Stefan Hägele-Link
Neurologische Klinik
Kantonsspital St. Gallen
Der pathologische Gang
aus neurologischer Sicht
Lernziele
Welche Formen von Gangstörungen
sind klinisch neurologisch
voneinander abzugrenzen
Klassifikation von Gangstörungen
phänomenologisch, hierarchisch,
anatomisch, ätiologisch
Gangstörung bei alten Menschen
Dreischrittige Klassifikation
Normales Gangbild
60. Lebensjahr: 85%
85 Jahre: 18%
„Senile Gangstörung?“
Folgen von Gangstörungen
Sturzereignisse
Eingeschränkte Mobilität
Angst vor weiteren Stürzen
Entwicklung von
cerebrovaskulären Erkrankungen
und Demenz (z.B. Bloem 2000)
Erhöhte Mortalität (Wilson, 2002)
Anatomie und Pathologie von
Gangstörungen
Initiation
Beendigung
Richtungswechsel
Räumliche Orientierung
Umgehung von Hindernissen
Nutt, Horak, Bloem 2011
Zusammenhang Gehen und
mentale Funktionen
Exekutivfunktion, Kognition, Affektion
„Stop walking while talking“
Dual Task Paradigma
Bedeutung frontaler Exekutivfunktion
Demenz bei Parkinsonsyndrom mit
Gangstörung versus Tremordominanz
Klinische Gangprüfung
Anamnese (Stürze, Medikamente?)
Haltung (aufrecht, gebeugt?)
Stand (breitbeinig, eng?)
Gehen (flüssig, Hinken, Schonhaltung?)
Starten (verzögert, Festination)
Schrittlänge (verkürzt, regelmässig?)
Gelenkexkursion (Hüfte, Knie, Fuss?)
Mitbewegungen (vermindert, fehlend?)
Erhebung von Gangstörungen
Klinisch neurologische Untersuchung
Standardisierte Skalen (Berg Balance
Test u.a.)
Freies Gehen
Verschärfte Gang- und Standprüfung
(Romberg, Augenschluss, Strichgang)
Posturale Stabilität (Pulltest)
Verschärfte Gangprüfung
Fersengang, Hackengang, Strichgang
Einbein-, Zweibeinhüpfen
Rückwärtsgehen
Romberg-Test
Schnelles Wenden
Schnelles Gehen
Gehen mit/ ohne Schuhe
Dokumentation von Gangstörungen
Beurteilungskriterien
1. Aufstehen aus einem Stuhl
2. Freies Stehen
3. Einem Stoss widerstehen („pull test“)
4. Start des Ganges, „Freezing“ während des
Ganges
5. Standbasis, Schrittlänge, Flüssigkeit des Ganges,
Armschwingen, Schrittkadenz
6. Bewältigung von Richtungswechsel
7. Spontane Schutzreflexe
Ätiologie von Gangstörungen
Sensible Defizite 18%
Myelopathie 17%
Multiple Hirninfarkte 15% Grosser Anteil
Ungeklärt 14% behandelbarer
Parkinson-Syndrom 12% Krankheiten !
Hydrozephalus 7%
Zerebelläre Störungen 7%
Andere 5%
Psychogen 3%
Toxisch/metabolisch 3% Sudarsky et al.. 1997
Klassifikation
von Gangstörungen I
Anatomisch
(Frontal, cerebellär)
Ätiologisch
(Neurodegenerativ, vasculär)
Phänomenologisch
(Hypokinetisch, spastisch etc.)
Klassifikation
von Gangstörungen II
Hirarchisch
„lowest level“ Periphere muskulo-skelettale,
sensorische Störungen
„middle level“ Spastische Hemi-/Paraparese
Zerebelläre Extrapyramidal-
motorische Störungen
„highest level“ Frontale,subcortikale Störungen
Phänomenologische Darstellung
von Gangstörungen
Schmerzbedingt
Peripher paretisch
Spastisch
Vestibulär
Sensibel
Cerebellär
Dyston/Dyskinetisch
Hypokinetisch
Schmerzbedingte Gangstörung
Verminderte Belastung der betroffenen
Extremität
Schmerzbedingte
Bewegungseinschränkung
„Schonhinken“
Peripher paretische Gangstörung
(z.B. radikuläres Syndrom)
Steppergang (Fallfuss)
Watschelgang
Z. B. Trendelenburgzeichen
Klinisch neurologische Zeichen einer
peripheren Parese (atrophe Paresen
abgeschwächte MER)
Sensorische Gangataxie,
Polyneuropathie
Unsicher, breitbasig, kleinschrittig
Zunahme im Dunklen, unsicherer Grund
Zunahme bei Augenschluss
Klinische Zeichen des Afferenzdefektes (Neuropathien, Hinterstrangläsionen)
Beispiel: Aethyltoxisch, DM, Vit. B12 Mangel, Borrelien, Lues, Paraproteinämie, paraneoplastisch
Spastische Gangstörung
Zirkumduktion
Gebeugter Oberarm
Vermindertes Mitschwingen
Kompensatorische Gewichtsverlagerung
Pyramidenbahnzeichen
Beispiele:Cerebrale Ischämie, Myelopathie,
MS spät Manifestation
Motoneuronerkrankung
Spastischer Gang
Vestibuläre Gangstörung
Abweichen nach einer Seite
Zunahme bei Augenschluss
Positiver Unterbergtest
Zusätzliche Zeichen des vestibulären
Systemes (Nystagmus, Kopfimpulstest)
Beispiel: Neuritis vestibularis
Cerebelläre Gangataxie
Vestibulocerebellum (Wurm, Lobus
anterior)
Breitbasig
Unregelmässiger Schrittzyklus
Beispiel: Aethyltoxisch,
ischämisch, paraneoplastisch
Multiple Sklerose (MS)
Hypokinetisch rigide Gangbilder I
„Schlürfendes“ Gangbild
Verminderte Höhe und Länge der Schritte
Verlangsamung des Gangbildes
Vermindertes Mitschwingen der Arme
Verlangsamte Drehbewegung
Festination (festinare=eilen)
Kinesia paradoxica
Hypokinetisch rigide Gangbilder II
Nach zugrundeliegender Anatomie
1. Basalganglienerkrankungen
Parkinsonsyndrome
2. Frontalhirnerkrankungen
(Breitbasig, Urininkontinenz,
kognitive Störungen, Gangapraxie)
Extrapyramidal motorisches
System und Basalganglien
Braak et al. 2003
Dynamik der Lewy-Pathologie
beim Idiopathischen Parkinson
Syndrom
Normal Parkinson
Nuklearmedizinische
Untersuchung
Idiopathisches
Parkinsonsyndrom
Bei über 60jährigen Prävalenz 1%
In der Schweiz über 15000 Betroffene
Frauen und Männer gleich häufig betroffen
Erkrankungsalter:
10% vor dem 40. Lebensjahr
30% vor dem 50. Lebensjahr
40% zwischen dem 50. Und 60. Lebensjahr
Hypokinetisch rigide Gangbilder III
Nach zugrundeliegender Krankheit
Parkinsonsyndrome
(idiopathisch, atypisch MSA, PSP, CBD)
Vaskuläre Erkrankungen
(Lower Body Parkinsonism)
Normaldruckhydrocephalus (hypokinetisches Gangbild, Inkontinenz, frontale Demenz)
Parkinsonoid nach Neuroleptikatherapie
Dystone/dyskinetische
Gangstörung
Gang begleitet von unwillkürlichen
Bewegungen und Stellungen
Chorea, Dystonie, Dyskinesie
Parkinsonsyndrom mit medikamentös
induzierten Dyskinesien
CAVE: Fluktuation
Aufgabenspezifische Dystonie
Normaldruckhydrocephalus
Psychogene Gangstörung
Normaler Reflexstatus
Intakte Muskeltrophik
Ungewöhnliches sensibles Defizit
„Absonderliches“ Gangmuster
Wenig Stürze mit Verletzungen
Unökonomische Position
Ablenkbarkeit
U.a.
Dreischrittige Klassifikation geriatrischer
Gangstörungen Snijders et al Lancet Neurology, 2007
Klinischer Hauptbefund Spezifischer Test Zusatzsymptome
Klinische Erfassung der Gangstörung
Zusatzuntersuchung Krankheitsverlauf Therapieversuch
Wahrscheinliche Gangstörung
Post mortem Untersuchung
Definitive Diagnose nach Ätiologischer Zuordnung
Therapie I
Kritische Anwendung von Multi-Medikation
Behandlung internistischer Erkrankungen:
Anämie
Vitamin B12-Mangel
Hypothyreose
Osteoporose
Orthostase
Behandlung neurologischer Erkrankungen
Optimale Visuskorrektur
Therapie II
Häusliche Sicherheitsmassnahmen
Gehhilfen
Physiotherapie Evaluation von Gang und Gleichgewicht
Stärkung der Muskulatur der unteren Extremitäten
Gleichgewichtstraining, Erlernen von Kompensationsstrategien
Erlernen eines Heimprogramms
Tragen eines Hüftprotektors:
Reduktion Hüftfrakturen um 50-100%
Therapie III
Angst zu stürzen
Immobilisation verhindern
Dopaminerge Therapie anpassen aber gemischter Effekt auf posturale Kontrolle
„Exercise“ (Ausgleichssport, körpirliche Betatigung). Welches Trainig?
Tiefe Hirnstimulation bei Parkinson?
Cxholinesterasehemmer?
Gangstörung und cerebrovasculäre Erkrankungen?
Die meisten Parkinsonpatienten brauchen
Physiotherapie
7% UK, 60% Niederlande
Gang, Kraft, Beweglichkeit,
Ausdauer, posturale Stabilität,
Gleichgewicht
1981 erste kontrollierte Studie
2004 Guidelines
Movement Disorders 2009