bremer kirchenzeitungDas evangelische Magazin Dezember 2009
Gesegnete und fröhlicheWeihnachten
Stille Nacht ohne Fracht:Weihnachten im Hafen
2010: Was sich Bremerinnenund Bremer wünschen
Frau und Arbeit:Beruflicher Wiedereinstieg für Frauen
Inhalt
4
6
8
16
12
20
18
Stille Nacht ohne Fracht:
Wie Seeleute Weihnachten feiern,
wenn ihr Schiff im Hafen liegt
Garten Eden 2.0: Die Bremer Jugend-
kirche geht am 27. Februar 2010 in
Gröpelingen an den Start
ImpressumDie bremer kirchenzeitung ist eine Publikation der Bremischen Evangelischen Kirche. Sie erscheint vier Mal im Jahr samstags als Beilage zum Weser-Kurier und den Bremer
Nachrichten. Namentlich gekennzeichnete Beiträge stellen nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion dar. Ihr Themenvorschlag ist uns willkommen.
Bitte senden Sie uns eine Mail an [email protected] oder schreiben Sie uns. Falls Sie Fragen rund um die Kirche haben, erreichen Sie Pastorin Jeannette Querfurth unter
[email protected]. Sie können uns auch an 0421/5597-206 ein Fax senden. Für unverlangt eingesandte Manuskripte können wir leider nicht haften.
Herausgeber: Bremische Evangelische Kirche (Mitglied im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik) Franziuseck 2-4, 28199 Bremen, Telefon (0421) / 55 97 - 0
Redaktion: Sabine Hatscher & Matthias Dembski
Titelfoto: Matthias Dembski (Krippenspielprobe des evangelischen St. Remberti-Kindergartens)
Grafische Realisation: Rank - Grafik-Design. Druck, Vertrieb & Anzeigen: Bremer Tageszeitungen AG, 28189 Bremen
Die nächste Ausgabe der bremer kirchenzeitung erscheint am 20. März 2010.
Aktuelle Termine unter www.kirche-bremen.de
Film ab: Kirche und Kino stellen oft die-
selben Fragen, nach Liebe, Tod und dem
Sinn im Leben
Auf der Suche nach dem Weihnachts-
stern: Krippenspiele gehören zum
Advent in der Kita
2010: Was sich Bremerinnen
und Bremer für das neue Jahr
wünschen
Wilko ist ein Wunschkind: Wie eine
Familie für ihr behindertes Kind
kämpft
Frau und Arbeit: Bildung und
Beratung, damit Frauen, beruflich
wieder Fuß fassen
www.kirche-bremen.de · bremer kirchenzeitung Dezember 2009 3
Ein Kabarettprogramm über Religion? Ist die Politik zu langweilig geworden? –
Jürgen Becker muss schmunzeln. „Ich versuche, alle Ereignisse im geschichtlichen
Zusammenhang zu sehen. Geschichte ohne Religion geht nicht.“ Deshalb ist der
Kölner Kabarettist für sein Programm “Ja, was glauben Sie denn?” tief in die Reli-
gionsgeschichte eingestiegen. Herausgekommen sind gute zwei Stunden Kaba-
rett vom Feinsten über Religionen, Götter und allerlei irdische Glaubensfragen,
die er humorvoll und bissig aufs Korn nimmt.
“Religion und Humor haben dasselbe Ziel: Die Leute zu trösten.” Für Becker gehören
Religion und Humor untrennbar zusammen. “Religion macht den Versuch, die Dinge
anders zu sehen, als es die nüchterne, vordergründige Vernunft nahe legt: ein
Toter steht wieder auf, eine Jungfrau kriegt ’n Kind. Oder: aus Wasser wird Wein
– heute nennt man das Schorle, sag ich immer. Das sind alles Sachen, die eigent-
lich nicht gehen.“ Ähnlich mache es der Humor: “Die Torte gehört eben nicht ins
Gesicht, deshalb lachen alle.”
Religion mache das Leben würziger und unterhaltsamer: „Letztlich sind die Versuche,
die Welt nur wissenschaftlich und mit der Vernunft erklären zu wollen, zu trocken
Die 700 Seiten, auf denen Charles Darwin seine Theorie von der Entwicklung des
Lebens ausbreitet, sind staubtrocken. Wenn Sie aber hören: Kain erschlägt seinen
Bruder Abel, ist das wie Tatort. Dann wollen Sie wissen: Wo war Kain am Sonntag
um 20.15 Uhr?“
Humor als Rezept gegen Fundamentalismus
“Es ist ein Riesenfehler, dass die Religionen den Humor ausgeklammert haben.
Lachen ist ein Reflex, den man nicht steuern kann. Das hatte die Kirche nicht so
gerne, weil sie alles unter Kontrolle halten wollte.“ Überall auf der Welt sei zu
beobachten: „Fundamentalisten versuchen den Humor zu unterdrücken. Wenn man
sich die DDR anschaut: Da wurden selbst die Witze kontrolliert.“ Humor erfordere
Freude am spielerischen Umgang mit den Glaubensinhalten – was Fanatikern
unmöglich ist. Deshalb gilt für Jürgen Becker: “Religion ohne Humor ist vor allem
eines: gefährlich!”
Becker, der sich als “gut katholisch” bezeichnet (“Ich glaub’ an nichts!”) sieht alle
Versuche, die Religionen abzuschaffen zum Scheitern verurteilt. In seinem Pro-
gramm plädiert Becker für Toleranz: „Man muss die Freude an der Unterschied-
lichkeit der Religionen fördern.“ Dennoch gibt es für ihn klare Grenzen: „Der Isla-
mismus mit seiner Vorstellung eines Gottesstaates ist das einzige Gegenmodell
zur parlamentarischen Demokratie, das uns gefährlich werden kann. Da muss man
wachsam sein. Aber mit dem Türken hier um die Ecke kann ich wunderbar über
Religion diskutieren. Das muss man trennen. Der Islam ist in sich genau so unter-
schiedlich, wie das Christentum.“ Jürgen Becker hält es für eine globale Tragödie,
dass sich Judentum, Islam und Christentum trotz ihrer gemeinsamen Wurzeln noch
immer bekämpfen. Die drei Religionen müssten ihren permanenten Familienstreit
endlich beenden. „Das ist ein enormes Unheil, aus dem wir heraus kommen müssen.”
Der 50-jährige Kölner ist von Haus aus Sozialarbeiter – hatte ein gekurvtes Leben,
wie er es nennt. Über die alternative Stunksitzung des Kölner Karnevals kam er
zum Kabarett. Zwischendurch gründete er eine Druckerei. „Die drucken heute noch
meine Sachen und mein damaliger Lehrling ist heute Geschäftsführerin.“ Start-
chancen für Jugendliche zu geben, ist dem Künstler bis heute ein wichtiges
Anliegen. „Ich habe mal eine Initiative für ein Jugendzentrum mit gegründet. So
bin ich zur Sozialarbeit gekommen.“ Ehrenamtlich sucht Becker jedes Jahr zwei bis
drei neue Lehrstellen für Hauptschüler. „Ich will nicht nur mit meiner Satire den
Finger in die Wunde legen, sondern auch praktisch etwas verbessern“, erzählt Becker,
der gerade auf dem Weg durch die Kölner Südstadt zu seiner Stamm-Kaffeebar
ist. „Die Besitzerin wusste gar nicht, dass sie ausbilden darf. Die junge Frau, die
mir gleich den Kaffee serviert, hatte vorher 40 Bewerbungen geschrieben und
keine einzige Antwort bekommen. Die Zukunft unseres Landes hängt davon ab,
wie viele es von den Hauptschulen an die Universitäten schaffen“, sagt Becker,
selbst Vater einer Tochter. „Die meisten sind nicht an die Hauptschule gekommen,
weil sie zu blöd sind, sondern weil sie von zu Hause her nicht die Chancen und
die Unterstützung bekommen.”
Mit seinem Programm „Der dritte Bildungsweg“ hat Becker die Missstände der
deutschen Bildungspolitik auf die Bühne gebracht. Sein Rezept für bessere Bil-
dung? – „Wir müssen Humor in die Bildung bringen. Ich finde unmöglich, dass
Loriot nicht zum Bildungskanon gehört.”
Weihnachten ist schön, aber stört mitten im Karneval
Zu Weihnachten hat Jürgen Becker natürlich seine eigene Erklärung parat. “Die
Germanen haben im Dezember die Sonnenwende gefeiert. Die Kirche hat sich
gedacht: Wir haben im Dezember ein Event-Vakuum. Wenn wir bei den Germanen
punkten wollen, brauchen wir einen Ersatz. Dann legen wir doch Jesu Geburtstag
dahin.“ Als Kölner hält sich Becker an den Grundsatz „Weihnachten ist schön,
aber mitten in der Karnevals-Zeit stört es“. Dennoch feiert er es zusammen mit der
ganzen Familie. „Das ist ein sehr geselliger Abend.“ Zur Kirche geht er Heilig-
abend jedoch nicht. “Da ist es mir zu voll und die Geschichte kenne ich in- und
auswendig.“Sonst betätigt er sich aber gern als “Predigttester”, verrät er. „Aber
die meisten Pfarrer können nicht gut predigen“, lautet sein Fazit. „Teils gibt’s sehr
gute, aber 80 Prozent holen die Leute nicht da ab, wo sie sind, sondern die Worte
gehen über die Zuhörer hinweg.“ Vielleicht sei Kabarett eine moderne Form der
Predigt. „Uns hören die Leute zu, weil wir eine Haltung vermitteln. Das unterschei-
det Kabarett von Comedy. Wir machen das, was der Kommentar oder die
Karikatur in der Zeitung ist. Ich möchte das Leben aber auch positiv sehen und
mache nicht nur alles runter. Zum Schluss meiner Programme sage ich auch, was
für mich eine gute Haltung ist. Man braucht im Leben Ratgeber.“
Text: Matthias Dembski / Foto: Simin Kianmehr
Religion mit dem Humor versöhnen Kabarettist Jürgen Becker
über den Tatort Bibel,Religionen im Familienstreit
und schlechte Predigten
Jürgen Becker
Kabarettist
aus Köln
Tipp:
Ja, was glauben Sie denn? – Ein Religions-TÜV15,95 Euro (CD)/ 18,95 Euro (DVD). www.juergen-becker-kabarettist.de
4 bremer kirchenzeitung Dezember 2009· www.kirche-bremen.de
WeihnachtssternAuf der Suche nach dem
“Sterne hoch am Himmelszelt, wir wünschen uns so sehr,
dass ihr uns den Weg erhellt mit eurem Lichtermeer...”,
schallt es aus unzähligen Kindermündern. An diesem
Morgen wird in der St. Remberti-Kirche in Schwachhau-
sen geschmettert, was das Zeug hält. Dabei sind nur
die vorderen Reihen der Kirchenbänke besetzt und die
meisten Besucher ragen gerade eben über die Sitz-
reihen hinaus. Umso fröhlicher und lauter der Gesang,
der die Krippenspielprobe des Kindergartens beglei-
tet. Wem bis jetzt noch nicht so recht weihnachtlich
zumute war, weil die Adventszeit eher einer Jahres-
endrallye gleicht, der lernt hier, die Weihnachtsfreude
wieder zu entdecken.
Im Advent fällt Warten leichter
“Könnt Ihr gut warten?”, fragt Pastor Rolf Blanke in
die Runde, vielleicht in der Erwartung, dass ihm ein
lautes “Nein” entgegenschallen wird. Doch weit
gefehlt: “Jaaaah”, rufen die Kinder wie aus einem Mund.
Beim Krippenspiel sind jedenfalls alle Kita-Kinder mit
Eifer dabei. Wer die Regie in dem Stück führt, das kurz
vor Weihnachten den Eltern, Geschwistern und
Freunden vorgespielt wird, ist gleich am Anfang klar.
Drei Kinder aus der Nilpferdgruppe begrüßen die
Zuschauer. Fast wie Profis reichen sie einander das
www.kirche-bremen.de · bremer kirchenzeitung Dezember 2009 5
Mikrofon weiter: “Ihr Frommen und auch
ihr weniger Frommen, seid herzlich will-
kommen!”
Wanderpredigerin für Menschlichkeit
In den Bänken warten bereits Engel, Hirten, Könige
und Sterne auf ihren Einsatz. Verkleidete Engel mit
Flügeln und Sternenkinder mit großen Goldsternen
an langen Stangen sitzen ungeduldig in den Bänken.
Die Sterne beginnen schon vor ihrem Auftritt über
den Köpfen der Kinder zu tanzen, die Hirten rücke
ihre Kopfbedeckungen noch einmal gerade und die
Schafe sind mit ihren Fellen beschäftigt.
Jede Woche eine neue Szene
Dienstags ist “Kirchenzeit” – alle Gruppen treffen
sich in der Kirche gleich neben dem Kindergarten zur
Andacht. Vor dem Altartisch “brennt” ein Lagerfeuer,
selbstgebastelt versteht sich. “Das Feuer knistert
leise, die Schafe liegen still”, singen Hirten und
Schafe, die sich rund um die Feuerstelle versammelt
haben. – Das Krippenspiel hat begonnen. Jede
Woche kommt eine neue Szene hinzu, bis nach dem
vierten Advent die ganze Geschichte komplett ist:
Dann sind die Hirten mit den Schafen, die drei
weisen Könige aus dem Morgenland und in
diesem Spiel auch die Tiere aus dem Wald gemein-
sam auf dem Weg zum Kind in der Krippe. Sie alle
wollen das neugeborene Jesus-Kind begrüßen.
Bis zum Abschlussgottesdienst des Kindergartens am
22. Dezember proben die Kinder noch fleißig weiter.
Dann wird die Remberti-Kirche wieder vom Gesang
vieler Kinderstimmen erfüllt sein, die pure Weihnachts-
freude ausdrücken: “Was ist dass für ein heller Schein,
unfaßbar, unerklärlich. Ein Wink des Himmels muss
dies sein, ein Stern so groß und herrlich.”
Dann kann es Weihnachten werden. Genügend fröh-
liche Weihnachtssterne werden in St. Remberti, wie
auch in zahlreichen Krippenspielen in ganz Bremen
den Weg zum Jesus-Kind in der Krippe weisen.
Text & Fotos:
Matthias Dembski
Evangelische Kindergärten
Anmeldung für das nächste Kita-Jahr:
7. bis 26. Januar 2010
Tag der offenen Tür:
Samstag, 9. Januar 2010
Landesverband Ev. Tageseinrichtungen für Kinder
Slevogtstraße 50-52, 28209 Bremen
Telefon 0421/34616-0
Alles zur Kita-Anmeldung,
und über Krippenspiele und
Weihnachtsgottesdienste:
www.kirche-bremen.de
Krippenspiele gehörenzur Adventszeit in evangelischen Kitas
6 bremer kirchenzeitung Dezember 2009· www.kirche-bremen.de
Der Gang über den Bremer Weihnachtsmarkt war für
Kapitän Sergey Bova aus St. Petersburg eine nieder-
schmetternde Erfahrung. Statt weihnachtlicher Gefühle
spürte er zwischen Glühweinständen und Spielzeugbuden
schmerzhaft seine Einsamkeit. „Ich musste schnell wie-
der zurück an Bord, denn in unserer Situation war die
Stimmung für mich schwer auszuhalten: Die vielen Fa-
milien, die mit Kindern unterwegs waren, der vorweih-
nachtliche Lichterglanz – und wir sitzen hier fest.“
Seit August ohne Frachtaufträge
Seit August liegt sein Containerfrachter Priwall im
bremischen Neustädter Hafen an der Pier: Ohne Ladung
oder Charter in Sicht zu haben. Die Mannschaft weiß
nicht, wann der 200 Meter lange Koloss wieder in
See stechen wird. Das Schiff gehört einer Hamburger
Reederei und zählt zu den vier Aufliegern, die in bre-
mischen Häfen teils seit Monaten festgemacht haben.
Doch Aufträge und Arbeit lassen auf sich warten,
denn die Wirtschaftskrise trifft die Schifffahrtsbran-
che und die Hafenwirtschaft mit unverminderter Härte.
Die Frachtraten sind im Keller und die Reeder versu-
chen, wenige Schiffe voll auszulasten und legen die
anderen vorübergehend still.
Experten schätzen, dass weltweit mehr als 500 Con-
tainerschiffe und 1.400 Schiffe insgesamt ohne Ladung
festliegen. In Deutschland gibt es derzeit mehr als
32 Auflieger, die meisten davon in Emden, wo 15
Schiffe auf Fracht warten. „In vielen Häfen liegen die
Schiffe im Paket mit bis zu fünf anderen zusammen.
In Hamburg ankern sogenannte kalte, also völlig still-
gelegte Auflieger in Dreierreihen mitten im Hafenbecken
Da arbeiten dann nur noch fünf Leute für drei Schiffe
als Besatzung und Wachmannschaft“, erzählt Pastor
Hero Feenders von der Bremer Seemannsmission. Ein-
samkeit sei das größte Problem. Umso wichtiger sind
die Bordbesuche der Seemannsmission. „Auf so einem
leeren Schiff fühlt man sich ziemlich verloren. Die Be-
satzung sieht sich zu den Mahlzeiten und dann nicht
mehr.“ Die Sicherheitsbestimmungen im Hafen und
an Bord sind hoch. In der Regel ist die Treppe an der
Außenbordwand hochgezogen, Besucher müssen sich
vorher per Handy beim Kapitän anmelden.
Nur noch eine Notbesatzung an Bord
Auch auf der Priwall hält eine Notbesatzung aus dem
Kapitän und sechs Seeleuten den Betrieb aufrecht. Denn
der Containerfrachter ist ein ‚warmer’ Auflieger. „Wenn
wir Order bekommen, können wir das Schiff sofort
startklar machen und binnen weniger Tage, sobald
die Crew aus Übersee eingeflogen ist, auf Fahrt gehen“,
erläutert Kapitän Sergey Bova. Es klingt, als wolle er
sich und seiner Mannschaft nach den langen Monaten
des Wartens selbst Mut zusprechen. „Wir wissen nicht,
was morgen ist. Weit im Voraus zu planen, bringt Un-
glück.“ Seemannsgarn, mit dem der Kapitän die Unge-
wissheit wegzureden versucht. „Wir arbeiten von Tag
zu Tag – Business as usual“, meint der Kapitän. „Ich brau-
che jeden Mann“, sagt Bova. Das große Schiff muss
überwacht werden und die Seeleute erledigen War-
tungsarbeiten. Wenn man durch die Katakomben des
menschenleer wirkenden Frachters geht, ist entfern-
tes Klopfen zu hören. Die verbliebenen Besatzungs-
mitglieder müssen das Schiff entrosten und streichen.
Wie Seeleute Weihnachten fei-ern, wenn ihr Schiff schon seit
Monaten ohne Aufträge imHafen festliegt
Stille Nachtohne Fracht
Schmerzhafte Trennung
Auf der Priwall, die zwar deutsche Eigner hat, aber
unter liberianischer Flagge fährt, arbeiten unter dem
Kommando des russischen Kapitäns vor allem Philip-
pinos und Männer aus Kiribati, einem Inselstaat im
Südpazifik auf der Hälfte zwischen Australien und
Hawaii. Nur die Offiziere stammen aus Europa. Auch
für den philippinischen Schiffskoch wird dieses Weih-
nachtsfest besonders schwer. Er ist es gewohnt, zum
Fest nicht zu Hause zu sein. Wie die meisten Besatz-
ungsmitglieder hat auch Rhoem G. Santorce (30) ei-
nen Zeitvertrag zwischen acht und neun Monaten,
der es mit sich bringt, dass er seine Familie erst im
Mai kommenden Jahres wiedersehen kann. Weil die
Priwall so lange im Hafen aufliegt, empfindet auch
er die Trennung in diesem Jahr umso schmerzhafter:
„Ich habe eine fünfjährige Tochter, die natürlich zu
Weihnachten besonders auf ihren Papa wartet.
Schon in den letzten drei Jahren konnte ich nicht mit
meiner Familie Weihnachten feiern“, erzählt der Koch.
Auch für ihn heißt es: Warten, dass es weitergeht,
dass sich das Schiff endlich wieder mit Containern
füllt. „Ich habe ein Weihnachtspäckchen nach Hause
geschickt. Gut, dass es Handys gibt, so dass ich
meine Familie anrufen kann. Wenigstens das ist ein-
facher geworden.“ Schwieriger und teurer ist die
Kommunikation zum Kiribati-Atoll, wo Internetanschlüsse
und Telefone rar sind.
Heuer am Limit
„Wir würden die Mannschaft gern mal in die Stadt
einladen“, erzählt Pastor Hero Feenders von der Bremer
Seemannsmission. „Aber daran ist nicht zu denken.
Die Leute müssen hier an Bord arbeiten, sagt uns der
Kapitän. Wer so lange aufliegt, bekommt außerdem
nur noch die geringe Grundheuer.“ Zuschläge und
Überstunden, die den Lohn sonst auskömmlich machen,
fallen weg. Ausgezahlt wird die Heuer im derzeit
schwachen Dollar. „Damit können sich die Seeleute
hier in Deutschland nichts mehr leisten, sondern
schicken alles nach Hause, damit ihre Familien über-
leben können.“ Hinzu kommt die psychische Belastung,
ob und wann sie nach Ende des laufenden Zeitver-
trages wieder Arbeit bekommen. Eine Arbeitslosenver-
sicherung gibt es auf den Philippinen oder auf dem
Kiribati-Atoll nicht.
Bescherung von der Seemannsmission
Holger Winter (66), einer von fünf ehrenamtlichen
Schiffsbesuchern, und Pastor Hero Feenders von der
Bremer Seemannsmission sind an diesem sonnigen
Dezembermorgen an Bord des leeren Containerschiffs
gegangen. Bereits einige Tage vor Weihnachten be-
scheren sie die Mannschaft. In den bunten Geschenke-
tüten gibt es vor allem Süßigkeiten, aber auch nütz-
liche Alltagsutensilien wie eine Mug für Kaffee oder
Tee. “Natürlich darf ein Weihnachtsmann aus Schoko-
lade nicht fehlen, das ist für ausländische Seeleute
typisch German Christmas”, erklärt Feenders. So schaut
aus jeder Präsent-Tüte oben eine rote Mütze heraus.
600 Tüten verteilt die Seemannsmission in Bremen
insgesamt, in den Vorjahren waren es 1.000 – auch
dort schlägt sich die Krise nieder, weil weniger Schiffe
in den Hafen kommen. Ausgepackt werden die bun-
ten Weihnachtstüten erst am Heiligabend. Schiffs-
koch Rhoem G. Santorce nimmt sie in Verwahrung.
Musik verbindet
Als besonderes Bordgeschenk bringt die Seemanns-
mission in diesem Jahr jeder Schiffsbesatzung eine
Gitarre mit, denn die Seeleute musizieren gern. Auf
der Priwall haben sie schon zwei. “Jetzt können wir
Trio spielen”, freut sich Kapitän Sergey Bova. Zu Weih-
nachten wird er seiner seiner Mannschaft ein wenig
Freizeit gönnen wird. Am Heiligabend gibt es tradi-
tionell ein festliches Essen.
„Wir haben Videos und Fernsehen an Bord.“ Vor allem
wird musiziert und gesungen. „Außer einem elektro-
nischen Klavier und den Gitarren kommen auch tra-
ditionelle Instrumente zum Einsatz – alles, womit sich
Musik machen lässt.“ In der Südsee-Heimat ist Musik
ein Teil des Lebensgefühls. Wer von dort stammt, hat
Weihnachten zu Hause jeden Tag vor der Tür: Die
größte Insel des Atolls ist die Weihnachtsinsel, Kiritimati.
Der britische Weltumsegler James Cook gab ihr diesen
Namen, weil er sie am Heiligabend 1777 entdeckte
und dort mit seiner Crew die Festtage verlebte.
Weihnachten als Multikulti-Fest
„Wir sind eine multinationale Crew“, sagt der Kapitän.
„Deshalb versuchen wir, voneinander zu lernen und
unsere verschiedenen Traditionen miteinander zu tei-
len.“ Für den russischen Kapitän findet das Christfest
nach dem orthodoxen Kirchenkalender eigentlich erst
zwei Wochen später statt. So erinnert Weihnachten auf
der Priwall an ein Multikulti-Fest. „Die Kiribati ziehen
ihre traditionelle Festtagstrachten an. Sie sind sehr
religiös und haben kleine Andachtsbilder in ihren
Kabinen. Andererseits vermischen sich bei ihnen Christen-
tum und alte Naturreligionen, zum Beispiel spielt
alte Vodoo-Magie eine Rolle.“ Um seine Mannschaft
zu verstehen, sei es wichtig, ihre religiösen Traditio-
nen zu kennen, meint der Kapitän.
„Ich bin immer wieder erstaunt, wie sehr Weihnachts-
lieder Menschen unterschiedlicher Nationalität ver-
binden.“ So erklingt sicher auch der weltweite Weih-
nachtsklassiker “Stille Nacht” – auf dem Schiff ohne
Fracht.
Text: Matthias Dembski
Fotos: Dieter Sell
Bremer Seemannsmission
Jippen 1, 28195 Bremen
Telefon 0421/16 944-0
SpendenkontoKontonummer 100 200 5 – BLZ 290 501 01
bei der Sparkasse Bremen
www.seemannsheim-bremen.de
www.seemannsmission.org
Wachwechsel:
Seemannspastor Hero Feenders geht in
zum Jahreswechsel in den Ruhestand.
Pastorin Jutta Bartling nimmt Kurs auf
die Bremer Seemannsmission.
Holger Winter an
Bord der Priwall
Abends greift der Käpt’n
in die Seiten
www.kirche-bremen.de · bremer kirchenzeitung Dezember 2009 7
8 bremer kirchenzeitung Dezember 2009 · www.kirche-bremen.de
2010: Was ich
In diesem Jahr habe ich Konfirmation gefeiert. Das warschon ein einmaliges Ereignis, das ich so schnell nicht ver-gessen werde. Seit ich in die 9. Klasse gehe, ist die Schulerichtig stressig geworden. Das Abitur wird jetzt schon nach12 Schuljahren gemacht. Dadurch wird der Lernstoff immermehr, und ich muss lernen, lernen, lernen. Nächstes Jahr mache ich ein Praktikum im Kindergarten,weil ich später gerne mit Kindern arbeiten würde. Ich könn-te mir aber auch eine Ausbildung in der Hotelbranche vor-stellen. Im Sommer 2010 gehe ich dann in die Oberstufeund wechsele die Schule. Hoffentlich habe ich dann mehrZeit, um mich zu verabreden oder meinen Hobbys nachzuge-hen, Klavier spielen zum Beispiel. Jetzt freue ich mich abererstmal auf Weihnachten. Wir feiern mit der ganzen Familie.
2009 ist viel passiert. Ich musste einen schweren Verlust ver-
kraften. Meine Großmutter, die mir viel bedeutet hat, ist
gestorben und hat eine große Lücke hinterlassen. Ungefähr
zur gleichen Zeit habe ich mich nach Jahren mal wieder
ernsthaft verliebt. Einerseits habe ich um meine Großmutter
getrauert, andererseits hatte ich Schmetterlinge im Bauch.
Ein ziemliches Gefühlswirrwarr also.
Für das Jahr 2010 wünsche ich mir, dass sich die Beziehung
zu meinem Freund vertieft. Ich habe endlich jemanden
gefunden bei dem ich mich ernst genommen fühle, jeman-
den mit dem ich reden kann. Ich bin neugierig, wie es ist, ein
ganzes Jahr, mit all seinen Jahreszeiten und Festen, gemein-
sam zu verbringen. Im Sommer werden wir in den Süden flie-
gen. Das wird der erste Urlaub seit Jahren. 2010 wird sich
auch beruflich einiges tun. Ich mache eine Ausbildung zum
Kinder -und Jugendpsychotherapeuten und habe im Früh-
jahr die Zwischenprüfung. Außerdem will ich mir einen
Nebenjob suchen, um den Sommerurlaub und einiges mehr
finanzieren zu können. Für mich steht 2010 ganz klar im
Zeichen der Liebe.
Am 9. März werde ich schon sechs Jahre alt. Und nach den
großen Ferien komme ich in die Schule. Da lerne ich dann
Lesen und Schreiben und Rechnen. Rechnen kann ich ja
schon. Das hat mir meine große Schwester beigebracht. Die
einfachste Aufgabe ist eins plus eins. Das ist zwei. Drei mal
drei? Das ist schwerer. Das weiß ich gerade gar nicht. Ich
kann auch schon ein Gedicht. Das heißt: Wenn die Möpse
Schnäpse trinken.
Ich komme an die Schule in der Kantstraße ( Neustadt ). Da
war ich schon auf dem Spielplatz. Dort gibt es einen gro-
ßen Drachen aus Holz, zum Klettern und Rutschen. Finn,
Lars - Ole und Amy aus meiner Kindergruppe kommen auch
zur Schule. Die anderen sind noch zu klein. Mama nennt
die immer das Kleingemüse.
Ich bin schon immer gern gereist. Früher bin ich mit mei-
nem Lebensgefährten in den Urlaub gefahren, um mich
vom Arbeitsalltag zu erholen. Wir sind gewandert oder
Ski gelaufen. Seit mein Partner verstorben ist und ich
nicht mehr arbeite, ist das anders. Heute reise ich aus
Neugier. Ich interessiere mich für andere Länder, für ver-
schiedene Kulturen und für die unterschiedlichen Lebens-
formen der Menschen. In diesem Jahr war ich in Island.
Das war wunderschön.
Auf das nächste Jahr freue ich mich sehr. Ich werde eine
Kreuzfahrt von Miami nach Quebec in Kanada machen
und unter anderem den Eriesee sehen. Ich wünsche mir
für 2010, dass ich fit und gesund bleibe, um noch viele
weitere Reisen unternehmen zu können. Ich träume
davon, einmal nach Usedom zu fahren. Obwohl dieses
Ziel gar nicht so weit weg ist, war ich noch nie dort.
Sollte ich irgendwann zu alt für Fernreisen sein, setze ich
mich in den Zug und fahre nach Usedom. Diese Aussicht
tröstet mich über das Alter werden hinweg.
Christian F. Herbert, 36
… eine neue Liebe
Hannelore Döring, 68
…ich träume von Usedom
Marie Müller, 5
…ich komme zur Schule Alina Böttcher, 14
…nicht nur lernen
www.kirche-bremen.de · bremer kirchenzeitung Dezember 2009 9
Seit zwei Wochen arbeite ich als Zivi in der Bahnhofs-mission. Ein Freund hat mir die Arbeitsstelle empfohlen.Ich begleite ältere oder behinderte Menschen zum Bahn-steig, helfe beim Umsteigen oder gebe Auskunft. DieBahnhofsmission begleitet aber auch alleinreisende Kinderund bietet Kaffee, Tee und Kuchen für Bedürftige an. Oftkommen auch geistig Verwirrte oder obdachlose Men-schen, die wir dann beraten und an Hilfestellen weiter-vermitteln, wenn sie das wollen.
Bis zum Herbst 2010 werde ich hier arbeiten. Ich hoffe,dass sich immer genug ehrenamtliche Mitarbeiter fin-den, ohne die es hier nicht geht. Ich finde es schön, dassdie Bahnhofsmission täglich von halb sieben bis abendsum acht geöffnet hat und sich viele Leute hereintrauen.Hoffentlich bleibt das so. Für die Zukunft wünsche ichmir weniger soziale Probleme. Die reicheren Menschensollten sich ab und zu an diejenigen auf der anderenSeite erinnern. Mir selbst wünsche ich ein positives Jahr2010 und einen gelungenen Studiumsstart im Herbst.
Anfang diesen Jahres habe ich mein Fernstudium zum Na-
turkostfachverkäufer abgeschlossen. Außerdem bin ich Referent
für fair gehandelte Kleidung und informiere an Schulen über
fairen Handel. Diese Arbeit möchte ich auch 2010 weiter-
führen. Ich wünsche mir, dass die Menschen mehr über die
Produkte erfahren, die sie konsumieren. Wenn alle versuchen
würden, gerechter einzukaufen und sich wenigstens ab und
zu Bioprodukte leisten könnten, wären das kleine aber
wichtige Schritte in eine gesündere Zukunft. Die ist mir
auch in meiner kleinen Familie sehr wichtig. Für mich und
meine Frau sind unsere Katzen unser Ein und Alles. Carlo,
unser Kater, war in diesem Jahr lebensbedrohlich erkrankt.
Wir sind heilfroh, dass es ihm nun besser geht und hoffen,
dass er auch 2010 gesund bleibt. Außerdem würde ich
mich über weiteren Familienzuwachs freuen. Ich stelle es
mir wunderbar vor, ein Kind durchs Leben zu begleiten.
2010 werde ich eine Ausbildung zum Industrie-
kaufmann beginnen. Früher habe ich irgendwel-
che Jobs angenommen, nur um meinen Lebensstan-
dard zu sichern. Meine Bedürfnisse und Grenzen
habe ich einfach ausgeklammert. Zuletzt habe ich
Pakete zugestellt und manchmal zwölf Stunden
am Tag gearbeitet.
2007 bin ich dann zusammengebrochen. Nichts
ging mehr. Ich habe eine Depression und Panik-
attacken bekommen und musste mich das erste Mal
im Leben ernsthaft mit mir auseinandersetzen.
Durch eine Therapie geht es mir heute besser. Ich
weiß jetzt, was ich mir zutrauen kann und wo
meine Interessen liegen. Im Februar geht es los.
Ich freue mich sehr auf den beruflichen Neubeginn.
1985 bin ich aus dem Iran nach Deutschland gekommen, weilich mich bei Protesten in meinem Heimatland für Demokratieund Freiheit eingesetzt habe und dafür verfolgt worden bin.2009 war ein sehr unruhiges Jahr für mich.Besonders die letzten vier Monate waren sehr nervenaufreibend.Nach 30 Jahren Unterdrückung kam es im Iran erneut zu Protesten,an denen auch mein Stiefsohn Arash beteiligt war. Er wurdefestgenommen und erst Wochen später auf Kaution freigelassen.Im Gefängnis ist er gefoltert worden. Arash ist schließlich dieFlucht aus dem Iran gelungen. Er lebt in einem Übergangsheimfür Asylbewerber in Rheinland Pfalz. Anfang 2010 wird entschieden,ob er Asyl bekommt. Darauf hoffe ich sehr. Hier in Deutschlandist er sicher und kann die therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen,die er nach der Folter braucht. Ich denke auch an die vielen jungenMenschen, die im Iran noch im Gefängnis sitzen. Jeden Tag ver-folge ich die Nachrichten. Hoffentlich ist die Kraft dort großgenug, um sich weiterhin für Freiheit und Menschenrechte ein-zusetzen. Ich wünsche mir mehr Solidarität mit den unterdrück-ten Menschen im Iran.
mir wünsche
Matthias Heise, 43
…noch mal eine Ausbildung
Stefan Decker, 43
… mit kleinen Schritten
Kerim Benhaoua, 20
…als Zivi in der
BahnhofsmissionReza Pour, 50
…Asyl für meinen Sohn
Text/ Porträts: Christina Stoll
Fotografie: Ulrike Rank
10 bremer kirchenzeitung Dezember 2009 · www.kirche-bremen.de
Erstaunlich, wer da alles kurz vor Weihnachten auf dem
Bremer Hauptbahnhof unterwegs ist! Es sind nicht nur
die üblichen Verdächtigen, deren Gesichter man hier
öfter mal sieht: Die Berufspendler, die Schüler und
die Fußballfans am Wochenende. Es scheint mir, als
würde in diesen Tagen „alle Welt“ in Bewegung sein.
Da steht ein Mann am Bahnsteig mit einem großen
Koffer und einer Plastiktüte, aus der ein Plüschhund
hervorschaut. Ein Familienvater auf dem Heimweg von
der Montage hin zu seiner Familie? Neben ihm steht
eine junge Frau mit einem großen Rucksack. Sie liest
mit versunkenem Blick ein Buch und wartet. Eine Stu-
dentin, die über die Weihnachtsferien ihre Eltern besucht?
Zwei junge Mütter kommen eilig die Treppe hinauf
gerannt. Zwei kleine Kinder laufen an ihrer Seite mit.
„Stress,“ sagte die eine Frau zur anderen und atmet
tief durch. Die andere lacht: „Warte nur, Weihnachten
wird es noch schlimmer. Am Heiligabend bin ich bei
den Eltern in Bremerhaven, am ersten Tag ist Bescherung
in Delmenhorst mit Töchterchen und meinem Ex, am
zweiten Tag sind wir bei meiner Oma.“ Menschen auf
dem Bahnhof. Alle Welt ist unterwegs. Weihnachten
ist ein Fest, das unglaublich viele Menschen wie auf
einen Knopfdruck in Bewegung setzt. Und sie neh-
men für dieses Fest erstaunlich weite Wege auf sich.
„Da machte sich auch auf Josef aus Galiläa
… mit Maria, seiner Vertrauten, die war
schwanger.“ (Die Bibel, Evangelium nach
Lukas, Kapitel 2, Vers 4-5)
Zwei Menschen unterwegs. Die Weihnachtsgeschichte
des Lukas handelt davon, dass Gott Menschen in
Bewegung bringt. Josef und Maria müssen sich auf
eine Reise mit unbekanntem Ausgang machen. Der
kaiserliche Befehl des Augustus will es scheinbar so.
Aber in Wahrheit zieht ein anderer die Fäden. Gott
ist es, der die beiden Eltern, die total in Alltagssorgen
verstrickt sind, auf einen neuen Weg stellt. Die Reise
nach Bethlehem steht quer zu dem, was für Josef und
Maria eigentlich „dran“ ist. Maria ist hochschwanger.
Und die Familienverhältnisse der beiden sind noch
nicht bis ins Letzte geklärt. Was ist Maria denn nun:
Verlobte, Ehefrau, „nur“ eine Freundin? Und Joseph?
Kindsvater, Pflegevater, „nur“ ein Freund? Die beiden
ähneln sehr einer modernen Patchworkfamilie mit all
ihren Problemen. Aus Sicht der Bibel fällt es schwer,
bei den Reisenden nach Bethlehem eine Familienidylle
auszumachen.
Aber vielleicht ist das gerade der Clou von Weihnachten:
Gerade diese beiden, Maria und Joseph, werden von
Gott gewürdigt, Gottes Sohn zu empfangen. Er kommt
zu kleinen Leuten mitten in ihr unübersichtliches und
brüchiges Leben hinein. Und Gott macht ihnen das
größte Geschenk, das uns Menschen zukommen kann:
Den Erlöser, den Friedensbringer. Ein guter, neuer
Anfang für diese Welt. Mit diesem Kind kommen die
Verhältnisse im Land in Bewegung.
Zurück auf dem Bahnsteig. Der Zug hat Verspätung.
Drei Kinder – offenbar aus Rumänien oder Ungarn -
kommen die Treppe hinaufgelaufen und bitten mit
einem Pappschild um etwas Geld. Warum fallen mir
diese Kinder gerade jetzt in der Weihnachtszeit auf?
In Bremen lebt jedes fünfte Kind von staatlichen Zu-
wendungen. Viele stammen aus ärmeren Regionen
der Erde. Mit ihren Eltern sind sie hierher gekommen,
um neu anzufangen. Ist Hartz IV ein guter Anfang,
ein Almosen oder besser als nichts? Wenn Gott mit
Jesus Christus einen neuen guten Anfang setzt,
dann muss dies doch vor allem für die Kinder gelten.
Ach, dass doch auch in unserem Land und in unserer
Stadt die Verhältnisse so ins Tanzen kämen wie
damals zur Zeitenwende! Ach dass Gott noch einmal
alle Welt in Bewegung bringen würde, auch die
Politik, die Kirche, die Leute und auch –mich selbst.
Der Zug rollt ein, die Reisenden greifen nach ihren
Taschen und Koffern. Wie Weihnachten wohl dieses
Jahr wird für den Familienvater, die Studentin, die
jungen Mütter und die drei Kinder?
Hoffentlich spüren sie alle etwas von dieser Beweg-
ung Gottes, die uns mitnehmen will hin zu einem gu-
ten neuen Anfang.
„Da machte sich auch auf Josef aus Galiläa
… mit Maria, seiner Vertrauten, die war
schwanger.“ (Die Bibel, Evangelium nach
Lukas, Kapitel 2, Vers 4-5)
Und: Wer geht mit?
Weihnachten auf dem Bahnhof
Frank Mühring
ist Pastor an der
Bürgermeister-Smidt-
Gedächtniskirche
in Bremerhaven.
bremer kirchenzeitung Dezember 2009 · www.kirche-bremen.de 11
nd als die Engel von ihnen
gen Himmel fuhren,
sprachen die Hirten untereinander:
Lasst uns nun gehen nach Bethlehem
und die Geschichte sehen,
die da geschehen ist,
die uns der Herr kundgetan hat.
Und sie kamen eilend und fanden beide,
Maria und Josef, dazu das Kind
in der Krippe liegen.
Als sie es aber gesehen hatten,
breiteten sie das Wort aus,
das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
Und alle, vor die es kam,
wunderten sich über das,
was ihnen die Hirten gesagt hatten.
Maria aber behielt alle diese Worte
und bewegte sie in ihrem Herzen.
Die Bibel, Evangelium nach Lukas,
Kapitel 2, Vers 15-19
12 www.kirche-bremen.de · bremer kirchenzeitung Dezember 2009
Wie alt Wilko ist, spielt für seine Mutter Anna Sa-
bater keine Rolle. “Das ist so eine typische Frage, um
Kinder zu vergleichen. Ich sage dann immer: Mein Kind
ist einzigartig, es hat seinen eigenen Plan und ent-
wickelt sich anders”, sagt die 45-Jährige. “Wir wissen
nicht, was er einmal können wird. Aber wir freuen
uns über jeden Fortschritt, den wir sehr genau spüren.”
Seine Entwicklung zu beobachten, sei spannend, meint
die Mutter. “Wir schauen darauf, was er jetzt kann.
Bei ihm funktioniert aufgrund des anderen Chromoso-
mensatzes manches anders und wir müssen lernen,
wie wir ihn in seiner Entwicklung unterstützen können.”
Wilko ist ein Wunschkind, auf das sich die Familie
Sabater-Hackbarth von Anfang an gefreut hat. Auf die
Welt gekommen ist er mit Trisomie 21, dem Down-
Syndrom. Mit wachen, klaren Augen schaut er sich um,
rutscht immer wieder vom Schoss seiner Mutter und
möchte an der Hand durch den Raum laufen. Ein fili-
granes, zartes Kind mit vielen weichen Haaren und
langen Wimpern. Gelegentlich mischt er sich in das
Gespräch der Erwachsenen am Tisch ein.
“Jede Geburt ist ein Risiko”
Anna-Sabater ist bereits über 40, als sie mit dem zweiten
Kind schwanger wird. “Uns wurde gleich vermittelt:
Bei über 35-Jährigen sind 60 Prozent aller Geburten
so genannte Risikogeburten. Ich glaube ja, jede Geburt
ist ein Risiko”, lacht Hacky Hackbarth. “Wir wollten
sehr gern ein zweites Kind haben. Für mich gehören
zur Vorstellung von Familie mindestens zwei Kinder.
Ich selbst hatte drei Geschwister”, erzählt die Mutter.
“Es ist schön, nicht als kleiner Prinz oder als Prinzessin
aufzuwachsen.”
Doch der Weg dahin war schwierig. Nach einer
Eileiterschwangerschaft war der Wunsch noch größer:
“Es war eine Tortur für mich, dieses Kind zu verlieren.
Danach war für mich noch klarer, dass ich nie im Leben
ein Kind abtreiben würde, egal was passiert. Wenn
ein Kind in mir wächst und zur Welt kommt, ist es
mein Kind und meine Aufgabe, es anzunehmen und so
zu begleiten, dass es Leben möglichst weit kommen
kann – auch mit Down-Syndrom. Egal, was man mir ge-
sagt hätte, von meinem Kind hätte ich mich nie getrennt.”
Die Nackenfaltenmessung, eine der “Standardunter-
suchungen” zur vorgeburtlichen Erkennung möglicher
Schädigungen des ungeborenen Kindes, will Frau Sabater
eigentlich nicht machen lassen. “Ich erinnere mich,
dass meine Frau sich wehrte und sagte: Es ist mir
egal, was dabei herauskommt, ich möchte die-
ses Kind in mir wachsen spüren und
zur Welt bringen. Die Untersuchung gaukelt einem
vor, man könne sich auf etwas einstellen, auf das man
sich sowieso nicht einstellen kann”, meint der Vater.
“Doch die Ärzte übten Druck aus, nach dem Motto:
Diese Untersuchung musst du machen, wenn nicht,
bist du unverantwortlich!”
Für das Ehepaar steht schon vorher fest: Auch wenn
eine Auffälligkeit festgestellt wird, bekommen wir
dieses Kind. Letztlich stimmen sie der Nackenfalten-
messung nur zu, weil ihnen gesagt wird, das Kind
könnte einen Herzfehler haben. “Dann muss bei der
Geburt gleich ein Spezialistenteam bereit stehen –
das war für uns ein Grund, um Lebensgefahr für
unser Kind zu vermeiden”, sagt Hacky Hackbarth.
“Ich hätte mir einen feinfühligeren
Arzt gewünscht”
Die Botschaft des Mediziners nach der Untersuchung
in der 12. Schwangerschaftswoche ist eben so kurz,
wie kühl: “Ich glaube, Ihr Kind hat eine Behinderung.
Was wollen Sie machen?” Anna Sabater konnte mit
dieser unkonkreten Botschaft nichts anfangen: “Ich
brauchte einen Arzt, der mir sagt: Sie schaffen das und
werden das beste daraus machen! Es gibt mit Sicher-
heit feinfühligere Arten, das zu erklären. Stattdessen
prasselten Prozentzahlen auf mich ein.” Abstrakte Wahr-
scheinlichkeiten, mit denen die werdende Mutter nichts
anfangen konnte, weil ihre Entscheidung schon fest-
stand: “Ich liebe dieses Kind, egal welche Einschrän-
kungen es haben wird. Klar wusste ich, dass das eine
Herausforderung bedeutet, die viel Kraft kosten
wird. Jeder Mensch ist unvollkommen, ich auch,
also habe ich mir gesagt: Wir bewältigen diese
Aufgabe mit allen Kräften.”
“Du wirst dieses
Kind großziehen”
Nachdem ihr der Mediziner das Ergebnis
eröffnet hat, will Anna Sabater nur
noch raus aus dem Diagnose-
raum. Draußen wartet
ihre Mutter,
der sie gleich von der “chromosomalen Anomalie”
(Fehler in der Erbanlage) erzählt. “Sie hat nur gesagt:
Anna, du wirst dieses Kind auch großziehen. Mach dir
keine Sorgen. Diese Reaktion tat so gut! Ich wusste,
meine Familie steht hinter mir, auch wenn Sie 2.000
Kilometer entfernt in Spanien lebt.”
Bei ihrem Mann gibt es anfangs noch Ängste. “Ich
war erschrocken. Als Selbständiger mit einer kleinen
Videoproduktionsfirma ist es nicht so einfach, für eine
Familie zu sorgen. Unsere letzten Reserven stecken
in unserm Haus, meine Frau hatte ihre Lehrerausbil-
dung wegen des Kindes unterbrochen. In so einer ange-
spannten Situation sorgt man sich umso mehr, wie
das alles werden wird.” Doch seine Frau überzeugt
ihn. Aber auch sie sucht nach Unterstützung. “Es
fehlte uns jemand, der sagte: ‘Guckt nach vorne, es
gibt Hilfen, ihr könnt das schaffen!’” Erst als das Ehepaar
in der Beratungsstelle der Inneren Mission bei
Monika Kräuter landet, wendet sich das Blatt. “Da
konnten wir das erste Mal aufatmen und jemand hat
uns verstanden. Uns hat Frau Kräuters innere Haltung
gut getan, die eigentlich selbstverständlich sein müsste:
Kinder mit Behinderung sind liebenswert, strahlen
Wilko ist ein Wu
www.kirche-bremen.de · bremer kirchenzeitung Dezember 2009 13
Lebensfreude aus und haben ein Recht auf optimale
Förderung und Unterstützung.”
Raus aus dem Räderwerk Diagnostik
Die Eltern befreien sich aus dem Räderwerk der
Diagnostik, lehnen eine nachfolgende Fruchtwasser-
untersuchung ab. “Das wäre ein zusätzliches Risiko
für das Kind gewesen. Man hat als Patientin das
Gefühl, es geht dem Arzt nur noch darum, sich selbst
abzusichern, aber nicht um mich.”
Am Rand der Kräfte
Nach einer schwierigen Schwangerschaft, immer wie-
der begleitet von Krankenhausaufenthalten, muss die
Geburt eingeleitet werden. Bei der Geburt stellt sich
heraus: Das Kind hat keinen Darmausgang. “Das war
das schwerwiegendste, weshalb er gleich am ersten
Lebenstag operiert werden musste”, erzählt Hacky
Hackbarth. Die OP übersteht das Baby gut, die ersten
sechs Wochen verbringt
Wilko im Brutkasten. “Als ich ihn das erste Mal hoch-
gehoben habe, hatte ich das Gefühl, er wiegt nichts.”
1.600 Gramm zeigt die Waage an, das Kind be-
kommt eine Magensonde.
Die künstliche Ernährung bringt die Eltern in den ersten
drei Monaten zu Hause an den Rand ihrer Kräfte:
“Alle drei Stunden musste er sondiert werden, was
jeweils eine Stunde gedauert hat. Dann zwei Stunden
Pause, dann wieder. Das war sehr anstrengend”, erinnert
sich der Vater. Dank einer engagierten Krankenschwes-
ter und einer Case-Managerin im Krankenhaus schafft
die Familie den Schritt, Wilko auf eigenes Risiko nach
Hause zu holen. “Das Krankenhaus wollte uns so lange
da behalten, bis die Sonde raus ist. Das war dieses Jahr
im Mai – zum Glück haben wir nicht so lange gewartet.”
“Wollen Sie unsere Familie
kaputt machen?”
Die Versorgung zu Hause ist ein echter Kraftakt.
Parallel muss die Pflegeeinstufung beantragt werden –
ein bürokratischer Akt mit etlichen Hürden. “Wenn wir
Wilko gerade mal nicht sondiert haben, haben wir
Anträge ausgefüllt”, erinnert sich der Vater. “Wir
haben gegen seinen Gewichtsverlust und gegen
die Krankenkasse gekämpft”, sagt die Mutter.
Erst nach einem Widerspruch bekommt die Familie
schließlich die notwendige Unterstützung. Immer wieder
muss Wilko in die Klinik, zwischendurch auch seine
Mutter. “Ich war total erschöpft, ich schaffe das nicht
mehr”, erinnert sich Anna Sabater. Eine Krankenschwester
und eine Familienhebamme müssen beantragt werden.
Hilfe findet die Familie bei einem Arzt, der ebenfalls
ein Kind mit Downsyndrom hat. “Der hat mir das nötige
Rezept geschrieben.” Jede Entlastung muss erkämpft
werden. “Bei Frau Kräuter vom Verein für Innere Mission
haben wir das erste Mal wirklich Hilfe bekommen, ohne
das Gefühl zu haben, dass man uns verdächtigt, irgend-
welche Leistungen unberechtigt abziehen zu wollen.”
Bei der Krankenkasse machte Hacky Hackbarth andere
Erfahrungen: “Jeder Antrag kam zurück, Belege ver-
schwanden. Die merkwürdigsten Dinge passierten, nur
damit die Leistungen abgeblockt werden konnten.”
Als es um eine Haushaltshilfe geht, die die Kranken-
kasse nicht bewilligen will, verlässt Anna Sabater ver-
zweifelt die Geschäftsstelle: “Ich habe geheult, weil
ich dachte: Wenn die mir diese Hilfe nicht geben, lande
ich in der Psychiatrie. Ich habe nur noch gefragt;
Wollen Sie unsere Familie kaputt machen und noch
mehr Kosten verursachen?”
Nach ihrer Odyssee mit der Krankenkasse sind den
Eltern Zweifel am Sozialstaat geblieben: “Man denkt
immer, wir leben in Deutschland und haben einen
Sozialstaat, aber das ist nicht der Fall.” So bleibt den
Eltern das ungute Gefühl, dass nicht ihr Kind die eigent-
liche Belastung ist, sondern sie die meiste Kraft in
nutzlose Konflikte investieren müssen, damit Wilko
geeignete Hilfen bekommt. “Mein Kind gibt mir Kraft,
anderswo zerrt man an meinen Kräften und Nerven.”
Es gibt einen Plan in
diesem kleinen Menschen
Wilkos Schwester Alina wird im Januar sechs. “Sie
weiß, was das Down-Syndrom ist. Und sie reagiert
ganz toll und lobt jeden Fortschritt ihres Bruders: ‘Er
kann schon krabbeln’, ‘Jetzt fängt er an zu laufen’ –
jeder Entwicklungsschritt wird kommentiert und
gelobt.” Alina und Wilko ergänzen sich in ihrer
Unterschiedlichkeit. “Wilko ist der Ruhepol
in der Familie, Alina ist sehr wach und
quirlig”, erzählt die Mutter. Wilkos
Schwester hat verstanden, was die Eltern
sich von Erwachsenen wünschen: Nicht
darauf zu schauen, was ein Kind mit
Down-Syndrom (noch) nicht kann, son-
dern auf seine Stärken und Chancen.
Wilko ist jetzt zwei Jahre alt – doch was
sagt das über ihn und seine Familie aus? –
Ein Maß für Lebensfreude und Glück gibt es
nicht. Aber einen Plan in diesem kleinen
Menschen und den festen Willen einer ganzen
Familie, dass sein Leben gelingt.
Text/ Foto: Matthias Dembski
Wunschkind Eine Familie kämpft gegen die Mühlen desGesundheitssystems für ihr behindertes Kind
Wer ein Kind erwartet, wünscht sich vor allem eines:
Dass es gesund auf die Welt kommt. Die moderne Me-
dizin hält eine umfangreiche Palette von Untersuch-
ungsmethoden bereit. So können Eltern – lange be-
vor ihr Kind geboren wird – erfahren, wie sich das Ba-
by entwickelt. Vorsorge für die Gesundheit des Kindes
und der Mutter ist heute eine Selbstverständlichkeit.
Doch es gibt zahlreiche Untersuchungen, die weit da-
rüber hinaus gehen: Von der Nackenfaltenmessung
über Bluttests bis zur Fruchtwasseruntersuchung gibt
es viele medizinische Möglichkeiten, die sich in den
letzten Jahren rasant weiter entwickelt haben. Viele
Elternpaare reagieren darauf mit Unsicherheit: Welche
Untersuchungen und Tests sollte ich durchführen las-
sen? Kann ich sie auch ablehnen? “Schon vor der ersten
Ultraschalluntersuchung sollten Frauen sich informieren
und entscheiden: Welches Wissen möchte ich haben?
Und was will ich nicht erfahren, weil es mich verun-
sichern könnte und nur Unruhe in meine Schwanger-
schaft bringt, die ich eigentlich genießen will”, sagt
Ebba Kirchner-Asbrock von der Beratungsstelle Cara.
“Dafür sind verständliche Informationen und sachli-
che Aufklärung nötig. Denn die Grenze zwischen Vor-
sorge und der gezielten Suche nach Krankheiten und
Fehlbildungen eines Kindes ist fließend.”
Was bedeuten die Ergebnisse?
Frauen und Paare, die sich unsicher sind oder ein-
fach informieren möchten, welche Untersuchungen
für sie sinnvoll und verantwortbar sind, können sich
bei Cara wie auch in der Schwangerenberatung des
Vereins für Innere Mission (VIM) über alle Fragen
rund um die Schwangerschaft informieren. “Besser,
man macht sich vorher schlau, als dass man unverse-
hens in Entscheidungsnöte rutscht”, rät Gabriele Frech-
Wulfmeyer von Cara. “Man kann mit dem Arzt auch
vereinbaren, dass er über eine vor der Geburt ohne-
hin nicht zu behandelnde mögliche Behinderung des
Kindes schweigt.” Denn manches Untersuchungser-
gebnis stürzt Eltern in eine Krise: “Wird unser Kind
behindert sein und wie sehen seine möglichen Ein-
schränkungen und Probleme aus? Was bedeuten die
Untersuchungsergebnisse, die mir der Arzt in seiner
medizinischen Fachsprache nur knapp erläutert hat?”
Wenn Ängste aufkommen
Jede Information des Arztes über eine Behinderung
löst bei Eltern negative Phantasien, Enttäuschungen
und Ängste aus: “Was ist mit Menschen in unserer Ge-
sellschaft, die nicht voll leistungsfähig sind? – Wer
kümmert sich um mein behindertes Kind, wenn ich
älter werden und nicht mehr selbst dafür sorgen
kann? – Soll ich mich angesichts der Horrorszenarien,
die ich mir ausmale, für oder gegen einen Schwanger-
schaftsabbruch entscheiden?”
Seit 1. Oktober sieht das Gesetz vor, dass Eltern, die
sich zwischen einem Schwangerschaftsabbruch und
dem Austragen eines möglicherweise behinderten
Kindes entscheiden müssen, eine Bedenkzeit von drei
Tagen eingeräumt werden muss. Der Arzt muss sie
über die Konsequenzen aufklären und beraten, ge-
gebenenfalls einen Kinderarzt hinzuziehen und auf
geeignete Beratungsstellen hinweisen.
Cara wie auch die Schwangerenberatung des VIM
sind solche Anlaufstellen. “Bei uns können Eltern
durchatmen, Ängste aussprechen und ihren Gefühlen
freien Lauf lassen. Wir klären sachlich auf. Und egal,
wie sich die Betroffenen entscheiden: Wir unterstützen
sie und lassen sie nicht alleine – auch bei einem
Abbruch”, betonen alle Beraterinnen.
Keine Garantie für ein perfektes Kind
Monika Kräuter, Beraterin beim VIM, sitzt selbst im
Rollstuhl. Sie versucht, Eltern zu vermitteln: “Kinder mit
Behinderung sind keine Minus-Variante des ‘normalen’
Lebens. Es gibt ohnehin keine Garantie für ein per-
fektes Kind, für ein Leben ohne Leiden und für völlige
Gesundheit – auch wenn oft der Eindruck vermittelt
wird. Leben mit einem Stück Leid lohnt sich, muss
nicht unglücklich sein und kann gelingen. Wert und
Würde des Lebens lassen sich nicht mit wirtschaftli-
chen Maßstäben messen, was leider noch allzu oft
geschieht.”
Seit fast 15 Jahren betreut die Beraterin auch die
Gruppe der “Behinderten Mütter”, in der sich Mütter
behinderter Kinder alle 14 Tage zum Erfahrungsaus-
tausch treffen. Eltern mit beeinträchtigten Kindern
würden von Krankenkassen und Behörden noch immer
in die Rolle von Bittstellern gebracht, die um jede
Leistung kämpfen müssten, meint Monika Kräuter:
“Obwohl die Gesetze klar sind, läuft es nicht auf Au-
genhöhe.” Deshalb bietet die Beratungsstelle des
VIM betroffenen Eltern auch Rat und Hilfe, geeigne-
te Unterstützung zu organisieren und ihre Rechte
durchzusetzen.
Text: Matthias Dembski
Fotos: Matthias Dembski/ Panthermedia
Wo werdende ElternBeratung und HilfebekommenHauptsache gesund?!
CaraBeratungsstelle zu Schwangerschaft
und vorgeburtlicher Diagnostik
Ebba Kirchner-Asbrock
und Gabriele Frech-Wulfmeyer
Domsheide 2, 28195 Bremen
Telefon 0421/59 11 54
Schwangerenberatungund Nachbetreuung
des Vereins für Innere Mission (VIM)
Monika Kräuter und Katharina Kähler
Blumenthalstraße 10, 28209 Bremen
Telefon 0421/349 67 15
www.cara-beratungsstelle.de
www.inneremission-bremen.de
www.familienplanung.de
Cara-Beraterinnen (von links):
Ebba Kirchner-Asbrock und
Gabriele Frech-Wulfmeyer
VIM-Beraterin
Monika Kräuter
und Wilko
Vorgeburtliche Untersuchungsergebnisse kön-
nen werdende Eltern in eine Krise stürzen –
Beratung und Aufklärung helfen.
14 bremer kirchenzeitung Dezember 2009 · www.kirche-bremen.de
www.kirche-bremen.de · bremer kirchenzeitung Dezember 2009 15
Behinderte Athleten bereiten sich auf die“Special Olympics” in Bremen vor
Wenn das Publikum mit dem Herzen dabei ist und
die Athleten anfeuert, dann ist Vanessa Giesenberg in
ihrem Element. "Das finde ich richtig gut, wenn die
dann rufen: Komm, schneller", schwärmt die 23-Jährige.
Die junge Frau bereitet sich schon jetzt auf das Rad-
rennen bei den nationalen "Special Olympics Summer-
Games" für geistig und mehrfachbehinderte Menschen
vor. Dazu werden vom 14. bis 19. Juni kommenden
Jahres etwa 12.000 Teilnehmer in Bremen erwartet,
darunter mehr als 4.000 Sportler.
In erster Linie zählt der Spaß
Für Vanessa Giesenberg ist in erster Linie der Spaß am
Sport wichtig. So gesehen gebe es sowieso nur Gewinner,
ist sie überzeugt. Die Bremer Athletensprecherin lebt
in der diakonischen Stiftung Friedehorst. Zusammen
mit ihrer Trainerin und Physiotherapeutin Sylvia Petro-
vic hat sie schon einige Disziplinen probiert, um auszu-
testen, was ihr im Wettkampf am meisten liegt. Bow-
ling war bereits angesagt – und Laufen. "Aber dafür
bring ich mich nicht um", sagt sie mit fester Stimme
und schwingt sich lieber auf das Rad. "Das mach' ich
leidenschaftlich gern." Unter dem Motto "In jedem
von uns steckt ein Held" stehen in Bremen 21 Diszi-
plinen vom Bowling bis zum Kraftdreikampf auf dem
Programm. Bundespräsident Horst Köhler ist Schirm-
herr. "Lasst mich gewinnen, doch wenn ich nicht ge-
winnen kann, so lasst mich mutig mein Bestes geben!",
lautet der Eid, unter dem sich im nächsten Jahr Ath-
leten sowie Trainer und Betreuer treffen wollen.
Angefeuert und bejubelt
"Die Spiele sollen zeigen, dass behinderte Menschen
nicht am Rand der Gesellschaft stehen, sondern mit-
tendrin", sagt der Präsident des deutschen Organisa-
tions-Komitees, Hans-Jürgen Schulke. Bei den Special
Olympics würden sie beklatscht, angefeuert und be-
jubelt: "Damit wird eine Brücke geschlagen." In Bremen
werden sie in der Pauliner Marsch, im Messe-Centrum
und bei der Universität Mut, Ehrgeiz und Können zei-
gen: "Viele werden mit mehr Selbstvertrauen, neuen
Freundschaften und größerem Können nach Hause
fahren."
Nur Gewinner
Ein internationaler Wissenschafts-Kongress ergänzt
die Wettbewerbe.. "Wir sehen immer wieder, dass gei-
stig behinderte Menschen durch Sport einen kräftigen
Entwicklungsschub erfahren. Wir wollen diskutieren,
warum das so ist", erläutert Schulke. Die "Special
Olympics"-Bewegung kommt aus den USA und
wurde dort 1968 durch die Politiker-Familie Kennedy
gegründet. Sie ist nach eigenen Angaben die welt-
weit größte und vom Internationalen Olympischen
Komitee offiziell anerkannte Sportbewegung für gei-
stig und mehrfach behinderte Menschen. Leicht-
athletik, Schwimmen und Tischtennis sind bei den
Aktiven besonders beliebt.
Schnelligkeit und Weite stehen dabei nicht unbe-
dingt im Vordergrund. "Teilnehmen kann jeder, der
regelmäßig trainiert", erläutert Sylvia Petrovic. Bei
Vanessa Giesenberg braucht sie da nicht zu drängeln.
Für die Radsportlerin ist das regelmäßige Training
Ehrensache.
Von hinten zu den Siegern aufschließen
Anders als bei den Paralympics werden immer etwa
gleich starke Leistungsgruppen gebildet, damit jeder
Teilnehmende eine Chance hat. Bei den Siegerehrun-
gen gibt es für die ersten drei Plätze wie üblich Gold,
Silber und Bronze. Die Athleten vom vierten bis zum
letzten Platz bekommen Schleifchen und werden
ebenfalls auf dem Treppchen ausgezeichnet.
Auf diesen Moment freut sich auch Patrick Frese, der
ebenfalls in Friedehorst lebt, Rad fährt und läuft. Mit
ordentlich Selbstbewusstsein ausgestattet geht er in
das Training. Den 100-Meter-Weltrekordlauf des Jamai-
kaners Usain Bolt in Berlin, ja, den hat er verfolgt.
"Ist für mich ein Witz, dieser Sprint", sagt der 18-
Jährige. "Schaff' ich locker." Erster oder Zweiter wolle
er bei den Special Olympics schon werden. "Sonst
sammelt sich Frust an. Aber ich lasse es mir nicht an-
merken." Dass der Erfolg errungen werden will, hat
er unlängst beim Cityrun in Hamburg gespürt. "Ich hab'
mir vorher was zum Essen reingeschaufelt und hatte
dann Seitenstiche." Er fiel auf den letzten Platz zurück.
Schließlich konnte er sich berappeln, das Publikum
hat ihn angefeuert. Der junge Mann strahlt: "Ich
kam von ganz hinten. Und am Ende war ich Zweiter."
Text/ Foto: Dieter Sell, epd
Special OlympicsNational Summer Games 2010 in Bremen
14.-19. Juni 2010
Geschäftsstelle:
Christian Dirbach
Telefon 0421/361-1847
www.specialolympics.de
www.friedehorst.de
Nur Helden
16 bremer kirchenzeitung Dezember 2009· www.kirche-bremen.de
Der Countdown zur Eröffnung läuft, auch wenn die
Bauhandwerker derzeit noch die Szene bestimmen:
Am 27. Februar 2010 heißt es Bühne frei für die erste
Bremer Jugendkirche. Die Gröpelinger Philippus-
kirche, das angrenzende Gemeindehaus und das
Außengelände sind ab diesem Tag endgültig in der
Hand von Jugendlichen. Aus der Philippuskirche wird
dann “Garten Eden 2.0 – Die Jugendkirche Bremen”.
Paradiesische Zustände für Jugendliche: “Wir setzen
ganz stark auf die Jugendlichen, die ihre Kirche nach
eigenen Wünschen und Vorstellungen selbst gestal-
ten können”, erläutert Projektleiterin Almut Schmidt.
Die Jugendkirche setzt Jugendlichen kein fertiges
Konzept vor, sondern sie können verantwortlich
mitgestalten und -entscheiden. Kreativität ist im
“Garten Eden 2.0” Trumpf, der Phantasie bei der
Programmgestaltung sind keine Grenzen gesetzt:
Tanzen, Musik und Bewegung, Chorarbeit, Bands,
Theater, Spiele, Gottesdienste und Meditationsan-
gebote von und mit Jugendlichen, aber auch Berufs-
beratung und Bewerbungshilfen durch das Projekt
“Ran an die Zukunft” (RAZ) sollen in der Jugendkir-
che einen festen Ort haben.
Bei einem Werkstatt-Tag am 4. September gab es
einen ersten Live-Eindruck von der neuen Ju-
gendkirche: In 10 Workshops haben Jugendliche mit-
geplant und ihre Jugendkirche gestaltet. Ob in
Theater-, Tanz-, Percussiongruppen, in der Band, bei
der Planung von Inneneinrichtung oder Lichttechnik
– überall entstanden neue Ideen, die jetzt Schritt für
Schritt umgesetzt werden.
Dafür gibt es eine Menge Platz: Im Foyer der 1965 er-
bauten Kirche entsteht bis Ende Februar eine gemüt-
liche Café-Lounge. Hier können Jugendliche chillen,
in Veranstaltungspausen etwas trinken oder sich ein-
fach zum Klönen verabreden.
Vom Internetcafé bis zum Band-Probenraum bieten
die Räume der Jugendkirche alles, was Jugendliche
brauchen, um sich kreativ auszutoben. Die
Kirchenbänke sind verschwunden, und in der Kirche
liegt mittlerweile ein Holzfußboden, der für
Veranstaltungen aller Art den richtigen Untergrund
bietet: Hier können Jugendliche tanzen, rappen oder
Theater spielen.
Noch hat sich der Baustaub nicht ganz verzogen und
es wird kräftig weiter gewerkelt. Ab 27. Februar ha-
ben Jugendliche freien Eintritt ins Paradies – im
Garten Eden 2.0!
Die Macher feilen zur Zeit noch kräftig an einem
attraktiven Programm für das Eröffnungswochenen-
de. Mit im Boot ist die benachbarte Pestalozzischule.
In der Kirche und auf dem weitläufigen Außen-
gelände wird es viele Aktionen geben: Sie reichen
von Fitness über Kunstinstallationen und Gedicht-
Lesungen des Jungen Literaturclubs Gröpelingen bis
hin zu einer Rap-Werkstatt mit der Formation D.I.P. –
Bands heizen mit reichlich Live-Musik ein.
Text: Matthias Dembski
Logo & Illustration: Ulrike Rank
Garten Eden 2.0 –Die Jugendkirche Bremen
Eröffnung:Samstag, 27. Februar 2010
Ab 11 Uhr Action und Chillout,
Köstlichkeiten aus dem Garten Eden
17 Uhr Jugendgottesdienst zur Eröffnung
mit der Band “Himmlisch” aus Habenhausen
Abends Konzert mit verschiedenen Bands
Casting für das Tanztheater:16. Januar 2010, 16 Uhr
Wo?Seewenjestraße 98 a (Philippuskirche),
28237 Bremen
Straßenbahnhaltestelle Moorstraße,
Linie 2/10/N10
Wer?Diakonin Almut Schmidt, Projektleiterin
Telefon 0178-39 51 779
www.garteneden2punkt0.de
www.kirche-bremen.de · bremer kirchenzeitung Dezember 2009 17
“Jakob und der Garten Eden” heißt das große
Tanztheaterprojekt, mit dem “Garten Eden 2.0 – Die
Jugendkirche Bremen” bereits vor ihrer offiziellen
Eröffnung an den Start geht. “Das Stück dreht sich
um die Beziehung von Eltern und Kindern, um Bevor-
zugung, Benachteiligung und Enttäuschung”, verrät
Almut Schmidt, Projektleiterin der Jugendkirche.
Gemeinsam mit der Schauspielerin Maria von Bis-
marck entwickeln Jugendliche das Stück und bringen
es bis zum Sommer 2010 auf die Bühne gebracht.
Wer mitmachen will, ist zum großen Casting am 16.
Januar 2009 um 16 Uhr in die Jugendkirche einge-
laden. Bewerben können sich alle Jugendlichen ab
16 Jahren aus Bremen. “Wir suchen 20 bis 25 junge
Leute, die Lust haben, mitzusingen, zu schauspielern
und natürlich auch mitzutanzen.”
Eine erste Kostprobe aus der Theaterwerkstatt wird
bereits bei der Eröffnung der Jugendkirche am 27.
Februar zu sehen sein.
www.garteneden2punkt0.de
Casting für Tanztheater
18 bremer kirchenzeitung Dezember 2009 · www.kirche-bremen.de
Vier Erfahrungsberichte von Frauen,die beruflich wieder Fuß gefasst haben
Gesine H. (49)*
arbeitet heute in einem Hort
Als ich den Berofsorientierungs-Kurs „Mittendrin und
auf der Suche“ entdeckte, fand sofort: Dieses Seminar
hat mit meiner Situation zu tun. Seit 16 Jahren war ich
aus dem Erwerbsleben heraus. Früher habe ich zehn
Jahre in der Labordiagnostik gearbeitet, danach habe
ich eine Ausbildung zur Waldorfkindergärtnerin ge-
macht. In diesem Beruf habe ich aber nie gearbeitet,
denn ich bin meinem Mann ins Ausland gefolgt. Wir
lebten in Saudi-Arabien, wo für Frauen eine Berufstä-
tigkeit unmöglich ist. Nachdem wir zurück in Deutsch-
land waren, wurde unser Kind geboren. Ich selbst bin
in einem Kinderheim aufgewachsen und habe mir
immer Eltern gewünscht, zu denen ich Ur-Vertrauen
haben konnte. Mit diesem Hintergrund stand für mich
fest: Ich widme mich ausschließlich meiner Familie.
Als unser Kind 12 Jahre alt war, brach diese Fami-
lienwelt zusammen. Mein Mann trennte sich von uns
und zog aus. Das war vor zwei Jahren und bedeute-
te für mich die größte Lebenskrise. Mein Lebens-
traum war gescheitert. Ich hatte nur noch mich und
mein Kind, sonst brach alles weg.
Nach 16 Jahren war ich nicht mehr auf dem Arbeits-
markt vermittelbar. Als Medizinisch-technische Assis-
tentin hätte ich meinen Beruf völlig neu lernen müs-
sen. Insofern überlegte ich, wie ich meine zweite Be-
rufsausbildung irgendwie noch anwenden könnte.
Auf mir lastete ein enormer Druck, weil ich wieder
Zugang zum Berufsleben finden wollte. Das Arbeits-
amt legte mir nahe, mir einen 400 Euro-Job zu su-
chen. Ich habe in chemischen Reinigungen Wäsche
kommissioniert, als Marktbeschickerin gejobbt, habe
in Schicht nachts bei einer Catering-Firma gearbei-
tet, aber es gab nirgendwo Interesse an einer länger-
fristigen Weiterbeschäftigung. Es war frustrierend: Die
Gesellschaft war an meiner Arbeitskraft eigentlich gar
nicht interessiert. Arbeitszeit ist auch Lebenszeit, inso-
fern war für mich die Frage: was will ich mit dem kost-
barsten in meinem Leben weiter tun? Ich wollte etwas
tun, was mich innerlich erfüllt, weil Beruf für mich immer
etwas mit Berufung zu tun hat.
In diesem Kurs „Mittendrin und auf der Suche“ wa-
ren wir 16 Frauen und haben wirklich intensiv nicht
nur an der Frage gearbeitet, wie wir wieder ins Er-
werbsleben hineinkommen. Es ging auch um eine in-
tensive Auseinandersetzung mit dem eigenen, bishe-
rigen Leben und die Bereitschaft, sich zu verändern.
Leben heißt Veränderung, Stillstand ist Rückschritt.
Der Kurs hat mir keinen unmittelbaren Berufszugang
verschafft, hat mir aber etwas anderes deutlich gemacht:
ich habe eine Tochter, die ich waldorfpädagogisch auch
in ihrer Schullaufbahn intensiv begleitet habe. Waldorf-
kindergärten und -schulen setzen ein hohes Eigenenga-
gement der Eltern voraus. So habe ich zu jedem Kinder-
garten- und Schuljahr Entwicklungsberichte über mein
Kind für den jeweiligen Erzieher oder Lehrer geschrieben,
habe mich in der in der Schule oder beim Basar immer
aktiv beteiligt. Ich war in allen Gremien dabei.
Das hat mir später auch beruflich neue Wege geöff-
net: Auf einer Mitgliederversammlung habe ich ge-
hört, dass der Schulhort eine Zweitkraft braucht. Ich
habe mit der Hortnerin gesprochen, ihr meine Situa-
tion geschildert, dass ich mich beruflich neu orientie-
ren möchte, aber keine Berufserfahrung habe und
meine Ausbildung 16 Jahre zurückliegt. Nach dem
Gespräch hat sie gesagt: ich möchte gerne mit Ihnen
zusammenarbeiten. Können Sie sich das auch vor-
stellen?
Ich habe es gemacht und arbeite jetzt als Halbtags-
kraft in einer sozialversicherungspflichtigen Festan-
stellung. Diese Arbeit ist für mich ein Geschenk des
Himmels, zumal die Arbeitsbedingungen sehr entge-
genkommend gestaltet sind. Ich bin zwar nach wie vor
noch vom Unterhalt meines Ex-Mannes abhängig, weil
mein eigenes Einkommen zur Zeit nicht ausreicht,
aber ich strebe weiter nach Unabhängigkeit.
Ich habe durch Frau und Arbeit gelernt, dass es nicht
nur darum geht, sich dem Arbeitsmarkt anzuglei-
chen, sondern auch zu schauen, wofür eigentlich ein
Herz schlägt. Im Berufsleben trägt nur innere Begeis-
terung. Mit dieser Einsicht hat man dann vielleicht
sogar den Mut, sich sein eigenes Arbeitsfeld zu schaffen
oder sich selbstständig zu machen. Es gibt viele gesell-
schaftliche Bedürfnisse, aus denen sich neue Arbeits-
möglichkeiten ergeben. Und wenn es heute irgend-
wo hakt, dann im Sozialen.
* Namen von der Redaktion geändert
“Es war frustrierend: Die Gesellschaft war an meiner
Arbeitskraft eigentlich garnicht interessiert.”
“Leben heißt Veränderung, Stillstand ist Rückschritt.”
“Ich will mich nicht nur demArbeitsmarkt angleichen, son-
dern auch schauen, wofüreigentlich mein Herz schlägt.”
Frau “Frau und Arbeit” ist ein kirchliches Bildungs- und Beratungsprojekt, das seit über 20 Jahren erfolg-
reich Frauen hilft, sich auf dem Arbeitsmarkt neu zu orientieren, nach der Familienphase wieder ins
Berufsleben einzusteigen, aus der Erwerbslosigkeit heraus neue berufliche Wege zu beschreiten und
berufliche Umbruchsituationen zu meistern.
www.kirche-bremen.de · bremer kirchenzeitung Dezember 2009 19
Lisa G. (31) und Katrin S. (30)*
fanden den Wiedereinstieg ineiner Bäckerei und in der Alten-pflege
Wir sind beide alleinerziehend mit einem Kind und
haben vor vier Jahren am Mütterprojekt von Frau und
Arbeit und dem Haus der Familie in der Vahr teilge-
nommen.
Lisa G.: Ich habe vor 13 Jahren eine Ausbildung als
Maschinenschlosserin gemacht. Eine ganze Zeit war
ich arbeitslos, hatte ABM-Stellen, habe dann geheiratet,
nebenbei meinen Schwesternhelferinnen-Schein ge-
macht und zwei Jahre in einem Hauspflegedienst ge-
arbeitet. Später kam dann meine Tochter zur Welt, aber
da war auch meine Ehe schon am Ende. So stand ich
auf einmal mit einem kleinen Kind und ohne Arbeit da.
Das Problem in der Pflege ist die Schichtarbeit. Pflege
geht nicht von 8 bis 15 Uhr, sondern rund um die Uhr.
Für mich war es sehr schwer, da wieder hereinzukommen.
Während des Kurses war meine Tochter betreute, ich
konnte etwas für mich tun.
Der berufliche Wiedereinstieg war für mich ein wich-
tiges Ziel. Denn irgendwann geht mein Kind aus dem
Haus, und dann stehe ich alleine da und habe keine
Rentenansprüche erworben. Wenn ich bis dahin nicht
wieder auf eigenen Beinen stehe, ist für mich der
berufliche Zug abgefahren. Deshalb habe ich an dem
Kurs teilgenommen. Man kommt sich irgendwann wert-
los vor, wenn man nur zu Hause sitzt und Hartz IV be-
kommt. Deshalb hat der Kurs im Mütterzentrum uns
geholfen, unser Selbstwertgefühl wieder aufzubau-
en, weil wir gesagt haben: Wir machen etwas!
Wir haben im Kurs entdeckt, welche Stärken wir
Alleinerziehende eigentlich haben: Organisationstalent,
Zeitmanagement, mit wenig Geld auszukommen…
Das Bewerbungstraining hat mir sehr geholfen zu
sagen: Ja, ich habe ein Kind, aber ich bin bereit und
flexibel, trotzdem meine Leistung im Beruf zu bringen.
Außerdem habe ich Eltern und eine Familie, die hinter
mir stehen – das muss man lernen, dem Arbeitgeber
überzeugend herüberzubringen.
Die eigenen Stärken zu sehen und das auch dem po-
tenziellen Arbeitgeber zu zeigen – das hat mir dieser
Kurs gebracht.
Ich verdiene jetzt als Schwesternhelferin in der Alten-
pflege drei Euro zuviel, deshalb bekomme ich keine
Hartz IV-Leistungen mehr. Aber ich habe das gute Ge-
fühl: Dieses Geld habe ich mir selbst erarbeitet. Kurz
bevor der Kurs endete, haben wir auf Karten ge-
schrieben, welche Ziele wir uns längerfristig setzen.
Nach drei Jahren hat uns die Kursleiterin diese Karten
zugeschickt. Ich habe fast alle Ziele, die ich mir ge-
steckt hatte, erreicht. Ich arbeite wieder in der Alten-
pflege, weil ich einen Arbeitgeber gefunden habe, der
mir bei den Arbeitszeiten entgegengekommen ist.
Meine Tochter ist heute 8, geht nach der Schule in
den Hort, wo meine Mutter sie abholt, weil ich mo-
mentan nur in Spätschicht von 13 bis 21 Uhr arbei-
te. Morgens versorge ich meine Tochter, weil meine
Mutter dann noch arbeitet. Das ist ein genau ausge-
klügeltes System, das man sich aufbauen muss.
Katrin S.: Ich habe Floristin gelernt, nach der
Ausbildung noch ein Jahr in diesem Beruf gearbei-
tet, bin dann ganz umgestiegen und habe bei einem
Automobilzulieferer am Band gearbeitet. Irgendwann
bin ich schwanger geworden, war nicht verheiratet
und habe von Anfang an alles alleine machen müssen.
Mein Arbeitgeber hat mir Steine in den Weg gelegt
und wollte, dass ich weiterhin in drei Schichten ar-
beiten. Man hat mich gedrängt, einen Auflösungs-
vertrag zu unterschreiben. Ich wusste nicht, wo ich
meine Tochter betreuen lassen konnte, denn meine
Eltern waren zu diesem Zeitpunkt auch noch voll
berufstätig. Also musste ich mich neu orientieren,
denn in meinen alten Beruf als Floristin konnte ich
wegen einer Allergie und aufgrund von Rückenpro-
blemen nicht zurück.
Der Wiedereinstieg in das Berufsleben war mir nicht
nur aus finanziellen Gründen wichtig. Ich habe eine
Vorbildfunktion für mein Kind: Ich gehe arbeiten
und sitze nicht nur den ganzen Tag zu Hause.
Mittlerweile arbeite ich als Bäckereiverkäuferin. Von
einer geringfügigen Beschäftigung habe ich mittler-
weile auf 80 Monatsstunden aufgestockt.
Dort habe ich Arbeitszeiten von 8 bis 15 Uhr, die für
mich gut passen. Morgens um 7 Uhr bringe ich meine
heute siebenjährige Tochter zu Oma und Opa, die dafür
sorgen, dass sie zur Schule kommt. Nach der Arbeit
hole ich sie aus dem Hort ab. Insgesamt klappt das
gut, auch wenn es alles nicht einfach ist.
..... >> Bitte lesen Sie weiter auf Seite 20
“So stand ich auf einmal miteinem kleinen Kind und ohne
Arbeit da.”
“Man kommt sich irgendwann wertlos vor, wenn
man nur zu Hause sitzt undHartz IV bekommt.”
“Meine eigenen Stärken zusehen und das auch dem
potenziellen Arbeitgeber zu zeigen – das hat mir der Kurs
gebracht.”
“Ich habe eine Vorbildfunktionfür mein Kind: Ich gehe
arbeiten und sitze nicht denganzen Tag zu Hause.”
und Arbeit
20 www.kirche-bremen.de bremer kirchenzeitung Dezember 2009
Frau und ArbeitBildungs- und Beratungsangebote
Kontakt & Programm:Frau & Arbeit, Renate Krieger
forum Kirche, Hollerallee 75, 28209 Bremen
Telefon 0421/346 15-39
„Mittendrin und auf der Suche“
Seminar für erwerbslose Frauen zur beruflichen
Neuorientierung 2. März bis 22. April 2010
Kostenbeitrag: 80 Euro/ermäßigt 40 Euro
Einzelseminare (in Auswahl):“Erstellen von Bewerbungsunterlagen am PC”,
15. bis 19. Februar 2010, 9 bis-12.30 Uhr
“Teilzeitgründung als Chance für Frauen”
Informationsveranstaltung, 18. Februar 2010,
10 bis 13 Uhr (kostenfrei)
“Der schöne Schein – Wochenende für die Kunst”
(für erwerbslose Frauen), 26. bis 27. Februar 2010 (FR
17-20 Uhr, SA 10-16 Uhr) (40/ermäßigt 20 Euro)
Computer-Kurse für Frauen
mit PC-Grundkenntnissen 26. bis 30. April 2010,
oder 17. bis 21. Mai 2010, jeweils 9.00 – 12.30 Uhr
(je 30/ermäßigt 15 Euro)
Bewerbungstraining für Frauen
3. bis 7. Mai 2010, 9.00-12.30 Uhr
(30 Euro/ermäßigt 15 Euro)
“Frauen leben länger – aber wovon?” – Vortrag mit
Diskussion zum Thema Altersvorsorge 18. Mai 2010,
Dienstag, 9.30 bis 12.30 Uhr (kostenfrei)
“Rechte von geringfügig Beschäftigten” –
Informationsveranstaltung für Frauen
19. April 2010, 9.30 bis 12.30 Uhr
Monatliche Coachinggruppe für Frauen:
“Umsetzen, was ich wirklich will”,
1.+15. Februar, 1. und 15. März
Stammtisch für erwerbslose Frauen
4. März 2010, 10. Mai 2010 jeweils ab 20 Uhr
Anmeldung für alle Seminare:Ev. Bildungswerk, Telefon 3 46 15-35
Kostenlose, vertrauliche Beratung für Frauen
Beraterin: Ingeborg Mehser
MO & MI, 9 bis 12 Uhr
Anmeldung: Telefon 333 563
Ort: City-Seelsorge,
Unser Lieben Frauen Kirchhof 29
www.frauundarbeit.de
www.kirche-bremen.de
Julia R. (35)*
arbeitet heute als Online-Journalistin:
Ich bin gelernte Industriekauffrau und Diplomjour-
nalistin. Nach einer Tätigkeit im Bereich Öffentlichkeits-
arbeit wurde ich arbeitslos. Natürlich habe ich nicht
zu Hause gesessen und auf einen Job gewartet. Ich habe
keine Lücken in meinem Lebenslauf: Ich habe ehren-
amtlich gearbeitet, für ein Frauenportal geschrieben,
an einem Katalog mitgearbeitet, aber hatte eben
keinen festen Job. Ich wusste nicht genau, wie es für
mich weitergeht. Der Journalismus spezialisiert sich
zunehmend. Da muss man schauen: welche Lücke
bietet sich für mich?
Deshalb habe ich den mehrwöchigen Kurs “Mittendrin
und auf der Suche” besucht und ein Coaching bei
Frau und Arbeit gemacht. Dabei wird geschaut: wo
stehe ich, was für Qualifikationen habe ich im Lauf
meines Lebens schon erworben, welche Weiterbildungen,
aber auch ehrenamtlichen Tätigkeiten habe ich schon
gemacht, was sind meine Hobbies, wo liegen meine
Interessen und Begabungen? – So wird einem Stück
für Stück das eigene Profil bewusst: Was bringe ich
mit und wo geht's für mich lang? Das Coaching fand
bei mir in einer Gruppe zusammen mit fünf anderen
Frauen statt. Dabei bekam ich den Tipp, eine Weiter-
bildung zur Onlinejournalistin zu machen. Die Trai-
nerin gibt auch Hinweise, wo man sich weiter infor-
mieren und wie man sich mit anderen Frauen vernet-
zen kann. Ich habe durch das Coaching das Hand-
werkszeug bekommen, um für mich neue Wege zu
entdecken. Frau und Arbeit hat mir geholfen, aus den
vielen Fäden meines Lebens einen roten Faden zu
machen. Es geht vielen Frauen so, deshalb sollten
Sie den Mut haben, sich für so ein Coaching zu ent-
scheiden. Ich kann nur jeder Frau raten, sich für eine
neue berufliche Orientierung oder Spezialisierung
diese Unterstützung zu holen.
Mittlerweile arbeite ich seit einem Jahr als Redaktions-
assistentin bei einem Onlineportal und bin mit mei-
ner Arbeit sehr zufrieden. Das ist genau das, was ich
mir vorgestellt habe.
Ich fand gut, dass es ein Beratungsangebot gibt, das
besonders auf die Bedürfnisse von Frauen und ihre
persönliche Situation zugeschnitten ist. Für Frauen
ist es nach wie vor schwieriger, sich auf dem
Arbeitsmarkt zu behaupten. Sie verdienen weniger
als Männer. Wenn Frauen Kinder bekommen, bedeu-
tet das oft einen Karriereknick. Vor diesem
Hintergrund eine frauenspezifische Beratung zu
bekommen, war mir wichtig.
* Namen von der Redaktion geändert
Gesprächsprotokolle: Matthias Dembski
Fotos: Frau und Arbeit
Frau und Arbeit
“Natürlich habe ich nicht zuHause gesessen und auf einen
Job gewartet.”
K
be
ge
na
Ju
So
U
K
„B
m
ab
A
in
fü
vo
er
fi
„W
un
M
tie
he
Fi
m
Be
um
gi
un
K
de
Zu
nu
et
Kirche und Film haben sich viel zu sagen und stellen oft dieselben Fragen: “Le-
bensfragen, die großen Herausforderungen des Lebens und im Alltag, Hoffnun-
gen, Träume, Sehnsüchte, Schuld und Vergebung, Enttäuschungen und die Suche
nach Sinn – all das kommt in zahllosen, guten Filmen vor“, sagt Pastor Dirk von
Jutrczenka vom ökumenischen Arbeitskreis Kirche und Film in Bremen.
So zeigt das Kino 46 in Walle im kommenden Jahr „Filme voll Sehnsucht nach Leben“.
Unter dem Motto „Kino spirituell“ starten das Kommunalkino und die beiden großen
Kirchen in Bremen die neue Filmreihe. Den Auftakt macht am 12. Januar der Film
„Broken Silence“, der von der Begegnung eines weltfremden Kartäusermönchs
mit einer schwarzen Schlagzeugerin erzählt, die sich auf einer gemeinsamen,
abenteuerlichen Reise durch Asien der Sinnfrage stellen müssen.
Am 13. April ist die Disney-Produktion „Oben“ zu sehen, ein computeranimierter Spielfilm,
in dem ein 78-jähriger ehemaliger Ballonverkäufer sich seinen Lebenstraum er-
füllt: Eine abenteuerliche Reise in das Amazonas-Gebiet, natürlich mit tausenden
von Luftballons, die er an sein Häuschen bindet... Erst viel zu spät bemerkt er, dass
er einen blinden Passagier mitgenommen hat: einen übereifrigen 9-jährigen Pfad-
finder und selbsternannter Wildnisforscher.
„Wir wollen keineswegs nur solche Filme zeigen, in denen es um gläubige Menschen,
unmittelbar um biblische Stoffe oder ausschließlich religiöse Themen geht.” Für viele
Menschen, die eher distanziert zum Glauben stünden, biete das Kino Sinn und Orien-
tierung. „Früher waren Schuld und Erlösung ausschließlich Themen der Kirche –
heute besetzt sie auch das Kino und Menschen stellen sich eher anhand von
Filmen diesen Fragen.“ Deshalb wollen die Initiatoren Kirche und Kino intensiver
miteinander ins Gespräch bringen.
Bereits anlässlich des Deutschen Evangelischen Kirchentags lief im Kino 46 ein
umfangreiches Filmprogramm. Auch zwischen der Kulturkirche und dem Kino 46
gibt es seit längerem eine gute Zusammenarbeit. “Aufgrund der positiven Erfahr-
ungen bieten wir künftig zunächst einmal im Vierteljahr ‚Kino spirituell’ an“, sagt
Karl-Heinz Schmid vom Kino 46. Zu jedem Film gibt es eine Einführung und nach
der Vorführung ist Gelegenheit, so Schmid, sich mit anderen Zuschauerinnen und
Zuschauern im Kino 46 über den Film auszutauschen. „Wir zeigen die Filme nicht
nur, sondern bieten auch die Möglichkeit, vertieft ins Gespräch zu kommen und
etwas über die Hintergründe und die Macher der Filme zu erfahren.”
Text & Foto: Matthias Dembski
www.kirche-bremen.de bremer kirchenzeitung Dezember 2009 21
Film ab!
21. Dezember 2009, 19.30 Uhr:
“Smoke”, St. Remberti-
Gemeindehaus, Friedhofstr. 10
12. Januar 2010, 20 Uhr:
“Broken Silence” im Kino 46,
Waller Heerstraße 46
26. Februar 2010, 20.30 Uhr:
“Das siebente Siegel”, Kino 46
27. Februar 2010, 15-18 Uhr:
Filmseminar “Wie setzen sich
Filme mit dem Tod auseinander?”,
Kulturkirche, Stephanikirchhof
28. Februar 2010, 19.30 Uhr:
Stummfilm “Der müde Tod”,
mit Orgel-Livebegleitung, Kulturkirche
28. März 2010, 18 Uhr:
Filmgottesdienst zum Film
"Gran Torino", Kulturkirche
13. April 2010, 20 Uhr:
“Oben”, im Kino 46
Kirche und Kino stellen oftdieselbe Frage – nach dem Sinn im Leben
www.kino46.dewww.kulturkirche-bremen.de
www.kirche-bremen.de
Ein Film über das
Jungsein und
Älterwerden, und wie
aufregend man die
Zeit dazwischen nut-
zen kann.
Ein Mönch mit
Schweigegelübbde
auf abenteuerlicher
Reise nach Indonesien
– begleitet von einer
jungen, frech witzigen
Afro-Amerikanerin.
Filme schon auf
der Rolle:
Pastor Dirk
von Jutrczenka
und
Karl-Heinz Schmid
vom Kino 46
(v.l.)
22 bremer kirchenzeitung Dezember 2009 · www.kirche-bremen.de
Seine Arbeit findet Nico Ramsthal fast im Vorbeigehen.
Wenn er durch das Altenheim Almata Stift in Walle
geht, sprechen ihn immer wieder Bewohnerinnen und
Bewohner auf dem Flur an: “Können Sie mal schauen,
wieso mein Videorekorder nicht funktioniert?” – “Ir-
gendwie ist mein Bett seit dem Umzug in das neue
Zimmer falsch eingestellt und ich komme nicht mehr
an den Klingelknopf heran...” – Ein bisschen ist der
Zivi der ‘Junge für Alles’, vor allem ein geschätzter
Ansprechpartner und Begleiter. Der Zivi ist in der Ein-
richtung der diakonischen Stiftung Friedehorst mehr
als Hausmeister und Lagerverwalter für die Pflegemittel.
“Ich springe ein, wo immer es nötig ist.” So organisiert
er auch mal einen Kegelnachmittag im Speisesaal.
“Ich habe freie Hand und kann selbständig arbeiten
– das macht Spaß.”
Nico Ramsthal kennt jeden Bewohner mit Namen und
die Geschichten dazu hat er auch parat. “Sind Ihre
Zahnschmerzen jetzt ganz weg?”, fragt er einen Mann
im Rollstuhl, den er vorgestern zum Zahnarzt beglei-
tet hat. Dann wieder steckt er den Kopf in eine Wohn-
küche hinein, in der einige Bewohnerinnen gerade
frühstücken und wechselt ein paar Worte mit ihnen.
“Offenheit ist hier ganz wichtig”, meint der junge
Mann. Er habe gelernt, Hemmschwellen zu überwinden.
“Ich hatte immer Respekt vor körperlichem Kontakt,
aber hier merkt man, dass es selbstverständlich ist,
einen gehbehinderten Menschen unterzuhaken oder
auch das Essen anzureichen, wenn jemand es nicht
mehr selbst zu sich nehmen kann.”
“Wenn es schon eine Zivildienst-Pflicht gibt, dann
soll mein Dienst Sinn machen”, meint Nico Ramsthal.
Deshalb ist er auch von der ersten Einsatzstelle, wo
er unzufrieden war, in das Altenheim der Stiftung
Friedehorst gewechselt: “Ich wollte ein professionelles
Umfeld, wo ich wirklich gebraucht werde. Hier im
Almata-Stift stimmt das Arbeitsklima.”
Er hatte Lust, die Arbeit mit älteren Menschen ken-
nenzulernen. “Meine eigenen Großeltern sind noch
fit, aber hier habe ich begonnen nachzudenken, was
eigentlich passiert, wenn Menschen pflegebedürftig
werden.” Die Bürokratisierung, aber auch die qualifi-
zierte und zugleich kräftezehrende Tätigkeit der Al-
tenpflegerinnen und Altenpfleger bei gleichzeitig ge-
ringer Bezahlung – all das bekommt Nico Ramsthal
hautnah mit. “Lebenslang mit Krankheit, Leiden und
Tod zu tun zu haben, ist eine Herausforderung.” Um-
so größer ist sein Respekt vor dem Engagement. “Die
Leute hier tun ihre Arbeit mit Herzblut, auch wenn
gesellschaftliche Wertschätzung und Aufstiegs-
möglichkeiten nur begrenzt vorhanden sind.”
Nach dem Abi hat der 21-Jährige seinen neunmona-
tigen Zivildienst begonnen. “Ende Mai bin ich fertig, wür-
de aber gern noch bis zum Sommer verlängern. Ein Jahr
ist ein guter Zeitraum, wenn man danach direkt eine
Ausbildung oder ein Studium anschließen will.” Leer-
lauf ist nicht seine Sache. Pläne für danach hat er
auch schon: Entweder eine Pilotenausbildung oder ein
Studium, vielleicht im Bereich Seefahrt, Tourismus,
Lehramt oder Gesundheitswesen.
Der Zivildienst soll nach Plänen der Bundesregierung
ab 2011 auf sechs Monate verkürzt werden – eine
Herausforderung für die Zivis, wie für die Einsatzstellen.
“Das wird nicht funktionieren und ist zu kurz, denn
viele Zivis hätten dann sechs Monate Pause, bis es
für sie weitergeht”, meint Nico Ramsthal.
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutsch-
land, Bischöfin Margot Käßmann sieht im Zivildienst
“eine große Chance für das soziale Geflecht in un-
serem Land”. Dennoch sei der Zivildienst eine Konse-
quenz aus der Wehrpflicht. Sie werbe für eine Ab-
schaffung der Wehrpflicht und den Ausbau des Frei-
willigen Sozialen Jahres, erläutert die Bischöfin, die
auch Präsidentin der Zentralstelle für Recht und Schutz
der Kriegsdienstverweigerer ist. “Ich plädiere für einen
freiwilligen Dienst, statt für einen Pflichtdienst.”
Text & Fotos: Matthias Dembski
Zivildienst in Kirche & Diakonie
Diakonisches Werk Bremen, Johannes Wicke
Contrescarpe 101, 28195 Bremen
Telefon 0421/16 38 4-12
Sozialer Friedensdienst Bremen (SFD)
Dammweg 18-20, 28211 Bremen
Telefon 0421/34 23 99
www.diakonie-bremen.de
www.sfd-bremen.de
www.friedehorst.de
www.zentralstelle-kdv.de
Einspringen, wo’s nötig ist Alltag eines “Zivis”
www.kirche-bremen.de · bremer kirchenzeitung Dezember 2009 23
Der Schlosser Ralph Dubbert (51) und der Elektriker
Peter Fähloh (55) sind arbeitslos, haben aber trotzdem
eine Aufgabe. „Unser Job ist ziemlich kreativ und vor
allem sinnvoll“, sagt Dubbert. Sie sind als „Ein-Euro-
Jobber“ für sechs Monate Energie-Berater der
„Aktion Stromspar-Check“.
Die Aktion ist ein bundesweit es Projekt bis Ende
2010, an dem bisher 15.900 Haushalte teilgenommen
haben und in dem rund 750 arbeitslose „Stromspar-
helfer“ beschäftigt sind. Mit messbarem Erfolg: Allein
beim Stromverbrauch lassen sich pro Haushalt 89
Euro jährlich einsparen.
Stromfressern auf der Spur
In Bremen koordiniert Lars Stellmacher von der Caritas
die Aktion. „Bei uns nehmen bereits 128 Haushalte
an dem Stromspar-Check teil“, sagt Stellmacher. Sein
Team besteht aus zwölf Langzeitarbeitslosen. In klei-
nen Einheiten von je zwei Mann rücken die Energie-
Berater den Stromfressern zu Leibe. Das schont nicht
nur das Portemonnaie der Betroffenen, sondern unter-
stützt auch den Klimaschutz. Teilnehmen kann nur, wer
Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Wohngeld bekommt.
Das sind nicht wenige: „Allein in Bremen haben wir
40.000 Haushalte, die für unser Projekt in Frage
kommen“, erläutert Lars Stellmacher.
Nach einer internen Schulung ist jeder Stromspar-
Detektiv maximal ein Jahr lang im Dienst. Bewaffnet
mit Taschenlampe, Messgeräten und einem ausführ-
lichen Fragebogen, prüfen die Berater den Verbrauch
von Strom, Heizung und Wasser. Dabei erhalten sie
nicht nur wichtige Messergebnisse, sondern immer
wieder überraschende Einblicke: „Da mache ich zum
Beispiel einen Kühlschrank auf, um das Typenschild
mit der Verbrauchsangabe zu finden“, erzählt Ralph
Dubbert. “Und dann kucken mich da die glasigen
Augen von einem toten Fisch an. Der sollte wohl am
Abend in den Kochtopf.“
Gratis-Paket senkt Stromverbrauch
Fachwissen, Fingerspitzengefühl und hin und wieder
auch starke Nerven sind die wichtigsten Voraussetz-
ungen für die Arbeit. Zwei Termine haben die Bera-
ter in jedem Haushalt: Einmal, um die Mängel zu fin-
den und einmal, um sie zu beheben. Beim zweiten
Termin erhalten die Teilnehmer ein Gratis-Paket im
Wert von 70 Euro, in dem Dinge enthalten sind, mit
denen der Verbrauch gesenkt werden kann. Zum Bei-
spiel Energiespar-Lampen. Die bringen Ralph Dubbert
und Peter Fähloh bei einer alleinerziehenden Mutter
in der Vahr vorbei. Yasemin C. hat einen fünfjährigen
Sohn und eine dreijährige Tochter. Den Tipp für den
Stromspar-Check hat sie von einem Verwandten be-
kommen: „Der Sohn meines Onkels hat das auch ge-
macht“, erzählt sie. Die beiden Berater sind zufrieden
mit ihrer „Kundin“. „Sogar Wasser ist gut ausgenutzt,
da kann man kaum noch sparen“, erklärt Ralph Dub-
bert. Aber beim Strom gibt es noch Potential, betont
Peter Fähloh: „Durch die Energiespar-Leuchten kann
man 92 Euro pro Jahr sparen. 15 Euro kommen noch
einmal dazu, wenn man Standby bei Fernseher und
Computer konsequent ausschaltet.“ Ein ordentlicher
Batzen bei dem bisherigen Stromverbrauch 475 Euro
im Jahr.
Geldbeutel entlasten – Umwelt schonen
Nicht jeder Haushalt ist so gut durchdacht. Ralph
Dubbert schüttelt den Kopf: „Da kann man Geschich-
ten erzählen …“ Zum Beispiel von dem Wohnzimmer,
in dem die Heizung komplett hinter Sofa und Vor-
hängen verschwand und die Wärme dahinter aus dem
geöffneten Fenster entwich. Oder von dem Kühlschrank,
der direkt neben dem E-Herd stand und so regelmäßig
angewärmt wurde. Manchmal wird es sogar gefähr-
lich: „Wir hatten einmal einen Gasherd, über dem der
offene Kabelsalat aus dem Schrank hing“, erzählt er.
Ralf Dubbert sieht dem Ende seiner „Dienstzeit“ mit
Wehmut entgegen: „Mir hat es viel Spaß gemacht,
dass ich Menschen praktische Tipps geben konnte, die
ihren Geldbeutel entlasten und die Umwelt schonen.”
Text & Foto: Corinna Tonner
Retusche: Ulrike Rank
Energieberatung für Haushalte mit
geringem Einkommen
Caritas Bremen
Lars Stellmacher
Telefon 0162/10 64 828
www.caritas-bremen.de
www.stromspar-check.de
Energiespartipps für Menschenmit geringem Einkommen
Die Stromspardetektive
24 bremer kirchenzeitung Dezember 2009 · www.kirche-bremen.de
Studiert hat Sekou Bangoura einst in Bremen: Archi-
tektur, später kam noch Sozialpädagogik dazu. Heute
arbeitet er als praktischer Entwicklungshelfer in sei-
ner westafrikanischen Heimat Guinea, gründete eine
nichtstaatliche Hilfsorganisation und baut Schulen.
Das Wissen aus Deutschland hilft ihm, die Selbsthilfe-
projekte an den Start zu bringen: Dorfbewohner bauen
selbst die Schulen, denn gerade auf dem Land gibt
es in Guinea weit und breit keine Bildungsangebote
für ihre Kinder.
Sekou Bangoura kümmert sich sowohl um die archi-
tektonische, wie die pädagogische Planung: “Bildung
ist die einzige Chance für eine bessere Zukunftsper-
spektive, damit die Leute in Guinea bleiben”, erklärt
Bangoura, der exzellent Deutsch spricht. Nur knapp
45 Prozent der neun Millionen Einwohner können
schreiben und lesen.
Die Schulen bauen Einheimische, meist Bauern, die
Bangoura zu Bauhandwerkern qualifiziert und die ohne
Lohn arbeiten – mit der Aussicht, dass ihre Kinder
später diese Schulen kostenfrei besuchen können. In
jedem der beiden Dörfer wurde ein Trägerverein ge-
gründet: “Alle Dorfbewohner, egal ob jung oder alt,
Frauen wie Männer sind gleichberechtigt beteiligt.”
In den Orten Fodeya und Kanty laufen mittlerweile
zwei Schulprojekte, weitere Dörfer signalisieren be-
reits Intereresse. 88 Schüler besuchen die Schule in
Fodeya, die im vierten Jahr läuft. Die angebotene
Grundschulausbildung ist auf sechs Jahre angelegt,
der Rotary Club Oyten finanziert die drei Lehrer, die
Dorfbewohner stellen Unterkunft und Verpflegung.
Im Juli konnte dort ein Brunnen mit Handpumpe in
Betrieb gehen. “Ganz wichtig für eine Region, in der
bis dahin immer wieder die Cholera grassiert”, erklärt
Sekou Bangoura. Bis zu 1080 Liter sauberes Wasser holt
die Handpumpe in der Stunde aus 40 Metern Tiefe.
In Kanty werden künftig 150 Schüler erwartet. “Die
Nachfrage ist riesig. Wir nehmen bevorzugt die Kin-
der der Bauarbeiter und Waisen auf.” Zwar stehen
schon Lehrer in den Startlöchern, doch muss der Bau
noch vollendet werden: Insgesamt 7.800 Euro für Fens-
ter, die WCs und die Klärgrube, die Möblierung und
die Inneneineinrichtung fehlen noch.
Um das Geld dafür zusammen zu bekommen, setzt die
eigens gegründete staatsunabhängige Entwicklungs-
organisation Agence Lönni Bankhi (ALB) vor allem
auf Selbsthilfe: “Wir haben 2008 eine Mensa in Kindia
eröffnet, die auch ein öffentliches Restaurant ist, das
bislang am Ort fehlte. Die Erlöse finanzieren die
Arbeit der Schulen mit.” Geld, das dringend nötig
ist, denn in den Schulen werden viele Waisenkinder
kostenlos verpflegt. “Aufgrund der schlechten medi-
zinischen Versorgung auf dem Land stirbt jede drit-
te Frau bei der Geburt.” Meist gibt es nur eine
Mahlzeit am Tag: Reis und Trockenfisch, die meisten
Menschen werden nicht älter als 40 Jahre.
Hilfe zur Selbsthilfe betreibt die ALB auch mit ihren
selbst angepflanzte Ananasplantagen: “Dieses Jahr
fiel die Ernte mit 10 Tonnen besser aus. Pro Kilo ha-
ben wir umgerechnet 20 Cent bekommen”, freut
sich Sekou Bangoura. Vor allem ein Pfänzchen soll
künftig noch kräftiger wachsen: Die Bildung.
Bildung für GuineaWie ein ehemaliger Bremer Student
in seiner westafrikanischen Heimat
erfolgreich Schulen baut
SelbsthilfeprojektProjekt "Bildung für alle"
der Agence Lönni Bankhi
Kontakt zum Projektleiter in Guinea:
Sekou Tai Bangoura
Weitere Informationen zum Projekt:
Veronika Kroeker, forum Kirche
Telefon 0421/34 69 476 bzw. 346 15-51
Spendenkonto:
ALB (Agence Lönni Bankhi)
Konto-Nr. 169 080 00
BLZ 291 656 81
bei der Volksbank Sottrum
Verwendungszweck: Spende Schulprojekt Guinea
www.lonnibankhi.org
Was bewegt Sie? Wie können wir Ihnen helfen? Was möchten Sie wissen?
! P r o j e k t e , H i l f e u n d A k t i o n e n
TATENDRANG
Sie haben Fragen zu Angeboten und Veranstaltungen von Kirche und Diakonie?
Sie suchen ein Projekt, das sie unterstützen möchten?
Sie möchten sich ehrenamtlich in Kirche oder Diakonie engagieren?
Sie möchten wieder in die Kirche eintreten oder haben Fragen zu Taufe,
Konfirmation, Hochzeit oder Beerdigung?
Ihr Evangelisches Informationszentrum Kapitel 8Domsheide 8 . Telefon 33 78 220 . [email protected] . www.kapitel8.de
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 12.30 - 18.30 Uhr, Samstag 11-14 Uhr