Download - Der Astronaut Roman - Penguin Random House
Leseprobe
Andy Weir
Der Astronaut Roman
raquoldquoDer Astronautldquo macht richtig Spaszlig von der ersten Seite anlaquo Radio BonnRhein-Sieg
Bestellen Sie mit einem Klick fuumlr 1699 euro
Seiten 560
Erscheinungstermin 10 Mai 2021
Mehr Informationen zum Buch gibt es auf
wwwpenguinrandomhousede
ANDY WEIRBEI HEYNE
Der Marsianer
Artemis
Der Astronaut
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ANDY WEIR
DER ASTRONAUT
ROMAN
Aus dem Amerikanischenvon Juumlrgen Langowski
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAGMUumlNCHEN
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Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel PROJECT HAIL MARY
bei Ballantine Books New York
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten so uumlbernehmen wir fuumlr deren Inhalte keine Haftung
da wir uns diese nicht zu eigen machen sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveroumlffentlichung verweisen
Penguin Random House Verlagsgruppe FSCreg N001967
5 Auflage Deutsche Erstausgabe 52021
Redaktion Ralf-Oliver DuumlrrCopyright copy 2021 by Andy Weir
Copyright copy 2021 der deutschsprachigen Ausgabe und der Uumlbersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag Muumlnchenin der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Neumarkter Str 28 81673 MuumlnchenInnenillustrationen David Lindroth
Umschlaggestaltung Das Illustrat Muumlnchen unter Verwendungeines Motivs von grandeduciStockphoto
Satz KompetenzCenter MoumlnchengladbachDruck CPI Books GmbH
Printed in Germany
ISBN 978-3-453-32134-2
diezukunftde
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Fuumlr John Paul George und Ringo
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1raquoWas ist zwei plus zweilaquo
Aus irgendeinem Grund aumlrgert mich die Frage Ich bin muumlde Beinahe schlafe ich wieder ein
Ein paar Minuten vergehen dann houmlre ich sie wiederraquoWas ist zwei plus zweilaquoDer leisen Frauenstimme fehlt jedes Gefuumlhl und der Tonfall ist
genau derselbe wie beim letzten Mal Es ist ein Computer Ein Computer der mich nervt Meine Veraumlrgerung waumlchst
raquoLsmchnrlaquo sage ich und staune Eigentlich wollte ich sagen raquoLass mich in Ruhelaquo was meiner Ansicht nach eine absolut ver-staumlndliche Reaktion ist Aus irgendeinem Grund kann ich nicht richtig sprechen
raquoNicht korrektlaquo entgegnet der Computer raquoWas ist zwei plus zweilaquo
Zeit fuumlr ein Experiment Ich will versuchen raquoHallolaquo zu sagenraquoHarchlaquoraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoWas ist hier eigentlich los Das wuumlsste ich wirklich gern aber
ich habe nicht viele Anhaltspunkte Auszliger dem Computer kann ich nichts anderes houmlren Ich kann nicht einmal etwas fuumlhlen Nein das stimmt nicht Ich spuumlre etwas Ich liege auf etwas Weichem Auf einem Bett
Ich glaube meine Augen sind geschlossen Das ist gar nicht so schlecht Ich muss sie nur oumlffnen Ich versuche es aber nichts passiert
Warum bekomme ich die Augen nicht auf
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OumlffnenUuuuuund hellip oumlffnenVerdammt noch mal geht aufOh Gerade hat etwas gezuckt Die Augenlider haben sich be-
wegt Das konnte ich fuumlhlenGEHT AUFGanz langsam gehorchen die Augenlider gleiszligendes Licht faumlllt
auf die NetzhaumluteraquoNampflaquo sage ich und halte mit groumlszligter Willenskraft die Augen
offen Alles ist grellweiszlig und tut wehraquoAugenbewegung entdecktlaquo sagt meine Peinigerin raquoWas ist
zwei plus zweilaquoDas grelle Weiszlig schwaumlcht sich ab Meine Augen passen sich an
die Helligkeit an Ich erkenne Umrisse die mir aber noch nichts sagen Mal sehen hellip kann ich die Haumlnde bewegen Nein
Die Fuumlszlige Ebenfalls neinAber ich kann den Mund bewegen oder Ich habe etwas ge-
sagt Nichts Verstaumlndliches aber immerhinraquoVrrmplaquoraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoAllmaumlhlich schaumllen sich Umrisse heraus Ich liege in einem
Bett Es ist hellip oval geformtUumlber mir strahlen LED-Lampen Kameras in der Decke uumlber-
wachen jede Bewegung So unheimlich das auch auf mich wirkt die Roboterarme machen mir noch viel groumlszligere Sorgen
An der Decke haumlngen zwei Edelstahlausleger Beide sind mit beunruhigenden nach Penetration aussehenden Geraumlten be-stuumlckt wo die Haumlnde sein sollten Ich kann nicht behaupten dass mir der Anblick gefaumlllt
raquoVirchhellip iehellip rrrlaquo stoumlhne ich Ob das reichtraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoVerdammt Ich raffe meine ganze Willenskraft und meine inne-
re Staumlrke zusammen Auszligerdem gerate ich allmaumlhlich in Panik Na gut auch das kann ich nutzen
raquoVvvvviiiierrrlaquo sage ich endlich
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raquoKorrektlaquoGott sei Dank Ich kann sprechen IrgendwieErleichtert atme ich aus Moment mal ndash ich habe gerade meine
Atmung kontrolliert Ich hole noch einmal Luft Absichtlich Mein Mund brennt die Kehle ist wie ausgedoumlrrt Aber es ist mein Bren-nen Ich habe die Kontrolle
Ich trage eine Atemmaske Sie sitzt fest auf meinem Gesicht und ist mit einem Schlauch verbunden der uumlber meinem Kopf ver-schwindet
Kann ich aufstehenNein Aber ich kann den Kopf ein wenig bewegen Ich betrachte
meinen Koumlrper Ich bin nackt und mit mehr Schlaumluchen verbun-den als ich zaumlhlen kann Je einer steckt in den Armen und Beinen einer in meiner Herrenausstattung zwei fuumlhren unter dem Ober-schenkel entlang Vermutlich sitzt einer davon da wo niemals die Sonne scheint
Das verheiszligt nichts GutesAuszligerdem bin ich mit Elektroden zugepflastert Die Sensoren
aumlhneln denen eines EKG-Geraumlts aber sie sind uumlberall Na ja wenigstens kleben sie auf der Haut und sind nicht in mich hinein-gebohrt
raquoWahelliplaquo keuche ich Ich versuche es noch einmal raquoWo bin ichlaquoraquoWas ist die Kubikwurzel von achtlaquo fragt der ComputerraquoWo bin ichlaquo frage ich noch einmal Es geht schon besserraquoNicht korrekt Was ist die Kubikwurzel von achtlaquoIch hole tief Luft und spreche betont langsam raquoZwei mal e
hoch zwei-i-pilaquoraquoNicht korrekt Was ist die Kubikwurzel von achtlaquoMeine Antwort war aber gar nicht falsch Ich wollte nur sehen
wie schlau der Computer ist Nicht besonders wie mir scheintraquoZweilaquo antworte ichraquoKorrektlaquoIch warte auf weitere Fragen aber der Computer scheint zufrie-
den zu sein Ich bin muumlde und langsam daumlmmere ich weg
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Ich wache auf Wie lange habe ich geschlafen Anscheinend ziem-lich lange denn ich fuumlhle mich ausgeruht Ohne Schwierigkeiten oumlffne ich die Augen Das ist ein Fortschritt
Als Naumlchstes versuche ich die Finger zu bewegen Sie wackeln wie gewuumlnscht Alles klar Das wird schon wieder
raquoHandbewegung entdecktlaquo stellt der Computer fest raquoBleiben Sie ruhig liegenlaquo
raquoWas Warum helliplaquoDie Roboterarme naumlhern sich Sie sind sehr schnell Im Hand-
umdrehen haben sie mir die meisten Schlaumluche aus dem Koumlrper gezogen Ich habe uumlberhaupt nichts gespuumlrt Meine Haut ist ir-gendwie taub
Nur drei Schlaumluche sind noch da eine Infusion im Arm der Schlauch im Hintern und ein Katheter Die letzten beiden waumlre ich zwar gern so schnell wie moumlglich losgeworden aber seiʼs drum
Ich hebe den rechten Arm und lasse ihn wieder auf das Bett sinken Dann noch einmal das Gleiche mit dem linken Arm Sie fuumlhlen sich ungeheuer schwer an Ich wiederhole die Uumlbung eini-ge Male Meine Arme sind kraumlftig Das kann doch nicht sein Es sieht ganz danach aus als haumltte ich ein groumlszligeres gesundheitliches Problem gehabt und eine Weile in diesem Bett verbracht sonst haumltten sie mich ja wohl kaum an dieses ganze Zeug angeschlos-sen Aber haumltten dabei nicht meine Muskeln schrumpfen muumlssen
Sollten hier nicht auch Aumlrzte sein Oder wenigstens die Ge-raumlusche die man in einem Krankenhaus erwartet Und was ist mit dem Bett los Es ist nicht rechteckig sondern oval und ich glaube es ist in der Wand verschraubt statt auf dem Boden zu stehen
raquoNimm helliplaquo Ich muss noch einmal ansetzen ich bin immer noch muumlde raquoNimm die Schlaumluche rauslaquo
Der Computer reagiert nichtIch hebe noch einige Male die Arme und wackle mit den Zehen
Ja es wird allmaumlhlich besserDann bewege ich die Fuumlszlige Sie gehorchen Als Naumlchstes ziehe
ich die Knie an Auch meine Beine sind muskuloumls Nicht so mus-
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kuloumls wie bei einem Bodybuilder aber immer noch viel zu kraumlftig fuumlr jemanden der offensichtlich dem Tode nahe war Andererseits kann ich nicht genau sagen wie dick sie eigentlich sein sollten
Ich stemme die Haumlnde flach auf das Bett und druumlcke mich hoch Mein Oberkoumlrper hebt sich Ich kann mich tatsaumlchlich aufrichten Es erfordert meine ganze Kraft aber ich lasse nicht locker Sobald ich den Kopf weit genug gehoben habe sehe ich dass das Kopf- und das Fuszligende des ovalen Betts an stabilen Verankerungen in der Wand haumlngen Es ist eine Art starre Haumlngematte Eigenartig
Kurz danach sitze ich auf dem Schlauch in meinem Hintern Kein sehr angenehmes Gefuumlhl aber wann waumlre so ein Schlauch schon einmal angenehm gewesen
Jetzt kann ich mehr erkennen Es ist kein gewoumlhnliches Kran-kenzimmer Die Waumlnde sehen aus als waumlren sie aus Plastik und der Raum ist rund Aus den LED-Leuchten in der Decke strahlt grelles Licht
An den Waumlnden sind noch zwei weitere Haumlngemattenbetten verankert in denen Patienten liegen Wir sind in einem Dreieck angeordnet und die Folterarme sind zwischen uns an der Decke an gebracht Ich nehme an sie kuumlmmern sich um uns drei Patien-ten Von meinen Leidensgenossen kann ich nicht viel erkennen sie sind so tief im Bett versunken wie ich es war
Eine Tuumlr gibt es nicht Nur eine Leiter die zu einer hellip ist das eine Luke Sie ist rund und hat in der Mitte ein Handrad Ja es muss eine Art Luke sein Wie auf einem U-Boot Ob wir drei eine an-steckende Krankheit haben Vielleicht ist dies ein Quarantaumlne-zimmer Hier und da entdecke ich kleine Luumlftungs gitter in den Waumlnden und ich spuumlre einen leichten Luftstrom Es koumlnnte eine kontrollierte Umgebung sein
Ich schiebe ein Bein uumlber die Bettkante worauf die Liege wackelt Die Roboterarme rasen auf mich zu Ich zucke zusammen doch sie halten kurz vor mir inne und schweben in der Luft ndash be-reit mich aufzufangen falls ich stuumlrze
raquoVollstaumlndige Koumlrperbewegung entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen Sielaquo
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raquoIst das dein Ernstlaquo frage ichraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch oumlffne den Mund und will antwortenraquoAumlh helliplaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoSo langsam daumlmmert es mir Ich weiszlig nicht wer ich bin Ich
weiszlig nicht wo ich bin Ich weiszlig nicht was ich tun soll Ich erin-nere mich an rein gar nichts
raquoAumlhmlaquo mache ichraquoNicht korrektlaquoSchlagartig werde ich muumlde Es ist sogar ganz angenehm An-
scheinend hat mich der Computer uumlber die Infusion betaumlubtraquohellip haaaalt helliplaquo murmle ich nochDie Roboterarme legen mich sachte auf das Bett
Wieder wache ich auf Einer der Roboterarme beruumlhrt mein Ge-sicht Was macht er da
Ich schaudere eher erschrocken als alles andere Der Arm zieht sich auf seine Warteposition unter der Decke zuruumlck Ich taste mein Gesicht nach Verletzungen ab Auf einer Seite sind Stoppeln die andere ist glatt
raquoHast du mich rasiertlaquoraquoBewusstsein entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen SielaquoraquoDas weiszlig ich immer noch nichtlaquoraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch bin weiszlig maumlnnlich und spreche Englisch Also lassen wir
es mal darauf ankommen raquoJ-JohnlaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch ziehe die Infusionsnadel aus dem Arm raquoLeck mich dochlaquoraquoNicht korrektlaquo Der Roboterarm greift nach mir Ich rolle mich vom Bett herunter Das ist ein Fehler Die ande-
ren Schlaumluche sind noch angeschlossen Der Schlauch im Hintern rutscht einfach heraus Das spuumlre ich kaum Dagegen wird der ge-blockte Katheter extrem unsanft aus meinem Penis gerissen Das tut furchtbar weh als haumltte ich einen Golfball gepinkelt
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Schreiend winde ich mich auf dem BodenraquoPhysisches Leidenlaquo stellt der Computer fest Die Roboterarme
greifen nach mir Ich krieche uumlber den Boden um ihnen zu ent-kommen und kann unter einem Bett verschwinden Die Arme hal-ten kurz davor inne geben aber nicht auf Sie warten Sie werden von einem Computer gesteuert Ihre Geduld ist unendlich
Ich lasse den Kopf auf den Boden sinken und schnappe nach Luft Nach einer Weile ebben die Schmerzen ab und ich wische mir die Traumlnen ab
Ich habe keine Ahnung was hier los istraquoHelaquo rufe ich raquoIhr zwei da wacht auflaquoraquoWie heiszligen Sielaquo fragt der ComputerraquoEiner von euch Menschen wacht doch bitte auflaquoraquoNicht korrektlaquo sagt der ComputerMein Unterleib tut so weh dass ich lachen muss Es ist absurd
Auszligerdem wirkt das Endorphin und mir wird schwindlig Ich bli-cke wieder zum Katheter auf meiner Koje und schuumlttle verwundert den Kopf Das Ding hat in meiner Harnroumlhre gesteckt O Mann
Und es hat beim Herausreiszligen Schaden angerichtet Auf dem Boden entdecke ich ein wenig Blut Nur ein schmaler roter Strei-fen hellip
Ich schluumlrfte Kaffee schob mir das letzte Stuumlck Toast in den Mund und winkte der Kellnerin um zu bezahlen Ich haumltte mir das Geld sparen und zu Hause fruumlhstuumlcken koumlnnen statt jeden Morgen ein Lokal aufzusuchen Angesichts meines bescheidenen Gehalts waumlre das vermutlich sogar eine gute Idee gewesen Aber ich koche nicht gern und ich mag Eier mit Speck
Die Kellnerin nickte und ging zur Kasse um meine Rechnung auszudrucken In diesem Augenblick trafen neue Gaumlste ein denen sie zuerst noch einen Platz zuweisen musste
Ich sah auf die Uhr Es war kurz nach sieben Uhr Ich hatte es nicht eilig Ich musste erst um acht anfangen war aber meist schon um zwanzig nach sieben im Buumlro um mich auf den Tag vorzubereiten
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Ich zuumlckte das Handy und checkte meine E-Mails
AN Astronomische Kuriositaumlten astrocuriousscilistsorgVON (Dr Irina Petrowa) ipetrowagaoranruBETREFF Die duumlnne rote Linie
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich den Display Ich dachte ich haumltte mich von dieser Mailingliste abgemeldet Dieses Leben hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben Es war nicht viel was uumlber die Liste hereinkam aber wenn mich meine Erinnerung nicht trog waren die wenigen Beitraumlge meist recht interessant Nur ein paar Astronomen Astrophysiker und Experten auf anderen Ge-bieten die sich uumlber alles unterhielten was ihnen seltsam vor-kam
Ich warf einen Blick in Richtung Kellnerin Die neue Kundschaft hatte viele Fragen zur Speisekarte Wahrscheinlich wollten sie wissen ob es in Sallys Diner auch glutenfreie vegane Grashalme gab oder so Die lieben Leute in San Francisco konnten ziemlich anstrengend sein
Da ich nichts weiter zu tun hatte las ich die E-Mail
Hallo Kollegen ich bin Dr Irina Petrowa und ich arbeite am Pulkowo-Observatorium in Sankt Petersburg in Russland
Ich schreibe Ihnen weil ich Ihre Hilfe braucheSeit zwei Jahren arbeite ich an einer Theorie die mit Infra-
rot-Emissionen aus Nebeln zu tun hat In diesem Zusammen-hang habe ich detaillierte Beobachtungen zu einigen speziel-len Infrarotwellenbaumlndern durchgefuumlhrt Dabei bin ich auf etwas Seltsames gestoszligen ndash aber nicht in einem Nebel son-dern hier in unserem eigenen Sonnensystem
Ich habe eine sehr schwache aber erkennbare Linie ent-deckt die auf einer Wellenlaumlnge von 25984 Mikrometern infrarotes Licht abstrahlt Es gibt keine Schwankungen die Wellenlaumlnge ist anscheinend immer gleich
Ich sende eine Excel-Tabelle mit den Daten mit Auszligerdem
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habe ich ein paar neuere Darstellungen der Daten in Form eines 3-D-Modells angefertigt
Sie koumlnnen dem Modell entnehmen dass die Linie die Form eines Bogens hat der am Nordpol der Sonne entspringt und 37 Millionen Kilometer weit gerade aufsteigt Dann schwenkt sie scharf nach unten ab und entfernt sich in Rich-tung Venus von der Sonne Jenseits des Apex erweitert sich die gekruumlmmte Linie zu einem Trichter In der Naumlhe der Venus ist der Querschnitt so groszlig wie der Planet selbst
Das infrarote Leuchten ist sehr schwach Ich konnte es nur entdecken weil ich auf der Suche nach Infrarotemissionen von Nebeln sehr empfindliche Messgeraumlte eingesetzt habe
Um ganz sicherzugehen habe ich das Atacama-Observa-torium in Chile darum gebeten die Daten zu uumlberpruumlfen Meiner Ansicht nach ist es das beste Infrarotobservatorium weltweit Sie haben meine Erkenntnisse bestaumltigt
Es gibt viele Gruumlnde warum man im interplanetaren Raum Infrarotstrahlung findet Es koumlnnten Staubwolken oder andere Partikel sein die das Sonnenlicht reflektieren Oder es han-delt sich um eine Molekuumllansammlung die Energie absor-biert und im Infrarotbereich wieder abstrahlt Dies wuumlrde so-gar erklaumlren warum die Wellenlaumlnge immer gleich bleibt
Besonders interessant ist die Form des Bogens Zuerst nahm ich an es handelte sich um eine Ansammlung von Partikeln die sich an Magnetfeldlinien orientieren Doch die Venus be-sitzt kein nennenswertes Magnetfeld Keine Magnetosphaumlre keine Ionosphaumlre nichts Welche Kraumlfte sollten die Partikel zu ihr ziehen Und warum sollten sie dabei gluumlhen
Ich bin dankbar fuumlr alle Anregungen und Theorien
Was zum Teufel war das dennDie Erinnerung war schlagartig da Sie ist ohne Vorwarnung in
meinem Kopf aufgetauchtUumlber mich selbst habe ich dabei nicht viel herausgefunden Ich
lebe in San Francisco so viel weiszlig ich jetzt Und ich fruumlhstuumlcke
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gern Auszligerdem habe ich mich fruumlher mit Astronomie beschaumlftigt was ich aber jetzt anscheinend nicht mehr mache
Mein Gehirn war wohl der Ansicht es sei wichtig mich an die E-Mail zu erinnern und nicht an so triviale Dinge wie meinen Namen
Mein Unterbewusstsein will mir etwas mitteilen Die Blutspur auf dem Boden hat mich anscheinend an die raquoduumlnne rote Linielaquo in der E-Mail erinnert Aber was hat das mit mir zu tun
Ich rutsche unter dem Bett hervor und lehne mich an die Wand Die Roboterarme tasten nach mir erreichen mich aber nicht
Es ist an der Zeit einen Blick auf meine Mitpatienten zu werfen Ich weiszlig nicht wer ich bin und warum ich hier bin aber wenigs-tens bin ich nicht allein und hellip sie sind tot
Eindeutig Direkt neben mir liegt eine Frau glaube ich Jeden-falls hatte sie lange Haare Davon abgesehen ist sie groumlszligtenteils mumifiziert Ausgetrocknete Haut haumlngt auf den Knochen Es riecht nicht Hier verwest nichts Sie ist offensichtlich schon lange tot
Der zweite Patient war ein Mann Er scheint sogar noch laumlnger tot zu sein Seine Haut ist nicht nur trocken und ledrig sondern zerkruumlmelt bereits
Na gut Also bin ich hier in der Gesellschaft von zwei Leichen Ich sollte es widerlich und entsetzlich finden aber das gelingt mir nicht Sie sind schon vor so langer Zeit gestorben dass sie kaum noch wie Menschen aussehen Eher wie Halloween-Dekorationen Ich hoffe ich war nicht mit ihnen befreundet Falls doch dann werde ich mich hoffentlich nicht daran erinnern
Tote Menschen sind eine Sache Groumlszligere Sorgen bereitet mir die Tatsache dass sie schon so lange hier liegen Selbst aus einem Quarantaumlnebereich wuumlrde man Tote entfernen oder Was hier schieflaumluft muss ziemlich uumlbel sein
Ich stehe auf Es geht nur langsam und ist ziemlich anstren-gend Ich halte mich an der Bettkante von Frau Mumie fest Die Liege wackelt und ich schwanke mit bleibe aber aufrecht stehen
Die Roboterarme fischen nach mir und ich schmiege mich wie-der an die Wand
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Ich bin ziemlich sicher dass ich im Koma gelegen habe Genau Je laumlnger ich daruumlber nachdenke desto klarer wird es
Ich kann nicht sagen wie lange ich schon hier bin aber wenn ich zur gleichen Zeit wie meine Zimmergenossen hier angekom-men bin muss es eine ganze Weile her sein Ich reibe mir uumlber das halb rasierte Gesicht Die Roboterarme sind faumlhig bewusstlose Patienten laumlngere Zeit zu versorgen Noch ein Beweis dafuumlr dass ich im Koma gelegen habe
Vielleicht kann ich die Luke erreichenIch mache einen Schritt dann noch einen Und dann sinke ich
zu Boden Es ist zu anstrengend Ich muss mich ausruhenWarum bin ich trotz meiner gut ausgebildeten Muskeln so
schwach Warum habe ich uumlberhaupt Muskeln wenn ich im Koma war Ich sollte ein verwittertes duumlrres Buumlndel sein und kein stram-mer Rettungsschwimmer
Ich habe keine Ahnung was hier laumluft Was soll ich jetzt tun Bin ich wirklich krank Ich meine natuumlrlich fuumlhle ich mich mise-rabel aber nicht krank Mir ist nicht uumlbel ich habe keine Kopf-schmerzen Fieber habe ich wohl auch nicht Wenn ich nicht krank bin warum habe ich dann im Koma gelegen Eine schwere Verletzung
Ich taste meinen Kopf ab Keine Schwellungen Narben oder Verbaumlnde Auch der Rest meines Koumlrpers kommt mir ziemlich sta-bil vor Mehr als stabil Ich habe sogar einen Waschbrettbauch
Am liebsten wuumlrde ich ein Nickerchen machen aber ich kaumlmp-fe gegen die Muumldigkeit an
Es wird Zeit es noch einmal zu versuchen Ich stemme mich wieder hoch Es ist wie Gewichtheben geht dieses Mal aber etwas leichter Wie es scheint erhole ich mich langsam Hoffentlich
Ich schlurfe an der Wand entlang und stuumltze mich mit dem Ruumlcken genauso stark ab wie mit den Fuumlszligen Die Roboterarme tas-ten staumlndig nach mir aber ich bleibe auszliger Reichweite
Ich keuche und japse und fuumlhle mich als waumlre ich einen Mara-thon gelaufen Vielleicht habe ich eine Lungenentzuumlndung Viel-leicht bin ich zu meinem eigenen Schutz in Isolation
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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ANDY WEIRBEI HEYNE
Der Marsianer
Artemis
Der Astronaut
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ANDY WEIR
DER ASTRONAUT
ROMAN
Aus dem Amerikanischenvon Juumlrgen Langowski
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAGMUumlNCHEN
Weir_Der Astronaut 5 Auflageindd 3Weir_Der Astronaut 5 Auflageindd 3 180821 0933180821 0933
Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel PROJECT HAIL MARY
bei Ballantine Books New York
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Umschlaggestaltung Das Illustrat Muumlnchen unter Verwendungeines Motivs von grandeduciStockphoto
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Printed in Germany
ISBN 978-3-453-32134-2
diezukunftde
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Fuumlr John Paul George und Ringo
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1raquoWas ist zwei plus zweilaquo
Aus irgendeinem Grund aumlrgert mich die Frage Ich bin muumlde Beinahe schlafe ich wieder ein
Ein paar Minuten vergehen dann houmlre ich sie wiederraquoWas ist zwei plus zweilaquoDer leisen Frauenstimme fehlt jedes Gefuumlhl und der Tonfall ist
genau derselbe wie beim letzten Mal Es ist ein Computer Ein Computer der mich nervt Meine Veraumlrgerung waumlchst
raquoLsmchnrlaquo sage ich und staune Eigentlich wollte ich sagen raquoLass mich in Ruhelaquo was meiner Ansicht nach eine absolut ver-staumlndliche Reaktion ist Aus irgendeinem Grund kann ich nicht richtig sprechen
raquoNicht korrektlaquo entgegnet der Computer raquoWas ist zwei plus zweilaquo
Zeit fuumlr ein Experiment Ich will versuchen raquoHallolaquo zu sagenraquoHarchlaquoraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoWas ist hier eigentlich los Das wuumlsste ich wirklich gern aber
ich habe nicht viele Anhaltspunkte Auszliger dem Computer kann ich nichts anderes houmlren Ich kann nicht einmal etwas fuumlhlen Nein das stimmt nicht Ich spuumlre etwas Ich liege auf etwas Weichem Auf einem Bett
Ich glaube meine Augen sind geschlossen Das ist gar nicht so schlecht Ich muss sie nur oumlffnen Ich versuche es aber nichts passiert
Warum bekomme ich die Augen nicht auf
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OumlffnenUuuuuund hellip oumlffnenVerdammt noch mal geht aufOh Gerade hat etwas gezuckt Die Augenlider haben sich be-
wegt Das konnte ich fuumlhlenGEHT AUFGanz langsam gehorchen die Augenlider gleiszligendes Licht faumlllt
auf die NetzhaumluteraquoNampflaquo sage ich und halte mit groumlszligter Willenskraft die Augen
offen Alles ist grellweiszlig und tut wehraquoAugenbewegung entdecktlaquo sagt meine Peinigerin raquoWas ist
zwei plus zweilaquoDas grelle Weiszlig schwaumlcht sich ab Meine Augen passen sich an
die Helligkeit an Ich erkenne Umrisse die mir aber noch nichts sagen Mal sehen hellip kann ich die Haumlnde bewegen Nein
Die Fuumlszlige Ebenfalls neinAber ich kann den Mund bewegen oder Ich habe etwas ge-
sagt Nichts Verstaumlndliches aber immerhinraquoVrrmplaquoraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoAllmaumlhlich schaumllen sich Umrisse heraus Ich liege in einem
Bett Es ist hellip oval geformtUumlber mir strahlen LED-Lampen Kameras in der Decke uumlber-
wachen jede Bewegung So unheimlich das auch auf mich wirkt die Roboterarme machen mir noch viel groumlszligere Sorgen
An der Decke haumlngen zwei Edelstahlausleger Beide sind mit beunruhigenden nach Penetration aussehenden Geraumlten be-stuumlckt wo die Haumlnde sein sollten Ich kann nicht behaupten dass mir der Anblick gefaumlllt
raquoVirchhellip iehellip rrrlaquo stoumlhne ich Ob das reichtraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoVerdammt Ich raffe meine ganze Willenskraft und meine inne-
re Staumlrke zusammen Auszligerdem gerate ich allmaumlhlich in Panik Na gut auch das kann ich nutzen
raquoVvvvviiiierrrlaquo sage ich endlich
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raquoKorrektlaquoGott sei Dank Ich kann sprechen IrgendwieErleichtert atme ich aus Moment mal ndash ich habe gerade meine
Atmung kontrolliert Ich hole noch einmal Luft Absichtlich Mein Mund brennt die Kehle ist wie ausgedoumlrrt Aber es ist mein Bren-nen Ich habe die Kontrolle
Ich trage eine Atemmaske Sie sitzt fest auf meinem Gesicht und ist mit einem Schlauch verbunden der uumlber meinem Kopf ver-schwindet
Kann ich aufstehenNein Aber ich kann den Kopf ein wenig bewegen Ich betrachte
meinen Koumlrper Ich bin nackt und mit mehr Schlaumluchen verbun-den als ich zaumlhlen kann Je einer steckt in den Armen und Beinen einer in meiner Herrenausstattung zwei fuumlhren unter dem Ober-schenkel entlang Vermutlich sitzt einer davon da wo niemals die Sonne scheint
Das verheiszligt nichts GutesAuszligerdem bin ich mit Elektroden zugepflastert Die Sensoren
aumlhneln denen eines EKG-Geraumlts aber sie sind uumlberall Na ja wenigstens kleben sie auf der Haut und sind nicht in mich hinein-gebohrt
raquoWahelliplaquo keuche ich Ich versuche es noch einmal raquoWo bin ichlaquoraquoWas ist die Kubikwurzel von achtlaquo fragt der ComputerraquoWo bin ichlaquo frage ich noch einmal Es geht schon besserraquoNicht korrekt Was ist die Kubikwurzel von achtlaquoIch hole tief Luft und spreche betont langsam raquoZwei mal e
hoch zwei-i-pilaquoraquoNicht korrekt Was ist die Kubikwurzel von achtlaquoMeine Antwort war aber gar nicht falsch Ich wollte nur sehen
wie schlau der Computer ist Nicht besonders wie mir scheintraquoZweilaquo antworte ichraquoKorrektlaquoIch warte auf weitere Fragen aber der Computer scheint zufrie-
den zu sein Ich bin muumlde und langsam daumlmmere ich weg
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Ich wache auf Wie lange habe ich geschlafen Anscheinend ziem-lich lange denn ich fuumlhle mich ausgeruht Ohne Schwierigkeiten oumlffne ich die Augen Das ist ein Fortschritt
Als Naumlchstes versuche ich die Finger zu bewegen Sie wackeln wie gewuumlnscht Alles klar Das wird schon wieder
raquoHandbewegung entdecktlaquo stellt der Computer fest raquoBleiben Sie ruhig liegenlaquo
raquoWas Warum helliplaquoDie Roboterarme naumlhern sich Sie sind sehr schnell Im Hand-
umdrehen haben sie mir die meisten Schlaumluche aus dem Koumlrper gezogen Ich habe uumlberhaupt nichts gespuumlrt Meine Haut ist ir-gendwie taub
Nur drei Schlaumluche sind noch da eine Infusion im Arm der Schlauch im Hintern und ein Katheter Die letzten beiden waumlre ich zwar gern so schnell wie moumlglich losgeworden aber seiʼs drum
Ich hebe den rechten Arm und lasse ihn wieder auf das Bett sinken Dann noch einmal das Gleiche mit dem linken Arm Sie fuumlhlen sich ungeheuer schwer an Ich wiederhole die Uumlbung eini-ge Male Meine Arme sind kraumlftig Das kann doch nicht sein Es sieht ganz danach aus als haumltte ich ein groumlszligeres gesundheitliches Problem gehabt und eine Weile in diesem Bett verbracht sonst haumltten sie mich ja wohl kaum an dieses ganze Zeug angeschlos-sen Aber haumltten dabei nicht meine Muskeln schrumpfen muumlssen
Sollten hier nicht auch Aumlrzte sein Oder wenigstens die Ge-raumlusche die man in einem Krankenhaus erwartet Und was ist mit dem Bett los Es ist nicht rechteckig sondern oval und ich glaube es ist in der Wand verschraubt statt auf dem Boden zu stehen
raquoNimm helliplaquo Ich muss noch einmal ansetzen ich bin immer noch muumlde raquoNimm die Schlaumluche rauslaquo
Der Computer reagiert nichtIch hebe noch einige Male die Arme und wackle mit den Zehen
Ja es wird allmaumlhlich besserDann bewege ich die Fuumlszlige Sie gehorchen Als Naumlchstes ziehe
ich die Knie an Auch meine Beine sind muskuloumls Nicht so mus-
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kuloumls wie bei einem Bodybuilder aber immer noch viel zu kraumlftig fuumlr jemanden der offensichtlich dem Tode nahe war Andererseits kann ich nicht genau sagen wie dick sie eigentlich sein sollten
Ich stemme die Haumlnde flach auf das Bett und druumlcke mich hoch Mein Oberkoumlrper hebt sich Ich kann mich tatsaumlchlich aufrichten Es erfordert meine ganze Kraft aber ich lasse nicht locker Sobald ich den Kopf weit genug gehoben habe sehe ich dass das Kopf- und das Fuszligende des ovalen Betts an stabilen Verankerungen in der Wand haumlngen Es ist eine Art starre Haumlngematte Eigenartig
Kurz danach sitze ich auf dem Schlauch in meinem Hintern Kein sehr angenehmes Gefuumlhl aber wann waumlre so ein Schlauch schon einmal angenehm gewesen
Jetzt kann ich mehr erkennen Es ist kein gewoumlhnliches Kran-kenzimmer Die Waumlnde sehen aus als waumlren sie aus Plastik und der Raum ist rund Aus den LED-Leuchten in der Decke strahlt grelles Licht
An den Waumlnden sind noch zwei weitere Haumlngemattenbetten verankert in denen Patienten liegen Wir sind in einem Dreieck angeordnet und die Folterarme sind zwischen uns an der Decke an gebracht Ich nehme an sie kuumlmmern sich um uns drei Patien-ten Von meinen Leidensgenossen kann ich nicht viel erkennen sie sind so tief im Bett versunken wie ich es war
Eine Tuumlr gibt es nicht Nur eine Leiter die zu einer hellip ist das eine Luke Sie ist rund und hat in der Mitte ein Handrad Ja es muss eine Art Luke sein Wie auf einem U-Boot Ob wir drei eine an-steckende Krankheit haben Vielleicht ist dies ein Quarantaumlne-zimmer Hier und da entdecke ich kleine Luumlftungs gitter in den Waumlnden und ich spuumlre einen leichten Luftstrom Es koumlnnte eine kontrollierte Umgebung sein
Ich schiebe ein Bein uumlber die Bettkante worauf die Liege wackelt Die Roboterarme rasen auf mich zu Ich zucke zusammen doch sie halten kurz vor mir inne und schweben in der Luft ndash be-reit mich aufzufangen falls ich stuumlrze
raquoVollstaumlndige Koumlrperbewegung entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen Sielaquo
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raquoIst das dein Ernstlaquo frage ichraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch oumlffne den Mund und will antwortenraquoAumlh helliplaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoSo langsam daumlmmert es mir Ich weiszlig nicht wer ich bin Ich
weiszlig nicht wo ich bin Ich weiszlig nicht was ich tun soll Ich erin-nere mich an rein gar nichts
raquoAumlhmlaquo mache ichraquoNicht korrektlaquoSchlagartig werde ich muumlde Es ist sogar ganz angenehm An-
scheinend hat mich der Computer uumlber die Infusion betaumlubtraquohellip haaaalt helliplaquo murmle ich nochDie Roboterarme legen mich sachte auf das Bett
Wieder wache ich auf Einer der Roboterarme beruumlhrt mein Ge-sicht Was macht er da
Ich schaudere eher erschrocken als alles andere Der Arm zieht sich auf seine Warteposition unter der Decke zuruumlck Ich taste mein Gesicht nach Verletzungen ab Auf einer Seite sind Stoppeln die andere ist glatt
raquoHast du mich rasiertlaquoraquoBewusstsein entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen SielaquoraquoDas weiszlig ich immer noch nichtlaquoraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch bin weiszlig maumlnnlich und spreche Englisch Also lassen wir
es mal darauf ankommen raquoJ-JohnlaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch ziehe die Infusionsnadel aus dem Arm raquoLeck mich dochlaquoraquoNicht korrektlaquo Der Roboterarm greift nach mir Ich rolle mich vom Bett herunter Das ist ein Fehler Die ande-
ren Schlaumluche sind noch angeschlossen Der Schlauch im Hintern rutscht einfach heraus Das spuumlre ich kaum Dagegen wird der ge-blockte Katheter extrem unsanft aus meinem Penis gerissen Das tut furchtbar weh als haumltte ich einen Golfball gepinkelt
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Schreiend winde ich mich auf dem BodenraquoPhysisches Leidenlaquo stellt der Computer fest Die Roboterarme
greifen nach mir Ich krieche uumlber den Boden um ihnen zu ent-kommen und kann unter einem Bett verschwinden Die Arme hal-ten kurz davor inne geben aber nicht auf Sie warten Sie werden von einem Computer gesteuert Ihre Geduld ist unendlich
Ich lasse den Kopf auf den Boden sinken und schnappe nach Luft Nach einer Weile ebben die Schmerzen ab und ich wische mir die Traumlnen ab
Ich habe keine Ahnung was hier los istraquoHelaquo rufe ich raquoIhr zwei da wacht auflaquoraquoWie heiszligen Sielaquo fragt der ComputerraquoEiner von euch Menschen wacht doch bitte auflaquoraquoNicht korrektlaquo sagt der ComputerMein Unterleib tut so weh dass ich lachen muss Es ist absurd
Auszligerdem wirkt das Endorphin und mir wird schwindlig Ich bli-cke wieder zum Katheter auf meiner Koje und schuumlttle verwundert den Kopf Das Ding hat in meiner Harnroumlhre gesteckt O Mann
Und es hat beim Herausreiszligen Schaden angerichtet Auf dem Boden entdecke ich ein wenig Blut Nur ein schmaler roter Strei-fen hellip
Ich schluumlrfte Kaffee schob mir das letzte Stuumlck Toast in den Mund und winkte der Kellnerin um zu bezahlen Ich haumltte mir das Geld sparen und zu Hause fruumlhstuumlcken koumlnnen statt jeden Morgen ein Lokal aufzusuchen Angesichts meines bescheidenen Gehalts waumlre das vermutlich sogar eine gute Idee gewesen Aber ich koche nicht gern und ich mag Eier mit Speck
Die Kellnerin nickte und ging zur Kasse um meine Rechnung auszudrucken In diesem Augenblick trafen neue Gaumlste ein denen sie zuerst noch einen Platz zuweisen musste
Ich sah auf die Uhr Es war kurz nach sieben Uhr Ich hatte es nicht eilig Ich musste erst um acht anfangen war aber meist schon um zwanzig nach sieben im Buumlro um mich auf den Tag vorzubereiten
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Ich zuumlckte das Handy und checkte meine E-Mails
AN Astronomische Kuriositaumlten astrocuriousscilistsorgVON (Dr Irina Petrowa) ipetrowagaoranruBETREFF Die duumlnne rote Linie
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich den Display Ich dachte ich haumltte mich von dieser Mailingliste abgemeldet Dieses Leben hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben Es war nicht viel was uumlber die Liste hereinkam aber wenn mich meine Erinnerung nicht trog waren die wenigen Beitraumlge meist recht interessant Nur ein paar Astronomen Astrophysiker und Experten auf anderen Ge-bieten die sich uumlber alles unterhielten was ihnen seltsam vor-kam
Ich warf einen Blick in Richtung Kellnerin Die neue Kundschaft hatte viele Fragen zur Speisekarte Wahrscheinlich wollten sie wissen ob es in Sallys Diner auch glutenfreie vegane Grashalme gab oder so Die lieben Leute in San Francisco konnten ziemlich anstrengend sein
Da ich nichts weiter zu tun hatte las ich die E-Mail
Hallo Kollegen ich bin Dr Irina Petrowa und ich arbeite am Pulkowo-Observatorium in Sankt Petersburg in Russland
Ich schreibe Ihnen weil ich Ihre Hilfe braucheSeit zwei Jahren arbeite ich an einer Theorie die mit Infra-
rot-Emissionen aus Nebeln zu tun hat In diesem Zusammen-hang habe ich detaillierte Beobachtungen zu einigen speziel-len Infrarotwellenbaumlndern durchgefuumlhrt Dabei bin ich auf etwas Seltsames gestoszligen ndash aber nicht in einem Nebel son-dern hier in unserem eigenen Sonnensystem
Ich habe eine sehr schwache aber erkennbare Linie ent-deckt die auf einer Wellenlaumlnge von 25984 Mikrometern infrarotes Licht abstrahlt Es gibt keine Schwankungen die Wellenlaumlnge ist anscheinend immer gleich
Ich sende eine Excel-Tabelle mit den Daten mit Auszligerdem
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habe ich ein paar neuere Darstellungen der Daten in Form eines 3-D-Modells angefertigt
Sie koumlnnen dem Modell entnehmen dass die Linie die Form eines Bogens hat der am Nordpol der Sonne entspringt und 37 Millionen Kilometer weit gerade aufsteigt Dann schwenkt sie scharf nach unten ab und entfernt sich in Rich-tung Venus von der Sonne Jenseits des Apex erweitert sich die gekruumlmmte Linie zu einem Trichter In der Naumlhe der Venus ist der Querschnitt so groszlig wie der Planet selbst
Das infrarote Leuchten ist sehr schwach Ich konnte es nur entdecken weil ich auf der Suche nach Infrarotemissionen von Nebeln sehr empfindliche Messgeraumlte eingesetzt habe
Um ganz sicherzugehen habe ich das Atacama-Observa-torium in Chile darum gebeten die Daten zu uumlberpruumlfen Meiner Ansicht nach ist es das beste Infrarotobservatorium weltweit Sie haben meine Erkenntnisse bestaumltigt
Es gibt viele Gruumlnde warum man im interplanetaren Raum Infrarotstrahlung findet Es koumlnnten Staubwolken oder andere Partikel sein die das Sonnenlicht reflektieren Oder es han-delt sich um eine Molekuumllansammlung die Energie absor-biert und im Infrarotbereich wieder abstrahlt Dies wuumlrde so-gar erklaumlren warum die Wellenlaumlnge immer gleich bleibt
Besonders interessant ist die Form des Bogens Zuerst nahm ich an es handelte sich um eine Ansammlung von Partikeln die sich an Magnetfeldlinien orientieren Doch die Venus be-sitzt kein nennenswertes Magnetfeld Keine Magnetosphaumlre keine Ionosphaumlre nichts Welche Kraumlfte sollten die Partikel zu ihr ziehen Und warum sollten sie dabei gluumlhen
Ich bin dankbar fuumlr alle Anregungen und Theorien
Was zum Teufel war das dennDie Erinnerung war schlagartig da Sie ist ohne Vorwarnung in
meinem Kopf aufgetauchtUumlber mich selbst habe ich dabei nicht viel herausgefunden Ich
lebe in San Francisco so viel weiszlig ich jetzt Und ich fruumlhstuumlcke
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gern Auszligerdem habe ich mich fruumlher mit Astronomie beschaumlftigt was ich aber jetzt anscheinend nicht mehr mache
Mein Gehirn war wohl der Ansicht es sei wichtig mich an die E-Mail zu erinnern und nicht an so triviale Dinge wie meinen Namen
Mein Unterbewusstsein will mir etwas mitteilen Die Blutspur auf dem Boden hat mich anscheinend an die raquoduumlnne rote Linielaquo in der E-Mail erinnert Aber was hat das mit mir zu tun
Ich rutsche unter dem Bett hervor und lehne mich an die Wand Die Roboterarme tasten nach mir erreichen mich aber nicht
Es ist an der Zeit einen Blick auf meine Mitpatienten zu werfen Ich weiszlig nicht wer ich bin und warum ich hier bin aber wenigs-tens bin ich nicht allein und hellip sie sind tot
Eindeutig Direkt neben mir liegt eine Frau glaube ich Jeden-falls hatte sie lange Haare Davon abgesehen ist sie groumlszligtenteils mumifiziert Ausgetrocknete Haut haumlngt auf den Knochen Es riecht nicht Hier verwest nichts Sie ist offensichtlich schon lange tot
Der zweite Patient war ein Mann Er scheint sogar noch laumlnger tot zu sein Seine Haut ist nicht nur trocken und ledrig sondern zerkruumlmelt bereits
Na gut Also bin ich hier in der Gesellschaft von zwei Leichen Ich sollte es widerlich und entsetzlich finden aber das gelingt mir nicht Sie sind schon vor so langer Zeit gestorben dass sie kaum noch wie Menschen aussehen Eher wie Halloween-Dekorationen Ich hoffe ich war nicht mit ihnen befreundet Falls doch dann werde ich mich hoffentlich nicht daran erinnern
Tote Menschen sind eine Sache Groumlszligere Sorgen bereitet mir die Tatsache dass sie schon so lange hier liegen Selbst aus einem Quarantaumlnebereich wuumlrde man Tote entfernen oder Was hier schieflaumluft muss ziemlich uumlbel sein
Ich stehe auf Es geht nur langsam und ist ziemlich anstren-gend Ich halte mich an der Bettkante von Frau Mumie fest Die Liege wackelt und ich schwanke mit bleibe aber aufrecht stehen
Die Roboterarme fischen nach mir und ich schmiege mich wie-der an die Wand
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Ich bin ziemlich sicher dass ich im Koma gelegen habe Genau Je laumlnger ich daruumlber nachdenke desto klarer wird es
Ich kann nicht sagen wie lange ich schon hier bin aber wenn ich zur gleichen Zeit wie meine Zimmergenossen hier angekom-men bin muss es eine ganze Weile her sein Ich reibe mir uumlber das halb rasierte Gesicht Die Roboterarme sind faumlhig bewusstlose Patienten laumlngere Zeit zu versorgen Noch ein Beweis dafuumlr dass ich im Koma gelegen habe
Vielleicht kann ich die Luke erreichenIch mache einen Schritt dann noch einen Und dann sinke ich
zu Boden Es ist zu anstrengend Ich muss mich ausruhenWarum bin ich trotz meiner gut ausgebildeten Muskeln so
schwach Warum habe ich uumlberhaupt Muskeln wenn ich im Koma war Ich sollte ein verwittertes duumlrres Buumlndel sein und kein stram-mer Rettungsschwimmer
Ich habe keine Ahnung was hier laumluft Was soll ich jetzt tun Bin ich wirklich krank Ich meine natuumlrlich fuumlhle ich mich mise-rabel aber nicht krank Mir ist nicht uumlbel ich habe keine Kopf-schmerzen Fieber habe ich wohl auch nicht Wenn ich nicht krank bin warum habe ich dann im Koma gelegen Eine schwere Verletzung
Ich taste meinen Kopf ab Keine Schwellungen Narben oder Verbaumlnde Auch der Rest meines Koumlrpers kommt mir ziemlich sta-bil vor Mehr als stabil Ich habe sogar einen Waschbrettbauch
Am liebsten wuumlrde ich ein Nickerchen machen aber ich kaumlmp-fe gegen die Muumldigkeit an
Es wird Zeit es noch einmal zu versuchen Ich stemme mich wieder hoch Es ist wie Gewichtheben geht dieses Mal aber etwas leichter Wie es scheint erhole ich mich langsam Hoffentlich
Ich schlurfe an der Wand entlang und stuumltze mich mit dem Ruumlcken genauso stark ab wie mit den Fuumlszligen Die Roboterarme tas-ten staumlndig nach mir aber ich bleibe auszliger Reichweite
Ich keuche und japse und fuumlhle mich als waumlre ich einen Mara-thon gelaufen Vielleicht habe ich eine Lungenentzuumlndung Viel-leicht bin ich zu meinem eigenen Schutz in Isolation
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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ANDY WEIR
DER ASTRONAUT
ROMAN
Aus dem Amerikanischenvon Juumlrgen Langowski
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAGMUumlNCHEN
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Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel PROJECT HAIL MARY
bei Ballantine Books New York
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten so uumlbernehmen wir fuumlr deren Inhalte keine Haftung
da wir uns diese nicht zu eigen machen sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveroumlffentlichung verweisen
Penguin Random House Verlagsgruppe FSCreg N001967
5 Auflage Deutsche Erstausgabe 52021
Redaktion Ralf-Oliver DuumlrrCopyright copy 2021 by Andy Weir
Copyright copy 2021 der deutschsprachigen Ausgabe und der Uumlbersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag Muumlnchenin der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Neumarkter Str 28 81673 MuumlnchenInnenillustrationen David Lindroth
Umschlaggestaltung Das Illustrat Muumlnchen unter Verwendungeines Motivs von grandeduciStockphoto
Satz KompetenzCenter MoumlnchengladbachDruck CPI Books GmbH
Printed in Germany
ISBN 978-3-453-32134-2
diezukunftde
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Fuumlr John Paul George und Ringo
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1raquoWas ist zwei plus zweilaquo
Aus irgendeinem Grund aumlrgert mich die Frage Ich bin muumlde Beinahe schlafe ich wieder ein
Ein paar Minuten vergehen dann houmlre ich sie wiederraquoWas ist zwei plus zweilaquoDer leisen Frauenstimme fehlt jedes Gefuumlhl und der Tonfall ist
genau derselbe wie beim letzten Mal Es ist ein Computer Ein Computer der mich nervt Meine Veraumlrgerung waumlchst
raquoLsmchnrlaquo sage ich und staune Eigentlich wollte ich sagen raquoLass mich in Ruhelaquo was meiner Ansicht nach eine absolut ver-staumlndliche Reaktion ist Aus irgendeinem Grund kann ich nicht richtig sprechen
raquoNicht korrektlaquo entgegnet der Computer raquoWas ist zwei plus zweilaquo
Zeit fuumlr ein Experiment Ich will versuchen raquoHallolaquo zu sagenraquoHarchlaquoraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoWas ist hier eigentlich los Das wuumlsste ich wirklich gern aber
ich habe nicht viele Anhaltspunkte Auszliger dem Computer kann ich nichts anderes houmlren Ich kann nicht einmal etwas fuumlhlen Nein das stimmt nicht Ich spuumlre etwas Ich liege auf etwas Weichem Auf einem Bett
Ich glaube meine Augen sind geschlossen Das ist gar nicht so schlecht Ich muss sie nur oumlffnen Ich versuche es aber nichts passiert
Warum bekomme ich die Augen nicht auf
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OumlffnenUuuuuund hellip oumlffnenVerdammt noch mal geht aufOh Gerade hat etwas gezuckt Die Augenlider haben sich be-
wegt Das konnte ich fuumlhlenGEHT AUFGanz langsam gehorchen die Augenlider gleiszligendes Licht faumlllt
auf die NetzhaumluteraquoNampflaquo sage ich und halte mit groumlszligter Willenskraft die Augen
offen Alles ist grellweiszlig und tut wehraquoAugenbewegung entdecktlaquo sagt meine Peinigerin raquoWas ist
zwei plus zweilaquoDas grelle Weiszlig schwaumlcht sich ab Meine Augen passen sich an
die Helligkeit an Ich erkenne Umrisse die mir aber noch nichts sagen Mal sehen hellip kann ich die Haumlnde bewegen Nein
Die Fuumlszlige Ebenfalls neinAber ich kann den Mund bewegen oder Ich habe etwas ge-
sagt Nichts Verstaumlndliches aber immerhinraquoVrrmplaquoraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoAllmaumlhlich schaumllen sich Umrisse heraus Ich liege in einem
Bett Es ist hellip oval geformtUumlber mir strahlen LED-Lampen Kameras in der Decke uumlber-
wachen jede Bewegung So unheimlich das auch auf mich wirkt die Roboterarme machen mir noch viel groumlszligere Sorgen
An der Decke haumlngen zwei Edelstahlausleger Beide sind mit beunruhigenden nach Penetration aussehenden Geraumlten be-stuumlckt wo die Haumlnde sein sollten Ich kann nicht behaupten dass mir der Anblick gefaumlllt
raquoVirchhellip iehellip rrrlaquo stoumlhne ich Ob das reichtraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoVerdammt Ich raffe meine ganze Willenskraft und meine inne-
re Staumlrke zusammen Auszligerdem gerate ich allmaumlhlich in Panik Na gut auch das kann ich nutzen
raquoVvvvviiiierrrlaquo sage ich endlich
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raquoKorrektlaquoGott sei Dank Ich kann sprechen IrgendwieErleichtert atme ich aus Moment mal ndash ich habe gerade meine
Atmung kontrolliert Ich hole noch einmal Luft Absichtlich Mein Mund brennt die Kehle ist wie ausgedoumlrrt Aber es ist mein Bren-nen Ich habe die Kontrolle
Ich trage eine Atemmaske Sie sitzt fest auf meinem Gesicht und ist mit einem Schlauch verbunden der uumlber meinem Kopf ver-schwindet
Kann ich aufstehenNein Aber ich kann den Kopf ein wenig bewegen Ich betrachte
meinen Koumlrper Ich bin nackt und mit mehr Schlaumluchen verbun-den als ich zaumlhlen kann Je einer steckt in den Armen und Beinen einer in meiner Herrenausstattung zwei fuumlhren unter dem Ober-schenkel entlang Vermutlich sitzt einer davon da wo niemals die Sonne scheint
Das verheiszligt nichts GutesAuszligerdem bin ich mit Elektroden zugepflastert Die Sensoren
aumlhneln denen eines EKG-Geraumlts aber sie sind uumlberall Na ja wenigstens kleben sie auf der Haut und sind nicht in mich hinein-gebohrt
raquoWahelliplaquo keuche ich Ich versuche es noch einmal raquoWo bin ichlaquoraquoWas ist die Kubikwurzel von achtlaquo fragt der ComputerraquoWo bin ichlaquo frage ich noch einmal Es geht schon besserraquoNicht korrekt Was ist die Kubikwurzel von achtlaquoIch hole tief Luft und spreche betont langsam raquoZwei mal e
hoch zwei-i-pilaquoraquoNicht korrekt Was ist die Kubikwurzel von achtlaquoMeine Antwort war aber gar nicht falsch Ich wollte nur sehen
wie schlau der Computer ist Nicht besonders wie mir scheintraquoZweilaquo antworte ichraquoKorrektlaquoIch warte auf weitere Fragen aber der Computer scheint zufrie-
den zu sein Ich bin muumlde und langsam daumlmmere ich weg
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Ich wache auf Wie lange habe ich geschlafen Anscheinend ziem-lich lange denn ich fuumlhle mich ausgeruht Ohne Schwierigkeiten oumlffne ich die Augen Das ist ein Fortschritt
Als Naumlchstes versuche ich die Finger zu bewegen Sie wackeln wie gewuumlnscht Alles klar Das wird schon wieder
raquoHandbewegung entdecktlaquo stellt der Computer fest raquoBleiben Sie ruhig liegenlaquo
raquoWas Warum helliplaquoDie Roboterarme naumlhern sich Sie sind sehr schnell Im Hand-
umdrehen haben sie mir die meisten Schlaumluche aus dem Koumlrper gezogen Ich habe uumlberhaupt nichts gespuumlrt Meine Haut ist ir-gendwie taub
Nur drei Schlaumluche sind noch da eine Infusion im Arm der Schlauch im Hintern und ein Katheter Die letzten beiden waumlre ich zwar gern so schnell wie moumlglich losgeworden aber seiʼs drum
Ich hebe den rechten Arm und lasse ihn wieder auf das Bett sinken Dann noch einmal das Gleiche mit dem linken Arm Sie fuumlhlen sich ungeheuer schwer an Ich wiederhole die Uumlbung eini-ge Male Meine Arme sind kraumlftig Das kann doch nicht sein Es sieht ganz danach aus als haumltte ich ein groumlszligeres gesundheitliches Problem gehabt und eine Weile in diesem Bett verbracht sonst haumltten sie mich ja wohl kaum an dieses ganze Zeug angeschlos-sen Aber haumltten dabei nicht meine Muskeln schrumpfen muumlssen
Sollten hier nicht auch Aumlrzte sein Oder wenigstens die Ge-raumlusche die man in einem Krankenhaus erwartet Und was ist mit dem Bett los Es ist nicht rechteckig sondern oval und ich glaube es ist in der Wand verschraubt statt auf dem Boden zu stehen
raquoNimm helliplaquo Ich muss noch einmal ansetzen ich bin immer noch muumlde raquoNimm die Schlaumluche rauslaquo
Der Computer reagiert nichtIch hebe noch einige Male die Arme und wackle mit den Zehen
Ja es wird allmaumlhlich besserDann bewege ich die Fuumlszlige Sie gehorchen Als Naumlchstes ziehe
ich die Knie an Auch meine Beine sind muskuloumls Nicht so mus-
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kuloumls wie bei einem Bodybuilder aber immer noch viel zu kraumlftig fuumlr jemanden der offensichtlich dem Tode nahe war Andererseits kann ich nicht genau sagen wie dick sie eigentlich sein sollten
Ich stemme die Haumlnde flach auf das Bett und druumlcke mich hoch Mein Oberkoumlrper hebt sich Ich kann mich tatsaumlchlich aufrichten Es erfordert meine ganze Kraft aber ich lasse nicht locker Sobald ich den Kopf weit genug gehoben habe sehe ich dass das Kopf- und das Fuszligende des ovalen Betts an stabilen Verankerungen in der Wand haumlngen Es ist eine Art starre Haumlngematte Eigenartig
Kurz danach sitze ich auf dem Schlauch in meinem Hintern Kein sehr angenehmes Gefuumlhl aber wann waumlre so ein Schlauch schon einmal angenehm gewesen
Jetzt kann ich mehr erkennen Es ist kein gewoumlhnliches Kran-kenzimmer Die Waumlnde sehen aus als waumlren sie aus Plastik und der Raum ist rund Aus den LED-Leuchten in der Decke strahlt grelles Licht
An den Waumlnden sind noch zwei weitere Haumlngemattenbetten verankert in denen Patienten liegen Wir sind in einem Dreieck angeordnet und die Folterarme sind zwischen uns an der Decke an gebracht Ich nehme an sie kuumlmmern sich um uns drei Patien-ten Von meinen Leidensgenossen kann ich nicht viel erkennen sie sind so tief im Bett versunken wie ich es war
Eine Tuumlr gibt es nicht Nur eine Leiter die zu einer hellip ist das eine Luke Sie ist rund und hat in der Mitte ein Handrad Ja es muss eine Art Luke sein Wie auf einem U-Boot Ob wir drei eine an-steckende Krankheit haben Vielleicht ist dies ein Quarantaumlne-zimmer Hier und da entdecke ich kleine Luumlftungs gitter in den Waumlnden und ich spuumlre einen leichten Luftstrom Es koumlnnte eine kontrollierte Umgebung sein
Ich schiebe ein Bein uumlber die Bettkante worauf die Liege wackelt Die Roboterarme rasen auf mich zu Ich zucke zusammen doch sie halten kurz vor mir inne und schweben in der Luft ndash be-reit mich aufzufangen falls ich stuumlrze
raquoVollstaumlndige Koumlrperbewegung entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen Sielaquo
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raquoIst das dein Ernstlaquo frage ichraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch oumlffne den Mund und will antwortenraquoAumlh helliplaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoSo langsam daumlmmert es mir Ich weiszlig nicht wer ich bin Ich
weiszlig nicht wo ich bin Ich weiszlig nicht was ich tun soll Ich erin-nere mich an rein gar nichts
raquoAumlhmlaquo mache ichraquoNicht korrektlaquoSchlagartig werde ich muumlde Es ist sogar ganz angenehm An-
scheinend hat mich der Computer uumlber die Infusion betaumlubtraquohellip haaaalt helliplaquo murmle ich nochDie Roboterarme legen mich sachte auf das Bett
Wieder wache ich auf Einer der Roboterarme beruumlhrt mein Ge-sicht Was macht er da
Ich schaudere eher erschrocken als alles andere Der Arm zieht sich auf seine Warteposition unter der Decke zuruumlck Ich taste mein Gesicht nach Verletzungen ab Auf einer Seite sind Stoppeln die andere ist glatt
raquoHast du mich rasiertlaquoraquoBewusstsein entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen SielaquoraquoDas weiszlig ich immer noch nichtlaquoraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch bin weiszlig maumlnnlich und spreche Englisch Also lassen wir
es mal darauf ankommen raquoJ-JohnlaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch ziehe die Infusionsnadel aus dem Arm raquoLeck mich dochlaquoraquoNicht korrektlaquo Der Roboterarm greift nach mir Ich rolle mich vom Bett herunter Das ist ein Fehler Die ande-
ren Schlaumluche sind noch angeschlossen Der Schlauch im Hintern rutscht einfach heraus Das spuumlre ich kaum Dagegen wird der ge-blockte Katheter extrem unsanft aus meinem Penis gerissen Das tut furchtbar weh als haumltte ich einen Golfball gepinkelt
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Schreiend winde ich mich auf dem BodenraquoPhysisches Leidenlaquo stellt der Computer fest Die Roboterarme
greifen nach mir Ich krieche uumlber den Boden um ihnen zu ent-kommen und kann unter einem Bett verschwinden Die Arme hal-ten kurz davor inne geben aber nicht auf Sie warten Sie werden von einem Computer gesteuert Ihre Geduld ist unendlich
Ich lasse den Kopf auf den Boden sinken und schnappe nach Luft Nach einer Weile ebben die Schmerzen ab und ich wische mir die Traumlnen ab
Ich habe keine Ahnung was hier los istraquoHelaquo rufe ich raquoIhr zwei da wacht auflaquoraquoWie heiszligen Sielaquo fragt der ComputerraquoEiner von euch Menschen wacht doch bitte auflaquoraquoNicht korrektlaquo sagt der ComputerMein Unterleib tut so weh dass ich lachen muss Es ist absurd
Auszligerdem wirkt das Endorphin und mir wird schwindlig Ich bli-cke wieder zum Katheter auf meiner Koje und schuumlttle verwundert den Kopf Das Ding hat in meiner Harnroumlhre gesteckt O Mann
Und es hat beim Herausreiszligen Schaden angerichtet Auf dem Boden entdecke ich ein wenig Blut Nur ein schmaler roter Strei-fen hellip
Ich schluumlrfte Kaffee schob mir das letzte Stuumlck Toast in den Mund und winkte der Kellnerin um zu bezahlen Ich haumltte mir das Geld sparen und zu Hause fruumlhstuumlcken koumlnnen statt jeden Morgen ein Lokal aufzusuchen Angesichts meines bescheidenen Gehalts waumlre das vermutlich sogar eine gute Idee gewesen Aber ich koche nicht gern und ich mag Eier mit Speck
Die Kellnerin nickte und ging zur Kasse um meine Rechnung auszudrucken In diesem Augenblick trafen neue Gaumlste ein denen sie zuerst noch einen Platz zuweisen musste
Ich sah auf die Uhr Es war kurz nach sieben Uhr Ich hatte es nicht eilig Ich musste erst um acht anfangen war aber meist schon um zwanzig nach sieben im Buumlro um mich auf den Tag vorzubereiten
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Ich zuumlckte das Handy und checkte meine E-Mails
AN Astronomische Kuriositaumlten astrocuriousscilistsorgVON (Dr Irina Petrowa) ipetrowagaoranruBETREFF Die duumlnne rote Linie
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich den Display Ich dachte ich haumltte mich von dieser Mailingliste abgemeldet Dieses Leben hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben Es war nicht viel was uumlber die Liste hereinkam aber wenn mich meine Erinnerung nicht trog waren die wenigen Beitraumlge meist recht interessant Nur ein paar Astronomen Astrophysiker und Experten auf anderen Ge-bieten die sich uumlber alles unterhielten was ihnen seltsam vor-kam
Ich warf einen Blick in Richtung Kellnerin Die neue Kundschaft hatte viele Fragen zur Speisekarte Wahrscheinlich wollten sie wissen ob es in Sallys Diner auch glutenfreie vegane Grashalme gab oder so Die lieben Leute in San Francisco konnten ziemlich anstrengend sein
Da ich nichts weiter zu tun hatte las ich die E-Mail
Hallo Kollegen ich bin Dr Irina Petrowa und ich arbeite am Pulkowo-Observatorium in Sankt Petersburg in Russland
Ich schreibe Ihnen weil ich Ihre Hilfe braucheSeit zwei Jahren arbeite ich an einer Theorie die mit Infra-
rot-Emissionen aus Nebeln zu tun hat In diesem Zusammen-hang habe ich detaillierte Beobachtungen zu einigen speziel-len Infrarotwellenbaumlndern durchgefuumlhrt Dabei bin ich auf etwas Seltsames gestoszligen ndash aber nicht in einem Nebel son-dern hier in unserem eigenen Sonnensystem
Ich habe eine sehr schwache aber erkennbare Linie ent-deckt die auf einer Wellenlaumlnge von 25984 Mikrometern infrarotes Licht abstrahlt Es gibt keine Schwankungen die Wellenlaumlnge ist anscheinend immer gleich
Ich sende eine Excel-Tabelle mit den Daten mit Auszligerdem
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habe ich ein paar neuere Darstellungen der Daten in Form eines 3-D-Modells angefertigt
Sie koumlnnen dem Modell entnehmen dass die Linie die Form eines Bogens hat der am Nordpol der Sonne entspringt und 37 Millionen Kilometer weit gerade aufsteigt Dann schwenkt sie scharf nach unten ab und entfernt sich in Rich-tung Venus von der Sonne Jenseits des Apex erweitert sich die gekruumlmmte Linie zu einem Trichter In der Naumlhe der Venus ist der Querschnitt so groszlig wie der Planet selbst
Das infrarote Leuchten ist sehr schwach Ich konnte es nur entdecken weil ich auf der Suche nach Infrarotemissionen von Nebeln sehr empfindliche Messgeraumlte eingesetzt habe
Um ganz sicherzugehen habe ich das Atacama-Observa-torium in Chile darum gebeten die Daten zu uumlberpruumlfen Meiner Ansicht nach ist es das beste Infrarotobservatorium weltweit Sie haben meine Erkenntnisse bestaumltigt
Es gibt viele Gruumlnde warum man im interplanetaren Raum Infrarotstrahlung findet Es koumlnnten Staubwolken oder andere Partikel sein die das Sonnenlicht reflektieren Oder es han-delt sich um eine Molekuumllansammlung die Energie absor-biert und im Infrarotbereich wieder abstrahlt Dies wuumlrde so-gar erklaumlren warum die Wellenlaumlnge immer gleich bleibt
Besonders interessant ist die Form des Bogens Zuerst nahm ich an es handelte sich um eine Ansammlung von Partikeln die sich an Magnetfeldlinien orientieren Doch die Venus be-sitzt kein nennenswertes Magnetfeld Keine Magnetosphaumlre keine Ionosphaumlre nichts Welche Kraumlfte sollten die Partikel zu ihr ziehen Und warum sollten sie dabei gluumlhen
Ich bin dankbar fuumlr alle Anregungen und Theorien
Was zum Teufel war das dennDie Erinnerung war schlagartig da Sie ist ohne Vorwarnung in
meinem Kopf aufgetauchtUumlber mich selbst habe ich dabei nicht viel herausgefunden Ich
lebe in San Francisco so viel weiszlig ich jetzt Und ich fruumlhstuumlcke
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gern Auszligerdem habe ich mich fruumlher mit Astronomie beschaumlftigt was ich aber jetzt anscheinend nicht mehr mache
Mein Gehirn war wohl der Ansicht es sei wichtig mich an die E-Mail zu erinnern und nicht an so triviale Dinge wie meinen Namen
Mein Unterbewusstsein will mir etwas mitteilen Die Blutspur auf dem Boden hat mich anscheinend an die raquoduumlnne rote Linielaquo in der E-Mail erinnert Aber was hat das mit mir zu tun
Ich rutsche unter dem Bett hervor und lehne mich an die Wand Die Roboterarme tasten nach mir erreichen mich aber nicht
Es ist an der Zeit einen Blick auf meine Mitpatienten zu werfen Ich weiszlig nicht wer ich bin und warum ich hier bin aber wenigs-tens bin ich nicht allein und hellip sie sind tot
Eindeutig Direkt neben mir liegt eine Frau glaube ich Jeden-falls hatte sie lange Haare Davon abgesehen ist sie groumlszligtenteils mumifiziert Ausgetrocknete Haut haumlngt auf den Knochen Es riecht nicht Hier verwest nichts Sie ist offensichtlich schon lange tot
Der zweite Patient war ein Mann Er scheint sogar noch laumlnger tot zu sein Seine Haut ist nicht nur trocken und ledrig sondern zerkruumlmelt bereits
Na gut Also bin ich hier in der Gesellschaft von zwei Leichen Ich sollte es widerlich und entsetzlich finden aber das gelingt mir nicht Sie sind schon vor so langer Zeit gestorben dass sie kaum noch wie Menschen aussehen Eher wie Halloween-Dekorationen Ich hoffe ich war nicht mit ihnen befreundet Falls doch dann werde ich mich hoffentlich nicht daran erinnern
Tote Menschen sind eine Sache Groumlszligere Sorgen bereitet mir die Tatsache dass sie schon so lange hier liegen Selbst aus einem Quarantaumlnebereich wuumlrde man Tote entfernen oder Was hier schieflaumluft muss ziemlich uumlbel sein
Ich stehe auf Es geht nur langsam und ist ziemlich anstren-gend Ich halte mich an der Bettkante von Frau Mumie fest Die Liege wackelt und ich schwanke mit bleibe aber aufrecht stehen
Die Roboterarme fischen nach mir und ich schmiege mich wie-der an die Wand
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Ich bin ziemlich sicher dass ich im Koma gelegen habe Genau Je laumlnger ich daruumlber nachdenke desto klarer wird es
Ich kann nicht sagen wie lange ich schon hier bin aber wenn ich zur gleichen Zeit wie meine Zimmergenossen hier angekom-men bin muss es eine ganze Weile her sein Ich reibe mir uumlber das halb rasierte Gesicht Die Roboterarme sind faumlhig bewusstlose Patienten laumlngere Zeit zu versorgen Noch ein Beweis dafuumlr dass ich im Koma gelegen habe
Vielleicht kann ich die Luke erreichenIch mache einen Schritt dann noch einen Und dann sinke ich
zu Boden Es ist zu anstrengend Ich muss mich ausruhenWarum bin ich trotz meiner gut ausgebildeten Muskeln so
schwach Warum habe ich uumlberhaupt Muskeln wenn ich im Koma war Ich sollte ein verwittertes duumlrres Buumlndel sein und kein stram-mer Rettungsschwimmer
Ich habe keine Ahnung was hier laumluft Was soll ich jetzt tun Bin ich wirklich krank Ich meine natuumlrlich fuumlhle ich mich mise-rabel aber nicht krank Mir ist nicht uumlbel ich habe keine Kopf-schmerzen Fieber habe ich wohl auch nicht Wenn ich nicht krank bin warum habe ich dann im Koma gelegen Eine schwere Verletzung
Ich taste meinen Kopf ab Keine Schwellungen Narben oder Verbaumlnde Auch der Rest meines Koumlrpers kommt mir ziemlich sta-bil vor Mehr als stabil Ich habe sogar einen Waschbrettbauch
Am liebsten wuumlrde ich ein Nickerchen machen aber ich kaumlmp-fe gegen die Muumldigkeit an
Es wird Zeit es noch einmal zu versuchen Ich stemme mich wieder hoch Es ist wie Gewichtheben geht dieses Mal aber etwas leichter Wie es scheint erhole ich mich langsam Hoffentlich
Ich schlurfe an der Wand entlang und stuumltze mich mit dem Ruumlcken genauso stark ab wie mit den Fuumlszligen Die Roboterarme tas-ten staumlndig nach mir aber ich bleibe auszliger Reichweite
Ich keuche und japse und fuumlhle mich als waumlre ich einen Mara-thon gelaufen Vielleicht habe ich eine Lungenentzuumlndung Viel-leicht bin ich zu meinem eigenen Schutz in Isolation
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel PROJECT HAIL MARY
bei Ballantine Books New York
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten so uumlbernehmen wir fuumlr deren Inhalte keine Haftung
da wir uns diese nicht zu eigen machen sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveroumlffentlichung verweisen
Penguin Random House Verlagsgruppe FSCreg N001967
5 Auflage Deutsche Erstausgabe 52021
Redaktion Ralf-Oliver DuumlrrCopyright copy 2021 by Andy Weir
Copyright copy 2021 der deutschsprachigen Ausgabe und der Uumlbersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag Muumlnchenin der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Neumarkter Str 28 81673 MuumlnchenInnenillustrationen David Lindroth
Umschlaggestaltung Das Illustrat Muumlnchen unter Verwendungeines Motivs von grandeduciStockphoto
Satz KompetenzCenter MoumlnchengladbachDruck CPI Books GmbH
Printed in Germany
ISBN 978-3-453-32134-2
diezukunftde
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Fuumlr John Paul George und Ringo
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1raquoWas ist zwei plus zweilaquo
Aus irgendeinem Grund aumlrgert mich die Frage Ich bin muumlde Beinahe schlafe ich wieder ein
Ein paar Minuten vergehen dann houmlre ich sie wiederraquoWas ist zwei plus zweilaquoDer leisen Frauenstimme fehlt jedes Gefuumlhl und der Tonfall ist
genau derselbe wie beim letzten Mal Es ist ein Computer Ein Computer der mich nervt Meine Veraumlrgerung waumlchst
raquoLsmchnrlaquo sage ich und staune Eigentlich wollte ich sagen raquoLass mich in Ruhelaquo was meiner Ansicht nach eine absolut ver-staumlndliche Reaktion ist Aus irgendeinem Grund kann ich nicht richtig sprechen
raquoNicht korrektlaquo entgegnet der Computer raquoWas ist zwei plus zweilaquo
Zeit fuumlr ein Experiment Ich will versuchen raquoHallolaquo zu sagenraquoHarchlaquoraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoWas ist hier eigentlich los Das wuumlsste ich wirklich gern aber
ich habe nicht viele Anhaltspunkte Auszliger dem Computer kann ich nichts anderes houmlren Ich kann nicht einmal etwas fuumlhlen Nein das stimmt nicht Ich spuumlre etwas Ich liege auf etwas Weichem Auf einem Bett
Ich glaube meine Augen sind geschlossen Das ist gar nicht so schlecht Ich muss sie nur oumlffnen Ich versuche es aber nichts passiert
Warum bekomme ich die Augen nicht auf
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OumlffnenUuuuuund hellip oumlffnenVerdammt noch mal geht aufOh Gerade hat etwas gezuckt Die Augenlider haben sich be-
wegt Das konnte ich fuumlhlenGEHT AUFGanz langsam gehorchen die Augenlider gleiszligendes Licht faumlllt
auf die NetzhaumluteraquoNampflaquo sage ich und halte mit groumlszligter Willenskraft die Augen
offen Alles ist grellweiszlig und tut wehraquoAugenbewegung entdecktlaquo sagt meine Peinigerin raquoWas ist
zwei plus zweilaquoDas grelle Weiszlig schwaumlcht sich ab Meine Augen passen sich an
die Helligkeit an Ich erkenne Umrisse die mir aber noch nichts sagen Mal sehen hellip kann ich die Haumlnde bewegen Nein
Die Fuumlszlige Ebenfalls neinAber ich kann den Mund bewegen oder Ich habe etwas ge-
sagt Nichts Verstaumlndliches aber immerhinraquoVrrmplaquoraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoAllmaumlhlich schaumllen sich Umrisse heraus Ich liege in einem
Bett Es ist hellip oval geformtUumlber mir strahlen LED-Lampen Kameras in der Decke uumlber-
wachen jede Bewegung So unheimlich das auch auf mich wirkt die Roboterarme machen mir noch viel groumlszligere Sorgen
An der Decke haumlngen zwei Edelstahlausleger Beide sind mit beunruhigenden nach Penetration aussehenden Geraumlten be-stuumlckt wo die Haumlnde sein sollten Ich kann nicht behaupten dass mir der Anblick gefaumlllt
raquoVirchhellip iehellip rrrlaquo stoumlhne ich Ob das reichtraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoVerdammt Ich raffe meine ganze Willenskraft und meine inne-
re Staumlrke zusammen Auszligerdem gerate ich allmaumlhlich in Panik Na gut auch das kann ich nutzen
raquoVvvvviiiierrrlaquo sage ich endlich
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raquoKorrektlaquoGott sei Dank Ich kann sprechen IrgendwieErleichtert atme ich aus Moment mal ndash ich habe gerade meine
Atmung kontrolliert Ich hole noch einmal Luft Absichtlich Mein Mund brennt die Kehle ist wie ausgedoumlrrt Aber es ist mein Bren-nen Ich habe die Kontrolle
Ich trage eine Atemmaske Sie sitzt fest auf meinem Gesicht und ist mit einem Schlauch verbunden der uumlber meinem Kopf ver-schwindet
Kann ich aufstehenNein Aber ich kann den Kopf ein wenig bewegen Ich betrachte
meinen Koumlrper Ich bin nackt und mit mehr Schlaumluchen verbun-den als ich zaumlhlen kann Je einer steckt in den Armen und Beinen einer in meiner Herrenausstattung zwei fuumlhren unter dem Ober-schenkel entlang Vermutlich sitzt einer davon da wo niemals die Sonne scheint
Das verheiszligt nichts GutesAuszligerdem bin ich mit Elektroden zugepflastert Die Sensoren
aumlhneln denen eines EKG-Geraumlts aber sie sind uumlberall Na ja wenigstens kleben sie auf der Haut und sind nicht in mich hinein-gebohrt
raquoWahelliplaquo keuche ich Ich versuche es noch einmal raquoWo bin ichlaquoraquoWas ist die Kubikwurzel von achtlaquo fragt der ComputerraquoWo bin ichlaquo frage ich noch einmal Es geht schon besserraquoNicht korrekt Was ist die Kubikwurzel von achtlaquoIch hole tief Luft und spreche betont langsam raquoZwei mal e
hoch zwei-i-pilaquoraquoNicht korrekt Was ist die Kubikwurzel von achtlaquoMeine Antwort war aber gar nicht falsch Ich wollte nur sehen
wie schlau der Computer ist Nicht besonders wie mir scheintraquoZweilaquo antworte ichraquoKorrektlaquoIch warte auf weitere Fragen aber der Computer scheint zufrie-
den zu sein Ich bin muumlde und langsam daumlmmere ich weg
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Ich wache auf Wie lange habe ich geschlafen Anscheinend ziem-lich lange denn ich fuumlhle mich ausgeruht Ohne Schwierigkeiten oumlffne ich die Augen Das ist ein Fortschritt
Als Naumlchstes versuche ich die Finger zu bewegen Sie wackeln wie gewuumlnscht Alles klar Das wird schon wieder
raquoHandbewegung entdecktlaquo stellt der Computer fest raquoBleiben Sie ruhig liegenlaquo
raquoWas Warum helliplaquoDie Roboterarme naumlhern sich Sie sind sehr schnell Im Hand-
umdrehen haben sie mir die meisten Schlaumluche aus dem Koumlrper gezogen Ich habe uumlberhaupt nichts gespuumlrt Meine Haut ist ir-gendwie taub
Nur drei Schlaumluche sind noch da eine Infusion im Arm der Schlauch im Hintern und ein Katheter Die letzten beiden waumlre ich zwar gern so schnell wie moumlglich losgeworden aber seiʼs drum
Ich hebe den rechten Arm und lasse ihn wieder auf das Bett sinken Dann noch einmal das Gleiche mit dem linken Arm Sie fuumlhlen sich ungeheuer schwer an Ich wiederhole die Uumlbung eini-ge Male Meine Arme sind kraumlftig Das kann doch nicht sein Es sieht ganz danach aus als haumltte ich ein groumlszligeres gesundheitliches Problem gehabt und eine Weile in diesem Bett verbracht sonst haumltten sie mich ja wohl kaum an dieses ganze Zeug angeschlos-sen Aber haumltten dabei nicht meine Muskeln schrumpfen muumlssen
Sollten hier nicht auch Aumlrzte sein Oder wenigstens die Ge-raumlusche die man in einem Krankenhaus erwartet Und was ist mit dem Bett los Es ist nicht rechteckig sondern oval und ich glaube es ist in der Wand verschraubt statt auf dem Boden zu stehen
raquoNimm helliplaquo Ich muss noch einmal ansetzen ich bin immer noch muumlde raquoNimm die Schlaumluche rauslaquo
Der Computer reagiert nichtIch hebe noch einige Male die Arme und wackle mit den Zehen
Ja es wird allmaumlhlich besserDann bewege ich die Fuumlszlige Sie gehorchen Als Naumlchstes ziehe
ich die Knie an Auch meine Beine sind muskuloumls Nicht so mus-
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kuloumls wie bei einem Bodybuilder aber immer noch viel zu kraumlftig fuumlr jemanden der offensichtlich dem Tode nahe war Andererseits kann ich nicht genau sagen wie dick sie eigentlich sein sollten
Ich stemme die Haumlnde flach auf das Bett und druumlcke mich hoch Mein Oberkoumlrper hebt sich Ich kann mich tatsaumlchlich aufrichten Es erfordert meine ganze Kraft aber ich lasse nicht locker Sobald ich den Kopf weit genug gehoben habe sehe ich dass das Kopf- und das Fuszligende des ovalen Betts an stabilen Verankerungen in der Wand haumlngen Es ist eine Art starre Haumlngematte Eigenartig
Kurz danach sitze ich auf dem Schlauch in meinem Hintern Kein sehr angenehmes Gefuumlhl aber wann waumlre so ein Schlauch schon einmal angenehm gewesen
Jetzt kann ich mehr erkennen Es ist kein gewoumlhnliches Kran-kenzimmer Die Waumlnde sehen aus als waumlren sie aus Plastik und der Raum ist rund Aus den LED-Leuchten in der Decke strahlt grelles Licht
An den Waumlnden sind noch zwei weitere Haumlngemattenbetten verankert in denen Patienten liegen Wir sind in einem Dreieck angeordnet und die Folterarme sind zwischen uns an der Decke an gebracht Ich nehme an sie kuumlmmern sich um uns drei Patien-ten Von meinen Leidensgenossen kann ich nicht viel erkennen sie sind so tief im Bett versunken wie ich es war
Eine Tuumlr gibt es nicht Nur eine Leiter die zu einer hellip ist das eine Luke Sie ist rund und hat in der Mitte ein Handrad Ja es muss eine Art Luke sein Wie auf einem U-Boot Ob wir drei eine an-steckende Krankheit haben Vielleicht ist dies ein Quarantaumlne-zimmer Hier und da entdecke ich kleine Luumlftungs gitter in den Waumlnden und ich spuumlre einen leichten Luftstrom Es koumlnnte eine kontrollierte Umgebung sein
Ich schiebe ein Bein uumlber die Bettkante worauf die Liege wackelt Die Roboterarme rasen auf mich zu Ich zucke zusammen doch sie halten kurz vor mir inne und schweben in der Luft ndash be-reit mich aufzufangen falls ich stuumlrze
raquoVollstaumlndige Koumlrperbewegung entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen Sielaquo
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raquoIst das dein Ernstlaquo frage ichraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch oumlffne den Mund und will antwortenraquoAumlh helliplaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoSo langsam daumlmmert es mir Ich weiszlig nicht wer ich bin Ich
weiszlig nicht wo ich bin Ich weiszlig nicht was ich tun soll Ich erin-nere mich an rein gar nichts
raquoAumlhmlaquo mache ichraquoNicht korrektlaquoSchlagartig werde ich muumlde Es ist sogar ganz angenehm An-
scheinend hat mich der Computer uumlber die Infusion betaumlubtraquohellip haaaalt helliplaquo murmle ich nochDie Roboterarme legen mich sachte auf das Bett
Wieder wache ich auf Einer der Roboterarme beruumlhrt mein Ge-sicht Was macht er da
Ich schaudere eher erschrocken als alles andere Der Arm zieht sich auf seine Warteposition unter der Decke zuruumlck Ich taste mein Gesicht nach Verletzungen ab Auf einer Seite sind Stoppeln die andere ist glatt
raquoHast du mich rasiertlaquoraquoBewusstsein entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen SielaquoraquoDas weiszlig ich immer noch nichtlaquoraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch bin weiszlig maumlnnlich und spreche Englisch Also lassen wir
es mal darauf ankommen raquoJ-JohnlaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch ziehe die Infusionsnadel aus dem Arm raquoLeck mich dochlaquoraquoNicht korrektlaquo Der Roboterarm greift nach mir Ich rolle mich vom Bett herunter Das ist ein Fehler Die ande-
ren Schlaumluche sind noch angeschlossen Der Schlauch im Hintern rutscht einfach heraus Das spuumlre ich kaum Dagegen wird der ge-blockte Katheter extrem unsanft aus meinem Penis gerissen Das tut furchtbar weh als haumltte ich einen Golfball gepinkelt
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Schreiend winde ich mich auf dem BodenraquoPhysisches Leidenlaquo stellt der Computer fest Die Roboterarme
greifen nach mir Ich krieche uumlber den Boden um ihnen zu ent-kommen und kann unter einem Bett verschwinden Die Arme hal-ten kurz davor inne geben aber nicht auf Sie warten Sie werden von einem Computer gesteuert Ihre Geduld ist unendlich
Ich lasse den Kopf auf den Boden sinken und schnappe nach Luft Nach einer Weile ebben die Schmerzen ab und ich wische mir die Traumlnen ab
Ich habe keine Ahnung was hier los istraquoHelaquo rufe ich raquoIhr zwei da wacht auflaquoraquoWie heiszligen Sielaquo fragt der ComputerraquoEiner von euch Menschen wacht doch bitte auflaquoraquoNicht korrektlaquo sagt der ComputerMein Unterleib tut so weh dass ich lachen muss Es ist absurd
Auszligerdem wirkt das Endorphin und mir wird schwindlig Ich bli-cke wieder zum Katheter auf meiner Koje und schuumlttle verwundert den Kopf Das Ding hat in meiner Harnroumlhre gesteckt O Mann
Und es hat beim Herausreiszligen Schaden angerichtet Auf dem Boden entdecke ich ein wenig Blut Nur ein schmaler roter Strei-fen hellip
Ich schluumlrfte Kaffee schob mir das letzte Stuumlck Toast in den Mund und winkte der Kellnerin um zu bezahlen Ich haumltte mir das Geld sparen und zu Hause fruumlhstuumlcken koumlnnen statt jeden Morgen ein Lokal aufzusuchen Angesichts meines bescheidenen Gehalts waumlre das vermutlich sogar eine gute Idee gewesen Aber ich koche nicht gern und ich mag Eier mit Speck
Die Kellnerin nickte und ging zur Kasse um meine Rechnung auszudrucken In diesem Augenblick trafen neue Gaumlste ein denen sie zuerst noch einen Platz zuweisen musste
Ich sah auf die Uhr Es war kurz nach sieben Uhr Ich hatte es nicht eilig Ich musste erst um acht anfangen war aber meist schon um zwanzig nach sieben im Buumlro um mich auf den Tag vorzubereiten
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Ich zuumlckte das Handy und checkte meine E-Mails
AN Astronomische Kuriositaumlten astrocuriousscilistsorgVON (Dr Irina Petrowa) ipetrowagaoranruBETREFF Die duumlnne rote Linie
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich den Display Ich dachte ich haumltte mich von dieser Mailingliste abgemeldet Dieses Leben hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben Es war nicht viel was uumlber die Liste hereinkam aber wenn mich meine Erinnerung nicht trog waren die wenigen Beitraumlge meist recht interessant Nur ein paar Astronomen Astrophysiker und Experten auf anderen Ge-bieten die sich uumlber alles unterhielten was ihnen seltsam vor-kam
Ich warf einen Blick in Richtung Kellnerin Die neue Kundschaft hatte viele Fragen zur Speisekarte Wahrscheinlich wollten sie wissen ob es in Sallys Diner auch glutenfreie vegane Grashalme gab oder so Die lieben Leute in San Francisco konnten ziemlich anstrengend sein
Da ich nichts weiter zu tun hatte las ich die E-Mail
Hallo Kollegen ich bin Dr Irina Petrowa und ich arbeite am Pulkowo-Observatorium in Sankt Petersburg in Russland
Ich schreibe Ihnen weil ich Ihre Hilfe braucheSeit zwei Jahren arbeite ich an einer Theorie die mit Infra-
rot-Emissionen aus Nebeln zu tun hat In diesem Zusammen-hang habe ich detaillierte Beobachtungen zu einigen speziel-len Infrarotwellenbaumlndern durchgefuumlhrt Dabei bin ich auf etwas Seltsames gestoszligen ndash aber nicht in einem Nebel son-dern hier in unserem eigenen Sonnensystem
Ich habe eine sehr schwache aber erkennbare Linie ent-deckt die auf einer Wellenlaumlnge von 25984 Mikrometern infrarotes Licht abstrahlt Es gibt keine Schwankungen die Wellenlaumlnge ist anscheinend immer gleich
Ich sende eine Excel-Tabelle mit den Daten mit Auszligerdem
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habe ich ein paar neuere Darstellungen der Daten in Form eines 3-D-Modells angefertigt
Sie koumlnnen dem Modell entnehmen dass die Linie die Form eines Bogens hat der am Nordpol der Sonne entspringt und 37 Millionen Kilometer weit gerade aufsteigt Dann schwenkt sie scharf nach unten ab und entfernt sich in Rich-tung Venus von der Sonne Jenseits des Apex erweitert sich die gekruumlmmte Linie zu einem Trichter In der Naumlhe der Venus ist der Querschnitt so groszlig wie der Planet selbst
Das infrarote Leuchten ist sehr schwach Ich konnte es nur entdecken weil ich auf der Suche nach Infrarotemissionen von Nebeln sehr empfindliche Messgeraumlte eingesetzt habe
Um ganz sicherzugehen habe ich das Atacama-Observa-torium in Chile darum gebeten die Daten zu uumlberpruumlfen Meiner Ansicht nach ist es das beste Infrarotobservatorium weltweit Sie haben meine Erkenntnisse bestaumltigt
Es gibt viele Gruumlnde warum man im interplanetaren Raum Infrarotstrahlung findet Es koumlnnten Staubwolken oder andere Partikel sein die das Sonnenlicht reflektieren Oder es han-delt sich um eine Molekuumllansammlung die Energie absor-biert und im Infrarotbereich wieder abstrahlt Dies wuumlrde so-gar erklaumlren warum die Wellenlaumlnge immer gleich bleibt
Besonders interessant ist die Form des Bogens Zuerst nahm ich an es handelte sich um eine Ansammlung von Partikeln die sich an Magnetfeldlinien orientieren Doch die Venus be-sitzt kein nennenswertes Magnetfeld Keine Magnetosphaumlre keine Ionosphaumlre nichts Welche Kraumlfte sollten die Partikel zu ihr ziehen Und warum sollten sie dabei gluumlhen
Ich bin dankbar fuumlr alle Anregungen und Theorien
Was zum Teufel war das dennDie Erinnerung war schlagartig da Sie ist ohne Vorwarnung in
meinem Kopf aufgetauchtUumlber mich selbst habe ich dabei nicht viel herausgefunden Ich
lebe in San Francisco so viel weiszlig ich jetzt Und ich fruumlhstuumlcke
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gern Auszligerdem habe ich mich fruumlher mit Astronomie beschaumlftigt was ich aber jetzt anscheinend nicht mehr mache
Mein Gehirn war wohl der Ansicht es sei wichtig mich an die E-Mail zu erinnern und nicht an so triviale Dinge wie meinen Namen
Mein Unterbewusstsein will mir etwas mitteilen Die Blutspur auf dem Boden hat mich anscheinend an die raquoduumlnne rote Linielaquo in der E-Mail erinnert Aber was hat das mit mir zu tun
Ich rutsche unter dem Bett hervor und lehne mich an die Wand Die Roboterarme tasten nach mir erreichen mich aber nicht
Es ist an der Zeit einen Blick auf meine Mitpatienten zu werfen Ich weiszlig nicht wer ich bin und warum ich hier bin aber wenigs-tens bin ich nicht allein und hellip sie sind tot
Eindeutig Direkt neben mir liegt eine Frau glaube ich Jeden-falls hatte sie lange Haare Davon abgesehen ist sie groumlszligtenteils mumifiziert Ausgetrocknete Haut haumlngt auf den Knochen Es riecht nicht Hier verwest nichts Sie ist offensichtlich schon lange tot
Der zweite Patient war ein Mann Er scheint sogar noch laumlnger tot zu sein Seine Haut ist nicht nur trocken und ledrig sondern zerkruumlmelt bereits
Na gut Also bin ich hier in der Gesellschaft von zwei Leichen Ich sollte es widerlich und entsetzlich finden aber das gelingt mir nicht Sie sind schon vor so langer Zeit gestorben dass sie kaum noch wie Menschen aussehen Eher wie Halloween-Dekorationen Ich hoffe ich war nicht mit ihnen befreundet Falls doch dann werde ich mich hoffentlich nicht daran erinnern
Tote Menschen sind eine Sache Groumlszligere Sorgen bereitet mir die Tatsache dass sie schon so lange hier liegen Selbst aus einem Quarantaumlnebereich wuumlrde man Tote entfernen oder Was hier schieflaumluft muss ziemlich uumlbel sein
Ich stehe auf Es geht nur langsam und ist ziemlich anstren-gend Ich halte mich an der Bettkante von Frau Mumie fest Die Liege wackelt und ich schwanke mit bleibe aber aufrecht stehen
Die Roboterarme fischen nach mir und ich schmiege mich wie-der an die Wand
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Ich bin ziemlich sicher dass ich im Koma gelegen habe Genau Je laumlnger ich daruumlber nachdenke desto klarer wird es
Ich kann nicht sagen wie lange ich schon hier bin aber wenn ich zur gleichen Zeit wie meine Zimmergenossen hier angekom-men bin muss es eine ganze Weile her sein Ich reibe mir uumlber das halb rasierte Gesicht Die Roboterarme sind faumlhig bewusstlose Patienten laumlngere Zeit zu versorgen Noch ein Beweis dafuumlr dass ich im Koma gelegen habe
Vielleicht kann ich die Luke erreichenIch mache einen Schritt dann noch einen Und dann sinke ich
zu Boden Es ist zu anstrengend Ich muss mich ausruhenWarum bin ich trotz meiner gut ausgebildeten Muskeln so
schwach Warum habe ich uumlberhaupt Muskeln wenn ich im Koma war Ich sollte ein verwittertes duumlrres Buumlndel sein und kein stram-mer Rettungsschwimmer
Ich habe keine Ahnung was hier laumluft Was soll ich jetzt tun Bin ich wirklich krank Ich meine natuumlrlich fuumlhle ich mich mise-rabel aber nicht krank Mir ist nicht uumlbel ich habe keine Kopf-schmerzen Fieber habe ich wohl auch nicht Wenn ich nicht krank bin warum habe ich dann im Koma gelegen Eine schwere Verletzung
Ich taste meinen Kopf ab Keine Schwellungen Narben oder Verbaumlnde Auch der Rest meines Koumlrpers kommt mir ziemlich sta-bil vor Mehr als stabil Ich habe sogar einen Waschbrettbauch
Am liebsten wuumlrde ich ein Nickerchen machen aber ich kaumlmp-fe gegen die Muumldigkeit an
Es wird Zeit es noch einmal zu versuchen Ich stemme mich wieder hoch Es ist wie Gewichtheben geht dieses Mal aber etwas leichter Wie es scheint erhole ich mich langsam Hoffentlich
Ich schlurfe an der Wand entlang und stuumltze mich mit dem Ruumlcken genauso stark ab wie mit den Fuumlszligen Die Roboterarme tas-ten staumlndig nach mir aber ich bleibe auszliger Reichweite
Ich keuche und japse und fuumlhle mich als waumlre ich einen Mara-thon gelaufen Vielleicht habe ich eine Lungenentzuumlndung Viel-leicht bin ich zu meinem eigenen Schutz in Isolation
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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Fuumlr John Paul George und Ringo
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1raquoWas ist zwei plus zweilaquo
Aus irgendeinem Grund aumlrgert mich die Frage Ich bin muumlde Beinahe schlafe ich wieder ein
Ein paar Minuten vergehen dann houmlre ich sie wiederraquoWas ist zwei plus zweilaquoDer leisen Frauenstimme fehlt jedes Gefuumlhl und der Tonfall ist
genau derselbe wie beim letzten Mal Es ist ein Computer Ein Computer der mich nervt Meine Veraumlrgerung waumlchst
raquoLsmchnrlaquo sage ich und staune Eigentlich wollte ich sagen raquoLass mich in Ruhelaquo was meiner Ansicht nach eine absolut ver-staumlndliche Reaktion ist Aus irgendeinem Grund kann ich nicht richtig sprechen
raquoNicht korrektlaquo entgegnet der Computer raquoWas ist zwei plus zweilaquo
Zeit fuumlr ein Experiment Ich will versuchen raquoHallolaquo zu sagenraquoHarchlaquoraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoWas ist hier eigentlich los Das wuumlsste ich wirklich gern aber
ich habe nicht viele Anhaltspunkte Auszliger dem Computer kann ich nichts anderes houmlren Ich kann nicht einmal etwas fuumlhlen Nein das stimmt nicht Ich spuumlre etwas Ich liege auf etwas Weichem Auf einem Bett
Ich glaube meine Augen sind geschlossen Das ist gar nicht so schlecht Ich muss sie nur oumlffnen Ich versuche es aber nichts passiert
Warum bekomme ich die Augen nicht auf
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OumlffnenUuuuuund hellip oumlffnenVerdammt noch mal geht aufOh Gerade hat etwas gezuckt Die Augenlider haben sich be-
wegt Das konnte ich fuumlhlenGEHT AUFGanz langsam gehorchen die Augenlider gleiszligendes Licht faumlllt
auf die NetzhaumluteraquoNampflaquo sage ich und halte mit groumlszligter Willenskraft die Augen
offen Alles ist grellweiszlig und tut wehraquoAugenbewegung entdecktlaquo sagt meine Peinigerin raquoWas ist
zwei plus zweilaquoDas grelle Weiszlig schwaumlcht sich ab Meine Augen passen sich an
die Helligkeit an Ich erkenne Umrisse die mir aber noch nichts sagen Mal sehen hellip kann ich die Haumlnde bewegen Nein
Die Fuumlszlige Ebenfalls neinAber ich kann den Mund bewegen oder Ich habe etwas ge-
sagt Nichts Verstaumlndliches aber immerhinraquoVrrmplaquoraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoAllmaumlhlich schaumllen sich Umrisse heraus Ich liege in einem
Bett Es ist hellip oval geformtUumlber mir strahlen LED-Lampen Kameras in der Decke uumlber-
wachen jede Bewegung So unheimlich das auch auf mich wirkt die Roboterarme machen mir noch viel groumlszligere Sorgen
An der Decke haumlngen zwei Edelstahlausleger Beide sind mit beunruhigenden nach Penetration aussehenden Geraumlten be-stuumlckt wo die Haumlnde sein sollten Ich kann nicht behaupten dass mir der Anblick gefaumlllt
raquoVirchhellip iehellip rrrlaquo stoumlhne ich Ob das reichtraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoVerdammt Ich raffe meine ganze Willenskraft und meine inne-
re Staumlrke zusammen Auszligerdem gerate ich allmaumlhlich in Panik Na gut auch das kann ich nutzen
raquoVvvvviiiierrrlaquo sage ich endlich
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raquoKorrektlaquoGott sei Dank Ich kann sprechen IrgendwieErleichtert atme ich aus Moment mal ndash ich habe gerade meine
Atmung kontrolliert Ich hole noch einmal Luft Absichtlich Mein Mund brennt die Kehle ist wie ausgedoumlrrt Aber es ist mein Bren-nen Ich habe die Kontrolle
Ich trage eine Atemmaske Sie sitzt fest auf meinem Gesicht und ist mit einem Schlauch verbunden der uumlber meinem Kopf ver-schwindet
Kann ich aufstehenNein Aber ich kann den Kopf ein wenig bewegen Ich betrachte
meinen Koumlrper Ich bin nackt und mit mehr Schlaumluchen verbun-den als ich zaumlhlen kann Je einer steckt in den Armen und Beinen einer in meiner Herrenausstattung zwei fuumlhren unter dem Ober-schenkel entlang Vermutlich sitzt einer davon da wo niemals die Sonne scheint
Das verheiszligt nichts GutesAuszligerdem bin ich mit Elektroden zugepflastert Die Sensoren
aumlhneln denen eines EKG-Geraumlts aber sie sind uumlberall Na ja wenigstens kleben sie auf der Haut und sind nicht in mich hinein-gebohrt
raquoWahelliplaquo keuche ich Ich versuche es noch einmal raquoWo bin ichlaquoraquoWas ist die Kubikwurzel von achtlaquo fragt der ComputerraquoWo bin ichlaquo frage ich noch einmal Es geht schon besserraquoNicht korrekt Was ist die Kubikwurzel von achtlaquoIch hole tief Luft und spreche betont langsam raquoZwei mal e
hoch zwei-i-pilaquoraquoNicht korrekt Was ist die Kubikwurzel von achtlaquoMeine Antwort war aber gar nicht falsch Ich wollte nur sehen
wie schlau der Computer ist Nicht besonders wie mir scheintraquoZweilaquo antworte ichraquoKorrektlaquoIch warte auf weitere Fragen aber der Computer scheint zufrie-
den zu sein Ich bin muumlde und langsam daumlmmere ich weg
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Ich wache auf Wie lange habe ich geschlafen Anscheinend ziem-lich lange denn ich fuumlhle mich ausgeruht Ohne Schwierigkeiten oumlffne ich die Augen Das ist ein Fortschritt
Als Naumlchstes versuche ich die Finger zu bewegen Sie wackeln wie gewuumlnscht Alles klar Das wird schon wieder
raquoHandbewegung entdecktlaquo stellt der Computer fest raquoBleiben Sie ruhig liegenlaquo
raquoWas Warum helliplaquoDie Roboterarme naumlhern sich Sie sind sehr schnell Im Hand-
umdrehen haben sie mir die meisten Schlaumluche aus dem Koumlrper gezogen Ich habe uumlberhaupt nichts gespuumlrt Meine Haut ist ir-gendwie taub
Nur drei Schlaumluche sind noch da eine Infusion im Arm der Schlauch im Hintern und ein Katheter Die letzten beiden waumlre ich zwar gern so schnell wie moumlglich losgeworden aber seiʼs drum
Ich hebe den rechten Arm und lasse ihn wieder auf das Bett sinken Dann noch einmal das Gleiche mit dem linken Arm Sie fuumlhlen sich ungeheuer schwer an Ich wiederhole die Uumlbung eini-ge Male Meine Arme sind kraumlftig Das kann doch nicht sein Es sieht ganz danach aus als haumltte ich ein groumlszligeres gesundheitliches Problem gehabt und eine Weile in diesem Bett verbracht sonst haumltten sie mich ja wohl kaum an dieses ganze Zeug angeschlos-sen Aber haumltten dabei nicht meine Muskeln schrumpfen muumlssen
Sollten hier nicht auch Aumlrzte sein Oder wenigstens die Ge-raumlusche die man in einem Krankenhaus erwartet Und was ist mit dem Bett los Es ist nicht rechteckig sondern oval und ich glaube es ist in der Wand verschraubt statt auf dem Boden zu stehen
raquoNimm helliplaquo Ich muss noch einmal ansetzen ich bin immer noch muumlde raquoNimm die Schlaumluche rauslaquo
Der Computer reagiert nichtIch hebe noch einige Male die Arme und wackle mit den Zehen
Ja es wird allmaumlhlich besserDann bewege ich die Fuumlszlige Sie gehorchen Als Naumlchstes ziehe
ich die Knie an Auch meine Beine sind muskuloumls Nicht so mus-
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kuloumls wie bei einem Bodybuilder aber immer noch viel zu kraumlftig fuumlr jemanden der offensichtlich dem Tode nahe war Andererseits kann ich nicht genau sagen wie dick sie eigentlich sein sollten
Ich stemme die Haumlnde flach auf das Bett und druumlcke mich hoch Mein Oberkoumlrper hebt sich Ich kann mich tatsaumlchlich aufrichten Es erfordert meine ganze Kraft aber ich lasse nicht locker Sobald ich den Kopf weit genug gehoben habe sehe ich dass das Kopf- und das Fuszligende des ovalen Betts an stabilen Verankerungen in der Wand haumlngen Es ist eine Art starre Haumlngematte Eigenartig
Kurz danach sitze ich auf dem Schlauch in meinem Hintern Kein sehr angenehmes Gefuumlhl aber wann waumlre so ein Schlauch schon einmal angenehm gewesen
Jetzt kann ich mehr erkennen Es ist kein gewoumlhnliches Kran-kenzimmer Die Waumlnde sehen aus als waumlren sie aus Plastik und der Raum ist rund Aus den LED-Leuchten in der Decke strahlt grelles Licht
An den Waumlnden sind noch zwei weitere Haumlngemattenbetten verankert in denen Patienten liegen Wir sind in einem Dreieck angeordnet und die Folterarme sind zwischen uns an der Decke an gebracht Ich nehme an sie kuumlmmern sich um uns drei Patien-ten Von meinen Leidensgenossen kann ich nicht viel erkennen sie sind so tief im Bett versunken wie ich es war
Eine Tuumlr gibt es nicht Nur eine Leiter die zu einer hellip ist das eine Luke Sie ist rund und hat in der Mitte ein Handrad Ja es muss eine Art Luke sein Wie auf einem U-Boot Ob wir drei eine an-steckende Krankheit haben Vielleicht ist dies ein Quarantaumlne-zimmer Hier und da entdecke ich kleine Luumlftungs gitter in den Waumlnden und ich spuumlre einen leichten Luftstrom Es koumlnnte eine kontrollierte Umgebung sein
Ich schiebe ein Bein uumlber die Bettkante worauf die Liege wackelt Die Roboterarme rasen auf mich zu Ich zucke zusammen doch sie halten kurz vor mir inne und schweben in der Luft ndash be-reit mich aufzufangen falls ich stuumlrze
raquoVollstaumlndige Koumlrperbewegung entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen Sielaquo
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raquoIst das dein Ernstlaquo frage ichraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch oumlffne den Mund und will antwortenraquoAumlh helliplaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoSo langsam daumlmmert es mir Ich weiszlig nicht wer ich bin Ich
weiszlig nicht wo ich bin Ich weiszlig nicht was ich tun soll Ich erin-nere mich an rein gar nichts
raquoAumlhmlaquo mache ichraquoNicht korrektlaquoSchlagartig werde ich muumlde Es ist sogar ganz angenehm An-
scheinend hat mich der Computer uumlber die Infusion betaumlubtraquohellip haaaalt helliplaquo murmle ich nochDie Roboterarme legen mich sachte auf das Bett
Wieder wache ich auf Einer der Roboterarme beruumlhrt mein Ge-sicht Was macht er da
Ich schaudere eher erschrocken als alles andere Der Arm zieht sich auf seine Warteposition unter der Decke zuruumlck Ich taste mein Gesicht nach Verletzungen ab Auf einer Seite sind Stoppeln die andere ist glatt
raquoHast du mich rasiertlaquoraquoBewusstsein entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen SielaquoraquoDas weiszlig ich immer noch nichtlaquoraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch bin weiszlig maumlnnlich und spreche Englisch Also lassen wir
es mal darauf ankommen raquoJ-JohnlaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch ziehe die Infusionsnadel aus dem Arm raquoLeck mich dochlaquoraquoNicht korrektlaquo Der Roboterarm greift nach mir Ich rolle mich vom Bett herunter Das ist ein Fehler Die ande-
ren Schlaumluche sind noch angeschlossen Der Schlauch im Hintern rutscht einfach heraus Das spuumlre ich kaum Dagegen wird der ge-blockte Katheter extrem unsanft aus meinem Penis gerissen Das tut furchtbar weh als haumltte ich einen Golfball gepinkelt
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Schreiend winde ich mich auf dem BodenraquoPhysisches Leidenlaquo stellt der Computer fest Die Roboterarme
greifen nach mir Ich krieche uumlber den Boden um ihnen zu ent-kommen und kann unter einem Bett verschwinden Die Arme hal-ten kurz davor inne geben aber nicht auf Sie warten Sie werden von einem Computer gesteuert Ihre Geduld ist unendlich
Ich lasse den Kopf auf den Boden sinken und schnappe nach Luft Nach einer Weile ebben die Schmerzen ab und ich wische mir die Traumlnen ab
Ich habe keine Ahnung was hier los istraquoHelaquo rufe ich raquoIhr zwei da wacht auflaquoraquoWie heiszligen Sielaquo fragt der ComputerraquoEiner von euch Menschen wacht doch bitte auflaquoraquoNicht korrektlaquo sagt der ComputerMein Unterleib tut so weh dass ich lachen muss Es ist absurd
Auszligerdem wirkt das Endorphin und mir wird schwindlig Ich bli-cke wieder zum Katheter auf meiner Koje und schuumlttle verwundert den Kopf Das Ding hat in meiner Harnroumlhre gesteckt O Mann
Und es hat beim Herausreiszligen Schaden angerichtet Auf dem Boden entdecke ich ein wenig Blut Nur ein schmaler roter Strei-fen hellip
Ich schluumlrfte Kaffee schob mir das letzte Stuumlck Toast in den Mund und winkte der Kellnerin um zu bezahlen Ich haumltte mir das Geld sparen und zu Hause fruumlhstuumlcken koumlnnen statt jeden Morgen ein Lokal aufzusuchen Angesichts meines bescheidenen Gehalts waumlre das vermutlich sogar eine gute Idee gewesen Aber ich koche nicht gern und ich mag Eier mit Speck
Die Kellnerin nickte und ging zur Kasse um meine Rechnung auszudrucken In diesem Augenblick trafen neue Gaumlste ein denen sie zuerst noch einen Platz zuweisen musste
Ich sah auf die Uhr Es war kurz nach sieben Uhr Ich hatte es nicht eilig Ich musste erst um acht anfangen war aber meist schon um zwanzig nach sieben im Buumlro um mich auf den Tag vorzubereiten
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Ich zuumlckte das Handy und checkte meine E-Mails
AN Astronomische Kuriositaumlten astrocuriousscilistsorgVON (Dr Irina Petrowa) ipetrowagaoranruBETREFF Die duumlnne rote Linie
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich den Display Ich dachte ich haumltte mich von dieser Mailingliste abgemeldet Dieses Leben hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben Es war nicht viel was uumlber die Liste hereinkam aber wenn mich meine Erinnerung nicht trog waren die wenigen Beitraumlge meist recht interessant Nur ein paar Astronomen Astrophysiker und Experten auf anderen Ge-bieten die sich uumlber alles unterhielten was ihnen seltsam vor-kam
Ich warf einen Blick in Richtung Kellnerin Die neue Kundschaft hatte viele Fragen zur Speisekarte Wahrscheinlich wollten sie wissen ob es in Sallys Diner auch glutenfreie vegane Grashalme gab oder so Die lieben Leute in San Francisco konnten ziemlich anstrengend sein
Da ich nichts weiter zu tun hatte las ich die E-Mail
Hallo Kollegen ich bin Dr Irina Petrowa und ich arbeite am Pulkowo-Observatorium in Sankt Petersburg in Russland
Ich schreibe Ihnen weil ich Ihre Hilfe braucheSeit zwei Jahren arbeite ich an einer Theorie die mit Infra-
rot-Emissionen aus Nebeln zu tun hat In diesem Zusammen-hang habe ich detaillierte Beobachtungen zu einigen speziel-len Infrarotwellenbaumlndern durchgefuumlhrt Dabei bin ich auf etwas Seltsames gestoszligen ndash aber nicht in einem Nebel son-dern hier in unserem eigenen Sonnensystem
Ich habe eine sehr schwache aber erkennbare Linie ent-deckt die auf einer Wellenlaumlnge von 25984 Mikrometern infrarotes Licht abstrahlt Es gibt keine Schwankungen die Wellenlaumlnge ist anscheinend immer gleich
Ich sende eine Excel-Tabelle mit den Daten mit Auszligerdem
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habe ich ein paar neuere Darstellungen der Daten in Form eines 3-D-Modells angefertigt
Sie koumlnnen dem Modell entnehmen dass die Linie die Form eines Bogens hat der am Nordpol der Sonne entspringt und 37 Millionen Kilometer weit gerade aufsteigt Dann schwenkt sie scharf nach unten ab und entfernt sich in Rich-tung Venus von der Sonne Jenseits des Apex erweitert sich die gekruumlmmte Linie zu einem Trichter In der Naumlhe der Venus ist der Querschnitt so groszlig wie der Planet selbst
Das infrarote Leuchten ist sehr schwach Ich konnte es nur entdecken weil ich auf der Suche nach Infrarotemissionen von Nebeln sehr empfindliche Messgeraumlte eingesetzt habe
Um ganz sicherzugehen habe ich das Atacama-Observa-torium in Chile darum gebeten die Daten zu uumlberpruumlfen Meiner Ansicht nach ist es das beste Infrarotobservatorium weltweit Sie haben meine Erkenntnisse bestaumltigt
Es gibt viele Gruumlnde warum man im interplanetaren Raum Infrarotstrahlung findet Es koumlnnten Staubwolken oder andere Partikel sein die das Sonnenlicht reflektieren Oder es han-delt sich um eine Molekuumllansammlung die Energie absor-biert und im Infrarotbereich wieder abstrahlt Dies wuumlrde so-gar erklaumlren warum die Wellenlaumlnge immer gleich bleibt
Besonders interessant ist die Form des Bogens Zuerst nahm ich an es handelte sich um eine Ansammlung von Partikeln die sich an Magnetfeldlinien orientieren Doch die Venus be-sitzt kein nennenswertes Magnetfeld Keine Magnetosphaumlre keine Ionosphaumlre nichts Welche Kraumlfte sollten die Partikel zu ihr ziehen Und warum sollten sie dabei gluumlhen
Ich bin dankbar fuumlr alle Anregungen und Theorien
Was zum Teufel war das dennDie Erinnerung war schlagartig da Sie ist ohne Vorwarnung in
meinem Kopf aufgetauchtUumlber mich selbst habe ich dabei nicht viel herausgefunden Ich
lebe in San Francisco so viel weiszlig ich jetzt Und ich fruumlhstuumlcke
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gern Auszligerdem habe ich mich fruumlher mit Astronomie beschaumlftigt was ich aber jetzt anscheinend nicht mehr mache
Mein Gehirn war wohl der Ansicht es sei wichtig mich an die E-Mail zu erinnern und nicht an so triviale Dinge wie meinen Namen
Mein Unterbewusstsein will mir etwas mitteilen Die Blutspur auf dem Boden hat mich anscheinend an die raquoduumlnne rote Linielaquo in der E-Mail erinnert Aber was hat das mit mir zu tun
Ich rutsche unter dem Bett hervor und lehne mich an die Wand Die Roboterarme tasten nach mir erreichen mich aber nicht
Es ist an der Zeit einen Blick auf meine Mitpatienten zu werfen Ich weiszlig nicht wer ich bin und warum ich hier bin aber wenigs-tens bin ich nicht allein und hellip sie sind tot
Eindeutig Direkt neben mir liegt eine Frau glaube ich Jeden-falls hatte sie lange Haare Davon abgesehen ist sie groumlszligtenteils mumifiziert Ausgetrocknete Haut haumlngt auf den Knochen Es riecht nicht Hier verwest nichts Sie ist offensichtlich schon lange tot
Der zweite Patient war ein Mann Er scheint sogar noch laumlnger tot zu sein Seine Haut ist nicht nur trocken und ledrig sondern zerkruumlmelt bereits
Na gut Also bin ich hier in der Gesellschaft von zwei Leichen Ich sollte es widerlich und entsetzlich finden aber das gelingt mir nicht Sie sind schon vor so langer Zeit gestorben dass sie kaum noch wie Menschen aussehen Eher wie Halloween-Dekorationen Ich hoffe ich war nicht mit ihnen befreundet Falls doch dann werde ich mich hoffentlich nicht daran erinnern
Tote Menschen sind eine Sache Groumlszligere Sorgen bereitet mir die Tatsache dass sie schon so lange hier liegen Selbst aus einem Quarantaumlnebereich wuumlrde man Tote entfernen oder Was hier schieflaumluft muss ziemlich uumlbel sein
Ich stehe auf Es geht nur langsam und ist ziemlich anstren-gend Ich halte mich an der Bettkante von Frau Mumie fest Die Liege wackelt und ich schwanke mit bleibe aber aufrecht stehen
Die Roboterarme fischen nach mir und ich schmiege mich wie-der an die Wand
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Ich bin ziemlich sicher dass ich im Koma gelegen habe Genau Je laumlnger ich daruumlber nachdenke desto klarer wird es
Ich kann nicht sagen wie lange ich schon hier bin aber wenn ich zur gleichen Zeit wie meine Zimmergenossen hier angekom-men bin muss es eine ganze Weile her sein Ich reibe mir uumlber das halb rasierte Gesicht Die Roboterarme sind faumlhig bewusstlose Patienten laumlngere Zeit zu versorgen Noch ein Beweis dafuumlr dass ich im Koma gelegen habe
Vielleicht kann ich die Luke erreichenIch mache einen Schritt dann noch einen Und dann sinke ich
zu Boden Es ist zu anstrengend Ich muss mich ausruhenWarum bin ich trotz meiner gut ausgebildeten Muskeln so
schwach Warum habe ich uumlberhaupt Muskeln wenn ich im Koma war Ich sollte ein verwittertes duumlrres Buumlndel sein und kein stram-mer Rettungsschwimmer
Ich habe keine Ahnung was hier laumluft Was soll ich jetzt tun Bin ich wirklich krank Ich meine natuumlrlich fuumlhle ich mich mise-rabel aber nicht krank Mir ist nicht uumlbel ich habe keine Kopf-schmerzen Fieber habe ich wohl auch nicht Wenn ich nicht krank bin warum habe ich dann im Koma gelegen Eine schwere Verletzung
Ich taste meinen Kopf ab Keine Schwellungen Narben oder Verbaumlnde Auch der Rest meines Koumlrpers kommt mir ziemlich sta-bil vor Mehr als stabil Ich habe sogar einen Waschbrettbauch
Am liebsten wuumlrde ich ein Nickerchen machen aber ich kaumlmp-fe gegen die Muumldigkeit an
Es wird Zeit es noch einmal zu versuchen Ich stemme mich wieder hoch Es ist wie Gewichtheben geht dieses Mal aber etwas leichter Wie es scheint erhole ich mich langsam Hoffentlich
Ich schlurfe an der Wand entlang und stuumltze mich mit dem Ruumlcken genauso stark ab wie mit den Fuumlszligen Die Roboterarme tas-ten staumlndig nach mir aber ich bleibe auszliger Reichweite
Ich keuche und japse und fuumlhle mich als waumlre ich einen Mara-thon gelaufen Vielleicht habe ich eine Lungenentzuumlndung Viel-leicht bin ich zu meinem eigenen Schutz in Isolation
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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1raquoWas ist zwei plus zweilaquo
Aus irgendeinem Grund aumlrgert mich die Frage Ich bin muumlde Beinahe schlafe ich wieder ein
Ein paar Minuten vergehen dann houmlre ich sie wiederraquoWas ist zwei plus zweilaquoDer leisen Frauenstimme fehlt jedes Gefuumlhl und der Tonfall ist
genau derselbe wie beim letzten Mal Es ist ein Computer Ein Computer der mich nervt Meine Veraumlrgerung waumlchst
raquoLsmchnrlaquo sage ich und staune Eigentlich wollte ich sagen raquoLass mich in Ruhelaquo was meiner Ansicht nach eine absolut ver-staumlndliche Reaktion ist Aus irgendeinem Grund kann ich nicht richtig sprechen
raquoNicht korrektlaquo entgegnet der Computer raquoWas ist zwei plus zweilaquo
Zeit fuumlr ein Experiment Ich will versuchen raquoHallolaquo zu sagenraquoHarchlaquoraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoWas ist hier eigentlich los Das wuumlsste ich wirklich gern aber
ich habe nicht viele Anhaltspunkte Auszliger dem Computer kann ich nichts anderes houmlren Ich kann nicht einmal etwas fuumlhlen Nein das stimmt nicht Ich spuumlre etwas Ich liege auf etwas Weichem Auf einem Bett
Ich glaube meine Augen sind geschlossen Das ist gar nicht so schlecht Ich muss sie nur oumlffnen Ich versuche es aber nichts passiert
Warum bekomme ich die Augen nicht auf
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OumlffnenUuuuuund hellip oumlffnenVerdammt noch mal geht aufOh Gerade hat etwas gezuckt Die Augenlider haben sich be-
wegt Das konnte ich fuumlhlenGEHT AUFGanz langsam gehorchen die Augenlider gleiszligendes Licht faumlllt
auf die NetzhaumluteraquoNampflaquo sage ich und halte mit groumlszligter Willenskraft die Augen
offen Alles ist grellweiszlig und tut wehraquoAugenbewegung entdecktlaquo sagt meine Peinigerin raquoWas ist
zwei plus zweilaquoDas grelle Weiszlig schwaumlcht sich ab Meine Augen passen sich an
die Helligkeit an Ich erkenne Umrisse die mir aber noch nichts sagen Mal sehen hellip kann ich die Haumlnde bewegen Nein
Die Fuumlszlige Ebenfalls neinAber ich kann den Mund bewegen oder Ich habe etwas ge-
sagt Nichts Verstaumlndliches aber immerhinraquoVrrmplaquoraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoAllmaumlhlich schaumllen sich Umrisse heraus Ich liege in einem
Bett Es ist hellip oval geformtUumlber mir strahlen LED-Lampen Kameras in der Decke uumlber-
wachen jede Bewegung So unheimlich das auch auf mich wirkt die Roboterarme machen mir noch viel groumlszligere Sorgen
An der Decke haumlngen zwei Edelstahlausleger Beide sind mit beunruhigenden nach Penetration aussehenden Geraumlten be-stuumlckt wo die Haumlnde sein sollten Ich kann nicht behaupten dass mir der Anblick gefaumlllt
raquoVirchhellip iehellip rrrlaquo stoumlhne ich Ob das reichtraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoVerdammt Ich raffe meine ganze Willenskraft und meine inne-
re Staumlrke zusammen Auszligerdem gerate ich allmaumlhlich in Panik Na gut auch das kann ich nutzen
raquoVvvvviiiierrrlaquo sage ich endlich
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raquoKorrektlaquoGott sei Dank Ich kann sprechen IrgendwieErleichtert atme ich aus Moment mal ndash ich habe gerade meine
Atmung kontrolliert Ich hole noch einmal Luft Absichtlich Mein Mund brennt die Kehle ist wie ausgedoumlrrt Aber es ist mein Bren-nen Ich habe die Kontrolle
Ich trage eine Atemmaske Sie sitzt fest auf meinem Gesicht und ist mit einem Schlauch verbunden der uumlber meinem Kopf ver-schwindet
Kann ich aufstehenNein Aber ich kann den Kopf ein wenig bewegen Ich betrachte
meinen Koumlrper Ich bin nackt und mit mehr Schlaumluchen verbun-den als ich zaumlhlen kann Je einer steckt in den Armen und Beinen einer in meiner Herrenausstattung zwei fuumlhren unter dem Ober-schenkel entlang Vermutlich sitzt einer davon da wo niemals die Sonne scheint
Das verheiszligt nichts GutesAuszligerdem bin ich mit Elektroden zugepflastert Die Sensoren
aumlhneln denen eines EKG-Geraumlts aber sie sind uumlberall Na ja wenigstens kleben sie auf der Haut und sind nicht in mich hinein-gebohrt
raquoWahelliplaquo keuche ich Ich versuche es noch einmal raquoWo bin ichlaquoraquoWas ist die Kubikwurzel von achtlaquo fragt der ComputerraquoWo bin ichlaquo frage ich noch einmal Es geht schon besserraquoNicht korrekt Was ist die Kubikwurzel von achtlaquoIch hole tief Luft und spreche betont langsam raquoZwei mal e
hoch zwei-i-pilaquoraquoNicht korrekt Was ist die Kubikwurzel von achtlaquoMeine Antwort war aber gar nicht falsch Ich wollte nur sehen
wie schlau der Computer ist Nicht besonders wie mir scheintraquoZweilaquo antworte ichraquoKorrektlaquoIch warte auf weitere Fragen aber der Computer scheint zufrie-
den zu sein Ich bin muumlde und langsam daumlmmere ich weg
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Ich wache auf Wie lange habe ich geschlafen Anscheinend ziem-lich lange denn ich fuumlhle mich ausgeruht Ohne Schwierigkeiten oumlffne ich die Augen Das ist ein Fortschritt
Als Naumlchstes versuche ich die Finger zu bewegen Sie wackeln wie gewuumlnscht Alles klar Das wird schon wieder
raquoHandbewegung entdecktlaquo stellt der Computer fest raquoBleiben Sie ruhig liegenlaquo
raquoWas Warum helliplaquoDie Roboterarme naumlhern sich Sie sind sehr schnell Im Hand-
umdrehen haben sie mir die meisten Schlaumluche aus dem Koumlrper gezogen Ich habe uumlberhaupt nichts gespuumlrt Meine Haut ist ir-gendwie taub
Nur drei Schlaumluche sind noch da eine Infusion im Arm der Schlauch im Hintern und ein Katheter Die letzten beiden waumlre ich zwar gern so schnell wie moumlglich losgeworden aber seiʼs drum
Ich hebe den rechten Arm und lasse ihn wieder auf das Bett sinken Dann noch einmal das Gleiche mit dem linken Arm Sie fuumlhlen sich ungeheuer schwer an Ich wiederhole die Uumlbung eini-ge Male Meine Arme sind kraumlftig Das kann doch nicht sein Es sieht ganz danach aus als haumltte ich ein groumlszligeres gesundheitliches Problem gehabt und eine Weile in diesem Bett verbracht sonst haumltten sie mich ja wohl kaum an dieses ganze Zeug angeschlos-sen Aber haumltten dabei nicht meine Muskeln schrumpfen muumlssen
Sollten hier nicht auch Aumlrzte sein Oder wenigstens die Ge-raumlusche die man in einem Krankenhaus erwartet Und was ist mit dem Bett los Es ist nicht rechteckig sondern oval und ich glaube es ist in der Wand verschraubt statt auf dem Boden zu stehen
raquoNimm helliplaquo Ich muss noch einmal ansetzen ich bin immer noch muumlde raquoNimm die Schlaumluche rauslaquo
Der Computer reagiert nichtIch hebe noch einige Male die Arme und wackle mit den Zehen
Ja es wird allmaumlhlich besserDann bewege ich die Fuumlszlige Sie gehorchen Als Naumlchstes ziehe
ich die Knie an Auch meine Beine sind muskuloumls Nicht so mus-
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kuloumls wie bei einem Bodybuilder aber immer noch viel zu kraumlftig fuumlr jemanden der offensichtlich dem Tode nahe war Andererseits kann ich nicht genau sagen wie dick sie eigentlich sein sollten
Ich stemme die Haumlnde flach auf das Bett und druumlcke mich hoch Mein Oberkoumlrper hebt sich Ich kann mich tatsaumlchlich aufrichten Es erfordert meine ganze Kraft aber ich lasse nicht locker Sobald ich den Kopf weit genug gehoben habe sehe ich dass das Kopf- und das Fuszligende des ovalen Betts an stabilen Verankerungen in der Wand haumlngen Es ist eine Art starre Haumlngematte Eigenartig
Kurz danach sitze ich auf dem Schlauch in meinem Hintern Kein sehr angenehmes Gefuumlhl aber wann waumlre so ein Schlauch schon einmal angenehm gewesen
Jetzt kann ich mehr erkennen Es ist kein gewoumlhnliches Kran-kenzimmer Die Waumlnde sehen aus als waumlren sie aus Plastik und der Raum ist rund Aus den LED-Leuchten in der Decke strahlt grelles Licht
An den Waumlnden sind noch zwei weitere Haumlngemattenbetten verankert in denen Patienten liegen Wir sind in einem Dreieck angeordnet und die Folterarme sind zwischen uns an der Decke an gebracht Ich nehme an sie kuumlmmern sich um uns drei Patien-ten Von meinen Leidensgenossen kann ich nicht viel erkennen sie sind so tief im Bett versunken wie ich es war
Eine Tuumlr gibt es nicht Nur eine Leiter die zu einer hellip ist das eine Luke Sie ist rund und hat in der Mitte ein Handrad Ja es muss eine Art Luke sein Wie auf einem U-Boot Ob wir drei eine an-steckende Krankheit haben Vielleicht ist dies ein Quarantaumlne-zimmer Hier und da entdecke ich kleine Luumlftungs gitter in den Waumlnden und ich spuumlre einen leichten Luftstrom Es koumlnnte eine kontrollierte Umgebung sein
Ich schiebe ein Bein uumlber die Bettkante worauf die Liege wackelt Die Roboterarme rasen auf mich zu Ich zucke zusammen doch sie halten kurz vor mir inne und schweben in der Luft ndash be-reit mich aufzufangen falls ich stuumlrze
raquoVollstaumlndige Koumlrperbewegung entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen Sielaquo
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raquoIst das dein Ernstlaquo frage ichraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch oumlffne den Mund und will antwortenraquoAumlh helliplaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoSo langsam daumlmmert es mir Ich weiszlig nicht wer ich bin Ich
weiszlig nicht wo ich bin Ich weiszlig nicht was ich tun soll Ich erin-nere mich an rein gar nichts
raquoAumlhmlaquo mache ichraquoNicht korrektlaquoSchlagartig werde ich muumlde Es ist sogar ganz angenehm An-
scheinend hat mich der Computer uumlber die Infusion betaumlubtraquohellip haaaalt helliplaquo murmle ich nochDie Roboterarme legen mich sachte auf das Bett
Wieder wache ich auf Einer der Roboterarme beruumlhrt mein Ge-sicht Was macht er da
Ich schaudere eher erschrocken als alles andere Der Arm zieht sich auf seine Warteposition unter der Decke zuruumlck Ich taste mein Gesicht nach Verletzungen ab Auf einer Seite sind Stoppeln die andere ist glatt
raquoHast du mich rasiertlaquoraquoBewusstsein entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen SielaquoraquoDas weiszlig ich immer noch nichtlaquoraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch bin weiszlig maumlnnlich und spreche Englisch Also lassen wir
es mal darauf ankommen raquoJ-JohnlaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch ziehe die Infusionsnadel aus dem Arm raquoLeck mich dochlaquoraquoNicht korrektlaquo Der Roboterarm greift nach mir Ich rolle mich vom Bett herunter Das ist ein Fehler Die ande-
ren Schlaumluche sind noch angeschlossen Der Schlauch im Hintern rutscht einfach heraus Das spuumlre ich kaum Dagegen wird der ge-blockte Katheter extrem unsanft aus meinem Penis gerissen Das tut furchtbar weh als haumltte ich einen Golfball gepinkelt
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Schreiend winde ich mich auf dem BodenraquoPhysisches Leidenlaquo stellt der Computer fest Die Roboterarme
greifen nach mir Ich krieche uumlber den Boden um ihnen zu ent-kommen und kann unter einem Bett verschwinden Die Arme hal-ten kurz davor inne geben aber nicht auf Sie warten Sie werden von einem Computer gesteuert Ihre Geduld ist unendlich
Ich lasse den Kopf auf den Boden sinken und schnappe nach Luft Nach einer Weile ebben die Schmerzen ab und ich wische mir die Traumlnen ab
Ich habe keine Ahnung was hier los istraquoHelaquo rufe ich raquoIhr zwei da wacht auflaquoraquoWie heiszligen Sielaquo fragt der ComputerraquoEiner von euch Menschen wacht doch bitte auflaquoraquoNicht korrektlaquo sagt der ComputerMein Unterleib tut so weh dass ich lachen muss Es ist absurd
Auszligerdem wirkt das Endorphin und mir wird schwindlig Ich bli-cke wieder zum Katheter auf meiner Koje und schuumlttle verwundert den Kopf Das Ding hat in meiner Harnroumlhre gesteckt O Mann
Und es hat beim Herausreiszligen Schaden angerichtet Auf dem Boden entdecke ich ein wenig Blut Nur ein schmaler roter Strei-fen hellip
Ich schluumlrfte Kaffee schob mir das letzte Stuumlck Toast in den Mund und winkte der Kellnerin um zu bezahlen Ich haumltte mir das Geld sparen und zu Hause fruumlhstuumlcken koumlnnen statt jeden Morgen ein Lokal aufzusuchen Angesichts meines bescheidenen Gehalts waumlre das vermutlich sogar eine gute Idee gewesen Aber ich koche nicht gern und ich mag Eier mit Speck
Die Kellnerin nickte und ging zur Kasse um meine Rechnung auszudrucken In diesem Augenblick trafen neue Gaumlste ein denen sie zuerst noch einen Platz zuweisen musste
Ich sah auf die Uhr Es war kurz nach sieben Uhr Ich hatte es nicht eilig Ich musste erst um acht anfangen war aber meist schon um zwanzig nach sieben im Buumlro um mich auf den Tag vorzubereiten
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Ich zuumlckte das Handy und checkte meine E-Mails
AN Astronomische Kuriositaumlten astrocuriousscilistsorgVON (Dr Irina Petrowa) ipetrowagaoranruBETREFF Die duumlnne rote Linie
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich den Display Ich dachte ich haumltte mich von dieser Mailingliste abgemeldet Dieses Leben hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben Es war nicht viel was uumlber die Liste hereinkam aber wenn mich meine Erinnerung nicht trog waren die wenigen Beitraumlge meist recht interessant Nur ein paar Astronomen Astrophysiker und Experten auf anderen Ge-bieten die sich uumlber alles unterhielten was ihnen seltsam vor-kam
Ich warf einen Blick in Richtung Kellnerin Die neue Kundschaft hatte viele Fragen zur Speisekarte Wahrscheinlich wollten sie wissen ob es in Sallys Diner auch glutenfreie vegane Grashalme gab oder so Die lieben Leute in San Francisco konnten ziemlich anstrengend sein
Da ich nichts weiter zu tun hatte las ich die E-Mail
Hallo Kollegen ich bin Dr Irina Petrowa und ich arbeite am Pulkowo-Observatorium in Sankt Petersburg in Russland
Ich schreibe Ihnen weil ich Ihre Hilfe braucheSeit zwei Jahren arbeite ich an einer Theorie die mit Infra-
rot-Emissionen aus Nebeln zu tun hat In diesem Zusammen-hang habe ich detaillierte Beobachtungen zu einigen speziel-len Infrarotwellenbaumlndern durchgefuumlhrt Dabei bin ich auf etwas Seltsames gestoszligen ndash aber nicht in einem Nebel son-dern hier in unserem eigenen Sonnensystem
Ich habe eine sehr schwache aber erkennbare Linie ent-deckt die auf einer Wellenlaumlnge von 25984 Mikrometern infrarotes Licht abstrahlt Es gibt keine Schwankungen die Wellenlaumlnge ist anscheinend immer gleich
Ich sende eine Excel-Tabelle mit den Daten mit Auszligerdem
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habe ich ein paar neuere Darstellungen der Daten in Form eines 3-D-Modells angefertigt
Sie koumlnnen dem Modell entnehmen dass die Linie die Form eines Bogens hat der am Nordpol der Sonne entspringt und 37 Millionen Kilometer weit gerade aufsteigt Dann schwenkt sie scharf nach unten ab und entfernt sich in Rich-tung Venus von der Sonne Jenseits des Apex erweitert sich die gekruumlmmte Linie zu einem Trichter In der Naumlhe der Venus ist der Querschnitt so groszlig wie der Planet selbst
Das infrarote Leuchten ist sehr schwach Ich konnte es nur entdecken weil ich auf der Suche nach Infrarotemissionen von Nebeln sehr empfindliche Messgeraumlte eingesetzt habe
Um ganz sicherzugehen habe ich das Atacama-Observa-torium in Chile darum gebeten die Daten zu uumlberpruumlfen Meiner Ansicht nach ist es das beste Infrarotobservatorium weltweit Sie haben meine Erkenntnisse bestaumltigt
Es gibt viele Gruumlnde warum man im interplanetaren Raum Infrarotstrahlung findet Es koumlnnten Staubwolken oder andere Partikel sein die das Sonnenlicht reflektieren Oder es han-delt sich um eine Molekuumllansammlung die Energie absor-biert und im Infrarotbereich wieder abstrahlt Dies wuumlrde so-gar erklaumlren warum die Wellenlaumlnge immer gleich bleibt
Besonders interessant ist die Form des Bogens Zuerst nahm ich an es handelte sich um eine Ansammlung von Partikeln die sich an Magnetfeldlinien orientieren Doch die Venus be-sitzt kein nennenswertes Magnetfeld Keine Magnetosphaumlre keine Ionosphaumlre nichts Welche Kraumlfte sollten die Partikel zu ihr ziehen Und warum sollten sie dabei gluumlhen
Ich bin dankbar fuumlr alle Anregungen und Theorien
Was zum Teufel war das dennDie Erinnerung war schlagartig da Sie ist ohne Vorwarnung in
meinem Kopf aufgetauchtUumlber mich selbst habe ich dabei nicht viel herausgefunden Ich
lebe in San Francisco so viel weiszlig ich jetzt Und ich fruumlhstuumlcke
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gern Auszligerdem habe ich mich fruumlher mit Astronomie beschaumlftigt was ich aber jetzt anscheinend nicht mehr mache
Mein Gehirn war wohl der Ansicht es sei wichtig mich an die E-Mail zu erinnern und nicht an so triviale Dinge wie meinen Namen
Mein Unterbewusstsein will mir etwas mitteilen Die Blutspur auf dem Boden hat mich anscheinend an die raquoduumlnne rote Linielaquo in der E-Mail erinnert Aber was hat das mit mir zu tun
Ich rutsche unter dem Bett hervor und lehne mich an die Wand Die Roboterarme tasten nach mir erreichen mich aber nicht
Es ist an der Zeit einen Blick auf meine Mitpatienten zu werfen Ich weiszlig nicht wer ich bin und warum ich hier bin aber wenigs-tens bin ich nicht allein und hellip sie sind tot
Eindeutig Direkt neben mir liegt eine Frau glaube ich Jeden-falls hatte sie lange Haare Davon abgesehen ist sie groumlszligtenteils mumifiziert Ausgetrocknete Haut haumlngt auf den Knochen Es riecht nicht Hier verwest nichts Sie ist offensichtlich schon lange tot
Der zweite Patient war ein Mann Er scheint sogar noch laumlnger tot zu sein Seine Haut ist nicht nur trocken und ledrig sondern zerkruumlmelt bereits
Na gut Also bin ich hier in der Gesellschaft von zwei Leichen Ich sollte es widerlich und entsetzlich finden aber das gelingt mir nicht Sie sind schon vor so langer Zeit gestorben dass sie kaum noch wie Menschen aussehen Eher wie Halloween-Dekorationen Ich hoffe ich war nicht mit ihnen befreundet Falls doch dann werde ich mich hoffentlich nicht daran erinnern
Tote Menschen sind eine Sache Groumlszligere Sorgen bereitet mir die Tatsache dass sie schon so lange hier liegen Selbst aus einem Quarantaumlnebereich wuumlrde man Tote entfernen oder Was hier schieflaumluft muss ziemlich uumlbel sein
Ich stehe auf Es geht nur langsam und ist ziemlich anstren-gend Ich halte mich an der Bettkante von Frau Mumie fest Die Liege wackelt und ich schwanke mit bleibe aber aufrecht stehen
Die Roboterarme fischen nach mir und ich schmiege mich wie-der an die Wand
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Ich bin ziemlich sicher dass ich im Koma gelegen habe Genau Je laumlnger ich daruumlber nachdenke desto klarer wird es
Ich kann nicht sagen wie lange ich schon hier bin aber wenn ich zur gleichen Zeit wie meine Zimmergenossen hier angekom-men bin muss es eine ganze Weile her sein Ich reibe mir uumlber das halb rasierte Gesicht Die Roboterarme sind faumlhig bewusstlose Patienten laumlngere Zeit zu versorgen Noch ein Beweis dafuumlr dass ich im Koma gelegen habe
Vielleicht kann ich die Luke erreichenIch mache einen Schritt dann noch einen Und dann sinke ich
zu Boden Es ist zu anstrengend Ich muss mich ausruhenWarum bin ich trotz meiner gut ausgebildeten Muskeln so
schwach Warum habe ich uumlberhaupt Muskeln wenn ich im Koma war Ich sollte ein verwittertes duumlrres Buumlndel sein und kein stram-mer Rettungsschwimmer
Ich habe keine Ahnung was hier laumluft Was soll ich jetzt tun Bin ich wirklich krank Ich meine natuumlrlich fuumlhle ich mich mise-rabel aber nicht krank Mir ist nicht uumlbel ich habe keine Kopf-schmerzen Fieber habe ich wohl auch nicht Wenn ich nicht krank bin warum habe ich dann im Koma gelegen Eine schwere Verletzung
Ich taste meinen Kopf ab Keine Schwellungen Narben oder Verbaumlnde Auch der Rest meines Koumlrpers kommt mir ziemlich sta-bil vor Mehr als stabil Ich habe sogar einen Waschbrettbauch
Am liebsten wuumlrde ich ein Nickerchen machen aber ich kaumlmp-fe gegen die Muumldigkeit an
Es wird Zeit es noch einmal zu versuchen Ich stemme mich wieder hoch Es ist wie Gewichtheben geht dieses Mal aber etwas leichter Wie es scheint erhole ich mich langsam Hoffentlich
Ich schlurfe an der Wand entlang und stuumltze mich mit dem Ruumlcken genauso stark ab wie mit den Fuumlszligen Die Roboterarme tas-ten staumlndig nach mir aber ich bleibe auszliger Reichweite
Ich keuche und japse und fuumlhle mich als waumlre ich einen Mara-thon gelaufen Vielleicht habe ich eine Lungenentzuumlndung Viel-leicht bin ich zu meinem eigenen Schutz in Isolation
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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OumlffnenUuuuuund hellip oumlffnenVerdammt noch mal geht aufOh Gerade hat etwas gezuckt Die Augenlider haben sich be-
wegt Das konnte ich fuumlhlenGEHT AUFGanz langsam gehorchen die Augenlider gleiszligendes Licht faumlllt
auf die NetzhaumluteraquoNampflaquo sage ich und halte mit groumlszligter Willenskraft die Augen
offen Alles ist grellweiszlig und tut wehraquoAugenbewegung entdecktlaquo sagt meine Peinigerin raquoWas ist
zwei plus zweilaquoDas grelle Weiszlig schwaumlcht sich ab Meine Augen passen sich an
die Helligkeit an Ich erkenne Umrisse die mir aber noch nichts sagen Mal sehen hellip kann ich die Haumlnde bewegen Nein
Die Fuumlszlige Ebenfalls neinAber ich kann den Mund bewegen oder Ich habe etwas ge-
sagt Nichts Verstaumlndliches aber immerhinraquoVrrmplaquoraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoAllmaumlhlich schaumllen sich Umrisse heraus Ich liege in einem
Bett Es ist hellip oval geformtUumlber mir strahlen LED-Lampen Kameras in der Decke uumlber-
wachen jede Bewegung So unheimlich das auch auf mich wirkt die Roboterarme machen mir noch viel groumlszligere Sorgen
An der Decke haumlngen zwei Edelstahlausleger Beide sind mit beunruhigenden nach Penetration aussehenden Geraumlten be-stuumlckt wo die Haumlnde sein sollten Ich kann nicht behaupten dass mir der Anblick gefaumlllt
raquoVirchhellip iehellip rrrlaquo stoumlhne ich Ob das reichtraquoNicht korrekt Was ist zwei plus zweilaquoVerdammt Ich raffe meine ganze Willenskraft und meine inne-
re Staumlrke zusammen Auszligerdem gerate ich allmaumlhlich in Panik Na gut auch das kann ich nutzen
raquoVvvvviiiierrrlaquo sage ich endlich
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raquoKorrektlaquoGott sei Dank Ich kann sprechen IrgendwieErleichtert atme ich aus Moment mal ndash ich habe gerade meine
Atmung kontrolliert Ich hole noch einmal Luft Absichtlich Mein Mund brennt die Kehle ist wie ausgedoumlrrt Aber es ist mein Bren-nen Ich habe die Kontrolle
Ich trage eine Atemmaske Sie sitzt fest auf meinem Gesicht und ist mit einem Schlauch verbunden der uumlber meinem Kopf ver-schwindet
Kann ich aufstehenNein Aber ich kann den Kopf ein wenig bewegen Ich betrachte
meinen Koumlrper Ich bin nackt und mit mehr Schlaumluchen verbun-den als ich zaumlhlen kann Je einer steckt in den Armen und Beinen einer in meiner Herrenausstattung zwei fuumlhren unter dem Ober-schenkel entlang Vermutlich sitzt einer davon da wo niemals die Sonne scheint
Das verheiszligt nichts GutesAuszligerdem bin ich mit Elektroden zugepflastert Die Sensoren
aumlhneln denen eines EKG-Geraumlts aber sie sind uumlberall Na ja wenigstens kleben sie auf der Haut und sind nicht in mich hinein-gebohrt
raquoWahelliplaquo keuche ich Ich versuche es noch einmal raquoWo bin ichlaquoraquoWas ist die Kubikwurzel von achtlaquo fragt der ComputerraquoWo bin ichlaquo frage ich noch einmal Es geht schon besserraquoNicht korrekt Was ist die Kubikwurzel von achtlaquoIch hole tief Luft und spreche betont langsam raquoZwei mal e
hoch zwei-i-pilaquoraquoNicht korrekt Was ist die Kubikwurzel von achtlaquoMeine Antwort war aber gar nicht falsch Ich wollte nur sehen
wie schlau der Computer ist Nicht besonders wie mir scheintraquoZweilaquo antworte ichraquoKorrektlaquoIch warte auf weitere Fragen aber der Computer scheint zufrie-
den zu sein Ich bin muumlde und langsam daumlmmere ich weg
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Ich wache auf Wie lange habe ich geschlafen Anscheinend ziem-lich lange denn ich fuumlhle mich ausgeruht Ohne Schwierigkeiten oumlffne ich die Augen Das ist ein Fortschritt
Als Naumlchstes versuche ich die Finger zu bewegen Sie wackeln wie gewuumlnscht Alles klar Das wird schon wieder
raquoHandbewegung entdecktlaquo stellt der Computer fest raquoBleiben Sie ruhig liegenlaquo
raquoWas Warum helliplaquoDie Roboterarme naumlhern sich Sie sind sehr schnell Im Hand-
umdrehen haben sie mir die meisten Schlaumluche aus dem Koumlrper gezogen Ich habe uumlberhaupt nichts gespuumlrt Meine Haut ist ir-gendwie taub
Nur drei Schlaumluche sind noch da eine Infusion im Arm der Schlauch im Hintern und ein Katheter Die letzten beiden waumlre ich zwar gern so schnell wie moumlglich losgeworden aber seiʼs drum
Ich hebe den rechten Arm und lasse ihn wieder auf das Bett sinken Dann noch einmal das Gleiche mit dem linken Arm Sie fuumlhlen sich ungeheuer schwer an Ich wiederhole die Uumlbung eini-ge Male Meine Arme sind kraumlftig Das kann doch nicht sein Es sieht ganz danach aus als haumltte ich ein groumlszligeres gesundheitliches Problem gehabt und eine Weile in diesem Bett verbracht sonst haumltten sie mich ja wohl kaum an dieses ganze Zeug angeschlos-sen Aber haumltten dabei nicht meine Muskeln schrumpfen muumlssen
Sollten hier nicht auch Aumlrzte sein Oder wenigstens die Ge-raumlusche die man in einem Krankenhaus erwartet Und was ist mit dem Bett los Es ist nicht rechteckig sondern oval und ich glaube es ist in der Wand verschraubt statt auf dem Boden zu stehen
raquoNimm helliplaquo Ich muss noch einmal ansetzen ich bin immer noch muumlde raquoNimm die Schlaumluche rauslaquo
Der Computer reagiert nichtIch hebe noch einige Male die Arme und wackle mit den Zehen
Ja es wird allmaumlhlich besserDann bewege ich die Fuumlszlige Sie gehorchen Als Naumlchstes ziehe
ich die Knie an Auch meine Beine sind muskuloumls Nicht so mus-
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kuloumls wie bei einem Bodybuilder aber immer noch viel zu kraumlftig fuumlr jemanden der offensichtlich dem Tode nahe war Andererseits kann ich nicht genau sagen wie dick sie eigentlich sein sollten
Ich stemme die Haumlnde flach auf das Bett und druumlcke mich hoch Mein Oberkoumlrper hebt sich Ich kann mich tatsaumlchlich aufrichten Es erfordert meine ganze Kraft aber ich lasse nicht locker Sobald ich den Kopf weit genug gehoben habe sehe ich dass das Kopf- und das Fuszligende des ovalen Betts an stabilen Verankerungen in der Wand haumlngen Es ist eine Art starre Haumlngematte Eigenartig
Kurz danach sitze ich auf dem Schlauch in meinem Hintern Kein sehr angenehmes Gefuumlhl aber wann waumlre so ein Schlauch schon einmal angenehm gewesen
Jetzt kann ich mehr erkennen Es ist kein gewoumlhnliches Kran-kenzimmer Die Waumlnde sehen aus als waumlren sie aus Plastik und der Raum ist rund Aus den LED-Leuchten in der Decke strahlt grelles Licht
An den Waumlnden sind noch zwei weitere Haumlngemattenbetten verankert in denen Patienten liegen Wir sind in einem Dreieck angeordnet und die Folterarme sind zwischen uns an der Decke an gebracht Ich nehme an sie kuumlmmern sich um uns drei Patien-ten Von meinen Leidensgenossen kann ich nicht viel erkennen sie sind so tief im Bett versunken wie ich es war
Eine Tuumlr gibt es nicht Nur eine Leiter die zu einer hellip ist das eine Luke Sie ist rund und hat in der Mitte ein Handrad Ja es muss eine Art Luke sein Wie auf einem U-Boot Ob wir drei eine an-steckende Krankheit haben Vielleicht ist dies ein Quarantaumlne-zimmer Hier und da entdecke ich kleine Luumlftungs gitter in den Waumlnden und ich spuumlre einen leichten Luftstrom Es koumlnnte eine kontrollierte Umgebung sein
Ich schiebe ein Bein uumlber die Bettkante worauf die Liege wackelt Die Roboterarme rasen auf mich zu Ich zucke zusammen doch sie halten kurz vor mir inne und schweben in der Luft ndash be-reit mich aufzufangen falls ich stuumlrze
raquoVollstaumlndige Koumlrperbewegung entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen Sielaquo
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raquoIst das dein Ernstlaquo frage ichraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch oumlffne den Mund und will antwortenraquoAumlh helliplaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoSo langsam daumlmmert es mir Ich weiszlig nicht wer ich bin Ich
weiszlig nicht wo ich bin Ich weiszlig nicht was ich tun soll Ich erin-nere mich an rein gar nichts
raquoAumlhmlaquo mache ichraquoNicht korrektlaquoSchlagartig werde ich muumlde Es ist sogar ganz angenehm An-
scheinend hat mich der Computer uumlber die Infusion betaumlubtraquohellip haaaalt helliplaquo murmle ich nochDie Roboterarme legen mich sachte auf das Bett
Wieder wache ich auf Einer der Roboterarme beruumlhrt mein Ge-sicht Was macht er da
Ich schaudere eher erschrocken als alles andere Der Arm zieht sich auf seine Warteposition unter der Decke zuruumlck Ich taste mein Gesicht nach Verletzungen ab Auf einer Seite sind Stoppeln die andere ist glatt
raquoHast du mich rasiertlaquoraquoBewusstsein entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen SielaquoraquoDas weiszlig ich immer noch nichtlaquoraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch bin weiszlig maumlnnlich und spreche Englisch Also lassen wir
es mal darauf ankommen raquoJ-JohnlaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch ziehe die Infusionsnadel aus dem Arm raquoLeck mich dochlaquoraquoNicht korrektlaquo Der Roboterarm greift nach mir Ich rolle mich vom Bett herunter Das ist ein Fehler Die ande-
ren Schlaumluche sind noch angeschlossen Der Schlauch im Hintern rutscht einfach heraus Das spuumlre ich kaum Dagegen wird der ge-blockte Katheter extrem unsanft aus meinem Penis gerissen Das tut furchtbar weh als haumltte ich einen Golfball gepinkelt
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Schreiend winde ich mich auf dem BodenraquoPhysisches Leidenlaquo stellt der Computer fest Die Roboterarme
greifen nach mir Ich krieche uumlber den Boden um ihnen zu ent-kommen und kann unter einem Bett verschwinden Die Arme hal-ten kurz davor inne geben aber nicht auf Sie warten Sie werden von einem Computer gesteuert Ihre Geduld ist unendlich
Ich lasse den Kopf auf den Boden sinken und schnappe nach Luft Nach einer Weile ebben die Schmerzen ab und ich wische mir die Traumlnen ab
Ich habe keine Ahnung was hier los istraquoHelaquo rufe ich raquoIhr zwei da wacht auflaquoraquoWie heiszligen Sielaquo fragt der ComputerraquoEiner von euch Menschen wacht doch bitte auflaquoraquoNicht korrektlaquo sagt der ComputerMein Unterleib tut so weh dass ich lachen muss Es ist absurd
Auszligerdem wirkt das Endorphin und mir wird schwindlig Ich bli-cke wieder zum Katheter auf meiner Koje und schuumlttle verwundert den Kopf Das Ding hat in meiner Harnroumlhre gesteckt O Mann
Und es hat beim Herausreiszligen Schaden angerichtet Auf dem Boden entdecke ich ein wenig Blut Nur ein schmaler roter Strei-fen hellip
Ich schluumlrfte Kaffee schob mir das letzte Stuumlck Toast in den Mund und winkte der Kellnerin um zu bezahlen Ich haumltte mir das Geld sparen und zu Hause fruumlhstuumlcken koumlnnen statt jeden Morgen ein Lokal aufzusuchen Angesichts meines bescheidenen Gehalts waumlre das vermutlich sogar eine gute Idee gewesen Aber ich koche nicht gern und ich mag Eier mit Speck
Die Kellnerin nickte und ging zur Kasse um meine Rechnung auszudrucken In diesem Augenblick trafen neue Gaumlste ein denen sie zuerst noch einen Platz zuweisen musste
Ich sah auf die Uhr Es war kurz nach sieben Uhr Ich hatte es nicht eilig Ich musste erst um acht anfangen war aber meist schon um zwanzig nach sieben im Buumlro um mich auf den Tag vorzubereiten
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Ich zuumlckte das Handy und checkte meine E-Mails
AN Astronomische Kuriositaumlten astrocuriousscilistsorgVON (Dr Irina Petrowa) ipetrowagaoranruBETREFF Die duumlnne rote Linie
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich den Display Ich dachte ich haumltte mich von dieser Mailingliste abgemeldet Dieses Leben hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben Es war nicht viel was uumlber die Liste hereinkam aber wenn mich meine Erinnerung nicht trog waren die wenigen Beitraumlge meist recht interessant Nur ein paar Astronomen Astrophysiker und Experten auf anderen Ge-bieten die sich uumlber alles unterhielten was ihnen seltsam vor-kam
Ich warf einen Blick in Richtung Kellnerin Die neue Kundschaft hatte viele Fragen zur Speisekarte Wahrscheinlich wollten sie wissen ob es in Sallys Diner auch glutenfreie vegane Grashalme gab oder so Die lieben Leute in San Francisco konnten ziemlich anstrengend sein
Da ich nichts weiter zu tun hatte las ich die E-Mail
Hallo Kollegen ich bin Dr Irina Petrowa und ich arbeite am Pulkowo-Observatorium in Sankt Petersburg in Russland
Ich schreibe Ihnen weil ich Ihre Hilfe braucheSeit zwei Jahren arbeite ich an einer Theorie die mit Infra-
rot-Emissionen aus Nebeln zu tun hat In diesem Zusammen-hang habe ich detaillierte Beobachtungen zu einigen speziel-len Infrarotwellenbaumlndern durchgefuumlhrt Dabei bin ich auf etwas Seltsames gestoszligen ndash aber nicht in einem Nebel son-dern hier in unserem eigenen Sonnensystem
Ich habe eine sehr schwache aber erkennbare Linie ent-deckt die auf einer Wellenlaumlnge von 25984 Mikrometern infrarotes Licht abstrahlt Es gibt keine Schwankungen die Wellenlaumlnge ist anscheinend immer gleich
Ich sende eine Excel-Tabelle mit den Daten mit Auszligerdem
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habe ich ein paar neuere Darstellungen der Daten in Form eines 3-D-Modells angefertigt
Sie koumlnnen dem Modell entnehmen dass die Linie die Form eines Bogens hat der am Nordpol der Sonne entspringt und 37 Millionen Kilometer weit gerade aufsteigt Dann schwenkt sie scharf nach unten ab und entfernt sich in Rich-tung Venus von der Sonne Jenseits des Apex erweitert sich die gekruumlmmte Linie zu einem Trichter In der Naumlhe der Venus ist der Querschnitt so groszlig wie der Planet selbst
Das infrarote Leuchten ist sehr schwach Ich konnte es nur entdecken weil ich auf der Suche nach Infrarotemissionen von Nebeln sehr empfindliche Messgeraumlte eingesetzt habe
Um ganz sicherzugehen habe ich das Atacama-Observa-torium in Chile darum gebeten die Daten zu uumlberpruumlfen Meiner Ansicht nach ist es das beste Infrarotobservatorium weltweit Sie haben meine Erkenntnisse bestaumltigt
Es gibt viele Gruumlnde warum man im interplanetaren Raum Infrarotstrahlung findet Es koumlnnten Staubwolken oder andere Partikel sein die das Sonnenlicht reflektieren Oder es han-delt sich um eine Molekuumllansammlung die Energie absor-biert und im Infrarotbereich wieder abstrahlt Dies wuumlrde so-gar erklaumlren warum die Wellenlaumlnge immer gleich bleibt
Besonders interessant ist die Form des Bogens Zuerst nahm ich an es handelte sich um eine Ansammlung von Partikeln die sich an Magnetfeldlinien orientieren Doch die Venus be-sitzt kein nennenswertes Magnetfeld Keine Magnetosphaumlre keine Ionosphaumlre nichts Welche Kraumlfte sollten die Partikel zu ihr ziehen Und warum sollten sie dabei gluumlhen
Ich bin dankbar fuumlr alle Anregungen und Theorien
Was zum Teufel war das dennDie Erinnerung war schlagartig da Sie ist ohne Vorwarnung in
meinem Kopf aufgetauchtUumlber mich selbst habe ich dabei nicht viel herausgefunden Ich
lebe in San Francisco so viel weiszlig ich jetzt Und ich fruumlhstuumlcke
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gern Auszligerdem habe ich mich fruumlher mit Astronomie beschaumlftigt was ich aber jetzt anscheinend nicht mehr mache
Mein Gehirn war wohl der Ansicht es sei wichtig mich an die E-Mail zu erinnern und nicht an so triviale Dinge wie meinen Namen
Mein Unterbewusstsein will mir etwas mitteilen Die Blutspur auf dem Boden hat mich anscheinend an die raquoduumlnne rote Linielaquo in der E-Mail erinnert Aber was hat das mit mir zu tun
Ich rutsche unter dem Bett hervor und lehne mich an die Wand Die Roboterarme tasten nach mir erreichen mich aber nicht
Es ist an der Zeit einen Blick auf meine Mitpatienten zu werfen Ich weiszlig nicht wer ich bin und warum ich hier bin aber wenigs-tens bin ich nicht allein und hellip sie sind tot
Eindeutig Direkt neben mir liegt eine Frau glaube ich Jeden-falls hatte sie lange Haare Davon abgesehen ist sie groumlszligtenteils mumifiziert Ausgetrocknete Haut haumlngt auf den Knochen Es riecht nicht Hier verwest nichts Sie ist offensichtlich schon lange tot
Der zweite Patient war ein Mann Er scheint sogar noch laumlnger tot zu sein Seine Haut ist nicht nur trocken und ledrig sondern zerkruumlmelt bereits
Na gut Also bin ich hier in der Gesellschaft von zwei Leichen Ich sollte es widerlich und entsetzlich finden aber das gelingt mir nicht Sie sind schon vor so langer Zeit gestorben dass sie kaum noch wie Menschen aussehen Eher wie Halloween-Dekorationen Ich hoffe ich war nicht mit ihnen befreundet Falls doch dann werde ich mich hoffentlich nicht daran erinnern
Tote Menschen sind eine Sache Groumlszligere Sorgen bereitet mir die Tatsache dass sie schon so lange hier liegen Selbst aus einem Quarantaumlnebereich wuumlrde man Tote entfernen oder Was hier schieflaumluft muss ziemlich uumlbel sein
Ich stehe auf Es geht nur langsam und ist ziemlich anstren-gend Ich halte mich an der Bettkante von Frau Mumie fest Die Liege wackelt und ich schwanke mit bleibe aber aufrecht stehen
Die Roboterarme fischen nach mir und ich schmiege mich wie-der an die Wand
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Ich bin ziemlich sicher dass ich im Koma gelegen habe Genau Je laumlnger ich daruumlber nachdenke desto klarer wird es
Ich kann nicht sagen wie lange ich schon hier bin aber wenn ich zur gleichen Zeit wie meine Zimmergenossen hier angekom-men bin muss es eine ganze Weile her sein Ich reibe mir uumlber das halb rasierte Gesicht Die Roboterarme sind faumlhig bewusstlose Patienten laumlngere Zeit zu versorgen Noch ein Beweis dafuumlr dass ich im Koma gelegen habe
Vielleicht kann ich die Luke erreichenIch mache einen Schritt dann noch einen Und dann sinke ich
zu Boden Es ist zu anstrengend Ich muss mich ausruhenWarum bin ich trotz meiner gut ausgebildeten Muskeln so
schwach Warum habe ich uumlberhaupt Muskeln wenn ich im Koma war Ich sollte ein verwittertes duumlrres Buumlndel sein und kein stram-mer Rettungsschwimmer
Ich habe keine Ahnung was hier laumluft Was soll ich jetzt tun Bin ich wirklich krank Ich meine natuumlrlich fuumlhle ich mich mise-rabel aber nicht krank Mir ist nicht uumlbel ich habe keine Kopf-schmerzen Fieber habe ich wohl auch nicht Wenn ich nicht krank bin warum habe ich dann im Koma gelegen Eine schwere Verletzung
Ich taste meinen Kopf ab Keine Schwellungen Narben oder Verbaumlnde Auch der Rest meines Koumlrpers kommt mir ziemlich sta-bil vor Mehr als stabil Ich habe sogar einen Waschbrettbauch
Am liebsten wuumlrde ich ein Nickerchen machen aber ich kaumlmp-fe gegen die Muumldigkeit an
Es wird Zeit es noch einmal zu versuchen Ich stemme mich wieder hoch Es ist wie Gewichtheben geht dieses Mal aber etwas leichter Wie es scheint erhole ich mich langsam Hoffentlich
Ich schlurfe an der Wand entlang und stuumltze mich mit dem Ruumlcken genauso stark ab wie mit den Fuumlszligen Die Roboterarme tas-ten staumlndig nach mir aber ich bleibe auszliger Reichweite
Ich keuche und japse und fuumlhle mich als waumlre ich einen Mara-thon gelaufen Vielleicht habe ich eine Lungenentzuumlndung Viel-leicht bin ich zu meinem eigenen Schutz in Isolation
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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raquoKorrektlaquoGott sei Dank Ich kann sprechen IrgendwieErleichtert atme ich aus Moment mal ndash ich habe gerade meine
Atmung kontrolliert Ich hole noch einmal Luft Absichtlich Mein Mund brennt die Kehle ist wie ausgedoumlrrt Aber es ist mein Bren-nen Ich habe die Kontrolle
Ich trage eine Atemmaske Sie sitzt fest auf meinem Gesicht und ist mit einem Schlauch verbunden der uumlber meinem Kopf ver-schwindet
Kann ich aufstehenNein Aber ich kann den Kopf ein wenig bewegen Ich betrachte
meinen Koumlrper Ich bin nackt und mit mehr Schlaumluchen verbun-den als ich zaumlhlen kann Je einer steckt in den Armen und Beinen einer in meiner Herrenausstattung zwei fuumlhren unter dem Ober-schenkel entlang Vermutlich sitzt einer davon da wo niemals die Sonne scheint
Das verheiszligt nichts GutesAuszligerdem bin ich mit Elektroden zugepflastert Die Sensoren
aumlhneln denen eines EKG-Geraumlts aber sie sind uumlberall Na ja wenigstens kleben sie auf der Haut und sind nicht in mich hinein-gebohrt
raquoWahelliplaquo keuche ich Ich versuche es noch einmal raquoWo bin ichlaquoraquoWas ist die Kubikwurzel von achtlaquo fragt der ComputerraquoWo bin ichlaquo frage ich noch einmal Es geht schon besserraquoNicht korrekt Was ist die Kubikwurzel von achtlaquoIch hole tief Luft und spreche betont langsam raquoZwei mal e
hoch zwei-i-pilaquoraquoNicht korrekt Was ist die Kubikwurzel von achtlaquoMeine Antwort war aber gar nicht falsch Ich wollte nur sehen
wie schlau der Computer ist Nicht besonders wie mir scheintraquoZweilaquo antworte ichraquoKorrektlaquoIch warte auf weitere Fragen aber der Computer scheint zufrie-
den zu sein Ich bin muumlde und langsam daumlmmere ich weg
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Ich wache auf Wie lange habe ich geschlafen Anscheinend ziem-lich lange denn ich fuumlhle mich ausgeruht Ohne Schwierigkeiten oumlffne ich die Augen Das ist ein Fortschritt
Als Naumlchstes versuche ich die Finger zu bewegen Sie wackeln wie gewuumlnscht Alles klar Das wird schon wieder
raquoHandbewegung entdecktlaquo stellt der Computer fest raquoBleiben Sie ruhig liegenlaquo
raquoWas Warum helliplaquoDie Roboterarme naumlhern sich Sie sind sehr schnell Im Hand-
umdrehen haben sie mir die meisten Schlaumluche aus dem Koumlrper gezogen Ich habe uumlberhaupt nichts gespuumlrt Meine Haut ist ir-gendwie taub
Nur drei Schlaumluche sind noch da eine Infusion im Arm der Schlauch im Hintern und ein Katheter Die letzten beiden waumlre ich zwar gern so schnell wie moumlglich losgeworden aber seiʼs drum
Ich hebe den rechten Arm und lasse ihn wieder auf das Bett sinken Dann noch einmal das Gleiche mit dem linken Arm Sie fuumlhlen sich ungeheuer schwer an Ich wiederhole die Uumlbung eini-ge Male Meine Arme sind kraumlftig Das kann doch nicht sein Es sieht ganz danach aus als haumltte ich ein groumlszligeres gesundheitliches Problem gehabt und eine Weile in diesem Bett verbracht sonst haumltten sie mich ja wohl kaum an dieses ganze Zeug angeschlos-sen Aber haumltten dabei nicht meine Muskeln schrumpfen muumlssen
Sollten hier nicht auch Aumlrzte sein Oder wenigstens die Ge-raumlusche die man in einem Krankenhaus erwartet Und was ist mit dem Bett los Es ist nicht rechteckig sondern oval und ich glaube es ist in der Wand verschraubt statt auf dem Boden zu stehen
raquoNimm helliplaquo Ich muss noch einmal ansetzen ich bin immer noch muumlde raquoNimm die Schlaumluche rauslaquo
Der Computer reagiert nichtIch hebe noch einige Male die Arme und wackle mit den Zehen
Ja es wird allmaumlhlich besserDann bewege ich die Fuumlszlige Sie gehorchen Als Naumlchstes ziehe
ich die Knie an Auch meine Beine sind muskuloumls Nicht so mus-
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kuloumls wie bei einem Bodybuilder aber immer noch viel zu kraumlftig fuumlr jemanden der offensichtlich dem Tode nahe war Andererseits kann ich nicht genau sagen wie dick sie eigentlich sein sollten
Ich stemme die Haumlnde flach auf das Bett und druumlcke mich hoch Mein Oberkoumlrper hebt sich Ich kann mich tatsaumlchlich aufrichten Es erfordert meine ganze Kraft aber ich lasse nicht locker Sobald ich den Kopf weit genug gehoben habe sehe ich dass das Kopf- und das Fuszligende des ovalen Betts an stabilen Verankerungen in der Wand haumlngen Es ist eine Art starre Haumlngematte Eigenartig
Kurz danach sitze ich auf dem Schlauch in meinem Hintern Kein sehr angenehmes Gefuumlhl aber wann waumlre so ein Schlauch schon einmal angenehm gewesen
Jetzt kann ich mehr erkennen Es ist kein gewoumlhnliches Kran-kenzimmer Die Waumlnde sehen aus als waumlren sie aus Plastik und der Raum ist rund Aus den LED-Leuchten in der Decke strahlt grelles Licht
An den Waumlnden sind noch zwei weitere Haumlngemattenbetten verankert in denen Patienten liegen Wir sind in einem Dreieck angeordnet und die Folterarme sind zwischen uns an der Decke an gebracht Ich nehme an sie kuumlmmern sich um uns drei Patien-ten Von meinen Leidensgenossen kann ich nicht viel erkennen sie sind so tief im Bett versunken wie ich es war
Eine Tuumlr gibt es nicht Nur eine Leiter die zu einer hellip ist das eine Luke Sie ist rund und hat in der Mitte ein Handrad Ja es muss eine Art Luke sein Wie auf einem U-Boot Ob wir drei eine an-steckende Krankheit haben Vielleicht ist dies ein Quarantaumlne-zimmer Hier und da entdecke ich kleine Luumlftungs gitter in den Waumlnden und ich spuumlre einen leichten Luftstrom Es koumlnnte eine kontrollierte Umgebung sein
Ich schiebe ein Bein uumlber die Bettkante worauf die Liege wackelt Die Roboterarme rasen auf mich zu Ich zucke zusammen doch sie halten kurz vor mir inne und schweben in der Luft ndash be-reit mich aufzufangen falls ich stuumlrze
raquoVollstaumlndige Koumlrperbewegung entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen Sielaquo
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raquoIst das dein Ernstlaquo frage ichraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch oumlffne den Mund und will antwortenraquoAumlh helliplaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoSo langsam daumlmmert es mir Ich weiszlig nicht wer ich bin Ich
weiszlig nicht wo ich bin Ich weiszlig nicht was ich tun soll Ich erin-nere mich an rein gar nichts
raquoAumlhmlaquo mache ichraquoNicht korrektlaquoSchlagartig werde ich muumlde Es ist sogar ganz angenehm An-
scheinend hat mich der Computer uumlber die Infusion betaumlubtraquohellip haaaalt helliplaquo murmle ich nochDie Roboterarme legen mich sachte auf das Bett
Wieder wache ich auf Einer der Roboterarme beruumlhrt mein Ge-sicht Was macht er da
Ich schaudere eher erschrocken als alles andere Der Arm zieht sich auf seine Warteposition unter der Decke zuruumlck Ich taste mein Gesicht nach Verletzungen ab Auf einer Seite sind Stoppeln die andere ist glatt
raquoHast du mich rasiertlaquoraquoBewusstsein entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen SielaquoraquoDas weiszlig ich immer noch nichtlaquoraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch bin weiszlig maumlnnlich und spreche Englisch Also lassen wir
es mal darauf ankommen raquoJ-JohnlaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch ziehe die Infusionsnadel aus dem Arm raquoLeck mich dochlaquoraquoNicht korrektlaquo Der Roboterarm greift nach mir Ich rolle mich vom Bett herunter Das ist ein Fehler Die ande-
ren Schlaumluche sind noch angeschlossen Der Schlauch im Hintern rutscht einfach heraus Das spuumlre ich kaum Dagegen wird der ge-blockte Katheter extrem unsanft aus meinem Penis gerissen Das tut furchtbar weh als haumltte ich einen Golfball gepinkelt
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Schreiend winde ich mich auf dem BodenraquoPhysisches Leidenlaquo stellt der Computer fest Die Roboterarme
greifen nach mir Ich krieche uumlber den Boden um ihnen zu ent-kommen und kann unter einem Bett verschwinden Die Arme hal-ten kurz davor inne geben aber nicht auf Sie warten Sie werden von einem Computer gesteuert Ihre Geduld ist unendlich
Ich lasse den Kopf auf den Boden sinken und schnappe nach Luft Nach einer Weile ebben die Schmerzen ab und ich wische mir die Traumlnen ab
Ich habe keine Ahnung was hier los istraquoHelaquo rufe ich raquoIhr zwei da wacht auflaquoraquoWie heiszligen Sielaquo fragt der ComputerraquoEiner von euch Menschen wacht doch bitte auflaquoraquoNicht korrektlaquo sagt der ComputerMein Unterleib tut so weh dass ich lachen muss Es ist absurd
Auszligerdem wirkt das Endorphin und mir wird schwindlig Ich bli-cke wieder zum Katheter auf meiner Koje und schuumlttle verwundert den Kopf Das Ding hat in meiner Harnroumlhre gesteckt O Mann
Und es hat beim Herausreiszligen Schaden angerichtet Auf dem Boden entdecke ich ein wenig Blut Nur ein schmaler roter Strei-fen hellip
Ich schluumlrfte Kaffee schob mir das letzte Stuumlck Toast in den Mund und winkte der Kellnerin um zu bezahlen Ich haumltte mir das Geld sparen und zu Hause fruumlhstuumlcken koumlnnen statt jeden Morgen ein Lokal aufzusuchen Angesichts meines bescheidenen Gehalts waumlre das vermutlich sogar eine gute Idee gewesen Aber ich koche nicht gern und ich mag Eier mit Speck
Die Kellnerin nickte und ging zur Kasse um meine Rechnung auszudrucken In diesem Augenblick trafen neue Gaumlste ein denen sie zuerst noch einen Platz zuweisen musste
Ich sah auf die Uhr Es war kurz nach sieben Uhr Ich hatte es nicht eilig Ich musste erst um acht anfangen war aber meist schon um zwanzig nach sieben im Buumlro um mich auf den Tag vorzubereiten
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Ich zuumlckte das Handy und checkte meine E-Mails
AN Astronomische Kuriositaumlten astrocuriousscilistsorgVON (Dr Irina Petrowa) ipetrowagaoranruBETREFF Die duumlnne rote Linie
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich den Display Ich dachte ich haumltte mich von dieser Mailingliste abgemeldet Dieses Leben hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben Es war nicht viel was uumlber die Liste hereinkam aber wenn mich meine Erinnerung nicht trog waren die wenigen Beitraumlge meist recht interessant Nur ein paar Astronomen Astrophysiker und Experten auf anderen Ge-bieten die sich uumlber alles unterhielten was ihnen seltsam vor-kam
Ich warf einen Blick in Richtung Kellnerin Die neue Kundschaft hatte viele Fragen zur Speisekarte Wahrscheinlich wollten sie wissen ob es in Sallys Diner auch glutenfreie vegane Grashalme gab oder so Die lieben Leute in San Francisco konnten ziemlich anstrengend sein
Da ich nichts weiter zu tun hatte las ich die E-Mail
Hallo Kollegen ich bin Dr Irina Petrowa und ich arbeite am Pulkowo-Observatorium in Sankt Petersburg in Russland
Ich schreibe Ihnen weil ich Ihre Hilfe braucheSeit zwei Jahren arbeite ich an einer Theorie die mit Infra-
rot-Emissionen aus Nebeln zu tun hat In diesem Zusammen-hang habe ich detaillierte Beobachtungen zu einigen speziel-len Infrarotwellenbaumlndern durchgefuumlhrt Dabei bin ich auf etwas Seltsames gestoszligen ndash aber nicht in einem Nebel son-dern hier in unserem eigenen Sonnensystem
Ich habe eine sehr schwache aber erkennbare Linie ent-deckt die auf einer Wellenlaumlnge von 25984 Mikrometern infrarotes Licht abstrahlt Es gibt keine Schwankungen die Wellenlaumlnge ist anscheinend immer gleich
Ich sende eine Excel-Tabelle mit den Daten mit Auszligerdem
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habe ich ein paar neuere Darstellungen der Daten in Form eines 3-D-Modells angefertigt
Sie koumlnnen dem Modell entnehmen dass die Linie die Form eines Bogens hat der am Nordpol der Sonne entspringt und 37 Millionen Kilometer weit gerade aufsteigt Dann schwenkt sie scharf nach unten ab und entfernt sich in Rich-tung Venus von der Sonne Jenseits des Apex erweitert sich die gekruumlmmte Linie zu einem Trichter In der Naumlhe der Venus ist der Querschnitt so groszlig wie der Planet selbst
Das infrarote Leuchten ist sehr schwach Ich konnte es nur entdecken weil ich auf der Suche nach Infrarotemissionen von Nebeln sehr empfindliche Messgeraumlte eingesetzt habe
Um ganz sicherzugehen habe ich das Atacama-Observa-torium in Chile darum gebeten die Daten zu uumlberpruumlfen Meiner Ansicht nach ist es das beste Infrarotobservatorium weltweit Sie haben meine Erkenntnisse bestaumltigt
Es gibt viele Gruumlnde warum man im interplanetaren Raum Infrarotstrahlung findet Es koumlnnten Staubwolken oder andere Partikel sein die das Sonnenlicht reflektieren Oder es han-delt sich um eine Molekuumllansammlung die Energie absor-biert und im Infrarotbereich wieder abstrahlt Dies wuumlrde so-gar erklaumlren warum die Wellenlaumlnge immer gleich bleibt
Besonders interessant ist die Form des Bogens Zuerst nahm ich an es handelte sich um eine Ansammlung von Partikeln die sich an Magnetfeldlinien orientieren Doch die Venus be-sitzt kein nennenswertes Magnetfeld Keine Magnetosphaumlre keine Ionosphaumlre nichts Welche Kraumlfte sollten die Partikel zu ihr ziehen Und warum sollten sie dabei gluumlhen
Ich bin dankbar fuumlr alle Anregungen und Theorien
Was zum Teufel war das dennDie Erinnerung war schlagartig da Sie ist ohne Vorwarnung in
meinem Kopf aufgetauchtUumlber mich selbst habe ich dabei nicht viel herausgefunden Ich
lebe in San Francisco so viel weiszlig ich jetzt Und ich fruumlhstuumlcke
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gern Auszligerdem habe ich mich fruumlher mit Astronomie beschaumlftigt was ich aber jetzt anscheinend nicht mehr mache
Mein Gehirn war wohl der Ansicht es sei wichtig mich an die E-Mail zu erinnern und nicht an so triviale Dinge wie meinen Namen
Mein Unterbewusstsein will mir etwas mitteilen Die Blutspur auf dem Boden hat mich anscheinend an die raquoduumlnne rote Linielaquo in der E-Mail erinnert Aber was hat das mit mir zu tun
Ich rutsche unter dem Bett hervor und lehne mich an die Wand Die Roboterarme tasten nach mir erreichen mich aber nicht
Es ist an der Zeit einen Blick auf meine Mitpatienten zu werfen Ich weiszlig nicht wer ich bin und warum ich hier bin aber wenigs-tens bin ich nicht allein und hellip sie sind tot
Eindeutig Direkt neben mir liegt eine Frau glaube ich Jeden-falls hatte sie lange Haare Davon abgesehen ist sie groumlszligtenteils mumifiziert Ausgetrocknete Haut haumlngt auf den Knochen Es riecht nicht Hier verwest nichts Sie ist offensichtlich schon lange tot
Der zweite Patient war ein Mann Er scheint sogar noch laumlnger tot zu sein Seine Haut ist nicht nur trocken und ledrig sondern zerkruumlmelt bereits
Na gut Also bin ich hier in der Gesellschaft von zwei Leichen Ich sollte es widerlich und entsetzlich finden aber das gelingt mir nicht Sie sind schon vor so langer Zeit gestorben dass sie kaum noch wie Menschen aussehen Eher wie Halloween-Dekorationen Ich hoffe ich war nicht mit ihnen befreundet Falls doch dann werde ich mich hoffentlich nicht daran erinnern
Tote Menschen sind eine Sache Groumlszligere Sorgen bereitet mir die Tatsache dass sie schon so lange hier liegen Selbst aus einem Quarantaumlnebereich wuumlrde man Tote entfernen oder Was hier schieflaumluft muss ziemlich uumlbel sein
Ich stehe auf Es geht nur langsam und ist ziemlich anstren-gend Ich halte mich an der Bettkante von Frau Mumie fest Die Liege wackelt und ich schwanke mit bleibe aber aufrecht stehen
Die Roboterarme fischen nach mir und ich schmiege mich wie-der an die Wand
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Ich bin ziemlich sicher dass ich im Koma gelegen habe Genau Je laumlnger ich daruumlber nachdenke desto klarer wird es
Ich kann nicht sagen wie lange ich schon hier bin aber wenn ich zur gleichen Zeit wie meine Zimmergenossen hier angekom-men bin muss es eine ganze Weile her sein Ich reibe mir uumlber das halb rasierte Gesicht Die Roboterarme sind faumlhig bewusstlose Patienten laumlngere Zeit zu versorgen Noch ein Beweis dafuumlr dass ich im Koma gelegen habe
Vielleicht kann ich die Luke erreichenIch mache einen Schritt dann noch einen Und dann sinke ich
zu Boden Es ist zu anstrengend Ich muss mich ausruhenWarum bin ich trotz meiner gut ausgebildeten Muskeln so
schwach Warum habe ich uumlberhaupt Muskeln wenn ich im Koma war Ich sollte ein verwittertes duumlrres Buumlndel sein und kein stram-mer Rettungsschwimmer
Ich habe keine Ahnung was hier laumluft Was soll ich jetzt tun Bin ich wirklich krank Ich meine natuumlrlich fuumlhle ich mich mise-rabel aber nicht krank Mir ist nicht uumlbel ich habe keine Kopf-schmerzen Fieber habe ich wohl auch nicht Wenn ich nicht krank bin warum habe ich dann im Koma gelegen Eine schwere Verletzung
Ich taste meinen Kopf ab Keine Schwellungen Narben oder Verbaumlnde Auch der Rest meines Koumlrpers kommt mir ziemlich sta-bil vor Mehr als stabil Ich habe sogar einen Waschbrettbauch
Am liebsten wuumlrde ich ein Nickerchen machen aber ich kaumlmp-fe gegen die Muumldigkeit an
Es wird Zeit es noch einmal zu versuchen Ich stemme mich wieder hoch Es ist wie Gewichtheben geht dieses Mal aber etwas leichter Wie es scheint erhole ich mich langsam Hoffentlich
Ich schlurfe an der Wand entlang und stuumltze mich mit dem Ruumlcken genauso stark ab wie mit den Fuumlszligen Die Roboterarme tas-ten staumlndig nach mir aber ich bleibe auszliger Reichweite
Ich keuche und japse und fuumlhle mich als waumlre ich einen Mara-thon gelaufen Vielleicht habe ich eine Lungenentzuumlndung Viel-leicht bin ich zu meinem eigenen Schutz in Isolation
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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Ich wache auf Wie lange habe ich geschlafen Anscheinend ziem-lich lange denn ich fuumlhle mich ausgeruht Ohne Schwierigkeiten oumlffne ich die Augen Das ist ein Fortschritt
Als Naumlchstes versuche ich die Finger zu bewegen Sie wackeln wie gewuumlnscht Alles klar Das wird schon wieder
raquoHandbewegung entdecktlaquo stellt der Computer fest raquoBleiben Sie ruhig liegenlaquo
raquoWas Warum helliplaquoDie Roboterarme naumlhern sich Sie sind sehr schnell Im Hand-
umdrehen haben sie mir die meisten Schlaumluche aus dem Koumlrper gezogen Ich habe uumlberhaupt nichts gespuumlrt Meine Haut ist ir-gendwie taub
Nur drei Schlaumluche sind noch da eine Infusion im Arm der Schlauch im Hintern und ein Katheter Die letzten beiden waumlre ich zwar gern so schnell wie moumlglich losgeworden aber seiʼs drum
Ich hebe den rechten Arm und lasse ihn wieder auf das Bett sinken Dann noch einmal das Gleiche mit dem linken Arm Sie fuumlhlen sich ungeheuer schwer an Ich wiederhole die Uumlbung eini-ge Male Meine Arme sind kraumlftig Das kann doch nicht sein Es sieht ganz danach aus als haumltte ich ein groumlszligeres gesundheitliches Problem gehabt und eine Weile in diesem Bett verbracht sonst haumltten sie mich ja wohl kaum an dieses ganze Zeug angeschlos-sen Aber haumltten dabei nicht meine Muskeln schrumpfen muumlssen
Sollten hier nicht auch Aumlrzte sein Oder wenigstens die Ge-raumlusche die man in einem Krankenhaus erwartet Und was ist mit dem Bett los Es ist nicht rechteckig sondern oval und ich glaube es ist in der Wand verschraubt statt auf dem Boden zu stehen
raquoNimm helliplaquo Ich muss noch einmal ansetzen ich bin immer noch muumlde raquoNimm die Schlaumluche rauslaquo
Der Computer reagiert nichtIch hebe noch einige Male die Arme und wackle mit den Zehen
Ja es wird allmaumlhlich besserDann bewege ich die Fuumlszlige Sie gehorchen Als Naumlchstes ziehe
ich die Knie an Auch meine Beine sind muskuloumls Nicht so mus-
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kuloumls wie bei einem Bodybuilder aber immer noch viel zu kraumlftig fuumlr jemanden der offensichtlich dem Tode nahe war Andererseits kann ich nicht genau sagen wie dick sie eigentlich sein sollten
Ich stemme die Haumlnde flach auf das Bett und druumlcke mich hoch Mein Oberkoumlrper hebt sich Ich kann mich tatsaumlchlich aufrichten Es erfordert meine ganze Kraft aber ich lasse nicht locker Sobald ich den Kopf weit genug gehoben habe sehe ich dass das Kopf- und das Fuszligende des ovalen Betts an stabilen Verankerungen in der Wand haumlngen Es ist eine Art starre Haumlngematte Eigenartig
Kurz danach sitze ich auf dem Schlauch in meinem Hintern Kein sehr angenehmes Gefuumlhl aber wann waumlre so ein Schlauch schon einmal angenehm gewesen
Jetzt kann ich mehr erkennen Es ist kein gewoumlhnliches Kran-kenzimmer Die Waumlnde sehen aus als waumlren sie aus Plastik und der Raum ist rund Aus den LED-Leuchten in der Decke strahlt grelles Licht
An den Waumlnden sind noch zwei weitere Haumlngemattenbetten verankert in denen Patienten liegen Wir sind in einem Dreieck angeordnet und die Folterarme sind zwischen uns an der Decke an gebracht Ich nehme an sie kuumlmmern sich um uns drei Patien-ten Von meinen Leidensgenossen kann ich nicht viel erkennen sie sind so tief im Bett versunken wie ich es war
Eine Tuumlr gibt es nicht Nur eine Leiter die zu einer hellip ist das eine Luke Sie ist rund und hat in der Mitte ein Handrad Ja es muss eine Art Luke sein Wie auf einem U-Boot Ob wir drei eine an-steckende Krankheit haben Vielleicht ist dies ein Quarantaumlne-zimmer Hier und da entdecke ich kleine Luumlftungs gitter in den Waumlnden und ich spuumlre einen leichten Luftstrom Es koumlnnte eine kontrollierte Umgebung sein
Ich schiebe ein Bein uumlber die Bettkante worauf die Liege wackelt Die Roboterarme rasen auf mich zu Ich zucke zusammen doch sie halten kurz vor mir inne und schweben in der Luft ndash be-reit mich aufzufangen falls ich stuumlrze
raquoVollstaumlndige Koumlrperbewegung entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen Sielaquo
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raquoIst das dein Ernstlaquo frage ichraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch oumlffne den Mund und will antwortenraquoAumlh helliplaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoSo langsam daumlmmert es mir Ich weiszlig nicht wer ich bin Ich
weiszlig nicht wo ich bin Ich weiszlig nicht was ich tun soll Ich erin-nere mich an rein gar nichts
raquoAumlhmlaquo mache ichraquoNicht korrektlaquoSchlagartig werde ich muumlde Es ist sogar ganz angenehm An-
scheinend hat mich der Computer uumlber die Infusion betaumlubtraquohellip haaaalt helliplaquo murmle ich nochDie Roboterarme legen mich sachte auf das Bett
Wieder wache ich auf Einer der Roboterarme beruumlhrt mein Ge-sicht Was macht er da
Ich schaudere eher erschrocken als alles andere Der Arm zieht sich auf seine Warteposition unter der Decke zuruumlck Ich taste mein Gesicht nach Verletzungen ab Auf einer Seite sind Stoppeln die andere ist glatt
raquoHast du mich rasiertlaquoraquoBewusstsein entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen SielaquoraquoDas weiszlig ich immer noch nichtlaquoraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch bin weiszlig maumlnnlich und spreche Englisch Also lassen wir
es mal darauf ankommen raquoJ-JohnlaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch ziehe die Infusionsnadel aus dem Arm raquoLeck mich dochlaquoraquoNicht korrektlaquo Der Roboterarm greift nach mir Ich rolle mich vom Bett herunter Das ist ein Fehler Die ande-
ren Schlaumluche sind noch angeschlossen Der Schlauch im Hintern rutscht einfach heraus Das spuumlre ich kaum Dagegen wird der ge-blockte Katheter extrem unsanft aus meinem Penis gerissen Das tut furchtbar weh als haumltte ich einen Golfball gepinkelt
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Schreiend winde ich mich auf dem BodenraquoPhysisches Leidenlaquo stellt der Computer fest Die Roboterarme
greifen nach mir Ich krieche uumlber den Boden um ihnen zu ent-kommen und kann unter einem Bett verschwinden Die Arme hal-ten kurz davor inne geben aber nicht auf Sie warten Sie werden von einem Computer gesteuert Ihre Geduld ist unendlich
Ich lasse den Kopf auf den Boden sinken und schnappe nach Luft Nach einer Weile ebben die Schmerzen ab und ich wische mir die Traumlnen ab
Ich habe keine Ahnung was hier los istraquoHelaquo rufe ich raquoIhr zwei da wacht auflaquoraquoWie heiszligen Sielaquo fragt der ComputerraquoEiner von euch Menschen wacht doch bitte auflaquoraquoNicht korrektlaquo sagt der ComputerMein Unterleib tut so weh dass ich lachen muss Es ist absurd
Auszligerdem wirkt das Endorphin und mir wird schwindlig Ich bli-cke wieder zum Katheter auf meiner Koje und schuumlttle verwundert den Kopf Das Ding hat in meiner Harnroumlhre gesteckt O Mann
Und es hat beim Herausreiszligen Schaden angerichtet Auf dem Boden entdecke ich ein wenig Blut Nur ein schmaler roter Strei-fen hellip
Ich schluumlrfte Kaffee schob mir das letzte Stuumlck Toast in den Mund und winkte der Kellnerin um zu bezahlen Ich haumltte mir das Geld sparen und zu Hause fruumlhstuumlcken koumlnnen statt jeden Morgen ein Lokal aufzusuchen Angesichts meines bescheidenen Gehalts waumlre das vermutlich sogar eine gute Idee gewesen Aber ich koche nicht gern und ich mag Eier mit Speck
Die Kellnerin nickte und ging zur Kasse um meine Rechnung auszudrucken In diesem Augenblick trafen neue Gaumlste ein denen sie zuerst noch einen Platz zuweisen musste
Ich sah auf die Uhr Es war kurz nach sieben Uhr Ich hatte es nicht eilig Ich musste erst um acht anfangen war aber meist schon um zwanzig nach sieben im Buumlro um mich auf den Tag vorzubereiten
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Ich zuumlckte das Handy und checkte meine E-Mails
AN Astronomische Kuriositaumlten astrocuriousscilistsorgVON (Dr Irina Petrowa) ipetrowagaoranruBETREFF Die duumlnne rote Linie
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich den Display Ich dachte ich haumltte mich von dieser Mailingliste abgemeldet Dieses Leben hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben Es war nicht viel was uumlber die Liste hereinkam aber wenn mich meine Erinnerung nicht trog waren die wenigen Beitraumlge meist recht interessant Nur ein paar Astronomen Astrophysiker und Experten auf anderen Ge-bieten die sich uumlber alles unterhielten was ihnen seltsam vor-kam
Ich warf einen Blick in Richtung Kellnerin Die neue Kundschaft hatte viele Fragen zur Speisekarte Wahrscheinlich wollten sie wissen ob es in Sallys Diner auch glutenfreie vegane Grashalme gab oder so Die lieben Leute in San Francisco konnten ziemlich anstrengend sein
Da ich nichts weiter zu tun hatte las ich die E-Mail
Hallo Kollegen ich bin Dr Irina Petrowa und ich arbeite am Pulkowo-Observatorium in Sankt Petersburg in Russland
Ich schreibe Ihnen weil ich Ihre Hilfe braucheSeit zwei Jahren arbeite ich an einer Theorie die mit Infra-
rot-Emissionen aus Nebeln zu tun hat In diesem Zusammen-hang habe ich detaillierte Beobachtungen zu einigen speziel-len Infrarotwellenbaumlndern durchgefuumlhrt Dabei bin ich auf etwas Seltsames gestoszligen ndash aber nicht in einem Nebel son-dern hier in unserem eigenen Sonnensystem
Ich habe eine sehr schwache aber erkennbare Linie ent-deckt die auf einer Wellenlaumlnge von 25984 Mikrometern infrarotes Licht abstrahlt Es gibt keine Schwankungen die Wellenlaumlnge ist anscheinend immer gleich
Ich sende eine Excel-Tabelle mit den Daten mit Auszligerdem
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habe ich ein paar neuere Darstellungen der Daten in Form eines 3-D-Modells angefertigt
Sie koumlnnen dem Modell entnehmen dass die Linie die Form eines Bogens hat der am Nordpol der Sonne entspringt und 37 Millionen Kilometer weit gerade aufsteigt Dann schwenkt sie scharf nach unten ab und entfernt sich in Rich-tung Venus von der Sonne Jenseits des Apex erweitert sich die gekruumlmmte Linie zu einem Trichter In der Naumlhe der Venus ist der Querschnitt so groszlig wie der Planet selbst
Das infrarote Leuchten ist sehr schwach Ich konnte es nur entdecken weil ich auf der Suche nach Infrarotemissionen von Nebeln sehr empfindliche Messgeraumlte eingesetzt habe
Um ganz sicherzugehen habe ich das Atacama-Observa-torium in Chile darum gebeten die Daten zu uumlberpruumlfen Meiner Ansicht nach ist es das beste Infrarotobservatorium weltweit Sie haben meine Erkenntnisse bestaumltigt
Es gibt viele Gruumlnde warum man im interplanetaren Raum Infrarotstrahlung findet Es koumlnnten Staubwolken oder andere Partikel sein die das Sonnenlicht reflektieren Oder es han-delt sich um eine Molekuumllansammlung die Energie absor-biert und im Infrarotbereich wieder abstrahlt Dies wuumlrde so-gar erklaumlren warum die Wellenlaumlnge immer gleich bleibt
Besonders interessant ist die Form des Bogens Zuerst nahm ich an es handelte sich um eine Ansammlung von Partikeln die sich an Magnetfeldlinien orientieren Doch die Venus be-sitzt kein nennenswertes Magnetfeld Keine Magnetosphaumlre keine Ionosphaumlre nichts Welche Kraumlfte sollten die Partikel zu ihr ziehen Und warum sollten sie dabei gluumlhen
Ich bin dankbar fuumlr alle Anregungen und Theorien
Was zum Teufel war das dennDie Erinnerung war schlagartig da Sie ist ohne Vorwarnung in
meinem Kopf aufgetauchtUumlber mich selbst habe ich dabei nicht viel herausgefunden Ich
lebe in San Francisco so viel weiszlig ich jetzt Und ich fruumlhstuumlcke
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gern Auszligerdem habe ich mich fruumlher mit Astronomie beschaumlftigt was ich aber jetzt anscheinend nicht mehr mache
Mein Gehirn war wohl der Ansicht es sei wichtig mich an die E-Mail zu erinnern und nicht an so triviale Dinge wie meinen Namen
Mein Unterbewusstsein will mir etwas mitteilen Die Blutspur auf dem Boden hat mich anscheinend an die raquoduumlnne rote Linielaquo in der E-Mail erinnert Aber was hat das mit mir zu tun
Ich rutsche unter dem Bett hervor und lehne mich an die Wand Die Roboterarme tasten nach mir erreichen mich aber nicht
Es ist an der Zeit einen Blick auf meine Mitpatienten zu werfen Ich weiszlig nicht wer ich bin und warum ich hier bin aber wenigs-tens bin ich nicht allein und hellip sie sind tot
Eindeutig Direkt neben mir liegt eine Frau glaube ich Jeden-falls hatte sie lange Haare Davon abgesehen ist sie groumlszligtenteils mumifiziert Ausgetrocknete Haut haumlngt auf den Knochen Es riecht nicht Hier verwest nichts Sie ist offensichtlich schon lange tot
Der zweite Patient war ein Mann Er scheint sogar noch laumlnger tot zu sein Seine Haut ist nicht nur trocken und ledrig sondern zerkruumlmelt bereits
Na gut Also bin ich hier in der Gesellschaft von zwei Leichen Ich sollte es widerlich und entsetzlich finden aber das gelingt mir nicht Sie sind schon vor so langer Zeit gestorben dass sie kaum noch wie Menschen aussehen Eher wie Halloween-Dekorationen Ich hoffe ich war nicht mit ihnen befreundet Falls doch dann werde ich mich hoffentlich nicht daran erinnern
Tote Menschen sind eine Sache Groumlszligere Sorgen bereitet mir die Tatsache dass sie schon so lange hier liegen Selbst aus einem Quarantaumlnebereich wuumlrde man Tote entfernen oder Was hier schieflaumluft muss ziemlich uumlbel sein
Ich stehe auf Es geht nur langsam und ist ziemlich anstren-gend Ich halte mich an der Bettkante von Frau Mumie fest Die Liege wackelt und ich schwanke mit bleibe aber aufrecht stehen
Die Roboterarme fischen nach mir und ich schmiege mich wie-der an die Wand
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Ich bin ziemlich sicher dass ich im Koma gelegen habe Genau Je laumlnger ich daruumlber nachdenke desto klarer wird es
Ich kann nicht sagen wie lange ich schon hier bin aber wenn ich zur gleichen Zeit wie meine Zimmergenossen hier angekom-men bin muss es eine ganze Weile her sein Ich reibe mir uumlber das halb rasierte Gesicht Die Roboterarme sind faumlhig bewusstlose Patienten laumlngere Zeit zu versorgen Noch ein Beweis dafuumlr dass ich im Koma gelegen habe
Vielleicht kann ich die Luke erreichenIch mache einen Schritt dann noch einen Und dann sinke ich
zu Boden Es ist zu anstrengend Ich muss mich ausruhenWarum bin ich trotz meiner gut ausgebildeten Muskeln so
schwach Warum habe ich uumlberhaupt Muskeln wenn ich im Koma war Ich sollte ein verwittertes duumlrres Buumlndel sein und kein stram-mer Rettungsschwimmer
Ich habe keine Ahnung was hier laumluft Was soll ich jetzt tun Bin ich wirklich krank Ich meine natuumlrlich fuumlhle ich mich mise-rabel aber nicht krank Mir ist nicht uumlbel ich habe keine Kopf-schmerzen Fieber habe ich wohl auch nicht Wenn ich nicht krank bin warum habe ich dann im Koma gelegen Eine schwere Verletzung
Ich taste meinen Kopf ab Keine Schwellungen Narben oder Verbaumlnde Auch der Rest meines Koumlrpers kommt mir ziemlich sta-bil vor Mehr als stabil Ich habe sogar einen Waschbrettbauch
Am liebsten wuumlrde ich ein Nickerchen machen aber ich kaumlmp-fe gegen die Muumldigkeit an
Es wird Zeit es noch einmal zu versuchen Ich stemme mich wieder hoch Es ist wie Gewichtheben geht dieses Mal aber etwas leichter Wie es scheint erhole ich mich langsam Hoffentlich
Ich schlurfe an der Wand entlang und stuumltze mich mit dem Ruumlcken genauso stark ab wie mit den Fuumlszligen Die Roboterarme tas-ten staumlndig nach mir aber ich bleibe auszliger Reichweite
Ich keuche und japse und fuumlhle mich als waumlre ich einen Mara-thon gelaufen Vielleicht habe ich eine Lungenentzuumlndung Viel-leicht bin ich zu meinem eigenen Schutz in Isolation
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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kuloumls wie bei einem Bodybuilder aber immer noch viel zu kraumlftig fuumlr jemanden der offensichtlich dem Tode nahe war Andererseits kann ich nicht genau sagen wie dick sie eigentlich sein sollten
Ich stemme die Haumlnde flach auf das Bett und druumlcke mich hoch Mein Oberkoumlrper hebt sich Ich kann mich tatsaumlchlich aufrichten Es erfordert meine ganze Kraft aber ich lasse nicht locker Sobald ich den Kopf weit genug gehoben habe sehe ich dass das Kopf- und das Fuszligende des ovalen Betts an stabilen Verankerungen in der Wand haumlngen Es ist eine Art starre Haumlngematte Eigenartig
Kurz danach sitze ich auf dem Schlauch in meinem Hintern Kein sehr angenehmes Gefuumlhl aber wann waumlre so ein Schlauch schon einmal angenehm gewesen
Jetzt kann ich mehr erkennen Es ist kein gewoumlhnliches Kran-kenzimmer Die Waumlnde sehen aus als waumlren sie aus Plastik und der Raum ist rund Aus den LED-Leuchten in der Decke strahlt grelles Licht
An den Waumlnden sind noch zwei weitere Haumlngemattenbetten verankert in denen Patienten liegen Wir sind in einem Dreieck angeordnet und die Folterarme sind zwischen uns an der Decke an gebracht Ich nehme an sie kuumlmmern sich um uns drei Patien-ten Von meinen Leidensgenossen kann ich nicht viel erkennen sie sind so tief im Bett versunken wie ich es war
Eine Tuumlr gibt es nicht Nur eine Leiter die zu einer hellip ist das eine Luke Sie ist rund und hat in der Mitte ein Handrad Ja es muss eine Art Luke sein Wie auf einem U-Boot Ob wir drei eine an-steckende Krankheit haben Vielleicht ist dies ein Quarantaumlne-zimmer Hier und da entdecke ich kleine Luumlftungs gitter in den Waumlnden und ich spuumlre einen leichten Luftstrom Es koumlnnte eine kontrollierte Umgebung sein
Ich schiebe ein Bein uumlber die Bettkante worauf die Liege wackelt Die Roboterarme rasen auf mich zu Ich zucke zusammen doch sie halten kurz vor mir inne und schweben in der Luft ndash be-reit mich aufzufangen falls ich stuumlrze
raquoVollstaumlndige Koumlrperbewegung entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen Sielaquo
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raquoIst das dein Ernstlaquo frage ichraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch oumlffne den Mund und will antwortenraquoAumlh helliplaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoSo langsam daumlmmert es mir Ich weiszlig nicht wer ich bin Ich
weiszlig nicht wo ich bin Ich weiszlig nicht was ich tun soll Ich erin-nere mich an rein gar nichts
raquoAumlhmlaquo mache ichraquoNicht korrektlaquoSchlagartig werde ich muumlde Es ist sogar ganz angenehm An-
scheinend hat mich der Computer uumlber die Infusion betaumlubtraquohellip haaaalt helliplaquo murmle ich nochDie Roboterarme legen mich sachte auf das Bett
Wieder wache ich auf Einer der Roboterarme beruumlhrt mein Ge-sicht Was macht er da
Ich schaudere eher erschrocken als alles andere Der Arm zieht sich auf seine Warteposition unter der Decke zuruumlck Ich taste mein Gesicht nach Verletzungen ab Auf einer Seite sind Stoppeln die andere ist glatt
raquoHast du mich rasiertlaquoraquoBewusstsein entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen SielaquoraquoDas weiszlig ich immer noch nichtlaquoraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch bin weiszlig maumlnnlich und spreche Englisch Also lassen wir
es mal darauf ankommen raquoJ-JohnlaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch ziehe die Infusionsnadel aus dem Arm raquoLeck mich dochlaquoraquoNicht korrektlaquo Der Roboterarm greift nach mir Ich rolle mich vom Bett herunter Das ist ein Fehler Die ande-
ren Schlaumluche sind noch angeschlossen Der Schlauch im Hintern rutscht einfach heraus Das spuumlre ich kaum Dagegen wird der ge-blockte Katheter extrem unsanft aus meinem Penis gerissen Das tut furchtbar weh als haumltte ich einen Golfball gepinkelt
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Schreiend winde ich mich auf dem BodenraquoPhysisches Leidenlaquo stellt der Computer fest Die Roboterarme
greifen nach mir Ich krieche uumlber den Boden um ihnen zu ent-kommen und kann unter einem Bett verschwinden Die Arme hal-ten kurz davor inne geben aber nicht auf Sie warten Sie werden von einem Computer gesteuert Ihre Geduld ist unendlich
Ich lasse den Kopf auf den Boden sinken und schnappe nach Luft Nach einer Weile ebben die Schmerzen ab und ich wische mir die Traumlnen ab
Ich habe keine Ahnung was hier los istraquoHelaquo rufe ich raquoIhr zwei da wacht auflaquoraquoWie heiszligen Sielaquo fragt der ComputerraquoEiner von euch Menschen wacht doch bitte auflaquoraquoNicht korrektlaquo sagt der ComputerMein Unterleib tut so weh dass ich lachen muss Es ist absurd
Auszligerdem wirkt das Endorphin und mir wird schwindlig Ich bli-cke wieder zum Katheter auf meiner Koje und schuumlttle verwundert den Kopf Das Ding hat in meiner Harnroumlhre gesteckt O Mann
Und es hat beim Herausreiszligen Schaden angerichtet Auf dem Boden entdecke ich ein wenig Blut Nur ein schmaler roter Strei-fen hellip
Ich schluumlrfte Kaffee schob mir das letzte Stuumlck Toast in den Mund und winkte der Kellnerin um zu bezahlen Ich haumltte mir das Geld sparen und zu Hause fruumlhstuumlcken koumlnnen statt jeden Morgen ein Lokal aufzusuchen Angesichts meines bescheidenen Gehalts waumlre das vermutlich sogar eine gute Idee gewesen Aber ich koche nicht gern und ich mag Eier mit Speck
Die Kellnerin nickte und ging zur Kasse um meine Rechnung auszudrucken In diesem Augenblick trafen neue Gaumlste ein denen sie zuerst noch einen Platz zuweisen musste
Ich sah auf die Uhr Es war kurz nach sieben Uhr Ich hatte es nicht eilig Ich musste erst um acht anfangen war aber meist schon um zwanzig nach sieben im Buumlro um mich auf den Tag vorzubereiten
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Ich zuumlckte das Handy und checkte meine E-Mails
AN Astronomische Kuriositaumlten astrocuriousscilistsorgVON (Dr Irina Petrowa) ipetrowagaoranruBETREFF Die duumlnne rote Linie
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich den Display Ich dachte ich haumltte mich von dieser Mailingliste abgemeldet Dieses Leben hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben Es war nicht viel was uumlber die Liste hereinkam aber wenn mich meine Erinnerung nicht trog waren die wenigen Beitraumlge meist recht interessant Nur ein paar Astronomen Astrophysiker und Experten auf anderen Ge-bieten die sich uumlber alles unterhielten was ihnen seltsam vor-kam
Ich warf einen Blick in Richtung Kellnerin Die neue Kundschaft hatte viele Fragen zur Speisekarte Wahrscheinlich wollten sie wissen ob es in Sallys Diner auch glutenfreie vegane Grashalme gab oder so Die lieben Leute in San Francisco konnten ziemlich anstrengend sein
Da ich nichts weiter zu tun hatte las ich die E-Mail
Hallo Kollegen ich bin Dr Irina Petrowa und ich arbeite am Pulkowo-Observatorium in Sankt Petersburg in Russland
Ich schreibe Ihnen weil ich Ihre Hilfe braucheSeit zwei Jahren arbeite ich an einer Theorie die mit Infra-
rot-Emissionen aus Nebeln zu tun hat In diesem Zusammen-hang habe ich detaillierte Beobachtungen zu einigen speziel-len Infrarotwellenbaumlndern durchgefuumlhrt Dabei bin ich auf etwas Seltsames gestoszligen ndash aber nicht in einem Nebel son-dern hier in unserem eigenen Sonnensystem
Ich habe eine sehr schwache aber erkennbare Linie ent-deckt die auf einer Wellenlaumlnge von 25984 Mikrometern infrarotes Licht abstrahlt Es gibt keine Schwankungen die Wellenlaumlnge ist anscheinend immer gleich
Ich sende eine Excel-Tabelle mit den Daten mit Auszligerdem
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habe ich ein paar neuere Darstellungen der Daten in Form eines 3-D-Modells angefertigt
Sie koumlnnen dem Modell entnehmen dass die Linie die Form eines Bogens hat der am Nordpol der Sonne entspringt und 37 Millionen Kilometer weit gerade aufsteigt Dann schwenkt sie scharf nach unten ab und entfernt sich in Rich-tung Venus von der Sonne Jenseits des Apex erweitert sich die gekruumlmmte Linie zu einem Trichter In der Naumlhe der Venus ist der Querschnitt so groszlig wie der Planet selbst
Das infrarote Leuchten ist sehr schwach Ich konnte es nur entdecken weil ich auf der Suche nach Infrarotemissionen von Nebeln sehr empfindliche Messgeraumlte eingesetzt habe
Um ganz sicherzugehen habe ich das Atacama-Observa-torium in Chile darum gebeten die Daten zu uumlberpruumlfen Meiner Ansicht nach ist es das beste Infrarotobservatorium weltweit Sie haben meine Erkenntnisse bestaumltigt
Es gibt viele Gruumlnde warum man im interplanetaren Raum Infrarotstrahlung findet Es koumlnnten Staubwolken oder andere Partikel sein die das Sonnenlicht reflektieren Oder es han-delt sich um eine Molekuumllansammlung die Energie absor-biert und im Infrarotbereich wieder abstrahlt Dies wuumlrde so-gar erklaumlren warum die Wellenlaumlnge immer gleich bleibt
Besonders interessant ist die Form des Bogens Zuerst nahm ich an es handelte sich um eine Ansammlung von Partikeln die sich an Magnetfeldlinien orientieren Doch die Venus be-sitzt kein nennenswertes Magnetfeld Keine Magnetosphaumlre keine Ionosphaumlre nichts Welche Kraumlfte sollten die Partikel zu ihr ziehen Und warum sollten sie dabei gluumlhen
Ich bin dankbar fuumlr alle Anregungen und Theorien
Was zum Teufel war das dennDie Erinnerung war schlagartig da Sie ist ohne Vorwarnung in
meinem Kopf aufgetauchtUumlber mich selbst habe ich dabei nicht viel herausgefunden Ich
lebe in San Francisco so viel weiszlig ich jetzt Und ich fruumlhstuumlcke
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gern Auszligerdem habe ich mich fruumlher mit Astronomie beschaumlftigt was ich aber jetzt anscheinend nicht mehr mache
Mein Gehirn war wohl der Ansicht es sei wichtig mich an die E-Mail zu erinnern und nicht an so triviale Dinge wie meinen Namen
Mein Unterbewusstsein will mir etwas mitteilen Die Blutspur auf dem Boden hat mich anscheinend an die raquoduumlnne rote Linielaquo in der E-Mail erinnert Aber was hat das mit mir zu tun
Ich rutsche unter dem Bett hervor und lehne mich an die Wand Die Roboterarme tasten nach mir erreichen mich aber nicht
Es ist an der Zeit einen Blick auf meine Mitpatienten zu werfen Ich weiszlig nicht wer ich bin und warum ich hier bin aber wenigs-tens bin ich nicht allein und hellip sie sind tot
Eindeutig Direkt neben mir liegt eine Frau glaube ich Jeden-falls hatte sie lange Haare Davon abgesehen ist sie groumlszligtenteils mumifiziert Ausgetrocknete Haut haumlngt auf den Knochen Es riecht nicht Hier verwest nichts Sie ist offensichtlich schon lange tot
Der zweite Patient war ein Mann Er scheint sogar noch laumlnger tot zu sein Seine Haut ist nicht nur trocken und ledrig sondern zerkruumlmelt bereits
Na gut Also bin ich hier in der Gesellschaft von zwei Leichen Ich sollte es widerlich und entsetzlich finden aber das gelingt mir nicht Sie sind schon vor so langer Zeit gestorben dass sie kaum noch wie Menschen aussehen Eher wie Halloween-Dekorationen Ich hoffe ich war nicht mit ihnen befreundet Falls doch dann werde ich mich hoffentlich nicht daran erinnern
Tote Menschen sind eine Sache Groumlszligere Sorgen bereitet mir die Tatsache dass sie schon so lange hier liegen Selbst aus einem Quarantaumlnebereich wuumlrde man Tote entfernen oder Was hier schieflaumluft muss ziemlich uumlbel sein
Ich stehe auf Es geht nur langsam und ist ziemlich anstren-gend Ich halte mich an der Bettkante von Frau Mumie fest Die Liege wackelt und ich schwanke mit bleibe aber aufrecht stehen
Die Roboterarme fischen nach mir und ich schmiege mich wie-der an die Wand
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Ich bin ziemlich sicher dass ich im Koma gelegen habe Genau Je laumlnger ich daruumlber nachdenke desto klarer wird es
Ich kann nicht sagen wie lange ich schon hier bin aber wenn ich zur gleichen Zeit wie meine Zimmergenossen hier angekom-men bin muss es eine ganze Weile her sein Ich reibe mir uumlber das halb rasierte Gesicht Die Roboterarme sind faumlhig bewusstlose Patienten laumlngere Zeit zu versorgen Noch ein Beweis dafuumlr dass ich im Koma gelegen habe
Vielleicht kann ich die Luke erreichenIch mache einen Schritt dann noch einen Und dann sinke ich
zu Boden Es ist zu anstrengend Ich muss mich ausruhenWarum bin ich trotz meiner gut ausgebildeten Muskeln so
schwach Warum habe ich uumlberhaupt Muskeln wenn ich im Koma war Ich sollte ein verwittertes duumlrres Buumlndel sein und kein stram-mer Rettungsschwimmer
Ich habe keine Ahnung was hier laumluft Was soll ich jetzt tun Bin ich wirklich krank Ich meine natuumlrlich fuumlhle ich mich mise-rabel aber nicht krank Mir ist nicht uumlbel ich habe keine Kopf-schmerzen Fieber habe ich wohl auch nicht Wenn ich nicht krank bin warum habe ich dann im Koma gelegen Eine schwere Verletzung
Ich taste meinen Kopf ab Keine Schwellungen Narben oder Verbaumlnde Auch der Rest meines Koumlrpers kommt mir ziemlich sta-bil vor Mehr als stabil Ich habe sogar einen Waschbrettbauch
Am liebsten wuumlrde ich ein Nickerchen machen aber ich kaumlmp-fe gegen die Muumldigkeit an
Es wird Zeit es noch einmal zu versuchen Ich stemme mich wieder hoch Es ist wie Gewichtheben geht dieses Mal aber etwas leichter Wie es scheint erhole ich mich langsam Hoffentlich
Ich schlurfe an der Wand entlang und stuumltze mich mit dem Ruumlcken genauso stark ab wie mit den Fuumlszligen Die Roboterarme tas-ten staumlndig nach mir aber ich bleibe auszliger Reichweite
Ich keuche und japse und fuumlhle mich als waumlre ich einen Mara-thon gelaufen Vielleicht habe ich eine Lungenentzuumlndung Viel-leicht bin ich zu meinem eigenen Schutz in Isolation
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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raquoIst das dein Ernstlaquo frage ichraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch oumlffne den Mund und will antwortenraquoAumlh helliplaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoSo langsam daumlmmert es mir Ich weiszlig nicht wer ich bin Ich
weiszlig nicht wo ich bin Ich weiszlig nicht was ich tun soll Ich erin-nere mich an rein gar nichts
raquoAumlhmlaquo mache ichraquoNicht korrektlaquoSchlagartig werde ich muumlde Es ist sogar ganz angenehm An-
scheinend hat mich der Computer uumlber die Infusion betaumlubtraquohellip haaaalt helliplaquo murmle ich nochDie Roboterarme legen mich sachte auf das Bett
Wieder wache ich auf Einer der Roboterarme beruumlhrt mein Ge-sicht Was macht er da
Ich schaudere eher erschrocken als alles andere Der Arm zieht sich auf seine Warteposition unter der Decke zuruumlck Ich taste mein Gesicht nach Verletzungen ab Auf einer Seite sind Stoppeln die andere ist glatt
raquoHast du mich rasiertlaquoraquoBewusstsein entdecktlaquo sagt der Computer raquoWie heiszligen SielaquoraquoDas weiszlig ich immer noch nichtlaquoraquoNicht korrekt Zweiter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch bin weiszlig maumlnnlich und spreche Englisch Also lassen wir
es mal darauf ankommen raquoJ-JohnlaquoraquoNicht korrekt Dritter Versuch Wie heiszligen SielaquoIch ziehe die Infusionsnadel aus dem Arm raquoLeck mich dochlaquoraquoNicht korrektlaquo Der Roboterarm greift nach mir Ich rolle mich vom Bett herunter Das ist ein Fehler Die ande-
ren Schlaumluche sind noch angeschlossen Der Schlauch im Hintern rutscht einfach heraus Das spuumlre ich kaum Dagegen wird der ge-blockte Katheter extrem unsanft aus meinem Penis gerissen Das tut furchtbar weh als haumltte ich einen Golfball gepinkelt
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Schreiend winde ich mich auf dem BodenraquoPhysisches Leidenlaquo stellt der Computer fest Die Roboterarme
greifen nach mir Ich krieche uumlber den Boden um ihnen zu ent-kommen und kann unter einem Bett verschwinden Die Arme hal-ten kurz davor inne geben aber nicht auf Sie warten Sie werden von einem Computer gesteuert Ihre Geduld ist unendlich
Ich lasse den Kopf auf den Boden sinken und schnappe nach Luft Nach einer Weile ebben die Schmerzen ab und ich wische mir die Traumlnen ab
Ich habe keine Ahnung was hier los istraquoHelaquo rufe ich raquoIhr zwei da wacht auflaquoraquoWie heiszligen Sielaquo fragt der ComputerraquoEiner von euch Menschen wacht doch bitte auflaquoraquoNicht korrektlaquo sagt der ComputerMein Unterleib tut so weh dass ich lachen muss Es ist absurd
Auszligerdem wirkt das Endorphin und mir wird schwindlig Ich bli-cke wieder zum Katheter auf meiner Koje und schuumlttle verwundert den Kopf Das Ding hat in meiner Harnroumlhre gesteckt O Mann
Und es hat beim Herausreiszligen Schaden angerichtet Auf dem Boden entdecke ich ein wenig Blut Nur ein schmaler roter Strei-fen hellip
Ich schluumlrfte Kaffee schob mir das letzte Stuumlck Toast in den Mund und winkte der Kellnerin um zu bezahlen Ich haumltte mir das Geld sparen und zu Hause fruumlhstuumlcken koumlnnen statt jeden Morgen ein Lokal aufzusuchen Angesichts meines bescheidenen Gehalts waumlre das vermutlich sogar eine gute Idee gewesen Aber ich koche nicht gern und ich mag Eier mit Speck
Die Kellnerin nickte und ging zur Kasse um meine Rechnung auszudrucken In diesem Augenblick trafen neue Gaumlste ein denen sie zuerst noch einen Platz zuweisen musste
Ich sah auf die Uhr Es war kurz nach sieben Uhr Ich hatte es nicht eilig Ich musste erst um acht anfangen war aber meist schon um zwanzig nach sieben im Buumlro um mich auf den Tag vorzubereiten
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Ich zuumlckte das Handy und checkte meine E-Mails
AN Astronomische Kuriositaumlten astrocuriousscilistsorgVON (Dr Irina Petrowa) ipetrowagaoranruBETREFF Die duumlnne rote Linie
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich den Display Ich dachte ich haumltte mich von dieser Mailingliste abgemeldet Dieses Leben hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben Es war nicht viel was uumlber die Liste hereinkam aber wenn mich meine Erinnerung nicht trog waren die wenigen Beitraumlge meist recht interessant Nur ein paar Astronomen Astrophysiker und Experten auf anderen Ge-bieten die sich uumlber alles unterhielten was ihnen seltsam vor-kam
Ich warf einen Blick in Richtung Kellnerin Die neue Kundschaft hatte viele Fragen zur Speisekarte Wahrscheinlich wollten sie wissen ob es in Sallys Diner auch glutenfreie vegane Grashalme gab oder so Die lieben Leute in San Francisco konnten ziemlich anstrengend sein
Da ich nichts weiter zu tun hatte las ich die E-Mail
Hallo Kollegen ich bin Dr Irina Petrowa und ich arbeite am Pulkowo-Observatorium in Sankt Petersburg in Russland
Ich schreibe Ihnen weil ich Ihre Hilfe braucheSeit zwei Jahren arbeite ich an einer Theorie die mit Infra-
rot-Emissionen aus Nebeln zu tun hat In diesem Zusammen-hang habe ich detaillierte Beobachtungen zu einigen speziel-len Infrarotwellenbaumlndern durchgefuumlhrt Dabei bin ich auf etwas Seltsames gestoszligen ndash aber nicht in einem Nebel son-dern hier in unserem eigenen Sonnensystem
Ich habe eine sehr schwache aber erkennbare Linie ent-deckt die auf einer Wellenlaumlnge von 25984 Mikrometern infrarotes Licht abstrahlt Es gibt keine Schwankungen die Wellenlaumlnge ist anscheinend immer gleich
Ich sende eine Excel-Tabelle mit den Daten mit Auszligerdem
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habe ich ein paar neuere Darstellungen der Daten in Form eines 3-D-Modells angefertigt
Sie koumlnnen dem Modell entnehmen dass die Linie die Form eines Bogens hat der am Nordpol der Sonne entspringt und 37 Millionen Kilometer weit gerade aufsteigt Dann schwenkt sie scharf nach unten ab und entfernt sich in Rich-tung Venus von der Sonne Jenseits des Apex erweitert sich die gekruumlmmte Linie zu einem Trichter In der Naumlhe der Venus ist der Querschnitt so groszlig wie der Planet selbst
Das infrarote Leuchten ist sehr schwach Ich konnte es nur entdecken weil ich auf der Suche nach Infrarotemissionen von Nebeln sehr empfindliche Messgeraumlte eingesetzt habe
Um ganz sicherzugehen habe ich das Atacama-Observa-torium in Chile darum gebeten die Daten zu uumlberpruumlfen Meiner Ansicht nach ist es das beste Infrarotobservatorium weltweit Sie haben meine Erkenntnisse bestaumltigt
Es gibt viele Gruumlnde warum man im interplanetaren Raum Infrarotstrahlung findet Es koumlnnten Staubwolken oder andere Partikel sein die das Sonnenlicht reflektieren Oder es han-delt sich um eine Molekuumllansammlung die Energie absor-biert und im Infrarotbereich wieder abstrahlt Dies wuumlrde so-gar erklaumlren warum die Wellenlaumlnge immer gleich bleibt
Besonders interessant ist die Form des Bogens Zuerst nahm ich an es handelte sich um eine Ansammlung von Partikeln die sich an Magnetfeldlinien orientieren Doch die Venus be-sitzt kein nennenswertes Magnetfeld Keine Magnetosphaumlre keine Ionosphaumlre nichts Welche Kraumlfte sollten die Partikel zu ihr ziehen Und warum sollten sie dabei gluumlhen
Ich bin dankbar fuumlr alle Anregungen und Theorien
Was zum Teufel war das dennDie Erinnerung war schlagartig da Sie ist ohne Vorwarnung in
meinem Kopf aufgetauchtUumlber mich selbst habe ich dabei nicht viel herausgefunden Ich
lebe in San Francisco so viel weiszlig ich jetzt Und ich fruumlhstuumlcke
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gern Auszligerdem habe ich mich fruumlher mit Astronomie beschaumlftigt was ich aber jetzt anscheinend nicht mehr mache
Mein Gehirn war wohl der Ansicht es sei wichtig mich an die E-Mail zu erinnern und nicht an so triviale Dinge wie meinen Namen
Mein Unterbewusstsein will mir etwas mitteilen Die Blutspur auf dem Boden hat mich anscheinend an die raquoduumlnne rote Linielaquo in der E-Mail erinnert Aber was hat das mit mir zu tun
Ich rutsche unter dem Bett hervor und lehne mich an die Wand Die Roboterarme tasten nach mir erreichen mich aber nicht
Es ist an der Zeit einen Blick auf meine Mitpatienten zu werfen Ich weiszlig nicht wer ich bin und warum ich hier bin aber wenigs-tens bin ich nicht allein und hellip sie sind tot
Eindeutig Direkt neben mir liegt eine Frau glaube ich Jeden-falls hatte sie lange Haare Davon abgesehen ist sie groumlszligtenteils mumifiziert Ausgetrocknete Haut haumlngt auf den Knochen Es riecht nicht Hier verwest nichts Sie ist offensichtlich schon lange tot
Der zweite Patient war ein Mann Er scheint sogar noch laumlnger tot zu sein Seine Haut ist nicht nur trocken und ledrig sondern zerkruumlmelt bereits
Na gut Also bin ich hier in der Gesellschaft von zwei Leichen Ich sollte es widerlich und entsetzlich finden aber das gelingt mir nicht Sie sind schon vor so langer Zeit gestorben dass sie kaum noch wie Menschen aussehen Eher wie Halloween-Dekorationen Ich hoffe ich war nicht mit ihnen befreundet Falls doch dann werde ich mich hoffentlich nicht daran erinnern
Tote Menschen sind eine Sache Groumlszligere Sorgen bereitet mir die Tatsache dass sie schon so lange hier liegen Selbst aus einem Quarantaumlnebereich wuumlrde man Tote entfernen oder Was hier schieflaumluft muss ziemlich uumlbel sein
Ich stehe auf Es geht nur langsam und ist ziemlich anstren-gend Ich halte mich an der Bettkante von Frau Mumie fest Die Liege wackelt und ich schwanke mit bleibe aber aufrecht stehen
Die Roboterarme fischen nach mir und ich schmiege mich wie-der an die Wand
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Ich bin ziemlich sicher dass ich im Koma gelegen habe Genau Je laumlnger ich daruumlber nachdenke desto klarer wird es
Ich kann nicht sagen wie lange ich schon hier bin aber wenn ich zur gleichen Zeit wie meine Zimmergenossen hier angekom-men bin muss es eine ganze Weile her sein Ich reibe mir uumlber das halb rasierte Gesicht Die Roboterarme sind faumlhig bewusstlose Patienten laumlngere Zeit zu versorgen Noch ein Beweis dafuumlr dass ich im Koma gelegen habe
Vielleicht kann ich die Luke erreichenIch mache einen Schritt dann noch einen Und dann sinke ich
zu Boden Es ist zu anstrengend Ich muss mich ausruhenWarum bin ich trotz meiner gut ausgebildeten Muskeln so
schwach Warum habe ich uumlberhaupt Muskeln wenn ich im Koma war Ich sollte ein verwittertes duumlrres Buumlndel sein und kein stram-mer Rettungsschwimmer
Ich habe keine Ahnung was hier laumluft Was soll ich jetzt tun Bin ich wirklich krank Ich meine natuumlrlich fuumlhle ich mich mise-rabel aber nicht krank Mir ist nicht uumlbel ich habe keine Kopf-schmerzen Fieber habe ich wohl auch nicht Wenn ich nicht krank bin warum habe ich dann im Koma gelegen Eine schwere Verletzung
Ich taste meinen Kopf ab Keine Schwellungen Narben oder Verbaumlnde Auch der Rest meines Koumlrpers kommt mir ziemlich sta-bil vor Mehr als stabil Ich habe sogar einen Waschbrettbauch
Am liebsten wuumlrde ich ein Nickerchen machen aber ich kaumlmp-fe gegen die Muumldigkeit an
Es wird Zeit es noch einmal zu versuchen Ich stemme mich wieder hoch Es ist wie Gewichtheben geht dieses Mal aber etwas leichter Wie es scheint erhole ich mich langsam Hoffentlich
Ich schlurfe an der Wand entlang und stuumltze mich mit dem Ruumlcken genauso stark ab wie mit den Fuumlszligen Die Roboterarme tas-ten staumlndig nach mir aber ich bleibe auszliger Reichweite
Ich keuche und japse und fuumlhle mich als waumlre ich einen Mara-thon gelaufen Vielleicht habe ich eine Lungenentzuumlndung Viel-leicht bin ich zu meinem eigenen Schutz in Isolation
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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Schreiend winde ich mich auf dem BodenraquoPhysisches Leidenlaquo stellt der Computer fest Die Roboterarme
greifen nach mir Ich krieche uumlber den Boden um ihnen zu ent-kommen und kann unter einem Bett verschwinden Die Arme hal-ten kurz davor inne geben aber nicht auf Sie warten Sie werden von einem Computer gesteuert Ihre Geduld ist unendlich
Ich lasse den Kopf auf den Boden sinken und schnappe nach Luft Nach einer Weile ebben die Schmerzen ab und ich wische mir die Traumlnen ab
Ich habe keine Ahnung was hier los istraquoHelaquo rufe ich raquoIhr zwei da wacht auflaquoraquoWie heiszligen Sielaquo fragt der ComputerraquoEiner von euch Menschen wacht doch bitte auflaquoraquoNicht korrektlaquo sagt der ComputerMein Unterleib tut so weh dass ich lachen muss Es ist absurd
Auszligerdem wirkt das Endorphin und mir wird schwindlig Ich bli-cke wieder zum Katheter auf meiner Koje und schuumlttle verwundert den Kopf Das Ding hat in meiner Harnroumlhre gesteckt O Mann
Und es hat beim Herausreiszligen Schaden angerichtet Auf dem Boden entdecke ich ein wenig Blut Nur ein schmaler roter Strei-fen hellip
Ich schluumlrfte Kaffee schob mir das letzte Stuumlck Toast in den Mund und winkte der Kellnerin um zu bezahlen Ich haumltte mir das Geld sparen und zu Hause fruumlhstuumlcken koumlnnen statt jeden Morgen ein Lokal aufzusuchen Angesichts meines bescheidenen Gehalts waumlre das vermutlich sogar eine gute Idee gewesen Aber ich koche nicht gern und ich mag Eier mit Speck
Die Kellnerin nickte und ging zur Kasse um meine Rechnung auszudrucken In diesem Augenblick trafen neue Gaumlste ein denen sie zuerst noch einen Platz zuweisen musste
Ich sah auf die Uhr Es war kurz nach sieben Uhr Ich hatte es nicht eilig Ich musste erst um acht anfangen war aber meist schon um zwanzig nach sieben im Buumlro um mich auf den Tag vorzubereiten
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Ich zuumlckte das Handy und checkte meine E-Mails
AN Astronomische Kuriositaumlten astrocuriousscilistsorgVON (Dr Irina Petrowa) ipetrowagaoranruBETREFF Die duumlnne rote Linie
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich den Display Ich dachte ich haumltte mich von dieser Mailingliste abgemeldet Dieses Leben hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben Es war nicht viel was uumlber die Liste hereinkam aber wenn mich meine Erinnerung nicht trog waren die wenigen Beitraumlge meist recht interessant Nur ein paar Astronomen Astrophysiker und Experten auf anderen Ge-bieten die sich uumlber alles unterhielten was ihnen seltsam vor-kam
Ich warf einen Blick in Richtung Kellnerin Die neue Kundschaft hatte viele Fragen zur Speisekarte Wahrscheinlich wollten sie wissen ob es in Sallys Diner auch glutenfreie vegane Grashalme gab oder so Die lieben Leute in San Francisco konnten ziemlich anstrengend sein
Da ich nichts weiter zu tun hatte las ich die E-Mail
Hallo Kollegen ich bin Dr Irina Petrowa und ich arbeite am Pulkowo-Observatorium in Sankt Petersburg in Russland
Ich schreibe Ihnen weil ich Ihre Hilfe braucheSeit zwei Jahren arbeite ich an einer Theorie die mit Infra-
rot-Emissionen aus Nebeln zu tun hat In diesem Zusammen-hang habe ich detaillierte Beobachtungen zu einigen speziel-len Infrarotwellenbaumlndern durchgefuumlhrt Dabei bin ich auf etwas Seltsames gestoszligen ndash aber nicht in einem Nebel son-dern hier in unserem eigenen Sonnensystem
Ich habe eine sehr schwache aber erkennbare Linie ent-deckt die auf einer Wellenlaumlnge von 25984 Mikrometern infrarotes Licht abstrahlt Es gibt keine Schwankungen die Wellenlaumlnge ist anscheinend immer gleich
Ich sende eine Excel-Tabelle mit den Daten mit Auszligerdem
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habe ich ein paar neuere Darstellungen der Daten in Form eines 3-D-Modells angefertigt
Sie koumlnnen dem Modell entnehmen dass die Linie die Form eines Bogens hat der am Nordpol der Sonne entspringt und 37 Millionen Kilometer weit gerade aufsteigt Dann schwenkt sie scharf nach unten ab und entfernt sich in Rich-tung Venus von der Sonne Jenseits des Apex erweitert sich die gekruumlmmte Linie zu einem Trichter In der Naumlhe der Venus ist der Querschnitt so groszlig wie der Planet selbst
Das infrarote Leuchten ist sehr schwach Ich konnte es nur entdecken weil ich auf der Suche nach Infrarotemissionen von Nebeln sehr empfindliche Messgeraumlte eingesetzt habe
Um ganz sicherzugehen habe ich das Atacama-Observa-torium in Chile darum gebeten die Daten zu uumlberpruumlfen Meiner Ansicht nach ist es das beste Infrarotobservatorium weltweit Sie haben meine Erkenntnisse bestaumltigt
Es gibt viele Gruumlnde warum man im interplanetaren Raum Infrarotstrahlung findet Es koumlnnten Staubwolken oder andere Partikel sein die das Sonnenlicht reflektieren Oder es han-delt sich um eine Molekuumllansammlung die Energie absor-biert und im Infrarotbereich wieder abstrahlt Dies wuumlrde so-gar erklaumlren warum die Wellenlaumlnge immer gleich bleibt
Besonders interessant ist die Form des Bogens Zuerst nahm ich an es handelte sich um eine Ansammlung von Partikeln die sich an Magnetfeldlinien orientieren Doch die Venus be-sitzt kein nennenswertes Magnetfeld Keine Magnetosphaumlre keine Ionosphaumlre nichts Welche Kraumlfte sollten die Partikel zu ihr ziehen Und warum sollten sie dabei gluumlhen
Ich bin dankbar fuumlr alle Anregungen und Theorien
Was zum Teufel war das dennDie Erinnerung war schlagartig da Sie ist ohne Vorwarnung in
meinem Kopf aufgetauchtUumlber mich selbst habe ich dabei nicht viel herausgefunden Ich
lebe in San Francisco so viel weiszlig ich jetzt Und ich fruumlhstuumlcke
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gern Auszligerdem habe ich mich fruumlher mit Astronomie beschaumlftigt was ich aber jetzt anscheinend nicht mehr mache
Mein Gehirn war wohl der Ansicht es sei wichtig mich an die E-Mail zu erinnern und nicht an so triviale Dinge wie meinen Namen
Mein Unterbewusstsein will mir etwas mitteilen Die Blutspur auf dem Boden hat mich anscheinend an die raquoduumlnne rote Linielaquo in der E-Mail erinnert Aber was hat das mit mir zu tun
Ich rutsche unter dem Bett hervor und lehne mich an die Wand Die Roboterarme tasten nach mir erreichen mich aber nicht
Es ist an der Zeit einen Blick auf meine Mitpatienten zu werfen Ich weiszlig nicht wer ich bin und warum ich hier bin aber wenigs-tens bin ich nicht allein und hellip sie sind tot
Eindeutig Direkt neben mir liegt eine Frau glaube ich Jeden-falls hatte sie lange Haare Davon abgesehen ist sie groumlszligtenteils mumifiziert Ausgetrocknete Haut haumlngt auf den Knochen Es riecht nicht Hier verwest nichts Sie ist offensichtlich schon lange tot
Der zweite Patient war ein Mann Er scheint sogar noch laumlnger tot zu sein Seine Haut ist nicht nur trocken und ledrig sondern zerkruumlmelt bereits
Na gut Also bin ich hier in der Gesellschaft von zwei Leichen Ich sollte es widerlich und entsetzlich finden aber das gelingt mir nicht Sie sind schon vor so langer Zeit gestorben dass sie kaum noch wie Menschen aussehen Eher wie Halloween-Dekorationen Ich hoffe ich war nicht mit ihnen befreundet Falls doch dann werde ich mich hoffentlich nicht daran erinnern
Tote Menschen sind eine Sache Groumlszligere Sorgen bereitet mir die Tatsache dass sie schon so lange hier liegen Selbst aus einem Quarantaumlnebereich wuumlrde man Tote entfernen oder Was hier schieflaumluft muss ziemlich uumlbel sein
Ich stehe auf Es geht nur langsam und ist ziemlich anstren-gend Ich halte mich an der Bettkante von Frau Mumie fest Die Liege wackelt und ich schwanke mit bleibe aber aufrecht stehen
Die Roboterarme fischen nach mir und ich schmiege mich wie-der an die Wand
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Ich bin ziemlich sicher dass ich im Koma gelegen habe Genau Je laumlnger ich daruumlber nachdenke desto klarer wird es
Ich kann nicht sagen wie lange ich schon hier bin aber wenn ich zur gleichen Zeit wie meine Zimmergenossen hier angekom-men bin muss es eine ganze Weile her sein Ich reibe mir uumlber das halb rasierte Gesicht Die Roboterarme sind faumlhig bewusstlose Patienten laumlngere Zeit zu versorgen Noch ein Beweis dafuumlr dass ich im Koma gelegen habe
Vielleicht kann ich die Luke erreichenIch mache einen Schritt dann noch einen Und dann sinke ich
zu Boden Es ist zu anstrengend Ich muss mich ausruhenWarum bin ich trotz meiner gut ausgebildeten Muskeln so
schwach Warum habe ich uumlberhaupt Muskeln wenn ich im Koma war Ich sollte ein verwittertes duumlrres Buumlndel sein und kein stram-mer Rettungsschwimmer
Ich habe keine Ahnung was hier laumluft Was soll ich jetzt tun Bin ich wirklich krank Ich meine natuumlrlich fuumlhle ich mich mise-rabel aber nicht krank Mir ist nicht uumlbel ich habe keine Kopf-schmerzen Fieber habe ich wohl auch nicht Wenn ich nicht krank bin warum habe ich dann im Koma gelegen Eine schwere Verletzung
Ich taste meinen Kopf ab Keine Schwellungen Narben oder Verbaumlnde Auch der Rest meines Koumlrpers kommt mir ziemlich sta-bil vor Mehr als stabil Ich habe sogar einen Waschbrettbauch
Am liebsten wuumlrde ich ein Nickerchen machen aber ich kaumlmp-fe gegen die Muumldigkeit an
Es wird Zeit es noch einmal zu versuchen Ich stemme mich wieder hoch Es ist wie Gewichtheben geht dieses Mal aber etwas leichter Wie es scheint erhole ich mich langsam Hoffentlich
Ich schlurfe an der Wand entlang und stuumltze mich mit dem Ruumlcken genauso stark ab wie mit den Fuumlszligen Die Roboterarme tas-ten staumlndig nach mir aber ich bleibe auszliger Reichweite
Ich keuche und japse und fuumlhle mich als waumlre ich einen Mara-thon gelaufen Vielleicht habe ich eine Lungenentzuumlndung Viel-leicht bin ich zu meinem eigenen Schutz in Isolation
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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Ich zuumlckte das Handy und checkte meine E-Mails
AN Astronomische Kuriositaumlten astrocuriousscilistsorgVON (Dr Irina Petrowa) ipetrowagaoranruBETREFF Die duumlnne rote Linie
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich den Display Ich dachte ich haumltte mich von dieser Mailingliste abgemeldet Dieses Leben hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben Es war nicht viel was uumlber die Liste hereinkam aber wenn mich meine Erinnerung nicht trog waren die wenigen Beitraumlge meist recht interessant Nur ein paar Astronomen Astrophysiker und Experten auf anderen Ge-bieten die sich uumlber alles unterhielten was ihnen seltsam vor-kam
Ich warf einen Blick in Richtung Kellnerin Die neue Kundschaft hatte viele Fragen zur Speisekarte Wahrscheinlich wollten sie wissen ob es in Sallys Diner auch glutenfreie vegane Grashalme gab oder so Die lieben Leute in San Francisco konnten ziemlich anstrengend sein
Da ich nichts weiter zu tun hatte las ich die E-Mail
Hallo Kollegen ich bin Dr Irina Petrowa und ich arbeite am Pulkowo-Observatorium in Sankt Petersburg in Russland
Ich schreibe Ihnen weil ich Ihre Hilfe braucheSeit zwei Jahren arbeite ich an einer Theorie die mit Infra-
rot-Emissionen aus Nebeln zu tun hat In diesem Zusammen-hang habe ich detaillierte Beobachtungen zu einigen speziel-len Infrarotwellenbaumlndern durchgefuumlhrt Dabei bin ich auf etwas Seltsames gestoszligen ndash aber nicht in einem Nebel son-dern hier in unserem eigenen Sonnensystem
Ich habe eine sehr schwache aber erkennbare Linie ent-deckt die auf einer Wellenlaumlnge von 25984 Mikrometern infrarotes Licht abstrahlt Es gibt keine Schwankungen die Wellenlaumlnge ist anscheinend immer gleich
Ich sende eine Excel-Tabelle mit den Daten mit Auszligerdem
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habe ich ein paar neuere Darstellungen der Daten in Form eines 3-D-Modells angefertigt
Sie koumlnnen dem Modell entnehmen dass die Linie die Form eines Bogens hat der am Nordpol der Sonne entspringt und 37 Millionen Kilometer weit gerade aufsteigt Dann schwenkt sie scharf nach unten ab und entfernt sich in Rich-tung Venus von der Sonne Jenseits des Apex erweitert sich die gekruumlmmte Linie zu einem Trichter In der Naumlhe der Venus ist der Querschnitt so groszlig wie der Planet selbst
Das infrarote Leuchten ist sehr schwach Ich konnte es nur entdecken weil ich auf der Suche nach Infrarotemissionen von Nebeln sehr empfindliche Messgeraumlte eingesetzt habe
Um ganz sicherzugehen habe ich das Atacama-Observa-torium in Chile darum gebeten die Daten zu uumlberpruumlfen Meiner Ansicht nach ist es das beste Infrarotobservatorium weltweit Sie haben meine Erkenntnisse bestaumltigt
Es gibt viele Gruumlnde warum man im interplanetaren Raum Infrarotstrahlung findet Es koumlnnten Staubwolken oder andere Partikel sein die das Sonnenlicht reflektieren Oder es han-delt sich um eine Molekuumllansammlung die Energie absor-biert und im Infrarotbereich wieder abstrahlt Dies wuumlrde so-gar erklaumlren warum die Wellenlaumlnge immer gleich bleibt
Besonders interessant ist die Form des Bogens Zuerst nahm ich an es handelte sich um eine Ansammlung von Partikeln die sich an Magnetfeldlinien orientieren Doch die Venus be-sitzt kein nennenswertes Magnetfeld Keine Magnetosphaumlre keine Ionosphaumlre nichts Welche Kraumlfte sollten die Partikel zu ihr ziehen Und warum sollten sie dabei gluumlhen
Ich bin dankbar fuumlr alle Anregungen und Theorien
Was zum Teufel war das dennDie Erinnerung war schlagartig da Sie ist ohne Vorwarnung in
meinem Kopf aufgetauchtUumlber mich selbst habe ich dabei nicht viel herausgefunden Ich
lebe in San Francisco so viel weiszlig ich jetzt Und ich fruumlhstuumlcke
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gern Auszligerdem habe ich mich fruumlher mit Astronomie beschaumlftigt was ich aber jetzt anscheinend nicht mehr mache
Mein Gehirn war wohl der Ansicht es sei wichtig mich an die E-Mail zu erinnern und nicht an so triviale Dinge wie meinen Namen
Mein Unterbewusstsein will mir etwas mitteilen Die Blutspur auf dem Boden hat mich anscheinend an die raquoduumlnne rote Linielaquo in der E-Mail erinnert Aber was hat das mit mir zu tun
Ich rutsche unter dem Bett hervor und lehne mich an die Wand Die Roboterarme tasten nach mir erreichen mich aber nicht
Es ist an der Zeit einen Blick auf meine Mitpatienten zu werfen Ich weiszlig nicht wer ich bin und warum ich hier bin aber wenigs-tens bin ich nicht allein und hellip sie sind tot
Eindeutig Direkt neben mir liegt eine Frau glaube ich Jeden-falls hatte sie lange Haare Davon abgesehen ist sie groumlszligtenteils mumifiziert Ausgetrocknete Haut haumlngt auf den Knochen Es riecht nicht Hier verwest nichts Sie ist offensichtlich schon lange tot
Der zweite Patient war ein Mann Er scheint sogar noch laumlnger tot zu sein Seine Haut ist nicht nur trocken und ledrig sondern zerkruumlmelt bereits
Na gut Also bin ich hier in der Gesellschaft von zwei Leichen Ich sollte es widerlich und entsetzlich finden aber das gelingt mir nicht Sie sind schon vor so langer Zeit gestorben dass sie kaum noch wie Menschen aussehen Eher wie Halloween-Dekorationen Ich hoffe ich war nicht mit ihnen befreundet Falls doch dann werde ich mich hoffentlich nicht daran erinnern
Tote Menschen sind eine Sache Groumlszligere Sorgen bereitet mir die Tatsache dass sie schon so lange hier liegen Selbst aus einem Quarantaumlnebereich wuumlrde man Tote entfernen oder Was hier schieflaumluft muss ziemlich uumlbel sein
Ich stehe auf Es geht nur langsam und ist ziemlich anstren-gend Ich halte mich an der Bettkante von Frau Mumie fest Die Liege wackelt und ich schwanke mit bleibe aber aufrecht stehen
Die Roboterarme fischen nach mir und ich schmiege mich wie-der an die Wand
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Ich bin ziemlich sicher dass ich im Koma gelegen habe Genau Je laumlnger ich daruumlber nachdenke desto klarer wird es
Ich kann nicht sagen wie lange ich schon hier bin aber wenn ich zur gleichen Zeit wie meine Zimmergenossen hier angekom-men bin muss es eine ganze Weile her sein Ich reibe mir uumlber das halb rasierte Gesicht Die Roboterarme sind faumlhig bewusstlose Patienten laumlngere Zeit zu versorgen Noch ein Beweis dafuumlr dass ich im Koma gelegen habe
Vielleicht kann ich die Luke erreichenIch mache einen Schritt dann noch einen Und dann sinke ich
zu Boden Es ist zu anstrengend Ich muss mich ausruhenWarum bin ich trotz meiner gut ausgebildeten Muskeln so
schwach Warum habe ich uumlberhaupt Muskeln wenn ich im Koma war Ich sollte ein verwittertes duumlrres Buumlndel sein und kein stram-mer Rettungsschwimmer
Ich habe keine Ahnung was hier laumluft Was soll ich jetzt tun Bin ich wirklich krank Ich meine natuumlrlich fuumlhle ich mich mise-rabel aber nicht krank Mir ist nicht uumlbel ich habe keine Kopf-schmerzen Fieber habe ich wohl auch nicht Wenn ich nicht krank bin warum habe ich dann im Koma gelegen Eine schwere Verletzung
Ich taste meinen Kopf ab Keine Schwellungen Narben oder Verbaumlnde Auch der Rest meines Koumlrpers kommt mir ziemlich sta-bil vor Mehr als stabil Ich habe sogar einen Waschbrettbauch
Am liebsten wuumlrde ich ein Nickerchen machen aber ich kaumlmp-fe gegen die Muumldigkeit an
Es wird Zeit es noch einmal zu versuchen Ich stemme mich wieder hoch Es ist wie Gewichtheben geht dieses Mal aber etwas leichter Wie es scheint erhole ich mich langsam Hoffentlich
Ich schlurfe an der Wand entlang und stuumltze mich mit dem Ruumlcken genauso stark ab wie mit den Fuumlszligen Die Roboterarme tas-ten staumlndig nach mir aber ich bleibe auszliger Reichweite
Ich keuche und japse und fuumlhle mich als waumlre ich einen Mara-thon gelaufen Vielleicht habe ich eine Lungenentzuumlndung Viel-leicht bin ich zu meinem eigenen Schutz in Isolation
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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habe ich ein paar neuere Darstellungen der Daten in Form eines 3-D-Modells angefertigt
Sie koumlnnen dem Modell entnehmen dass die Linie die Form eines Bogens hat der am Nordpol der Sonne entspringt und 37 Millionen Kilometer weit gerade aufsteigt Dann schwenkt sie scharf nach unten ab und entfernt sich in Rich-tung Venus von der Sonne Jenseits des Apex erweitert sich die gekruumlmmte Linie zu einem Trichter In der Naumlhe der Venus ist der Querschnitt so groszlig wie der Planet selbst
Das infrarote Leuchten ist sehr schwach Ich konnte es nur entdecken weil ich auf der Suche nach Infrarotemissionen von Nebeln sehr empfindliche Messgeraumlte eingesetzt habe
Um ganz sicherzugehen habe ich das Atacama-Observa-torium in Chile darum gebeten die Daten zu uumlberpruumlfen Meiner Ansicht nach ist es das beste Infrarotobservatorium weltweit Sie haben meine Erkenntnisse bestaumltigt
Es gibt viele Gruumlnde warum man im interplanetaren Raum Infrarotstrahlung findet Es koumlnnten Staubwolken oder andere Partikel sein die das Sonnenlicht reflektieren Oder es han-delt sich um eine Molekuumllansammlung die Energie absor-biert und im Infrarotbereich wieder abstrahlt Dies wuumlrde so-gar erklaumlren warum die Wellenlaumlnge immer gleich bleibt
Besonders interessant ist die Form des Bogens Zuerst nahm ich an es handelte sich um eine Ansammlung von Partikeln die sich an Magnetfeldlinien orientieren Doch die Venus be-sitzt kein nennenswertes Magnetfeld Keine Magnetosphaumlre keine Ionosphaumlre nichts Welche Kraumlfte sollten die Partikel zu ihr ziehen Und warum sollten sie dabei gluumlhen
Ich bin dankbar fuumlr alle Anregungen und Theorien
Was zum Teufel war das dennDie Erinnerung war schlagartig da Sie ist ohne Vorwarnung in
meinem Kopf aufgetauchtUumlber mich selbst habe ich dabei nicht viel herausgefunden Ich
lebe in San Francisco so viel weiszlig ich jetzt Und ich fruumlhstuumlcke
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gern Auszligerdem habe ich mich fruumlher mit Astronomie beschaumlftigt was ich aber jetzt anscheinend nicht mehr mache
Mein Gehirn war wohl der Ansicht es sei wichtig mich an die E-Mail zu erinnern und nicht an so triviale Dinge wie meinen Namen
Mein Unterbewusstsein will mir etwas mitteilen Die Blutspur auf dem Boden hat mich anscheinend an die raquoduumlnne rote Linielaquo in der E-Mail erinnert Aber was hat das mit mir zu tun
Ich rutsche unter dem Bett hervor und lehne mich an die Wand Die Roboterarme tasten nach mir erreichen mich aber nicht
Es ist an der Zeit einen Blick auf meine Mitpatienten zu werfen Ich weiszlig nicht wer ich bin und warum ich hier bin aber wenigs-tens bin ich nicht allein und hellip sie sind tot
Eindeutig Direkt neben mir liegt eine Frau glaube ich Jeden-falls hatte sie lange Haare Davon abgesehen ist sie groumlszligtenteils mumifiziert Ausgetrocknete Haut haumlngt auf den Knochen Es riecht nicht Hier verwest nichts Sie ist offensichtlich schon lange tot
Der zweite Patient war ein Mann Er scheint sogar noch laumlnger tot zu sein Seine Haut ist nicht nur trocken und ledrig sondern zerkruumlmelt bereits
Na gut Also bin ich hier in der Gesellschaft von zwei Leichen Ich sollte es widerlich und entsetzlich finden aber das gelingt mir nicht Sie sind schon vor so langer Zeit gestorben dass sie kaum noch wie Menschen aussehen Eher wie Halloween-Dekorationen Ich hoffe ich war nicht mit ihnen befreundet Falls doch dann werde ich mich hoffentlich nicht daran erinnern
Tote Menschen sind eine Sache Groumlszligere Sorgen bereitet mir die Tatsache dass sie schon so lange hier liegen Selbst aus einem Quarantaumlnebereich wuumlrde man Tote entfernen oder Was hier schieflaumluft muss ziemlich uumlbel sein
Ich stehe auf Es geht nur langsam und ist ziemlich anstren-gend Ich halte mich an der Bettkante von Frau Mumie fest Die Liege wackelt und ich schwanke mit bleibe aber aufrecht stehen
Die Roboterarme fischen nach mir und ich schmiege mich wie-der an die Wand
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Ich bin ziemlich sicher dass ich im Koma gelegen habe Genau Je laumlnger ich daruumlber nachdenke desto klarer wird es
Ich kann nicht sagen wie lange ich schon hier bin aber wenn ich zur gleichen Zeit wie meine Zimmergenossen hier angekom-men bin muss es eine ganze Weile her sein Ich reibe mir uumlber das halb rasierte Gesicht Die Roboterarme sind faumlhig bewusstlose Patienten laumlngere Zeit zu versorgen Noch ein Beweis dafuumlr dass ich im Koma gelegen habe
Vielleicht kann ich die Luke erreichenIch mache einen Schritt dann noch einen Und dann sinke ich
zu Boden Es ist zu anstrengend Ich muss mich ausruhenWarum bin ich trotz meiner gut ausgebildeten Muskeln so
schwach Warum habe ich uumlberhaupt Muskeln wenn ich im Koma war Ich sollte ein verwittertes duumlrres Buumlndel sein und kein stram-mer Rettungsschwimmer
Ich habe keine Ahnung was hier laumluft Was soll ich jetzt tun Bin ich wirklich krank Ich meine natuumlrlich fuumlhle ich mich mise-rabel aber nicht krank Mir ist nicht uumlbel ich habe keine Kopf-schmerzen Fieber habe ich wohl auch nicht Wenn ich nicht krank bin warum habe ich dann im Koma gelegen Eine schwere Verletzung
Ich taste meinen Kopf ab Keine Schwellungen Narben oder Verbaumlnde Auch der Rest meines Koumlrpers kommt mir ziemlich sta-bil vor Mehr als stabil Ich habe sogar einen Waschbrettbauch
Am liebsten wuumlrde ich ein Nickerchen machen aber ich kaumlmp-fe gegen die Muumldigkeit an
Es wird Zeit es noch einmal zu versuchen Ich stemme mich wieder hoch Es ist wie Gewichtheben geht dieses Mal aber etwas leichter Wie es scheint erhole ich mich langsam Hoffentlich
Ich schlurfe an der Wand entlang und stuumltze mich mit dem Ruumlcken genauso stark ab wie mit den Fuumlszligen Die Roboterarme tas-ten staumlndig nach mir aber ich bleibe auszliger Reichweite
Ich keuche und japse und fuumlhle mich als waumlre ich einen Mara-thon gelaufen Vielleicht habe ich eine Lungenentzuumlndung Viel-leicht bin ich zu meinem eigenen Schutz in Isolation
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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gern Auszligerdem habe ich mich fruumlher mit Astronomie beschaumlftigt was ich aber jetzt anscheinend nicht mehr mache
Mein Gehirn war wohl der Ansicht es sei wichtig mich an die E-Mail zu erinnern und nicht an so triviale Dinge wie meinen Namen
Mein Unterbewusstsein will mir etwas mitteilen Die Blutspur auf dem Boden hat mich anscheinend an die raquoduumlnne rote Linielaquo in der E-Mail erinnert Aber was hat das mit mir zu tun
Ich rutsche unter dem Bett hervor und lehne mich an die Wand Die Roboterarme tasten nach mir erreichen mich aber nicht
Es ist an der Zeit einen Blick auf meine Mitpatienten zu werfen Ich weiszlig nicht wer ich bin und warum ich hier bin aber wenigs-tens bin ich nicht allein und hellip sie sind tot
Eindeutig Direkt neben mir liegt eine Frau glaube ich Jeden-falls hatte sie lange Haare Davon abgesehen ist sie groumlszligtenteils mumifiziert Ausgetrocknete Haut haumlngt auf den Knochen Es riecht nicht Hier verwest nichts Sie ist offensichtlich schon lange tot
Der zweite Patient war ein Mann Er scheint sogar noch laumlnger tot zu sein Seine Haut ist nicht nur trocken und ledrig sondern zerkruumlmelt bereits
Na gut Also bin ich hier in der Gesellschaft von zwei Leichen Ich sollte es widerlich und entsetzlich finden aber das gelingt mir nicht Sie sind schon vor so langer Zeit gestorben dass sie kaum noch wie Menschen aussehen Eher wie Halloween-Dekorationen Ich hoffe ich war nicht mit ihnen befreundet Falls doch dann werde ich mich hoffentlich nicht daran erinnern
Tote Menschen sind eine Sache Groumlszligere Sorgen bereitet mir die Tatsache dass sie schon so lange hier liegen Selbst aus einem Quarantaumlnebereich wuumlrde man Tote entfernen oder Was hier schieflaumluft muss ziemlich uumlbel sein
Ich stehe auf Es geht nur langsam und ist ziemlich anstren-gend Ich halte mich an der Bettkante von Frau Mumie fest Die Liege wackelt und ich schwanke mit bleibe aber aufrecht stehen
Die Roboterarme fischen nach mir und ich schmiege mich wie-der an die Wand
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Ich bin ziemlich sicher dass ich im Koma gelegen habe Genau Je laumlnger ich daruumlber nachdenke desto klarer wird es
Ich kann nicht sagen wie lange ich schon hier bin aber wenn ich zur gleichen Zeit wie meine Zimmergenossen hier angekom-men bin muss es eine ganze Weile her sein Ich reibe mir uumlber das halb rasierte Gesicht Die Roboterarme sind faumlhig bewusstlose Patienten laumlngere Zeit zu versorgen Noch ein Beweis dafuumlr dass ich im Koma gelegen habe
Vielleicht kann ich die Luke erreichenIch mache einen Schritt dann noch einen Und dann sinke ich
zu Boden Es ist zu anstrengend Ich muss mich ausruhenWarum bin ich trotz meiner gut ausgebildeten Muskeln so
schwach Warum habe ich uumlberhaupt Muskeln wenn ich im Koma war Ich sollte ein verwittertes duumlrres Buumlndel sein und kein stram-mer Rettungsschwimmer
Ich habe keine Ahnung was hier laumluft Was soll ich jetzt tun Bin ich wirklich krank Ich meine natuumlrlich fuumlhle ich mich mise-rabel aber nicht krank Mir ist nicht uumlbel ich habe keine Kopf-schmerzen Fieber habe ich wohl auch nicht Wenn ich nicht krank bin warum habe ich dann im Koma gelegen Eine schwere Verletzung
Ich taste meinen Kopf ab Keine Schwellungen Narben oder Verbaumlnde Auch der Rest meines Koumlrpers kommt mir ziemlich sta-bil vor Mehr als stabil Ich habe sogar einen Waschbrettbauch
Am liebsten wuumlrde ich ein Nickerchen machen aber ich kaumlmp-fe gegen die Muumldigkeit an
Es wird Zeit es noch einmal zu versuchen Ich stemme mich wieder hoch Es ist wie Gewichtheben geht dieses Mal aber etwas leichter Wie es scheint erhole ich mich langsam Hoffentlich
Ich schlurfe an der Wand entlang und stuumltze mich mit dem Ruumlcken genauso stark ab wie mit den Fuumlszligen Die Roboterarme tas-ten staumlndig nach mir aber ich bleibe auszliger Reichweite
Ich keuche und japse und fuumlhle mich als waumlre ich einen Mara-thon gelaufen Vielleicht habe ich eine Lungenentzuumlndung Viel-leicht bin ich zu meinem eigenen Schutz in Isolation
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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Ich bin ziemlich sicher dass ich im Koma gelegen habe Genau Je laumlnger ich daruumlber nachdenke desto klarer wird es
Ich kann nicht sagen wie lange ich schon hier bin aber wenn ich zur gleichen Zeit wie meine Zimmergenossen hier angekom-men bin muss es eine ganze Weile her sein Ich reibe mir uumlber das halb rasierte Gesicht Die Roboterarme sind faumlhig bewusstlose Patienten laumlngere Zeit zu versorgen Noch ein Beweis dafuumlr dass ich im Koma gelegen habe
Vielleicht kann ich die Luke erreichenIch mache einen Schritt dann noch einen Und dann sinke ich
zu Boden Es ist zu anstrengend Ich muss mich ausruhenWarum bin ich trotz meiner gut ausgebildeten Muskeln so
schwach Warum habe ich uumlberhaupt Muskeln wenn ich im Koma war Ich sollte ein verwittertes duumlrres Buumlndel sein und kein stram-mer Rettungsschwimmer
Ich habe keine Ahnung was hier laumluft Was soll ich jetzt tun Bin ich wirklich krank Ich meine natuumlrlich fuumlhle ich mich mise-rabel aber nicht krank Mir ist nicht uumlbel ich habe keine Kopf-schmerzen Fieber habe ich wohl auch nicht Wenn ich nicht krank bin warum habe ich dann im Koma gelegen Eine schwere Verletzung
Ich taste meinen Kopf ab Keine Schwellungen Narben oder Verbaumlnde Auch der Rest meines Koumlrpers kommt mir ziemlich sta-bil vor Mehr als stabil Ich habe sogar einen Waschbrettbauch
Am liebsten wuumlrde ich ein Nickerchen machen aber ich kaumlmp-fe gegen die Muumldigkeit an
Es wird Zeit es noch einmal zu versuchen Ich stemme mich wieder hoch Es ist wie Gewichtheben geht dieses Mal aber etwas leichter Wie es scheint erhole ich mich langsam Hoffentlich
Ich schlurfe an der Wand entlang und stuumltze mich mit dem Ruumlcken genauso stark ab wie mit den Fuumlszligen Die Roboterarme tas-ten staumlndig nach mir aber ich bleibe auszliger Reichweite
Ich keuche und japse und fuumlhle mich als waumlre ich einen Mara-thon gelaufen Vielleicht habe ich eine Lungenentzuumlndung Viel-leicht bin ich zu meinem eigenen Schutz in Isolation
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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Endlich erreiche ich die Leiter Ich stolpere darauf zu und packe eine Sprosse Ich bin furchtbar schwach Wie soll ich eine zehn Fuszlig hohe Leiter hinaufklettern
Zehn FuszligIch denke im angloamerikanischen Maszligsystem Das ist ein Hin-
weis Wahrscheinlich bin ich Amerikaner Oder Brite Oder Kana-dier Fuumlr kurze Entfernungen benutzen die Kanadier manchmal Fuszlig und Zoll
Ich frage mich Wie weit ist es von Los Angeles bis New York Die Antwort ist sofort da 3000 Meilen Ein Kanadier haumltte die Kilometer genannt Also bin ich Brite oder Amerikaner Oder aus Liberia
Ich weiszlig dass sie in Liberia das angloamerikanische Maszlig-system benutzen aber ich weiszlig meinen eigenen Namen nicht Das ist aumlrgerlich
Ich hole tief Luft halte mich mit beiden Haumlnden an der Leiter fest und stelle den Fuszlig auf die unterste Sprosse Ich ziehe mich hoch Es ist wacklig aber es geht Jetzt stehen beide Fuumlszlige auf der untersten Sprosse Ich greife nach oben und packe die naumlchste Sprosse Na gut ich mache Fortschritte Mein ganzer Koumlrper ist bleischwer jede Bewegung ist eine Qual Ich will mich hochzie-hen aber ich habe nicht genug Kraft
Ich kippe ruumlckwaumlrts von der Leiter Das wird wehtunEs tut nicht weh Die Roboterarme fangen mich auf ehe ich auf
den Boden pralle weil ich in ihrer Reichweite gestuumlrzt bin Sie zoumlgern keine Sekunde und stecken mich wieder ins Bett wie eine Mutter die ihr Kind schlafen legt
Wissen Sie was Das ist mir ganz recht Ich bin jetzt wirklich muumlde und es tut gut einfach nur dazuliegen Das sanfte Wiegen des Bettes ist beruhigend Etwas an der Art und Weise wie ich von der Leiter gefallen bin stoumlrt mich Ich gehe es im Kopf noch ein-mal durch kann aber nicht genau bestimmen was mir daran selt-sam vorkommt Irgendetwas ist einfach falsch
HmIch schlafe ein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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raquoEssen SielaquoAuf meiner Brust liegt eine ZahnpastatuberaquoAumlhmlaquoraquoEssen Sielaquo wiederholt der ComputerIch nehme die Tube Sie ist weiszlig mit schwarzer Beschriftung
TAG 1 ndash MAHLZEIT 1raquoWas soll daslaquo frage ichraquoEssen SielaquoIch schraube den Verschluss ab und ein koumlstlicher Duft steigt
mir in die Nase Mir laumluft sofort das Wasser im Mund zusammen Erst jetzt wird mir bewusst wie hungrig ich bin Ich druumlcke auf die Tube aus der ein widerlicher brauner Matsch quillt
raquoEssen SielaquoWer bin ich dass ich einem unheimlichen Computerboss mit
Roboterarmen widersprechen wuumlrde Vorsichtig lecke ich an der Paste
O mein Gott schmeckt das gut Es ist wie dicke Bratensoszlige aber nicht zu aufdringlich Ich quetsche mir eine Ladung direkt in den Mund Ich koumlnnte schwoumlren dass es besser ist als Sex
Ich weiszlig was das heiszligt Man sagt ja Hunger sei das beste Wuumlrzmittel Wenn man am Verhungern ist schenkt einem das Ge-hirn eine huumlbsche Belohnung sobald man endlich etwas zu sich nimmt Gut gemacht sagt das Gehirn Jetzt werden wir fuumlr eine Weile nicht sterben
Allmaumlhlich faumlllt der Groschen Ich habe lange im Koma gelegen und wurde kuumlnstlich ernaumlhrt Beim Aufwachen hatte ich keinen Schlauch im Magen also haben sie mich vermutlich mit einer Na-sensonde durch die Speiseroumlhre versorgt Das ist die am wenigs-ten invasive Art einen Patienten zu fuumlttern der nicht selbst essen kann aber keine Verdauungsprobleme hat Auszligerdem bleibt so das Verdauungssystem aktiv und gesund Und das erklaumlrt warum der Schlauch nicht mehr da war als ich wach wurde Wenn moumlg-lich soll man die Nasensonde entfernen solange der Patient noch bewusstlos ist
Woher weiszlig ich das Bin ich Arzt
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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Ich quetsche mir noch eine Ladung Bratencreme in den Mund Immer noch koumlstlich Ich schlucke das Zeug herunter Bald ist die Tube leer Ich halte sie hoch raquoMehr davonlaquo
raquoMahlzeit beendetlaquoraquoIch habe aber noch Hunger Gib mir noch eine TubelaquoraquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoDas ist sogar vernuumlnftig Mein Verdauungssystem hat sich an
halb fluumlssige Nahrung gewoumlhnt Ich sollte es langsam angehen Wenn ich so viel esse wie ich will wird mir wahrscheinlich uumlbel Der Computer macht das schon richtig
raquoGib mir mehr zu essenlaquo Wenn man Hunger hat ist einem egal was richtig ist
raquoNahrungszuteilung fuumlr diese Mahlzeit ist ausgeschoumlpftlaquoraquoPahlaquoTrotzdem fuumlhle ich mich erheblich besser als vorhin Das Essen
hat mir sofort neue Energie geschenkt und ich habe mich aus-geruht
Ich rolle mich aus dem Bett heraus und strebe eilig zu der Wand doch dieses Mal verfolgen mich die Roboterarme nicht Anscheinend darf ich das Bett verlassen nachdem ich bewiesen habe dass ich essen kann
Ich betrachte meinen nackten Koumlrper Es kommt mir nicht rich-tig vor Sicher die einzigen anderen Menschen hier sind tot aber trotzdem
raquoKann ich etwas zum Anziehen habenlaquoDer Computer schweigtraquoNa gut von mir auslaquoIch ziehe das Laken vom Bett und wickle es mir mehrmals um
den Rumpf Eine Ecke lege ich mir von hinten uumlber die Schulter und verknote sie vorne mit einer anderen Ecke Spontantoga
raquoEigenstaumlndige Fortbewegung entdecktlaquo bemerkt der Compu-ter raquoWie heiszligen Sielaquo
raquoIch bin Kaiser Koma Knie nieder vor mirlaquoraquoNicht korrektlaquoMal sehen was da oben jenseits der Leiter ist
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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Ich bin noch immer etwas wacklig auf den Beinen wandere aber unverdrossen quer durch den Raum Das ist schon ein kleiner Sieg ndash ich bin nicht auf schaukelnde Betten oder Waumlnde angewie-sen um mich festzuhalten
Als ich die Leiter erreiche greife ich sofort zu Ich brauche nichts mehr um mich festzuhalten aber es macht das Leben leichter Die Luke da oben sieht ziemlich massiv aus Wahrschein-lich ist sie luftdicht Und houmlchstwahrscheinlich ist sie zugesperrt Aber ich muss es wenigstens versuchen
Ich steige eine Sprosse hinauf Schwer aber machbar Noch eine Sprosse Gut so langsam komme ich in Fahrt Ruhig und gleichmaumlszligig
Ich erreiche die Luke halte mich mit einer Hand an der Leiter fest und betaumltige mit der anderen das Handrad Tatsaumlchlich es dreht sich
raquoHeiliger Strohsacklaquo sage ichHeiliger Strohsack Ist das mein Standardspruch wenn ich
uumlberrascht bin Ich meine dagegen ist ja nichts einzuwenden aber ich haumltte etwas erwartet das nicht so stark nach den 1950er-Jahren klingt Was bin ich eigentlich fuumlr ein Knallkopf
Sobald ich das Handrad dreimal herumgedreht habe houmlre ich ein Klicken Ich mache Platz und die Luke klappt herunter Der Deckel faumlllt an einer Seite herab und haumlngt an dem kraumlftigen Scharnier Ich bin frei
GewissermaszligenJenseits der Luke ist es stockfinster Etwas beunruhigend aber
immerhin es ist ein FortschrittIch strecke den Arm aus und ziehe mich nach oben in den
naumlchsten Raum Sobald ich dort ankomme flammt das Licht auf Wahrscheinlich war es der Computer
Der Raum ist genauso groszlig wie der den ich gerade verlassen habe Auch er ist rund
Im Boden ist ein groszliger Tisch ndash anscheinend ein Labortisch ndash verschraubt In der Naumlhe sind drei Hocker befestigt Ringsherum sehe ich nur Laborausruumlstung Alles ist auf Tischen oder Werk-
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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baumlnken montiert die ihrerseits im Boden verankert sind Es sieht so aus als sei der Raum fuumlr ein katastrophales Erdbeben geruumlstet
An einer Wand fuumlhrt eine Leiter zu einer weiteren Luke in der Decke hinauf
Ich befinde mich in einem gut ausgestatteten Labor Seit wann duumlrfen in einer Isolierstation die Patienten ins Labor Auszligerdem sieht es nicht einmal nach einem medizinischen Labor aus Ver-flixt und zu genaumlht was ist hier los
Verflixt und zugenaumlht Ehrlich Vielleicht habe ich kleine Kin-der Oder ich bin fromm
Ich richte mich auf und sehe mich gruumlndlich umAuf dem Labortisch sind mehrere Geraumlte montiert Ich erkenne
ein Mikroskop mit 8000-facher Vergroumlszligerung einen Autoklav ein Gestell mit Reagenzglaumlsern Schubladenkaumlstchen mit Vorraumlten einen Kuumlhlschrank fuumlr Proben einen Laborkammerofen Pipet-ten ndash Moment mal Woher kenne ich diese Geraumltschaften
Ich betrachte die groumlszligeren Apparate an der Wand Rasterelektro-nenmikroskop Mikro-3-D-Drucker Labormischer Laser-Inter-ferometer Vakuumkammer mit einem Kubikmeter Fassungsver-moumlgen ndash ich bin mit all dem vertraut Und ich weiszlig wie man es benutzt
Ich bin Wissenschaftler Jetzt kommen wir weiter Also wird es Zeit die Wissenschaft zu nutzen Mach schon du Superhirn lass dir was einfallen
Ich hellip habe HungerGehirn du laumlsst mich im StichNa gut ich habe keine Ahnung warum dieses Labor hier ist
und warum ich es betreten darf Also hellip weiterDie Luke in der Decke befindet sich zehn Fuszlig uumlber dem Boden
Ein weiteres Abenteuer auf der Leiter Wenigstens bin ich jetzt etwas kraumlftiger
Ich atme einige Male tief durch und steige die Leiter hinauf Es geht genauso muumlhsam wie vorher sogar diese einfache Taumltigkeit ist eine groszlige Belastung Auch wenn es mir besser geht von raquogutlaquo kann keine Rede sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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Lieber Himmel bin ich schwer Mit Muumlhe und Not schaffe ich es bis nach oben
Ich richte mich auf den unbequemen Sprossen ein und stemme mich gegen den Griff der Luke Er ruumlhrt sich nicht
raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu entriegelnlaquo verlangt der Computer
raquoAber ich weiszlig meinen Namen nichtlaquoraquoNicht korrektlaquoIch schlage mit der flachen Hand nach dem Riegel Er gibt nicht
nach und mir tut die Hand weh Verstehe So wird das nichtsDiese Luke muss warten Vielleicht faumlllt mir mein Name noch
ein oder ich sehe ihn irgendwo aufgeschriebenIch steige die Leiter hinunter Oder besser gesagt ich versuche
es Man koumlnnte meinen es sei einfacher und sicherer nach unten zu klettern Aber nein Keineswegs Statt anmutig den Fuszlig auf die naumlchste Sprosse zu setzen rutsche ich ab und verliere den Halt am Griff der Luke Ich stuumlrze ab wie ein Idiot
Ich winde mich wie eine wuumltende Katze und greife nach irgend-etwas an dem ich mich festhalten kann Leider ist das eine richtig schlechte Idee Ich lande auf dem Tisch und pralle mit dem Schienbein gegen ein Schubladenkaumlstchen mit Laborutensilien Das tut houmlllisch weh Ich schreie auf greife an mein schmerzen-des Schienbein rolle vom Tisch und falle auf den Boden
Dieses Mal fangen mich keine Roboterarme auf Ich lande auf dem Ruumlcken und kann nicht mehr atmen Um das Maszlig vollzu-machen kippt das Kaumlstchen um die Schubladen gehen auf und das Laborzubehoumlr prasselt auf mich herab Die Baumwolltupfer sind kein Problem Die Reagenzglaumlser tun nur ein bisschen weh und gehen uumlberraschenderweise nicht kaputt Das Maszligband faumlllt mir mitten auf die Stirn
Noch mehr Sachen poltern herab aber ich bin zu sehr damit beschaumlftigt die wachsende Beule auf der Stirn zu betasten Wie kann ein Maszligband nur so schwer sein Es faumlllt drei Fuszlig tief vom Tisch herunter und ich habe eine Beule auf der Stirn
raquoDas hat nicht geklapptlaquo sage ich zu niemandem im Besonde-
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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ren Diese ganze Aktion war einfach laumlcherlich Wie aus einem Charlie-Chaplin-Film
Ja hellip genau so war es Sogar ein wenig zu viel davonWieder habe ich das Gefuumlhl dass irgendetwas nicht stimmtIch schnappe mir ein Reagenzglas und werfe es hoch Es steigt
empor und kommt herunter wie es sein sollte Trotzdem ist etwas an der Art wie Objekte hier fallen grundverkehrt Ich will es he r-ausfinden
Was steht mir hier zur Verfuumlgung Nun ja ein ganzes Labor das ich sogar zu benutzen weiszlig Aber was davon ist schnell zur Hand Ich betrachte das Zeug das auf den Boden gefallen ist Mehrere Reagenzglaumlser Labortupfer Holzspatel eine digitale Stoppuhr Pipetten Klebeband ein Stift hellip
Fein Ich glaube das ist alles was ich braucheIch rapple mich auf und klopfe die Toga ab Sie ist gar nicht
verstaubt Anscheinend ist meine ganze Welt hier sauber und ste-ril Ich mache es trotzdem
Ich nehme das Maszligband und betrachte es Es ist metrisch Viel-leicht bin ich in Europa Wer weiszlig Dann sehe ich mir die Stopp-uhr an Sie ist ziemlich robust wie etwas das man auf eine Wan-derung mitnimmt Eine kraumlftige Plastikhuumllle mit einem schuumltzenden Hartgummiring Zweifellos wasserdicht Auszligerdem mause tot Die LCD-Anzeige ist leer
Ich druumlcke auf mehrere Knoumlpfe aber nichts passiert Ich werfe einen Blick auf das Batteriefach auf der Ruumlckseite Vielleicht finde ich in einer Schublade die richtigen Batterien wenn ich weiszlig welchen Typ die Stoppuhr braucht Hinten ragt ein kleiner roter Plastikstreifen hervor Ich ziehe und er rutscht ganz heraus Die Stoppuhr erwacht zum Leben
Wie bei dem Spielzeug auf dem raquoBatterie inklusivelaquo steht Der kleine Plastikstreifen soll verhindern dass sich die Batterie ent-laumldt bevor der neue Besitzer das Ding zum ersten Mal benutzt Schoumln jetzt habe ich also eine nigelnagelneue Stoppuhr In diesem Labor sieht eigentlich alles nagelneu aus Sauber aufgeraumlumt keine Gebrauchsspuren Ich weiszlig nicht was ich davon halten soll
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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Ich spiele eine Weile mit der Stoppuhr herum bis ich verstan-den habe wie sie funktioniert Eigentlich ist es ganz einfach
Mit dem Maszligband ermittle ich wie hoch der Tisch ist Die Unterkante ist genau 91 Zentimeter uumlber dem Boden
Ich nehme ein Reagenzglas Es besteht gar nicht aus Glas Ver-mutlich ein extrem widerstandsfaumlhiges Plastikmaterial Jedenfalls ist es nicht zerbrochen als es aus drei Fuszlig Houmlhe auf den harten Boden gefallen ist Wie auch immer die Dichte ist groszlig genug um den Luftwiderstand vernachlaumlssigen zu koumlnnen
Ich lege es auf den Tisch und halte die Stoppuhr bereit Mit einer Hand schiebe ich das Reagenzglas uumlber die Tischkante mit der anderen starte ich die Stoppuhr und messe wie lange das Reagenzglas braucht um auf den Boden zu fallen Dabei kommen etwa 037 Sekunden heraus Das ist ziemlich schnell
Ich notiere die Zeit mit dem Stift auf dem Arm Papier h abe ich bisher noch nicht gefunden
Dann lege ich das Roumlhrchen wieder hin und wiederhole den Test Dieses Mal sind es 033 Sekunden Ich versuche es noch zwanzigmal und notiere die Ergebnisse um die Auswirkung mei-ner Ungenauigkeit beim Starten und Stoppen des Zeitnehmers zu verringern Am Ende bekomme ich einen Durchschnittswert von 0348 Sekunden heraus Mein Arm sieht aus wie die Tafel eines Mathelehrers aber das stoumlrt mich nicht
0348 Sekunden Die Strecke entspricht der halben Beschleuni-gung mal Zeit zum Quadrat Die Beschleunigung entspricht dem-nach zweimal Strecke durch Zeit zum Quadrat Die Formeln fallen mir sofort ein Es ist wie meine zweite Natur Mit Physik kenne ich mich also aus Gut zu wissen
Ich gehe die Zahlen durch und bekomme ein Ergebnis das mir nicht gefaumlllt Die Schwerkraft in diesem Raum ist zu hoch Die Fallbeschleunigung liegt bei fuumlnfzehn Metern pro Quadratsekun-de obwohl der Wert nur 98 betragen sollte Deshalb kommt es mir so falsch vor wenn etwas faumlllt ndash die Dinge fallen zu schnell Und deshalb bin ich trotz meiner Muskeln so schwach Hier ist alles anderthalbmal so schwer wie es sein sollte
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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Das Problem ist nur dass rein gar nichts die Schwerkraft beein-flussen kann Man kann sie nicht erhoumlhen oder vermindern Die Fallbeschleunigung auf der Erde betraumlgt 98 Meter pro Quadratse-kunde Ende der Diskussion Aber hier liegt der Wert houmlher Dafuumlr gibt es nur eine moumlgliche Erklaumlrung
Ich bin nicht auf der Erde
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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2Erst mal tief durchatmen Keine voreiligen Schlussfolge-
rungen Ja die Schwerkraft ist zu hoch Gehe davon aus und uumlber-lege dir vernuumlnftige Antworten
Ich koumlnnte in einer Zentrifuge stecken Sie muumlsste allerdings ziemlich groszlig sein Die Erdschwerkraft betraumlgt 1 g und man koumlnn-te diese Raumlume schraumlg auf Schienen laufen lassen oder sie ans Ende eines langen starken Auslegers haumlngen oder so Durch die Rotation koumlnnte man dank der Summe aus Zentrifugalkraft und Erdschwerkraft auf fuumlnfzehn Meter pro Sekundenquadrat kommen
Warum sollte jemand eine riesige Zentrifuge mit Krankenhaus-betten und einem Labor bauen Keine Ahnung Ist so etwas uumlber-haupt moumlglich Wie groszlig muumlsste der Radius sein Und wie schnell bewegt sich die Vorrichtung
Vielleicht weiszlig ich wie ich Antworten auf diese Fragen finden kann Ich brauche einen genauen Beschleunigungsmesser Ge-genstaumlnde von einem Tisch zu werfen und die Zeit zu messen das mag fuumlr eine grobe Schaumltzung reichen aber das Ergebnis kann nur so genau sein wie meine Reaktionszeit beim Bedienen der Stoppuhr Ich brauche etwas Besseres Es gibt nur eines das fuumlr diese Aufgabe geeignet ist ein kleines Stuumlck Schnur
Ich durchwuumlhle die Schubladen im LaborNach ein paar Minuten habe ich die Haumllfte geschafft und so
ziemlich alles gefunden was man im Labor brauchen kann auszliger eine Schnur Als ich schon aufgeben will entdecke ich endlich eine Spule mit Nylonfaden
raquoJalaquo Ich ziehe ein paar Fuszlig Faden ab und beiszlige ihn mit den
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Zaumlhnen durch An einem Ende knote ich eine Schlaufe das andere verbinde ich mit dem Maszligband Es soll bei diesem Experiment das Gegengewicht spielen Jetzt muss ich die Vorrichtung nur noch irgendwo aufhaumlngen
Ich blicke zur Luke in der Decke hoch Wieder steige ich die Leiter empor (schneller als vorher) und streife die Schlaufe uumlber den Griff der Luke Dann lasse ich das Maszligband die Schnur stramm ziehen
Ich habe ein PendelDas Schoumlne an einem Pendel ist Die Zeit die es von einem bis
zum anderen Ende schwingt ndash die Periode ndash bleibt immer gleich ganz egal wie weit es ausschlaumlgt Wenn es viel Energie hat schwingt es weiter und schneller aber die Periode ist immer die gleiche Dies nutzen mechanische Uhren um die Zeit anzuzei-gen Letzten Endes wird die Periode ausschlieszliglich von zwei Faktoren bestimmt von der Laumlnge des Pendels und der Schwer-kraft
Ich ziehe das Pendel zur Seite lasse es los und starte die Stopp-uhr Waumlhrend es hin und her schwingt zaumlhle ich die Zyklen Auf-regend ist das nicht Ich koumlnnte gleich wieder einschlafen aber ich halte durch
Zehn Minuten spaumlter bewegt sich das Pendel kaum noch Ich beschlieszlige dass es reicht Gesamtsumme 346 volle Ausschlaumlge in zehn Minuten
Weiter zu Phase zweiIch messe die Distanz vom Lukengriff bis zum Boden Etwas
mehr als zweieinhalb Meter Dann steige ich hinunter ins raquoSchlaf-zimmerlaquo Auch dieses Mal ist die Leiter kein Problem Ich fuumlhle mich viel besser Das Essen hat sehr geholfen
raquoWie heiszligen Sielaquo will der Computer wissenIch betrachte meine Bettlakentoga raquoIch bin der groszlige Philo-
soph PenduluslaquoraquoNicht korrektlaquoIch haumlnge das Pendel an einem Roboterarm unter der Decke
auf Hoffentlich bleibt es auch eine Weile dort Dann schaumltze ich
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die Entfernung zwischen dem Roboterarm und der Decke ab Sagen wir mal das ist ein Meter Mein Pendel haumlngt jetzt vierein-halb Meter tiefer als vorher
Ich wiederhole das Experiment Zehn Minuten auf der Stopp-uhr und ich zaumlhle die Zyklen Es sind 346 genau wie oben
Meine GuumlteIn einer Zentrifuge wird die Fliehkraft umso staumlrker je weiter
man sich vom Zentrum entfernt Waumlre ich in einer Zentrifuge dann muumlsste die Schwerkraft hier unten houmlher sein als oben Das ist sie aber nicht
Und wenn ich in einer sehr groszligen Zentrifuge bin So groszlig dass die Differenz zwischen diesem Raum und dem Labor so klein ist dass sich die Zahl der Zyklen nicht veraumlndert
Mal sehen hellip die Formel fuumlr ein Pendel hellip und die Formel fuumlr die Kraft einer Zentrifuge hellip Halt ich habe ja gar nicht die Kraft son-dern nur die abgezaumlhlten Zyklen also muss ich mit eins durch x rechnen hellip Es ist wirklich ein sehr lehrreiches Problem
Ich habe einen Stift aber kein Papier Na gut ich habe eine Wand Nach vielen Kritzeleien die an einen verruumlckten Gefange-nen im Kerker erinnern habe ich die Antwort
Sagen wir mal ich sitze auf der Erde in einer Zentrifuge Dies wuumlrde bedeuten dass die Zentrifuge ein halbes g beisteuert (den Rest liefert die Erde) Meinen Berechnungen zufolge (ich bin stolz auf mein Werk) muumlsste die Zentrifuge einen Durchmesser von 446 Metern haben (mehr als eine Viertelmeile) und sich mit 48 Metern pro Sekunde drehen Das entspricht mehr als 100 Meilen pro Stunde
Hm Wenn ich wissenschaftlich arbeite denke ich immer in metrischen Einheiten Interessant So halten es doch die meisten Wissenschaftler oder Sogar diejenigen die in den USA auf-gewachsen sind
Wie auch immer das waumlre die groumlszligte Zentrifuge die je gebaut wurde hellip Warum sollte man so etwas tun Auszligerdem waumlre so ein Apparat furchtbar laut Mit hundert Meilen pro Stunde durch die Luft sausen Man muumlsste hier und da zumindest ein paar Turbu-
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lenzen spuumlren ganz zu schweigen vom Fahrtwind Aber ich houmlre und spuumlre uumlberhaupt nichts
Es wird immer seltsamer Und wenn ich im Weltraum bin Dann gaumlbe es keine Turbulenzen und keinen Windwiderstand aber die Zentrifuge muumlsste noch groumlszliger und schneller sein weil die unter-stuumltzende Schwerkraft der Erde fehlt
Noch mehr rechnen noch mehr Kritzeleien an der Wand Der Radius muumlsste 1280 Meter betragen ndash beinahe eine Meile So etwas Groszliges wurde noch nie im Weltraum gebaut
Also bin ich nicht in einer Zentrifuge Und ich bin nicht auf der Erde
Auf einem anderen Planeten Aber es gibt keinen anderen Pla-neten Mond oder Asteroiden der eine so hohe Schwerkraft hat Die Erde ist das groumlszligte massive Objekt im Sonnensystem Die Gas-riesen sind natuumlrlich groumlszliger aber solange ich nicht in einem Bal-lon durch die Stuumlrme auf Jupiter treibe gibt es keinen Ort an dem ich solchen Kraumlften ausgesetzt waumlre
Woher weiszlig ich das alles Das Wissen ist einfach da Es kommt mir ganz selbstverstaumlndlich vor Informationen auf die ich staumln-dig zuruumlckgreife Vielleicht bin ich Astronom oder Planetologe Vielleicht arbeite ich fuumlr die NASA oder die ESA oder hellip
Jeden Donnerstagabend traf ich mich mit Marissa auf ein Steak und ein Bier im Murphyʼs in der Gough Street Immer um acht-zehn Uhr und weil uns die Mitarbeiter kannten bekamen wir im-mer denselben Tisch
Wir hatten uns vor beinahe zwanzig Jahren an der Universitaumlt kennengelernt Sie war damals mit meinem damaligen Zimmer-genossen zusammen Ihre Beziehung war wie so oft unter Stu-denten eine Katastrophe und nach drei Monaten trennten sie sich wieder Doch Marissa und ich waren am Ende gute Freunde
Als mich der Wirt bemerkte laumlchelte er und deutete mit dem Daumen auf den uumlblichen Tisch Ich ging an der kitschigen Deko vorbei zu Marissa Vor ihr standen zwei leere Glaumlser ein volles hielt sie in der Hand Anscheinend hatte sie fruumlh angefangen
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raquoHast du einen Vorsprunglaquo Ich setzte mich zu ihrSie senkte den Blick und spielte mit ihrem GlasraquoHe was ist denn loslaquoSie trank einen Schluck Whisky raquoEin harter Tag in der ArbeitlaquoIch winkte dem Kellner Er nickte und kam nicht einmal zu uns
Er wusste dass ich ein Ribeye medium mit Stampfkartoffeln und ein Pint Guinness haben wollte Wie jede Woche
raquoWie hart kann es denn seinlaquo fragte ich raquoEin behag licher Regierungsjob im Energieministerium Du hast ndash wie viel Zwan-zig bezahlte Urlaubstage Und du musst einfach nur erscheinen um dein Gehalt zu kassieren oderlaquo
Sie lachte immer noch nicht Verzog keine MieneraquoAch nun komm schonlaquo sagte ich raquoWer hat dir in die Suppe
gespucktlaquoSie seufzte raquoWeiszligt du was der Petrowa-Strahl istlaquoraquoKlar Das ist ein interessantes Raumltsel Ich tippe auf Strahlung
von der Sonne Die Venus hat kein Magnetfeld aber positiv ge-ladene Partikel koumlnnten dort angezogen werden weil das Feld elektrisch neutral ist helliplaquo
raquoNeinlaquo widersprach sie raquoEs ist etwas anderes Wir wissen nicht genau was es ist aber es ist hellip etwas anderes Egal Lass uns Steak essenlaquo
Ich schnaubte raquoHoumlr doch auf Marissa erzaumlhlʼs mir schon Was ist los mit dirlaquo
Sie dachte nach raquoNa gut In zwoumllf Stunden erfaumlhrst du es so-wieso vom Praumlsidentenlaquo
raquoVom Praumlsidentenlaquo fragte ich raquoDem Praumlsidenten der Verei-nigten Staatenlaquo
Sie trank noch einen Schluck Whisky raquoHast du schon mal etwas von der Amaterasu gehoumlrt Das ist eine japanische Solar-Sondelaquo
raquoSicherlaquo bestaumltigte ich raquoDie JAXA hat ausgezeichnete Daten gewonnen Das ist eine feine Sache Die Sonde umkreist die Sonne auf halbem Wege zwischen Merkur und Venus und hat zwanzig verschiedene Messinstrumente an Bord die helliplaquo
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raquoJa schon gut das weiszlig ich selbstlaquo unterbrach sie mich raquoDen Daten zufolge nimmt die Strahlung der Sonne ablaquo
Ich zuckte mit den Achseln raquoJa und Wo sind wir gerade im Sonnenzykluslaquo
Sie schuumlttelte den Kopf raquoEs hat nichts mit dem Elfjahreszyklus zu tun Es ist etwas anderes Die JAXA hat den Sonnenzyklus be-ruumlcksichtigt Trotzdem geht es nach unten Sie sagen die Sonne sei 001 Prozent weniger hell als sie sein solltelaquo
raquoJa das ist interessant Aber das rechtfertigt keine drei Whisky vor dem Essenlaquo
Sie schuumlrzte die Lippen raquoDas dachte ich auch Aber die Daumlmp-fung der Helligkeit nimmt zu Und die Steigerungsrate nimmt ebenfalls zu Es ist eine Art exponentieller Verlust den sie dank der empfindlichen Instrumente in der Sonde sehr sehr fruumlh wahr-genommen habenlaquo
Ich lehnte mich zuruumlck in meiner Nische raquoIch weiszlig nicht Marissa Eine exponentielle Progression so fruumlh wahrzunehmen das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor Aber meinetwegen nehmen wir an die Wissenschaftler der JAXA haben recht Wohin verschwindet dann die Energielaquo
raquoIn den Petrowa-StrahllaquoraquoWie bittelaquoraquoDie JAXA hat sich den Petrowa-Strahl gruumlndlich angesehen
und ist der Meinung dass er in demselben Maszlige heller wird in dem die Sonne dunkler wird Irgendwie stiehlt der Petrowa-Strahl der Sonne die Energielaquo
Sie zog einen Papierstapel aus ihrer Handtasche und legte ihn auf den Tisch Es waren vor allem Kurven und Diagramme Nach einigem Blaumlttern hatte sie die richtige Zeichnung gefunden und schob sie zu mir heruumlber
Die x-Achse war mit raquoZeitlaquo beschriftet die y-Achse mit raquoLeucht-kraftverlustlaquo Ja der Verlauf war definitiv exponentiell
raquoDas kann doch nicht seinlaquo sagte ichraquoEs stimmt aberlaquo beharrte sie raquoDer Ausstoszlig der Sonne wird
im Laufe der naumlchsten neun Jahre um ein ganzes Prozent sinken
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In zwanzig Jahren sind es fuumlnf Prozent Das ist uumlbel wirklich uumlbellaquo
Ich starrte auf das Diagramm raquoDas wuumlrde eine neue Eiszeit be-deuten Und zwar in kuumlrzester Zeit Eine Blitz-Eiszeitlaquo
raquoJa mindestens das Missernten Hungersnoumlte hellip ich weiszlig nicht was sonst noch alleslaquo
Ich schuumlttelte den Kopf raquoWie kann es in der Sonne zu einer so abrupten Veraumlnderung kommen Du meine Guumlte das ist ein Stern Bei Sternen geschieht nichts schnell Veraumlnderungen dauern Mil-lionen von Jahren nicht nur ein paar Dutzend Komm schon das weiszligt du dochlaquo
raquoNein das weiszlig ich nicht Fruumlher habe ich es gewusst Jetzt weiszlig ich nur dass die Sonne stirbtlaquo entgegnete sie raquoLeider ist mir nicht klar warum und ich habe keine Ahnung was wir da-gegen tun koumlnnen Aber ich weiszlig dass sie stirbtlaquo
raquoWie helliplaquo Ich runzelte die StirnSie kippte den Rest ihres Drinks hinunter raquoDer Praumlsident haumllt
morgen fruumlh eine Ansprache an die Nation Ich glaube sie stim-men sich noch mit den Regierungen anderer Staaten ab um es gleichzeitig zu verkuumlndenlaquo
Der Kellner brachte mein Guinness raquoBitte Sir Die Steaks kom-men gleichlaquo
raquoIch nehme noch einen Whiskylaquo sagte MarissaraquoFuumlr mich auch einenlaquo fuumlgte ich hinzu
Ich blinzle Wieder ein ErinnerungsfetzenWar er echt Oder nur eine beliebige Erinnerung wie ich mit
einer Freundin gesprochen habe die einer absurden Weltunter-gangstheorie aufgesessen war
Nein Es ist echt Ich bekomme Angst wenn ich nur daran denke Keine ploumltzlich hochschieszligende Angst Es ist eine vertraute Angst die einen Stammplatz am Tisch hat Ich kenne sie schon lange
Es ist real Die Sonne stirbt und ich habe etwas damit zu tun Nicht nur als ein Erdenbuumlrger der zusammen mit allen anderen
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sterben wird ndash nein ich bin aktiv beteiligt Ich spuumlre eine Art Ver-antwortungsgefuumlhl
An meinen Namen kann ich mich immer noch nicht erinnern aber ich stoszlige auf verschiedene Informationsbroumlckchen die mit dem Petrowa-Problem verknuumlpft sind Sie nennen es das Petrowa-Problem Das ist mir gerade wieder eingefallen
Mein Unterbewusstsein hat Prioritaumlten Und es versucht ver-zweifelt mir etwas uumlber diese Situation zu sagen Ich glaube es ist meine Aufgabe das Petrowa-Problem zu loumlsen
Und zwar in einem kleinen Labor gekleidet in eine Bettlaken-toga und ohne zu wissen wer ich bin Meine Helfer sind ein tum-ber Computer und zwei mumifizierte Zimmergenossen
Mir verschwimmt alles vor den Augen Traumlnen Ich wische sie ab Ich kann hellip ich kann mich nicht an die Namen meiner Kollegen erinnern Aber sie waren meine Freunde Meine Kameraden
Erst jetzt wird mir bewusst dass ich ihnen die ganze Zeit den Ruumlcken zugewandt habe Ich habe getan was ich konnte um sie nicht ansehen zu muumlssen Wie ein Irrer habe ich die Wand bekrit-zelt waumlhrend hinter mir die Leichen von zwei Menschen lagen die mir wichtig waren
Aber jetzt kann ich mich nicht laumlnger ablenken Ich drehe mich um und betrachte sie
Ich schluchze Die Erinnerung bricht ohne Vorwarnung uumlber mich herein Die Frau war witzig ndash immer zu Scherzen aufgelegt Der Mann war professionell und hatte Nerven wie Drahtseile Ich glaube er war beim Militaumlr und unser Kommandant
Ich sinke zu Boden und berge den Kopf in den Haumlnden Ich kann es nicht mehr zuruumlckhalten ich weine wie ein Kind Wir waren viel mehr als Freunde Und raquoTeamlaquo ist auch nicht die rich-tige Bezeichnung Es ist staumlrker Es ist hellip
Es liegt mir auf der ZungeEndlich taucht das Wort in mein Bewusstsein empor Es musste
warten bis ich nicht mehr hinschaute um sich anzuschleichenCrew Wir waren eine Crew Und ich bin der Einzige der noch
uumlbrig ist
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Dies ist ein Raumschiff Das weiszlig ich jetzt Ich weiszlig nicht wo-her die Schwerkraft kommt aber es ist ein Raumschiff
Allmaumlhlich fuumlgen sich die Puzzleteile zusammen Wir waren nicht krank Unsere Vitalfunktionen waren nur stark verlangsamt
Diese Betten sind keine magischen raquoKaumlltekammernlaquo wie im Film Hier ist keine spezielle Technologie im Spiel Ich glaube wir haben in einem kuumlnstlichen Koma gelegen Schlaumluche Infusio-nen mit Naumlhrstoffen staumlndige medizinische Uumlberwachung Alles was ein Koumlrper braucht Die Roboterarme haben wahrscheinlich die Laken gewechselt und uns gedreht damit wir uns nicht wund liegen und alles andere getan was sonst die Pfleger auf der Inten-sivstation tun
Elektroden am ganzen Koumlrper haben unsere Muskeln stimu-liert Uns trainiert und fit gehalten
Aber so ein Koma ist gefaumlhrlich Extrem gefaumlhrlich Ich bin der Einzige der uumlberlebt hat und mein Gehirn ist ein Haufen Matsch
Ich gehe zu der Frau Wenn ich sie ansehe fuumlhle ich mich sogar besser Vielleicht liegt es daran dass ich jetzt gewissermaszligen Frieden schlieszligen kann Oder es ist die Ruhe die sich nach einem Heulkrampf einstellt
An der Mumie sind keine Schlaumluche befestigt Sie wird nicht mehr uumlberwacht In der ledrigen Haut ihres Handgelenks ist ein kleines Loch Da war wohl vor dem Tod die Infusion angebracht Also ist das Loch nicht mehr verheilt
Der Computer hat alle Zugaumlnge entfernt als sie starb Spare in der Zeit dann hast du in der Not Es ist sinnlos Ressourcen auf tote Menschen zu verschwenden Lieber mehr fuumlr die Lebenden auf heben
Anders ausgedruumlckt mehr fuumlr michIch hole tief Luft und atme langsam wieder aus Ich muss ruhig
bleiben Ich muss klar denken Mir ist inzwischen eine Menge ein-gefallen ndash meine Crew einige Aspekte ihrer Persoumlnlichkeiten und dass ich in einem Raumschiff bin (deshalb werde ich spaumlter noch ausflippen) Erfreulich ist dass immer mehr Erinnerungen zu-ruumlckkehren und sie kommen sogar wenn ich sie bewusst abrufe
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und nicht willkuumlrlich und zufaumlllig Darauf will ich mich konzen-trieren aber die Trauer ist zu groszlig
raquoEssen Sielaquo sagt der ComputerMitten in der Decke oumlffnet sich eine Klappe aus der eine Nah-
rungstube faumlllt Ein Roboterarm schnappt sie und legt sie auf mein Bett Auf dem Etikett steht TAG 1 ndash MAHLZEIT 2
Mir ist nicht nach Essen aber mein Magen knurrt sobald ich die Tube sehe Ganz egal in welcher seelischen Verfassung ich bin mein Koumlrper hat Beduumlrfnisse
Ich oumlffne die Tube und quetsche mir die Paste in den MundIch muss zugeben es ist schon wieder ein unglaubliches Ge-
schmackserlebnis Huumlhnchen mit einer Andeutung von Gemuumlse Natuumlrlich hat es keine Textur im Grunde ist es Babybrei Und es ist ein wenig zaumlher als die erste Mahlzeit
raquoWasserlaquo frage ich zwischen zwei HappenWieder oumlffnet sich die Klappe in der Decke dieses Mal kommt
eine Metallroumlhre zum Vorschein Ein Roboterarm reicht sie mir Der glaumlnzende Behaumllter ist mit TRINKWASSER beschriftet Ich schraube den Deckel ab und richtig drinnen ist Wasser
Ich nehme einen Schluck Es hat Zimmertemperatur und schmeckt schal Wahrscheinlich ist es destilliert und enthaumllt keine Mineralstoffe Aber Wasser ist Wasser
Ich beende meine Mahlzeit Bisher musste ich noch nicht auf die Toilette aber irgendwann wird es noumltig Ich moumlchte ja nicht auf den Boden pinkeln
raquoToilettelaquo frage ichEin Teil der Wand gleitet seitlich weg und eine metallene Klo-
schuumlssel kommt zum Vorschein Sie ist direkt in der Wand ange-bracht wie in einer Gefaumlngniszelle Ich sehe sie mir genauer an Das Ding hat Knoumlpfe und Bedienelemente Ich glaube in der Schuumlssel ist eine Vakuumpumpe Und es gibt kein Wasser Moumlg-licherweise ist es eine Null-g-Toilette die man fuumlr den Gebrauch in der Schwerkraft umgebaut hat Warum sollte man so etwas tun
raquoGut aumlh hellip Toilette schlieszligenlaquoDas Wandstuumlck gleitet zuruumlck Die Toilette ist verschwunden
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Na schoumln ich habe gegessen und getrunken und fuumlhle mich insgesamt etwas besser Das Essen macht so etwas mit einem
Ich muss mich auf etwas Positives konzentrieren Ich lebe noch Was auch immer meine Freunde getoumltet hat es hat mich ver-schont Ich befinde mich in einem Raumschiff Genaueres weiszlig ich noch nicht aber ich bin in einem Raumschiff das anschei-nend einwandfrei funktioniert
Und meine seelische Verfassung verbessert sich Da bin ich ganz sicher
Ich hocke mich im Schneidersitz auf den Boden Es wird Zeit fuumlr den naumlchsten Schritt Ich schlieszlige die Augen und lasse die Ge-danken schweifen Ich will mich absichtlich an etwas erinnern Ganz egal woran Aber ich will die Erinnerung bewusst ausloumlsen Mal sehen was dabei herauskommt
Ich beginne mit Dingen die mich gluumlcklich machen Ich mag Wissenschaft Das weiszlig ich Die kleinen Experimente die ich durchgefuumlhrt habe fand ich spannend Und ich bin im Weltraum Also vielleicht kann ich uumlber den Weltraum und die Wissenschaft nachdenken und sehen was dann kommt hellip
Ich nahm die kochend heiszligen Fertig-Spaghetti aus der Mikro-welle und lief eilig zum Sofa Dort zog ich die Plastikfolie ab und lieszlig den Dampf entweichen
Dann schaltete ich den Ton des Fernsehers ein und verfolgte die Livesendung Mehrere Kollegen und ein paar Freunde hatten mich eingeladen es mit ihnen zusammen anzusehen aber ich wollte nicht den ganzen Abend damit verbringen Fragen zu be-antworten Ich wollte einfach in Ruhe zuschauen
Das Ereignis hatte die houmlchste Zuschauerzahl in der Mensch-heitsgeschichte Mehr als die Mondlandung Mehr als jede Welt-meisterschaft Alle Sender alle Streamingdienste alle Nachrich-tenwebsites zeigten die gleichen Bilder den Livefeed der NASA
Eine Reporterin stand zusammen mit einem aumllteren Mann auf der Galerie eines Flugkontrollraums Hinter ihnen beobachteten Maumlnner und Frauen in blauen Hemden ihre Terminals
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raquoIch bin Sandra Eliaslaquo begann sie raquoIch stehe hier im Jet Propul sion Laboratory in Pasadena Kalifornien Bei mir ist Dr Browne der Leiter der Abteilung fuumlr Planetologie bei der NASAlaquo
Sie wandte sich an den Wissenschaftler raquoDoktor wie ist im Augenblick die Lagelaquo
Browne raumlusperte sich raquoWir haben vor neunzig Minuten die Be-staumltigung erhalten dass die ArcLight erfolgreich in die Umlauf-bahn um die Venus eingeschwenkt ist Jetzt warten wir auf die ersten Datenpaketelaquo
Seit der Verlautbarung der JAXA zum Petrowa-Problem war ein hektisches Jahr vergangen Studie um Studie hatte die bis herigen Erkenntnisse bestaumltigt Die Uhr tickte und die Welt musste he r-ausfinden was dort im Gange war So erblickte das Projekt Arc-Light das Licht der Welt Die Situation war erschreckend das Pro-jekt selbst jedoch beeindruckend Mein innerer Nerd konnte gar nicht anders als aufgeregt zuzusehen
Die ArcLight war das teuerste unbemannte Raumschiff das je gebaut wurde Die Welt brauchte Antworten und hatte keine Zeit fuumlr Kleinkraumlmerei Normalerweise lachten einen die Raumfahrt-agenturen aus wenn man sie bat in weniger als einem Jahr eine Sonde zur Venus zu schicken Doch es ist erstaunlich was man tun kann wenn unbegrenzte Mittel zur Verfuumlgung stehen Die Ver-einigten Staaten die Europaumlische Union Russland China Indien und Japan halfen die Kosten zu decken
raquoErzaumlhlen Sie uns etwas uumlber die Venuslaquo bat die Reporterin Browne raquoWarum ist es gerade dort so schwieriglaquo
raquoDas Hauptproblem ist der Treibstofflaquo erklaumlrte der Wissen-schaftler raquoEs gibt bestimmte Zeitfenster in denen interplanetare Reisen ein Minimum an Treibstoff verbrauchen aber das naumlchste Erde- Venus-Fenster liegt in weiter Ferne Deshalb mussten wir deutlich mehr Treibstoff als normalerweise uumlblich in den Welt-raum schaffen um die ArcLight ans Ziel zu bringenlaquo
raquoSchlechtes Timing alsolaquo fragte die Repor terinraquoIch glaube dafuumlr dass die Sonne dunkler wird gibt es uumlber-
haupt keinen guten Zeitpunktlaquo
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raquoDas ist wahr Bitte fahren Sie fortlaquoraquoDie Venus bewegt sich im Vergleich zur Erde sehr schnell was
bedeutet dass wir noch mehr Treibstoff benoumltigen um sie ein-zuholen Selbst unter idealen Bedingungen braucht man fuumlr einen Flug zur Venus erheblich mehr Treibstoff als fuumlr einen Flug zum Marslaquo
raquoErstaunlich wirklich erstaunlich Dr Browne einige Leute haben gefragt Warum kuumlmmern wir uns uumlberhaupt um den Pla-neten Der Petrowa-Strahl ist riesig und fuumlhrt in einem Bogen von der Sonne zur Venus Warum steuern wir nicht irgendeinen Punkt dazwischen anlaquo
raquoWeil der Petrowa-Strahl dort am breitesten ist ndash so breit wie der ganze Planet Und wir koumlnnen die Schwerkraft des Planeten zu unserem Vorteil nutzen Die ArcLight umkreist die Venus zwoumllf-mal waumlhrend sie Proben von dem Material des Petrowa-Strahls nimmtlaquo
raquoWas glauben Sie worum es sich bei dem Material handeltlaquoraquoWir haben keine Ahnunglaquo gestand Browne raquoAbsolut keine
Ahnung Aber bald werden wir hoffentlich die Antworten erfahren Nach dem ersten Umlauf um die Venus muumlsste die ArcLight genuuml-gend Proben gesammelt haben um im eingebauten Labor eine vorlaumlufige Analyse durchzufuumlhrenlaquo
raquoWie viel koumlnnen wir heute Abend herausfindenlaquoraquoNicht viel Das Bordlabor ist recht einfach Nur ein starkes
Mikroskop und ein Roumlntgenspektrometer Die Mission besteht vor allem darin mit Proben zur Erde zuruumlckzukehren Es wird noch einmal drei Monate dauern bis die ArcLight mit den Proben hier eintrifft Das Labor ist nur ein Provisorium um wenigstens einige Daten zu gewinnen falls es waumlhrend der Ruumlckkehr Probleme gibtlaquo
raquoWie immer gut vorbereitet Dr BrownelaquoraquoSo halten wir es hierlaquoHinter der Reporterin brach Jubel ausraquoIch houmlre gerade helliplaquo Sie wartete bis sich der Aufruhr legte raquoIch
houmlre dass der erste Umlauf abgeschlossen ist und die Daten her-einkommen helliplaquo
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Der Hauptbildschirm des Kontrollraums wechselte zu einer Schwarz-Weiszlig-Darstellung Das Bild war uumlberwiegend grau hier und dort waren schwarze Punkte verstreut
raquoWas sehen wir da Doktorlaquo fragte die ReporterinraquoDie Aufnahmen stammen aus dem internen Mikroskoplaquo er-
klaumlrte Browne raquoEs hat eine zehntausendfache Vergroumlszligerung Die schwarzen Punkte sind etwa zehn Mikrometer groszliglaquo
raquoSind die Punkte denn das was wir gesucht habenlaquo fragte Sandra Elias
raquoDas wissen wir nicht genau Es koumlnnten auch nur Staubpar-tikel sein Eine so groszlige Schwerkraftquelle wie ein Planet sammelt eine Staubwolke in der Umgebung helliplaquo
raquoScheiszlige was ist das dennlaquo fluchte jemand im Hintergrund Mehrere Fluguumlberwacher schnappten nach Luft
Die Reporterin kicherte raquoHier im JPL ist ja richtig was los Wir senden live deshalb entschuldigen wir uns fuumlr alle helliplaquo
raquoO mein Gottlaquo sagte BrowneAuf dem Hauptbildschirm wurden weitere Bilder sichtbar
Eines nach dem anderen Alle sahen beinahe gleich ausBeinaheDie Reporterin betrachtete die Bilder raquoBewegen sich die Parti-
kel etwalaquoDie Aufnahmen die nacheinander eingespielt wurden zeigten
dass sich die schwarzen Punkte deformierten und hin und her wan derten
Die Reporterin raumlusperte sich und machte eine Bemerkung die man durchaus als Untertreibung des Jahrhunderts betrachten konnte raquoFinden Sie nicht auch dass das ein wenig nach Mikro-ben aussiehtlaquo
raquoTelemetrielaquo rief Dr Browne raquoFlattert die SondelaquoraquoSchon uumlberpruumlftlaquo antwortete jemand raquoKein FlatternlaquoraquoBleibt die Bewegungsrichtung gleichlaquo fragte er raquoIst da etwas
das man mit einer externen Kraft erklaumlren koumlnnte Magnetisch vielleicht Statische Aufladunglaquo
Es wurde still in dem Raum
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raquoVorschlaumlgelaquo fragte BrowneIch lieszlig die Gabel mitten in die Spaghetti fallenSollte es sich um auszligerirdisches Leben handeln Habe ich
wirklich so groszliges Gluumlck Auf der Welt zu sein wenn die Mensch-heit das erste Mal extraterrestrisches Leben entdeckt
Mann Ich meine ndash das Petrowa-Problem ist immer noch beaumlngs-tigend aber hellip Mann Aliens Es koumlnnten Aliens sein Ich kann es gar nicht erwarten morgen mit den Kindern daruumlber zu sprechen
raquoBahnanomalielaquo sagt der ComputerraquoMistlaquo schimpfe ich raquoIch hatte es fast geschafft Beinahe
haumltte ich mich an mich selbst erinnertlaquoraquoBahnanomalielaquo wiederholt der ComputerIch entfalte meine Gliedmaszligen und stehe auf Trotz der einge-
schraumlnkten Interaktionen mit ihm versteht der Computer anschei-nend in gewisser Weise was ich sage So aumlhnlich wie Siri oder Alexa Also rede ich mit ihm wie ich mit den Geraumlten reden wuumlrde
raquoComputer was ist eine BahnanomalielaquoraquoBahnanomalie Als kritisch bewertete Objekte oder Koumlrper
duumlrfen sich nicht weiter als 001 Radiant vom erwarteten Standort entfernt befindenlaquo
raquoWelcher Koumlrper hat die AnomalielaquoraquoBahnanomalielaquoDas hilft mir nicht weiter Ich bin in einem Raumschiff also
muss es etwas mit der Navigation zu tun haben Das verheiszligt nichts Gutes Und wie soll ich dieses Ding eigentlich lenken Ich entdecke nichts was irgendwie an Steuerinstrumente erinnert ndash nicht dass ich wuumlsste wie die uumlberhaupt aussehen Alles was ich bisher gefunden habe sind ein raquoKomaraumlaquo und ein Labor
Die andere Luke in dem Labor die weiter nach oben fuumlhrt muss wichtig sein Es ist wie in einem Videospiel Erkunde die Umgebung bis du eine verschlossene Tuumlr findest und dann such nach dem Schluumlssel Aber statt in Buumlcherregalen und Muumllleimern muss ich in meinem Kopf suchen Denn der raquoSchluumlssellaquo ist mein eigener Name
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Der Computer ist nicht unvernuumlnftig Wenn ich mich nicht ein-mal an meinen Namen erinnern kann ist es nur sinnvoll dass ich sensible Bereiche des Schiffs nicht betreten darf
Ich steige in meine Koje und lege mich auf den Ruumlcken Vor-sichtshalber beobachte ich die Roboterarme unter der Decke aber sie ruumlhren sich nicht Anscheinend glaubt der Computer dass ich jetzt fuumlr mich selbst sorgen kann
Ich schlieszlige die Augen und konzentriere mich auf den letzten Erinnerungsfetzen Verschiedene Bilder tauchen auf Es ist als wuumlrde ich ein beschaumldigtes altes Foto betrachten
Ich bin in meinem Haus hellip nein in meiner Wohnung Ich habe ein Apartment Es ist ordentlich aber winzig An einer Wand haumlngt ein Foto von der Skyline von San Francisco Nicht hilfreich Ich weiszlig ja schon dass ich in San Francisco gelebt habe
Vor mir auf dem Sofatisch steht ein Mikrowellen-Fertiggericht mit Spaghetti Die Waumlrme hat sich noch nicht verteilt deshalb lie-gen Brocken mit fast gefrorenen Nudeln neben Plasma das mir die Zunge schmilzt Trotzdem esse ich Ich muss groszligen Hunger haben
Im Fernsehen verfolge ich einen Bericht der NASA Ich sehe all das dank meines Erinnerungsfetzens noch einmal Mein erster Impuls ist hellip Begeisterung Gibt es wirklich auszligerirdisches Leben Das muss ich den Kindern erzaumlhlen
Habe ich Kinder Dieses Apartment passt zu einem allein-stehenden Mann der gerade eine Single-Mahlzeit zu sich nimmt Nichts deutet darauf hin dass es eine Frau in meinem Leben gibt Bin ich geschieden Schwul Wie auch immer hier leben offen-sichtlich auch keine Kinder Kein Spielzeug keine Fotos von Kin-dern an der Wand oder auf dem Kaminsims nichts Und die Woh-nung ist viel zu sauber Kinder bringen alles durcheinander Besonders wenn sie anfangen Kaugummi zu kauen Alle machen die Kaugummiphase durch ndash oder wenigstens viele von ihnen ndash und sie hinterlassen uumlberall die Reste
Woher weiszlig ich dasIch mag Kinder Aha Es ist nur so ein Gefuumlhl aber ich mag sie
Kinder sind cool Es macht Spaszlig mit ihnen zusammen zu sein
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Also bin ich ein Mann Mitte dreiszligig der allein in einem kleinen Apartment lebt ich habe keine Kinder aber ich mag Kinder sehr Mir gefaumlllt nicht wohin das fuumlhrt hellip
Lehrer Jetzt erinnere ich michGott sei Dank Ich bin Lehrer
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3raquoAlsolaquo Ich sah auf die Uhr raquoNoch eine Minute bis es
schellt Ihr wisst was das heiszligtlaquoraquoBlitzrundelaquo riefen meine SchuumllerSeit der Regierungserklaumlrung zum Petrowa-Strahl hatte sich
das Leben uumlberraschend wenig veraumlndertEs war eine bedrohliche sogar toumldliche Situation aber es war
auch die Normalitaumlt Im Zweiten Weltkrieg waren die Menschen in London sogar waumlhrend der Luftangriffe ihren Alltagsgeschaumlften nachgegangen und hatten es einfach hingenommen dass gele-gentlich mal ein Gebaumlude in die Luft flog Egal wie verzweifelt die Lage war die Milch musste ausgeliefert werden Und wenn Mrs Creedys Haus uumlber Nacht zerbombt wurde dann strich man es eben von der Lieferliste
So war es auch mit dieser drohenden Apokalypse die moumlg-licherweise durch eine auszligerirdische Lebensform verursacht wur-de Ich stand vor meiner Klasse und unterrichtete sie in Natur-kunde Denn was nuumltzt eine Welt wenn man sie nicht an die naumlchste Generation weitergibt
Die Kinder saszligen an den ordentlich aufgestellten Pulten und blickten nach vorn Alles ziemlich normal Doch der Rest des Rau-mes sah aus wie das Labor eines irren Wissenschaftlers Ich hatte Jahre damit zugebracht diesen Anblick zu vervollkommnen In einer Ecke hatte ich eine Jakobsleiter aufgebaut (der Strom war abgeschaltet damit sich die Kinder nicht versehentlich umbrach-ten) An einer anderen Wand stand ein Buumlcherregal voller Schau-glaumlser mit Koumlrperteilen von Tieren in Formaldehyd In einem Glas waren allerdings nur Spaghetti und ein gekochtes Ei
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Mitten unter der Decke hing mein ganzer Stolz ndash ein riesiges Mobile unseres Sonnensystems Jupiter war so groszlig wie ein Bas-ketball Merkur so klein wie eine Murmel
Ich hatte Jahre gebraucht um meine Reputation als raquocoolerlaquo Lehrer zu kultivieren Kinder sind kluumlger als die meisten Men-schen denken Und sie spuumlren ob sie einem Lehrer wirklich wich-tig sind oder ob er ihnen nur etwas vormacht Wie auch immer es war Zeit fuumlr die Blitzrunde
Ich schnappte mir eine Handvoll Bean Bags vom Pult raquoWie heiszligt der Nordpolarstern wirklichlaquo
raquoPolarislaquo antwortete JeffraquoRichtiglaquo Ich warf ihm einen Bean Bag zu Ehe er ihn fing
feuerte ich die naumlchste Frage ab raquoWas sind die drei wichtigsten Gesteinsartenlaquo
raquoMagmatite Sedimente und Metamorphitelaquo antwortete Abby mit einem herablassenden Grinsen Eine kleine Nervensaumlge aber un geheuer klug
raquoJalaquo Ich warf ihr einen Bean Bag zu raquoWelche Welle spuumlrt man bei einem Erdbeben zuerstlaquo
raquoDie P-Wellelaquo sagte AbbyraquoDu schon wiederlaquo Ich warf ihr einen Bean Bag hinuumlber raquoWie
hoch ist die LichtgeschwindigkeitlaquoraquoDrei mal zehn hoch helliplaquo setzte Abby anraquoClaquo rief Regina aus der letzten Reihe Sie beteiligte sich nur
selten Um so mehr freute ich mich dass sie sich nun aus ihrem Schneckenhaus traute
raquoRaffiniert aber korrektlaquo Ich warf einen Bean Bag zu ihrraquoIch habe zuerst geantwortetlaquo beklagte sich AbbyraquoAber sie war mit ihrer Antwort zuerst fertiglaquo erwiderte ich
raquoWelcher Stern ist der Erde am naumlchstenlaquoraquoAlpha Centaurilaquo antwortete Abby sofortraquoFalschlaquo gab ich zuruumlckraquoNein das ist nicht falschlaquoraquoDoch Sonst noch jemandlaquoraquoOhlaquo machte Larry raquoDas ist die Sonnelaquo
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raquoRichtiglaquo bestaumltigte ich raquoLarry bekommt den Bean Bag Vor-sicht mit deinen Schlussfolgerungen Abbylaquo
Sie verschraumlnkte beleidigt die Arme vor der BrustraquoWer kann mir den Erdradius nennenlaquoTrang hob die Hand raquoDreitausendneunhundert helliplaquoraquoTranglaquo sagte Abby raquoDie Antwort lautet rsaquoTranglsaquolaquoTrang hielt erschrocken inneraquoWaslaquo fragte ichAbby genoss es sichtlich raquoSie haben gefragt wer den Radius
der Erde nennen kann Trang kann es sagen Meine Antwort ist richtiglaquo
Uumlbertoumllpelt von einer Dreizehnjaumlhrigen Es war nicht das erste Mal Es schellte als ich den Bean Bag auf ihr Pult legte
Die Kinder sprangen sofort auf und sammelten ihre Buumlcher und Rucksaumlcke ein Abby noch ganz siegestrunken lieszlig sich etwas mehr Zeit als die anderen
raquoVergesst nicht die Bean Bags vor dem Wochenende gegen Spielzeug und andere Preise einzutauschenlaquo rief ich den Kin-dern hinterher die eilig nach drauszligen stroumlmten
Bald war der Klassenraum leer der Nachhall der laumlrmenden Schuumller auf dem Flur war das letzte Lebenszeichen Ich nahm den Stapel mit den Hausaufgaben vom Lehrerpult und verstaute ihn in meinem Handkoffer Die sechste Stunde war vorbei
Es war Zeit ins Lehrerzimmer zu gehen und einen Kaffee zu trinken Vielleicht wuumlrde ich noch ein paar Arbeiten korrigieren ehe ich mich auf den Heimweg machte Hauptsache ich konnte dem Gedraumlnge auf dem Parkplatz entgehen Ein wahres Geschwa-der von Helikoptermuumlttern stuumlrmte gerade das Schulgelaumlnde um die Kinder abzuholen Wenn mich eine von ihnen erwischte musste ich mit Klagen oder Vorschlaumlgen rechnen Ich kann es nie-mandem vorwerfen dass er die eigenen Kinder liebt und es waumlre sicher gut wenn sich mehr Eltern fuumlr die Ausbildung ihrer Kinder interessieren wuumlrden aber es gibt Grenzen
raquoRyland Gracelaquo sagte eine FrauIch fuhr auf Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt
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Sie war etwa Mitte vierzig und trug einen gut geschnittenen Geschaumlftsanzug Sie hatte eine Aktenmappe dabei
raquoAumlh jalaquo sagte ich raquoKann ich Ihnen behilflich seinlaquoraquoIch glaube schonlaquo Sie sprach mit leichtem Akzent Ich konnte
ihn nicht genau einordnen aber er klang europaumlisch raquoIch bin Eva Stratt Ich arbeite bei der Petrowa-Taskforcelaquo
raquoBei der waslaquoraquoBei der Petrowa-Taskforce Das ist ein internationales Gre-
mium das sich mit der veraumlnderten Situation seit der Entdeckung des Petrowa-Strahls befasst Ich habe den Auftrag eine Loumlsung zu finden Man hat mir ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt verliehen um diese Aufgabe zu erfuumlllenlaquo
raquoMan Wer ist manlaquoraquoAlle Mitgliedsstaaten der Vereinten NationenlaquoraquoWarten Sie mal wie bitte Wie helliplaquoraquoEine geheime Abstimmung mit einstimmigem Ergebnis Es ist
kompliziert Ich wuumlrde gern mit Ihnen uumlber einen wissenschaft-lichen Aufsatz sprechen den Sie verfasst habenlaquo
raquoEine geheime Abstimmung Ach egallaquo Ich schuumlttelte den Kopf raquoIch bin kein Wissenschaftler mehr Meine akade mische Karriere war nicht gerade erfolgreichlaquo
raquoSie sind Lehrer Sie arbeiten noch als AkademikerlaquoraquoJa meinetwegen Ich meinte eher den Wissenschafts betrieb
Wissenschaftliche Arbeiten Peer-Review und helliplaquoraquoUnd die Arschloumlcher die Sie aus der Universitaumlt vertrieben
habenlaquo Sie zog eine Augenbraue hoch raquoDie Ihre Finanzierung gestrichen und dafuumlr gesorgt haben dass Sie nie wieder publizie-ren koumlnnenlaquo
raquoJa genau daslaquoSie zog einen Schnellhefter aus der Aktentasche Dann schlug
sie ihn auf und fing an laut vorzulesen raquorsaquoEine Analyse wasser-basierter Annahmen und die Rekalibrierung der Erwartungen an Modelle der Evolutionlsaquolaquo Sie sah mich an raquoDas haben Sie doch geschrieben oderlaquo
raquoEs tut mir leid aber wie haben Sie helliplaquo
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raquoEin langweiliger Titel aber ich muss schon sagen der Inhalt ist sehr spannendlaquo
Ich stellte meinen Handkoffer auf das Pult raquoHoumlren Sie es ging mir nicht gut als ich das geschrieben habe ja Ich hatte genug von der Forschung und das war eine Art rsaquoIhr koumlnnt mich mallsaquo zum Abschied Als Lehrer fuumlhle ich mich wohlerlaquo
Sie blaumltterte ein paar Seiten weiter raquoSie haben jahrelang gegen die Annahme angekaumlmpft Leben erforderte fluumlssiges Wasser Ein Abschnitt ihres Aufsatzes traumlgt die Uumlberschrift rsaquoDie Lebenszone ist ein Fall fuumlr Idiotenlsaquo Sie nennen Dutzende bekannte Wissen-schaftler beim Namen und beschimpfen sie weil sie behaupten eine bestimmte Temperaturbandbreite sei unerlaumlsslichlaquo
raquoJa aber helliplaquoraquoSie haben in Molekularbiologie promoviert nicht wahr Sind
sich nicht die meisten Wissenschaftler einig dass fluumlssiges Was-ser fuumlr die Entwicklung des Lebens unbedingt notwendig seilaquo
raquoDie irren sichlaquo Ich verschraumlnkte die Arme vor der Brust raquoWasserstoff und Sauerstoff haben nichts Magisches an sich Sie sind fuumlr das Leben auf der Erde notwendig aber auf einem ande-ren Planeten koumlnnte es ganz andere Bedingungen geben Das Leben braucht lediglich eine chemische Reaktion die zu Kopien des urspruumlnglichen Katalysators fuumlhrt Dazu benoumltigt man kein Wasserlaquo
Ich schloss die Augen holte tief Luft und lieszlig es raus raquoWie auch immer ich war wuumltend und habe diesen Aufsatz geschrie-ben Dann bekam ich die Zulassung als Lehrer konnte den Beruf wechseln und mein neues Leben genieszligen Ich bin froh dass mir niemand geglaubt hat Es geht mir jetzt besserlaquo
raquoIch glaube Ihnenlaquo sagte sieraquoDankelaquo antwortete ich raquoVerraten Sie mir was Sie hier wol-
len Ich muss noch Arbeiten korrigierenlaquoSie steckte den Schnellhefter in die Aktentasche zuruumlck raquoSie
haben doch sicher von der ArcLight-Sonde und dem Petrowa-Strahl gehoumlrtlaquo
raquoIch waumlre ein schlechter Naturkundelehrer wenn nichtlaquo
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raquoGlauben Sie die Punkte lebenlaquo fragte sieraquoDas weiszlig ich nicht Es koumlnnte Staub sein der in Magnet feldern
hin und her springt Das werden wir vermutlich herausfinden wenn die ArcLight auf die Erde zuruumlckkehrt Ich glaube es ist bald so weit oder Nur noch ein paar Wochenlaquo
raquoSie trifft am Dreiundzwanzigsten einlaquo bestaumltigte Stratt raquoRos-kosmos holt sie mit einer Sojus-Mission aus der niedrigen Erdum-laufbahnlaquo
Ich nickte raquoDann wissen wir ja bald Bescheid Die brillantesten Koumlpfe der Welt sehen es sich an und finden heraus was es damit auf sich hat Wissen Sie schon wer daran forschen wirdlaquo
raquoSielaquo antwortete Stratt raquoSie werden das tunlaquoIch starrte sie anSie wedelte mit der Hand vor meinen Augen herum raquoHallolaquoraquoIch soll mir die Punkte ansehenlaquoraquoJalaquoraquoDie ganze Welt hat Sie beauftragt das Problem zu loumlsen und
Sie kommen direkt zu einem Naturkundelehrer an einer Junior-Highschoollaquo
raquoJalaquoIch drehte mich um und ging zur Tuumlr raquoSie luumlgen Oder Sie sind
verruumlckt oder sogar beides Ich muss jetzt gehenlaquoraquoDas ist nicht verhandelbarlaquo rief sie mir hinterherraquoDas sehe ich anderslaquo Ich winkte ihr zum AbschiedSie hatte recht Es gab nichts zu verhandelnAls ich mein Apartment erreichte umzingelten mich vier gut
gekleidete Maumlnner noch bevor ich die Tuumlr aufschlieszligen konnte Sie zeigten mir ihre FBI-Ausweise und verfrachteten mich in einen der drei schwarzen SUVs die auf dem Parkplatz des Wohnblocks warteten Nach einer zwanzigminuumltigen Fahrt auf der sie keine Fragen beantworteten und kein Wort mit mir sprachen parkten sie und fuumlhrten mich in ein neutrales Buumlrogebaumlude
Kaum stand ich wieder auf den Fuumlszligen da bugsierten sie mich schon durch einen leeren Flur in dem wir etwa alle zehn Meter unbeschriftete Tuumlren passierten Schlieszliglich oumlffneten sie eine
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Doppeltuumlr ganz am Ende des Flurs und schoben mich in den Raum
Im Gegensatz zu dem uumlbrigen verlassen wirkenden Gebaumlude war dieser Raum voller glaumlnzender Moumlbel und Hightech-Geraumlte Es war das am besten ausgeruumlstete Biologielabor das ich je gese-hen hatte Mitten darin stand Eva Stratt
raquoHallo Dr Gracelaquo sagte sie raquoWillkommen in Ihrem neuen Laborlaquo
Die FBI-Agenten schlossen die Tuumlr hinter mir und lieszligen mich mit Stratt allein Ich rieb mir die Schulter wo sie mich ein wenig zu hart angefasst hatten
Ich warf einen Blick zu der geschlossenen Tuumlr raquoAls Sie sagten Sie haumltten ein gewisses Maszlig an Autoritaumlt helliplaquo
raquoIch besitze eine umfassende AutoritaumltlaquoraquoSie sprechen mit einem Akzent Sind Sie uumlberhaupt Amerika-
nerinlaquoraquoIch bin Niederlaumlnderin Ich war Direktorin bei der ESA Aber
das spielt keine Rolle mehr Jetzt habe ich hier die Leitung Wir haben keine Zeit fuumlr behaumlbige internationale Ausschuumlsse Die Sonne stirbt Wir brauchen eine Loumlsung Es ist meine Aufgabe sie zu findenlaquo
Sie zog einen Laborhocker heran und setzte sich raquoDiese Punkte sind vermutlich eine Lebensform Die exponentielle Zunahme der Verdunkelung der Sonne entspricht dem exponentiellen Wachs-tum einer typischen Lebensformlaquo
raquoGlauben Sie hellip diese Dinger fressen die SonnelaquoraquoAuf jeden Fall verschlucken sie den Energieausstoszliglaquo erwiderte
sieraquoAlso das ist hellip erschreckend Aber trotzdem was wollen Sie
denn nun von mirlaquoraquoDie ArcLight-Sonde bringt die Proben zur Erde Einige koumlnnten
noch leben Sie sollen sie untersuchen und so viel daruumlber he-rausfinden wie Sie koumlnnenlaquo
raquoDas sagten Sie schonlaquo gab ich zuruumlck raquoAber ich nehme an es gibt qualifiziertere Leute als michlaquo
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raquoAuf der ganzen Welt werden sich Wissenschaftler die Proben ansehen aber Sie werden der Erste seinlaquo
raquoWarumlaquoraquoDiese Dinger leben auf der Oberflaumlche der Sonne oder in ihrer
Naumlhe Kommt Ihnen das wie eine wasserbasierte Lebensform vorlaquo
Sie hatte recht Bei diesen Temperaturen kann kein Wasser existieren Bei mehr als 3000 Grad Celsius koumlnnen die Wasserstoff- und Sauerstoffatome ihre Bindung nicht mehr aufrechterhalten Die Oberflaumlche der Sonne ist 5500 Grad heiszlig
Stratt fuhr fort raquoDas Gebiet der spekulativen extraterres-trischen Biologie ist klein Auf der ganzen Welt gibt es nur etwa fuumlnfhundert Experten Und jeder mit dem ich rede ndash von Profes-soren in Oxford bis zu Forschern an der Universitaumlt von Tokio ndash ist der Ansicht Sie haumltten auf diesem Gebiet die Fuumlhrung uumlber-nehmen koumlnnen wenn Sie nicht so abrupt aufgehoumlrt haumlttenlaquo
raquoMeine Guumltelaquo staunte ich raquoEs war nicht gerade ein friedlicher Abschied Ich bin uumlberrascht dass sie so nette Sachen uumlber mich sagenlaquo
raquoJeder begreift wie ernst die Situation ist Dies ist nicht die Zeit einen alten Groll zu hegen Sie bekommen jedenfalls die Gelegenheit zu beweisen dass Sie recht hatten Das Leben braucht kein Wasser Das muumlsste Sie doch interessierenlaquo
raquoKlarlaquo stimmte ich zu raquoSicher hellip das schon Aber nicht solaquoSie rutschte vom Hocker herunter und ging zur Tuumlr raquoEs ist wie
es ist Ich erwarte Sie am Dreiundzwanzigsten um neunzehn Uhr hier Dann steht die Probe fuumlr Sie bereitlaquo
raquoWahelliplaquo setzte ich an raquoAber sie landet doch in Russland oderlaquoraquoIch habe Roskosmos angewiesen die Sojus-Sonde in Sas-
katchewan zu landen Die kanadische Luftwaffe holt die Probe ab und bringt sie mit einem Kampfflugzeug direkt hierher nach San Francisco Die USA erlauben den Kanadiern den Uumlberfluglaquo
raquoSaskatchewanlaquoraquoDie Sojus-Kapseln starten im Kosmodrom in Baikonur das
sich auf einer hohen geografischen Breite befindet Die sichersten
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Landeorte liegen auf dem gleichen Breitengrad Saskatchewan ist fuumlr San Francisco das naumlchstgelegene groszlige und flache Gebiet das alle Bedingungen erfuumllltlaquo
Ich hob die Hand raquoWarten Sie mal ndash die Russen die Kanadier und die Amerikaner machen einfach so was Sie ihnen sagenlaquo
raquoJa Ohne RuumlckfragenlaquoraquoWollen Sie mich veraumlppelnlaquoraquoDr Grace machen Sie sich mit Ihrem neuen Labor vertraut
Ich habe noch andere Aufgaben um die ich mich kuumlmmern musslaquo
Ohne ein weiteres Wort ging sie hinaus
raquoJalaquo Triumphierend recke ich die FaustIch springe auf und steige die Leiter zum Labor hinauf Dort
klettere ich die zweite Leiter bis zur Luke empor und packe den Griff
Genau wie beim ersten Mal sagt der Computer sobald ich den Griff beruumlhre raquoBitte nennen Sie Ihren Namen um die Luke zu ent-riegelnlaquo
raquoRyland Gracelaquo antworte ich mit einem selbstzufriedenen Laumlcheln raquoDoktor Ryland Gracelaquo
Es klickt leise das ist alles Nach all der Meditation und Intro-spektion um meinen eigenen Namen herauszufinden haumltte ruhig etwas Aufregenderes passieren koumlnnen Vielleicht ein kleiner Konfettiregen
Ich packe den Griff und drehe ihn herum Er gehorcht Mein Reich wird um wenigstens einen weiteren Raum wachsen Ich versuche die Luke nach oben aufzustoszligen Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Schlafraum und Labor gleitet diese Luke jedoch zur Seite auf Der anschlieszligende Raum ist recht klein ver-mutlich war nicht genug Platz fuumlr eine Klappluke Und dieser Raum ist hellip ja was eigentlich
LED-Lampen flammen auf Dieses Abteil ist rund wie die ande-ren beiden aber nicht zylindrisch Die Waumlnde laufen zur Decke hin spitz zu Es ist ein Kegelstumpf
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Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich kaum neue Informationen gewonnen Jetzt stuumlrzt es von allen Seiten uumlber mich herein Saumlmt-liche Flaumlchen sind mit Monitoren und Touchscreens bedeckt Un-zaumlhlige Lichter blinken in allen nur denkbaren Farben Manche Bildschirme zeigen Zahlenreihen andere Diagramme wieder an-dere sind schwarz
Unten in der schiefen Wand ist eine weitere Luke die aber uumlber-haupt nicht geheimnisvoll ist Sie ist mit LUFTSCHLEUSE be-schriftet und hat ein rundes Fenster Durch das Bullauge sehe ich eine winzige Kammer ndash gerade groszlig genug fuumlr eine einzige Per-son ndash in der sich ein Raumanzug befindet In der Ruumlckwand ist eine weitere Luke Ja genau es ist eine Luftschleuse
In der Mitte steht ein Sessel Er ist perfekt positioniert damit man alle Bildschirme und Konsolen gut erreichen kann
Ich steige ganz hinauf und lasse mich auf dem Sessel nieder Er ist bequem eine Art Schalensitz
raquoPilot erkanntlaquo sagt der Computer raquoBahnanomalielaquoPilot Na gutraquoWo ist die Abweichunglaquo frage ichraquoBahnanomalielaquoDas ist ganz sicher kein HAL 9000 Ich lasse den Blick uumlber die
vielen Bildschirme wandern um einen Hinweis zu bekommen Der Sessel dreht sich leicht was in diesem Rundumcockpit sehr angenehm ist Schlieszliglich entdecke ich einen Bildschirm mit blin-kendem rotem Rand Ich beuge mich vor um ihn mir naumlher anzu-sehen
BAHNANOMALIE RELATIVER BEWEGUNGSFEHLERVORHERGESAGTE GESCHWINDIGKEIT 11423 KMSGEMESSENE GESCHWINDIGKEIT 11872 KMSSTATUS AUTOKORREKTUR DER FLUGBAHN KEIN EINGREIFEN ERFORDERLICH
Tja Das sagt mir nichts Bis auf raquokmslaquo Das koumlnnten raquoKilometer pro Sekundelaquo sein
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