störungen im Kindes-
und Jugendalter nach ICD-10 /DSM-IV (DISYPS-KJ):
Diagnose-Checkliste für hyperkinetische Störungen (DCL-HKS)
Adult Attachment Projective (AAP)
Charakteristika der Stichprobenkinder
Bindungsrepräsentation der Mütter
0
100
AB
C
A B C
autonomous 15,4 57,9 84,2
dismisssing 38,5 26,3 10,5
preoccupied 15,4 5,3 0
unresolved 30,8 10,5 5,3
Jonckheere-Terpstra: u=3,78; p<0.001
Fazit 1
Die Reihenfolgehypothese bzgl. der Auftretenshäufigkeit
nicht-sicherer und desorganisierter Bindungsrepräsentation
wird bestätigt (A>B>C).
Aufgrund des höchsten Auftretens nicht-sicherer und
desorganisierter BR bei den A-Müttern ist davon
auszugehen, dass hier eher eingeschränkte
Voraussetzungen für feinfühligen Umgang mit kindlichen
Signalen vorliegen.
Aufgrund des behandlungsbedürftigen ADHS dürfte bei den
Kindern der A-Mütter mit den zahlreichsten und
intensivsten Verhaltensproblemen zu rechnen sein.
Fazit 2
Ergo: Kinder, deren störungsbedingte Auffälligkeiten die
größte Herausforderung an den feinfühligen Umgang mit
ihren Siganlen stellen, treffen auf Mütter, die aufgrund der
eigenen BR nur über eingeschränkte Voraussetzungen für
feinfühligen Umgang mit kindlichen Signalen verfügen.
Prognose: Ungünstig!
Bindungstheoretisch fundierte Intervention
Psychotherapie der Bezugsperson zur
Umstrukturierung der Bindungsrepräsentation
Nachteil: Keine kurzfristige Änderungen erwartbar
Feinfühligkeitstraining (z.B.: SIBTM)
Kissgen, R., Krischer, M., Kummetat, V., Spiess, R., Schleiffer, R. & Sevecke, K.
(2009). Attachment Representation in Mothers of Children with Attention
Deficit Hyperactivity Disorder. Psychopathology, 42, 201-208.
Universität zu Köln
Literaturempfehlung:
Frühe Risiken – Frühe Hilfen