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8/9/2019 Der Eigene : 1903-06
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DER EIGENE
EIN BLATT FÜR MÄNNLICHE KULTUR
KUNST UND LITTERATUR
JUNI 1903
CHARLOTTENBURG
BUCH UND KUNST HANDLUNG
DER EIGENE
ADOLF BRAND CO
M O T T O :
Der Freunü sei Euch ins Fest der Enlcl
l-RIEDRICH NIETZSCHE.
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J - ^ l — A \ L - l V J L - i AA _*
EIN BLATT FÜR MÄNNLICHE
KULTURJKUNST
asusuiOiusGü UND LITTERATUR U IS IS IS IS IS
HERAUSGEBER: ADOL F BRAN
o
CHARLOTTENBURO
JUNI 1903
INHALT:
Atoll« von Friedrieh Nirl7*chc o Seite .102 o .Antinous , Kopl, nach einer Reproduktion
\ der .Neuen l'hnlographischcn Gcscllschalt in Steglitz o Seite 365 o „Antinous , Stand-
| liild vom Kapitol, Gedicht von t-'rido Lindcinann o Seite 3tifi o .Antin ous Skizze von
l'e ler Mille o Seite .107 o .Sophokles — .Michel Angeln — .William Shakespeare
von l'e ler l l l l le o Seile 308 o .Aul e inen schonen Knaben , Gedicht von Frido Lindcinann
o Seile 370 o .Fischcrknahc , Kunstblatt , nach e iner Statue des dänischen Bildhauers
Wilhelm Bissen o Seite 371 o .Freuiidschallsweihc , Erzählung von H. C. Andersen,
deutsch von Otto W eiter o Seite 373 o .Hirtenknabe , Kunstblatt , nach e iner Statue
von Wilhelm Bissen o Seite 381 o .Unterwegs , Gedicht von Wull Schwerdtlcger o
Seite 383 o .Schlußakknrd , G edicht von W ull Schwerdtlcger o Seile 384 o .Herder
über die Scham haltigk cit der Griechen und Virgils o Seite 385, o .Speerwerfer , Schluß-
i Vignette von Fidus, mit Erlaubnis der modernen Sportzeitschrill .Krall und Schönheil*
o Seile 300 o .Achilleus , Kunstblatt , nach e iner Statue von Wilhelm Bissen o Seite
301 o .Frauenbewegung und männliche Kultur , Aulsatz von Edwin Bab o Seite 393 o
.Lanier , Schlulivignetle von Fidus, mit Erlaubnis der modernen Spo rtzeitschrilt
.Krall und Schönheit o Seile 407 o .Schwarze Nachte , Gedicht von Max Mayer o
Seile '108 o .Der Liebling des Spartacus , Kunstblatt, Gruppe des französischen Bild
hauers Itarrias o Seite 400 o .Ist es notig ? , Novelle vo n Diogen o Seite 4
t
o .Tanzer ,
Kunstblatt von Fidus o Seile 417 o .Fidus , Essay von Dr. Hans Bethge o Seite 419
o .Im Strud el der Hauptstad t verloren , Gedicht v on Amand Ernesti o Seite 424 o
.In Sanssouci , Gedicht von Orestes o Seile 425 o .Friedrich der Große , Schlu ßvignette ,
nach einer alten Zeichnung o Seite 4 27 o .Bergn acht , Gedicht von Adolf Brand o
Seile 428 o .Bücher und Menschen o Seite 420 o .Die Gemeinschaft der Eigenen ,
Vereiusnachricliten o Seite 431 o Inserate o Seite 432 o
jahres-Abonnemcnts nehmen alle Buchhandlungen entgegen zum Preise von 12 Mark
Ihr die zwöll M onals-Heltc , deren Gesamtinhalt 50 Druckbogen unilassen wird, pê y
Einzelnummern sind Ihr 1.50 Mark zu beziehen.
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ANTINOUS
m großen Reich die ferne, dumpfe Provinz. Am Welthof der Cäsaren,
die Seele bei der Sklavenmutter, der Sklavenschwester.
Wie drückend die es haben mögen?
Und Hadrian wehrt so verdrießlich ab die mehr mit den Augen
und um den Mund, als mit den Lippen flehenden Wüns che: die Heimat
hierher zu bekommen
Er will keine eigene Welt um den Knaben, der ihm eine Welt
sein soll
Und das große Römcrrcich, wie w eit es hält; und der Gram mit f
dem Griinilichcn ; die frischfremd e Ehrfurcht vor dem Eigen en, Feinen, f
Tiefen; unbefriedigt ein alle Künste und Wunder durchblätterndes Härmen; i
alle Die,die zu dem zärtlichlaunischcn Machthaber wollen und seelisch nicht f
zugelassen werden; dieses Welken von dem feierlichen, feindselig ver-
schlossenen Welken, dieses Entsetzen vor der mildschrillen Stimme —
und wie er nach Mädchen verlangt und wie diese .kichernd wie vor was
Unreinem vor ihm fliehen verächtlich weitereilend, nicht lockend ver-
sagend — wie er selbst sich so sonderbar ist, so einzig . . . . und '
bald dann nimmt auch er ab und w ird nicht mehr sein oder was [
ganz Häßliches, wie verbrauchter Hausrat Fortgeworfenes . So, das Alles |
ohne es zu wisse n, in sich, schreitet er wie eine Elegie, wie ein erlesenes ;
Gedicht, wie ein verhaltener Tanz sich wiegend auf Hüften, die von i
zögernder Trauer einer Vollendung gewölbt sind und die sinnend des [
Vergänglichen innc ist, so e legisch schreitet A ntinous in den wärmlich |
schwellenden, befruchtend bebenden Nil, den Fluß geheimnisvollen
Quells, der sich als Meer sieht und keimend als Erde fühlt; so|
schreitet der Jüngling, der verwirrt sich als Weib findet, in dem ztu
gr oß e Sc hö nh ei t Kampf hat, in den Nill J
Nah dem Sphinx bringt er dem Flusse ein Rätsel, das er nicht«
lösen kann: seinen Leib
Und röter und röter wand sich die schauern de Fläche wie von Blut,
Antinous sank, die Sonne steig t — —
PETER HILLE
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c o DEK EIGENE
Kg
SOPHOKLES
Der Areopag lauscht.
Kristallklar klingen die edelwuchtigen Tetrameter. Wie Vögel des
Zeus und des weissagenden Apollo flattern die Chöre auf, die groß
wie ein Schicksal sich lösen und binden.
Und so wiegt sich der lesende Greis stark und gelind auf der
tragenden Anmut seines großen Werkes.
Sogar der Atem des Lebens wartet in der fühlenden Brust, um
nicht zu stören den friederauschenden Löses ang des ödi pus von
Koionos.
Weihe der Andacht im Richtsaale des Areopags.
Sophokles hat geendet.
„Hier, ihr Richter, meine Verteidigung —
Ist das Werk besonnen oder ist es d as Toreuwerk eines Mann es,
der von Sinnen is t, der der Verwaltung sei nes , Vermögens enthoben
und entmündigt werden mußte?"
Nun wandte der Sprecher sein ätherhelles, weltüberhobenes Auge
zu der Stelle, wo vier schwarze Augen scheu den Boden suchten.
Deutend frei hob sich sein Arm aus s chneew eißer Chlamys; denn
seine Brust hatte nichts zu verbergen. Auch das Alter nicht. Seine
Glieder w aren hell und frisch und wie fernes Feuer blühte sein
mächtiges Haupt durch das feiugekräuselte Haar, das wie Asche auf
klarer Glut war.
.Und gab ich dem Knaben, der mir den Becher einschenkte, ein
Talent, so waren seine Lippen mir junge Rosen, so habe ich von
seinen Lippen nur Schönes und Liebes gehabt.
Was aber erhielt ich Freundliches von euch, die ihr Alles haben
wolltet, was mein ist?
Was gabt ihr mir, meine Söhne?
Vielleicht, daß ich hier bin?"
Der Älteste der Richter erhob sich:
Wie konnten wir uns wohl erkühnen, über dich zu Gericht zu sitzen?
Wir sagen nun: wir sind nicht würdig, dich frei zu sprechen,
Vortrefflicher
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o o älil'lluKI.US. o o
3üU
Aber verzeihe uns, u Freund der G ötter, wir handelten nach dem
heimischen Numus, nach der Vater Satzung, die auch dir heilig ist."
In früher Würde und Klarem Jüiiglingsfeuer allcrgosscncu Geistes
gab der Greis zurück:
„Gern ihr Männer, willfahr ich euch.
Selig die Stadt, die sich Richter weiß, denen die erhabene Dichtung
Beweis wird."
Der Richter aber erhob die Rechte: „Seht; der Achtzigjährige, der
ein Höchstes schrieb und sprach wie erl Solange du wei lst, V or-
trefflicher, kann es der Stadt nicht fehlen, deren Sohn du bist. Denn
so lange ist sie der Liehe der hehren Athene sicher. So mö ge denn
Zeus", betend hob er und mit ihm alle betend die Arme, „so möge
denn Zeus dein Leben schonen, uns eres Ruhmes E delsten "
MICHEL NGELO
So laß mich mit dir ruhen, du kulturherber Stein, du Leib der
Starke, der du türmst und walzest alle Wucht des Leibes und der
Seele, auf dem starken Nacken Tempel trägst zu Ehren des All-
mächtigen
WILLI M SH KESPE RE
„Was er mit dem Jungen nur hat?
Es ist nicht mehr richtig mit ihm "
Ja, der frische, dumme Tom, der Aufwarler im „goldnen Apfelbaum",
er war dem, forschend ins Entfliehende starrenden Auge das wankende
Wcltgebaudc, mit stark und groll und unvermeidlich sich austuenden
Menschen, und der Schauder vor der vornehmen Seele des Freundes,
da er sein Volk da drinnen dichtete
PETER HILLE
UF EINEN SCHÖNEN KN BEN
W i e gerne ruhn meine Blicke auf dir,
du Knabe mit deinem verwirrten Haar
und mit deinem träumenden Augenpaar —
wo bist du gewesen die lange Nacht?
was hast du geträumt? ich träumte von dir,
und du hast gew iß nicht an mich gedacht —
Du schöner Knabe, o gingst du mit mir,
zu spinnen mit mir verzauberte Träume:
wir gingen langsam durch blumige Räume,
und Märchenprinzesschen kämen gegangen
und pflückten Blumen und schenkten sie dir,
mit leisem Lächeln auf lieblichen Wangen
Und flögen fort durch die leuchtende Luft —
da blinkt es am Himmel wie Feiertag
und glänzte wie Gold in dem klaren Bach,
und wir — wir träumten, wir liebten uns,
und träumten von Farben, von Glanz und Duft
und träumten im Traume, w ir liebten uns
Du kennst mich nicht und beachtest mich nicht,
dp Knabe m it deinem verwirrten Haar
und mit deinem träumenden Augenpaar —
du kennst nicht mein kostbares Glück, dich zu sehen;
du ahnst auch die heimlichen Gluteu nicht,
und antwortest kalt meiner Blicke Flehen
FRIDO LINDEMANN
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FREUNDSCH FTSWEIHE
V
UII
einer kleinen Reise eben zurückgekehrt, wuchst schon unser
Verlangen nach einer größeren. Aber wohin? Nach Sparta?
Aiyeene — Delphi Hundert und hundert Orte gibt es ja,
deren Namen das Herz vor Reiselust pochen machen. Da geht e,s hoch
/u RuIJ die Bergsleige hinan, über Strauch und Busch, und wie eine
Karavnne reist da ein Einzelner. Er selbst an der Spitze mit seinem
Argüjat; ein Lastpferd nagt Koffer, Zelt und Proviant und einige
Soldaten folgen zu seinem Schulz. Kein Wirtshaus mit molligem Bett
empfangt ihn nach der mühevollen Tagereise. Da ist ein Stück Lein
wand sein einzig Dach inmitten der groben, wilden Natur; der Argojat
kocht den Pilaf zum Abendmahl; unzählige Mücken umsumsen das
kleine Zelt, das der Reisende nach unruhiger Nacht wieder verläßt, um
morgens früh seinen Weg durch hochgeschwollene Flüsse fortzusetzen
Heil Nun sitze fest auf deinem l'ferd, da
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dich die Flut nicht fortspühle.
Und welcher Lohn für diese Besenwerden? Ja, der grüßte — herr
lichste Hier offenbart sich die Natur in ihrer ganzen Macht; jeder
Fleck Erde ist historisch; — mii dem Auge genießt der sinnende Ver
stand. Wohl kann der Dichter davon singen , der Maler in reichen
Bildern es wiederspiegeln, aber der Dult der Wirklichkeit, der für
immer eindringt in die Gedankenwelt des Beschauers, den vermögen
beide nicht wiederzugeben.
Der einsame llirte drüben im Felscngcbirgc konnte vielleicht besser
als alle Reisebesehreibungcn durch eine einfache Frzahlung aus seinem
Leben dir die Augen öffnen und dich das Land der Hellenen mit
einzelnen, schlichten Strichen M hauen lassen.
So möge er reden Von einem Brauche, einem schönen eigen-
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o DER EIGENE o o
tümlichen Brauch soll der Hirt vom Berge uns berichten: Von der
Freunschaftsweihe.
Aus Lehm war unsre Hütte zusammengekleistert; doch gerippte
Säulen, dort gefunden, wo man das Haus baute, rahmten die Türe ein.
Das Dach, fast bis zur Erde geneigt, war nun baulich und altersgebräunt;
doch blühender Oleander und frische Lorbeerzweige von jensei ts der
Berge deckten es, da man es errichtete. Eng war es um unsre Hütte;
steil, nackt und schwarz strebten die Felswände empor, und oft hingen
Wolken wie weiße lebende Gestalten auf ihren Gipfeln. Nie hörte ich
da Vögel s ingen; nie tanzten hier Männer zu den Tönen der Sackpfeife;
aber heilig war die Stätte von Alters her; noch kündet der Name da
von: Delphi heißt sie jal Schneebedeckt lagen die fiusteru, ernsten
Bergriesen, und der höchste, der am längsten in der roten Abendsonne
erglühte, war der Parnaß. Den Bach, geheiligt einst auch er, der nahe
bei unsrer Hütte vorbeischoß, trüben nun der Esel Hufe; doch er eilt
weiter und bald ist er wieder klar. 0 , wie entsinne ich mich jedes
Flecks und seiner heiligen, tiefen Einsamkeit
I
Mitten in der Hütte wurde
das Feuer angezündet, und wenn die heiße Asche hoch und glühend
zurück blieb, darin das Brot gebacken. Lag aber der Schnee rund um
unsre Hütte, daß sie beinahe darin vergraben war, dann erschien mir
meine Mutter am frühesten. Dann nahm sie mein Haupt zwischen beide
Hände, küßte mir die Stirne und sang Lieder, die s ie sonst nie sang,
denn die Türken, unsre Herren, mochten sie nicht leiden. Und sie sang:
.Auf dem Gipfel des Olymps, im niedern Fichtenwald, saß ein
alter Hirsch. Seine Augen waren schwer von Tränen, von roten, ja
grünen und blaßblauen Tränen, die er weinte. Kam vorbei ein Reh
bock: . .W as ist dir doch, daß du so weinest, weinest rote, grüne,
ja blattblaue Tränen?"* . .D er Türke ist kommen in unser Dorf;
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eisen gewzlti^ta
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über die Inseln"", sprach der junge Rehbock; .. ic h jage s ie über die
Inseln in die tiefe See"". Aber ehe der Abend niedersank, war der
Rehbock getötet, und ehe die Nacht kam, lag der Hirsch gejagt und tot".
Und wenn meine Mutter so sang, feuchteten sich ihre Augen und
eine Träne hing in den langen Augenwimpern. Doch sie verbarg sie
und wandte unser schwarzes Brod in der Asche. Dann ballte ich wohl
die Hände und sagte: .Tot schlagen wollen wir den Türken " Sie aber
sang wieder den Schluß der Weise: .Ich jage s ie über die Inseln in
die tiefe See . Aber ehe der Abend niedersank, war der Kehbock ge
tötet, und ehe die Nacht kam, lag der Hirsch gejagt und tot".
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o o Ik ia iND S CIlAh T S W L II I i o o
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Viele Nächte und Tage waren wir allein geblieben in der Hütte;
da kam der Vater. Sonst brachte er mir Muscheln vom Golf vo n
Lepantu oder gar ein Messer scltarf und gleißend mit; diesmal brachte
er uns ein Kind, ein klein nackend Mädchen, das er unter seinem
Schaf-
pelz trug. In Kelle war es gewick eil und Alles, was es besa tt, da es
von diesen entblüüt in meiner Mutter Schott lag, waren drei in sein
schwarze s Haar eingebundene Silbcrmünzcu. Und Vater erzählte von
den Türken, die des Kindes Kitern ersch lagen; so viel erzählte er uns,
datt ich die ganze Nacht davon träumte. Der Vater selbst war ver
wundet; die Mutler verband seinen Arm; die Wunde war tief. Der
Pelz des dichten Schaffelles war steif von gefrorenem Blut. Das kleine
Mädchen sollte ineine Schwester sein. Sie war so lieblich, so strahlend
rein; meiner Mutter Augen leuchteten nicht sanfter als die ihren.
Auastasia, so hiett sie, .sollte meine Schwester sein, weil ihr Vater
meinem Vater angetraut war, ziigeweiht nach einem alten Brauch, den
wir auch jetzt noch halten. In ihren Jüugliugsjuhrcii halten s ie Brüder
schaft geschlossen, und die schönste, tugeiuheichsie Jungfrau der ganzen
Gegend halle ihren Krcmidschnlishimd geweiht. Oft hörte ich da von
diesem schonen und eigenen Brauch.
§o war die Kleine nun meine Schwester. Sie satt auf meinem
Scholl; ich brachte ihr Siräuüe von den Keltern der Bergvögel; wir
tranken zusammen von den Wassern des Parnaß; wir schliefen Kopf
au Kopf unter der Hülle Lorlicerdach, und viele Winter noch saug
meine Muller von den rolen, grünen und den blattblauen Tränen; aber
noch begriff ich nicht, dall mein eigenes Volk es war, dessen tausendfache
Leiden sich in diesen Tränen widerspiegelten
Eines Tages kamen drei fränkische Männer in fremder Kleidung.
Ihre Bellen und Zelte hallen sie auf Plerdiu, und iiulir als zwanzig
waren freunde des Pascha, ausgerüstet mit dessen Geleitsbriefen. Sie
kamen einzig und allein um uiisre Berge zu sehn, in Schnee und Nebel
den Parnatt zu besteigen und die seltsamen, schwarzen, schroffen Kelsen
rings um unsre Hülle zu betrachten. Sie konnten in dieser nicht Platz
finden, auch ertrugen sie den Iv'aucli nicht, der inner dein Dache hin-
und durch die niedere Türe herauszog. Aul dein schmalen Platz vor
unsrer Hülle spannten sie ihre Zelte aus, brieten Lämmer und Vögel,
und schenkten süße, starke Weine, von denen die Türken aber nicht
trinken durften.
Als sie fortzogen, folgte ich ihnen ein Stück Weges, mit meiner
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o o DER EIGENE o o
Schwester Anastasia, die ich, eingenäht in ein Ziegenfell, auf meinem
Rücken trug. Einer der fränkischen Herren stellte mich gegen eine
Felswand, zeichnete mich und sie, so lebendig, gerade so wir dort
standen, daß wir aussahen wie ein einzig Wesen. Und wahrhaftig —
bisher hatte ich nie darüber nachgedacht — Anastasia und ich waren
ja auch nur eins. Immer lag sie auf meinem Scho ß, oder hing auf
meinem Rucken, und träumte ich, war sie in meinen Träumen.
Zwei Nächte darauf kam ander Volk in unsre Hütte, bewaffnet
mit Messern und Gewehren. Es waren Alba ncser, tollkühne Männer,
wie meine Mutter sagte . Nur kurze Zeit verweilten s ie, aber als sie
weiterzogen, hatte Anastasia, die auf des einen Schoß gesessen, zwei
und nicht drei Silbermünzen im Haar. Sic legten Tabak in Papier
streifen und rauchten davon. Der Älteste sprach vom We ge, den sie
einschlagen müttten und war in Ungewißheit darum. „Spucke ich auf-
wärts", sagte er, „so fällt es mir in's Gesicht, spucke ich abwärts, so
fällt es in meinen Bart". Ein Weg wurde am Ende doch gewählt und
mein Vater folgte ihnen. Bald darauf fielen Schusse und wieder und
wieder knatterte es. Dann kamen Soldaten in die Hütte, ergriffen meine
Mutter, mich und Anastas ia; die Räuber hätten Zuflucht bei uns ge
funden, sagten sie, mein Vater sei ihnen gefolgt, deshalb müttten wir
fort. Ich sah der Räuber Leichen, und sah Vaters Leiche und weinte,
bis ich darüber einschlief. Als ich erwachte, waren wir im Gefängnis,
in einem Raum, nicht schlechter als der in unsrer eigenen Hütte, und
ich bekam Zwiebeln und harzigen Wein, der aus geteerten Schläuchen
gego ssen wurde. Besser hatten wir's ja daheim auch nicht.
Wie lange wir so gefangen saßen, weiß ich nicht; wohl viele
Nächte und Tage m ögen hingegangen se in. Gerade am heiligen Oster
feste kamen wir heraus. Ich trug Anastasia auf dem Rücken, denn
meine Mutter war krank, und langsam nur kamen wir vorwärts, bis wir
Lepanto's
Golf
das Meer erreichten. Wir betraten eine Kirche. Wie
erglänzte die im Schmuck der Bilder auf goldnem Grunde Engel waren
es ,
oh so herrlich schö n Und doch — Mir schien klein Anastasia
nicht minder schön, wie sie. Mitten auf dem Kirchenboden stand ein
Sarg mit Rosen gefüllt. Das war unser Herr Jesus Christus, der da
lag, sagte m eine Mutter, die allerheiligste B lume. Und als der Priester
verkündete: „Christ ist erstanden", küßte sich alles Volk, einer den
andern und alle hielten brennende Kerzen in den Händen. Auch ich
erhielt eine und die kleine Schwester eine. Die Sackpfeifeu erklangen
und Hand in Hand tanzten die Männer von der Kirche weg, vor welcher
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o o Ikl UNIWCIIAnSWKIlll: o o 3 7 7
diu Frauen das Üstcrlamin brieten. Audi wir wurden dazu eingeladen
und als ich beim Feuer sali, faßte ein Knabe, etwas alter als ich,
mich tun den Hals, küßte mich und sp rach : „Christ ist erstand en " —
So begegneten wir uns das erste Mal, Aphianides und ich.
Meine Mutter konnte Fischcrneizc stricken, was ihr hier an der
Bucht guten Verdienst einbrachte, um wir blieben lange Zeit am Meer.
— An dem h errlichen Meer, das wie Trauen schmeck te und mit seinen
Farben an den weinenden Husch aus Mutter's Lied gemahnte; bald
war es ja rot, bald grün, und dann auch wieder blau.
Aphtanides ko nnte Scliilte lenke n, und ich saü mit meiner kleinen
Anastasia im Boot, das aul dein Wasser dahinglitt, wie eine Wolke in
den Lüften schw ebt. Da sank die Sonne und blauer und blauer wurden
die Berge; ein Felskamm guckte iiber den andern hinweg, am weitesten
weg aber stand sclinecgckront de r Parnaß . Sein Gipfel leuchtete in
der Ab endson ne wie glühendes Eisen; aus seinem Innern heraus schien
das Licht zu strahlen, denn lange, lange nach Sonnenuntergang glänzte
er noch in der blausclüllcrndcu Luft. Allein die weißen Seevög el
schlugen mit ihren Schwingen den Wasserspiegel, sonst war es so stille
hier .wie in Delphi zwischen den schwarzen Felsen. Ich lag rücklings
im Boo t, Anastasia an meiner Brust. Über uns schienen die Sterne
heller als die Leuchter in unsrer Kirche, — die gleichen Ster ne, ganz
an derselben Stelle, wie ich sie wohl in Delphi sah, wenn ich abends
vor der Hütte gesessen, und mir war auch zuletzt, als säße ich noch
dort. — Da — es platschte etwas in's Wasser — das Boot schwankte
heftig — ich schrie laut aul: Anastasia war iiber Bord gefallen Aber
hurtig und flink sprang ihr Aphtanides nach und reichte sie hinauf zu
mir. Wir zogen ihr die Kleider aus und kleideten sie, nachdem diese
ausgerungen w aren , wieder an. Desgleichen tat Aphtan ides und wir
blieben d raußen, b is das Zeug w ieder trocken ward. So wußte niemand
um unsre Angst um die kleine Pflegeschwester, an deren Leben nun
ja auch Aphtanides sein Teil hatte.
Der Somm er kam. Heiß brannte die Sonn e und die Laubbaume
welkten. Ich dachte an unsie kühlen Berge und ihre frischen Wasser.
Auch meine Mutter sehnte sich nach ihnen und eines Abends wanderten
wir zurück. Wie stille, wie ruhig war es doch Über hohen Thymian,
der noch duftete, obschou die Sonne seine Blatter ausgedörrt hatte,
wandelten wir. Kein einziger Hirte begeg nete un s, keine Hütte lag an
imserm Weg; nur die Sternsch nupp e allein sagte uns, daß etwas lebte,
dort oben im Himmel. Ich weiß nicht, w ar es die reine blaue Luft,
26
3 7 g o o DER EIGENE o o
die so leuchtete, war es der Sterne Strahlen, daß wir so deutlich die
Umrisse der Berge gewa hren konnten . Meine Mutter machte Feuer,
briet die mitgebrachten Zwiebeln und ich schlief mit lieb Schwesterchen
im Thymian ohne Furcht vor dem gräulichen, feuerspeienden Smidraki,
vor Wölfen oder Schakalen; unsre Mutter wachte ja bei uns War
dies nicht genug?
Unsre Heimstatt lag in Trümm ern. Eine neue Hütte mußte gebaut
werden . Meiner Mutter halfen einige Weibe r und in wenig Tagen
standen die Mauern, auf welche ein neues Dach von Oleander gelegt
wurde . Aus Rinden und Häuten flocht meine Mutter Flaschen hälsen ;
ich hütete die kleine Herde der Pr iester. Anastasia und die kleinen
Schildkröten waren meine Spielgenossen.
Eines Tages erhielten wir Besuch von dem teuern Aphtanides; er
hätte sich so sehr nach uns gesehnt, sagte er, und blieb ganze zwei
Tage bei uns.
Einen Monat darauf kam er wiederum, um uns ein Lebewohl zu
sagen, denn er sollte mit einem Schiff nach Corfu und Patras segeln.
Meiner Mutter brachte er auch einen großen Fisch. Gar viel wußte
er zu berichten , nicht allein von den Fischern unten am üolf von
Lepanto, sondern auch von Königen und Helden, die einstmals Griechen-
land beherrscht hatten, wie jetzt die Türken.
Oft sah ich den Rosenbaum Knopsen ansetzen und diese in Tagen
und Woch en zu entfalteten Blumen wer den ; bev or es mir aber
klar wurde, wie groß, schön und leuchtend rot sie waren, standen sie
da in voller Biüte. So war es auch mit Anasta sia; ein prächtig ge -
wachsen es Mädchen war sie, ich aber ein kräftiger Bengel. Die Wolfs-
felle auf den Betten der Mutter und Anastasia's hatte ich selbst den
Wildtieren , die meiner Büchse fielen, ab gezog en. — — So gingen
Jahre dahin.
Da kam eines Abends Aphtanides, schlank wie ein Rohr, kraftvoll
und gebräu nt. Er küßte uns alle und wußte viel zu erzählen vom
ewigen Meer, von Maltas Festungswerken und Ägyptens seltsamen
Grabstätten. Wun derbar klang das ; wie Legenden der Priester. Und
mit einer gewissen Ehrfurcht sah ich zu ihm auf.
.Wiev iel du doch weiß t", sagte ich, .und wie schön du erzählst "
.Doch das allerbeste hast ja du mir einst erzahlt", antwortete er,
.nie ist es aus meinen Gedan ken geschwu nden. Weißt du noch von
dem schönen, alten Brauch der Freundschafts weih e? Oh dieser Braucht
Wie drängt es auch mich ihm zu folgen. Bruder — Komm , laß uns
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o o rRUUNUSCHAI TSWLII IK o o 37 g
zwei, w ie eins dein und Anastasia's Vater taten, zur Kirche gelin und
Anastasia, das schöns te, unschuldigste M ädchen, — die Schwester, —
sull uns einander weihen. Kein Volk hat doch herrlichere Gebrauche,
als wir Griechen "
Hut wie ein frisches Rosenblatt ward da Anastasia und meine
Mutter küßte Aphtan ides
Kine Wegstunde von uii.sier Hülle entfernt, dort wo die Felsen
l-'riichtcrde tragen und Itiiuiiie Schatten spenden, lag die kleine Kirche.
Eine Silberampel hing vor dem Altar.
Ich trug meinen Sonntagsstaat. Die weißen Postanellen fielen in
reichen hallen über die Hüften herab; das rote, enge Wams umschloß
knapp die Urust; Silber vv.u in die Mtitzeiupuiste eingefloch ten und
Messer und Pistolen ruhten im Gürtel. Aphianides war in der blauen
Tracht der griechischen Seeleute. Auf seiner Urust hing eine Silber
platte mit dem Mullergoltesbild; sein Leibgurt aber war kostbar, wie
reiche Herren nur ihn tragen können. So konnte man wohl seh en,
daß wir zur Hochzeit gingen. In der kleinen Kirche, durch deren Türe
die Abendsonne auf die ewige Lampe und die bunten, goldgrundigen
Heiligenbilder fiel, knieten wir an den Stufen zum Altare nieder.
Anastasia stellte sich vor uns hin. Kin langes, we ißes Gewand umkoste
los und leicht ihre schonen Glieder; den w eißen Hals und die Brust
bedeckte ein aus alten und neuen Münzen zusammengefügtes Gewirk,
und auf dem Haupte, zu einem einzigen Knoten verschlungen, ruhte ihr
langes schwarzes Haar, gehalten von einer kleinen Haube alten Gold- und
Silbermünzeu. Reizenderen Schmuck trug wohl kein griechisches Mad
chen. Ihr Antlitz glänz te; zwei Sterne waren ihre Augen.
Zuerst sprachen wir alle drei ein stilles Gebet; dann frug s ie uns:
„Wollt ihr Fremde sein auf Leben und auf TodV"
Wir antworteten: Ja
„Wollt ihr in jeder Lebenslage immer dessen gedenk en: Mein
Haider ist meinerselbst ein Teil; mein Geheimnis ist sein Geheimnis
und mein Glück das seine Wie für das Heil der eigenen Seele will
ich alles opfern, alles ertragen für das Heil der Seele meines Bruders."
Und wieder antworteten wir: „Jal"
Da legte sie uusre Ilaude ineinander, küble uns beide auf die
Stime und wieder verweilten wir in stillem Geb et. Da trat der Priester
aus des Altars Pforte und segne te uns alle drei, dann erklang der Ge
sang der allerheiligsten Herren hinter den Altarwänden hervor. — Der
ewige Freundschaf tsbuiul war gesc hlos sen — Als wir uns erhoben, sali
ich meine Mutter aniKirchenpoilal s tehen; s ie weint e mit tiefer Innerlichkeil
2b»
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o o DER EIGENE o o
Wie frohmütig waren nun die nächsten Tage in unsrer kleinen
Hütte und an D'elphi's Quellen. Am Abend vor seiner Abreise saßen
Aphtanides und ich am Rande des Felsen's. Um meine Lenden
schlang er seinen Arm und ich den meinen um seinen Hals. Von
Griechen lands N ot sprachen wir und von Männern, deren es bedurfte.
Jeder Gedanke in unsern Seelen lag klar vor uns Beiden, Da ergriff
ich seine Hand:
„Etwas muß ich dir noch sagen; etwas, das bis zu dieser Stunde
außer mir nur Gott weiß. Meine ganze See le ist Liebe; Liebe mächtiger
als die zur Mutter, stärker als zu dir".
.Und wen liebst du?" frug A phtanides, bis auf den Hals hinab errötend.
.Ich liebe Anastasia " sagte ich. — Wie eine Leiche wurde er so
weiß und seine Hand zitterte in der meinigen.
Ich sah dies — und begriff Ich glaube, daß auch meine Hand
bebte. Ich beugte mich über ihn, küßte sein e Stime und flüsterte: „G e
sagt habe ich es ihr noch nie. — Vielleicht liebt sie nicht mich BruderI
Bruder So denke doch , wie sie aufgewachsen ist an meiner Seite,
hineingewachsen in meine Seele "
.Und dein soll sie sein " rief er, „dein. Nicht will ich dich b e
lügen; auch ich liebe sie. Aber morgen reise ich weg ; —u nd in einem
Jahr seh en wir uns wieder. Ich habe einiges Geld; dein sei es ; nimm
esl — Du mußt es nehmen " Schweigsa m wanderten wir dann durch
die Berge und erst am Abend standen wir vor meiner Mutter Hütte.
Anastasia hielt uns die Lampe entgegen, als wir eintraten; meine
Mutter war fort. Wunderbar wehmütig blickte Anastasia auf Aphtanides.
.Morgen ziehst du von uns fori; wie sehr betrübt mich dasl"
.Betrübt dich das " wiederholte Aphtanides, und mir schien darin
ein Schmerz, groß wie meiner zu liegen. Ich konnte nicht sprechen.
Da nahm er ihre Hand und sag te: .U nse r Bruder liebt dich Hast auch
du ihn lieb? Gerade aus seinem Schweigen spricht seine Liebe "
Anastasia zitterte und brach in Tränen aus. Und ich sah nur sie,
schlug den Arm um ihren Leib und sa gte: „Ja, ich liebe dich " Da
drückte sie ihre Lippen auf meinen Mund, schlang die Arme um meinen
Hals; — die Lampe aber war zu Boden gefallen und finster war es
um uns, finster wie im Herzen des armen Aphtanides.
Vor Tages Anbruch erhob er sich, küßte uns alle zum Abschied
und zog fort, nachdem er meiner Mutter all sein Geld für uns gegeben
hatte. — Anastasia ward meine Braut und einige Tage darauf meine Gattin.
H. C ANDERSEN |Evciityr O Hitturu-r I.]
Aus dem Dänischen übertrugen vun Ott» Weiter.
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UNTERWEGS
p i n st i l les Hätsc l warst Du, das ich
fand,
Noch ungelöst — Dir selber unbekannt;
Im Hoheit l ich geworden und gerei f t —
Ein Reis, das nuch kein Schicksalsturm gestreift .
Das reizte mich , drum nahm ich Dich ge fangen.
Bl ind bis t Du in mein Netz h ineingegangen
Dann kam der Tag, da ich Dich n ackend sah,
Da ich die Losung Deiner katsel fand —
Der Tag, da mein Du warst, und es geschah,
Dali ich als Dein Gebieter vor Dir stand.
Die Seele tr ieb ich Dir aus Deinen Hohn
In meine Tief en - • Dor t g ing sie ver loren,
Um rot und stark aufs Neue zu erstellte
Aus Erdcnscl igkc i t und Blut geboren
WUI.I SUIWKKDTFEUKR
r
SCHLUSS KKORD
(Jeber einem Beet von welken Astern
Schaukelt wie ein Tropfen heißen Bluts
Eine dunkelrote Georgine
Durch die Dämmerung der Gräberreihen
Leuchtet matt ein weißes Marmorkreuz
Im Abendrot
Wie ein kleiner, müdgewordner Falter
Schweben durch die Luft verwehte Klänge
Eines letzten Liedes • . .
K lingen . . . u nd . . verglüh n . . . .
WULF SCHWHKDTI-EGER
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HERDER
ÜBER DIE SCHAMHAFTIGKEfT DER GRIECHEN UND
VIRGILS
N
icht alle Klimata und Nationen setzen selbst den Vor-
stellungen und Ausdrücken der Liebe einerlei Schranken.
Die hitzigen Morgenländer, die in ihren Gesetzen fast
eine Belohnung auf den setzten, der in den ersten Zeiten der
Wildheit ein einsames Frauenzimmer ehrbar gelassen, waren
auch in Bildern diese r Art beinahe unbän dig. — Je mehr
sie ihre Schön heiten versch lossen und iiberschleie rten, desto
weniger erröteten sie, Werke und Glieder der Liebe,
insonderheit in der Sprache der Leidenschaft, üc r Eifersucht,
des strafenden Zornes zu nennen. Man nenne ihre Frei-
heiten aber nicht Freiheiten der Natur, sondern einer
entarteten Natur, eines despotisch orientalischen Weiber-
umganges . . .
Bei den Römern findet sich, nur auf eine andere Weise,
eine Unterdrückung dieser Sittlichkeit, die ich aus ihrem
von jeher rohen Charakter erklare: aus dem Kriegerischen,
das ihnen zur Natur ward, und aus der männlichen Harte,
die eine so zarte Empfindung leicht etwas ersticken konnte.
In den meisten ihrer Dichter, und fast auch ihrer Schriftsteller
überhaupt, herrscht eine solche männliche Schamlosigkeit.
Auch hier hielten die Griechen eine gewisse schöne
Mitte zwischen Morgenländern und Römern. Die asiatische
Hitze, in Etwas abgeküh lt durch die europ äische Mäßigkeit,
bestimmte aber den Ton einer warmen Liebe, einer sanften
Wollust, w elcher Materien dieser Art bei ihnen durchg ängig
zu charakterisie ren scheint. Vielleicht hat keine Sprac he der
Welt ein so süßes Wörterbuch der Liebe, keine Nation eine
8 6 o ° DER EIGENE o o
Menge so einfaltig unschuldiger Liebesgemälde, kein Zeit-
punkt der Politur vielleicht die Urbanität auf den Simpeln
und feinen Weltgenuß zurückgeführt, als der aoitia w;
der Griechen. Die Liebeschilderungen ihrer Poeten, die
Menschheitsgesetze ihrer besten Philosophen, die historischen
Gemälde ihrer Lebensart in den besten Zeiten, sind so sehr
in den Schranken der schönen, unschuldig einfältigen Natur,
als sie von unserer heutigen Galanterie und Politesse und
Hofartigkeit entfernt sein mö gen Ich wüns che dem Schrift-
steller griechisches Gefühl, der über die Schamhaftigkeit
Homers schreiben will
Und in der Tat, wenn die feine jonische Wollust nicht
dem poetischen Geiste der Griechen Charakter gegeben
hätte — wie viel schöne Kinder der Poesie von Homer und
Anakreon und Sa ppho an, bis auf Theokr it und Moschus zu,
würden Embryonen der idealistischen Wollust geblieben sein
Und wer, nach dem Klosterzwange unserer Zeit, eine be-
urteilen, uns e i n e ra uben will, der raube uns lieber die
Mutter mit allen Kind ern alle üpp igen Bilder griechisch er
Wollust
Der zweite Punkt griechischer Freiheit betrifft das
Nac kende ihrer Bilder, und so auch ihrer Ausd rücke des
Nackenden in der Sprache — Wer kennt hier nicht die
griech ische Freih eit? Allein, wer sie kennet, wird er sie
verdammen?
•Einem Lehrer der Kunst müssen Worte erlaubt sein,
die keinem Anderen, und einem Griechen, die keinem
Barbaren erlaubt sind Nicht nur, daß die herrlichsten
Denkmale der Kunst vor ihren Augen nackend, bloß standen,
und ihre Kunst überhaupt weder das schöne Nackte, als
das züchtig Verhüllte liebte ; auch in der Natur selbst bildete
sich hier eine Art von eigener nationalgriechischer Scham-
haftigkeit des Auges, die Niemanden fremd dünken kann,
als wer unter ihnen noch kein Grieche geworden
Nackte Ringer, nackte Kämpfer, nackte olympische
Sieger, nackte badende Schönen, nackte Tänze, nackte Spiele,
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o IIEUUEK
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nackte Feste, halbnackte Trachten — und ihre Dichtkunst
sollte einpressende Klusterlumpeii dulden Ihre besten
Schriftsteller sollten eine Noniienehrbarkeit sich einander
eingestehen, die das Auge des ganzen üriechenlandes, und
die Zunge der Ältesten, Ehrwürdigsten und Feinsten des
Publikums sich nicht eingestand? — die sich selbst die
Philosophen in ihren Sittenstunden nicht eingestanden?
In einem Punkte, wo es so sehr auf Gewohnheit der
Augen ankommt, sollte man, denke ich, eben diese An
gewo hnheit doch wohl bei einem Volke zu Rate ziehen, da s
sich in ihr so sehr auszeichne t — Noch jetzt ist d as Ge
fühl der Italiener über diesen Punkt von dem Gefühle nörd
licher Euro päer sehr verschieden. Und sie sind doch, dem
einem Teile nach, selbst ja nördliche E urop aer Und sie
sind doch, dem anderen Teile nach, noch keine Griechen an
Natur Und sie wohnen do ch nur unter zertrümmerten
Resten griechischer Ku nst Und sie haben doch eine Re
ligion, die so sehr die Verhüllung liebet Und sie sind schon
in einer Lebensart, die vom bürgerlichen Wohlstande und
der Politesse gebildet wird
Wie? und die Griechen, zum Gefühle, der Wollust ge
boren, von Jugend auf unter den Schönheiten der offenen
Natur erwachsen, zur Lust und Freude bei ihren Spielen
eingeweihet, und noch nicht zum sklavischen Puppenwohl-
stande verdammt, sie sollten nicht eine eigene Sittlichkeit
des Nackend en haben dürfen? — Sie sollten wir verdammen ,
wenn sie nicht nach Nonnentraehten ihre Zeit schildern?
Sie sollten sich nicht der Jugend der Welt, der Unschuld
ihres Zeitalters erfreuen dürfen, von unseren züchtigen Ver
hüllungen frei zu sein? Sie sollen verschleierte persianisch e
Figuren, Chineserscliönheiten mit verhüllten Fingerspilzen
wer den ? Und ihre Dichter eine Briseis mit schönen Knieen,
eine Spartanerin mit schönen Hüften, eine Venus Anadyomene,
einen Bacchus mit schönem Bauche, einen Bathyllus, wie ihn
Anakreon sehen will, nicht unschuldig züchtig nennen dürfen,
da ganz Griechenland sie so sieht?
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o o ER EIGENE o o
So wenig ich diese Freiheiten zum Privilegium unserer
Zeit, statt einer uralten deutschen Bescheidenheit, haben kann,
so wenig will ichs den Griechen in der Morgenröte ihrer
Sittlichkeit angestritten haben
Ich will vielmehr mit der Unschuld, mit der Plato seinen
Greisen erlaubt, die Spiele der munteren Jugend anzusehen,
aus meinem greisen Zeitalter hinaustreten, und die Freuden
griechischerjugend, und die Natursprache griechischer Dichter,
und das nackend Schöne der griechischen Kunst, und die
Philoso phie der Liebe bei einem Sok rates so betrach ten,
als wenn ich mich selbst in die muntere Unschuld dieser
Weltjugend zurückversetze, und zu einem griechischen Ge
fühle zurück verjüngt wü rde. Dann erst kann ich Griechen
lesen
Von der eigentlichen Anständigkeit unserer Zeit, von
der Hofpolitesse unseres Wohlstandes, haben die Griechen
Nichts gewußt; ganz und gar Nichts gewußt
„Schade genug für sie "
Immerhin Sch ade nur noch mehr Schade um den ehr
baren Tadel unserer Kunstrichter, die etwas in Griechenland
suchen, worauf kein Grieche Anspruch machen will — und
Das nicht zu schützen wissen, was sich an freiem edlem
Gefühle unter den Griechen findet
0, daß eine Muse, eine der Charitinnen selbst aus
Griechenland auflebte, um uns ihre Lieblingsfreundin, die
g ri ec h is ch e Schamhaftigkeit zu zeigen, nur daß diese keine
Kloster- und Hofpuppe sei
Virgils Schamhaftigkeit kann zweierlei bedeuten: die
Züchtigkeit seines persönlichen Charakters, oder seine Ehrbar
keit als Schriftsteller. Beide sind ganz verschied ene Sachen.
Wer weiß es nicht, daß die feinsten Zweideu tigkeiten
bloß auf dem schlüpfrigen Witze einiger Zeitgenossen, auf
dem wandelbaren Eigensinne eines üppigen Sprachgebrauchs
oder Sprachmißbrauchs beruhen? . . .
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nnuw u
o o ^gg
Wer weiß nicht, daß eben ein archaisierender Schrift
steller, wofür Virgil bekan nt ist, am ersten Gefahr lauft, den
Neulingen der Sprache obscön zu werden?
Wer weiß nicht, daß ein Dichter immer lieber einen
hohen, alten, starken Ausdruck sancte et religiöse setzen, als
daß er ihn für die Ohren einiger Zuchtkrämer auslassen
w i rd ? . . .
Und welch ein unwü rdiger Begriff ist es doc h, einem
Dichter zuerst und vornehmlich zu solchem Ehrbarkeits
pedanten zu machen? . . .
Virgil kann immer ein schamhaftes Gesicht — anständig
gesprochen: immer eine fromme, edle Seele und eine an
ständige Lebensart bew iesen und doch schöne, Knaben
geliebt, und doch die Motia llieria gekannt haben
Ich sehe Nichts, daß sich aufhebe, und daß sich insonder
heit zu den Zeiten Mä cenas hätte aufheben dürfen
Ists denn so widersprechend, daß ein Mensch, zur
sanften Wollust g ebore n, auch dies es Sanfte in seiner Miene
zeigt? — daß Das, was in der weiblichen Miene schmachtend,
ein Liebreiz der Venus wäre, in einem männlichen Gesichte
eine Art von Un schuld, von jungfräulicher Besch eidenh eit,
von schamhafter Frömmigkeit werde?
Muß ferner Der, der schöne Knaben liebt, damit aller
bürgerlichen Ehrbarkeii, und, der sie unschuldig liebt, aller
Tugend der Seele entsag en? . . .
War es den n S chamlosigkeit, einen Alexis von Mäcenas
zum Geschenk zu nehmen, ihn lieben, sich an ihm, als Mund
schenk en, bei d er Tafel zu erfreuen ? schö ne Leute und, nach
römischer Wirtschaft, schöne Knaben um sich zu sehen?
Ich weiß nicht, welcher E hrbare nicht an der Stelle
Virgils, in seiner Gunst Mäcenas, in seiner feinen Art, diese
Gunst zu genießen, sein kö nnte ? . . .
Ich mag keine neue Verteidigung
ticr
Somatischen Liebe
überne hmen , da schon mehr als einer sie verteidigt hat. Aber
ich betrachte Virgil nicht als Som atische n Liebhab er seines
Alexis, sondern als den Liebessänger desselben. Und welch
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o o fcK EIGENE o o
ein brennender L iebesgesan g? Wer könnte die, Flamme noch
entschuldigen? — Ich bins, der sie entschuldigt.»
Ich stelle mir den hübschen Jungen des Pollio und das
schamhafte Jungfraueng esicht, d en züchtigen Virgil, vor, wie
er nach ihm schielet; wie er sein Auge an ihm weidet, ihn
lobet, ihn liebkoset Pollio macht die Sache zum Sp aße :
sein Freund soll erst ein Corydon werden, soll erst um
Alexis werben — Virgil w ird Coryd on Er verwandelt sich
in einen poetischen Schäfer, ahmt Theokriten nach und ver
setzt sich n ach Sizilien mit seinem Alexis. Da klaget er den
Waldern ungefühlte Leiden; da flehzt er über seine un-
empfundene Verzweiflung; da seufzt er über seine Ver
achtung, über die Sprödigkeit seines Lieblings — da wird
seine zweite Ekloge — — Ein feines L obgedicht auf
Alexis, eine schöne poetische Liebeswerbung — wert eines
schönen Knaben, wert eines Alexis
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BISSEN
CIIILLEUS
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FRAUENBEWEGUNG UND MÄNNLICHE KULTUR
an hört vielfach sagen die Kultur der Menschheit
steige auf einer Schrauben linie emp or. Die Me nsch
heit kehrt scheinbar immer wieder an die alte Stelle
zurück in der Tat ist sie aber eine Schrau benw indun g höher
gestiege n. Die Richtigkeit dieses Satzes laßt sich auf zahl
reichen Gebieten nachw eisen. Wir wullen uns heute mit
der Stellung der Frau zu verschiedenen Zeiten befassen so
wie mit der durch die Stellung der Frau bedingten zu ver
schiedenen Zeiten gegebenen Lösung des geschlechtlichen
Problems.
Die Stellung der Frau in der heutigen Zeit ist durch die
schroffsten Widersp rüche gekennzeichnet. Erscheint die Frau
einmal als die Beherrscherin des Mannes der er sklavisch
jeden Wu nsch erfüllt erscheint sie gelegentlich als sein
Dämon der ihn zu allen möglichen Torheiten oder gar
zu Verbrechen treibt ohne daß er sich ihrem teuflischen E in
flüsse zu entziehen v ermöchte su ist sie anderseits> wieder
des Man nes entrechtete Dienerin die sich von ihm ihre Ge
setze vorschreiben lassen muß ohne daß ihr Einfluß irg end
wie in das Gewicht zu fallen vermöchte. Ist einerseits die
Frau als Mutter als Schwester als Gattin als Tochter dem
Manne der Gegenstand höchster Verehrung der mit allen
Mitteln vor jedem Angriffe g eschützt w erden muß so ist
ihm anderseits die ferneistehende Frau nur der Gegenstand
seiner sinnlichen Leidenschaft den er mit allen Mitteln s ei
ner Lust dienstbar zu machen sucht. Und mit ebensoviel
27
M
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o o ER EIGENE o o
Hochachtung begegnet unsere Gesellschaft dem Manne der
möglichst viele ehrbare Frauen hohnlachend ihrer Unschuld
beraubt und vielleicht dem Dirnentume in die Arme geführt
hat wie sie Mißach tung hat für die ung lücklichen Opfer
seiner Genußsucht.
im engsten Zusam menha nge mit dieser zwiefach ver
kehrten einerseits bevorrech teten and rerseits rechtlosen Stel
lung der Frau in unserer heutigen Gesellschaftsordnung steht
das brennende Erfordernis einer befriedigenden Lösung des
geschlechtlichen Problems. Unter dem geschlechtlichen Pro
blem versteht man gemeinhin die Frage in welcher Weise
der junge Mann seinem Geschlechtstriebe Befriedigung ver
schaffen kann und soll. Der einfachste und natürlichste We g
wäre es natürlich wenn er möglichst jung eine Ehe ein
gehen könn te. Das ist ihm aber in unserer heutigen Gese ll
schaftsordnung geradezu unmöglich gemacht. Denn durch
die Heirat übernimmt er die Verpflichtung nicht nu r für sich
sond ern auch no ch für se ine Gattin und seine Kinder zu
sorgen. Das kann aber ein junger Mann von einundzwanzig
Jahren heutzuiage nur in den allerseltensten Füllen ganz abge
sehen davon daß der Geschlechtstrieb normalerweise bereits
in weit früheren Jahren sein Recht verlangt ohne daß die
Gesetze vorher gestatteten eine Ehe einzugehen :
So ist der junge Mann heu te genötigt durchschn ittlich
fünfzehn Jahre lang nämlich vom fünfzehnten bis zum drei
ßigsten Lebensjahre nach einem anderen Auswege zu suchen.
Solcher Auswege gibt es hauptsachlich drei:
Der eine ist der Verkehr mit der Prostitution. — Die
Gefahren dieses Auswegs sind leider trotz aller Aufklürungs-
versuche noch nicht genügend bekannt so daß man immer
wieder genötigt ist auf sie hinzuweisen. Die Prostitution
ist ein Herd zahlreicher ansteck ender Krankheiten von denen
zwei die Gonorrhoe und die Syphilis bereits den Charakter
schwerste r Volkskrankh eiten angenom men haben. Alle Ver
suche eine Gesundu ng d er Prostitution herbeizuführen vor
allem die berüchtigte polizeiliche Reglementierung der Prosti-
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o o KRAUÜNHEWUUlNt i UNO AUNNI ICUi: KULTUR o o
tutiu n, die sich auf den § 3GI, ü*) des Reichsstrafgcsetz-
buclics stützt, und die geradezu alle Frauen Deutschlands
einein zu Mißgriffen herausfordernden Ausnahmegesetz über
liefert, — ich sage, alle diese Versuche sind bisher v öllig er
folglos geblieben. Der junge Ma nn, der demnach unter
den obwaltenden Umstanden mit einer Dirne geschlechtlichen
Umgang hat, setzt sieh mit großer Wahrscheinlichkeit der
Gefahr einer Anstec kung aus. Und dadurch schädigt er nicht
nur sich selbst, sondern er wird nunmehr zu einer Giftqu elle
für seine gesamte Umgebun g. Man geht deshalb nich t zu
weit, wenn man den Verkehr eines jungen Mannes mit einer
Dirne für leichtsinnig oder verbrecherisch erklart. Leichtsinnig,
wenn er die Tragw eile und die Gefahren seines Handelns
nicht ken nt, verbrecherisch, wenn er über die möglich en
Folgen seines Schrittes hinreichend aufgeklart gewesen ist.
Und dieses harte Urteil kann auch nicht deshalb gemildert
werden, weil die Zahl der jungen Leute eine so große ist,
die sich in verbrecherischer Weise an der Volksgesundheit
vergehen. Vielmehr zeigt diese traurige Tatsache nur, wie
bei diesen schreienden Mißständen dringend Abhilfe geschaffen
werden muß.
Eine große Anzahl anderer junge r Man ner suchen nach
einem anderen, dem zweiten Auswege — und sie veranstalten
eine förmliche Jagd auf ehrbare junge Mädchen . Welch e Ver
antwortung der junge Mann gemeinhin auf sich nimmt, wenn
er solch ein unverdorbenes keusches Geschöpf auf dein
Altare seiner Wollust opfert, dessen ist er sich nur in den
seltensten Fällen bewußt. Und wenn er dieses B ewußtsein
besitzt, so wird es ihn doch kaum abhalten, eine Handlung
zu begehen, die nach unseren heutigen Anschauungen nicht
* ) Mit Haf t wird bestraf : e ine Weibsperson , welche wegen gewerbs
mäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in
dieser Hinsicht zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung
und des öf fent l ichen Auslandes er lasseneu pol izei l ichen Vorschr i f ten zu
widerhande lt , oder w elche, ohne einer solchen Aufs icht unterste l l t zu
se in,
gewerbsmäßig Unzucht t re ibt .
396
o ° ER EIGENE o c
nur für selbstverständlich, sondern sogar für lobenswert
gehalten
wi rd .
Wen n s ich später die Folgen der gedankenlos
verträumten seligen Stunden zeigen, dann wäre vielleicht auch
so manches junge Herrchen g lücklich, wenn es seine Tat unge
schehen machen könnte. Droh t ihm doch heute die gefürchtete
Zahlung der Alimente, — nebenbei bemerkt läßt der Staat den
Mann einen recht geringen Anteil an der Buße tragen, während
er dem sicherlich nicht schuldigeren Weibe neben den Qualen
und der Schande auch noch den größeren Teil der Kosten
aufgebürdet hat. Nich t selten wir d der Versuch gemacht,
durch Fruchtabtreibung die Tat samt den Folgen aus der Welt
zu schaffen, doch abgesehen davon, daß eine n icht vom Arzte
geleitete Fruchtabtreibung kaum ohne schwere Gefahren für
die Mutter verlaufen
w i r d ,
droht hier eine Strafbestimmung,
deren Berec htigung oft genug angezweifelt wurd e und die
schon unsägliches Unheil geschaffen hat. In anderen Fällen
ist der junge Mann von vornherein schlauer gewesen: erg ab
dem unglückseligen Mädchen eine falsche Adresse und einen
falschen Namen an; ist sie schwanger geworden, so bleibt
;
er aus, und alle Bemühun gen seines O pfers , ihn zu find en,
bleiben vergeb lich. Ich leugne nicht, daß es Ausnahm efälle
gibt, wo die Verhältnisse zw ischen Mann und Weib nicht in
so scharfer Weise verurteilt werden dürfen, wie es hier ge-
J schehen ist. Ich erinnere an die „freien E hen ", die , wenn
Sie von beiden Teile n ernst genomm en wer den , durchaus
als Ehen betrachtet we rden müssen. Im allgemeinen aber
treibt der Mann, der ein anständiges Mädchen verführt, ein
gar nicht entschieden genug zu brandmarkendes, frevles Spiel
gerade mit demjenigen Wesen, das ihm das heiligste auf der
We lt sein sollte, mit dem Gegenstande seiner Liebe. Wie
I oft wi rd s olch unglückliches Geschöpf schließ lich, voji Eltern,
Verwandten und Freunden verstoßen, hilflos mit der lebenden
Frucht des Fehltritts herumirrend, von Stufe zu Stufe sinkend,
der Prostitut ion in die Arme getr ieben Man wende nicht
' zu Gunsten des Verführers ein, das Mädche n sei eben so
schuldig, oder, wer sich verführen lasse, sei nicht besser, als
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c o l'KA UI:Nlii:\Vi:(iUN(i UNI) MÄNNLICHE KULTUR o 0 9 7
wer verführe, und was dergleichen mehr ist. Bei einem so
ungleichen Spiele, bei dem der Alaun beinahe nichts, das
Mädchen nahezu alles verlieren kann, ist und bleibt der Mann
der Schuldige. Und wenn sich das Mädchen ihm anb ietet,
und wenn sie ihn verführt, sollte er (im allgemeinen ) die
moralische Kraft haben, im Hinblick auf das kommende Un
heil, das angebotene oder aufgedrängte Opfer abzulehnen
Wenn man sich die hier geschilderten Verhaltnisse ein
mal klar gemacht hat und dann sieht, wie sich Staat und
Gesellschaft ihnen gegenüber verhalten, so kann man
sich eines Scha uders nicht erwehren. Der Staat, der den
Geschlechtsverkehr des Mannes mit dein Manne ohne jeden
erweislichen Grund mit entehrender Strafe bedroht, verbietet
die Verführung eines Mäd chens über sechzehn Jahren durch
keinerlei Strafbestimmuug, und die Gesellschaft prämiiert sie
sogar nicht nur durch die Hochachtung, die sie dem Ver
führer zollt, sondern obendrein dadurch, daß sie den Homo
sexuellen, der nicht die geringste Zuneigung zu einem Weibe
verspürt, geradezu zwingt, die Verführerrolle zu übernehmen.
Kann doch der der Homosexualität „Verdächtigte" im allge
meinen nur dadurch die öffentliche Achtung wiede rerwe rben,
daß er ein unschuldiges Weib durch Verführerkniffe in die
Schand e zu treiben versucht Und so etwas nennt sich
Sittlichkeit
Der dritte Ausweg ist die Befriedigung des Geschlechts
triebes durch Masturb ation. Nahezu alle jungen Männer
masturbieren gelegentlich, viele kennen gar keine andere Art
geschlechtlich er B etätigung. Und damit bilden sie wen igstens
keine Gefahr für die Gesellschaft. Einer desto größeren Ge
fahr setzen sie sich aber selbst aus. Denn für die Mastur
bation gibt es keine Schranke außer der, leider so oft ver
sagend en, Willensenergie. Und so finden wir gerade bei
Onanisten am häufigsten die schweren Schädigungen sexueller
Ausschweifungen. Wir wissen zwar heute, daß die Mastur
bation an sich keine Gefahren mit sich bringt, es sei denn,
daß sie auf gewalts ame W eise betrieben wird. Ihre Schädi-
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gungen ruft sie einzig und allein dadurch hervor, daß sie zu
einem, hier wie überall, unheilvollen Übermaße verführt.
Wir sehen also, daß jede nur mögliche Art der Be
friedigung des Geschlechtstriebs für den jungen Mann oder
sogar für Staat und Gesellschaft schwere Gefahren mit sich
bringt. Das sahen auch denkende Frauen bereits seit
längerer Zeit und sie versprachen sich Abhilfe von der Gleich
berechtigun g der Frau im öffentlichen und privaten Leben.
Es entstand die Frauenbewegung, die, nicht zuletzt , auch
eine Lösung der geschlechtlichen Frage zu geben versucht.
Wenn die Frau, ebenso wie der Mann, von Jugend auf Be
rufsarbeit leistet und nicht mehr vom Manne als ihrem Er
nährer abhängig ist, so wird auch sie an der Ernährung der
Familie zu ihrem Teile mitwirken können und so wird der
Mann bereits in jüngeren Jahren in die Lage kommen, durch
seine Verheiratung die einfachste Lösung der geschlechtlichen
Frage herbeizuführen.
Eine Anzahl aufgeklärter Frauen ging noch weiter. Sie
verlangen Achtung auch für das, hauptsächlich durch die
Schuld der Männer gefallene Weib. Sie sehen auch in der
Prostituierten, in der feilen Dirne noch die Mitschwester, die
man wieder emporheben muß, statt sie durch die allgemeine
Verachtung imm er tiefer in den Sumpf hinabzustoß en. Sie
empfanden besonders in der polizeilichen Reglementierung
der Prostitution eine ungeheure Entwürdigung der gesamten
Frauenwe lt. Und so entstand die gerade von Frauen vielfach
vertretene abolit ionistische Bewegung, die mit der poli
zeilichen Reglementierung auch die Prostitution selbst aus der
Welt schaffen möchte. Die Mittel hierzu können natürlich
durch eine Änderu ng in der Stellung der Frau gewon nen
werden. Ob aber die Frauenbewegung allein ausreichen wird,
um eine durchgreifende Änderung und Besserung herbeizu
führen, das erscheint allerdings im höchsten Grade fraglich.
Verlassen wir jetzt einmal die Gegenwart und betrachten
die Stellung der Frau und den Stand der geschlechtlichen
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o o KRAUEN HI WClillNO UNI» MÄNNLICHE KULTUR o o
Frage im alten Griechenland, so finden wir zunächst, und
das muß uns am meisten auffallen, daß es dort eine g e
schlechtliche Frage in unserm Sinne garnicht gab. Dort war
sie ganz einfach gelöst du rch die gleichge schlechtliche Liebe
der Männer. Es galt dort für ganz selbstverstän dlich, daß
der junge Mann sich in inniger Freuudschft an einen älteren
anschloß, mit dem er auch geschlechtlichen Umgang hatte.
Niemand fand in solchen Verhältnissen damals — und es war
gewiß keine Zeit der Degeneration, sondern eine Zeit höchster
Blüte der Kultur — etwas Unsittliches oder gar „Wider
natürliches". Der ältere der beiden Freunde — die Verhält
nisse bestanden meist zwischen Mann und Jüngling; eine
„Knabenliebe" im deutschen Sinne des Wortes kannte man
natürlich überhaupt nicht — pflegte einen überaus wert
vollen erzieherischen Einfluß auf seinen Liebling auszuüben,
wie uns die Werke zahlreicher Dichter und Schriftsteller
beweisen. Daß unter diesen Umständen einej geschlechtliche
Frage für den Jüngling, also eine geschlechtliche Frage in
unserem Sinne, garnicht aufgeworfen werden konnte, ist klar.
Wie aber war m an zu dieser Lösung des uns so sc hwierig
erscheinenden Rätsels damals gekommenV Auch diese Frage
kann unschwer beantwortet werden, wenn wir die Stellung
der Frau in damaliger Zeil etwas näher betrachten . Da
finden wir denn die Frau in einer noch weit rechtloseren
Stellung als bei uns. Ganz abgesehen vom öffentlichen
Leben, nicht einmal im privaten Leben spielte sie eine irgend
wie beträchtliche Rolle. Selbst die Erziehung der Kinder
ist ihr nur in deren zartestem Alter anvertraut.
Was Wunder, wenn der Mann eine so verachtete Dienerin,
die ihm sein Haus zu besorgen halle, seiner Liebe nicht
würdigte, wenn er diese dem, gleich ihm, gebildeten Ge
schlechtsgenossen schenkte?
Es war also Verachtung des W eibes, die die Liebling-
minne in Griechenland zu dieser heute den meisten Forschern
unverständlichen Blüte brachte.
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o o DER EIGENE o o
Oder sollen wir wirklich glauben, daß damals die ganze
kraftvolle, wie uns die Statuen zeigen, echt männliche Männer
welt Griechenlands aus jenen H al bw ei be rn bestanden habe,
zu denen die lieblingminnenden Männer heute von g ewissen
wissenschaftlichen Autoritäten gestemp elt we rden ? Es gehört
schon eine gewaltige Menge von Einseitigkeit und Verbohrtheit
dazu, um diese Frage zu bejahen. Man denke sich einen
Alcibiades, einen Epaminond as als Urninge im Sinne eines
Ulrichs und seiner Nachfolger und schaudere über die Absur
dität solches Gedankens
War demgemäß die altgriechische Kultur unserer heutigen
im Hinblick auf die Lösung der sexuellen Lage weit voraus, so
steht sie hinter der unseren weit zurück, was die Stellung der
Frau anlangt. Da mußte es denn auch in Alt-Griechenland
schon Strömungen geben, die mit unserer heutigen Frauen
bew egung vergleichbar sind. Hierher gehört in erster Linie
das Hetärentum. Die Hetäre wollte nicht warten, bis ihr ein
Mann die Gnade erwies, sie durch die Heirat zu seiner Sklavin
zu erniedrigen. Sie m achte sich selbstän dig und trat dem
Manne frei gegenüber; auch war sie ihm an Bildung gewach
sen oder überlegen. So konnte denn eine Aspasia als freie
Ehegenossin des Perikles in der Geschichte Athens eine
größere Rolle spielen als alle ehrbaren Hausfrauen und
Gattinnen zusammen genommen. Aber wenn auch das
Hetärentum keine Prostitution im heutigen Sinne w ar, so
dürfte doch die Hetäre niemals da s Ideal der Frau darstellen,
da nur wenige dieser Frauen sich einem Manne an
schlössen, wie es die Frau ja schließlich immer wird tun
müssen, solange die, Familie die Grundlage des Staates
bleibt.
Neben dem Hetärentum finden wir in Griechenland
auch die sapph ische Liebe, die Liebe d er Frauen zu ein
ander. Ursprünglich hand elte es sich dabei offenbar um
eine Gegen strömun g gegen die Lieblingminne der M änner,
eine Gegenströmung, die aber ebensowenig die Frau dauernd
dem Manne entzog, wie die Lieblingminne den Mann von
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o o 1-RAUENIJKWIilJU.Nii UM .UA NNU UII: KUI.TUK o o
der Heirat und der Gründung einer Familie hatte abhalten
könne n. Da der Mann es viellach vorzog, in den Annen
des Freundes statt in denen der Gattin zu ruhen, mußte
das Weib, das sich ja auch nicht frei von der Sinnlichkeit
zu machen vermag, in den Armen der Freundin Ersatz zu
finden suchen.
Das alte Judentum zeigt uns das Ideal des Familien
lebens. Der Mann wurde zur Zeit der Pubertät, d. h. nach
vollendetem dreizehnten Lebensjahre, für volljährig erklärt
und heiratete dann möglichst bald. Das Mädch en wurd e
in noch jüngeren Jahren vermählt, was geschehen konnte,
weil bei den orientalischen Völkern die Pubertät früher
eintritt als bei uns. Eine geschlechtliche Frage konnte unter
diesen Umständen garnicht aufgeworfen werden. Und so
linden wir denn auch, im Gegensätze zu Griechenland, in
Palaestina von der gleichgeschlechtlichen Liebe nur wenige
Andeutun gen. Im Talmud ist, wie mir ein Freund , ein gründ
licher Kenner des Talmud, sagte, von gleichgeschlechtlicher
Liebe überhau pt nichts zu finden, obgleich sonst dort d as
Geschlech tsleben des Menschen mit wahrhaft herzerquicken
der Offenherzigkeit besprochen wird, und gelegentlich, z. B.
über die Masturbation , ganz modern klingende A nsichten
entwickelt werden.
Dieses Vorbild jüdischer Zustände neben der Sinnen
feindlichkeit des Christentums waren es, die die christliche
Gesetzgeb ung in sexuellen Fragen beeinflußten. Heute können
uns aber altjüdische Zustände, so vollkommen sie auch
erscheinen mögen, nicht mehr maßgebend sein, da es bei
uns unmöglich erscheint, den Jüngling zu der Zeit der
Pubertät schon heiraten zu lassen.
Ebensowenig können wir die Wiedereinführung griechi
schen Geschlechtslebens wünschen mit seiner Sklaven
stellung der ehrbaren Frau und seinem Hetärentum. Wir
müssen vielmehr Alles prüfen, von jedem das Beste für uns
402
o o DER EIGENE o o
in Anspruch nehmen, und so die sex uelle Frage zugleich
mit der Frauenfrage zu lösen versuchen.
»
Eine Bewegung, die uns diesem Ziele näher bringen kann,
nannte ich scho n: es ist die Frauenb ewegun g. Indem sie
durch Selbständigmachung der Frau eine Eheschließung für
den Mann in jüngeren Jahren ermöglicht, bringt sie uns alt
jüdischen Zuständen näher. Da aber der altjüdische Zustand
ein für die moderne Zeit unerreichbares Ideal darstellt, bedarf
die Frauenbewegung einer Ergänzung, um eine vollkommene
Lösung der sexuellen Frage zu ermöglichen:
Und diese Ergänzung ist die noch ganz junge Bewegung
für mä nn l ic he Kul tur , d ie durch „Die Ge me ins ch a f t
de r E ig en en und von deren Organ, die Kunstzeitschrift
„Der Eigene , vertreten wird.
Das Wesen beider Bewegungen ist bis heute allerdings
nur einem kleinen Kreise verständlich gewo rden, w ährend
die große Masse ihnen mit höhnischem Lächeln oder gar
mit Haß und Abscheu gegenü ber steht. Dies g ilt für die
männliche Kultur-Bewegung in noch höherem Grade als für
die Frauen beweg ung. Doch auch diese hat noch genügend
mit der allgemeinen Verständn islosigkeit zu kämpfen. Ich
sehe ganz ab von der lächerlichen Phrase, die Frau gehöre
ins Haus. Denn das heißt ja doch, eine jede Frau hat die
Pflicht, einfach weil sie als Weib geboren ist, den Beruf
einer Köchin, Dienerin und Kinderfrau für den Ehemann zu
wählen. Demgem äß müßte zunächst jede Frau, die in einem
bestimmten Alter, sagen wir 25 Jahre alt, noch keinen Mann
gefunden hat, totgeschlagen werden, und femer müßte, da
mit dieses Schicksal nicht allzuvielen Frauen zu Teil wird, die
Vielweiberei eingeführt werden. Außerdem würije unsere
Kultur der Frau als eines wesentlichen Faktors entbehren
müssen, veranlaßt einfach durch eine brutale Gewalttat der
Männer. Die Frauen könnten ja, wenn sie die Macht dazu
hätten, mit gleichem Rechte vom Manne verlangen, daß er im
Hause bleibe, während sie die Ö ffentlichkeit für sich in An-
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o o l-RAUENUi;\VI:
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o c FRAUENBEWEGUNG U.MI MÄNNLICHE KULTUR o o 4Q 5
s e i n e F a m i l i e u n d d e n S t a a t g e f ä h r d e ; d a ß e r n i c h t
J a g d a u f e h r b a r e W e i b e r m a c h e ; d a ß e r a u c h n i c h t
d u r c h m a ß l o s e M a s t u r b a t i o n s i c h in f rü h e r J u g e n d
s e i n e r w e r t v o l l s t e n K r ä f t e b e r a u b e u n d a n d e r D e g e
n e r a t i o n d e s V o l k e s a r b e i t e .
Gewiß wird durch die Bewegung für männliche Kultur
einer Verbreitung der noch vielfach für ein Lasier gehaltenen
Lieblingminne das Wort gere det, aber g erade damit man
bald au thö r t , in ih r e in L a s te r ode r e ine Kr ank he i t zu
se he n Keineswegs aber dürfte diese Bewegung eine* Ver
mehrung der männlichen Prostitution zur Folge haben, wie von
kurzsichtigen Leuten törichterweise befürchtet wird. N ic ht s
i s t m e h r g e e i g n e t , d e r P r o s t i t u t i o n ü b e r h a u p t , d e r
m ä n n l i c h e n w i e d e r w e i b l i c h e n , e i n E n d e z u m a c h e n ,
a l s e i n U m s i c h g r e i f e n d e r L i e b l i n g m i n n e D en n w en n
die m ännliche Jugend ihre Befriedigung im Anschluß an den
geliebten Freund finden wird, br au ch t sie das ekelhafte und
verächtliche Dirnentum n ic ht m eh r. Und darin bildet die
Bewegung für männliche Kultur eine wesentliche Ergänzung
der Frauenb ewegu ng und auch der abulitionistischen Be
wegung . Eine männliche Prostitution mit ihrem Erpresser
unwesen, mit ü n Kneipen, die man als Kneipen mit Be
dienung von zarter männlicher Hand bezeichnen mochte,
und dergleichen mehr, konnte ja ü berhaupt nur entstehen ,
weil sich der Homosexuelle heute dem Freunde nicht zu
offenbaren w agt. Mit dem Siege der Bestrebung en für männ
liche Kultur ist die männliche Prostitution so gut wie die
weibliche überflüssig geworden
Die bedauerliche Verwechselung der Bewegung für
männliche Kultur mit der homosexuellen Bewegung war es
wohl auch, die die Staatsanwaltschaft veranlagte, einige
Hefte des „Eigenen" zu konfiszieren und gegen die Bestre
bungen des „Eigenen" Stellung zu nehmen. Sonst hätte sie
ja doch in den Veröffentlichungen des „Eigenen" niemals
eine Verherrlichung der „widernatürlichen Unzucht" erblicken
können. Kann doch ein Blatt, das einen idealen Freund-
Q g o o DER EIGENE o o
Schaftskultus im Sinne der alten Griechen wieder zu schaffen
gedenkt, obendrein eine Kunstzeitschrift, niem als geschm ack
los genug sein, unzüchtige Handlungen, ganz gleich welcher
Art, verherrlichen zu w ollen. So wenig, wie ein Liebes
gedicht eine Verherrlichung des Geschlechtsverkehrs sein
kann, so wenig „Der Eigene" eine solche „widernatürlicher
Unzucht."
Wünscht aber nicht auch die Bewegung für männliche
Kultur die Aufhebung des § 175?
Gewiß wünscht sie auch diese; sie legt aber keinen
H au pt w er t auf diesen Wunsch. So lange die traf-
bestimm ung besteht, wird sie von den A nhängern männlicher
Kultur auch berücksichtigt werden müssen. Die Lieblingminne
b ra u ch t n ic ht zu solchen Handlungen zu führen, wie sie
nach der jetzigen Auslegung des § 175 durch das Reichsgericht
unter Strafe gestellt sind Immerhin kann es gelegentlich
der Fall sein, und da man nicht aufhören wird, in der Liebling
minne ein Laster zu sehen, ehe der § 175 aufgehört hat zu
existieren, darum muß auch vom Standpunkte der Bewegung
für männliche Kultur gegen sein Bestehen entschiedener
Einspruch erhoben werden.
Wenn die Wied ereinsetzu ng de r Lieblingminne in ihre
altgriechischen Rechte, ebenso wie zu damaliger Zeit, auch
ein Aufblühen der Liebe des Weibes zum Weibe zur Folge
hat, so ist das kein Schad e. Vermieden muß aber werd en, daß
die Lieblingminne eine der altgriechischen Stellung der Frau
entsp reche nde Verachtung des We ibes nach sich zieht. Schon
Kupffer betonte, ein wie bedeute nder Faktor d es Lebens die
Mutter ist; er betonte, daß auch als Gattin, Freundin und
Mädchen d as Weib eine Blüte sei, die wir nicht aus dem
Garten des Leb ens verbannt wissen möchten. Dafür zu sorgen,
in diesem Sinne zu wirken, ist d ie Fr au en be w eg un g da.
Frauenbewegung und männliche Kultur, sie sind keine Gegen
sätze, sie ergänzen sich naturnotwendig zu einer brauchbaren
Lösung des geschlechtlichen Problems.
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o o l
:
KAUUN HliW|-:tiUNu UNK A1ANNI.ICIIL. KUI.TUK o o
Auf einer Schraubenlinie schreitet die Menschheit empor.
D i e F r a u e n b e w e g u n g f ü hr t u n s
alt j üdi sehe n, die
B e w e g u n g f ür m ä n n l i c h e K u l t u r z u al t g r i e c h i s c h e n
Id ea len zur ück . Aber e ine Schraubenwindung höher
werden wir gestiegen sein: beide Kulturen verschmelzen
sich zu einer höheren, vollkomm eneren. Nicht mehr allein
das Weib wird den Geschmack des Mannes beherrschen
und von ihm Liebe heischen; sie wird aber auch nicht mehr
seine Sklavin sein, sondern die gleichberechtigte, ebenbürtige
üef. ihrt in. So blüht uns durch Fr au en em an zi pa ti on und
männliche Kultur einst, und hoffentlich in nicht allzuferner
Zeit eine wahrhaft m en sc hl ic he Ku ltur. Nietzsclieaner
mögen sagen, eine übermenschliche.
EDWIN BAß.
ix^^rzjrzA-zjs-zjrzjsn
. SCHWARZE NÄCHTE
l
tu r e sagengrauen Schreckgestalten
Und geheimnisbange Traumgewalten
Furcht ich gleich den allerschiimmsten Hollennächten,
Denn ich weiß, sie kommen nur zu rechten
Mit den reueheißen Seelen.
Tauchen heimlich aus den schwarzen Fluten,
Qualen uns mit ihren Flamnienruten
All, die fühlen mußten ihre grimmen Hiebe,
Wissen, daß man nie den Gutt der Liebe
Darf in schwarzen Nachten suchen I
II
Ruhelos ist meine Seele
Und sie spannt die Flügel weit
Und ihr dehnt sich jede Stunde
Endlos wie die Ewigkeit.
Ihre Heimat geht sie finden
Und wo mag die Heimat sein?
Da, wo alle Wünsche schlafen
Und die Götter gern verzeihn
III
Selten laß ich einen Tag versinken
In des Abends grabesstille Bucht
Ohne, daß ich glaubig es versucht,
Aus dem Born des goldnen Lichts zu trinken.
Selten laß ich eine Nacht verrauschen ^
Die wie eine stumme Frage drängt,
Die Gedanken zu Gedanken zwängt,
Ohne ihre Seele zu belauschen
MAX MAI
Ll
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A K R J A S
Olili U UNÜ ÜliS
SfMRTACUS
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IST ES NÖTIG
n einer steilen Bachriuiie, die von dem mächtigen Firn bis herunter
in das urbare Tal gehl, mäht schon seit Sonnenaufgang ein junger
Mensch da s spärliche Ulerheu. Es ist eine Arbeit, bei der man sich
tummeln muH, wenn sie Inline« soll. Oer schlanke und geschmeidige
Bursche ist flink und geschickt genug, Lr fangt mit der Sense das
bischen Uriin /wischen den l'clstiüiniiiein zusammen, bald mit einem
Fuß auf einer Steinspitze balancierend, bald wieder in dem tosenden
Eiswa sser stehend. Mancher stärkere Mann würde in der pfeilschnell
abschiebenden Flut nur schwer stehen können, aber der junge
Malier spreizt nur ganz leicht die nackten schönen Keine und wiegt
sich noch mit feiner Animii in den
lullen, wenn er einmal von
seinem Staude aus einen ordentlichen Sensenzu g machen kann, jetzt,
zur Mittagszeit, darf er schon auf seine Leistung sto lz sein. Die junge
geizige Bergbauerin, bei welcher er im Dienste steht, will nicht s o bald
etwas ein gehörig es Tagcwcik nennen. Wie er nun gerade wieder
ins Wasser hüpft, tönt ein lachender Schrei vom Ufer her; „Brrrl
Zimperlich bist Du nicht I"
Die grollen, frommen Augen de s Burschen sehen etwas scheu,
dann allmählich mit immer größerer Bewunderung auf den Mann
vor ihm. Dann schiebt plötzlich eine starke Röte in das reizende,
frische Jiingling saiitlilz. In der nächsten S ekunde sitzt der Bursche
bis an die Schultern im Wasser.
„Gehen Sie doch weiter, Herr Es steigt sonst selten jemand da
her uf Ich wollte mir die Kleider nicht uaU m achen. Gehen Sie "
Das klang wie höfliche Bitte und Entschuldigung.
Der Fremde stand eine Weile unschlüssig still. Der prachtvoll
entwickelten Gestalt nach war er nicht viel liber dreißig Jahr alt, den
markanten, edlen Zügen nach alter. Seinen vollen, sinnlichen Mund
umspielte ein etwas verlegenes Lachein, aber die groben, leuchtenden
2ö*
4 2
o o DER EIGENE o o
Blauaugen wichen nicht von dem Burscheu. „Du bist ja doch ein
Junge. Komm nur heraus.*
„Ja, aber —" wendet e der nackte Bursche schamhaft lachend ein.
„Schnell aus dem E iswass er I" befahl der Manu nun sehr strenge.
„Das könnte ja Dein Tod sein. War schade um Dich."
Lediglich aus Folgsamkeit faßte der Bursche einen herzhaften Ent-
schluß. Er sprang empor und setzte sich am Ufer auf einen Stein.
Der Fremde setzte sich ohne seiner lichten Hosen zu achten gleich
neben ihn hin. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihn
dann mit sonderbar fragenden Blicken an. „Weißt Du, daß Du sehr,
sehr schön bist?"
„Schön? " Der junge Mensch erglühte wieder unter dem Leuchten
der großen, blauen Augen. „Sie sind schön, ich nicht."
„Ich?" machte der Fremde eigentümlich überrascht. „Gefall ich Dir?"
Der Bursche nickte zur Antwort. Den Manu abermals anzusehen,
fürchtete er sich. Seltsam erweise bäumte sich die Natur des un-
befangenen Jungen nicht gegen sein Gefühl der Scham und hilflosen
Ergebenheit auf. Es hatte ihm noch nie etwa s so ge schme ichelt, als
daß ihn der Fremde schön fand, dessen ganzes Wesen ihn in wunder-
sam won nige Fesseln schlug. Er verstand sich weder in diesen Augen-
blicken, noch wo llte er sich verstehen. Er fürchtete nur, daß der
Mann fortgehen könnte.
„Wie heißt Du ?" fragte jener nach einer Weile mit weichem
Stimmklang.
„Berti."
„Und was bist Du?"
„Knecht bei einer Bergbäuerin."
„Knecht? Das ist nichts für Dich. Oder wenn schon, dann
mein Knecht. Möchtest Du das sein?"
Dem Burschen w ar wie im Traume. Er brauchte nicht viel zu
überlegen, um innig „Ja" sagen zu können.
„Ja? Dann mußt Du gleich mitkommen.»
„Wohin?"
„Weit hinaus in die Welt. Aber das ist egal. Du bist in gutem
Schutz. Glaubst Du das? "
„Ja," lautete wieder die Autwort.
„So, was sagt Dir, daß ich Dich gut schüizeu werde?"
„Du — Sie sagen es und —"
„Vielleicht gar Dein Herz?"
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o o IST ES NOTIU o o
413
„Ja, Sie erraten es."
„Sag nur Du und Beruhard. Wie herrlich weich Üu bist. Junge)
Ist denn die Hingabe so ganz cchtV Sprich, sprich —.* Bernhard
drängte mit Ungestüm.
„Ich weiU es nicht, Herr, ich weil es nicht, was es ist, dall ich
mir heute gar nicht helfen kann "
„Hist wohl sonst ein recht liebstoller Kater, gelt?" forschte
Bernhard.
„Gar nicht," behauptete Berti ehrlich. „Nicht einmal meine Bauerin
mag ich, die möchte mich heiraten, so arm ich bin."
„Das glaube ich, die setzt Dir wohl tüchtig zu?«
„O ja," entgegn ete Berti beklommen. „So — daß mich alle
Weiber anekeln. Weil ich nicht willig bin, quält sie mich. Immer
redete ich mich aus; Ich will noch warten und —"
„Und?"
„Und — nein, da wollt ich was Sinnloses sagen."
„Sags "
„Nun, jetzt ists mir, als wüßt ichs, daß ich da auf Dich —
auf Sie — aber das kann ja nicht sein. Ich bin närrisch gewo rden.
Mir träumt. Mir nuill träumen "
„So träum nur," sagte B ernhard, seine Hände erfassend. „Träum
nur. Und komm mit."
„Aber," sagte Berti zögernd. „Ich habe mich ja verdungen bis
zu Weihnacht."
„Hast Du vielleicht Vorschuß vom Lohn genommen?"
„Nein — so liederlich bin ich nicht. Jetzt bin ichs freilich, wo
ich so ohne w eiteres Dir nachlaufen niöchl, aber hol mich der
Teufel? wenn —"
„Was?
„Wenn e s eine Sünde ist, daß ich Dir nachlaufe, so fürchte ich drum die
Hölle nicht. Kommst dann gewiß auch hinein. Oder bist Du selber
der Teufel." Es war ihm wirklich ein wenig ernst mit der letzten
Frage
„Wenn ichs war?" (ragte Bernhard amüsiert.
„Dann bitt ich Dich : Verwandle Dich nur nicht. Das war'
mein Tod. Nicht nur wegen des Schreckens mein Tod, sondern aus
Leid. Nicht wahr, Du bist wie Du bist, gilisl Dich nicht anders?»
„Nein. Glaube mir." Bernhards Augen waren feucht gewo rden.
4 4
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Verzeihe mir
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J T S * ^
Berti war still und traumverloren mit in die Stadt gefahren, jed es
liebe Wort, jeden warmen Blick Bernhards erwiderte er zwar mit
hinreichender Herzlichkeit, aber von selber trat er niemals aus sich
hervor. Und so blieb es dann auch in Bernhards vornehmem Jung
gesellenheim. Berti schien seine meiste Seligkeit im Schweig en zu
finden. Erst ließ ihn Bernhard gewähren mit immer reger werdenden
Interesse das Benehmen des neuen Lieblings beobachtend.
Dieser war stark von der Erinnerung beeinflußt, daß er dem
Manne als Knecht folgte. Die fürsorglichste, zartbedachteste Hausfrau
hätte bald mit ihrer heißesten Mühe hinter dem zurück' bleiben müssen,
was Berti in der Bedienung Bernhards aufbot. Der junge M ensch
wußte dabei wunderzart jeden Anschein, als ob er den Herrn hätscheln
wolle, zu verbergen. Wo selbst das feinfühlendste W eib schon Dank
erheischt, fühlte er sich noch als Schuldner. Und das war richtig.
Er schuldete doch Bernhard einen viel höheren Himmel als einen sol
chen jemals ein Mann einem Weibe zaubern kann. Der Verkehr
zwischen den beiden Männern blieb lange harndos, kindisch, wie der
Verlauf ihrer ersten Bege gnun g. Wenn einer m it der Aufrichtigkeit
zurückblieb, so war es Bernhard. Er fühlte unendlich leidenschaftlicher
für seinen Schatz als er dies scheinen ließ. Nur mit dem Aufwand
aller Selbstbeherrschung blieb er in den Schranken, die ihm das un
schuldsvolle We sen Bertis setzte. Bald mußte er einsehen, daß er
anfangs zwischen der Weichheit und Reinheit des Burschen zu schlecht
unterschied. Der gute Junge glühte für den alteren Freund und
fürchtete dabei jed e Berührung desselbe n wie tötlichen Feuerbrand.
Schon bei einem Händedruck Bernhards zitterte er und hob, wie um
das Leben flehend, die Augen. Bernhard beschlo ß zu warten, bis der
andere zutunlicher würde. Er hätte ein freiwilliges, zärtliches Entgegen
kommen Bertis als einen unbeschreiblichen Triumph empfunden. Aber
das Warten dauerte ihm dann do ch zu lange. Berti schien sich mit
den bestehenden Verhältnissen dauernd bescheiden zu wollen.
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o o IST ES NÖTIG o o 4 J5
„Höre," sprach eines Abends nach einer ziemlich alltaglichen
Unterhaltung Bernhard /u dein Burschen. „Ich will jetzt heiraten."
Kr log selbstverständlich. Aber er tat es mit der ern stesten
Miene, und beobachtete dann voll Vergnügen das Entsetzen des
Lieblings. Der arme Junge bemühte sich gar nicht, Schrecken und
Enttäuschung zu verbergen, es wäre ja vergebens gewesen bei der
Wucht dieser Empfindungen.
„Warum?" stammelte er, wobei auch schon seine Augen naß
wurden.
„Ach, das begreifst Du nicht? Ich brauche Liebe." Vollkommener
hätte er den Burschen nicht kränken können. Dieser saß w ie von
einein Keulenschlag taumelnd da. Erst nach einer Weile sagte er
scheinbar ruhig und e rgeb en: „Dann brauchst Du mich ja nicht mehr.*
Dabei erhob er sich auch schon.
„Dich?" Bernhard heuchelte Überraschung. „Unser Verhältnis
bleibt doch »las alte, wenn ich heirate."
:
'
„Deine Frau würde sich bedanken, wenn ich im Hause bliebe."
„Warum? Was besteht Unrechtes zwischen uns?" •..
„Nichts? Du meinst nich ts? Die Frau würde e s bald merken.«,
„Nein Berti. Von mir aus besteht nichts Unrechtes zwischen uns."
„Das glaub e ich Dir aufs Wort, Bernhard. Mich aber bringt diese
unrechte Liebe fast um."
Bernhard lächelte. „Die rechte Liebe zu mir brächte Dich nicht
um, Berti." i
Der Junge verstand ihn nicht. „Was wäre das für eine, die rechte?
1
Nein, die kann es zwisch en uns nicht gehen "
„ü ja, Berti. Das ist diu ehrliche, unverborgen e. Sobald Du
Dich ganz heraus traust mit ihr, ist sie recht und bringt Gluck wie
jede andere, die echt ist."
„Glaubst Du?" fragte Berti zaghaft. Aller dann fuhr er wieder
auf. „Du hast aber vom Heiraten geredet."
„Nun? Wenn Du mich dazu zwingst. Verstehst Du denn
noch nicht —"
Der Bursche lielJ liefe«rötend den Kopf sinken. „O ja," sagte er
leise. „Ich verstehe Dich jetzt, aber — heirate doch lieber Ich
•
gehe wieder."
Jetzt war das E ntsetzen an Bernhard. „Warum?" rief er und
dann brach er schier verzwe ifelnd lo s: „Berti MuH ich Dich denn
4 J6 0 0 DER EIGENE o o
wirklich freigeben. Bringst Du es nimmer dahin, Dich mir ganz zu
schenken. Ich liebe Dich ja über alles in der Welt "
Er schlang seine Arme um ihn. Aber weit mehr als Bertis leise
Abwehr ließ ihn dessen Zittern von der Umarmung ablassen. Die ses
Zittern scheuch te ihn zurück. Es war ihm wie nach einem Frevel
an etwas Heiligen. Die Hände sanken ihm herab, er schämte sich seiner
Tat. Unter einem seltsamen Erblassen der Wangen sank er auf einen
Stuhl. Seine Augen glühten nicht mehr in heißer Leidenschaft, sondern
sahen ehrfürchtig bittend zu dem Burschen empor; .Verzeihe mir,
Berti. Ich sehe, Du b ist zu gut, zu rein für mich "
Und dann geschah dem Mann so unendlich weh und leid. Er
legte den Kopf auf die übereinander gelegten Arme hin und weinte.
Aus Reue, daß er sich an Berti versündigen wollte, weinte er eigent
lich nicht, eher doch aus Schmerz, daß sein Liebling zu heilig, zu un
erreichbar für ihn war.
Berti staunte erst über den Freund, dann kam ein so übermächtiges
Mitleid, wie man es nur für geliebte Menschen empfindet, eine Rührung,
die alles Andere zerschmolz. Er streichelte erst d es Mannes Haar,
dann nahm er desse n Kopf in die Hände. Und dann läch elte er ihn
mit seinem liebreichsten Lächeln an und konnte sich nicht mehr halten,
mußte ihm die Tränen trocknen mit heißen Küssen. Er zitterte nicht
mehr, viel eher beb te der Mann in den m achtvoll überwältigende n
Armen des an deren; „Aber Berti, jetzt bist Du es ja, der — •
- .Ja " klang es mit von allen Bedenken erlösen den freiheitsseligen
Jubel. .Jetzt bin ich es Ich kann nicht mehr anders. Und ich fühl*:
Es ist rechtI Es ist nötigt" DIOQKN.
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steht ganz abseits. Der We g, der zu ihm f ühr t, ist
ein seltsamer, und nac lischaffeiul ist ihm bisher Keiner
darau