Jugendhilfe heute:
Die Einrichtungen der Jugendhilfe sehen sich zunehmend mit bindungsgestörten, oft schwer zu ertragenden Kindern und Jugendlichen und ihren Familien konfrontiert.
Hieraus ergeben sich besondere Herausforderungen für einen professionellen Umgang in und mit den Systemen: Kind-Familie-Jugendhilfe.
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Bindungsorientierung: Gliederung
1. Was ist mit Bindung gemeint?
2. Was erklärt die Bindungstheorie?
3. Wohin orientiert sie?
4. Wozu hilft sie?
5. Wohin soll das noch führen…?
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Ist Bindung Alles, und ohne Bindung Alles Nichts?
• Menschenkinder galten lange als Zwischenwesen (Himmel / Erde)
• Neugeborenentötungen waren „normal“
• 1780 wuchsen 95% der (bürgerlichen) Kinder in Paris bei Ammen auf…
• Säugling / Kind als Beziehungswesen frühestens seit Rousseau
• Bindungsforschung seit ~50 Jahren, exponentiell zunehmend
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1. Was ist mit Bindung gemeint? • …evolutionäres Überlebensprinzip seit es Säugetiere
gibt
• Ursprüngliche Forschungsrichtung: Die frühe Mutter-Kind-Bindung (Bowlby, Ainsworth, …)
• Erweiterung auf Bindungsstile im Lebensverlauf (Main,
Grossmann, …)
• Modellhafte Übertragung auf die asymmetrische Arbeitsbeziehung zwischen TherapeutIn , ErzieherIn, SozialarbeiterIn, Lehrperson, … in einem längerfristigen und relevanten Kontakt
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Damit Menschen… • gut mit sich und Anderen in Kontakt sein..
• Impulse, Affekte und Stress regulieren…
• lern- und arbeitsfähig sein ...
• Beziehungs- und kooperationsfähig sein…
…können,
…braucht es Voraussetzungen, die am besten bindungstheoretisch / neurobiologisch beschrieben werden.
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2. Was erklärt die Bindungstheorie?
• Die interaktionellen Aspekte der frühen Gehirnentwicklung und die Entwicklung höherer Hirnleistungen
• Die Entwicklung der frühen Interaktion
• Den Aufbau einer Bindungsbeziehung
• Die lebenslange Bedeutung von Bindungserfahrungen:
– für die eigene Lebensbewältigung
– für bedeutsame Interaktionen: SA‘ & KlientIn, z.B. Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 7
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Neurobiologie: Tor zu integrativem Wissen?
Insbesondere durch die Fortschritte im Neuroimaging (z.B. fMRT) nähern wir uns Phänomenen wie - Intuition (Bauchgehirn), - Bindung (Hormone und Transmitter), - Resonanz in Beziehungen (Spiegelneurone) oder auch - Meditation (γ-Aktivität links frontal) auf neue Weise:
„Altes Wissen“ wird zunehmend auf empirischer Grundlage betätigt. Der ewige K(r)ampf zwischen „exakter Wissen-schaft“ und Alltagserfahrungen vieler Menschen-generationen könnte überwunden werden........
Funktionsprinzipien des Gehirns
• Entwicklungsfenster
– Sprache
– stereoskopisches Sehen
– Bindungsbeziehungen
• Plastizität
– Von „Trampelpfaden zu Autobahnen“
• Phylogenetische Hierarchie
– „alte“ Hirnteile: Reflexhafte Automatismen vs.
– Neocortex: willentliche Kontrolle & Integration
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Funktionsprinzipien des Gehirns
• Phylogenetische Hierarchie: Explizite Fähigkeiten des Neocortex, also des jüngsten Teils der Großhirnrinde, werden am stärksten durch interaktive Prozesse („nutzungsabhängig“) mit der Außenwelt modifiziert. Dies ist besonders im Hinblick auf die Aufgaben des Frontalhirns von Bedeutung:
Aufmerksamkeit
Motivation
Entscheidungsfähigkeit
Kontrollüberzeugungen
Selbstwirksamkeit. Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 10
Urvertrauen
Vertrauen…
- In sich selbst: Selbstwertgefühl, Liebesfähigkeit, Frustrationstoleranz
- In ein Du & Wir: Partnerschaft, Solidarität
Verantwortung
- In das Ganze, die Existenz: Existenzbejahung, Hoffnung, Glaube
=> Ähnlichkeit zum Salutogenesekonzept (Antonovsky)
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Urvertrauen…
…entsteht im Wesentlichen über Lernprozesse
…im Mutterleib: Sinneswahrnehmung, Hormonaustausch, Stress
…in der Frühkindheit: frühe Beziehungsgestaltung, Regulationsprozesse,
Bindungsaufbau
Gehirnaufbau Persönlichkeit und Temperament entwickeln sich auf 4 Ebenen im Gehirn:
Untere limbische Ebene (Hypothalamus, zentrale Amygdala, vegetative Zentren des Hirnstamms) - Regulation von lebenswichtigen vegetativen
Funktionen und Notfallreaktionen - bildet unter dem Einfluss von Genen und
vorgeburtlichen Erfahrungen die Grundlage für unserer Temperament
Individuelle Funktion dieser Ebene kann durch spätere Erfahrung / Erziehung nur schwer verändert werden.
(vgl. Roth / Strüber 2014: 371f) Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 13
Gehirnaufbau
Mittlere limbische Ebene (basolaterale Amygdala / mesolimbisches System)
- Ebene der unbewussten emotionalen Konditio-nierung und des individuellen emotionalen Lernens
- Funktionen entwickeln sich in den ersten Lebensjahren (frühkindliche Bindungserfahrungen)
- Untere & mittlere limbische Ebene bilden den Kern unserer Persönlichkeit
Veränderungen im Jugend- oder Erwachsenenalter nur über starke emotionale und lang anhaltende Einwirkungen
(vgl. Roth / Strüber 2014: 371f) Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 14
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Amygdalae lateraler (ont)+ zentraler (phy) Kern
Thalamus
Hippocampus
Hypothalamus, Striatum, Hirnstamm
Infos aus Umwelt
Infos aus innerem Milieu
Motorische, vegetative, endokrine Reaktionen
Präfrontaler Cortex
Gehirn, Gefühle und Lernen (nach Goleman 1995)
Sensorischer Cortex
Gehirnaufbau
Obere limbische Ebene
(limbische Cortexareale)
- bewusstes emotional-soziales Lernen
- emotionale Reaktionen der beiden unteren limbischen Ebenen werden verstärkt oder abgeschwächt
- Grundlage für Gewinn- und Erfolgsstreben, Freundschaft, Liebe, Hilfsbereitschaft, Moral und Ethik
entwickelt sich in der späteren Kindheit und Jugend aufgrund sozial-emotionaler Erfahrungen und ist durch solche veränderbar
(vgl. Roth / Strüber 2014: 372) Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 16
Gehirnaufbau
Kognitiv-sprachliche Ebene (Sprachzentrum der linken Großhirnrinde, präfrontaler Cortex)
- bewusste sprachliche und rationale Kommunikation
- bewusste Handlungsplanung, Erklärung der Welt, Rechtfertigung des eigenen Verhaltens
individuelle Funktionen dieser Ebene entsteht relativ spät und wandelt sich ein Leben lang, durch sprachliche Interaktion.
(vgl. Roth / Strüber 2014: 372) Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 17
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Spiegelphänomene…..
• Spiegelphänomene durchziehen die gesamte Biologie,
beginnend bei der Erbsubstanz DNA mit ihrer spiegelnd angelegten Doppelstruktur bis hin zu komplexen biologischen Systemen wie dem Menschen.
• Biologisch angelegte Spiegelung scheint das „Gravitationsgesetz lebender Systeme“ und ein „Leitgedanke der Evolution“ zu sein.
• Nicht „survival of the fittest“, sondern „survival of resonance“ ist der tiefe Sinn der Evolution. (nach J.Bauer)
Bei Hirnuntersuchungen mit Schweinsaffen (Makakken) stellten die Forscher Vittorio Gallese und Giacomo Rizzolatti (Parma) fest, dass einige Nervenzellen im Stirnhirn nicht nur dann in Erregung gerieten, wenn sie eine bestimmte eigene Tätigkeit ausführten, Die gleichen Nervenzellen feuerten ihre Signale auch, wenn die Affen den Versuchsleiter bei der Ausführung der gleichen Tätigkeiten beobachteten.
Resonanz als evolutionäres Prinzip: Von Spiegelphänomenen zu Spiegelneuronen
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Beim Menschen: Spiegelneurone (im Broca-Zentrum und in vielen anderen Regionen) steuern Wahrnehmung und Ausführung von Bewegungen; sie verknüpfen ganz offensichtlich Beobachtungen oder Geräusche mit der eigentlichen Durchführung von Aktionen.
Sie spielen eine große Rolle beim Verstehen - und damit
auch beim Erlernen - von Bewegungsabläufen. Auch die Entstehung von Sprache und menschlicher Kultur
wird von Forschern auf das Spiegelneuronsystem zurückgeführt.
Spiegelneurone I
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• Spiegelzellen unseres Gehirns versorgen uns mit intuitivem Wissen über die Absichten von Personen, deren Handlungen wir beobachten.
• Sie melden uns, was Menschen in unserer Nähe fühlen, und lassen uns deren Freude oder Schmerz mitempfinden.
• Spiegel-Nervenzellen sind die Grundlage emotionaler Intelligenz. Sie sind die neurobiologische Basis von Empathie, Sympathie und sie verleihen uns die Fähigkeit zu lieben.
• Spiegelungsphänomene sind von zentraler Bedeutung für die Aufnahme und Weitergabe von Wissen, denn sie bilden die neurobiologische Basis für das „Lernen am Modell“.
(nach J. Bauer)
Spiegelneurone II
Psychoneuronale Grundsysteme
Differenzierte Gefühle & komplexes Verhalten entstehen durch enge Wechselwirkung der neurochemischen (Transmitter-) Systeme. Daraus bilden sich 6 psychoneuronale Grundsysteme:
• Stressverarbeitung • Selbstberuhigung • Bewertung und Belohnung bzw. Belohnungserwartung • Impulshemmung • Bindung • Realitätssinn
(vgl. Roth / Strüber 2014: 374)
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Funktionsprinzipien des Gehirns 10
Das Belohnungs-System
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Motivation
• Belohnung: operantes Konditionieren = Dressur
• Dopaminsystem(e)
- im frontalen Cortex: klareres Denken
- im n. accumbens: endogene Opioide → im frontalen Cortex → Türöffner für
Informationsverarbeitung → Lerneffekt
• Oxytozin: Ursache und Wirkung von Bindungserfahrungen: Vertrauen
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Dopamin: Belohnung
• Subjektiver Belohnungseffekt: Besser-als-erwartet wird abgespeichert = gelernt!
(Unterschied von vorhergesagter und tatsächlicher Belohnung)
• Lernen geschieht bei positiver Erfahrung (v.a. sozial!) und verändert langfristig cortikale Repräsentation(SMS-Daumen!)
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Belohnungssystem
• Alle Süchte basieren auf diesem System, auch die Schokoladensucht
• Aber: auch Musik, nette Blicke, Lob aktivieren das Belohnungssystem
• Modulation durch Erfahrung
Oxytocin • Hormon, das früher nur mit Kontraktion der Gebärmutter während der
Entbindung und dem Milcheinschuss beim Stillen in Verbindung gebracht wurde.
• Heute: O. hat auch wesentlichen Einfluss auf psychische und VerhaltensProzesse: „Bindungshormon“
• Bei Mutter: Interaktion mit Säugling, Stress wird reduziert, Ängstlichkeit. Freisetzung durch jeden Körperkontakt, v.a. durch Saugen
• Beim Kind: Infolge Hautkontakt ebenfalls Freisetzung von O.:
Beruhigung, Entspannung
• O. induziert auch bei Tieren mütterliches Verhalten, Schafe mit Oxytocin-Blockade nehmen ihr Lamm nicht an
• Oxytocin verbessert soziales, auch kognitives Lernen
• Langzeiteffekte: Weniger ängstlich, ruhiger, sozial interaktiver, Schmerzschwelle erhöht sich. Cortisol-Spiegel, Blutdruck
• Oxytocin wichtiges Agens in der Psychotherapie
• CAVE: In-Out-Group-Effekte
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Emotionale Sicherheit
Soziale Beziehungen
Wahrnehmungsfähigkeit
Neugier + Exploration
Am besten von zwei Personen + Kontext !
Motorik
Wissen + Erfahrung
Emotionale Sicherheit: Voraussetzung für Lernen und Wachstum
Dösen ist gut für das Gehirn….
….es arbeitet dabei Gelerntes nach
…denn, ab und zu möchte es einfach bei sich selbst sein und nicht immer bei
irgendwas anderem…
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Interaktion, Regulation und die Entstehung von Bindung
Was kann ein Säugling?
• Fähigkeit, sofort nach der Geburt nachahmen zu können: „Synchronisation“ mit der Mutter: Identifikation, Teilnehmen am Erleben anderer, mittels Spiegelneuronen.
• Selbstwirksamkeit von Anfang an: Etwas beim Gegenüber bewirken!
• Diese frühe Intersubjektivität strukturiert die äußere und innere Welt des Säuglings, ist die Basis interaktiven Wissens und früher sensorischer Integration.
• Die Erfahrungen der ersten 18 Monate sind nonverbal, nicht-symbolisch, nicht erzählbar, implizites Wissen, bleibt auch nach Spracherwerb parallele Erlebenswelt (Somatische Marker).
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Resonanz
Wir leben – von Anfang an – von Resonanz, Anerkennung und emotionaler Spiegelung. Dies wird in einer responsiven frühen Eltern-Kind Interaktion verwirklicht, und ist die Grundlage einer sicheren Bindung.
Martin Buber: „Der Mensch wird am Du zum Ich“
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Affektive Kommunikation
„Die Resonanz der rechten Hemisphären von Mutter und Kind in der regulatorischen Interaktion ist der wesentliche „promotor“ für eine normale Entwicklung“ Allan Schore, 2011
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Aaron-Segen (Num 6, 24-26)
„Der Herr segne und behüte Dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Heil“
In der alttestamentlichen Sprache: das Gesicht der Mutter, das dem Säugling die Welt bedeutet, und das des Vaters, der sich dem Kind kraft- und lebensspendend zuwendet.
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Intuitive elterliche Kompetenzen: typische Verhaltensmuster
Dialogabstand, Grußreaktion
Ammensprache - erhöhte Stimmlage
Verlangsamtes Tempo, prototypische Melodik
Prototypische Mimik
Imitationsneigung
Interaktive Spielchen
Gemeinsame Ausrichtung der Aufmerksamkeit
Entwicklungsphasenspezifische Anpassungen und Verhaltensmuster
nach Papoušek 1996
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Containment
• Die Mutter akzeptiert die Gefühle ihres Kindes, nimmt sie in sich auf, verarbeitet sie (Vorkauen) und gibt sie dem Kind in verständlicher Form zurück (Bion, W.R)
• Ziel dieses Prozesses ist es, das Kind in der Verarbeitung ängstigender Affekte / Erlebnisse so zu unterstützen, dass es in explorativem Kontakt mit der Umwelt bleiben kann.
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Das „Good-Enough“ Prinzip
…Ziel der (M-K) Beziehung ist nicht perfekte Übereinstimmung (perfect agreement) sondern, dass es im Gegenteil zwischen dem Baby und seiner primären Bezugsperson auch immer wieder Momente von Dissonanzen und Unverständnis gibt.
Wieso?
… Episoden von „Wiedergutmachung“ (interactive repair) kennzeichnen eine gelungene M-K-Beziehung! (Allan Schore)
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Selbstregulation
• …eine lebenslange Aufgabe, die (spätestens) mit der Geburt beginnt.
• Anfänglich benötigt das Kind feinfühlige Co-Regulation.
• Im Laufe der Entwicklung lernt das Kind, sich immer mehr, häufiger und besser selbst zu regulieren, und gewinnt so mehr Autonomie und Selbstwirksamkeit.
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SÄUGLING Zufriedene Dyade MUTTER Entwicklungsförderung
Vernachlässigung Misshandlung
Positive Gegenseitigkeit
Vorsprachliche Kommunikation
„Gute“ selbst-regulatorische Fähigkeiten „Schwieriger“
Säugling
Mutter-Kind-Beziehung
Negative
Gegenseitigkeit
„hinreichend gute Mutter“ (Winnicott)
psychosozial
hochbelastete Mutter
Schwieriges Temperament
Regulationsprobleme: - Nahrungsaufnahme - Schlaf-
Wachrhythmus - Aufmerksamkeit - Schreien
somatische, neurologische
und seelische Störungen
Sozio-ökonomische Faktoren
Körperliche / psychische Störungen
Partnerkonflikte
Beziehungskonflikte zum Kind, Rollenumkehr
„Gespenster im Kinderzimmer“
Unangemessene entwicklungspsychologische Vorstellungen
Gewalt tolerierender und rigider Erziehungsstil
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Bindungstheorie… in aller Kürze
• Während seines ersten Lebensjahres entwickelt der Säugling eine spezifische Bindung zu einer primären Bindungsfigur.
• Das Bindungssystem ermöglicht das Überleben.
• Die Bindungsfigur ist die “sichere Basis” für das Kind (sicherer Hafen)
• Das Bindungssystem wird bei Angst und Trennung aktiviert.
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Bindungstheorie…
• Das Bindungssystem wird durch die physische Nähe der Bindungsfigur beruhigt.
• Das Bindungssystem verhält sich reziprok zum Explorationssystem
• Sobald das Bindungssystem beruhigt ist, kann sich das Kind der Exploration zuwenden
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Explorations-System + Mentalisierung
Bindungs- system
Explorations- system
Bindungs- system
Aktivierung des Bindungssystems Beruhigung des Bindungssystems
Eine Aktivierung des Bindungssystems und gleichzeitige Dämpfung des Erkundungssystems erfolgt, wenn das Kind ängstlich, unsicher, fremd, einsam, verlassen, hungrig, müde ist, usw.
Eine Beruhigung des Bindungssystems und gleichzeitige Aktivierung des Erkundungssystems erfolgt bei Wohlbefinden und dem Gefühl von Sicherheit. Das Kind ist unternehmungslustig, spielt, exploriert mit Mund und Händen usw.
Bindung & Exploration
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Gemeinschaft vs. Individualität
• Untersuchungen: Kamerun vs. Deutschland
• Spiegel-Test 6 Monate früher erfolgreich in D als in Kamerun
• spätere direkte Interaktion und späteres soziales Lächeln in K.
• Baby im 1. LJ immer „auf einem Arm“, nachts am Körper der Mutter in K.
• „Gemeinschaft- vs. Unabhängigkeitsorientierte Mütter“ (H. Keller)
• was bedeutet das für Bindung?
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BINDUNG..
Voraussetzungen für die Entwicklung sicherer Bindung:
- Responsive und feinfühlige Eltern-Kind-Interaktion von Anfang an…
- Containment
- Holding
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Wenn eine Mutter (primäre Bezugsperson) im ersten Jahr….
…sowohl positive als auch negative Äußerungen des Kindes vorwiegend feinfühlig beantwortet hat • weinen die Säuglinge schon mit 10 Monaten weniger und
äußern sich differenzierter, • willigen die Krabbler häufiger in die Ziele der Mutter ein,
sind kooperativer und seltener trotzig, • zeigen die Kleinkinder offener ihre Gefühle,… lassen sich
gut beruhigen, und • können … ihre Wünsche nach Nähe und Trost oder Hilfe,
aber auch nach ungestörtem Erkunden selbständig regulieren und entsprechend handeln.
(Grossmann & Grossmann, 2004, Sroufe et al., 2005)
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Feinfühligkeit
Elterliche Feinfühligkeit, Unterstützung und Akzeptanz der Mutter ebenso wie die des Vaters
haben von frühester Kindheit an einen wesentlichen Einfluss auf die Fähigkeit, enge Bindungen einzugehen.
(Ergebnis der Bielefelder und Regensburger Längsschnittstudien von Grossmann, K & K, 2004)
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Der Fremde-Situation-Test (FST) Ainsworth et al. 1978
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Sichere Bindungsbeziehung / B – Gruppe
Kinder mit sicherer Bindung können in Situationen von emotionaler Belastung den Bezugspersonen ihre Gefühle offen mitteilen.
Sind ihre eigenen inneren Ressourcen erschöpft und sind sie innerlich verunsichert, können sie sich bei ihren Bezugspersonen Zuwendung, Nähe und Sicherheit holen.
Diese Kinder haben eine Grundsicherheit und Vertrauen zu ihren Bindungspersonen.
Sie können eher befriedigende und wenig störungsanfällige Beziehungen zu Gleichaltrigen aufbauen und Konflikte kompetent lösen.
Zudem haben sie eine positive Einstellung zu sich selbst.
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Bindungstypen
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Unsicher-vermeidende Bindungsbeziehung / A – Gruppe
• Reagierte ihre Bezugsperson wenig feinfühlig auf ihre Bedürfnisse und hielt nicht viel Körperkontakt zum Kind, entwickelt sich zwischen beiden eine unsicher vermeidende Bindungsqualität: vorhersagbar, aber abweisend erlebt
• In emotional belasteten Situationen zeigen diese Kinder weder ihre Gefühle von Belastung noch suchen sie die Nähe zur Bindungsperson, vielmehr vermeiden sie den Kontakt zu dieser: Deaktivierung!
• Sie wirken unbelastet und bleiben in solchen Situationen eher für sich alleine indem sie versuchen eigene Lösungsstrategien zu finden.
• Cortisol-Messungen im Speichel ergaben extrem hohe Stress-Werte
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Unsicher – ambivalente Bindungsbeziehung / C – Gruppe
• Kind kann nicht einschätzen, ob und wann die Bezugsperson verlässlich und feinfühlig zur Verfügung steht: unvorhersehbar
• Hochemotionalisierte Mutter-Kind-Beziehung
• Keine Entwicklung hinreichender Affektregulation: Hyperaktivierung des BS
• In emotional belasteten Situationen verhalten sich diese Kinder widersprüchlich, aufgrund der starken Verunsicherung.
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A – und C – Kinder haben gemeinsam…
….dass sie nicht das Vertrauen in die Bezugsperson haben, in einer für sie schwierigen Situation ausreichend und angemessen Hilfe von ihr zu bekommen.
Daher entwickeln sie eine Strategie, um trotzdem den Erwartungen der Bindungsperson zu entsprechen und mit diesen Erfahrungen umgehen zu können.
• Diese Kinder sind gefährdet, wenig befriedigende Kontakte in ihrem weiteren, außerhäuslichen Lebensumfeld zu finden.
• Sie haben ein eher negativ gefärbtes Selbstbild und wenig Selbstvertrauen.
• Eine unsichere Bindungsbeziehung kann als Risikofaktor für die sozio – emotionale Entwicklung des Kindes angesehen werden
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(Gloger-Tippelt/König 2009)
Organisierte Bindungsstrategien ~ 50% 15-20% 25-30%
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Auswirkungen von Bindungsstilen
Bei Kindern, Jugendl. & Erwachs.:
sicher gebunden unsicher gebunden
Sozio - emotionale Kompetenz
- wenig aggressiv - mehr soziale Kompetenz
im Umgang mit anderen Kindern
- öfter feindselig, wütend - Isolation, Anhänglichkeit
Selbst- und Persönlichkeits-
entwicklung
- beziehungsorientiert - eher angemessenes
Selbstbild - höhere Ich-Flexibilität - bessere Emotions-
regulierung - bessere Verhaltens-
regulierung
- auf sich selbst fixiert - idealisiertes oder negatives Selbstbild - weniger Ich-Flexibilität - schlechtere Emotions- regulierung - schlechtere Verhaltens- regulierung
Kognitiver Bereich - planvolleres Handeln - höhere Effektivität
- planloseres Handeln - niedrigere Effektivität
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Das innere Arbeitsmodell – „inner working model“ (Bowlby)
Kinder bilden während der sozio – emotionalen Entwicklung ihrer frühen Kindheit eine interne Repräsentation von sich und ihrem Bezugsobjekt.
Dieses verinnerlichte frühe Beziehungsmuster hat eine beständige Wirkung auf die weitere Entwicklung und wird in ähnlichen Beziehungssituationen während des ganzen Lebens reaktiviert.
Die wichtigste Aufgabe dieses Arbeitsmodells ist es, Ereignisse der realen Welt gedanklich vorwegzunehmen, um in der Lage zu sein, das eigene Verhalten besser zu planen und die Situation kontrollieren zu können
Bei sicher gebundenen Kindern, funktioniert dieses Arbeitsmodell als sichere Basis, von der aus sie ihre Umwelt erkunden und begreifen zu können. In Zeiten von emotionalem Stress fungiert es als eine Art sicherer Hafen.
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Das Erwachsenen-Bindungs-Interview (AAI) Main & Hesse
• Das Adult Attachment Interview (AAI) ist ein halbstrukturiertes klinisches Interview, in dem Jugendliche und Erwachsene befragt werden zu ihren frühen Erfahrungen mit Bezugspersonen in der Herkunftsfamilie und über ihre Einschätzung der Bedeutung dieser Erfahrungen aus ihrer heutigen, aktuellen Sicht.
• Das AAI besteht aus einer festgelegten Reihenfolge von Fragen zu den frühen Beziehungen in der Herkunftsfamilie, der Kennzeichnung der Beziehungen zu Mutter und Vater in der Kindheit durch Nennung von fünf Adjektiven oder Wörtern und Belegung dieser mittels konkreter Ereignisse.
• Weiterhin werden Fragen gestellt dazu, welchem Elternteil sich die interviewte Person näher fühlte und was sie tat, wenn sie sich als Kind unglücklich fühlte oder sich verletzt hatte.
• Es wird nach frühen Trennungserfahrungen gefragt und nach Gefühlen des Abgelehnt-Werdens durch die Eltern…
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Bindungstheorie und -praxis Unsichere Bindungsrepräsentation Inkohärente Darstellung von Beziehungserfahrungen und gegenwärtige Einschätzung dieser B.E. Episodische Erinnerungen und deren kognitive, semantische Bewertung sind in ihren Anteilen unausgewogen.
Unsicher-abwehrende B-R - Kognitiv > affektiv - Semantisches Gedächtnis - Wenige, vage Erinnerungen an Bindungserfahrungen, wenig Zugang zu Gefühlen - Leugnen neg. Beziehungs- erfahrungen - Idealisieren der Kindheit - Bedürfnis, allein zu sein
Unsicher-präokkupiert-verstrickte B-R - Kognitiv < affektiv - Episodisches Gedächtnis - Heftige Gefühle, keine Integration + Bewertung auf globaler Ebene - Betonung negativer (Kindheits-) Erfahrungen - kann schlecht allein sein
Mentalisieren heißt…
„Äußerlich wahrnehmbares Verhalten in einen bedeutungsvollen Zusammenhang mit innerpsychischen („mentalen“ ) Zuständen und Vorgängen zu erleben und zu verstehen, und umgekehrt. (Gefühle, Gedanken, Bedürfnisse, Wünsche, Begründungen, Bedeutungen und ganz persönliche Lebenserfahrung)
Darüber hinaus: die imaginative Fähigkeit, sich differenzierte Vorstellungen über die Psyche und ihre Wechselwirkungen mit Erlebens- und Verhaltensweisen incl. Beziehungsgestaltung. Dies gilt in Bezug auf einen selbst und andere und erlaubt, mit Bedeutungen spielen und die Perspektive wechseln zu können.“
(Bolm, 2015)
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Mentalisierung • „To hold the mind in Mind“ (P. Fonagy)
= Die Psyche einer anderen Person wird unabhängig und getrennt von der eigenen Psyche wahrgenommen, deren Aktivität gedeutet.
• Mentalisierung: …Bildung eines symbolvermittelten sekundären Repräsentationssystems der Affekte, des Selbst und der Objekte. Dies gelingt durch die kontingente Spiegelung der Affekte des Kindes durch die Primärobjekte…. (Potthoff P, in Hirsch M (Hg) 2008: Die Gruppe als Container. Göttingen)
• Diese Fähigkeit wird in einem in reziproken Prozess zwischen der Mutter und dem Kind entwickelt, wobei die Mutter dem Kind hilft, sein Verhalten – und das von anderen - in Verbindung mit der Benennung von Gefühlen, Wünschen, Erwartungen und Überzeugungen zu verstehen.
• Mentalisierung gelingt in sicheren Bindungen besser als in unsicheren: hohe Feinfühligkeit und „Mind-Mindedness“ der Mutter promoted Mentalisierung
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Mentalisierung
• Affektspiegelung
• Markierung
– Eltern reagieren im Gefühlsausdruck nicht ganz gleich wie das Baby, sondern ähnlich und erkennbar übertrieben
• Autobiografisches Selbst (ab ca. 6. LJ.):
– Erinnerungen an eigene intentionale Aktivitäten kausal, temporal und kohärent organisiert
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Reflektierend Komplexes Mentalisieren
Playing with Reality
Als-ob Gefühle, Gedanken Körper und äußere
Realität unverbunden
Äquivalenz
Mentale=äußere Realität
Teleologisch
Nur das Ergebnis zählt
Die vier Wahrnehmungsmodi der Realität.
Nach: Bolm, Th.: MBT, 2015
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3. Wohin orientiert uns die Bindungstheorie?
….auf die frühe Eltern-Kind-Beziehung
… auf die Bindungserfahrungen unserer KlientInnen
…und auf unsere eigenen Bindungsstile
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„Ob ein Kind zu einem warmherzigen, offenen und vertrauensvollen Menschen mit Sinn für das Gemeinwohl heranwächst oder aber zu einem gefühlskalten, destruktiven, egoistischen Menschen, das entscheiden die, denen das Kind in dieser Welt anvertraut ist, je nachdem, ob sie ihm zeigen, was Liebe ist, oder aber dies nicht tun“
(„Niemals Gewalt“: Astrid Lindgren anlässlich der Verleihung des Friedenpreises des Börsenverein des Deutschen Buchhandels 1978).
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Transgenerationale Perspektive
• Weitergabe positiver Kindheitserfahrung
• Wahrscheinlichkeit: sichere Eltern 3-4-fache höhere Wahrscheinlichkeit sichere Kinder
• statistischer Zusammenhang zwischen Bindungsrepräsentation der Eltern und der Bindungsqualität der Kinder
• Vorhersage schon vor der Geburt, welche Bindung Kind ausbildet
(Bretherton, 2001, S.61f./ Seiffge-Krenke, 2009, S.75ff/Buchheim, 2005, S.36)
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Vater-Kind-Bindung • Eigenständiges Bild, wenn Vater anwesend
• FremdeSituation-Test ungeeignet (Trennung!)
• Bindungsqualität nicht aus Versorgungsqualität des ersten Lebensjahres ableitbar.
• Bedeutsam war die Einstellung des Vaters zu Familie, zur Vaterrolle, Zufriedenheit in der Ehe
• Häufigste Interaktionen in Spielsituationen und beim Lernen von Kulturtechniken
• „Feinfühlige Unterstützung einer sicheren Exploration!: Hohe Väterliche Spielfeinfühligkeit (VSF) sagt sicheres Explorationsverhalten voraus
• Bindungsrepräsentation mit 16 J und Partnerschafts-repräsentation mit 22. J zeigen bedeutsame Einflüsse aus frühkindlicher VSF
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Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
„Wenn mein Vater mit mir geht, dann hat alles einen Namen.
Vogel, Falter, Baum und Blume. Wenn mein Vater mit mir geht, ist die Erde nicht mehr stumm
Kommt die Nacht und kommt das Dunkel, zeigt mein Vater mir die Sterne.
Er weiß, wie die Menschen leben, weiß, was recht und unrecht ist, sagt mir wie ich werden soll“.
• (Josef Guggemos)
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Trauma, chronische Belastung & Bindung
„Wenn die Sehnsucht nach Liebe und Zuneigung verschlossen ist, bleibt sie unzugänglich. Dann richtet sich Ärger auf die falschen Ziele, Angst tritt in unangemessenen Situationen auf, und Feindseligkeit wird von falscher Seite erwartet“
(John Bowlby, 1988)
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 67
Neue Erkenntnis:
Ursachen aller psychischen Störungen sind…
• Genetisch-epigenetische Aspekte (10-20% der Varianz)
• Traumatisierung der Mutter vor und in der Schwangerschaft
• Traumaerfahrungen des Kindes in den ersten 2-3 Lebensjahren.
(Roth, G., Stüber, N.: Wie das Gehirn die Seele macht, Stuttgart, 2014)
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 68
Entwicklung des Gehirns unter Trauma-Bedingungen
• Veränderungen des Gehirns der Mutter aufgrund traumatisierender Erfahrungen: Misshandlung, Vergewaltigung, Verlust des Partners, Krieg, schwere Unfälle
wirken auf das unreife Gehirn des Embryos / Fötus Fehlentwicklungen im Stressverarbeitungs- und Selbstberuhigungssystem des Kindes
• Beeinträchtigung dieser Systeme (Bindungssystem!) bei Kleinstkindern
durch: - Misshandlung, Missbrauch, Vernachlässigung und Tod der Eltern, längere
Trennung von den Eltern, psychische Störungen der primären Bezugsperson
• Frühe massive Störungen des Stressverarbeitungssystems (Cortisol) und des Selbstberuhigungssystems (Serotonin) führen zu Fehlregulation des Cortisol-Haushalts
Langfristige Folgen: Negative Beeinflussung der Ausbildung der anderen psychoneuronalen Systeme
(vgl. Roth / Strüber 2014: 375)
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 69
Die erworbene Dysbalance…
• des Stressverarbeitungssystems
• des Selbstberuhigungssystems
…blockiert Reifung der Motivationssysteme in den ersten Lebensabschnitten:
- Impulshemmung 1.- 20. LJ.
- Mentalisierung und Empathie 2.- 20. LJ.
- Realitätssinn und
Risikowahrnehmung 3.- 20. LJ.
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 70
(Psycho-)Trauma
Lebensereignis mit
extremer physiologischer Erregung
Flucht Freeze Angriff
TraumaSymptome Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 71
Typ1 Trauma Typ2
• Einzeln, Unerwartet, Kurz
• Öffentlich besprechbar
• SY: meist klare und lebendige Wiedererinnerung
• Eindeutige PTSD
• Hauptaffekt: Angst
• Eher gute (Behandlungs-) Prognose
• Serielle, überdauernde zwischenmenschliche Gewalterfahrungen
• Nicht öffentlich besprechbar
• SY: diffuse Wiedererinnerun-gen, starke Dissoziationsten-denz, hohe Komorbidität
• Komplexe PTSD
• Sekundäre Affekte: Scham
• Schwer zu behandeln Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
72
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
73 73
Gehirn und Stress III -Traumatische Erfahrung:
• PlötzlichesTrauma: Destabilisierung ohne Reorganisation • Degeneration von Dendriten und Neuronen (v.a. im Hippocampus) • Rettung durch Abkoppelung der traumatischen Erfahrung aus der
Erinnerung • Ausklammerung durch gezielt veränderte Wahrnehmung und
assoziative Verarbeitung von Phänomenen der Außenwelt („Notlösung“)
• Ggf. Blockade der gesamten emotionellen Reaktionsfähigkeit, bizarre Bewältigungsstategien (z.B. Zwänge)
• Chronische /sequentielle Traumatisierung: Individuelle („abnorme“) Lösungen, die als persönlichkeitsgestört wahrgenommen werden: Störungen der Affektregulation, Impulskontrolle, Aufmerksamkeit, verzerrte Wahrnehmungen von Selbst und anderen, Bewusstseinsveränderungen, Dissoziationen, brüchige Normen- und Wertsysteme, Lern- und Kontaktstörungen, etc…
73
74
The Adverse Childhood Experiences (ACE) Study:
Was ist eine ACE ? → Erleben / Erleiden einer der folgenden Erfahrungen in der Familie vor dem 18. Lebensjahr:
• Wiederholte körperliche Misshandlung
• Wiederholte emotionale Misshandlung
• Sexueller Missbrauch
• Ein Alkoholiker /Drogenuser im Haushalt
• Ein Haushaltsmitglied im Gefängnis
• Jemand der chronisch depressiv, psychisch krank, suizidal oder in der Psychiatrie ist • Eine Mutter, die Gewalt erleidet
• Ein oder kein Elternteil
• Emotionale oder physische Vernachlässigung
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
74
Frühkindliche Phase besonders sensibel • Negative Einflüsse können später nur noch im geringem Umfang
kompensiert werden können (rumänische Waisenkinder) • Starke Beeinflussbarkeit der Organisation neuronaler Verschaltungen
durch frühe Erfahrungen • Schnelle / nachhaltige Veränderungen sind später nicht möglich
(graduelle Verstärkung und Abschwächung) • Aber: positive korrigierende Einflüsse sind in dieser Phasen besonders
wirksam positive Bindungserfahrung führt zur starken Ausschüttung von Oxytocin („Bindungshormon“), das kann negative Effekte teilweise dämpfen
(vgl. Roth / Strüber 2014: 375) (vgl. Roth / Strüber 2014: 156)
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 75
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
Desorganisierte – desorientierte Bindungsbeziehung / D – Gruppe
Diese Kinder zeigen eine Vielzahl irritierender und widersprüchlicher Verhaltensweisen, z. B. Widersprüche zwischen Mimik und Körperbewegung, Stereotypien der Gesten, eingefrorene verlangsamte Mimik oder Bewegung, direkte subtile Zeichen von Anspannung, Furcht und Desorganisation
Die hier bestehenden Zusammenhänge zwischen Misshandlung und anderen traumatischen Situationen in der Familie sind empirisch belegt.
76
Desorganisation & Desorientierung:
• Desorganisiertes Bindungsverhalten stellt im Gegensatz zu organisiertem Bindungsverhalten ein „Steckenbleiben“ zwischen zwei Verhaltenstendenzen dar, bei dem auf der einen Seite die Zuwendung zur Mutter und das Nähesuchen und auf der anderen Seite die Abwendung steht. Die gleichzeitige Aktivierung von beiden Systemen führt zu einem Zusammenbruch des organisierten Bindungsverhaltens.
• Desorganisiertes Verhalten wird als Indikator für Stress und Angst angesehen, den das Kind nicht beenden kann weil die Bezugsperson gleichzeitig die Quelle von Furcht und der potentielle sichere Hafen ist („no where to go“ ).
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 77
Bindung und Trauma
Desorganisierte Bindungsmuster:
15% in nichtklinische Stichproben
25-34% bei niedrigem sozialem Status
35% Kinder mit neurologischer Auffälligkeit
43% Kinder von drogenabhängigen Müttern
48-77% misshandelte Kinder
>70% Jugendliche in Heimerziehung
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 78
Bindungsstörung
• ICD-10/DSM-IV-Kriterien nicht hinreichend aussagefähig und trennscharf
– Reaktive Bindungsstörung
– Bindungsstörung mit Enthemmung
• Neue Klassifikationsversuche (Zeanah&Boris 2000, Brisch 1999)
– Keine explizite Bindungsfigur
– Bindungsfigur, aber gestörte Beziehung
– Unterbrochene Bindung
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 79
Formen der Bindungsstörung (ca. 5%)
1.) Kein erkennbares Bindungsverhalten: Bindungssystem deaktiviert und abgewehrt
(Heimkinder, vielfältige Beziehungsabbrüche)
2.) Undifferenziertes Bindungsverhalten: Soziale Promiskuität, Unfallrisikoverhalten
(bei Heimkindern mit wechselnden Bezugspersonen)
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------
3.) Übersteigertes Bindungsverhalten: Exzessives Klammern, Trennungsangst
(Mütter mit Angststörung)
4.) Gehemmtes Bindungsverhalten: Übermäßige Anpassung
(Ambivalenz zw. Suche nach Geborgenheit und Angst vor Gewalt)
5.) Aggressives Bindungsverhalten: körperliche und/oder verbale Aggression
(aggressiv-gespanntes Familienklima)
6.) Bindungsverhalten mit Rollenumkehr: Angst um den realen Verlust der Bezugsperson
durch Suizid, Scheidung, psych./phys. Krankheit
7.) Psychosomatische Symptomatik: Wachstumsretardierung, Ess-, Schrei-,
Schlafstörungen etc. (Psychische Erkrankung der Mutter)
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
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Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
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Bindungsrepräsentation bei Jugendlichen in Heimerziehung ( n=72 )
AAI-Klassifikation
sicher vermeidend verstrickt ungelöst nicht klassifizierbar
Jungen 0 51,3% 5,1% 7,7% 35,9%
Mädchen 6,1% 18,2% 9,1% 12,1% 54,5%
Alle 2,8% 36,1% 6,9% 9,7% 44,4%
Quelle: Schleiffer & Müller, 2002
Jugendliche Eltern: 1/11 vermeidend 10/11 hochunsicher
Risiken für Bindungsdesorganisation und Bindungsstörungen I
• Erleben von Gewalt – v.a. Annäherungs-Vermeidungskonflikte
• Vernachlässigung – v.a. deutlicher Rückzug und geringe emotionale Reaktivität
• psychische Erkrankung der Eltern – z.B. Fehlen von Verlässlichkeit, Schutz, Sicherheit, Struktur
• häufiger Wechsel der Bezugspersonen • Lern- / geistige Behinderung der Eltern • wenige Sozialkontakte der Mutter
insgesamt: extrem geringe Passung von kindlicher Reaktion und elterlichem Fürsorgeverhalten
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 82
Risiken für Bindungsdesorganisation und Bindungsstörungen II
• unverarbeitete Traumatisierungen der Eltern
• komorbide Erkrankungen des Kindes
• Bereits im Neugeborenenalter Defizite in der Verhaltensorganisation – geringe Orientierungsfähigkeit, – hohe Irritabilität, – geringe Selbstregulationsfähigkeit
• Molekulargenetische Polymorphismen des Dopaminsystems
und Serotonintransports
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Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 84
Bindungstheorie & Gewalt I (Bowlby, 1988)
• Aggressionen sind normal & adaptiv, wenn die
Sicherheit zentraler Beziehungen bzw. das Leben
wichtiger Menschen in Gefahr scheint.
• Familiäre Gewalt ist eine verzerrte, übertriebene
Version adaptiver Aggressionen.
• Gewalterfahrungen erschüttern & beeinträchtigen die emotionale Sicherheit von Kindern & Erwachsenen ganz grundlegend.
• Gewalt von engen Bezugspersonen (z.B. Eltern, Partnern) ist psychisch weitaus belastender als Gewalt von Fremden
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Bindungstheorie & Gewalt II (Bowlby, 1988)
• Gewalt von Bezugspersonen führt zu einem unlösbaren emotionalen Paradox: Kinder brauchen & fürchten den Missbraucher gleichzeitig. – Gewaltopfer sind depressiv, passiv, gehemmt, freudlos & gleichzeitig wütend &
aggressiv. – Innere Arbeitsmodelle sind nach Gewalterfahrungen gleichzeitig auf Hinwendung &
auf Flucht eingestellt - sie sind also kaum arbeitsfähig. • Weder ambivalenzfreie Hinwendung noch klare Abwendung ist möglich. • Bindungssystem ist ständig aktiviert es gibt keine Entspannung.
• Kind zu misshandelndem Elternteil: - Kleinkinder zeigen oft widersprüchliches Verhalten zu Elternteil: z.B. zu ihr/ihm hinlaufen & gleichzeitig den Kopf wegdrehen
(FST). – Permanente Aufmerksamkeit für den Täter
• Gefrorene Wachsamkeit (frozen watchfulness) • Ständiges Bemühen, Bedürfnisse des Elternteils zu erfüllen.
Folgen einer Bindungsstörung
• emotionale Basis, die dem Kind Sicherheit und Vertrauen
vermittelt, ist zerstört
• mangelnde Beziehungsfähigkeit
• Veränderungen in den neuronalen Strukturen des Gehirns – Stresshormon Cortisol wirkt bei konstanten hohen Werten im Gehirn
neurotoxisch, so dass Gehirnzellen abgebaut werden Vgl.: Brisch, K.H.2006 & 2009 a. S.42-43
• Verschaltungen die notwendig und durch Wiederholungen zu festigen sind, können nicht entstehen – Defizite der kognitiven Fähigkeiten vorprogrammiert – Entwicklungsverzögerungen in allen Bereichen Vgl.:Petzold, H. 2006. S 627-713
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 86
Folgen einer Bindungsstörung
• Hohe Vulnerabilität andere Psychopathologien auszubilden Vgl.: Brisch. 2002. S 235
• Borderline-Störung als Folge einer desorganisierten / unsicheren Bindung und ungelösten Traumata in den Bindungsgeschichten, die in Bindungsstörung übergehen
Vgl.: Hofmann . 2005.
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 87
4. Wozu hilft die Bindungsorientierung?
• Beim Verstehen, bei der Behandlung und Begleitung der KlientInnen, zur Generierung „heilsamer Interventionen“
• Bei der Selbstreflexion der HelferInnen: zur Kontrolle der Gegenübertragung, und zur Stressreduktion
• Beim Aufbau und der Erhaltung bindungssensitiver Institutionen
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 88
Bindungsorientierte Diagnostik
• Was machen wir schon?
• Sinnvolle Ergänzungen?
– Verhaltensbeobachtung von Kind + Eltern im Gespräch und freiem Spiel
– GEV-B
– BISK
– Eltern: BFPE, BFKE, AAI, AAP, …
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 89
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
Entwicklungspsychologische Beratung
Nach: Ziegenhain, kinderärztliche praxis 2005
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Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
Bindungsrepräsentation und helfende Beziehung Mutter TherapeutIn / BetreuerIn
nach Ziegenhain, U. 1999
Bindungserfahrung
Inneres Arbeits-Modell
Reflektierte Sensitivität
Bindungsqualität
KIND
Bindungserfahrung
Internal Working Model
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Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
Bindungstyp und Gegenübertragung
Sicher Allzu sicher... Unsicher Vermeidend werbend, zuviel Nähe..,
latente Abwertung Unsicher ambivalent Rückzug Zuviel Abstand Gegenaggression Desorganisiert/unverarbeitet: Entmündigung des Gegenübers durch
zuviel Strukturvorgabe und Übernahme von Verantwortung
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Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
Lösungsorientierter Umgang mit unsicheren Bindungsmustern in der Therapeutischen Beziehung Generell: Akzeptanz und Positive Konnotation des gezeigten Bindungsmusters Unsicher-abwehrend: Gemeinsame Suche nach einem Auftrag Autonomie betonen Unsicher-präokkupiert: Verständnis, keine forcierten Lösungen, Wahrnehmung für Ausnahmen fördern Unverarbeiteter Bindungsstatus: Sinnstrukturen im Chaos entdecken Beispiele für Autonomie und Stärke finden Halt und Struktur geben
93
Welche Form des (therapeutischen) Bündnisses ist für eine Frau in der Mutterschaftskonstellation angemessen und hilfreich?
Die „Gute-Großmutter-Übertragung“ …..der Wunsch, von einer mütterlichen Gestalt geachtet zu werden, Unterstützung und Beistand zu finden, von ihr lernen zu können und von ihr anerkannt zu werden…… (Stern 1998) TherapeutInnen, SozialarbeiterInnen und andere HelferInnen sollten diese Wünsche wahrnehmen, als adäquat bewerten und möglichst auch erfüllen, die GGÜ damit annehmen, und mit ihr die Arbeitsbeziehung zu der Mutter-Kind-Dyade gestalten.
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
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Psychotherapie generell (analog: KSA)
1.Phase: schnelle, nicht nachhaltige Besserung hängt vom Vertrauensverhältnis (Bindungssystem) und dem gemeinsamen Glauben an die Methode ab: Oxytocin-/Serotonin- / Endorphin-vermittelt (also limbisch, nicht Großhirnrinde)
2. Phase: Langzeittherapie: Veränderung von Gewohnheiten (Üben!, auch subcortical, sensomotorisch-limbisch (Basalganglien), vermehrte Neurogenese
N.B: Einsichtsappelle bringen rein gar nichts! Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 95
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HOLDING D. W. WINNICOTT, der berühmte englische Kinderarzt und Psychoanalytiker, stellte in seinen Arbeiten vor allem die Bedeutung des Haltens und Gehaltenwerdens (engl.: Holding) in der frühen Mutter-Kind-Beziehung heraus. Voraussetzung für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung des Kindes sei die Erfahrung, von der frühesten Säuglingszeit an, von der Mutter oder einer anderen engen Bezugsperson hinreichend gehalten worden zu sein. ".....Halten: Schützt vor physischer Beschädigung. Berücksichtigt die Hautempfindlichkeit des Säuglings - Empfindlichkeit gegen Berührung, Temperatur, auditive und visuelle Reize, Empfindlichkeit gegen das Fallen und den Umstand, daß der Säugling kaum etwas von der Existenz von irgend etwas anderem als des Selbst weiß. Es umfaßt den immer gleichen Ablauf der Pflege bei Tag und bei Nacht; sie ist bei jedem Säugling anders... Es (Das Halten) folgt ebenfalls den winzigen Veränderungen, die von Tag zu Tag eintreten und zum Wachstum und zur Entwicklung des Säuglings in physischer und psychischer Hinsicht gehören" .
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
Der äußere …
und… der innere Halt:
• Organisation der Struktur: Leitung, Regeln, Räume, Zeiten, Verlässlichkeit Grenzen
• „eine visionäre Zielvorstellung, an der sich Bildung und Erziehung als Hilfe zur menschlichen Entwicklung orientieren soll“
• Halt als „Willenstärke“, „Gemütstiefe“ • umfasst biologische, moralische und sinngebende Aspekte • Schwererziehbarkeit als „Haltschwäche“ (Paul Moor 1965)
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 98
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
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Konzept der affektiven Rahmung (E. Fivaz-Depeursinge, C.E.F. Lausanne)
"Affektive Rahmungsprozesse" = Formelles, abstraktes Konzept zu Interventionen, die menschliches Entwicklung in instabilen Situationen ermöglichen Merkmale stabiler, rahmender Systeme:
Verantwortlich für konstante, vorhersagbare, sozial-affektive Kommunikationsangebote, die "langatmiger" sind, als die des gerahmten Systems
Eine temporär leitende Funktion
"hierarchisch"
"Metastabilsisierung" zwischen Grundstruktur und Wandel im gerahmten System wird durch dessen Koppelung mit dem leitenden System möglich
Merkmale instabiler gerahmter Systeme: Hin- und Herbewegungen zwischen
fokaler Aufmerksamkeit und Rückzug
Bereitschaft zu und Verweigerung von Blickkontakt
Wachheit und Abwendung
Verläßliche "Grundstruktur" und "Fluktuation"
Rahmendes System
Gerahmtes System
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
Organisation der
Veränderungsschritte:
Förderung von Neugier,
Exploration, Kreativität
Organisation der Struktur:
Leitung, Regeln, Räume,
Zeiten, Verlässlichkeit Grenzen
Organisation der
Begegnung:
analoge Kommunikation,
Affektivität, emotionale
Einbettung
Lösungen ermöglichen
Beziehungen gestalten
Förderlichen Rahmen
anbieten
Kontext-Faktoren
Gelingende Kooperation
100
Bindungsaufbau
• Der Aufbau einer Bindung zu einer sekundären Bindungsperson ist möglich und kann eine neue (sekundäre) sichere Basis geben!
• Aber: Zwiebelschalenmodell von Bindung
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 101
Therapie und Behandlung von Bindungsstörungen
• KJPP / SA / Therapeut / Pädagoge als sichere Basis
• ermöglicht, dass auf der affektiven Ebene eine Art „Neustart“ im Sinne einer „korrigierenden Erfahrung“ stattfinden kann
• Besondere Beachtung gilt dabei bindungs- und trennungsrelevanten Situationen
• Bezugspersonen in die Behandlung einbeziehen – Kind kann Behandlungsfortschritte nur umsetzen, wenn
Bezugspersonen dies unterstützen
Vgl.:Brisch. 2009. S. 131
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 102
Behandlung von Bindungsstörungen
• Bindungsorientierte Beratung und Therapie – Fokus primär auf der Herstellung eines
entwicklungsförderlichen Umfelds – Aufarbeitung möglicher Entwicklungsdefizite
• Nachreifung durch die feinfühlige therapeutische
Beziehung – Jede neue positive Erfahrung wird im Gehirn registriert,
gespeichert und verändert neurobiologische Ebene der Bindungsrepräsentation
• Psychotherapie effektiv
– 30 - 40% zeigen erhöhte Bindungssicherheit
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 103
Bindungsorientierte Familientherapie (ABFT nach Guy
Diamond & Suzanne Levy, 2005)
Prinzip: Earned Security anstoßen im direkten Dialog der Beteiligten: Entlasten, Verzeihen, Empathie fördern, in enactments.
Wirksam auch bei schwerstbeeinträchtigten K. & J.
1. Umdeutung der Beziehung:
Vom Zorn zur Suche nach Unterstützung durch die Eltern
2. Herstellen einer Beziehung zum Jugendlichen
„Störung“ als interpersonell definieren, Unterstützung anbieten
3. Herstellen einer Beziehung zu den Eltern:
Eigene Geschichte validieren, und als Ressource für Kind verstehen
4. Wiederherstellen der Bindung:
Eltern: in regulierter Atmosphäre Affekten des Kindes Raum geben, und unterstützend kommentieren, Verbalisieren (Mentalisieren) fördern
5. Formung von Kompetenzen:
Selbstwert, Autonomie, Selbstwirksamkeit aufbauen
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 104
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 105
- Wissen um die Bindungsrepräsentation der betroffenen K+J
(und der eigenen…)
- Wissen um und Umgang mit psychopathologische(n)
Auffälligkeiten
- Bindungsabwertende Haltung des Jugendlichen als
„Regelfall“: ‚Hilfeparadox‘
- Aushalten und dranbleiben
- Sinnstiftende Narrative erfinden
- Unterbrechung der intergenerationalen Weitergabe von
unsicheren, pathogenen Bindungsbeziehungen als Fernziel
- Chance durch kontinuierliche Arbeit mit verbindlichen
Beziehungsangeboten
Bindungsforschung und Erziehungshilfe I
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 106
...... Aber auch viele Fragen: → Sind korrigierende Bindungserfahrungen in der Jugendhilfe überhaupt möglich? (Zweipersonenbeziehung!) → Wie können ErzieherInnen die Belastungen aushalten? Jugendliche ohne kohärente Bindungsrepräsentation sind extrem anstrengend und in ihrem Verhalten unvorhersehbar. → Wie können die primären Bindungspersonen eingebunden werden? (Sie müssen i.d.R!)
- Bindungsabwertende Attitüden des Jugendlichen vs. kollusive Rationalisierung des Erziehers: „Verselbständigung“
Bindungsforschung und Erziehungshilfe II
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 107
10 Gebote zur Bindungsentwicklung I
…für Therapeuten und verantwortliche Bezugspersonen in der Arbeit mit bindungsgestörten Kindern und Jugendlichen mit einer Borderline-Störung
1. Eine Herangehensweise mit dem Vorsatz, dass kein Kind wieder entlassen wird,
prägt das Fühlen und Handeln! Eine Krise ist ein Symptom und damit Anlass für konstruktive Veränderungen.
2. Bindungsentwicklung braucht eine aushaltende Grundüberzeugung und die persönlichen emotionalen Fähigkeiten, diese zu realisieren.
3. Bindungsentwicklung braucht eine klare Struktur, d. h. für alle Kinder gelten Regeln - nicht alle Regeln gelten für Kinder!
4. Diese klare Strukturierung gilt auch für das betreuende Personal -es sollen sich nicht alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gleich verhalten. Aber alle müssen darüber Bescheid wissen, was jeder macht und wie.
5. Strukturierende Aufgaben müssen für die, die sie betreffen, realisierbar sein. Jeder sollte das einbringen können, was er gern tut.
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 108
10 Gebote zur Bindungsentwicklung II
…für Therapeuten und verantwortliche Bezugspersonen in der Arbeit mit bindungsgestörten Kindern und Jugendlichen
6. Der Widerstand eines Kindes ist in erster Linie mein eigener Widerstand. Finde ich den Zusammenhang, erkenne ich die Potenzen eines Kindes und kann »positives« Verhalten entwickeln helfen.
7. Starke (negative und positive) Gefühle der Kinder gegen mich gelten fast immer anderen, nicht mir, ich bin nur der gerade anwesende Stellvertreter. Die Gefühle, mit denen ich reagiere, werden deshalb oft solche »Stellvertreter-Gefühle« sein. Ich selbst bin dafür zuständig, herauszufinden, ob es sich um meine oder um übertragene Gefühle handelt. Der Klärung dienen »Wie«Fragen, nicht »Warum«-Fragen.
8. Angst hat unterschiedliche Gesichter, besonders wenn sie meine Angst potenziert. Sie kann phantasiert und/oder real existieren - immer ist sie aber ein Ruf nach Hilfe und damit eine Herausforderung.
9. Wir haben mit diesen, unseren Kindern nichts mehr zu verlieren, aber die Chance, einiges zu gewinnen.
10. Gerade deshalb tritt »im Zweifelsfall« immer Gebot »1.« in Kraft
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 109
10 Gebote zur Bindungsentwicklung III
Die genannten psychotherapeutischen Grundprinzipien der Bezugspersonen, die als Voraussetzungen für die Entwicklung der selbstreflexiven Fähigkeiten auch für Betroffene praktische Gültigkeit haben, sind im Entwicklungsprozess der selbstreflexiven Fähigkeiten in unterschiedlichen Phasen wirksam. Den Prozessablauf möchte ich im Verständnis des Betreuungssystems darstellen:
1. Phase des Kennenlernens: Halten - Aushalten - äußeres Strukturieren Grenzsetzung über Klärung und Konfrontation
2. Phase der gruppendynamischen Strukturierung: Halten -Aushalten -- Beginn der inneren psychischen Strukturierung, die sich zwangsläufig aus den gruppendynamischen Einflüssen ergibt
3. Phase der geklärten gruppendynamischen Auseinandersetzung und der Bewältigung der Anforderungen aus der Umwelt (Ausbildung, Beruf): Halten - Aushalten als relative Komponente - innere Strukturierung und Realitätsorientierung
Aus: Hofmann, Ronald: Bindungsgestörte Kinder und Jugendliche mit einer Borderline-Störung. Stuttgart (Klett-Cotta) 2002
Förderung der Bindungsentwicklung… in der Jugendhilfe ( oder SPV-KJPP?)
...heisst
• Langatmiges Beziehungsangebot („Wir kriegen keine Kinder mehr groß!“)
• Kein Kind fällt raus! Affektive Kommunikation ist entscheidend, aber:
• Allzu intensive (negative) Affekte vermeiden
• Bindungsperspektive auch in der Zusammenarbeit mit den Jugendämtern, Gerichten, usw…
• Bindungsperspektive auch in der Zusammenarbeit mit den Eltern: Alle Kinder sind loyal zu ihren Eltern(-teilen)
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 110
Förderung der Bindungsentwicklung…
...braucht institutionelle Voraussetzungen:
• Gut ausgebildete MitarbeiterInnen,
• Persönliche Stabilität
• Professionalität und Liebe
• Rechtliche Sicherheiten
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 111
Förderung der Bindungsentwicklung …
...braucht Unterstützungssysteme:
• Erholung /Kraftquellen: ausgeruhte MitarbeiterInnen ertragen schwierige PatientInnen besser!
• Genug Personal, auch für die sehr schwierigen K & J, administrative Entlastung
• Intensive, menschliche Begleitung durch Vorgesetzte / Bereichsleiter (am besten tp-systemisch geschult)
• Supervision der Teams: – zur Klärung von heftigen Affekten, von Kooperations- und
Machtfragen, – zur Verbesserung des dialogischen Miteinanders, – zur Entlastung in Krisen
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 112
Effektivität von Interventionen • Bakermans-Kranenburg et al. (2003) untersuchten in einer Metaanalyse die
Effektivität präventiver und therapeutischer Interventionen, die auf eine Verbesserung der elterlichen Feinfühligkeit und der kindlichen Bindungssicherheit zielten.
• Es wurden 70 Studien einbezogen, die 88 Interventionseffekte auf Feinfühligkeit (n = 7,636) und/oder Bindung (n = 1,503) aufzeigten.
• Randomisierte Interventionen erschienen ziemlich effektiv im Hinblick auf die Veränderung nichtfeinfühliger Eltern (d = 0.33) and kindlicher Bindungsunsicherheit (d = 0.20).
• Die effektivesten Interventionen umfassten eine moderate Anzahl von Sitzungen und hatten einen eindeutigen Focus auf das Verhalten (in Familien mit oder ohne vielfältige Probleme).
• Interventionen, die effektiver die Feinfühligkeit verbesserten, waren das auch in Bezug auf die Bindungssicherheit, was die Annahme der kausalen Rolle der Feinfühligkeit beim Bindungsaufbau stützt.
• Es ist ermutigend, dass therapeutische Interventionen wirklich helfen, und dass unsichere Bindungsmuster in sichere verwandelt werden können!
Bakermans-Kranenburg MJ, van IJzendoorn MH, Juffer F. (2003) Less is more: Meta-analyses of sensitivity and attachment interventions in early childhood. Psychological Bulletin;129 (2):195-215.
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 113
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
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Organisation der
Veränderungsschritte:
Förderung von
Neugier, Exploration,
Kreativität
Organisation der Struktur:
Leitung, Regeln, Räume,
Zeiten, Verlässlichkeit
Grenzen
Organisation der
Begegnung:
analoge Kommunikation,
Affektivität, emotionale
Einbettung
Lösungen finden:
Ziele finden: Vision induzieren
Spiel-Räume eröffnen
Alternativen erarbeiten
Ressourcenperspektive
Selbstwirksamkeit
Lösungsorientierter Ansatz
Loslassen
Bindung anbieten
- Sichere Basis vermitteln:
- analoge Verständigung
- affektive Kommunikation
- Spannungsregulierung
-"Verständnis", emotionale Entlastung
- entwicklungs-psychologische Perspektive
- Anerkennung als Person
Halt geben
-Zeit und Raum geben
-Verantwortung klären
-Begrenzungen aufzeigen
-Grund-Haltung (meine
Werte und Glaubenssätze
-Pädagogische Perspektive
-Interdisziplinarität
→ Übertragung + Gegenübertragung des Bindungsmodus und
der Bindungsrepräsentation beachten
(Vergangenheitsorientierung) (Gegenwartsorientierung)
(Zukunftsorientierung) Ein Navigationsmodell für die bindungsorientierte systemische Beratung
Kontext-Interventionen
→ Mutterschaftskonstellation beachten!
Bindungsstile bei Professionellen in KJPP, PT, SA, Pädagogik
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 115
Was wir brauchen:
• fundiertes Bindungswissen in Theorie und Methodik
• die Kompetenz und Bereitschaft, das eigene Bindungsverhalten zu kennen, und …
• …den eigenen Bindungsstil für eine förderliche Beziehung zur KlientIn laufend zu reflektieren.
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 116
Bindungswissen ist in unseren Professionen noch schwach ausgebildet
• Nur wenige Publikationen zum Bindungsaspekt der Arbeit (z.B. Schleiffer & Gahleitner, 2010, Trost 2014))
• Weder in Diagnostik noch in Alltagspraxis spielen bindungsorientierte Vorgehensweisen eine nennenswerte Rolle (vgl. Berg & Trost 2013)
• Kaum Forschungen zur Bindungsqualität der HelferInnen:
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 117
Vergleich Professionelle der S.A. und Studierende
Vermeidend-verschl. 15%
Bedingt sicher 46%
Sicher 13%
Ambivalent-anklamm.
17%
Ambivalent-verschl.
9%
Vermeidend-verschlossen
10% Bedingt sicher
20%
Sicher 10%
Ambivalent-anklammernd
36% Ambivalent-verschlossen
24%
Professionelle der Sozialen Arbeit (n=219) Studierende der Sozialen Arbeit (n=228)
Kreutz & Trost, 2014
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 118
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 119
Bielefelder Fragebogen zur Partnerschaftserwartung (BFPE)
• Akzeptanzproblem (A) im Sinne der Erwartung, als Person vom Partner nicht akzeptiert zu werden: Beispielitem: „Manchmal kommt mir der Gedanke, dass es meinem Partner zu viel werden könnte, mich so wie ich bin, zu ertragen.“
• Öffnungsbereitschaft (Ö) im Sinne der Erwartung, sich dem Partner gegenüber zu öffnen und über eigene Gefühle sprechen zu können: Beispielitem: „An sich fällt es mir leicht, mit meinem Partner über das zu sprechen, was in mir vorgeht.“
• Zuwendungsbedürfnis (Z) als den bewussten Wunsch nach besonderer und direkter Zuwendung des Partners: Beispielitem: „Vor allem wenn es mir schlecht geht, bin ich sehr darauf angewiesen, dass mein Partner sich mir besonders zuwendet und auf mich eingeht.“
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 120
Bielefelder Fragebogen zur Partnerschaftserwartung (BFPE)
Es lassen sich also auf der Basis des BFPE fünf partnerbezogene Bindungsmuster unterscheiden, denen HÖGER & BUSCHKÄMPER folgende Bezeichnungen geben:
unsicher vermeidend (Typ verschlossen) (niedrige Werte bei Öffnungsbereitschaft und Zuwendungsbedürfnis, mittlere Werte bei Akzeptanzprobleme) bedingt sicher (hohe Werte bei Öffnungsbereitschaft, niedrige Werte bei Akzeptanz- probleme und Zuwendungsbedürfnis) sicher (hohe Werte bei Öffnungsbereitschaft und Zuwendungsbedürfnis, mittlere bis niedrige Werte bei Akzeptanzprobleme) unsicher-ambivalent (Typ anhänglich) (hohe Werte bei Akzeptanzprobleme und Zuwendungsbedürfnis, mittlere Werte bei Öffnungsbereitschaft) unsicher-ambivalent (Typ verschlossen) (hohe Werte bei Akzeptanzprobleme und Zuwendungsbedürfnis, sehr niedrige Werte bei Öffnungsbereitschaft)
Interpretation der Ergebnissse
• Deutliche Tendenz zu ambivalenten Bindungsmustern
– Schwierigkeiten in der emotionalen Regulation
• Stressregulation
– Negatives Selbstbild
– Ablehnungserwartung
– Empfindliche Antennen für den inneren Zustand des Gegenübers
Fremmer-Bombik, 2002 Seiffge-Krenke, 2010 Gomille, 2012 Köhler Julius 2002
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 121
Sekundäre Traumatisierung
• Die Sekundäre Traumatisierung ist eine Belastungsreaktion, die durch die Arbeit mit traumatisierten KlientInnen, insbesondere durch das Anhören der traumatischen Erlebnisse der KlienIinnen, entstehen kann.
• …ohne direkte sensorische Eindrücke
• häufig mit zeitlicher Distanz zum Primär-Trauma
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 122
Symptome der Sekundären Traumatisierung
• Ähnlich den Symptomen einer Primär-Traumatisierung
– Belastende Gefühle, Entsetzen, Wut, Angst, Scham, Depression…
• Psychosomatische Symptome
– Unruhe, Schlafstörungen, Kopfschmerzen…
• Als Folge
– Vermeidungsverhalten, Abstumpfung…
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 123
Prävalenz der „Sekundären Traumatisierung“ bei Professionellen der Sozialen Arbeit
Anna Heimes, Anna Heithausen, Milena Konrad
29%
16%
27%
17%
K-J-Hi SA K-J-Hi
(N=1124)
(N=108)
(N=109)
(N=89)
PT
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
124
5. Und: Wohin soll das noch führen?
• In die Prävention!
• In die Politik!
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 125
Transmission von Bindung:
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
126
Metaanalyse von18 Studien ergab für Mütter/Kinder eine Korrespondenz von 75 % (sicher/unsicher) bis 68% (sicher / uns.abw. / uns. verstr. / unverarbeitet), retrospektive und prospektive Studien (v.
Ijzendoorn 1995)
-neuere Studien ergaben noch höhere Korrespondenzen (bis 87% {sicher/unsicher}) (Gloger-Tippelt et al.)
-Väter-Kinder-Korrespondenz ähnlich, etwas schwächer, mit Tendenz zu gleichen Ergebnissen „Transmission Gap“: ...die Lücke zwischen 68-75 und 100% Übereinstimmung, wahrscheinlich durch Prozesse der Selbstreflektion (auch Psychotherapie, u.ä.) mit Bezugspersonen / Partnerwahl bedingt
Auswirkungen früher Erfahrungen auf das Gehirn / Psyche werden von einer Generation zur anderen weitergegeben – über 3 Generationen (Transgenerationaler Transfer)
– direkte (epi-)genetische Vererbung von Anfälligkeitsfaktoren
– Auswirkungen elterlichen Verhaltens auf das Gehirn des Kindes (Hemmt Ausbildung von Bindungsstellen für Neurotransmitter)
– Umwelteinflüsse wirken auf die Genetik ein – Übereinstimmung zwischen den Bindungstypen der Eltern
und Kinder
(vgl. Roth / Strüber 2014: 177) (vgl. Roth / Strüber 2014: 183) (vgl. Roth / Strüber 2014: 194)
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 127
Bindung, „Resilienz“ & Prävention
• Vom Anfang des Lebens an sind Bindungsbeziehungen die bedeutsamsten und einflussreichsten Beziehungen im Leben eines Kindes.
• Sie bereiten den Boden für die emotionalen und kognitiven Bewertungen von sozialen und dinglichen Erfahrungen, und für die Bedeutungsgebungen über sich selbst und Andere. => Sense of Coherence: SOC
• Bindungsbeziehungen beeinflussen Gedanken, Gefühle, Motive und nahe Beziehungen ein Leben lang.
(Grossmann, K & K, 2012)
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 128
Ergebnisse der Bielefelder und Regensburger Längsschnittstudien
• Elterliche Feinfühigkeit, Unterstützung und Akzeptanz der Mutter ebenso wie die des Vaters haben von frühester Kindheit an einen wesentlichen Einfluss auf die Fähigkeit, enge Bindungen einzugehen.
• Der tatsächliche Umgang der Eltern mit dem Kind formt maßgeblich seinen beobachtbaren Umgang mit anderen und seinen gedanklichen Umgangmit negativen Gefühlen und Herausforderungen, die es selbst nicht meistern kann.
• Die Erlebnisse des Kindes mit jedem Elternteil sind zu jedem Altersabschnitt wichtig: in der Kleinkindzeit, in der mittleren Kindheit, wie im Jugendalter.
• Kinder, die mithilfe ihrer Eltern eine Strategie gelernt haben, mit negativen Ereignissen kommunikativ offen, gefühlsadäquat umzugehen, und sich helfen zu lassen, entwickeln ein klares, differenziertes inneres Modell von Bindung und Partnerschaft, das ihnen psychische Sicherheit gibt
Grossmann, K & K, 2004)
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 129
Primäre Prävention • Finnland: Neuvola-Programm
• SAFE (Brisch) primäres Präventionsprogramm mit dem Namen „SAFE® -
Sichere Ausbildung für Eltern“ entwickelt, das spezifisch – eine sichere Bindungsentwicklung zwischen Eltern und Kind
fördern, – die Entwicklung von Bindungsstörungen verhindern und ganz
besonders – die Weitergabe von traumatischen Erfahrungen über
Generationen verhindern soll.
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 130
„B.A.S.E.® - Babywatching gegen Aggression und Angst zur Förderung von Sensitivität und Empathie“
• Sekundäre Prävention von aggressiven und ängstlichen Verhaltensstörungen bei 3-6-jährigen Kindergartenkindern im Sinne einer besseren Feinfühligkeit und Empathiefähigkeit.
• Kinder mit fehlender oder wenig ausgeprägter Empathiefähigkeit verhalten sich in Konflikten häufiger aggressiver gegenüber Gleichaltrigen und sind häufiger unsicher gebunden
(Parens et al., 1995; Suess et al., 1992).
• Kinder, die nach frühen Traumatisierungen eine Bindungsstörung entwickelten, haben extreme Schwierigkeiten, sich in die Fühl- und Denkwelt von anderen hineinzuversetzen
(Fonagy, 2003).
• In diesem Programm, das auf den Arbeit von Henri Parens beruht, beobachten 3-6jährige Kinder über den Zeitraum von ca. einem Jahr eine Mutter mit ihrem Säugling, und mentalisieren dazu mithilfe ihrer ErzieherIn.
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 131
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Effekt von Früher Förderung: ökonomischer „Common Sense“
Heckman & Masterov, 2007 Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
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Bedeutung verschiedener Lebensphasen für das Lebenseinkommen:
…unsere Abschätzungen deuten darauf hin, dass die ertragreichste Politik zur Steigerung des Humankapitals und zur Reduktion von Ungleichheit eine effiziente Familienpolitik
ist.
Friedhelm Pfeiffer und Karsten Reuß: Ungleichheit und die differentiellen
Erträge frühkindlicher Bildungsinvestitionen im Lebenszyklus
frühe Kindheit: 40.02% mittlere Kindheit: 30.83% restliches Leben: 29.15%
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
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Ökonomischer Common Sense
• Nachhaltige Beziehungs-, Erziehungs- und Bildungspartnerschaften zwischen professionellen Akteuren und den Eltern rund um die Geburt sind ein Gebot der Vernunft. (Meier-Gräwe)
• Professionelle Frühförderung /Frühe Hilfen „zahlen sich aus“, bringen die größte „Rendite“,
• kompensatorische Wirkungen in Kita, Schule, „dem Leben“ sind zweifelhaft…
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost
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Ich kooperiere, also bin ich …Mensch
Um „gut“ kooperieren zu können, muss ich
• Mensch sein… qua Evolution (Tomasello)
• Mensch sein, der geliebt wurde und wird, der frei in Wahrnehmung und (Inter-) Aktion ist… cum grano salis!
=> ein utopisches Ziel auf dem Weg zum zukunftsfähigen Menschen
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 135
Politik & Bindungswissen
http://kriegsursachen.blogspot.de/
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 136
Mehr denn je erfordert die Situation der Welt von uns eine Absage an das „Immer mehr“, mithin die Fähigkeit zur „Hemmung“ als neuronales Funktionsprinzip.
Dieses reift aber erst später als das Prinzip „Bahnung“ - auch als Folge von Beziehungs- und Bildungsprozessen.
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 137
„Eines Tages, nachdem wir Herr der Winde, der Wellen, der Gezeiten und der Schwerkraft geworden sind, werden wir uns in Gottes Auftrag die Kräfte der Liebe nutzbar machen. Dann wird die Menschheit, zum zweiten Mal in der Weltgeschichte, das Feuer entdeckt haben“.
Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955), frz. Theologe, Paläontologe u. Philosoph
Kinderheim Kleine Strolche Nov. 2015 Alexander Trost 139