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Ulrike Strauss
Das Orchester Joseph HaydnsEin Komponist
und seine wegweisenden Neuerungen
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ISBN 978-3-8316-0832-4
Printed in Germany
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Inhalt
Vorwort · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · 7
Kurzer Überblick über die Entwicklung des Orchesters bis zu Haydn · · · · 9
Haydns Orchesterbesetzung, aufgezeigt anhand von Dokumenten · · · · · 19
Bis 1761 (vor der Zeit bei Esterházy) · · · · · · · · · · · · · · 19
1761 bis 1790 (bei Fürst Paul Anton und Fürst Nikolaus von Esterházy) · 29
1790 bis 1796 (London – das Orchester Salomons) · · · · · · · · · 77
Ab 1796 (das Esterházy’sche Orchester nach der Neugründung) · · · · 79
Übersicht über das Haydn’sche Orchester bei Esterházy von 1761 bis 1790 · · 83
Haydns Orchestertypus, betrachtet anhand von Partituren · · · · · · · 87
Instrumentale Ausweitungen und Einengungen · · · · · · · · · · 87
Haydns Sinfonieorchester und sein dramatisches Orchester · · · · · · 97
Die Instrumente des Haydn’schen Orchesters · · · · · · · · · · · 101
Holzblasinstrumente · · · · · · · · · · · · · · · · · · 101
Sonderfall Klarinette · · · · · · · · · · · · · · · · · · 105
Blechblasinstrumente · · · · · · · · · · · · · · · · · · 108
Streicher · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · 110
Andere Instrumente · · · · · · · · · · · · · · · · · · · 111
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Stilgeschichtliche Aspekte und Bedeutung des Haydn’schen Orchesters · · 113
Haydns differenziertes Klangmaterial · · · · · · · · · · · · 113
Die neue Instrumentationstechnik · · · · · · · · · · · · · · 117
Schlussbetrachtung · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · 125
Anhang · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · 129
Bibliographie · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · 129
Hilfsmittel · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · 131
Verzeichnis der Dokumente · · · · · · · · · · · · · · · · 132
Bildnachweis · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · 134
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Vorwort
Vorworte sind eigentlich überflüssig; und trotzdem ist man mehr oder weniger gezwungen, ein solches zu schreiben. Ich gehe von mir selbst aus und glaube auch von weiteren grob geschätzten 50 % der Leser zu wissen, die eilends das Vorwort überblättern, um zum eigentlichen Inhalt eines Buches zu gelangen. Und ich stehe sicherlich nicht alleine auf weiter Flur mit meiner Ansicht, siehe Paul Bek-ker, der im Vorwort zu seinem Buch »The Orchestra« folgendes bemerkt:
Während ich über ein Vorwort zu diesem Buch brüte, komme ich zu der Überzeugung, dass es nichts Überflüssigeres gibt als solche Vorworte. Die meisten von ihnen zeigen eine langweilige Ähnlichkeit mit den Einleitungs-reden der Spaßmacher im ›Sommernachtstraum‹ … Ich plagiarisiere: alles was ich zu sagen habe, ist Ihnen zu erklären, dass dies ein Buch über das Or-chester ist. Ich, der Autor dieses Buches, diese Meinungen meine Meinungen, und so weiter … 1
Ähnlich ergeht es mir: diese Arbeit entstand ursprünglich als Forschungsarbeit; das Thema fand ich seinerzeit zusammen mit meinem damaligen Professor, Dr. W. Schulze, und es war insofern eine Herausforderung, als zu Zeiten des Kalten Krieges sich nicht immer alle Bibliotheken und Archive kooperativ zeigten und man nur mit viel Geduld und manchmal auch einer gehörigen Portion Sturheit an die Quellen gelangen konnte – handelt es sich hier doch um eine Arbeit, de-ren ›Ursprünge‹ im österreichisch-ungarischen Grenzgebiet liegen und deren Forschungsunterlagen eben dort zu suchen sind.
Die Arbeit selbst soll – um es einmal grob zu umreißen – vertiefend sein im Hin-blick auf die Bildung des so genannten »Klassischen Orchesters«. Wenn wir da-von sprechen, machen wir uns eigentlich viel zu wenig bewusst, dass es tatsächlich ein langer und langwieriger Prozess war, bis das Klassische Orchester in seiner
1 Bekker, Paul: The Orchestra, S. XI, »Brooding over a foreword to this book I come to the convic-tion that there is nothing more superfluous than such forewords. Most of them show an annoy-ing similarity with the introductory speeches of the clowns in A Midsummer Night’s Dream … I plagiarize: all that I have to say, is to tell you that this book is a book on the orchestra. I, the author of this book, these opinions my opinions –, and so on.«
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Vorwort
Form dastand, wie wir es von Haydns Londoner Sinfonien gewohnt sind. Haydn hat sicher die entscheidende Rolle dabei gespielt; aus diesem Grunde sollte man in besonderem Maße das Augenmerk auf ihn und sein Orchester richten.
Danken möchte ich an dieser Stelle besonders zwei Menschen, die mein kindli-ches Interesse und meine Begabung in unnachahmlicher sowohl pädagogischer als auch fachlicher Weise gefördert und in die Bahnen gelenkt haben, die es mir letzt-lich ermöglichten, eine solche Arbeit in Angriff zu nehmen: meiner Musiklehre-rin Leni Baumann, einer begnadeten und außergewöhnlichen Musikpädagogin am Gymnasium; leider ist sie viel zu früh verstorben. Und meinem Klavierlehrer Helmut Widmann, der es nicht nur verstand, mir bereits als Kind Fingerübungen schmackhaft zu machen, sondern auch, mir die tieferen Zusammenhänge musika-lischer Werke nahezubringen und so das Verständnis dafür zu wecken.
Dank sei auch gesagt an KMD Georg Ziethe, der in äußerst uneigennütziger Weise sich, seine kostbare Zeit und sein Notenschreibprogramm am PC zur Verfügung stellte und damit eine professionelle Darstellung der Notenbeispiele ermöglichte; er war mir eine große Hilfe.
Bits, Bytes, Oberstriche, Tabellen, Formatierungen der besonderen Art: was wäre ich ohne meinen Mann Gerhard gewesen, der mir in dieser Hinsicht sehr geholfen hat? Danke, danke …
Mit meinen Bemühungen und den über einige Jahre währenden Recherchen hoffe ich, einmal mehr beizutragen zum Verständnis jener Epoche.
In diesem Sinne möchte ich abschließend noch einmal Paul Bekker zitieren:
Zum Schluss beziehe ich mich noch einmal auf mein liebes und verehrtes Modell ›Mondschein‹: … diese Fehler, meine Fehler. 2
München, im Juni 2008 Ulrike Strauss
2 Bekker, Paul: The Orchestra, S. XIII, »As fort he rest, I refer again to my dear and honored model, ›Moonshine‹: … these defects, my defects.«
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Kurzer Überblick über die Entwicklung des Orchesters bis zu Haydn
Sprechen wir heute von Joseph Haydn, so entstehen vor unserem geistigen Auge zwei Bilder, die beide bis zu einem gewissen Grad sicherlich gerechtfertigt sind, die aber oft einer wissenschaftlichen Grundlage entbehren: zum einen ist es das vom ›Papa Haydn‹, von dem Ernst Bücken folgendes sagt:
Noch immer hat unsere Zeit sich nicht ganz von der Vorstellung jenes Haydn-Bildes befreien können, das die Romantik gezeichnet und uns hin-terlassen hat: für sie war Haydns Welt das Reich ewiger Heiterkeit. 3
Und zum anderen ist es das ›Genie Haydn‹, das uns vorschwebt, und das Mel-lers so charakterisiert:
Joseph Haydn (1732–1809) war ein revolutionärer Komponist, ohne es be-wusst sein zu wollen, ja vielleicht sogar, ohne es bewusst zu erkennen: 4
Letztere Behauptung ist mit einem Fragezeichen zu versehen; es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass Haydn selbst einmal bemerkt hat, er habe ›experi-mentieren‹ können – und mit dieser Bemerkung scheint er sich sehr wohl der Tatsache bewusst gewesen zu sein, etwas Neues und bisher noch nicht Dagewe-senes geschaffen zu haben.
Und noch ein anderes Faktum ist hier nicht ganz ohne Bedeutung: Haydn di-rigierte – obwohl er das in Esterház abgeschafft hatte (also ganz revolutionär!) – in London vom Cembalo aus, um die Gewohnheiten der Engländer nicht um-zukrempeln.
3 Bücken, Ernst: Geschichte der Musik, S. 174
4 Mellers, Wilfried: Musik und Gesellschaft, S. 34
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Kurzer Überblick über die Entwicklung des Orchesters bis zu Haydn
Dass er revolutionär war, das steht für jeden, der sich näher mit Haydn befasst, außer Zweifel. Aber wie kann ein Mensch – so fragt man sich sofort – revolu-tionär sein? Um etwas in Bewegung zu setzen und letztlich zu verändern, muss dieses Etwas ja schon vorhanden sein. Haydn als ›Schöpfer des Klassischen Or-chesters‹ war also gerade nicht der Schöpfer eines solchen. Wäre er das gewesen, so hätte er aus dem Nichts, aus keinerlei Tradition heraus, sich Instrumentalisten zu einem Klangkörper zusammengesetzt. Und gerade das tat er nicht; er konnte es überhaupt nicht tun. Er kam aus einer Tradition (die es im Folgenden genauer zu betrachten gilt), und diese Tradition formte er nun weiter, bzw. um und ent-wickelte daraus neue Formen. Nur unter diesem Aspekt kann man Haydn als ›Schöpfer‹ bezeichnen; immer muss man dabei im Auge behalten, dass er im besten Sinne entwickelte, nicht neu schuf.
Wie bereits oben angedeutet, kam Haydn von einer Tradition her. Er kannte also einen gewissen Orchestertypus – nämlich den des Barockorchesters –, und auch dieser war im Laufe einer längeren Entwicklung entstanden. Die gesamte Evolution des Orchesters und der damit verbundenen Orchestrierung beruht auf einer langen Geschichte, abhängig von den verschiedensten Faktoren sozio-logischer, instrumentaler (sowohl Bau als auch Technik und Verwendung im so-zialen Umfeld) und nicht zuletzt finanzieller Gegebenheiten.
Auf einen Nenner gebracht könnte man es mit Adam Carse folgendermaßen formulieren:
Eng und untrennbar mit der Geschichte der Orchestrierung verbunden sind: Fortschritt in Kunst und Technik der musikalischen Komposition; Weiterentwicklungen im Instrumentenbau, die beide wiederum assoziiert sind mit der Zunahme der musikalischen Technik … Einflüsse, die zweifels-ohne einen nicht unbeträchtlichen Effekt auf das gesamte Thema hatten, sind diejenigen der Umstände und Bedingungen, unter denen Komponis-ten ihrer Arbeit nachgingen, auch die Positionen, die von den Männern sowohl sozial als auch geographisch eingenommen wurden, die Musikge-schichte schrieben … Andere Einflüsse entstanden aus der nationalen oder politischen Geschichte … ökonomischen Bedingungen … der Herstellung von Musikinstrumenten … den Geschmäckern und Trends der Gesellschaft
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Haydns Orchesterbesetzung, aufgezeigt anhand von Dokumenten
Bis 1761 (vor der Zeit bei Esterházy)
Leben und Wirken Joseph Haydns fällt in eine Zeit großer Umwälzungen auf dem Gebiete der Weltanschauung, Politik und Kunst. Gleich jeder ge-nialen Persönlichkeit ist Haydn in seinem Werk den geistigen Strömungen der Epoche unterworfen, wie er sie andererseits auch mitbestimmt. 15
Aus diesem Grunde ist es richtig, nicht sofort mit Haydns Zeit beim Fürsten Esterházy zu beginnen (wenngleich man hier doch wohl von einem Orchester sprechen kann), sondern man muss – um Haydns Entwicklung und die damit verbundene Entwicklung seines Orchesters zu verstehen – weiter zurückgehen zu den allerersten Anfängen, in denen Haydn bereits mit der ihn beeinflussen-den musikalischen Tradition und dem daraus resultierenden Instrumentalen-semble in Berührung kam.
Diese Tradition, auf der Haydn und zuvor seine Lehrer Franck in Hainburg und Reutter in Wien aufgebaut haben und von der auch Haydn – vor allem in seinen Anfangswerken – wesentlich geprägt war, wurde im vorherigen Kapitel versucht darzustellen und zu erläutern. Dort eben wurde auch klar, dass Haydn nicht der »Schöpfer« der Symphonie war; er hat sie aber zu einer meisterlichen Höhe geführt und ihre Form vollendet. Von seinen Vorgängern hatte er sowohl die Arbeits- als auch die Ausdrucksmittel übernommen, mit ihnen experimentiert (wie er sich selbst ausgedrückt hat) und damit eine Veränderung und Weiterent-wicklung dieser Mittel geschaffen.
15 Geiringer, Karl: Joseph Haydn, S. 6
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Haydns Orchesterbesetzung, aufgezeigt anhand von Dokumenten
Aber es ist sicherlich ein Irrtum, dass
Haydn ›der Vater des Quartetts und der Symphonie‹ sein soll. Dieses Schlagwort wurde im vorigen Jahrhundert (jetzt: vorvorigen, Anm. d. Verf.) leichtfertig von Stendhal geprägt und von den Musikern übernom-men, die sich im Allgemeinen herzlich wenig für Musikwissenschaft inter-essieren … es hat den Vorzug eines bequemen Schemas und erlaubt kurzweg und schwindelfrei, von Bach zu Mozart zu springen. Dabei ist in Wirklich-keit Haydn die vermittelnde Stufe … Haydn verwendet in seinen Werken ein künstlerisches Material, dessen Typen ihm von seinen Vorgängern un-mittelbar geliefert wurden … sein Genie offenbart sich in der meisterhaften Handhabung. 16
Wie sahen nun diese »Arbeitsmittel« aus, die Haydn übernahm, die er umwan-delte und aus denen er letztlich das Klassische Orchester formte?
Haydns erste Erfahrungen mit einem Orchester dürften wohl die in Hainburg gewesen sein, als er im Chor des Vetter Franck als Sängerknabe engagiert war. Dieses Orchester – für unsere Verhältnisse geradezu lächerlich klein – scheint überhaupt nicht wichtig zu sein, und doch bekam der kleine Haydn damals die Vorstellung eines ersten Klangerlebnisses, das er, bewusst oder unbewusst, in sich aufnahm. Gleichzeitig wird uns ein Eindruck vom musikalischen Leben in einem kleinen Landstädtchen vermittelt; dabei sollte man nicht übersehen, dass es sich hier in erster Linie um die Kirchenmusik handelt.
Ein Dokument vom 1. Januar 1734 blieb uns erhalten und gibt darüber Auf-schluss, was der Vetter Franck alles zu verwalten hatte. 17 Es handelt sich hierbei um eine Anweisung an Johann Mathias Franck, geschrieben vom Rat der Stadt Hainburg, in der verlangt wird, dass er
16 Barbaud, Pierre: Joseph Haydn, S. 7
17 Dieses Dokument und alle weiteren sind im Anhang chronologisch verzeichnet mit Quel-lenangabe, Aufbewahrungsort und Signaturnummer. Satzzeichen und Rechtschreibung werden originaltreu übernommen.
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Übersicht über das Haydn’sche Orchester bei Esterházy von 1761 bis 1790
– fast unbemerkt – immer mehr Musiker zur Verfügung gestanden haben. Sein Orchester wurde nicht nur größer, sondern auch differenzierter …
… und so konnte er sich auch – fast unbemerkt – zu dem entwickeln, als was er später galt.
Haydn war gewiss ein Genie; aber ohne die Hilfe und das Verständnis seines Fürsten Nikolaus I. hätte er nicht so genial wirken können. Er hatte die Mög-lichkeit zu experimentieren, und er hatte das entsprechende Orchester dazu. Ohne sein Ensemble von 1761 bis 1790 wäre er vielleicht nicht der Schöpfer des ›Klassischen Orchesters‹ geworden. Er selbst war es, der das Entscheidende dazu einmal formuliert hat: 124
Wenn mein Name einer rühmlichen Auszeichnung wert ist, so trat die Epo-che in jenem Augenblicke ein, in welchem der regierende Fürst Nikolaus, unter mehreren Beweisen der Großmut, auch meiner Freiheit einen größe-ren Spielraum anwies.
Übersicht über das Haydn’sche Orchester bei Esterházy von 1761 bis 1790
Vgl. Tabelle auf den folgenden Seiten
Die mit * bezeichneten Musiker wurden in den Musikerlisten unter einem ande-ren Instrument geführt; diese werden hier aufgeführt mit beiden Instrumenten, weil sie in den Dokumenten auch mit ihren Nebeninstrumenten genannt sind und diese somit als gesichert gelten können.
Tatsache ist, dass Haydns Musiker alle mehrere Instrumente beherrscht haben.
124 Burgenländische Forschungen, S. 80
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Übersicht über das Haydn’sche Orchester bei Esterházy von 1761 bis 1790
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Die Instrumente des Haydn’schen Orchesters
Holzblasinstrumente
In die Zeit Haydns fallen einige wichtige Entdeckungen und Erfindungen auf dem Gebiet des Instrumentenbaus, speziell der Blasinstrumente. Dieser Tatsa-che ist es zumindest teilweise zu verdanken, dass die Rolle der Bläser bei Haydn zu einer mit den Streichern gleichgestellten wurde, und das betrifft nicht nur die Quantität, sondern auch die der instrumentalen und kompositorischen Ausge-wogenheit.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden enorme Fortschritte erzielt in der Konstruktion der Holzblasinstrumente. Diese Fortschritte zeigen sich vor allem in der Hinzufügung von Klappen, die die Löcher abdecken, welche zwi-schen den Fingerlöchern lagen. Mit Hilfe der Klappenkonstruktion konnte ein Spieler leichter und exakter die Halbtöne anblasen und so eine genaue chroma-tische Tonreihe erzeugen. Bisher musste er nämlich Löcher nur halb abdecken oder die Finger »kreuzen« – eine außerordentliche Erschwerung des präzisen Spiels. Eine andere Methode bestand darin, die Löcher mit Wachs zu verschlie-ßen; hierzu findet man bei Michael Praetorius folgende Anmerkung: 131
… denn ob gleich fornen gar unten zwey Löcher neben einander seyn, so sind doch dieselbe beyde einerley am Thon, und allein dahin gerichtet, die-weil etliche Instrumentalisten die lincke, etliche aber die rechte Handt un-ten brauchen: Derowegen alsdenn eins unter solchen beyden Löchern mit Wachß verstopffet werden muß.
Praetorius spricht hier von der Blockflöte, erwähnt aber, dass die Querflöte wie die Blockflöte gespielt wird.
131 Praetorius, Michael: Syntagma Musicum II, S. 33
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Die Instrumente des Haydn’schen Orchesters
Zu Haydns Zeit war die Flöte schon etwas weiter entwickelt: sie hatte eine Klappe, nämlich das Dis. Diese Klappenkonstruktion bestand seit etwa Ende des 17. Jahrhunderts. Wichtig war auch die zur selben Zeit hinzugefügte koni-sche Bohrung, um die Überblastöne zu korrigieren. Das Instrument konnte in drei Teile zerlegt werden; wollte man eine größere Tiefe erreichen, setzte man den sogenannten »Fuß« an.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden vier neue Klappen hinzugefügt, und so kamen neue chromatische Töne zur Skala hinzu: F, Gis, B und C. Es ist nicht sicher, wer dieses System zum ersten Mal angewandt hat. Zwischen 1770 und 1780 tauchten sie auf in Leipzig bei Tromlitz und in Dresden bei Grenzer. Wei-ter finden wir von 1785 ein Patent in London auf den Namen eines gewissen Ri-chard Potter, der angeblich die »German flute« verbessert haben soll mit Dis-, Gis-, B- und F-Klappen.
Um 1790 unterscheiden die Händler zwei Arten: die Flöten deutscher oder Straßburger Art mit 1–3 Klappen und die Flöten englischer Art mit 4 Klappen und Metallauszügen.
Wie dem auch sei, auffallend ist die Tendenz, die Flöte mit einer immer grö-ßeren Anzahl von Klappen zu versehen. Carse bemerkt, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts Flöten mit teilweise acht Klappen konstruiert wurden, bevor dann die entscheidende Reorganisation durch Böhm erfolgte. 132
Welche Flöten von Haydns Musikern gespielt wurde, ist schwer festzustellen. Offensichtlich hat sich Haydn aber in der Tonart seiner Kompositionen nach den vorhandenen Instrumenten gerichtet. Die Flöten wurden D-Flöten genannt, weil sie zunächst auf der D-Dur-Skala aufbauten, bevor das Klappensystem voll entwickelt und ausgereift war.
Schließt man auf Haydns Kompositionen, so müssen seine Musiker recht früh die vierklappigen Instrumente benützt haben nach deren Erfindung.
132 vg. Carse, Adam: History of Orchestration, S. 172
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Holzblasinstrumente
Joseph Haydn: Symphonie Hob. Nr. 6 »Le Matin«, Takt 27–35/Flöte
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Im o. a. Beispiel bringt Haydn nur zweimal das Gis; dem kann man entnehmen, dass seine Musiker zu diesem Zeitpunkt die einklappige Flöte spielten. Dagegen setzt er bei seinen späteren Werken ganz offensichtlich in einer hohen Anzahl Töne ein, die nur mit der vierklappigen Flöte problemlos zu bewältigen sind.
Joseph Haydn: Londoner Symphonie Nr. 10, Takt 1–20/Flöte
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Wie die Flöte, so wurden auch die Oboen und Fagotte im Laufe des 18. Jahrhun-derts zunehmend mit Klappen versehen.
In dieser Zeit war am gebräuchlichsten die Oboe mit zwei Klappen (Gis und B). Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kamen noch zwei Klappen dazu für das tiefe C und Dis, und gelegentlich wurde eine weitere für das tiefe Cis angebracht. Dann konnten noch chromatische Töne erzeugt werden durch die Verdopplung der Löcher für den dritten und vierten Finger; sie waren normalerweise an den Oboen jener Zeit vorhanden.
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Anhang
Bibliographie
Baines, Anthony: Musikinstrumente, Die Geschichte ihrer Entwicklung und ihrer Formen, Prestel-Verlag, München 1962
Barbaud, Pierre: Joseph Haydn in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, rohwolts monogra-phien, Hrsg. Kurt Kusenberg, Februar 1968, 3. Auflage
Bartha, Dénes: Joseph Haydn, Gesammelte Briefe und Aufzeichnungen, Unter Benützung der Quellensammlung von H. C. Robbins Landon, Herausgegeben und erläutert von Dénes Bartha, Verlag Bärenreiter Kassel, Basel, Paris, London, New York 1965
Bekker, Paul: The Orchestra, W. W. Norton & Company New York, Copyright 1936, 2. Aufl. 1964
Bennwitz, Hanspeter: Kleines Musiklexikon/Sammlung Dalp, Francke Verlag, Bern und München 1963
Botstiber, Hugo: Die Instrumentation bei Joseph Haydn, Das Orchester, Amtliches Blatt des »Reichsverbandes deutscher Orchester und Orchestermusiker« (E. V.); 5 (1928) 20, S. 233–234; 5 (1928) 21, S. 245–246
Bücken, Ernst: Geschichte der Musik, Neubearbeitet von Dr. Jürgen Völckers, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 2. Auflage 1951
Burgenländische Forschungen: Herausgegeben vom Burgenländischen Landesarchiv, Festgabe anlässlich der 150. Wiederkehr des Todestages von Joseph Haydn, Heft 39, Johann Harich, Esterházy-Archiv, Eisenstadt: Esterházy-Musikgeschichte im Spiegel zeitgenössischer Textbücher, Eisenstadt 1959
Carse, Adam: The History of Orchestration, Dover Publications, Inc., New York
Dies, Albert Christoph: Biographische Notizen von Joseph Haydn, Nach mündlichen Erzäh-lungen desselben entworfen und herausgegeben von Albert Christoph Dies, Landschaftsma-ler, Wien 1810, Camesinaische Buchhandlung, Henschel-Verlag, Berlin, 2. Auflage 1962
Dorian, Frederick: The History of Music in Performance, The Art of Musical Interpretation from the Renaissance to Our Day, New York W. W. Norton & Company. Inc. N. Y. 1942
Erpf, Hermann: Lehrbuch der Instrumentation und Instrumentenkunde, B. Schott’s Sühne, Mainz 1959
Geiringer, Karl: Joseph Haydn, Der schöpferische Werdegang eines Meisters der Klassik, unter Mitarbeit von Irene Geiringer, B. Schott’s Söhne, Mainz 1959
Goldron, Romain: Von Bach bis Beethoven, Ex Libris Zürich und Editions Rencontre Lausanne, 1966
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Anhang
Bildnachweis
S. 35: Haydns Anstellungsvertrag, Staatsbibliothek München
S. 37: Quittung Haydns über sein erstes Gehalt Mai 1761, Haydn Yearbook IV
S. 44: Gehaltsabrechnungsliste der Musiker vom Monat Juni 1761, Haydn Yearbook IV
S. 56: Konventionsblatt Haydns 1771, Haydn Yearbook IV
S. 114: Darstellung der Oper »L’incontro improvviso«, Foto privat
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