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Die Macht der Sprache Teil II – Online-Publikation Herausgeber: Goethe-Institut Diese Publikation ist im Rahmen des Projekts „Die Macht der Sprache“ entstanden. Sie ergänzt die Buchpublikation: Prof. Dr. Jutta Limbach und Dr. Katharina von Ruckteschell (Hrsg.): „Die Macht der Sprache“. Langenscheidt KG/Goethe-Institut e. V. 2008, ISBN 978-3-468-49408-6. http://www.die-macht-der-sprache.de Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf deshalb der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Goethe-Instituts. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung überspielt, gespeichert und in ein Netzwerk eingespielt werden. Dies gilt auch für Intranets von Firmen und von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen. © 2008 Goethe-Institut e.V., München, www.goethe.de Redaktion: Anita Boomgaarden, Laura Hartz, Rolf Peter Layout: Anita Boomgaarden Bildnachweise: Titelbild: Erich Kapfenberger. Das Bild entstand im Rahmen des Fotowettbewerbs „Die Macht der Sprache im Bild“; Copyright: Goethe-Institut Foto Seite 79 Akademie der Künste: Babak Saed
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Die Macht der Sprache – Online-Publikation
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Laura Hartz, Anita Boomgaarden: „Die Macht der Sprache“ Teil II – Online......................... 7
Sprachbefunde
Ludwig M. Eichinger: Kultursprachen. Bemerkungen zur herrschenden Sprachenlage …… 10
Rainer Enrique Hamel: Sprachimperien, Sprachimperialismus und die Zukunft der
Sprachenvielfalt ………………………………………………………………………..... 15
Ulrich Ammon: Deutsch in der internationalen Wissenschaftskommunikation ………….… 47
Ralph Mocikat: Die deutsche Sprache in den Naturwissenschaften …………………..….… 60
Ulrich Ammon, Peter Eisenberg, Jochen Scholz: Die Rolle der europäischen Sprachen in der
Zukunft – Deutsch-russische Erfahrungen und Perspektiven. Drei Konferenzberichte ….66
Gertrud Reershemius: Jiddische Wörter in der deutschen Sprache ………………………… 75
Sprachprägungen
„After Babel“ – Eine künstlerische Intervention zur Macht der Sprache von Babak Saed … 80
Muttersprache – Vaterland. Zusammenfassung einer Podiumsdiskussion mit Krysztof
Czyzewski, Volha Hapayeva, Marius Ivaškevičiu und Andrej Kurkow; Moderation: Martin
Pollack ………………………………………………………………………………...… 81
Marica Bodrožić: Die Luft der Wörter – Über Sprache und Identität ……………………… 85
Joel Walters: Sprache und Identität im mehrsprachigen Israel …………………………….. 88
Die Macht der anderen Sprachen – Zum Einfluss multilingualer Medien. Beiträge aus einem
Podiumsgespräch mit Suliman Aktham, Astrid Frohloff, Sybille Golte und Oliver Hahn;
Moderation: Peter Koppen …………………………………………………….………... 96
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Sprachstrategien
Ján Figel: „Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit“ – Arbeitsansätze der CICEB
…………………………………………………………………………………….……. 100
Die Globalisierung mit nationalen und regionalen Identitäten kompatibel machen – Welche
Rolle kann das Deutsche dabei spielen? Statements aus einem Podium mit Georg
Boomgaarden, Emil Brix, Gerhard Leitner und Georg Schütte; Moderation: Alfred
Eichhorn ……………………………………………………………………………….. 108
Hartmut Retzlaff: Integration durch Sprache – Interkulturelle Bildungsförderung in Europa.
Zusammenfassung eines Konferenzbeitrags ……………………………………...…… 110
Sprachenschutz in Frankreich und Deutschland. Beiträge zu einer Podiumsdiskussion mit
Jean-François Baldi, Jean-Claude Crespy, Jutta Limbach und Jürgen Trabant;
Moderation: Maik Meuser …………………………………………………………...… 112
Uwe Rau: „CIA – Hier können Sie Karriere machen“ – Sprachenpolitik in den USA fünf
Jahre nach dem 11. September 2001 ……………………………………………………120
Sprachvermittlungen
EUNIC Brüssel: Mehrsprachigkeit in Europa – hin zu einer besseren Praxis. Empfehlungen
zum Erlernen von Sprachen in der Europäischen Union …………………………….… 126
Heidi Byrnes: Wer hat Angst vor Englisch? Nachdenken über Deutschlehren und -lernen in
den USA ……………………………………………………………………………..… 132
„Soll die EU die englische Sprache zu ihrer einzigen Arbeits- und Verhandlungssprache
erklären?“ Beiträge der Landessieger im Wettbewerb „Jugend debattiert international“:
Denys Chernyshenko (Ukraine), Jakub Štefela (Tschechien), Milda Vikut÷ (Litauen) und
Inese Zepa (Lettland) ………………………………………………………………...… 140
Fumiya Hirataka, Katsumi Kakazu: Japanischunterricht in der globalen Gesellschaft von
heute ………………………………………………………………………………….... 142
Lachlan MacCallum: Staatsbürgerliche Erziehung – Erfahrungen aus dem National Centre for
Languages (CiLT) ………………………………………………………………..……. 150
Ana Maria Baracaldo: Mehrsprachig – the treasure I’ve found. Gewinnerrede des
Publikumswettbewerbs „Der Preis: Die Macht der Sprache“ (2. Platz) ……….……… 159
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Sprachanmerkungen
Autorenindex …………….………………………………………………………..……….. 161
Literaturhinweise ……………………………………………………………………….…. 168
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Vorwort
Laura Hartz, Anita Boomgaarden
„Die Macht der Sprache“ Teil II – Online
Macht, Gewalt, Ohnmacht, Allmacht, Ermächtigung und Identität im Kontext von Sprache;
diese und viele weitere Aspekte hat das Goethe-Institut gemeinsam mit dem Stifterverband
für die Deutsche Wissenschaft 2006 und 2007 in dem Projekt „Die Macht der Sprache“
aufgegriffen. In über zwanzig Projekten weltweit wurde das Thema in seiner jeweiligen
regionalen Bedeutung präsentiert.
Viele Beiträge aus diesen zwei Jahren intensiver Beschäftigung mit der Macht der Sprache
finden Sie nun auf diesen Seiten, ergänzend zu der im Langenscheidt Verlag erschienenen
Buchpublikation „Die Macht der Sprache“.
Professor Ralph Mocikat erläutert seine Argumente für Deutsch als Wissenschaftssprache,
Professor Peter Eisenberg von der Universität Potsdam setzt sich kritisch mit dem Thema
Sprachpflege auseinander und Sprachwissenschaftler aus aller Welt weisen auf die
sprachlichen Gegebenheiten in Ihrer Heimat hin. Die Kontroverse zwischen Muttersprache
und Vaterland, die besonders in Osteuropa nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion
evident geworden ist, war Thema einer Podiumsdiskussion, die diese Publikation neben vier
weiteren Podien zusammenfassend aufgenommen hat.
Es ergeben sich Einblicke in die Sprachpolitik unterschiedlicher Länder. So fragt
beispielsweise Heidi Byrnes von der Georgetown University in ihrem Beitrag: „Wer hat
Angst vor Englisch? Wie und warum werden welche Sprachen in den USA gelernt?“. Die
Veränderungen in der amerikanischen Sprachenpolitik fünf Jahre nach 9/11 wurden in einem
Symposium in Nashville untersucht und hier zusammengefasst.
Beiträge aus Rom, Moskau und Brüssel befassen sich mit der komplexen Sprachlandschaft
Europas, unter anderem geht es um jiddische Wörter in der deutschen Sprache und die
Debatte um die europäische Mehrsprachigkeit.– etwa bei den Landessiegern von Jugend
debattiert international oder bei EUNIC, den European National Institutes for Culture in
Brüssel. Aber auch der Fremdsprachenunterricht aus Sicht der Japaner wird erläutert.
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Erleben Sie den Facettenreichtum der „Macht der Sprache“ nun also selbst!
„Mit allen Sprachen kann man sich in der Welt zurechtfinden, in der sie zu Hause sind. Die
Welt, in der Sprachen zu Hause sind, ist aber nicht nur nicht gleich, sondern geradezu
unvergleichlich.“
(Ludwig M. Eichinger)
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Kultursprachen
Bemerkungen zur herrschenden Sprachenlage
Ludwig M. Eichinger
Was macht eine moderne Sprache aus? Wie auf allen Märkten gibt es auch auf dem Markt für
Sprachen Angebote unterschiedlicher Art. Mit seiner Muttersprache hat man normalerweise
keine Wahl, aber wenn man die Wahl hat, dann gibt es in der heutigen Welt eine nicht allzu
große Gruppe von Sprachen, die sich insgesamt für die verschiedenen Ansprüche als
brauchbar erwiesen haben. Die größeren europäischen Sprachen gehören alle zu diesem Typ,
auch das Deutsche.
Auch Sprachen, die im Prinzip diese Anforderungen erfüllen, haben erkennbar einen
unterschiedlichen Geltungsbereich und verschiedene Gebrauchsschwerpunkte. So hatte das
Deutsche im 19. Jahrhundert einen herausgehobenen Ruf als Sprache der Wissenschaft, das
Französische als Sprache der Diplomatie. Der Aufstieg des Englischen als internationale
Verkehrssprache hat die Stellung der anderen Sprachen in dieser Hinsicht deutlich verändert.
Aber was sind die Voraussetzungen dafür, zum Club der modernen Sprachen zu gehören?
Sprachen sind vergleichbar
Für den Linguisten und für das Kind, das ohne Weiteres seine Muttersprache lernt, sind alle
Sprachen gleich gut. Sie haben alle das, was man von einer Sprache erwarten kann. Und das
gilt auch ganz unabhängig davon, ob es sich um Sprachformen handelt, die wir gemeinhin als
Sprachen bezeichnen, oder um Dialekte. Es ist nicht so, dass sich die Sprachen danach
unterscheiden ließen, ob sie von Haus aus besser oder schlechter dazu geeignet wären, sich
den Aufgaben zu stellen, deren Erfüllung man mit Fug und Recht von einer Sprache erwartet.
Sprachen, die uns Europäern fremd erscheinende Techniken benutzen – etwa große Zahlen
schwer überschaubar wirkender grammatischer Kategorien wie die afrikanischen
Klassensprachen –, erfüllen diese Anforderungen ebenso wie unsere europäischen Sprachen,
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auf die auch unsere grammatischen Beschreibungen in erster Linie ausgerichtet sind. Offenbar
sind Sprachen aber dennoch nicht gleich, sondern stellen unterschiedliche Ausformungen
dessen dar, was wir eine Sprache nennen. Und auch hier gibt es welche, die sich aus
verschiedenen Gründen ähnlicher sind als andere: nicht umsonst spricht man von
Sprachfamilien. Seit die Vielfalt der Sprachen in den Blick geraten ist, wird daher versucht, in
die strukturellen Unterschiede ein typologisches System zu bringen. Was Europa und den von
ihm historisch beeinflussten kulturellen Raum angeht, so kann man an dieser Stelle sogar
feststellen, dass sie sich ähnlicher geworden sind, als man das von ihrer genetischen Art her
vermuten würde.
Sprachen sind unvergleichlich
Mit allen Sprachen kann man sich in der Welt zurechtfinden, in der sie zu Hause sind. Die
Welt, in der Sprachen zu Hause sind, ist aber nicht nur nicht gleich, sondern geradezu
unvergleichlich. Der sprachliche Austausch in kleinen, in vielerlei Weise eng miteinander
verknüpften Gruppen, der zudem kaum auf schriftlichen Austausch angewiesen ist, mag in
mancherlei Hinsicht als die „dialogische“ Grundkonstellation gelten, von der wesentliche
Merkmale von Sprache und Sprachen geprägt werden. Von daher kann man ganz
grundsätzliche Dinge ableiten. Zum Beispiel, dass in irgendeiner Weise auf die beiden Partner
des Dialogs und das, worüber geredet wird, systematisch Bezug genommen werden kann, was
sich etwa im System der Personalpronomina oder entsprechender Flexionsendungen
niederschlägt.
Sprachen, die das Bild der heutigen Welt prägen, sind unterschiedlich weit, aber weit
davon entfernt, mit diesem Bild einer vermeintlich natürlichen Kommunikation angemessen
beschrieben werden zu können. So haben wir auch nicht zu Unrecht das Gefühl, Sprachen wie
das Deutsche bestünden eigentlich aus einer Menge von sprachähnlichen Erscheinungen, die
miteinander das Bild einer Sprache prägen. Diese Kultursprachen haben in dieser Hinsicht die
Gemeinsamkeit, dass sie eine eigene schriftsprachliche Form entwickelt haben, neben der in
unterschiedlicher Funktion gesprochene Varianten stehen.
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Sprachen haben ihren eigenen Charakter
Bei einem so gearteten Blick auf unsere Sprachen fällt auf, dass die Unterschiede nicht
hinreichend erfasst sind, wenn sie als unterschiedliche Ausprägungen sprachlicher Systeme
beschrieben werden. Und diese Art der Beschreibung reicht auch nicht, weil sie
verschiedenen Zwecken unterliegt. Wie „Sprachen“ eingeschätzt werden, hängt nämlich nicht
nur davon ab, welche strukturellen Eigenheiten sie haben und in welchen Kontexten sie
sinnvoll genutzt werden. Vielmehr werden sie als soziale Symbole eingeschätzt; sie
unterliegen der Einordnung in ein Normengefüge, das seinen Wert nur behält, wenn es in
vertretbarem Ausmaß geteilten gesellschaftlichen Vorstellungen entspricht. Und so machen
wir traditionell Unterscheidungen, die jeweils verschiedene Aspekte dieses Gefüges
aufnehmen. Welche Rolle dabei Fragen der Deutungsmacht und ihrer realen Voraussetzungen
spielen, lässt sich an der gern zitierten Äußerung ablesen, dass Sprachen Dialekte mit einer
Armee und einer Flotte seien. Dass diese die Objektivität solcher Termini relativierende
Äußerung ursprünglich auf Jiddisch formuliert wurde, passt zweifellos zum beschriebenen
Sachverhalt: „A shprakh iz a diyalekt mit an armey un a flot".
Moderne Charaktere
Sind dann Sprachen, die ein der Moderne angepasstes Wesen zeigen, einfach die Sprachen
mit den größeren Armeen und Flotten? Ja und nein: Natürlich spielt es eine Rolle, wie der
muttersprachliche Hintergrund einer Sprache aussieht. So ist es sicherlich mehr als Zufall,
dass das Lateinische, das Französische und das Englische ihre Bedeutung jeweils aus
historischen Konstellationen bezogen, hinter denen wohl gleichsam äußere Macht und
intellektuelle Kraft standen. Der Vergleich der heutigen Situation mit den früheren
Verhältnissen hinkt allerdings erheblich. Im Unterschied zu dem kulturellen Umfeld, in dem
die beiden genannten früheren Sprachen den Höhepunkt ihrer Geltung erreichten, ist in der
Zwischenzeit etwas geschehen, was einer größeren Zahl von Sprachen die gleichen
Möglichkeiten eröffnen würde. Die Emanzipation der (europäischen) Volkssprachen und ihre
Festigung als Nationalsprachen spiegelt die zunehmende Teilnahme ihrer Sprecher am
öffentlichen Diskurs. Für den zentralen europäischen Raum und seine Sprachen vom
Italienischen bis zum Schwedischen und vom Portugiesischen bis zum Russischen ist dieser
Zustand bis hin zum Ende des 19. Jahrhunderts hin abgeschlossen.
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Notwendige Erfahrungen
Solche Erfahrungen haben jene Sprachen gemacht, die man als „Kultursprachen des
europäischen Typs“ bezeichnen könnte. So lässt sich als eine der Voraussetzungen für
„moderne“ Sprachen festhalten, dass sie den unbestrittenen Status von Nationalsprachen
haben sollten. Nationalsprachen haben eine weitgehend normierte oder zumindest gut
beschriebene und tradierte schriftliche Form. Diese Eigenschaft sichert nicht nur die
Lernbarkeit einer Sprache, sie ist auch ein Garant dafür, dass die wichtigen Dinge unserer
Welt in dieser Sprache schon besprochen worden sind. Es muss sich daher nicht um eine Art
von Schreiben handeln, das mit verschiedensten Sachverhalten in verschiedensten Stilen fertig
werden kann. Am besten ist dieses Kriterium von den großen Sprachen des europäischen
Typs erfüllt worden, die mit der Entfaltung einer Welt von gedruckten Büchern, Zeitungen,
Zeitschriften und dergleichen selbst groß geworden sind. Doch was bei dieser Entwicklung
nebenher geschehen ist, ist nicht weniger wichtig: Beiläufig sind den großen Sprachen auf
diesem Wege geteilte Traditionen des Sprechens und ein im gegenseitigen Austausch
entwickelter gemeinsamer Wortschatz zugekommen. Das zeigt sich am deutlichsten in dem
Teil des Bildungswortschatzes, der uns eine Vielzahl wissenschaftlicher und fachlicher
Phänomene in der Form lateinisch-griechisch wirkender Wörter in den verschiedenen
Sprachen nahebringt, von „Hypersensualismus“ bis „Diskothek“. Zur Erlangung eines
adäquaten Grades von Modernität war auch wichtig, dass es in all diesen Fällen gelungen ist,
praktisch alle Muttersprachler an der Lese- und dann auch Schreibfähigkeit in der eigenen
Sprache in angemessener Weise zu beteiligen. Die Untersuchungen zu Briefen, die deutsche
Auswanderer im 19. Jahrhundert in die Heimat gesandt haben, zeigt deutlich, welch langer,
mühseliger und mäandernder Weg dabei zurückgelegt wurde. Die andere Seite dieser
Entwicklung ist, dass solche Sprachen eine der schriftlichen Form in weitem Umfang
entsprechende, vereinheitlichende Sprechform gefunden haben. Ob dazu im Einzelnen die
Sprachform einer dominanten Schicht oder Region (wie in England oder Frankreich) oder
eine Art Kompromissform gewählt wird, die einem bildungsbürgerlichen Konsens entstammt
(wie eher im Deutschen), ist zweitrangig. Diese Sprachform sollte zudem ihren problemlosen
Platz in den Medien haben – und zwar für Themen aller Art.
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Ein neues Problem
Um alle diese Anforderungen zu erfüllen, braucht es aber eine größere Gruppe an Menschen,
die eine Sprache als Muttersprache teilen, und es braucht ein gewisses Maß an Ausgreifen
dieser Sprachen in großräumigere Zusammenhänge. Das ist das Problem von
Minderheitensprachen, bei denen man sich recht häufig dazu gebracht sieht, außerhalb eines
engeren Alltags auf eine größere Sprache zurückzugreifen. Zum Beispiel im Sorbischen, bei
dem es ja nicht einmal an schriftsprachlichen Traditionen fehlt. Gab es aufgrund dieses
Zusammenspiels von Faktoren Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts einen im Prinzip
gleichwertigen, wenn auch in der Größe variierenden, Anteil an „Minderheitensprachen“ an
einem nationenübergreifenden Sprachenmarkt, so hat sich dies heute geändert. Aus
verschiedenen Gründen ist das damals alle Schichten prägende Modell der Mehrsprachigkeit
in den größeren europäischen Sprachen nicht mehr zeitgemäß.
An die Stelle eines einigermaßen eurozentrischen Modells von Eliten, deren
Mehrsprachigkeit sich auf einige dieser Kultursprachen bezog, ist ein Modell mit einer
Muttersprachebene und einem internationalen Englisch getreten. Das hat damit zu tun, dass es
nicht mehr nur um den geografischen Raum geht, der von diesen europäisch-amerikanischen
Sprachen abgedeckt wird. Drei Dinge sind in der derzeitigen Übergangsphase zu solch einem
Modell unklar. Zum einen ist das Englische, das unter anderem eine europäische
Kultursprache darstellt, im weltweiten Gebrauch zu einem sprachenübergreifenden
Passepartout geworden, das sich wegen der Reduktion auf diese Funktion von den kulturellen
Traditionen des Englischen gelöst hat. Zum anderen stellt sich die Frage, wie eine vernünftige
Mehrsprachigkeit auf dieser Basis aussehen könnte, wie die Rolle von Kultursprachen neben
und unter dem Englischen als Sprache der internationalen Kommunikation aussehen könnte.
Und drittens ist dadurch neu zu klären, wie man sich eine vernünftige funktionale Interaktion
zwischen den verschiedenen Sprachtypen vorstellen könnte.
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Sprachimperien, Sprachimperialismus und die
Zukunft der Sprachenvielfalt
Rainer Enrique Hamel
1. Sprache und Macht
Am 1. August 2010 wird ein Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der unter dem
Namen „Amtssprachengesetz“ die Gleichstellung des Deutschen und Englischen als
Amtssprachen in der Bundesrepublik besiegeln soll. Paragraf 1 legt fest, dass in den
Verwaltungsbehörden von Bund, Ländern und Kommunen die deutsche und die englische
Sprache gleichgestellt werden. Die folgenden Paragrafen legen dieselbe Bestimmung für
Gerichte, Schulen, Wissenschaft und Forschung, Rundfunk und Fernsehen fest. Jede einzelne
Institution kann bestimmen, welche der beiden Sprachen in ihrem Wirkungsbereich
verbindlich zu benutzen ist, womit die Wahl wohlgemerkt nicht beim einzelnen Bürger liegt,
sondern letzten Endes wieder beim Staat. Eine Übergangsregelung in Paragraf 6 bestimmt,
dass Bürgerinnen und Bürger, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, nach Inkrafttreten
dieses Gesetzes noch für die Dauer von fünf Jahren gegenüber Ämtern und Gerichten
berechtigt sind, die deutsche Sprache zu verwenden. Anfallende Übersetzungskosten haben
sie selber zu tragen. Obwohl in dem Gesetzeswerk sonst eigentlich die „freie“ Sprachwahl
festgelegt wird, deutet sich schon an, in welche Richtung die Sprachentwicklung läuft. Bald
wird die normale, praktisch unvermeidliche Amtssprache das Englische sein, und Deutsch
partizipiert nur noch als stigmatisierte, klar benachteiligte Minderheitensprache.
So steht es in dem Roman „Der verkaufte Mund“ von Kurt Gawlitta, Jurist, Pädagoge
und Sprachverteidiger, der für die allernächste Zukunft die Durchsetzung der englischen
Sprache mit allen Mitteln der medialen Persuasion bis hin zur kriminellen Brachialgewalt der
Multinational Corporations voraussagt. Literarische Fabel, Hirngespinst, Besessenheit eines
verschreckten, konkurrenzunfähigen Kleinbürgertums? Oder realistische Zukunftsperspektive,
ein Aufrütteln des Bewusstseins unserer Bürger, wie es der Roman beabsichtigt, um einer
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schleichenden, bösartigen Epidemie der sprachlichen Unterwanderung noch im letzten
Moment Einhalt zu gebieten? Im letzten Moment, so geschieht es in dem Roman, wird das
Gesetz im Bundestag nach einer Parlamentsschlacht mit mafiösem, zutiefst korruptem
Hintergrund gerade noch einmal abgeschmettert.
Liegt dem Weltbild des Autors ein vereinfachtes Verständnis sprachlicher
Verhältnisse zugrunde – so funktionieren Sprachverdrängungsprozesse nicht –, wie es manche
deutsche Linguisten dem Verein Deutsche Sprache e. V. vorwerfen, dessen prominenter
Vertreter Gawlitta ist? Müssen wir uns andere Verteidigungsmethoden einfallen lassen, falls
wir denn mit einem Monopol des Englischen nicht einverstanden sind? Oder sollten wir im
Gegenteil beherzt auf die Anglisierung unserer Welt zuschreiten, die das Stigma sprachlicher
Zweitklassigkeit und den Fluch babylonischer Sprachverwirrung von uns zu nehmen
verspricht? Endlich – wieder (?) – sich mit allen verständigen zu können! Sollten wir dem
Leitbild des englischen Sprachfuturologen David Graddol folgen, der im Auftrag des British
Council in seinem letzten Opus „English Next“ beschreibt, wie das Englische demnächst
aufhören wird, weltweit eine Fremdsprache zu sein – dann allerdings auch nicht mehr den
anglofonen native speakers gehören wird (Graddol 2006), die, sollten sie einsprachig bleiben
und sich auf die Macht „ihrer“ Weltsprache verlassen wollen, schon bald empfindliche
Nachteile verspüren werden?
In anderen Weltregionen mit scharfen wirtschaftlichen und politischen Kontrasten
stellen sich die Fragen der Sprachdominanz nicht unbedingt in der gleichen Weise. An der
US-mexikanischen Grenze – einer der dramatischsten Trennungslinien zwischen Erster und
Dritter Welt, dort wo die USA heute eine neue Berliner Mauer, so die Kritiker, aufzubauen
beginnen – stellt sie die Sprachenfrage ganz anders. Fast niemand auf der mexikanischen
Seite spricht Englisch, auf der US-amerikanischen jedoch sprechen Abertausende Spanisch.
Spanisch „erobert“, dank millionenfacher Migration von Arm nach Reich, die Südweststaaten
der USA, eine „reconquista lingüística y cultural“ der durch Krieg und Annexion im
19. Jahrhundert verlorenen Gebiete bahnt sich an.
Die Entwicklungstendenzen der Sprachen, so scheint es, sind wie so viele andere
Aspekte unserer Welt in den letzten Jahrzehnten außer Rand und Band geraten. Das heißt
zunächst einmal, dass unsere traditionellen Erklärungsmodelle nicht mehr hinreichen, den
rasanten und sich anscheinend ständig beschleunigenden Wandel adäquat zu erklären. Die
zentralen Fragen, die hinter der Dynamik von Sprachenvielfalt stehen, haben sie jedoch nicht
derart verändert. Eine, vielleicht nicht die einzige, bezieht sich auf die Ausdifferenzierung und
die Handlungsperspektiven von Menschen in ihrem sozio-kulturellen Lebenskontext, die
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wenigstens zum Teil in dem Kaleidoskop von Sprachen zum Ausdruck kommen: Wie können
wir, das heißt 6.500 Sprachgruppen, Ethnien, Minder- und Mehrheiten in einer Welt von
200 Nationalstaaten und den sich nur zögerlich entwickelnden regionalen
Integrationsgemeinschaften, jetzt und in Zukunft friedlich zusammenleben? Die
Zahlenrelation zwischen Sprachgruppen und Staaten zeigt unschwer auf, dass es heute fast
keine einsprachigen Nationalstaaten gibt und dass in den allermeisten unter ihnen
unweigerlich unterschiedliche Sprach- und Kulturgruppen lernen müssen, zusammenzuleben.
Dem steht jedoch das immer noch schwer auf uns allen lastende, sehr europäische Ideal des
homogenen und möglichst einsprachigen Nationalstaats des 19. Jahrhunderts entgegen, der
sich entweder vom Staat zur Nation wie in Frankreich oder von der Nation zum Staat wie in
Deutschland zu entwickeln hat.
Ereignisse in den letzten Jahren, so in Frankreich, Spanien und der Bundesrepublik
Deutschland, haben uns ja auf dramatische Weise gezeigt, bis zu welchem Grad ideologisch
bestimmte Annahmen über schon erfolgte Integrationsprozesse von einem Tag auf den
anderen zerstieben und rasch zur Makulatur werden. Wie viel Zeit haben wir verloren, weil
wir uns alle an lieb gewonnenen Illusionen der Vergangenheit orientierten? Das
Nationalstaatenkonzept wurde bekanntlich samt seiner ideologischen und kulturellen
Implikationen auch den ehemaligen Kolonien europäischer Imperien in Afrika, Asien und
Lateinamerika aufgebürdet, so dass dort zu den jeweils lokalen Schwierigkeiten die von
Europa importierten Probleme des Zusammenlebens in einer europäisch definierten Polis
noch hinzutreten.
In soziologisch definierten Organisationsformen zusammenzuleben bedeutet immer
auch, Macht auszuüben und Machtausübung zu verspüren. Welche Rolle spielen Sprache,
Sprechen, Diskursformen oder Mehrsprachigkeit im Kontext dieser Machtrelationen im
Zusammenleben zwischen Andersartigen, zwischen Identität und der anthropologisch
definierten Alterität? Die Hypothese einer Beziehung von Sprache und Macht geht auf eine
viel grundlegendere Annahme der reziproken Beeinflussung von Sprache und Gesellschaft
zurück. Oder, radikaler formuliert, ist Sprache nicht schon immer gesellschaftlich? Kann man
Sprache und (den Rest von) Gesellschaft überhaupt voneinander trennen oder sollten wir nicht
besser von einer Genese, einer interaktiven Konstitution von Sprache und anderen
gesellschaftlichen Phänomenen ausgehen?
Sprachdiffusion und Sprachverdrängung bis hin zum Sprachentod stellen heute die
hervorstechendsten Ausdrucksformen der weltweiten Sprachdynamik und Globalisierung dar.
Gleichzeitig gehören sie zu den klassischen Themen der Soziolinguistik und
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Sprachsoziologie. Im Zusammenhang unseres Themas können wir nun die Hypothese der
reziproken Beziehung und der gesellschaftlich-sprachlichen Konstitution von Wirklichkeit
genauer formulieren. Eine sprachsoziologische Hypothese besagt, dass die Ausbreitung einer
Sprache Ausdruck der hinter ihr stehenden Machtpotenziale ist. Imperiale Mächte zwingen
den von ihnen beherrschten Nationalitäten und Volksgruppen ihre Sprache auf.
Wenn die internationale Ausbreitung von Macht in der Entstehung großer Imperien
und der Entwicklung des Imperialismus zum Ausdruck kommt, welche Rolle spielen dann
imperiale Sprachen in der Ausbreitung und Stabilisierung von Imperien? Und umgekehrt,
welche Auswirkungen hat die Entwicklung von Imperien auf die Ausformung ihrer Sprachen?
Gibt es Imperien ohne Sprachdiffusion? Gibt es Sprachdiffusion ohne Imperien oder
Imperialismus? Gibt es heute einen modernen Imperialismus, der nicht mehr auf territorialer
Herrschaft und wirtschaftlicher Ausbeutung, sondern auf kultureller, ideologischer und
sprachlicher Dominanz aufbaut?
In der Diskussion um die Rolle der Sprache in der Entwicklung von Imperien ist der
Begriff des „Sprachimperialismus“ entstanden, der von Phillipson (1992), einem ehemaligen
Dozenten des British Council, für die Ausbreitung der englischen Sprache im Detail
entwickelt wurde. Dem Konzept des Kulturimperialismus ähnlich, bezieht er sich auf eine
bestimmte Facette oder Teilfunktion von imperialer Herrschaft oder Imperialismus. Aus
sprachsoziologischer Perspektive hat Achard (1988:1541) ein Imperium definiert als: “The
exercise of power from a given political unit over social formations which this political unit
considers both as ‘foreign’ […] and as globally submitted to the rule of the first society’s
power.” Sprachimperialismus ist für Phillipson (1997:238) “a theoretical construct, devised to
account for linguistic hierarchisation, to address issues of why some languages come to be
used more and others less, what structures and ideologies facilitate such processes, and the
role of language professionals.” Aus theoretischer Sicht haben diese Fragen eine große
Relevanz für die Formulierung politologischer und sprachsoziologischer Erklärungsmodelle
für die Sprachendynamik in der Welt (de Swaan 1993, 2001). Sollte sich herausstellen, dass
z. B. die Diffusion imperialer Sprachen völlig durch die Ausbreitung politischer,
wirtschaftlicher oder militärischer Macht determiniert wird, so hätte die Untersuchung der
sprachlichen Prozesse, und selbst der Begriff des Sprachimperialismus, keinen eigenen
wissenschaftlichen Erklärungswert. Sollten jedoch die Sprachprozesse eine signifikante
Eigendynamik besitzen und in relativ eigenständiger Weise zur Entwicklung und
Stabilisierung von Imperien – oder ihrem Zerfall – beitragen, so käme ihrer Untersuchung
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durchaus ein eigener Stellenwert zu. Wie wir noch sehen werden, besteht zu diesen Fragen
eine lebhafte und kontroverse Debatte.
2. Die Entstehung von Sprachimperien
Sehen wir uns skizzenhaft die Entwicklung der wichtigsten historischen Imperien Europas
hinsichtlich der Rolle und Dynamik ihrer Sprachen an. Das bedeutet in erster Linie, sich zu
fragen, inwieweit diese Imperien ihre Sprachen als Instrument der Machtausübung benutzten,
sie verbreiteten und den von ihnen beherrschten Völkern aufzwangen.
2.1. Das Römische Reich
Das Römische Reich – Imperium Romanum – steht am Anfang unserer Betrachtungsreihe.
Ihm verdanken wir den Begriff des Imperiums selbst, und die machtvolle Entwicklung einer
großen Zivilisationssprache lässt uns auf eine nahezu modellhafte, perfekte Ausbreitung des
Lateinischen schließen. Beim näheren Hinsehen stellen wir jedoch fest, dass dieser Anschein
trügt. Rom war von Anfang an bis zum Ende seiner Glanzzeit als Hauptstadt des Römischen
Reichs zweisprachig: Latein und Griechisch standen in einer doppelten Diglossie-Relation
zueinander und der gebildete Römer benutzte beide Sprachen in unterschiedlichen Kontexten.
Zum einen stand Griechisch als Sprache der Wissenschaft und Philosophie über dem
Lateinischen; zum anderen galt es auch als die Sprache vieler Sklaven aus dem Osten, und in
der Rolle der aus dem beherrschten Griechenland herbeigeholten Lehrsklaven für die
römischen Patrizierfamilien kam diese doppelte Dependenz – hier Wissenschaft und Kultur,
da politisch-militärische Herrschaft – deutlich zum Ausdruck. Zum Zweiten betrieb das
Römische Reich im Gegensatz zu landläufigen Ansichten keine systematische und massive
Verbreitung des Lateins in den besetzten Kolonien und Provinzen. Es versuchte vielmehr wie
andere Imperien nach ihm, unter den geringstmöglichen Kosten sein Herrschaftssystem
aufrechtzuerhalten und die erforderlichen Tribute einzutreiben (Kahane/Kahane 1979;
Auerbach 1958). Die Wiederbelebung des Lateinischen als Sprache der Herrschaft, Religion
und Kultur geschah erst nach dem Zerfall des Römischen Reichs im Mittelalter als zentraler
Baustein des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation; jedoch war Latein nun nicht
mehr die Muttersprache einer Volksgruppe, was, wie wir noch sehen werden, zentraler
Bestandteil einer imperialen Sprache zu sein scheint.
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2.2. Das Spanische Imperium (1492–1810) und die unabhängigen Staaten
Hispanoamerikas (ab 1810)
Während des Aufstiegs und der Glanzzeit des Spanischen Imperiums konsolidierte sich die
spanische Sprache im spanischen Mutterland selbst nicht vollständig, obwohl die Krone,
besonders im 17. und 18. Jahrhundert, große Anstrengungen unternahm, andere Sprachen zu
unterdrücken und zu assimilieren, was auch später selbst dem Faschismus nicht gelang. Und
wie wir wissen ist Spanien bis heute mehrsprachig und konsolidiert diesen Multilinguismus
juristisch als Bestandteil der Autonomien und sprachlich durch die Revitalisierung von
Katalanisch, Baskisch und Galizisch.
Zwei sprachpolitische Positionen von Krone und Klerus konkurrierten während der
fast dreihundertjährigen Kolonialzeit und später nach der Unabhängigkeit miteinander. Die
eine betrieb aktiv die Ausrottung der Indianersprachen und drang auf rasche Assimilation der
indianischen Bevölkerung; die andere bevorzugte die Tolerierung der Indianerkulturen und
förderte zum Teil ihre Sprachen. Bis zum Ende der Kolonialzeit schaffte es das Spanische
nicht, zur Muttersprache der Mehrheit der Bevölkerung in den wichtigsten und am dichtesten
besiedelten Regionen Hispanoamerikas zu werden. Das Spanische breitete sich erst nach dem
Ende der spanischen Herrschaft im 19. und 20. Jahrhundert massiv und intensiv in
Hispanoamerika aus und drängte die Indianersprachen in den meisten Ländern in die Rolle
relativ kleiner Minderheitensprachen zurück.
Dies geschah sehr wirkungsvoll, weil die neuen spanischstämmigen und zum Teil
mestizischen Bourgeoisien der Criollos die Durchsetzung des Spanischen zum wichtigen
Motor der Entwicklung von homogenen Nationalstaaten nach europäischem Muster machten,
obwohl sie ansonsten Spanien ablehnten und sich kulturell viel eher an Frankreich und später
auch an England, Deutschland und den USA ausrichteten. Die massive Ausbreitung des
Spanischen im Übergang von den Kolonien zu den Republiken stellt einerseits, ähnlich wie
im Falle des Britischen Imperiums, den Oktroi der Herrschaftssprache für die anderssprachige
Indianerbevölkerung dar; andererseits bedeutet sie ebenso einen Aneignungsprozess des
Spanischen, der von den Herrschaftsschichten der neuen Republiken vorangetrieben wurde.
Im 19. Jahrhundert konsolidierten sich auch weitgehend die eigenen Normen des
Spanischen in Hispanoamerika als nationale Sprachen und in Abgrenzung vom kastilischen
Spanisch, sodass heute die spanische Sprache als weitgehend polyzentrisch in den
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Normorientierungen und dem Sprachbewusstsein ihrer Sprecher angesehen werden kann
(Oesterreicher 2001).
2.3. Das Französische Imperium
Die französische Sprache als Ausdruck des imperialen Frankreichs breitete sich, grob
gesehen, in drei Etappen aus. Zunächst entwickelte sich das Königreich der Bourbonen als
moderner, zentralistischer Staat und trieb die Verbreitung der Sprache der Île-de-France
voran. Bekanntlich übte das Französische einen starken Einfluss als Kultur- und
Kommunikationssprache Europas aus, besonders an seinen Herrscherhäusern und später auch
innerhalb der aufstrebenden Bourgeoisien.
Während der Kolonisierung in Nordamerika fasste das Französische, besonders durch
die massive Auswanderung französischer Bevölkerung, in dem neuen Kontinent Fuß. Nach
dem Verlust der Kolonien im 18. Jahrhundert an England überlebte es als Muttersprache einer
Mehrheit jedoch hauptsächlich in Quebec, während in den anderen ehemaligen Kolonien sein
Einfluss im Lauf der Zeit zurückging. Im Heimatland konsolidierte sich das Französische in
weitesten Teilen Frankreichs erst nach der Revolution, als die nordamerikanischen Kolonien
schon verloren waren; jedoch auch in Frankreich selbst führte seine massive Diffusion nicht
zur vollständigen Assimilation der Minderheitensprachen. Die dritte Etappe der Ausbreitung
des Französischen entsprach der Kolonialisierung in Afrika und Asien, besonders ab dem
18. Jahrhundert. Im Gegensatz zu den früheren Kolonien fand mangels Auswanderung auch
keine massive Ausbreitung des Französischen statt, das sich fast nur in der Verwaltung und
im kolonialen Erziehungswesen durchsetzte.
2.4. Das Britische Imperium
Auch hier können wir drei Phasen unterscheiden. Zunächst breitete sich das Englische auf den
Britischen Inseln aus, wo es die bestehenden Sprachen weitgehend verdrängte – bis auf das
Walisische, das heute zum Teil eine Stabilisierung und Revitalisierung erfährt. Die
Kolonialisierung in Nordamerika stellt zweifellos durch massive Einwanderung und die
weitgehende Vernichtung der Urbevölkerung einen Fall erfolgreicher Sprachdiffusion dar.
Diese Politik wurde nach der Unabhängigkeit durch die USA fortgesetzt und verstärkt.
Ähnlich wie im Falle Frankreichs fand während der Entstehung des großen britischen
Kolonialreichs in Afrika und Asien keine massive Einwanderung (außer in Rhodesien und
22
Südafrika) statt; deshalb erfolgte auch keine umfassende Sprachdiffusion und das Englische
setzt sich nur auf der oberen Ebene von Verwaltung und Erziehung durch. Im Gegensatz zu
Frankreich betrieb Großbritannien keinen vergleichbaren Versuch der Sprachverbreitung, da
sein Konzept der Kolonialherrschaft weitgehend auf dem Prinzip der Home Rule basierte: Die
Kolonien sollten unter möglichst geringen Kosten verwaltet werden, was eine Beibehaltung
eingeborener Sozial- und Herrschaftsformen sowie deren Erziehungsverfahren beinhaltete.
Auch hier lassen sich jedoch zwei Tendenzen unterscheiden, die eher als
herrschaftsideologische Orientierungen denn als wirkliche Programme kolonialer Verwaltung
wirkten. Dem Orientalismus als Ausdrucksform einer Bewunderung des Orients, jedoch
gleichzeitiger kolonialer Beherrschung durch kulturelle Typologisierung, stand der
Anglizismus gegenüber, der sich für eine Durchsetzung der angelsächsischen Kultur und
Sprache gegenüber einer für minderwertig angesehenen lokalen Kultur aussprach (Said 1978,
1993).
2.5. Vorläufiges Fazit der Sprachenpolitik in den Kolonialreichen und der
Existenzformen des Sprachimperialismus
Eine erfolgreiche und massive Verbreitung der europäischen Kolonialsprachen fand vor allem
dort statt, wo sie mit einer massiven Emigrationspolitik in die Kolonien und der Ausrottung
der dortigen Urbevölkerung einherging. Dies trifft vor allem auf die am stärksten von Europa
beeinflussten und besiedelten Länder in Amerika zu: USA, Kanada, Uruguay, Argentinien,
Brasilien, Chile, Kolumbien, Venezuela, Costa Rica, Nicaragua und die spanischsprachige
Karibik. Paraguay gilt als das einzige Land Amerikas, das eine kollektive Zweisprachigkeit
(Spanisch und Guaraní) entwickelte.
In keinem der skizzierten Kolonialimperien konnten wir eine einfache, mechanische
und reziproke Relation zwischen der Entwicklung der Kolonialreiche und der Diffusion der
imperialen Sprachen feststellen (Hamel 2006 a). Einer simplistischen These der notwendigen
Korrelation, so wie sie Brutt-Griffler (2002) vertritt, werden die Fakten dementsprechend
nicht gerecht: nur wo eine massive, möglichst homogene und einem einzigen Modell folgende
Sprachdiffusion zu beobachten ist, will Brutt-Griffler die These der Existenz von
Sprachimperialismus gelten lassen. Wo jedoch andere, vielleicht raffiniertere und letztlich
erfolgreichere Modalitäten der Herrschaftsausübung mit Hilfe von Sprache auftreten, weigert
sich die Autorin, Sprachimperialismus zu erkennen. Als wichtigstes Phänomen und
Instrument imperialistischer Herrschaftsformen stellt sich in jedem der untersuchten Fälle
23
eine Hierarchisierung der Sprachenverhältnisse heraus: Die Sprache des Imperiums nimmt in
den Kolonien und Exkolonien eine dominante, übergeordnete Position gegenüber den lokalen
Sprachen ein; zweitrangig ist, ob nun ein größerer oder geringerer Teil der Bevölkerung die
koloniale Staatssprache lernen muss – oder Zugang zu ihr hat.
In einigen Fällen, wie in den meisten frankofonen Kolonien Afrikas, wird der gesamte
Schulunterricht auf Französisch abgehalten – ob die afrikanischen Schüler und ihre Eltern
dieser Sprache mächtig sind oder meist eben nicht. Die Macht der imperialen Sprache kommt
hier in dem Aufzwingen, der obligatorischen Verwendung einer Sprache, die von der
Mehrheit der Bevölkerung nicht beherrscht wird und auch unter den gegebenen Bedingungen
kaum erfolgreich erlernt werden kann, samt ihrer Diskursstrukturen und Kulturmodelle zum
Ausdruck. Die Kolonialsprache, die die Herrschaft der lokalen, frankofonen Eliten und –
indirekt – die der Kolonialmacht absichert, bleibt z. T. bis heute unverzichtbares Medium für
spezielle Funktionen der Verwaltung, internationale Beziehungen, Erziehung und
Wissenschaft in den ehemaligen Kolonien.
Mit einer entgegengesetzten Strategie wurden im Südafrika der Apartheid die
ungleichen Herrschaftsverhältnisse abgesichert. Sprachliche Ausgliederung drückte sich
zusammen mit allgemeiner Segregation in einem Erziehungs- und Verwaltungssystem aus,
das der schwarzen Bevölkerung weitgehend den Zugang zum Englischen verweigerte, vor
allem in seinen höheren akademischen und berufsbildenden Institutionen. In jedem der
genannten Fälle führt eine Reihe komplementärer Maßnahmen dazu, dass das Prestige und die
tatsächlichen Kontrollfunktionen der kolonialen Sprache gesichert bleiben. Gleichzeitig
werden die Mythen ihrer Unersetzbarkeit für wichtige Staats- und Handelsfunktionen
perpetuiert, oder aber ihr massiver Verbreitungsgrad. So besteht bis heute vielerorts der
Mythos, dass in Indien, dem Kronjuwel des britischen Empires, der aufstrebenden Weltmacht
und dem technologischen Wunderland, ein Großteil der Bevölkerung Englisch spricht.
Tatsächlich beherrschen jedoch nur etwa drei bis fünf Prozent der Einwohner Indiens die
englische Sprache.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Sprachdiffusion imperialer Sprachen
natürlich stattfindet, jedoch nicht die Rolle eines Entscheidungskriteriums für das Vorliegen
von Sprachimperialismus spielt. Lokale ethnische Gruppen oder Völker entwickeln
Initiativen, um sich die imperialen Sprachen anzueignen, um Bürgerschaft (vgl. in Rom),
Macht, Elitestatus, beruflichen Aufstieg usw. zu erlangen. Die Analyse verschiedener
historischer Imperien zeigt, dass die Entwicklung von Sprachhierarchien zwischen
sämtlichen beteiligten Sprachen in allen Fällen von grundlegender Bedeutung war. Hierbei
24
wirkten die Kolonialregierungen, später imperialistische Mächte und die lokalen
eingeborenen Eliten zusammen, um eine wechselseitige Beziehung zwischen Hegemonie der
imperialen und Subalternität der lokalen Sprachen herzustellen, was wir als eine moderne
Form von Sprachimperialismus ansehen können.
3. Reduktion von Sprachenvielfalt und Verschärfung asymmetrischer
Sprachenverhältnisse
Die Ausbreitung von Sprachimperien und von Kolonialreichen, die fortschreitende
Industrialisierung und vor allem die digitale Globalisierung haben eine weltweite
Sprachdynamik in Gang gesetzt. In den letzten Jahrzehnten lassen sich zwei miteinander auf
komplexe Weise verbundene Tendenzen erkennen. In beiden spielen asymmetrische
Machtverhältnisse zwischen den entsprechenden Sprachgruppen eine entscheidende Rolle.
3.1. Verdrängung vieler Sprachen der Welt und Globalisierung des Englischen
These 1: Sollten die gegenwärtigen Tendenzen der Sprachverdrängung anhalten, so werden
bis zum Ende des 21. Jahrhunderts 80 bis 90 Prozent der Sprachen der Welt aussterben (Hale
1992, Krauss 1992).
Diese Warnung publizierten angesehene Linguisten, sozusagen als Hilferuf, um die
Weltöffentlichkeit aufzurütteln, vor nun schon über zehn Jahren in einer Themennummer der
wohl prominentesten sprachwissenschaftlichen Zeitschrift „Language“. Als Gründe dieser
Tendenz werden zu kleine Sprechergruppen, fehlende gruppeninterne Sprachloyalität,
fehlende Anerkennung und externe (z. B. staatliche) Unterstützung angeführt. Andererseits
gelten auch die Globalisierung der dominanten Sprachen in Staat und Medien sowie die
Stigmatisierung und Unterdrückung der Minderheitensprachen als Ursachen. Vor allem sind
jedoch die Prozesse der rasant angewachsenen Kommunikation und der Kontakt historisch
isolierter Sprachgruppen verantwortlich für eine Entwicklung, die zwar schon seit
Jahrhunderten besteht, deren Beschleunigung jedoch gerade in den letzten Jahrzehnten rapide
zugenommen hat. Als Konsequenz des Aufrufs entwickelten sich seit den Neunzigerjahren
eine Vielzahl von Projekten, Organisationen und NGOs. Die bekannteste ist wohl
Terralingua, die sich dem Studium und, noch wichtiger, der Umkehrung der für viele
erschreckenden Prognose des Sprachentods widmete (Fishman 1991, 2001; Maffi 2001):
25
Unter welchen Umständen verlieren Minderheitensprachen ihre für das Überleben
notwendigen Reproduktionsbedingungen, besonders die der Transmission als Muttersprache
von einer Generation zur anderen? Wie lässt sich die Sprachverdrängung aufhalten oder sogar
als Revitalisierung umkehren?
Die ungleiche Verteilung von Sprachen und Sprechern:
• Die Sprachen, die von 1 bis 10.000 Sprechern gesprochen werden, machen
52,1% der Sprachen der Welt aus.
• Die Sprecher dieser 52,1% der Sprachen der Welt entsprechen nur 0,002% der
Weltbevölkerung.
• Die Sprecher der 12 am meisten gesprochenen Sprachen machen fast 50% der
Weltbevölkerung aus.
These 2: Die Globalisierung der englischen Sprache: Das Englische hat eine weltweite
Vorherrschaft entwickelt, die nur noch durch ein „politisches Erdbeben“ erschüttert werden
kann (Crystal 1997). Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wird eine Sprache zur
globalen Sprache, die in (fast) jedem Land der Welt eine besondere Rolle spielt (Crystal 1997,
2004; Graddol 1997, 2006).
Der US-amerikanische, aus Indien stammende Sprachwissenschaftler Braj Kachru hat
ein relativ einfaches Modell entwickelt, das die Einflussbereiche und die
Ausbreitungsdynamik des Englischen in Form von drei konzentrischen Kreisen darstellt
(Kachru 1986):
26
Abb. 1: Das Modell der drei konzentrischen Kreise (Kachru; Daten nach Crystal 1997):
Innerer Kreis: Englisch ist die Muttersprache der Mehrheit der Bevölkerung (GB, Irland,
USA, Kanada, Australien, Neuseeland); demografische und sozioökonomische Stärke.
Äußerer Kreis: Ehemalige Kolonien von GB, Englisch ist (ko-)offizielle Sprache (ca. 70
Staaten). Expandierender Kreis: Länder, in denen das Englische eine besondere Rolle spielt
(wichtigste Fremdsprache, Sprache für internationalen Handel, Wissenschaft usw.).
27
These 3: Die Rolle einer Sprache als Weltsprache wird durch die Kombination der drei Kreise
bestimmt. Zur wirtschaftlichen, militärischen, politischen, kulturellen und demografischen
Macht des ersten Kreises tritt der Einfluss des zweiten und dritten Kreises, vor allem aber die
Dynamik ihrer Entwicklung. Besonders der dritte Kreis der Fremdsprachenbenutzer des
Englischen hat in den letzten Jahrzehnten enorm zugenommen und die Zahl der Sprecher aus
dem zweiten Kreis schon übertroffen.
These 4: Umgekehrt gilt: Der Schwund des zweiten und dritten Kreises ist ausschlaggebend
für den Verlust an Bedeutung einer Weltsprache (siehe Französisch, Russisch, Deutsch).
These 5: Als internationale Sprache hat das Englische eine eindeutige Vormachtstellung in
den strategischen Bereichen von Politik, Handel, Finanzen, Wissenschaft und Technologie
erreicht. Andere internationale Sprachen werden vom Englischen aus ihrer traditionellen
Rolle verdrängt. In mehreren dieser Bereiche stehen wir vor einem möglichen Übergang von
einer stark asymmetrischen Hegemonie innerhalb eines Mehrsprachigkeitsmodells hin zu
einem Monopol des Englischen. Sprachen, die einmal aus einem strategisch zentralen Bereich
ausgeschlossen sind (z. B. der Wissenschaft), können nur sehr schwer wieder Anschluss
finden.
28
These 6: Die Globalisierung des Englischen steht in keinem kausalen Zusammenhang zum
Sprachentod vieler oder der Mehrzahl der bedrohten Sprachen in nicht anglofonen Ländern
(siehe These 1); es besteht eine komplexe Beziehung zwischen beiden Prozessen.
3.2. Konsequenzen der Verdrängung der meisten Minderheitensprachen
Die Verdrängung der Mehrzahl der Minderheitensprachen in der Welt mag für viele irrelevant
oder sogar wünschenswert erscheinen. Bei der erwähnten Verteilung von Sprachen und
Sprechern ist tatsächlich nur ein kleiner Teil der Weltbevölkerung direkt betroffen, denn über
80 Prozent der Erdbewohner hat keinen individuellen Kontakt zu den Sprechern von
Minderheitensprachen. Der Verlust einer großen Mehrzahl der Weltsprachen bedeutet jedoch
für viele eine sprachökologische Katastrophe und einen irreparablen Verlust menschlichen
Wissens und der Weltsichten, die in jeder Sprache verschlüsselt sind (Harmon 1996,
Skutnabb-Kangas 2000, Fishman 2001). Vor allem werden auch die grundlegenden
linguistischen Menschenrechte der betroffenen Bevölkerungsteile verletzt.
3.3 Konsequenzen der Globalisierung des Englischen
Eine große Gemeinschaft von Politikern, Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft, Erziehung
und Wissenschaft in vielen Ländern sieht vor allem Vorteile in der internationalen
Einsprachigkeit auf der Grundlage des Englischen, oder zumindest gehen sie davon aus, dass
die Vorteile ihre Nachteile wettmachen.
Internationale Einsprachigkeit führt diesen Stimmen zufolge zu problemloser
internationaler Kommunikation. Wissenschaft wird nur in einer Sprache produziert und von
allen verstanden; Wissenschaftler als Sprecher von Minderheitensprachen (Suaheli, Finnisch)
brauchen nur noch eine Fremdsprache zu lernen. Hinzu kommt, dass die Übertragung
internationaler Funktionen einen gewissen Druck von den Nationalsprachen nehmen könnte,
die dann wiederum in der Lage wären, ihren Verdrängungsdruck gegenüber den
Minderheitensprachen zu verringern. Tatsächlich ist es ja so, dass indianische
Sprachorganisationen in vielen Ländern der Dritten Welt gerade aus anglofonen Ländern
(USA, GB) Unterstützung erhalten. Ziel wäre es nach den Worten von David Crystal (1997),
des prominenten britischen Linguisten und Befürworters des Englischen als einzige globale
Sprache, eine allgemeine Zweisprachigkeit zu erreichen: Jeder Mensch spricht seine eigene
Sprache und die einzige Weltsprache Englisch.
29
Auf der anderen Seite stehen die Kritiker einer Monopolstellung des Englischen in der
internationalen – und zunehmend auch innerstaatlichen – Kommunikation. Andere
Weltsprachen werden in der Tat schon seit langer Zeit aus wichtigen, historisch erworbenen
Funktionen und Sprachdomänen verdrängt, was ihre Rolle als Kultursprachen gefährdet. Die
Weltsprache Englisch, so die Kritiker, verstärke nur noch mehr die Dominanz der
angelsächsischen Welt aus Gründen der Sprachökonomie und der Sprachkompetenz im
Englischen, besonders in den strategischen Bereichen der Politik, des Handels, der
Wissenschaft und der Technologie. Gerade diese These wird von einem der britischen
Fachleute des British Council jedoch neuerdings angefochten (Graddol 2006). Und welche
Entwicklung würde gerade die wissenschaftliche Forschung nehmen, die nach Aussagen
vielen Fachleute gerade auf die durch Mehrsprachigkeit erzeugte Heterogenität und
Kreativität angewiesen ist, um neue Modelle zu bilden (Durand 2001, Hamel 2006 b)? Wie
könnten Wissenschaftler besonders der Sozial- und Humanwissenschaften ihre
sprachkomplexen und vielmals kulturspezifischen Forschungen entwickeln, wenn sie
eventuell von jungen Jahren an dazu gezwungen würden, in einer ihnen doch fremden
Sprache zu formulieren, und so gezwungenermaßen ihre Ansätze vereinfachen müssten?
Hinzu tritt das Problem der wachsenden Einsprachigkeit in den anglofonen Ländern. Viele
Staaten und Völker in der Welt, die der US-amerikanischen und britischen internationalen
Politik kritisch gegenüberstehen oder sich von den imperialen Ländern bedroht fühlen, sehen
in dem zunehmenden Monolinguismus der englischsprachigen Kernbevölkerung auch eine
wachsende Bedrohung des Weltfriedens.
4. Die Sprachmacht des Englischen
4.1. Definitionen und Erklärungsmodelle
Innerhalb der angelsächsischen Welt einschließlich ihrer ehemaligen Kolonien hat sich in den
letzten Jahren eine lebhafte, faszinierende Debatte über die Tendenzen der Weltsprache
Englisch entwickelt. Gerade die historischen Ursachen der Dominanz des Englischen, seine
fortschreitenden Ausdifferenzierung („many Englishes“) und die alte Frage – Wem gehört die
Sprache? – werden dort kontrovers diskutiert. Ich kann hier nur skizzenhaft auf diese Debatte
eingehen. Tatsache ist, dass diese Diskussion von den meisten Autoren, von einigen löblichen
30
Ausnahmen abgesehen, völlig ohne Bezug auf die Diskussionen und die wissenschaftlichen
Publikationen außerhalb der angelsächsischen Welt geführt werden.
These 1: Die Dominanz des Englischen ist absolut und unausweichlich, sie gilt als ein
naturwüchsiger und positiver Prozess. Nur durch ein politisches „Erdbeben“ könnte die
Position des Englischen erschüttert werden (Crystal 1997). – Hierzu eine persönliche
Anmerkung: Als zentrale Aussage steht in Crystals einflussreichem Buch “The Globalisation
of English”, Englisch sei “a language which has repeatedly found itself in the right place at
the right time” (Crystal 1997:110). In einem Vortrag in England habe ich mir 2004 erlaubt,
auf diese These folgendermaßen zu antworten: „For many of us from outside the Anglosaxon
world, English – and its armies – have been in the past and are still very much today in the
wrong place at the wrong time.“ Tosender Beifall war die Antwort.
(Gegen-)These 2: Es gilt die Prognose, dass gegen 2050 die Monopolstellung des Englischen
auch ohne weltweite gewaltsame Veränderungen geschwächt werden könnte. Neue Rivalen
tauchen auf, der wahrscheinlichste Kandidat ist Chinesisch (Graddol 1997); auch Spanisch
könnte eine größere Rolle spielen (Graddol 2006).
These 3 (Imperialismus-These): Verschiedene Autoren üben eine grundlegende Kritik an
Crystals Position. Für sie ist die Globalisierung des Englischen nicht das Resultat eines
naturwüchsigen Prozesses, sondern Ausdruck und Instrument eines verschärften ökonomisch-
politisch-kulturellen Imperialismus (Phillipson 1992, 1997, 2003, Skutnabb-Kangas 2000,
Pennycook 1994, z. T. Wallerstein 1990). Die Ausbreitung des Englischen wurde durch
Agenturen und Agenten (British Council, USAID) und eine geplante Sprachenpolitik ganz
gezielt gefördert. Agency spielt im Gegensatz zur naturwüchsigen Globalisierung eine zentrale
Rolle. Bis heute kontrollieren vor allem zwei Staaten des ersten Kreises, Großbritannien und
die USA, sowohl die Normen als auch die systematische Ausbreitung des Englischen durch
die Organisation von Sprachunterricht, die Einrichtung von Prüfungen, die Ausbildung von
SprachlehrerInnen und die Erstellung von Lehrmaterial.
These 4 (Antithese zur Imperialismus-These): Die Rolle des Englischen steht in keinem
direkten Zusammenhang zur Rolle imperialer oder imperialistischer Staaten: Die Drittwelt-
Varietäten des Englischen (Indien, Hongkong, Singapur, Afrika) sind nicht koloniale
„Transplantate“, sondern eigene kreative Schöpfungen: „Englisch wurde einer Urbevölkerung
nicht aufgezwungen; es war vielmehr die aktive Aneignung des Englischen im Kampf gegen
den Imperialismus (in Indien usw.), die Englisch zu einer Weltsprache machte.“ (Brutt-
Griffler 2002)
31
These 5: Als globale Sprache verliert das Englische seine ursprünglichen „Besitzer“. Die
Aneignung und Veränderung des Englischen durch die Bevölkerung der ehemaligen Kolonien
(äußerer Kreis), vor allem ihrer Eliten, schafft viele stark differenzierte Varietäten („many
Englishes“; Kachru 1986, Brutt-Griffler 2002); ebenso nehmen die Millionen Lerner und
Benutzer des expandierenden Kreises, die Englisch als Fremdsprache erwerben, Einfluss auf
die Entwicklung der Sprache. Diese Varietäten werden letzten Endes nicht mehr von den
ursprünglichen anglofonen Besitzer-Ländern kontrolliert (siehe eine Diskussion in Seidlhofer
2004).
4.2. Die internationalen Organisationen und das Geschäft mit dem Sprachunterricht
Die internationalen Lehrorganisationen der englischen Sprache agieren mehrheitlich als
Vertreter der These, dass die Ausbreitung des Englischen neutral, naturwüchsig und
unvermeidlich ist und allen Beteiligten Vorteile bringt. Diese Sprachmittler- und
Lehrerorganisationen (British Council, TESOL usw.) haben über Jahre hinweg Kriterien für
den angemessenen Englischunterricht im Kontext einer globalen Welt aufgestellt, die eine
Hierarchie unter den zu bevorzugenden Lehrverfahren beinhaltet:
1. Englisch wird am besten einsprachig unterrichtet.
2. Native speakers sind als Dozenten zu bevorzugen.
3. Der Englischunterricht sollte so früh wie möglich beginnen.
4. Das gleichzeitige Lernen anderer Fremdsprachen behindert die Erlernung des
Englischen.
5. Die gleichen Methoden und Lehrwerke sollten weltweit eingesetzt werden.
(Pennycook 1994, Phillipson 2003).
Mehrere der hier aufgestellten Prinzipien sind wissenschaftlich widerlegt worden, so zum
Beispiel Punkt 4 (Cummins 2000, Phillipson 1997). Die zwei zentralen Staaten des inneren
Kreises – Großbritannien und die USA – behalten bei Einhalten dieser Kriterien weitgehend
und weltweit die Kontrolle über Unterrichtsmethoden, Lehrmaterialen, Lehreraus- und -
fortbildung und das Prüfungswesen. Wir sollten nicht vergessen, dass der Englischunterricht
das zweitgrößte Exportgeschäft Großbritanniens darstellt und jährlich ca. 10 Milliarden Pfund
Sterling einbringt (Graddol 2006).
32
4.3. Modelle der Sprachhierarchien in der Welt: de Swaans und Calvets
Gravitationsmodell
Auch von außerhalb der englischsprachigen Debatte sind Versuche unternommen worden, die
weltweite Dynamik der Sprachen zu erklären. Stellvertretend für andere Vorschläge skizziere
ich hier kurz das Modell des niederländischen Politologen Abram de Swaan (1993), das später
von dem französischen Soziolinguisten Louis-Jean Calvet (1999) aufgenommen und
weiterentwickelt wurde. Diesem Modell zufolge lassen sich die Sprachen der Welt in ein
Hierarchiegefüge einordnen, in dem jeweils die Sprachen auf einer niederen Ebene von einer
Sprache auf höherer Ebene angezogen werden (Gravitation) und in ihrem Einflussbereich
kreisen (Galaxie). Zwischen verschienen Sprachen und Sprachebenen besteht oft ein
Konkurrenzverhältnis, da höher angesiedelte Sprachen (z. B. Englisch) mit anderen Sprachen
auf den unteren Ebenen konkurrieren (de Swaan 1993, 2001, Calvet 1999, 2002).
NAME BESCHREIBUNG
Status und soziale Funktion
BEISPIELE
1
Globale Sprache(n)
(hyper-zentral)
zentrale Sprache in internationalen
Beziehungen, wichtige Rolle in (fast)
allen Ländern;
größter äußerer und expandierender Kreis
Englisch
2
Internationale
Sprachen
(super-zentral)
offizieller Status in einem oder mehreren
wichtigen Ländern;
breite internationale (interkontinentale)
Diffusion und Gebrauch;
großer äußerer und expandierender Kreis
Französisch, Spanisch,
Portugiesisch, Chinesisch,
Japanisch, Deutsch,
Italienisch, Russisch, …
3
Nationalsprachen
1. Grades
offizieller Status in einem oder mehreren
mittleren oder kleinen Staaten;
beschränkte internationale Diffusion;
kleiner äußerer und expandierender Kreis
Holländisch, Schwedisch,
... Norwegisch, Finnisch,
Hindi ? … (ca. 100
Sprachen)
4 Nationalsprachen
2. Grades
(ko)offizieller Status in einem oder
mehreren mittleren oder kleineren
Guaraní, Swahili, …
33
Staaten;
mögliche Lingua franca in einer
supranationalen Region
5 Regionalsprachen infranationale Sprachen;
(ko)offizieller Status in einer Region
Quechua, Aimara, Maya,
Zapotekisch
6 Lokale Sprachen kein offizieller Status Hñähñú, Purépecha, usw.
Tab. 2: Sprachhierarchien, adaptiert und erweitert nach de Swaans (1993, 2001)
Gravitationsmodell
Hinzu treten mehrere Sprachfunktionen für die Sprecher, für die jeweils eine oder mehrere
Sprachen zuständig sein können. Für den Sprecher einer lokalen Indianersprache können
sämtliche von ihm ausgeübten Funktionen von einer unterschiedlichen Sprache
wahrgenommenen werden. Hingegen kann z. B. ein monolingualer englischsprachiger US-
Amerikaner sämtliche Funktionen durch seine eigene Sprache, das Englische, ausdrücken.
Zwischen den Sprachfunktionen treten ebenfalls Konkurrenzverhältnisse auf.
NAME BESCHREIBUNG BEISPIELE
1 Vernakuläre
Erstsprache
Mutter-/Erst-/Haussprache;
Primärsozialisation;
lokale orale Kommunikation in der
Gemeinde (und Kleinregion)
Hñähñú, Purépecha,
aber auch: Spanisch,
Englisch
2 Regionale
Verkehrssprache
Inter-Gruppensprache;
regionale Kommunikation;
mögliche Erstsprache einer Gruppe
Zapotekisch, Náhuatl,
Maya (Mexiko)
K’iche’, Mam, Q’eqchi’,
Kaqchikel (Guatemala)
auch: Spanisch, Englisch
3 Erziehung funktionale Fach- und Allgemeinsprache Hñähñú, Purépecha
34
- primäre
- sekundäre
- tertiäre
des Unterrichts
auch: Spanisch, Englisch,
...
Spanisch K’iche’, Mam,
Q’eqchi’ Guaraní ?
Quechua?
Spanisch, Englisch
4 Massenmedien deckt Bedürfnisse in vier Arten von
Massenmedien ab: Zeitungen, Radio,
Fernsehen, Internet
(Hñähñú, Purépecha)
Spanisch, ...
Englisch
5 Professionen
innerstaatlich
Arbeitssprache in höheren Berufen,
Handel, Wissenschaft, Technologie
Spanisch, ...
Englisch
6 Offizielle
- lokal/regional
- national
deckt alle/manche mündlichen und
schriftlichen Verwaltungsbedürfnisse ab
Guaraní, Maya, Quechua
Spanisch,
Englisch
7 International
interkontinental
- bilateral
- multilateral
- global
deckt alle/manche mündlichen und
schriftlichen Kommunikationsbedürfnisse
in überstaatlichen Kontexten ab;
Fachsprachen-Funktionen: Handel, Politik,
Wissenschaft, Kunst, Unterhaltung
Englisch
Spanisch, Französisch
Deutsch? ...
Tab. 3: Soziale und individuelle Basisfunktionen der verbalen Kommunikation
4.3.1. Kriterien für die Wahl einer Fremdsprache
Das Erlernen einer Fremdsprache stellt eine langfristige, bedeutende Kapital- und
Bildungsinvestition dar. Deshalb gehen Sprachlerner bzw. die Entscheidungsträger (Eltern,
Institutionen) oft auf Nummer sicher und wählen eine möglichst eindeutig relevante Sprache.
Die wichtigsten Kriterien für die Wahl einer Zweit- oder Fremdsprache beziehen sich auf ihr
35
Kommunikationspotenzial, die Verfügbarkeit des Unterrichts, ihr Prestige sowie oft auf den
komparativen Schwierigkeitsgrad des Erlernens in Bezug auf die Ausgangssprache.
Ist eine Sprache einmal auf einem fortgeschrittenen Kompetenzniveau erlernt worden,
so wollen die Sprecher auch Profit aus ihrer Investition schlagen und diese Sprache möglichst
effizient und gewinnbringend benutzen. So kommt es zu Trägheitserscheinungen, die die
soziale Relevanz einer ansonsten in ihrer Bedeutung schwindenden Sprache verlängern kann.
De Swaan (2001) zufolge trifft das heute auf das Französische zu.
4.3.2. Horizontaler und vertikaler Bilinguismus
Zwei- oder mehrsprachige Sprecher stellen das Verbindungsglied zwischen den
Sprachgruppen und Sprachhierarchien her. Falls sie Sprachen derselben Kategorie
beherrschen oder lernen, kann von einem horizontalen Bilinguismus gesprochen werden. In
dem Gravitationsmodell stellt jedoch die Beherrschung von Sprachen verschiedener Stufen
den typischen Fall dar, der als vertikaler Bilinguismus bezeichnet wird. Sprachlerner werden
sich in den meisten Fällen, vor allem wenn sich ihre Muttersprache auf einer niedrigen Stufe
der Hierarchie befindet, als Zweit- oder Fremdsprache eine Sprache auf einer höhern Stufe
auswählen. Aus der Anziehungskraft höher angesiedelter Sprachen erklärt sich das
überproportionale Anwachsen des expandierenden Kreises der als wichtig angesehenen
Sprachen. Häufig wird bei der Sprachwahl eine Stufe übersprungen: Polen lernen Englisch,
nicht die mögliche Regional- und Nachbarsprache Deutsch. Schweizer lernen oft Englisch,
statt Kenntnisse in den anderen offiziellen Landessprachen der Schweiz zu erwerben.
Flämische Belgier lernen Englisch, nicht Französisch, gegen das viele von ihnen negative
Spracheinstellungen hegen und das sie für zweitrangig neben dem Englischen halten. Nur sehr
selten kommt es vor, dass Lerner eine niedriger gelegene Sprache lernen, vor allem, wenn
ihnen andere Optionen offenstehen. Anglofone Muttersprachler hingegen können nur eine
niedriger gelegene Sprache erlernen, was zum Teil die geringe Quote beim
Fremdsprachenerwerb in angelsächsischen Ländern erklärt. Umgekehrt ist die sinkende
Attraktivität der super-zentralen, traditionellen internationalen Sprachen wie Französisch,
Deutsch oder Russisch dadurch bestimmt, dass ihr Abstand zum Englischen zunimmt und sich
die Vertikalität verstärkt.
Interessant gestalten sich die Auswahlprozesse, wenn der individuelle oder kollektive
Lernplan mehr als eine Fremdsprache umfasst, so wie es in der Europäischen Union – noch –
Norm in vielen ihrer Mitgliedsstaaten ist. Meistens wirken die objektiven und subjektiven
36
Sprachhierarchien auch hier besonders in der Reihenfolge der zu erlernenden Fremdsprachen.
Meist wird die „wichtigste“ Sprache zuerst und am intensivsten gelernt; so ist fast überall
Englisch heute die erste Fremdsprache. Dass jedoch auch interessante andere Konstellationen
möglich sind, zeigt z. B. das bis in die neunziger Jahre gültige Schulsystem Uruguays und
z. T. Argentiniens, das zwei verschieden Fremdsprachen, eine in der Mittel- und die andere in
der Oberstufe lehrte. Oft wurde zuerst Französisch gewählt, weil man davon ausging, dass für
einen ausreichenden Erwerb des als „leicht“ eingestuften funktionalen Englisch auch die
Oberstufe ausreiche (zu den Debatten siehe Hamel 2003). Als allgemeines soziolinguistisches
Kriterium gilt in diesem Modell, dass bei starker Vertikalität, d. h. einem signifikanten
Asymmetriegefälle zwischen Sprachen, die Zweisprachigkeit oft nur ein Übergangsstadium
zur Einsprachigkeit in der dominanten Sprache darstellt. Deshalb muss jegliche
Sprachenpolitik und Sprachplanung, die auf die bestehenden Entwicklungstendenzen Einfluss
nehmen will, auf diese Vertikalität einwirken und Maßnahmen ergreifen, die den
Vertikalitätsgrad der Sprachrelationen verringern. Diese Interventionen können sich auf die
Prestigeplanung, Identitätsplanung oder Funktionserweiterung von Sprachen erstrecken, wenn
z. B. eine Indianer- oder Immigrantensprache als Unterrichts- und Schrifterwerbssprache in
der Schule eingeführt oder als Amtsprache verwendet wird.
5. Zwei Strategien gegen Verdrängungs- und Globalisierungstendenzen
5.1. Uneingeschränkte Verteidigung aller bedrohter Sprachen vor dem Sprachentod
Diese Position (Fishman 1991, 2001; Skutnabb-Kangas 2000; Terralingua) ist in der
Diskussion weitgehend bekannt und kann deshalb hier ganz kurz abgehandelt werden. Sie
betreibt eine schon erwähnte radikale Verteidigung aller Minderheitensprachen und fordert
die uneingeschränkte Achtung sprachlicher Menschenrechte: Jeder Mensch hat das
Grundrecht, in seiner eigenen Sprache staatliche Erziehung zu erhalten, seine Sprache
respektiert zu wissen und mindestens eine der offiziellen Landesprachen zu erlernen. Die
wichtigsten Gruppen dieser Ausrichtung verknüpfen biologische und sprachliche Ökologie
miteinander. Als Aktionsprogramme gegen die Sprachverdrängung schlagen sie eine
zweisprachige, auf Spracherhalt und Spracherweiterung ausgerichtete Erziehung
(„maintenance bilingual education“) bzw. sprachliche Revitalisierungsprogramme vor und
fordern staatliche und private Unterstützung von ethnischen und sprachlichen Minderheiten.
37
5.2. Eindämmung der totalen Hegemonie des Englischen (Nationalsprachen-Position)
Zu den Akteuren und expliziten oder impliziten Vertretern dieser Position gehören unter
anderem die Organisationen der Frankofonie, andere romanischsprachige Staaten, Gruppen,
Organisationen (z. B. L’Union Latine) und Intellektuelle (Calvet 1999) in anderen zentralen
europäischen und iberoamerikanischen Staaten, die eine der super-zentralen Sprachen
sprechen. Insgesamt handelt es sich um einen heterogenen Kreis, deren Vertreter nicht
unbedingt die hier aufgeführten Thesen insgesamt befürworten.
These 1: Das Englische ist auf dem Wege, sämtliche super-zentralen (supranationalen)
Sprachen auf die Ebene von einfachen Nationalsprachen zu reduzieren und damit die
Mehrheit ihrer transnationalen und z. T. auch innerstaatlichen Sprachfunktionen zu
übernehmen (Calvet 1999, Hamel 2008).
These 2: In einzelnen Bereichen (Wissenschaft) besteht die Gefahr, dass die
Hegemonieposition des Englischen zu einer Monopolposition ausgebaut wird. Dadurch würde
ein wichtiges Prinzip des Pluralismus und der Sprachenvielfalt (Diversität) mit verheerenden
negativen Folgen für andere wichtige Kultursprachen außer Kraft gesetzt.
These 3: Der Hauptwiderspruch besteht zwischen dem Englischen und den großen,
internationalen Sprachen, nicht zwischen dem Englischen und den lokalen, z. T. vom
Sprachentod bedrohten Minderheitensprachen.
These 4: Nur die großen, internationalen Sprachen und ihre Staaten (Französisch, Spanisch,
Portugiesisch, Chinesisch, Hindi usw.) können nationale und regionale (supranationale)
Barrieren gegen das Vordrängen des Englischen aufrichten. Wichtige Bereiche liegen in
Politik, Industrie und Handel, Wissenschaft, Erziehung, Kultur (z. B. Film), den
Massenmedien und dem Internet.
These 5: Die uneingeschränkte Verteidigung von Minderheitensprachen „hilft“ der weiteren
Dominanz des Englischen (Sprachimperialismus), weil sie die großen und mittleren
Nationalsprachen auf ihrem eigenen Territorium und auch international schwächt (Calvet,
zitiert in Hamel 2003).
Beispiele: Das Spanische wäre ohne sein hispanoamerikanisches „Reservoir“ durch
das Erstarken des Katalanischen, Baskischen und Galizischen in Europa längst zu einer
zweitrangigen Regionalsprache degradiert worden. Die Europäische Union ist heute ein
Nationalstaatenbund mit formaler Gleichberechtigung seiner Staatssprachen. Durch ihre
38
Erweiterung und besonders die Stärkung ihrer Regionalsprachen könnte sich die EU in einen
Bund von etwa 50 Nationalitäten verwandeln, dem dann nur noch das Englische als
gemeinsame Sprache diente.
These 6: Der Sprachtod von „kleinen“ Minderheitensprachen ist bedauerlich, aber
unvermeidlich.
These 7: Unterricht in Minderheitensprachen wird oft von den Minderheiten selbst abgelehnt
und kann ein bestehendes sprachökologisches Gleichgewicht negativ beeinflussen.
Implizit oder explizit verteidigen die Vertreter dieser Position ein Ideal der Einsprachigkeit
für bestimmte Staatsräume, Institutionen oder Personen (Frankreich, Quebec usw.). Es gilt,
die „großen europäischen Kultursprachen“ zu retten. Als Konsequenz ergibt sich die
Ablehnung von Sprachrechten für Minderheiten und der Anerkennung eines offiziellen Status
(z. B. als Amtsprache) von Minderheitensprachen. Die Nationalsprachenposition befürwortet
die sprachlich-kulturelle Assimilation von autochthonen und Immigrantenminderheiten und
lehnt eine zweisprachige, auf Spracherhalt abzielende Erziehung (Ausnahme: zweisprachige
Erziehung als rasche Überleitung zur Staatssprache) mit dem Argument ab, es sei im Interesse
der Minderheiten, sich zu assimilieren, um ihre Integration und ihren sozialen Aufstieg zu
ermöglichen. Die „historisch rückschrittliche ethnische“ Fragmentierung wird als Gefahr der
Balkanisierung und des Separatismus an die Wand gemalt. Stattdessen wird eine Stärkung der
Nationalsprachen und internationale Kooperation gefordert (z. B. Frankofonie, Hispanofonie,
Lusofonie, Romanik, usw.).
Diese sehr holzschnittartig skizzierte Argumentationsweise der von mir unter dem Begriff der
„Nationalsprachen-Position“ gebündelten Orientierungen wird den oft sehr viel
differenzierteren Debatten sicherlich nicht gerecht. Ich habe sie deshalb hier auf Thesen
reduziert, um ihre eigene Logik und die Konsequenzen für eine Sprachenpolitik aufzuzeigen.
Sie stellen jedenfalls eine wichtige, zentrale Position in europäischen und außereuropäischen
Debatten dar, die auf eine, wenn auch beschränkte, Sprachenvielfalt abzielt und sich gegen
jedwedes Monopol einer einzigen Sprache wendet. Ich werde im Folgenden einige
Konsequenzen dieser Debatten aufzeichnen und auf einige Perspektiven eingehen, die sich
aus der Macht von Sprachen und für die Sprachen der Macht ergeben.
39
6. Ausblick und Perspektiven: Die Zukunft der Sprachenvielfalt und der Dominanz
von Weltsprache(n)
6.1. Globalisierung und Sprachimperien: Der Vormarsch des Englischen
Wir hatten uns eingangs gefragt, welche Dimensionen eine sich stark beschleunigende
Sprachendynamik in der Welt annimmt. Hier die massive Globalisierung einer einzigen
Weltsprache Englisch und die Zurückdrängung anderer internationaler Sprachen, dort der
imminente Sprachentod einer Mehrzahl der Sprachen der Welt – zwei Tendenzen, die zu einer
zunehmenden Polarisierung der Sprachenverhältnisse führen. Die Debatten über die
dramatische Veränderung hinsichtlich der Rolle internationaler Sprachen und besonders die
Entwicklung des Englischen zur einzig wirklich hegemonialen Sprache der Globalisierung
haben Sprachfuturologen auf den Plan gerufen, Zukunftsvisionen und mögliche Szenarien der
zukünftigen Sprachkonstellationen zu entwerfen. Relative Einmütigkeit herrscht in der
Prognose, dass ein Großteil der Minderheitensprachen, das heißt folglich eine Mehrzahl der
Sprachen dieser Welt, das 21. Jahrhundert nicht überleben wird. In der Beurteilung dieses
Faktums und besonders in den zu ergreifenden Maßnahmen jedoch gehen die Stimmen weit
auseinander: Laissez-faire und induzierte Assimilation stehen dem Ruf nach
Sprachverteidigung gegenüber.
Bei der Beurteilung der Zukunft der „großen“ Sprachen und besonders der
internationalen Rolle der Weltsprachen besteht, wie wir gesehen haben, kein vergleichbarer
Konsens. Kritiker zeigen auf, dass ein zentrales internationales Konfliktfeld in dem Bestreben
der anglofonen Welt zu sehen ist, die super-zentralen Sprachen, das heißt vor allem die
traditionellen internationalen Sprachen, auf die Rolle von simplen Nationalsprachen zu
reduzieren (Calvet 1999, 2002). In einem weiteren Schritt sehen einige Kritiker wie Gawlitta
(2004) voraus, dass das Englische vor den staatlichen Grenzen nicht haltmachen werde,
sondern im Gegenteil selbst innerhalb derart starker Nationalstaaten wie Deutschland die
Nationalsprache aus öffentlichen Bereichen verdrängen könnte. Die folgenden Fragen haben
sich dementsprechend als zentrale Diskussionspunkte herauskristallisiert: Wird die Welt in
Zukunft von einer einzigen globalen Sprache regiert werden oder von mehreren? Welche
anderen Sprachen könnten eine Monopolstellung des Englischen verhindern oder aufbrechen?
Welche Rolle kommt den anderen super-zentralen und den allgemeinen Nationalsprachen zu?
Welche Konsequenzen werden diese möglichen Zukunftsszenarien im Zusammenhang mit
der allgemeinen ökonomischen, technologischen und politischen Entwicklung für die
40
Menschen dieser Welt haben? Inwieweit werden Veränderungen in der Sprachenvielfalt oder
in der Rolle globaler Sprachen viel mehr als in der Vergangenheit in das tägliche Leben der
Bevölkerung weltweit einwirken?
Wie wir gesehen haben, sehen eine Vielzahl nicht nur angelsächsischer Experten,
sondern auch Fachleute aus vielen anderen Sprachräumen der Welt in der Hegemonie,
vielleicht sogar dem Monopol des Englischen ein unabwendbares und in der vorhersehbaren
Zukunft kaum zu veränderndes Faktum. Graddol, der einflussreiche Experte aus dem Umfeld
des British Council, siedelte jedoch schon 1997 in seiner Prognose der Sprachhierarchien für
das Jahr 2050 Chinesisch, Englisch, Hindi-Urdu, Spanisch und Arabisch auf der obersten
Ebene an, ohne interne Rangunterschiede festzulegen. Mit seiner Hypothese, dass im
21. Jahrhundert keine Sprache eine derart hegemoniale Position einnehmen werde wie das
Englisch im 20. Jahrhundert, setzt er sich von vielen anderen Analytikern innerhalb und
außerhalb der angelsächsischen Gemeinschaft ab.
Um die jetzigen und zukünftigen Entwicklungslinien auch nur annähernd beurteilen zu
können, stellten wir uns die Frage nach den erkennbaren Ursachen und Mechanismen von
sozialem Sprachwandel in Vergangenheit und Gegenwart. Sprachverdrängung und
Sprachentod treten, so zeigen verschiedene Studien auf (siehe dazu Hamel 1988), nicht als
quasi automatische Folge von Sprachkontakt zwischen Sprachen unterschiedlicher
Rangordnung an sich ein. Erst wenn markante Asymmetrien zwischen Sprachen und ihren
Sprechergruppen (Prestigegefälle, Funktionsräume, positive und negative Konnotationen) zu
einer psychosozialen, kulturellen Umorientierung der Sprecher von den subalternen hin zu
den dominanten Sprachen eintritt, setzt sich die Dynamik von Sprachaufgabe, fehlender
Transmission zur nächsten Generation und schließlich Sprachentod in Gang.
Eine historische Betrachtung der Herausbildung von Sprachimperien zeigte uns, dass
Imperien sehr wohl zur Ausbreitung ihrer Sprachen und zur Herausbildung großer
Sprachräume und Sprachenfamilien wie der des Romanischen beigetragen haben. Sicherlich
wichtiger als die quantitative Sprachdiffusion selbst kristallisierte sich jedoch eine
Hierarchisierung der Sprachenverhältnisse als zentrales Charakteristikum von
Sprachimperien und als Instrument imperialistischer Herrschaftsformen heraus. Dies zeigte
sich an der z. T. gegensätzlichen Sprachenpolitik Frankreichs und Großbritanniens in ihren
afrikanischen und asiatischen Kolonien, die jedoch zu vergleichbaren sprachlich-kulturellen
Machtverhältnissen führte. Entscheidend für den Erfolg imperialer Sprachenpolitik stellte sich
die aktive Beteiligung eingeborener Eliten an diesem Prozess heraus, mit dem Ziel, sich die
imperialen Sprachen anzueignen, um Bürgerschaft, Macht oder sozialen Aufstieg zu erlangen.
41
In dem dialektischen Zusammenspiel beider Seiten bei der Entwicklung von Hegemonie
imperialer und Subalternität autochthoner Sprachen, das heißt in der Kooperation bei der
Erstellung von Hierarchien als Machtrelationen, liegt sicherlich, wie wir gesehen haben, ein
Schlüssel zur Erklärung des Erfolgs imperialer Sprachen und von Weltsprachen schlechthin.
Diese Schlussfolgerung lässt die Thesen einer Loslösung des Englischen von seinen
Ursprungsländern (Brutt-Griffler 2002) oder gar eine radikale Deterritorialisierung von
Sprachen und Kommunikationsmedien allgemein – wie in der Imperiumshypothese von Hardt
und Negri (2000) vertreten – als fragwürdig erscheinen, da sie die grundlegende Beziehung
zwischen Sprachmacht und anderen Machtfaktoren außer Acht lässt oder verschleiert.
Agency, das heißt kollektives und gezieltes Handeln der an einem Prozess Beteiligten, spielt
trotz gegenteiliger Behauptungen sicherlich auch eine wichtige Rolle für die Herausbildung
von Sprachrelationen, besonders der Hegemonieposition des Englischen.
6.2. Drei Faktoren in der Entwicklung von dominanten Sprachen
Welche Bedeutung könnten diese Ausführungen für unsere Diskussion der Rolle
internationaler Sprachen zweiter Ordnung wie des Deutschen und Spanischen haben? Ob wir
uns nun mit Begriffen wie „Sprachimperien“ oder sogar einem tabuisierten Terminus wie
„Sprachimperialismus“ anfreunden wollen oder nicht; eine wissenschaftlich und allgemein
politisch genügend belegte Tatsache ist, dass Sprache(n) der Macht und Macht der
Sprache(n), konkreter, dass Macht durch Sprache(n) ausgeübt wird und diese Praxis
wiederum bestimmten Diskursformen der Sprache und Sprachen insgesamt als
Handlungssystemen und Bezugspunkten von Sprachbewusstsein Machtfunktionen zuordnen.
Begriffe wie „Sprache der Macht“ müssen hier immer als Metonymien verstanden werden,
denn wir meinen natürlich immer ein pars pro toto, ein rhetorischer Mechanismus, der
Bezüge durchaus verschleiern kann: Nicht Sprachen an sich haben oder üben Macht aus, nicht
Sprachen stehen in Kontakt oder Konflikt zueinander, sondern immer die Sprechergruppen,
die sie benutzen oder als Objekt von Auseinandersetzungen anderer Art verwenden. Diese
Relation ist jedoch meist komplexer, als der erste, an der Oberfläche verhaftete Blick uns zu
vermitteln scheint.
In unserer Diskussion haben sich zumindest drei Aspekte als relevant herausgeschält:
die Rolle von Sprachhierarchien, zielorientiertes Handeln, also Agency, und der interaktive,
kooperative oder auch im Konflikt erwirkte Aufbau von Machtrelationen. Im Übergang von
einer allerdings auf wenige Sprachen beschränkten Mehrsprachigkeit in der internationalen
42
Politik, Diplomatie, in Handel, Wissenschaft, Technologie und Kultur hin zur Hegemonie
einer einzigen globalisierten Sprache, die das 20. Jahrhundert charakterisiert, spielen alle drei
Faktoren eine Rolle. Zwischen dem Englischen und den anderen internationalen Sprachen
entstand oder verschärfte sich eine Hierarchierelation, die das ganze System und die Rolle
vieler anderer Sprachen veränderte. Obwohl zweifelsohne der relativ reibungslose Übergang
der Sprachmachtträgerschaft von Großbritannien auf die USA und deren Entwicklung zur
Weltmacht als wichtigste Ursache der heutigen Vorherrschaft des Englischen zu sehen ist, so
lässt sich doch die Hypothese einer naturwüchsigen, quasi automatischen Entwicklung nur
schwer aufrechterhalten. Zu klar tritt hier das Zusammenspiel vor allem britischer
Institutionen der Sprachverbreitung und einer Sprachpraxis beider Länder hervor, die davon
ausgeht, dass man in den internationalen Beziehungen einfach Englisch spricht und die
Benutzung anderer Sprachen, etwa mit der Beharrlichkeit der Franzosen, als ein allgemeines
Ärgernis anzusehen ist. Drittens hat zum Erfolg des Englischen die aktive Beteiligung der
anderen beigetragen. Sei es im Kontext kolonialer Unterdrückung oder militärischer
Besetzung, im kooperativen Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg unter
Führung der USA oder auf einem internationalen Kongress – immer waren es auch die vielen
nicht anglofonen Beteiligten, die zu einer Durchsetzung des Englischen nolens volens
beitrugen. Ohne eine aktive Beteiligung deutscher, italienischer oder holländischer
Wissenschaftler oder Europafunktionäre wäre eine Durchsetzung des Englischen als einzige
oder vorherrschende Wissenschafts- oder Arbeitssprache in ihrer jetzigen Form kaum zu
denken.
Hierzu am Rande eine kleine persönliche Anekdote. In den Jahren 2001 und 2002
arbeitete ich als Gastprofessor an der Universität Mannheim, als Romanist am Romanischen
Seminar. Im Verlauf der Vorverhandlungen teilte mir meine Gastgeberin und Freundin, die
dortige Lehrstuhlinhaberin Christine Bierbach, mit, das Rektorat mache es zur Bedingung
meiner Einstellung, dass ich im Zuge der „Internationalisierung der Mannheimer Lehre“ in
jedem der Semester zumindest eine Vorlesung auf Englisch halte. Am Romanischen Seminar!
Die Entrüstung meiner romanistischen Kollegen ist leicht zu verstehen, das Rektorat ließ
jedoch nicht locker. So hielt ich denn eine Vorlesung zum Thema „Language Globalization
and Linguistic Diversity“ und erklärte meiner durchaus internationalen Hörerschaft auf
Englisch, warum es eigentlich nicht sinnvoll sei und einer Politik der „linguistic diversity” in
der Wissenschaft widerspreche, dass ich diese Vorlesung auf Englisch hielt.
Sprachhierarchien, also die asymmetrische Distribution von Sprachdomänen und
Sprachfunktionen zwischen „hohen“ und „niedrigen“ Sprachen, erweisen sich als wichtiger
43
für die Rolle einer Sprache als ihre quantitative Verbreitung und Benutzung. Deshalb sind
zentrale, mit Prestige ausgestattete Sprachräume und Funktionen hochgradig relevant für die
Macht und die Dynamik (Ausbreitung oder Verdrängung), die einer Sprache zugeordnet
werden.
Nehmen wir als Paradebeispiel die Lage des Spanischen in den USA. Allgemein
bekannt ist, dass die hispanische Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten durch
millionenfache Immigration aus dem Süden und überdurchschnittliche Geburtenraten
dramatisch zugenommen hat. Der US-Zensus von 2000 zählt über 33 Millionen
Lateinamerikaner, von denen schätzungsweise 22 bis 25 Millionen Spanisch sprechen (zu den
ausführlichen Debatten über die neue Migration und die Rolle des Spanischen in den USA
siehe Hamel 1997, 1999; Roca 2000). Die große Frage ist nun, ob sich Spanisch endgültig in
den USA etablieren wird. Im Grunde geht es in der heutigen Auseinandersetzung darum, ob
die USA weiterhin als ein auf kulturelle und sprachliche Assimilation ausgerichtetes
Immigrationsland der Verschmelzung bestehen bleiben kann, oder ob es sich unwiderruflich
in eine multikulturelle, möglicherweise definitiv mehrsprachige Nation verwandelt. Auf
keinen Fall wollen jedoch die konservativen Kräfte z. B. ein permanent und offiziell
zweisprachiges Kalifornien zulassen – das kanadische Quebec steht ihnen als
Schreckgespenst vor den Augen.
Der springende Punkt nun, ob sich Spanisch als dauerhafte Sprache in den USA
etablieren wird oder nicht, hängt nach Einschätzung vieler Beobachter nicht so sehr von der
absoluten Zahl der Spanischsprecher ab, sondern vielmehr davon, inwieweit es dem
Spanischen gelingt, die bestehenden Sprachhierarchien (Englisch oben, Spanisch unten) zu
durchbrechen und in die Prestigedomänen von Erziehung, Wissenschaft, öffentlichen
Institutionen, Medien und Politik einzudringen. Wie viele Lateinamerikaner in ihrem
täglichen Leben, zu Hause und auf der Straße, Spanisch reden, ist nicht unwichtig, jedoch
zweitrangig. Hier setzen die traditionellen, konservativen Kräfte an, die sich zunehmend in
ihrer amerikanischen Identität bedroht fühlen, wie ihr prominenter Wortführer Samuel
Huntington (2004) warnt. Schon in den achtziger Jahren brachen sie einen wahren Sprachen-
und Kulturkrieg gegen die Hispanics vom Zaun, um das Spanische durch rechtliche Schritte
und politische Maßnahmen aus diesen Prestigebereichen zu vertreiben oder von Anfang an
fernzuhalten. Die Konzentration auf die Sprache, so die Hispana Ana Celia Zentella (1997)
aus New York, soll nur den zugrunde liegenden Rassismus der dominanten, weißen
Gesellschaft verschleiern. In einem Bundesstaat nach dem anderen wurde Englisch per Gesetz
zur offiziellen Sprache erklärt („English only“; „Official English Movement“), um dem
44
Spanischen den Zugang zu den Institutionen zu verwehren. Die Konservativen hebelten die
verbreitete „bilingual education“ aus, rotteten den Begriff selbst mit Stumpf und Stil aus und
ersetzten ihn durch das Konzept des „English as a second language for low English
proficiency students“. Ob diesen Maßnahmen ein dauerhafter Erfolg beschert sein wird,
erscheint fraglich. Tatsache ist, dass hier zwei der führenden Weltsprachen, das hyper-
zentrale Englisch und das super-zentrale Spanisch, in einen offenen Konflikt um Territorien
und Domänen im mächtigsten Land der Erde verwickelt sind, in dem die Frage von
Sprachhierarchien und Prestigefunktionen eine entscheidende Rolle spielt.
6.3. Die Sprachenpolitik von Fremd- und Zweitsprachen
Wir hatten festgestellt, dass die Macht einer Sprache im internationalen Kontext zu einem
erheblichen Teil von ihrer Legitimität und faktischen Verwendung in Prestigedomänen
besonders auch in ihrem dritten Kreis, den Ländern der Fremdsprachenbenutzer, bestimmt
wird. Hier kommt die Politik der Wahl von Fremd- und Zweitsprachen zum Zuge. De Swaans
und Calvets Gravitationsmodell entwarf das Bild einer hierarchisch angeordneten Galaxie, in
der auf verschiedenen Ebenen im Gravitationsfeld einer starken Sprache eine Schar von
Planetensprachen niederer Ordnung kreisen. In der Rolle zwei- oder mehrsprachiger
Individuen verbinden sich kleine Sprachgruppen gleicher oder unterschiedlicher Ordnung,
wodurch entweder ein horizontaler oder vertikaler Bilinguismus – oder eine Kombination
beider Achsen – entsteht.
Für eine erfolgreiche Fremdsprachenpolitik stellt sich nun zunächst die Aufgabe, jede
der beteiligten Sprachen angemessen innerhalb der Galaxie und ihrer Ränge einzuordnen. Das
erweist sich nicht immer als ganz einfach, da ja die diskutierte Dynamik von Sprachen
Veränderungen in den Feldern, der Schwerkraft und dem Anziehungspotential der diversen
Sprachen beinhaltet. Die Galaxie ist in Bewegung und verändert ihre Konstellationen
permanent. Deutsch und Französisch sind im Hierarchiensystem zweifelsohne abgesunken,
haben an Anziehungskraft verloren und ihr dritter Kreis hat sich verkleinert. Umgekehrt hat
die Anziehungskraft des Englischen zugenommen, oft auch über verschiedene Sprachenringe
hinweg. Wo steht heute die deutsche Sprache in diesem Gravitationsgefüge? Wir hatten
gesehen, dass bei der Wahl von Fremdsprachen vorzugsweise eine Sprache aus einer höheren
Statusgruppe ausgewählt und dadurch ein vertikaler Bilinguismus aufgebaut wird, weil eben
diese höhere Sprache Anziehungskraft, das heißt positive Erwartungen und Kalküle, die sie
45
hervorruft, auf die Sprecher der niederen Sprachen ausübt. Anziehungskraft besteht jedoch
auch zwischen Sprachen gleicher Rangordnung.
Auf welche Sprecher und Sprachräume kann die deutsche Sprache Anziehungskraft
ausüben? Eine sorgfältige Analyse ihres Potenzials, das je nach Region und
Konkurrenzsituation zu anderen Sprachen variiert, muss einer realistischen Sprachenpolitik
zugrunde liegen. Sicherlich hat Deutsch in Europa und in anderen Kontinenten vor allem als
zweite Fremdsprache eine sinnvolle Chance. Wo es wie in den deutschen Begegnungsschulen
im Ausland erste Fremdsprache ist, muss der Lehrplan sicherstellen, dass Schüler in Englisch
als zweiter Fremdsprache ein hohes Kompetenzniveau erreichen. Deutsche Schulen betreiben
in Lateinamerika oft Werbung als dreisprachige Lehrinstitutionen. Der Erfolg eines derartigen
Ansatzes setzt in jedem Fall eine Mehrsprachenpolitik voraus, die über das reduktionistische,
auf die Dominanz des Englischen ausgerichtete Modell von Zweisprachigkeit
angelsächsischer Provenienz (Crystals Ideal: Jeder spricht seine Muttersprache und die
Weltsprache Englisch) hinausweist.
6.4. Perspektiven einer pluralistischen Mehrsprachenpolitik
Kommen wir zum Schluss auf unsere eingangs gestellt Frage zurück: Wie können wir, als
Mitglieder einer von 6.500 Sprachgruppen in einer Welt von 200 Nationalstaaten und einigen
wenigen Staatenbünden, jetzt und in Zukunft friedlich zusammenleben? Wenn
Interkulturalität, also gegenseitiges Verständnis, Interesse, Kennenlernen-Wollen, Akzeptanz
der Sprachen und Kulturen anderer und der Abbau von Ungleichheit eine wichtige Rolle für
eine derartige Lebensperspektive spielen, so muss eine integrative, umfassende
Sprachenpolitik aller Beteiligten dieses Verständnis organisieren und den verschiedensten
Identitäten und Alteritäten eigene und gemeinsame Räume schaffen. Unmöglich lässt sich in
einem komplexen Mosaik von Mehrsprachigkeit wie in den großen Metropolen, wo mehrere
hundert Sprachen gesprochen werden, jeder Sprachgruppe in traditioneller Manier ein
Territorium zuweisen. Sprachenpolitik sollte dazu beitragen, einen Orientierungswechsel von
einem monolingualen Ideal und einer negativen Einschätzung der ‚Mehrsprachigkeit als
Problem’ hin zu einer pluralistischen Orientierung herbeizuführen, die im Plurilinguismus
eine Bereicherung der Gesellschaften und der Individuen erkennt. Das bedeutet, dass die
Vertikalität, also das Gefälle zwischen Sprachen, durch verschiedene Maßnahmen
(Sprachausbau, Verwendung in Prestigefunktionen) reduziert und horizontale Beziehungen
verstärkt werden. Gemeinsame, mehrsprachige Kommunikations- und Diskursräume sind
46
vonnöten, in denen nicht eine Sprache weichen muss, weil eine andere auf den Plan tritt.
Letzten Endes wird eine auf Sprachenvielfalt und Pluralismus von Kulturen und Sprachen
ausgerichtete Politik des besseren Zusammenlebens auch davon abhängen, ob wir es
erreichen, dass Fremdsprachenlernen viel mehr als bisher als eine sinnvolle individuelle und
gemeinschaftliche Investition angesehen wird, die zu einer persönlichen und kollektiven
Bereicherung führt und Berufschancen signifikant verbessert. Wir müssen viel mehr und viel
besser Fremdsprachen lernen als in der Vergangenheit. Und wir sollten Sprachenvielfalt und
Sprachenlernen auch dazu einsetzen, unsere komplexe Welt besser zu verstehen und zu einer
globalen Verringerung von Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Krieg und der Verletzung von
Menschenrechten beizutragen.
47
Deutsch in der internationalen
Wissenschaftskommunikation
Ulrich Ammon
1. Der Anteil von Deutsch an den wissenschaftlichen Publikationen weltweit
Deutsch, Englisch und Französisch waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts die drei am
weitesten verbreiteten internationalen Wissenschaftssprachen. International kommunizierende
Wissenschaftler mussten in der Regel mindestens eine davon auf hohem Niveau aktiv
schriftlich beherrschen und die beiden anderen lesen können. Die drei Sprachen hatten eine
ungefähr gleich starke Stellung als internationale Wissenschaftssprachen, mit Unterschieden
zwischen verschiedenen Disziplinen. So war Deutsch vor allem in einigen
Naturwissenschaften vorherrschend.
Als Indikator für den internationalen Rang von Wissenschaftssprachen wird gerne ihr
Anteil an den weltweiten wissenschaftlichen Publikationen herangezogen. Ich habe in
meinem Buch „Ist Deutsch noch internationale Wissenschaftssprache?“ mit dem Untertitel
„Englisch auch für die Lehre an den deutschsprachigen Hochschulen“, aber auch in anderen
Publikationen, zahlreiche Daten dazu vorgelegt. Sie zeigen die Entwicklung im Verlauf des
20. Jahrhunderts. Zusätzliche Daten zur internationalen Rezeption von Texten in den
wichtigsten internationalen Wissenschaftssprachen sowie weniger repräsentative Daten zur
Funktion bei internationalen Konferenzen stimmen mit den Publikationsanteilen in hohem
Maße überein.
Auf der Basis einer viel zitierten, aber unübersichtlich dargestellten Erhebung von
Minoru Tsunoda (1983) habe ich ein ebenfalls häufig abgedrucktes Liniendiagramm erstellt,
das die Entwicklung veranschaulicht. Dazu habe ich das ungewogene arithmetische Mittel für
jedes von Tsunoda ausgewertete Jahrzehnt errechnet, und zwar in zwei Schritten: zunächst
getrennt für jede der 5 von ihm berücksichtigen Wissenschaften über alle Datenbanken der
von ihm einbezogenen Länder und dann zusammen für die 5 Wissenschaften. Außerdem habe
ich die Erhebung Tsunodas fortgeführt bis 1996 und neuerdings für einen Teil der
48
Wissenschaften bis 2006. Nur habe ich die neuesten Daten noch nicht ganz aufgearbeitet.
Man ersieht aus Abb. 1 mit einem Blick, dass Deutsch, Englisch und Französisch zu Beginn
des 20. Jahrhunderts ungefähr gleichrangig sind, aber Englisch im weiteren Verlauf immer
mehr an Boden gewinnt und Deutsch und Französisch verlieren.
Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts gewinnen Russisch und Japanisch Anteile hinzu, haben
sie aber inzwischen weitgehend wieder eingebüßt; Nummer 2 ist heute Chinesisch, mit
anhaltendem Zuwachs. Der Abstand zu Englisch bleibt gewaltig, hat sich aber in manchen
Fächern verringert (vgl. Tab. 1). Vermutlich fungiert Chinesisch jedoch ansonsten – also z. B.
als Zitatenquelle oder auf Konferenzen – kaum als internationale Wissenschaftssprache,
sondern dient hauptsächlich zur Kommunikation in der eigenen riesigen Sprachgemeinschaft.
Auch alle anderen Sprachen dürften international nur eine marginale Rolle spielen. Falls und
insoweit diese Annahme stimmt, handelt es sich beim Anteil an den Publikationssprachen
eben um einen ungenauen Indikator der internationalen Stellung von Wissenschaftssprachen.
49
Jahr 2000 Jahr 2003 Jahr 2006
Englisch 82,9 85,2 81,0
Chinesisch 6,6 6,0 10,1
Japanisch 4,3 3,9 3,5
Russisch 2,7 2,0 2,0
Deutsch 1,2 0,9 1,4
Französisch 0,4 0,3 0,2
Tab. 1: Sprachanteile in „Chemical Abstracts“ (CAS) in den Jahren 2000, 2003 und 2006 in
Prozent (Daten von Karin Faerber, Regional Marketing Manager CAS)
Gegen die Zuverlässigkeit dieses Indikators gibt es noch einen weiteren Vorbehalt. Die
Sprachanteile sind periodischen Gesamtbibliografien oder bibliografischen Datenbanken für
die einzelnen Disziplinen entnommen. Früher wurden solche Bibliografien in verschiedenen
Ländern erstellt, vor allem in Deutschland, Frankreich, Russland und einzelnen
angelsächsischen Ländern. Heute haben die angelsächsischen Länder darin fast eine
Monopolstellung, und in ihren Bibliografien werden nachweislich (Ammon 1991:253f.;
1998:143; Sandelin/Sarafoglou 2004) englischsprachige Publikationen bevorzugt erfasst. Die
daraus ermittelten Sprachanteile sind also zugunsten des Englischen verzerrt, in welchem
Ausmaß ist allerdings nicht bekannt. Trotzdem freilich bestehen – auch aufgrund anderer
Daten – am tatsächlichen überwältigenden Vorrang des Englischen als internationale
Wissenschaftssprache keine ernsthaften Zweifel.
Die Ursachen für den Stellungsgewinn von Englisch und erst recht für den
Stellungsverlust von Deutsch liegen auf der Hand. Sie lassen sich andeuten mit Stichworten
wie Weltkriege, Nationalsozialismus und zeitweiliger Ruin der deutschsprachigen Länder,
USA als Weltwirtschafts- und Weltwissenschaftsmacht, überlegene finanzielle Ausstattung
der US-Universitäten und fortdauernder Braindrain aus aller Welt in die USA. Hinzu kommen
weniger bekannte Vorgänge wie speziell bezüglich Deutsch der von Frankreich und Belgien
angezettelte, erfolgreiche systematische Boykott gegen Deutsch als internationale
Wissenschaftssprache nach dem Ersten Weltkrieg, den Roswitha Reinbothe (2006) in seinen
Einzelheiten untersucht hat.
50
2. Englisch als Publikationssprache deutschsprachiger Wissenschaftler und die
Flucht nicht-deutschsprachiger Wissenschaftler aus Deutsch als Publikationssprache
Dass deutsche Wissenschaftler teilweise zum Englischen als Publikationssprachen
übergegangen sind, wird seit den 1980er Jahren thematisiert. Es ist belegt in einem
Sammelband von Harald Weinrich und Hartwig Kalverkämper (1986) oder von Sabine
Skudlik (1990). Tab. 2 verrät die Sprachumstellung deutscher Wissenschafter für die Biologie
und die Mathematik anhand einer von mir durchführten Analyse bibliografischer
Datenbanken (Näheres in Ammon 1998:154). Die jeweils letzte Zeile zeigt einerseits den
wachsenden Anteil der Autoren aus Deutschland an den englischsprachigen Beiträgen –
bedingt durch ihren Wechsel zum Englischen als Publikationssprache.
Biological Abstracts 1980 1984 1988 1992 1995
An deutschsprachigen Beiträgen 22,0 23,6 26,7 10,7 77,2
An englischsprachigen Beiträgen 0,7 3,0 3,1 1,4 5,3
MathSci Disc 1980 1982 1983 1985 1990 1995
An deutschsprachigen Beiträgen 2,1 4,4 27,7 38,8 51,2 58,0
An englischsprachigen Beiträgen 6,0 6,2 10,2 12,2 12,1 12,3
Tab. 2: Anteile von Autoren aus Deutschland in „Biological Abstracts“ und „MathSci Disc“
(Prozent)
Die jeweils mittlere Zeile zeigt andererseits den dramatischen Anstieg des Anteils von
Autoren aus Deutschland an den deutschsprachigen Publikationen. Diese Tendenz lässt sich
nur erklären als Flucht der Autoren nicht-deutschsprachiger Länder aus Deutsch als
Publikationssprache. Vermutlich verläuft diese Entwicklung nicht in allen Fächern
gleichartig, womit ich auf Fächerunterschiede zu sprechen komme.
51
3. Unterschiede zwischen den Fächern
Die folgenden Unterschiede zwischen den Fächern wurden vor allem von Sabine Skudlik
(1990) formuliert und teilweise empirisch nachgewiesen. Ich habe sie durch eigene
Untersuchungen (Ammon 1998) teils bestätigt, teils differenziert. Am stärksten dominiert
Englisch in den theoretischen Naturwissenschaften, etwas weniger in den angewandten Natur-
und in den Sozialwissenschaften und noch weniger in den Geisteswissenschaften. In letzteren
haben Deutsch und andere Sprachen, vor allem Französisch, Spanisch, Italienisch und sicher
auch Russisch, noch eine gewisse internationale Stellung.
Für die Fächerunterschiede gibt es vor allem folgende Gründe:
• Die Themen der theoretischen Naturwissenschaften sind von universellem, die der
Sozial- und Geisteswissenschaften öfter eher von nur partikularem, regionalem
Interesse. Dem entspricht die Wahl von Englisch gegenüber weniger weitreichenden
Sprachen.
• Die fachliche Spezialisierung ist in den Naturwissenschaften weiter gediehen als in
den Sozial- und Geisteswissenschaften. Um mit Fachleuten desselben Gebiets zu
kommunizieren, müssen globale Kontakte gepflegt werden, wozu sich Englisch am
besten eignet.
• Die Naturwissenschaften arbeiten mit formalen Sprachen, die Sozial- und vor allem
die Geisteswissenschaften mehr mit der Gemeinsprache, was die Verwendung einer
Fremdsprache oder die Sprachumstellung von traditionellen Wissenschaftssprachen
erschwert.
• In den angewandten Wissenschaften ist wegen der Kommunikation mit Laien die
Verwendung von Fremdsprachen hinderlich.
Trotzdem dominiert Englisch auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Dies zeigen
deutlich genug die Zahlen in Tab. 3. Dabei handelt es sich jeweils um die Anteile an den
weltweiten Publikationen, wie sie in den größten bibliografischen Datenbanken für die Fächer
Soziologie, Geschichte und Philosophie bzw. Biologie, Chemie, Physik, Medizin und
Mathematik aufscheinen, und zwar für das Jahr 1996. (Vorliegende ähnliche Zahlen für
andere Jahre sind nicht unmittelbar vergleichbar, weil sie in den Jahreszahlen gegeneinander
verschoben sind.)
52
Englisch Französisch Deutsch
Geistes- und Sozialwissenschaften 82,5 5,9 4,1
Naturwissenschaften 90,7 1,3 1,2
Tab. 3: Weltweite Anteile der Sprachen an den Publikationen in den Geistes- und
Sozialwissenschaften im Vergleich zu den Naturwissenschaften im Jahr 1996 (Prozent der
Mittelwerte, nach Ammon 1998:167 bzw. 152)
Der leichte Vorsprung des Französischen vor dem Deutschen ist vermutlich hauptsächlich
darauf zurückzuführen, dass die deutschen Wissenschaftler sich schon mehr dem Englischen
als Publikationssprache zugewandt haben als die französischen. In einigen
Naturwissenschaften überwiegen allerdings die deutschsprachigen Publikationen (vgl. z. B.
für die Chemie Tab. 1).
4. Nischenfächer für Deutsch
Sabine Skudlik (1990:215f.) spricht von Nischenfächern, „in denen die deutsche Sprache auch
international noch eine gewisse Rolle spielt“. Nach dem Gesagten kommen hierfür in erster
Linie Geisteswissenschaften in Frage. Ungefährdete Nischen gibt es indes kaum, entgegen der
Suggestion der Metaphorik des Terminus. Sogar in der deutschesten aller Wissenschaften, der
germanistischen Literaturwissenschaft, war Mitte der 90er Jahre nur noch 80% der
Forschungsliteratur in Deutsch und schon 12,8% in Englisch – außerdem 3,3% in Französisch
und je 1% in Italienisch und Russisch (Collins/Rutledge 1996:76f.).
Für die Nischenfächer des Deutschen hat sich bei meiner eigenen Untersuchung unter
Anwendung verschiedener Methoden (Ammon 1998:170-179) die folgende Rangordnung
ergeben (1 = relativ stärkste Stellung von Deutsch, / = Gleichrangigkeit):
1. Klassische Archäologie/Klassische Philologie
2. Evangelische Theologie
53
3. Musikwissenschaft
4. Christliche Theologie insgesamt
5. Philosophie
6. Ägyptologie/Vorderasiatische Archäologie/Vor- und Frühgeschichte
7. Kunstgeschichte
8. Judaistik
9. Orientalistik
Als Datenquelle diente mir unter anderem eine Anleitung zur Ausstattung von US-
Hochschulbibliotheken mit Handbüchern (Sheehy 1976/1980/1982). Die Anzahl solcher
Handbücher pro Sprache wurde dabei als Indikator für die internationale Stellung der
Sprachen interpretiert. Bei der Auswertung einer weiteren, neueren Anleitung dieser Art
ergaben sich die in Tab. 4 wiedergegebenen Sprachenanteile. Auch danach hat Deutsch in
Archäologie und älterer Geschichte sowie in einigen Philologien oder Sprachwissenschaften
die relativ stärkste Stellung.
Religion
Engl. Deutsch Franz. Span. Italien. Russ. Andere
General Works 90 4 2 - - 1 2
The Bible 93 2 2 - - - 4
Christianity
(einschl. Lutheran)
86 4 4 - 2 - 4
Lutheran 100 - - - - - -
Languages/
Linguistics/
Philology
Slavic Languages 43
21 - - - 21 14
Indo-Iranian and other
Indo-European Languages
71 29 - - - - -
Music 83 8 5 2 1 1 2
General
History
Archeology
and
Ancient
History
General
Works
74 19 3 - - 3 -
Classical
Studies
83 10 3 3 - - -
Ancient
Egypt
83 17 - - - - -
54
Tab. 4: Anteile der Sprachen an für US-Hochschulbibliotheken empfohlenen Handbüchern
(Prozent, nach Balay et al. 1996)
5. Einführung von Englisch als Sprache der Lehre an deutschen Hochschulen
Schon lange werden im Hochschulunterricht in den deutschsprachigen Ländern, wie
allenthalben in der Welt, englischsprachige Texte und Lehrmaterialien verwendet. Dabei gibt
es vermutlich zwischen den Fächern ähnliche Unterschiede wie bei der Sprachwahl von
Englisch und Deutsch für wissenschaftliche Publikationen.
Im Jahr 1997/98 wurde ein weiterer Schritt vollzogen: An den Hochschulen in
Deutschland wurden sogenannte Internationale Studiengänge in englischer Sprache eingeführt
(vgl. Ammon 1998; Motz 2005). Sie waren anfangs hauptsächlich gedacht für die Fächer
Wirtschaftswissenschaften, Ingenieurwissenschaften (einschließlich Informatik), Mathematik
und Naturwissenschaften, wurden aber bald auf andere Fächer ausgeweitet, sogar auf manche
der oben genannten Nischenfächer. Im Studienjahr 2006/7 gab es an 102 Hochschulen in
Deutschland insgesamt rund 680 solcher Studiengänge (geschätzt aufgrund der Liste von 85
Seiten à durchschnittlich ca. 8 Studiengänge: in DAAD 2006/07 – dankenswerte Zusendung
durch Werner Roggausch). Natur-, ingenieur- und wirtschaftswissenschaftliche Fächer
überwogen dabei zwar, aber geisteswissenschaftliche Fächer waren durchaus auch vertreten.
Diese Studiengänge sollen Ausländern ohne Deutschkenntnisse den Zugang zu deutschen
Hochschulen erleichtern. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), der die
Einführung dieser Studiengänge gefördert hat, erwartet und wünscht sich, dass während des
Studiums nebenbei Deutsch gelernt wird – außer in kurzen Aufbaustudiengängen. Dann
könnten der deutschen Sprache mit diesen Studiengängen letztlich sogar neue Lerner
zugeführt werden. Inwieweit jedoch tatsächlich Deutschkenntnisse vermittelt und vor allem
für den Studienabschluss auch verlangt werden, ist mir nicht bekannt. In der aktuellsten
Broschüre zu diesen Studiengängen heißt es dazu nur pauschal: „The language of instruction
is English and, to some extent, German.“ (DAAD 2006:7).
Aber sogar bei strenger, allgemeiner Durchsetzung von Deutschkenntnissen bliebe das
Problem der potentiell demotivierenden Wirkung für das Deutschlernen im Ausland. Wozu
soll man schon im Heimatland Deutsch lernen, wenn man in Deutschland auf Englisch ein
Studium zumindest beginnen kann? Wäre das Deutschlernen während des Studiums
obligatorisch, so wäre man allerdings durch den Erwerb schon im Heimatland von
55
zusätzlichem Sprachlernen neben dem Studium entlastet. Beim Verzicht auf obligatorische
Deutschkenntnisse wäre die Wirkung der Studiengänge auf das Deutschlernen im Ausland
aber sicher abträglich. Sie würden dann mit der Zeit den Abteilungen für Deutsch als
Fremdsprache im Ausland das Wasser abgraben. Mir scheint, dass – so gesehen – Schaden
(oder in volkswirtschaftlicher Terminologie „Kosten“) und Nutzen dieser Studiengänge für
die deutsche Sprachgemeinschaft bislang nicht sorgfältig genug gegen einander abgewogen
wurden.
6. Auswirkungen auf deutsche Wissenschaftsverlage
Gemeint sind die Auswirkungen der starken Stellung von Englisch als internationale
Wissenschaftssprache. Sie zeigen sich darin, dass die angelsächsischen Wissenschaftsverlage
heute den Weltmarkt beherrschen. Beachtliche Marktanteile haben auch kleinere
germanophone Länder wie die Niederlande gewonnen, die sich schon früh dem Englischen als
internationale Wissenschaftssprache verschrieben haben. Verbliebene große deutsche
Wissenschaftsverlage wie z. B. Julius Springer haben weit mehr englischsprachige als
deutschsprachige Titel im Sortiment.
Vor allem wird der wissenschaftliche Zeitschriftenmarkt von angelsächsischen
Verlagen dominiert. Die in den deutschsprachigen Ländern verlegten wissenschaftlichen
Zeitschriften haben nur dann noch eine beachtliche Auflagenhöhe, wenn sie auf Englisch als
Publikationssprache, meist sogar als einzige Publikationssprache, umgestellt wurden.
Außerdem wurden die einst weltweit führenden deutschen bibliografischen
Datenbanken großenteils von ihren angelsächsischen Konkurrenten übernommen, z. B. das
„Chemische Zentralblatt von Chemical Abstracts“ oder die „Physikalischen Berichte von
Physics Abstracts“. Von den größeren Organen hält sich nur noch das „Zentralblatt der
Mathematik“ weiter neben „Mathematical Reviews“ (Einzelheiten in Ammon 1998:140-142).
Wiederum ist die Lage bei den geisteswissenschaftlichen Verlagen etwas anders als
bei den naturwissenschaftlichen. Viele anwesende Kolleginnen und Kollegen werden aber –
wie ich – ein Lied davon singen können, dass auch die geisteswissenschaftlichen Verlage
meist lieber auf Englisch als auf Deutsch publizieren. Ausgenommen sind nur vielleicht die
Nischenfächer und die für die Lehre gedachten Publikationen.
56
7. Auswirkungen auf den Ausbau der deutschen Wissenschaftsterminologie
Die Terminologie wird in den deutschsprachigen Ländern in den meisten Wissenschaften
hauptsächlich durch Entlehnungen aus dem Englischen weiter ausgebaut – in den
Naturwissenschaften wiederum durchgreifender als in den Geisteswissenschaften.
Gelegentlich kommt es dabei zu verändernden Rückübersetzungen aus dem Englischen (z. B.
in der behavioristischen Psychologie: Bekräftigung > reinforcement > Verstärkung). Häufiger
ist aber die Ersetzung einst etablierter deutschsprachiger Termini durch englische (z. B. in der
Mathematik: Zusammenhangsproblem > connection problem). Meist werden englische
Schreibung und Lautung – in der Anwendung häufig mit deutschem Akzent – beibehalten und
nur grammatische Systemanpassungen an die deutsche Sprache vorgenommen
(Substantivgenus, Flexionsformen). Dabei wird bisweilen auch größere Missverständlichkeit
im Vergleich zu deutschsprachigen Alternativen in Kauf genommen. Ein Beispiel ist die
sprachliche Gender-Forschung, die Uneingeweihte als ‚Genusforschung’ missverstehen
können, denn gender bedeutet herkömmlich nur ‚Genus’, während Geschlecht problemlos als
grammatisches, biologisches oder das hier gemeint soziale (oder soziologische) spezifiziert
werden kann. Sprachliche Geschlechterforschung wäre also wenigstens nicht ausdrücklich
irreführend.
Ein Großteil der Entlehnungen aus dem Englischen sind allerdings – entsprechend der
europäischen Wissenschaftstradition – auf griechischer und lateinischer Grundlage gebildet
und somit für deutschsprachige Wissenschaftler nicht völlig fremd.
8. Lässt sich die Stellung von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache
wieder stärken?
Die nachhaltige Stärkung in bedeutendem Ausmaß erscheint mir sehr schwierig. Ich möchte
hierfür einige wenige Gründe nennen, die diese Schwierigkeit vielleicht ermessen lassen,
ohne dem komplexen Thema gerecht zu werden. Diese Gründe gelten ähnlich auch für
Russisch.
1) Nicht nur die anglofonen Wissenschaftler bedienen sich des Englischen als
Wissenschaftssprache, sondern auch ein großer Teil der Wissenschaftler in den meisten nicht-
anglofonen Ländern, für die Englisch die Wissenschaftssprache mit dem weitaus höchsten
57
Prestige ist. Weltweit sind in vielen Wissenschaften gründliche Englischkenntnisse für eine
internationale Wirkung und für den beruflichen Erfolg unverzichtbar. Prestige und Nutzen
von Deutschkenntnissen sind vergleichsweise bescheiden, abgesehen vielleicht von
Nischenfächern und natürlich der Germanistik.
2) Der Wert von Deutsch als Wissenschaftssprache hängt ab vom Erfolg und Ansehen der
Wissenschaften in den deutschsprachigen Ländern. Sie sind wiederum abhängig von der
finanziellen Ausstattung. Die anglofonen Länder verfügen aber über eine erheblich größere
Wirtschaftskraft, sogar die USA allein, als die deutschsprachigen Länder. Zudem können
gerade die USA aufgrund einer traditionell härteren Sozialpolitik auch proportional mehr
Geld für die Wissenschaft freisetzen als die deutschsprachigen Länder, die mehr Mittel für
soziale Zwecke aufwenden. Der Rückstand der deutschsprachigen Länder in der
wissenschaftlichen Konkurrenz tritt zutage bei der Vergabe der Nobelpreise oder in den
globalen Rangordnungen der Universitäten. Möglicherweise verzerren solche Indikatoren die
tatsächlichen Verhältnisse zugunsten der USA oder der anglofonen Länder, aber sicher nicht
in eine völlig falsche Richtung. Außerdem wirken sie als ständige Imageverstärker.
3) Die meisten Wissenschaftler sind durch fachliche Anforderungen stark gefordert und haben
nur begrenzte Kapazität zum Sprachenlernen. Außerdem wird die Motivation zum Erlernen
weiterer Sprachen nach Englisch dadurch gebremst, dass in der zweiten Reihe eine ganze
Anzahl annähernd äquivalenter Sprachen zur Auswahl stehen, nämlich außer Deutsch und
Russisch zumindest Französisch, Italienisch, Spanisch, Japanisch und Chinesisch. Und jede
dieser Sprachen erschließt im Vergleich zu Englisch nur eine relativ periphere aktuelle
Wissenschaftsgemeinschaft (scientific community).
4) Diese Bedingungen verlocken zumindest nicht zum Erwerb aktiver Sprachfähigkeiten in
anderen Sprachen als Englisch, ich betone: aktiver Fähigkeiten. Denn die Anforderungen sind
im Falle von Wissenschaftssprachen sehr hoch – auch, entgegen verbreiteten Klischees, in
den Naturwissenschaften. So sind z. B. die aktiven Fähigkeiten deutscher Wissenschaftler im
Englischen oft beachtlich. Der Anglist Claus Gnutzmann (mündliche Mitteilung) schätzt sie –
aufgrund von Beobachtungen – bei vielen deutschen Naturwissenschaftlern höher ein als bei
manchen Hochschul-Anglisten. Trotzdem sehen sich die deutschen Wissenschaftler oft
pauschal dem unsinnigen Vorwurf ausgesetzt, sie bewegten sich auf dem Niveau eines
Pidgin-Englisch. Kein Wunder, dass sie vor allem ihre Englischkenntnisse weiter verbessern
58
möchten – durch möglichst viel Übung, und sei es unter deutschen Kollegen. Zum Erlernen
auch noch weiterer Fremdsprachen ermutigt solche Kritik jedenfalls nicht. Entsprechendem
Druck sehen sich vermutlich auch Wissenschaftler anderer Muttersprachen ausgesetzt, was
ihre Motivation zum Erlernen zusätzlicher Fremdsprachen, eben auch Deutsch,
beeinträchtigen könnte. Der stärkste Druck, sich ganz auf die Verbesserung der
Englischkenntnisse zu kaprizieren, kommt allerdings letztlich von den anglofonen
Wissenschaftlern und ihren Institutionen einschließlich ihrer Verlage, sei es aufgrund
unreflektierter muttersprachlicher Normvorstellungen oder weil sie wissenschaftliche
Konkurrenz von außen auch durch Sprachrichtigkeitsanforderungen abzuwehren suchen.
9. Auswirkungen auf Deutsch als Fremdsprache
Die Auswirkungen dieser Konstellation auf das Lernen von Deutsch als Fremdsprache oder
anderer Sprachen außer Englisch können nur negativ sein. Ich erwähne lediglich die
ernüchternden Erfahrungen russischer Besucher mit guten Deutsch- und schlechten
Englischkenntnissen auf internationalen Konferenzen, die mir häufig geschildert wurden.
Bleibt die Frage, welche Motive zum Deutschlernen der Bereich Wissenschaft dennoch
weiterhin bietet.
Ein Lichtblick ist die Nutzbarkeit für Studierende. Für viele von ihnen sind die
Hochschulen der deutschsprachigen Länder nach wie vor attraktiv, weil Kosten und Nutzen in
einem günstigen Verhältnis stehen. Solange die Studiengebühren niedrig bleiben, können die
deutschen Hochschulen mit den Hochschulen angelsächsischer Länder konkurrieren – trotz
schlechterer Betreuungsrelation und bescheidenerer Ausstattung. Ein Abschluss an deutschen
Hochschulen hat international immer noch beachtlichen Wert. In den meisten Studiengängen
sind gute Deutschkenntnisse nach wie vor erforderlich oder zumindest vorteilhaft, und ihr
Erwerb ist in nicht wenigen Berufen eine Zusatzqualifikation. Deutschlernen lohnt sich also
für junge Menschen, die später in einem deutschsprachigen Land studieren möchten.
Ähnliches gilt für Menschen, die in einem deutschsprachigen Land auf der Grundlage einer
wissenschaftlichen Ausbildung arbeiten möchten – vor allem in Fachgebieten mit akutem
Arbeitskräftemangel wie in vielen Hochtechnologien. Die Gehälter sind im internationalen
Vergleich relativ hoch.
Deutschlernen lohnt sich ferner in allen Nischenfächern, zumindest der Erwerb von
Lesefähigkeiten, denn der deutschsprachige Anteil an der Fachliteratur ist dort noch
59
beachtlich. Die Fächer Germanistik und Deutsch als Fremdsprache sind natürlich besondere
Fälle.
Ferner lohnt sich das Deutschlernen, vor allem der Erwerb von Lesefähigkeiten, für
Wissenschaftler so gut wie aller Fachrichtungen, die sich für die Geschichte ihres Faches
interessieren, denn für fast jedes Fach liegen in deutscher Sprache klassische, oft
bahnbrechende Arbeiten vor, die nicht immer übersetzt sind und deren Übersetzungen schon
bestimmte Interpretationen beinhalten.
Vor allem aber ist der über Deutschkenntnisse erleichterte Zugang zu Technologien
nach wie vor ein Anreiz zum Deutschlernen. Dass die deutschsprachigen Länder hier etwas zu
bieten haben, verrät schon die Tatsache, dass Deutschland weltweit Nr. 1 im Güterexport ist.
Der Grund ist technologischer Vorsprung, auch in den Herstellungsverfahren, und nicht
niedriger Lohn. Dies haben Länder wie z. B. China oder Ägypten verstanden, wo das
Deutschlernen noch im Aufwind ist. Jedoch führt diese Überlegung schon weiter zum Thema
Sprache und Wirtschaft, worüber ich hier lieber gesprochen hätte, wenn sich die
Tagungsorganisatoren mich nicht so nachdrücklich um das Thema Wissenschaft gebeten
hätten.
Vor allem ist ein Ende von Deutsch als nationaler Wissenschaftssprache bislang nicht
abzusehen. Allerdings sind heute Englischkenntnisse für alle Wissenschaftler, die
international kommunizieren und zur Kenntnis genommen werden wollen, so gut wie
unerlässlich. Durch sprachliche Defizite im Englischen, wie sie bei Fremdsprachen im
Gegensatz zur Muttersprache typisch sind, bleiben dabei deutschsprachige – wie alle nicht-
anglofonen – Wissenschaftler gehandicapt (vgl. z. B. Lee La Madelaine 2007). Deutlich
abgeschwächt würde dieses Handicap erst dann, wenn Internationales Englisch (Seidlhofer
2003; Beiträge in Gnutzmann/Intemann 2005) – oder mit meinem eigenen
Terminologievorschlag – Globalish (Ammon 2006: 25-27) durchgesetzt werden könnte statt
der bisher obwaltenden Kontrolle, welche die führenden angelsächsischen Länder über die
Sprachnormen des Englischen ausüben.
60
Die deutsche Sprache in den Naturwissenschaften
Ralph Mocikat
Ich möchte mich zunächst für die Einladung zu dieser Veranstaltung bedanken sowie für die
Gelegenheit, einige Gedanken zum Thema „Deutsche Sprache in den Naturwissenschaften“
zu äußern. In dieser Runde bin ich als einziger Naturwissenschaftler wohl ein Außenseiter,
aber ich werde versuchen zu zeigen, dass das Thema auch in meiner Disziplin höchst virulent
ist. Ich möchte meine Erfahrungen in einer biomedizinischen Forschungseinrichtung
wiedergeben, die sich mit Fragestellungen im Umkreis von Molekularbiologie, Immunologie
und experimenteller Krebstherapie befasst. Die Biomedizin ist eine Disziplin, in der die
klassische Trennung zwischen Medizin und naturwissenschaftlichen Grundlagenfächern
aufgehoben ist, in der also grundlagenwissenschaftliche Arbeiten, z. B. im Bereich der
Molekularbiologie, unmittelbar in die Anwendung, in diesem Falle also in Diagnostik und
Therapie am Patienten, einfließen.
Dass sich Englisch als internationales Verständigungsmedium für die weltweite
Kommunikation unter Wissenschaftlern längst durchgesetzt hat, ist jedem bekannt. Um
etwaigen Missverständnissen von Anfang an vorzubeugen: Ein solches internationales
Verständigungsmedium ist zwingend erforderlich, und dass das Englische die Funktion
übernommen hat, die in früheren Jahrhunderten dem Lateinischen zukam, soll hier nicht
hinterfragt werden. Wie weit jedoch die englische Sprache in den Naturwissenschaften und in
der Medizin in den letzten Jahren selbst unseren internen Wissenschaftsbetrieb vereinnahmt
hat, wie weit in vielen Bereichen die deutsche Sprache bereits zu Grabe getragen worden ist
und welch groteske Situationen sich daraus oft ergeben, ist den Vertretern
geisteswissenschaftlicher Disziplinen oder gar einer breiteren Öffentlichkeit möglicherweise
gar nicht bekannt. Daher zunächst eine kurze Bestandsaufnahme:
Wissenschaft lebt vom internationalen Gedankenaustausch. Das war schon früher so,
und das muss auch so bleiben. Der Austausch erfolgt durch Publikationen und auf
Kongressen. Während vor nicht allzu langer Zeit die Publikationen in den
Naturwissenschaften in mehreren Sprachen möglich waren – es reichte früher nicht aus, wenn
61
ein Wissenschaftler nur eine einzige Sprache beherrschte –, sind die Veröffentlichungen nun
ausschließlich in englischer Sprache; auch die deutschen Zeitschriften im Bereich etwa der
Biochemie, Molekularbiologie oder Immunologie haben innerhalb der letzten 20 Jahre
ausnahmslos auf die Publikationssprache Englisch umgestellt – anderssprachige Artikel
werden überhaupt nicht mehr akzeptiert. Die Verlage tun dies, weil sie unter dem Druck
stehen, in den Zeitschriftenindex des US-amerikanischen Institute for Scientific Information
aufgenommen zu werden. Dieses bewertet die Zeitschriften anhand der Häufigkeit, mit der
ihre Artikel von anderen Autoren zitiert werden. Ob jedoch durch den Übergang zur
einheitlichen Publikationssprache tatsächlich das intendierte Ziel erreicht wird, nämlich
erhöhte internationale Sichtbarkeit, ist fraglich. Es wurde nämlich gezeigt, dass aus Europa
stammende Arbeiten von US-amerikanischen Wissenschaftlern auch nach dem Wechsel der
Publikationssprache wenig zur Kenntnis genommen und zitiert werden.
So viel zum internationalen Austausch in der Wissenschaft. Ich glaube, dass die hier
obwaltenden Gepflogenheiten jeder Wissenschaftler akzeptiert hat. In den letzten 10 bis 15
Jahren beobachtet man jedoch, dass man auch dann den Schein der Internationalität aufbauen
will, wenn man unter sich ist. Inzwischen ist es nämlich so, dass auf Tagungen ohne jede
internationale Beteiligung, in internen Seminaren oder in alltäglichen Laborbesprechungen oft
nur noch englisch gesprochen wird, auch wenn niemand anwesend ist, der des Deutschen
nicht mächtig wäre. Viele Forschungsförderungsanträge, z. B. beim
Bundesforschungsministerium, dürfen von deutschen Wissenschaftlern nur noch auf Englisch
eingereicht werden. Immer mehr Lehrveranstaltungen für deutsche Studenten werden auf
Englisch angeboten. Die Anglomanie in der Biomedizin geht so weit, dass ich schon mitunter
verwundert erleben konnte, wie zwei deutsche Kollegen selbst über private Dinge sich
englisch unterhalten.
Welche Folgen hat es, wenn wir auch im internen Wissenschaftsbetrieb unsere
Landessprache so konsequent verdrängen? Eine Weiterentwicklung fächerspezifischer
Terminologien findet im Deutschen überhaupt nicht mehr statt, auch immer mehr etablierte
deutsche Fachbegriffe geraten in Vergessenheit. Langfristig wird sich das Deutsche also aus
ganzen Wissensgebieten zurückziehen. Dass dies unabsehbare Folgen für den Kontakt
zwischen Wissenschaft und Gesellschaft hat, für den Diskurs ethischer und ökonomischer
Aspekte wissenschaftlichen Handelns sowie für den Transfer von Ergebnissen der
Grundlagenforschung in die Anwendung, z. B. also auch für die Anwendung neuer
Therapieverfahren durch die praktisch tätigen Ärzte, möchte ich an dieser Stelle nur andeuten
und nicht weiter vertiefen. Wichtig ist Folgendes: Wenn eine Sprache nicht mehr alle
62
Bereiche der Wirklichkeit, insbesondere nicht mehr die innovativen und zukunftsweisenden
Bereiche, abzubilden vermag, wird sie einen erheblichen Statusverlust im Inland wie im
Ausland erleiden. Ich behaupte: Dies wird irgendwann eine tote Sprache sein. Man kann jetzt
schon sehen, dass das Deutsche nicht nur aus dem rein fachlichen Diskurs verdrängt wird,
sondern – ausgehend hiervon – aus immer mehr Domänen: Ich möchte als Beispiel die
Wissenschaftsverwaltung als nächstes Einfallstor nennen. Es wird gefordert, dass
Arbeitsverträge in unseren Forschungseinrichtungen in englischer Sprache verfügbar sein
müssen, die Juristen in den Personalabteilungen müssen Englisch lernen, die Sekretärinnen
ohnehin – usw. usw. Da verwundert es auch nicht mehr, dass der Schulunterricht in den
naturwissenschaftlichen Fächern immer häufiger ausschließlich in englischer Sprache erfolgt
– als sogenannter bilingualer Unterricht, der in Wahrheit jedoch monolingual englisch ist.
Wenn die Vorlesungen an den Universitäten englisch sind, wird es irgendwann keine Lehrer
mehr geben, die in der Lage wären, deutschsprachige Fachterminologien an die Schüler
weiterzugeben. Da ist es nur konsequent, wenn auch schon in der Grundschule englisch
gesprochen wird. – Und genau dies ist ja selbst schon im Heimatkundeunterricht mancher
Grundschulen bereits der Fall.
Ich kehre zurück zur Wissenschaft. Inwiefern schaden wir der Wissenschaft ganz
konkret, wenn wir die Muttersprache aus dem täglichen Diskurs verbannen? Ich möchte vier
Punkte hervorheben.
1. Viele meiner Kollegen verstehen Sprache nur als ein Werkzeug zur Weitergabe
vorgefertigten Wissens. Sie verkennen dabei, dass Sprache auch ein Instrument zur
Gewinnung von neuer Erkenntnis darstellt. Ich behaupte, dass dies nicht nur in den Geistes-
und Kulturwissenschaften so ist, die ja stets einen kulturell-historischen Hintergrund haben,
sondern auch in den Naturwissenschaften. Auch wenn die experimentellen Methoden
natürlich sprachunabhängig sein sollen, bleibt doch die Herangehensweise gegenüber offenen
Fragen, das Auffinden von Hypothesen, die Heuristik stets in dem Denken verwurzelt, das die
Muttersprache mitbedingt. Auch in den Naturwissenschaften spielt für die
Erkenntnisgewinnung rhetorisches Argumentieren eine Rolle, die meist unterschätzt wird.
Sprache und Denken beeinflussen sich wechselseitig. Und die Wissenschaft benötigt das
alltagssprachliche Umfeld für das Hervorbringen und die erstmalige Benennung von Neuem.
Nur die Muttersprache stellt die schlüssigsten Bezeichnungen und die treffendsten Metaphern
bereit. Auch für Wissenschaftler, die das Englische exzellent beherrschen, bleibt Englisch
doch eine Fremdsprache insofern, als neue Sachverhalte niemals so treffsicher, stilistisch so
63
nuanciert und so bildhaft wiedergegeben werden können wie in der Muttersprache. Es kommt
hinzu, dass das Englische, das in der wissenschaftlichen Kommunikation verwendet wird,
wenig gemein hat mit jener elaborierten und subtilen Sprache, wie sie nur englische
Muttersprachler beherrschen, sondern sich eingeengt hat auf eine schmale Funktionssprache
mit reduziertem Vokabular und formelhaften Wendungen. Echtes kreatives Denken mit Hilfe
eines solchen erstarrten Idioms ist schlechterdings nicht möglich. Es deuten sich Parallelen an
zur lateinischen Wissenschaftssprache zur Zeit der Scholastik. Die Preisgabe der
Muttersprache hat im Übrigen auch erhebliche Auswirkungen auf den inter- und
transdisziplinären Dialog, denn dieser ist in besonderer Weise auf alltagssprachlich
verwurzelte Terminologien angewiesen.
2. Das Gesagte gilt auch für die Weitergabe von fertigem Wissen in Lehrveranstaltungen
und in Seminaren. Immer wieder muss ich schmerzlich erleben, wie viele Missverständnisse
entstehen, wenn deutschsprachige Wissenschaftler über ihr Fach auf Englisch sprechen zu
müssen glauben. Fast täglich kann ich beobachten, wie das inhaltliche Niveau leidet, wie
kontroverse Diskussionen regelrecht abgewürgt werden, wenn neueste Ergebnisse oder die
Planung von Experimenten auf Englisch besprochen werden. Warum eine immer weiter
zunehmende Komplexität wissenschaftlicher Inhalte mit einer Flucht aus derjenigen Sprache,
in der man sich am differenziertesten auszudrücken versteht, beantwortet werden soll, bleibt
ein Rätsel. Wohlgemerkt: Ich spreche hier nur von solchen Veranstaltungen, in denen
deutschsprachige Wissenschaftler unter sich sind.
3. Das führt mich zum dritten Punkt: Jede Sprache bildet die Wirklichkeit in einer
spezifischen Weise ab. Auch in den Naturwissenschaften kann keine Sprache allein die
Gesamtheit der Wirklichkeit abbilden, jede bietet eine andere Brille für das sinnliche
Wahrnehmen und die Beschreibung der Welt. Nur durch Bewahrung der Plurilingualität und
nicht durch sprachliche Gleichschaltung kann die Vielzahl der Betrachtungsweisen erhalten
werden, welche für die Beschreibung einer hoch komplexen Wirklichkeit sowie für
wissenschaftliche Abstraktion unabdingbar ist. Jede Sprache birgt ein eigenes
Erkenntnispotenzial, das nicht aufgegeben werden darf.
4. Ich möchte noch auf die Frage zu sprechen kommen, wie die Flucht aus unserer
eigenen Wissenschaftssprache von Ausländern wahrgenommen wird. Die Anglomanie in
unseren Forschungszentren wird ja oft gerechtfertigt mit der Rücksichtnahme auf unsere
64
ausländischen Gastwissenschaftler. Dazu ist festzuhalten, dass der Austausch von
Gastwissenschaftlern und Gaststudenten keineswegs etwas Neues ist. Der Unterschied zu
früher ist nur folgender: Bis vor 10 bis 5 Jahren mussten die Austauschakademiker Deutsch
lernen, ehe sie ihre Tätigkeit aufnahmen. Heute erlebe ich es immer wieder, dass sie von den
deutschen Arbeitsgruppenleitern geradezu davon abgehalten werden, Deutsch zu lernen, dass
ihnen konsequent die englische Sprache aufgenötigt wird, selbst wenn sie sich schon zwei,
drei oder sechs Jahre sich bei uns aufhalten. Eine Integration auch in das soziale Leben ihres
Gastinstitutes gibt es praktisch nicht. Viele Ausländer verstehen das nicht. Denn viele
interessieren sich für deutsche Sprache und Kultur und für unsere Wissenschaftstraditionen,
die nicht zuletzt an sprachlichen Eigenheiten abzulesen sind. Von vielen habe ich Befremden
darüber gehört, dass wir unsere Wissenschaftssprache so konsequent verleugnen. Oft nehmen
sie den Eindruck mit nach Hause, dass wir mit der Preisgabe unserer Wissenschaftssprache
auch den Anspruch aufgegeben haben, Gedanken als Erste auszusprechen. Aufschlussreich
sind in diesem Zusammenhang Umfragen unter Stipendiaten der Humboldt-Stiftung. Die
meisten bedauern es, dass sie während ihres Aufenthaltes so wenig an die deutsche Sprache
herangeführt wurden. Langfristige Bindungen, die auch nach der Rückkehr der
Gastakademiker in ihre Heimatländer Bestand haben und die in unserem eigenen Interesse
liegen sollten, werden auf diese Weise mit Sicherheit nicht hergestellt werden können.
Was ist zu tun? Um es noch einmal zu sagen: Es geht nicht darum, das Englische als
internationales Verständigungsmedium infrage zu stellen: Es geht in erster Linie darum, das
Potenzial verschiedener Sprachen auch in den naturwissenschaftlichen Disziplinen zu nutzen.
Daher sollten auf internationalen Tagungen Vortragende nicht zu einer Einheitssprache
verpflichtet werden, sondern es sollten auch andere Sprachen zugelassen werden, die als
Wissenschaftssprachen Tradition haben. Simultanübersetzung ins Englische muss natürlich
gewährleistet sein. Bei uns im Inland muss natürlich Deutsch als Wissenschaftssprache
gepflegt und weiterentwickelt werden. Anderenfalls wird die Wissenschaftstauglichkeit der
deutschen Sprache irgendwann nicht mehr gegeben sein. Es ist also erforderlich, dass man im
Laboralltag, in internen Seminaren und auf Tagungen ohne internationale Beteiligung
selbstverständlich sich der Landessprache bedient. Dazu gehört weiterhin, dass
Förderungsanträge bei deutschen Drittmittelgebern in deutscher Sprache verfasst werden, und
ganz wichtig ist es, dass unsere Gastwissenschaftler wieder darin unterstützt werden, Deutsch
zu lernen, es sei denn, sie halten sich nur wenige Wochen oder Monate bei uns auf. Es sollte
nämlich in unserem Interesse liegen, sie auch sozial und kulturell zu integrieren, damit sie
65
langfristige Bindungen zu ihrem Gastland aufbauen. Ständig sollte man sich über
landessprachliche Fachtermini Gedanken machen und diese benutzen. Wenn all dies nicht
gelingt, so fürchte ich, wird unsere Wissenschaft weltweit immer weniger ernst genommen.
66
Die Rolle der europäischen Sprachen in der Zukunft
Deutsch-russische Erfahrungen und Perspektiven
Ulrich Ammon, Peter Eisenberg, Jochen Scholz
Einleitung
Deutsch und Russisch als große Kultursprachen sind bisher für alle gesellschaftlichen
Lebensbereiche von Relevanz. Die Zahl der in diesen Sprachen erscheinenden
wissenschaftlichen Publikationen geht allerdings konstant zurück. Ist dieser
Bedeutungsverlust nur ein oberflächliches, dem Wandel unterworfenes Phänomen oder
Ausdruck eines im Zeitalter der Globalisierung tiefer gehenden Veränderungsprozesses?
Diesen und ähnlichen Fragen ist eine Konferenz vom 24. bis 25. Mai 2007, veranstaltet vom
Goethe-Institut Moskau und dem Puschkin-Institut Moskau, nachgegangen. Ziel der
Konferenz war es, das Bewusstsein für den Funktionswandel einer Sprache und seine
gesellschaftlich-politischen Wirkungen zu schärfen, einen Informations- und
Erfahrungsaustausch unter Vertretern zweier großer europäischer Sprachen zu initiieren und
gemeinsam Strategien zu entwickeln, wie sich konstruktiv mit den Entwicklungen umgehen
lässt.
Prominente Wissenschaftler – Linguisten und Naturwissenschaftler aus Deutschland
und Russland – gingen in ihren Vorträgen auf die Rolle von Deutsch und Russisch als
Wissenschaftssprachen, auf den angeblichen Sprachverfall, auf die Rolle der
Mehrsprachigkeit, aber auch auf die Unterschiede in der Einschätzung der Situation für
Deutsch und Russisch ein. Deutlich wurden das Facettenreichtum und die Lebenskraft der
beiden großen europäischen Sprachen.
Der Austausch zu diesen Fragen, die von wissenschaftlichem, aber auch von
allgemein-gesellschaftlichem Interesse sind, wurde in Arbeitsgruppen vertieft, an denen
russische und deutsche Experten teilnahmen. Die Arbeitsgruppe zum Thema „Sprachverfall
und Sprachentwicklung“ wurde von Professor Peter Eisenberg (Potsdam) geleitet, die
Arbeitsgruppe zum Thema „Wissenschaftssprache“ von Professor Ulrich Ammon (Duisburg),
67
die Arbeitsgruppe zum Thema „Mehrsprachigkeit – auch als politische und wirtschaftliche
Aufgabe“ von Jochen Scholz vom Verband der deutschen Wirtschaft in der Russischen
Föderation. Im Folgenden haben die Leiter der Arbeitsgruppen die jeweiligen Ergebnisse
zusammengefasst.
I. Sprachverfall und Sprachentwicklung des Deutschen und Russischen
Mit dem Thema „Sprachverfall und Sprachentwicklung“ waren der Arbeitsgruppe zwei
Begriffe vorgegeben, die das Verhältnis von Sprachwissenschaft und Öffentlichkeit betreffen.
Sprachwissenschaftler tun sich im Allgemeinen schwer damit, vom Verfall einer Sprache zu
sprechen und sind deshalb auch skeptisch, wenn über Maßnahmen zur Sprachpflege beraten
wird. Der Begriff Sprachverfall ist jedoch von großer Wichtigkeit für den öffentlichen
Sprachdiskurs und spielt damit auch eine bedeutende Rolle für die Sprachwahrnehmung der
Öffentlichkeit.
Die Sprachwissenschaft hat sich an diesem Diskurs zu beteiligen. Ihr Beitrag besteht
darin, den Diskurs zu versachlichen und über Sinn wie Erfolgsaussichten sprachpflegerischer
Maßnahmen Auskunft zu geben. In diesem Sinn kommt es darauf an, in einem ersten Schritt
Klarheit über Sprachveränderungen zu gewinnen. Erst im zweiten Schritt können diese
bewertet und praktisch gewendet werden. Zu berücksichtigen ist dabei:
1. Im öffentlichen Sprachdiskurs wird zu wenig zwischen Sprache und Sprachgebrauch
unterschieden. Sowohl das Russische als auch das Deutsche verfügen heute über
Ausdrucksmöglichkeiten, die allen denkbaren Anforderungen gerecht werden. Bedrohliche
Verfallsszenarien beruhen häufig darauf, dass ein mangelhafter Sprachgebrauch mit der
Sprache selbst gleichgesetzt wird. Umgekehrt haben sprachpflegerische Maßnahmen
allenfalls dann Aussicht auf Wirkung, wenn sie am Sprachgebrauch ansetzen.
2. Was Sprachveränderungen betrifft, ist strikt zwischen lexikalischen und strukturellen
Veränderungen zu unterscheiden, wobei lexikalische natürlich auch strukturelle bewirken
können. Lexikalische Veränderungen sind andererseits zu einem erheblichen Teil marginaler
Natur, sie sind bestimmt von Sprachmoden und reflektieren in zahlreichen Fällen unmittelbar
sprachexterne Gegebenheiten. Insofern sind sie sowohl ephemer als auch schwer zu
beeinflussen, denn gesellschaftliche Veränderungen wird man kaum am sprachlichen
68
Symptom kurieren können. Das gilt ausdrücklich auch für die Zunahme von
Internationalismen, die sich im Russischen wie im Deutschen als Folge von
Globalisierungsprozessen finden.
3. Als wesentliche Sprachveränderung werden in der Öffentlichkeit Verschiebungen von
Diskursgrenzen wahrgenommen, wie sie ebenfalls im Russischen und im Deutschen zu
beobachten sind. So werden Tabus für den Gebrauch eines ‚niederen Vokabulars‘ teilweise
aufgehoben, Begriffe des politischen oder ökonomischen Gegners werden vereinnahmt und
Wörter werden durch andere ersetzt (Euphemismen) oder aus dem Vokabular gestrichen.
Vorgänge dieser Art haben beide Sprachen in ihrer jüngeren Geschichte immer wieder erlebt.
Sie zeigen auch, was durch Eingriff möglich wird.
4. Zu den strukturellen Veränderungen lässt sich im groben Überblick das Folgende
sagen. Sowohl das Russische als auch das Deutsche hat nach der Fixierung eines
geschriebenen Standards mit einem verlangsamten phonologischen Wandel zu rechnen. Der
Standardisierungsprozess selbst war in beiden Sprachen mit erheblichen morphologischen und
syntaktischen Veränderungen und natürlich mit Herausbildung einer Orthografie verbunden.
Im Zusammenhang dieser Prozesse kam es tendenziell zu einer Vereinfachung der
Morphologie und einer Komplizierung der Syntax. Das häufig gezeichnete Bild von einer
Vereinfachung der Sprachen durch Übergang zum analytischen Sprachbau ist unzutreffend.
5. Strukturelle Veränderungen, die sich gegenwärtig beobachten lassen, sind in beiden
Sprachen nicht hinreichend erforscht, sind aber aufgrund der vorhandenen technischen
Möglichkeiten (elektronische Korpora) prinzipiell zugänglich. Mit besonderer Sorgfalt ist
dabei zu klären, welche Veränderungen einem Kontakt mit dem Englischen geschuldet sein
könnten. Für das Deutsche kommen hier etwa Veränderungen der Wortprosodie durch das
Auftreten nichtsilbischer Flexionssuffixe (s-Plural, nichtsilbischer Genitiv) in Betracht, für
das Russische das Auftreten nichtflektierter nominaler Formen in Komposita und
Attributstrukturen. Von Bedeutung für das Russische kann mittelfristig auch die zunehmende
Verwendung des lateinischen Alphabets etwa in der Werbesprache sein. In den genannten und
weiteren während der Tagung angesprochenen Bereichen besteht Klärungsbedarf, wenn man
sich ein realistisches Bild von der erwartbaren Entwicklung des Russischen und des
Deutschen machen möchte.
(Bericht von Peter Eisenberg)
69
II. Deutsch und Russisch als Wissenschaftssprachen
Die Arbeitsgruppe „Deutsch und Russisch als Wissenschaftssprachen“ hat zunächst innerhalb
ihres Themenkomplexes vier Teilthemen identifiziert, die im Hinblick auf das Anliegen der
Konferenz wichtig erschienen, und beschlossen, zu erkennbaren Problemen jeweils auch
Lösungsansätze zu formulieren. Dabei sollten die russischen und die deutschen Verhältnisse
durchgehend gesondert betrachtet werden. Beide Nationen waren in der Arbeitsgruppe durch
mehrere hoch qualifizierte Fachleute vertreten, von denen hauptsächlich die folgenden
landesspezifischen Einschätzungen stammen.
1. Terminologie
1.1. Russische Situation
Für Russland ist es, wie es scheint, von geringer Bedeutung, aus welcher Sprache die Termini
stammen. Dringlich ist dagegen, dass die wissenschaftliche Terminologie überhaupt
ausgebaut, modernisiert, in Wörterbüchern kodifiziert und konsequent verwendet wird.
1.2. Deutsche Situation
Hierzu wurden zwei divergierende Auffassungen vertreten, für die kein Konsens gefunden
wurde. Übereinstimmung bestand nur in der Einschätzung, dass die englische Terminologie
für die internationale Kommunikation unverzichtbar ist. Dagegen hielt die eine Seite den
Ausbau einer deutschsprachigen Terminologie auch bis in die feinsten Verästelungen der
Wissenschaften für unabdingbar (zwecks Kommunikation mit der eigenen Gesellschaft) und
auch für realisierbar. Die andere Seite befürchtete dagegen, dass zwei Mengen von Termini
(deutsche und englische) für die WissenschaftlerInnen mancher Disziplinen eine zu große
Belastung darstellen, und fand die Verwendung englischer Termini in ansonsten deutschen
Texten nicht allzu problematisch. Die Frage der Belastbarkeit mit zwei Mengen von Termini
wurde von beiden Seiten als ein Forschungsdesiderat gesehen.
70
2. Textsorten / Diskurstypen
2.1. Russische Situation
Für die russische Seite wurde es wieder als unproblematisch eingeschätzt, wenn traditionelle
russische Ausprägungen wissenschaftlicher Textsorten („polemische Form“) allmählich durch
angelsächsische zurückgedrängt werden („additive Form“).
2.2. Deutsche Situation
Für die deutsche Seite wurde beklagt, dass die unzureichende Beherrschung angelsächsischer
Textsorten zur Ablehnung von Beiträgen seitens der dominierenden anglofonen
Wissenschaften beitrage und die Wirkung wissenschaftlicher Texte mindere. Während eine
Seite zur Lösung des Problems die Notwendigkeit und auch Möglichkeit besserer
Beherrschung der angelsächsischen Textformen betonte, forderte die andere Seite mehr
Publikationsmöglichkeiten für deutschsprachige Texte durch Öffnung bestehender oder durch
Gründung neuer Zeitschriften. Wiederum wurde die gründlichere empirische Untersuchung
als bisher gefordert, und zwar sowohl der deutschen und angelsächsischen wissenschaftlichen
Textsorten als auch der durch die Unterschiede verursachten Schwierigkeiten für deutsche
Wissenschaftler.
3. Sprachwahl
3.1. Russische Situation
Betont wurde die Wichtigkeit der fortdauernden Verwendung von Russisch für jegliche Art
wissenschaftlicher Kommunikation, die aber derzeit auch nicht als gefährdet gilt, da russische
WissenschaftlerInnen unter sich stets und nur auf Russisch kommunizieren. Allerdings sollten
zukünftige Entwicklungen sorgfältig beobachtet werden.
3.2. Deutsche Situation
Hier wurde die verbreitete Verwendung von Englisch durch deutsche WissenschaftlerInnen,
auch in der internen Kommunikation unter sich (informell oder auf Konferenzen) als Problem
gesehen, die am ausgeprägtesten bei NaturwissenschaftlerInnen festzustellen ist. Dadurch
wird oft auch ausländischen Lehrenden oder Studierenden das Deutschsprechen verwehrt.
Gefordert wurde im Hinblick darauf:
71
• die Sensibilisierung der deutschen WissenschaftlerInnen für das Problem, auch durch
Veranstaltungen wie „Die Macht der Sprache“
• dass ausländische GastwissenschaftlerInnen bei einem längeren Aufenthalt ermutigt
werden, zuvor Deutsch zu lernen (z. B. in Deutschland beim Goethe-Institut, mit
deutscher Finanzhilfe)
• dass in den neuen englischsprachigen Internationalen Studiengängen an deutschen
Hochschulen der Erwerb gründlicher Deutschkenntnisse während des Studiums
konsequent obligatorisch gemacht wird und auch deutschsprachige Studienanteile
absolviert werden müssen (außer bei Kurzstudien).
4. Bekanntmachung nicht-englischsprachiger wissenschaftlicher Publikationen
Sowohl die russische als auch die deutsche Seite hielten es für wichtig, dass nicht
russischsprachige bzw. nicht deutschsprachige WissenschaftlerInnen regelmäßig über auf
Russisch bzw. Deutsch verfasste wissenschaftliche Veröffentlichungen informiert werden.
Hierzu eignen sich schriftliche und mündliche Kurzberichte auf Englisch (Zeitschriftenartikel
bzw. Vorträge), die vielleicht auch das Interesse am Russisch- bzw. Deutschlernen wecken.
(Bericht von Ulrich Ammon)
III. Mehrsprachigkeit – auch als politische und wirtschaftliche Aufgabe
Das Thema „Mehrsprachigkeit – auch als politische und wirtschaftliche Aufgabe“ wurde
anhand von fünf Thesen bearbeitet und diskutiert:
1. Deutsch im Ausland – Fremdsprachen in Deutschland! Eine Aufgabe der
Bildungspolitik und der Wirtschaft?
Wenn wir erwarten, dass im Ausland die deutsche Sprache zumindest den zweiten Platz hinter
Englisch in der Auswahl der zu erlernenden Sprachen einnehmen soll, müssen wir Deutsche
zeigen, dass auch wir bereit sind, selbst andere Sprachen, außer Englisch, zu erlernen.
72
2. Öffentlichkeitsarbeit, Werbung, Vermarktung – Nutzen aufzeigen!!!
Nicht der Staat/die Regierung entscheidet in Russland, welche Sprachen benötigt und damit
auch nachgefragt werden. In der Schule sind es in der Regel die Eltern, welche entscheiden,
was für eine Sprache das Kind erlernen soll. Danach entscheidet die Person selbst, lässt sich
aber immer vom praktischen Nutzen des Zeit- und Kraftaufwandes zum Erlernen einer
Fremdsprache leiten.
Die Bewerbung der deutschen Sprache muss den Nutzen für jede einzelne Zielgruppe
aufzeigen. Dazu zählen wir die Eltern, die Lehrer, die Hochschuldozenten und die Lernenden
selbst. Jeder muss individuell angesprochen werden.
Das Goethe-Institut und das Puschkin-Institut sollten noch mehr als bisher
Informationen über Lernangebote in die Öffentlichkeit tragen. Dies gilt in Russland vor allem
für die regionale Arbeit. In Deutschland würden wir eine Ausweitung der Arbeit der Filialen
des Puschkin-Instituts in andere Bundesländer begrüßen.
3. Schule – Studium – Beruf: Veränderungen von Platz und Rolle des Erlernens
einer Fremdsprache im Leben.
Die deutsche Sprache im Ausland, Beispiel Russland, verliert gerade in der Schule immer
mehr an Bedeutung, da die Nachfrage und der Wunsch, vor allem der Eltern, nach Erlernen
der deutschen Sprache immer weiter und teilweise gravierend zurückgeht. Ein besonderes
Problem in Russland stellt die Stellung des Bildungsministeriums zum
Fremdsprachenunterricht dar. Zwar ist das Erlernen einer Fremdsprache obligatorisch, das
Lernen weiterer Sprachen wird allerdings nur empfohlen. Bedauerlich ist dies auch deshalb,
weil die LehrerInnen für die deutsche Sprache nachweislich die am besten ausgebildeten und
motiviertesten Lehrkräfte sind. Ganz sicher spielt dabei die Lehrerfortbildung des Goethe-
Instituts eine nicht unwesentliche Rolle.
Die Nachfrage nach der deutschen Sprache steigt während des Studiums wieder an. In
der Hochschulausbildung wird eine zweite Fremdsprache gefordert. Motivierend kommt dazu,
dass viele Studienaustausch- und Ergänzungsprogramme über deutsche Stiftungen und den
DAAD die deutsche Sprache als Voraussetzung erwarten bzw. einfordern. Diese Programme
sind gerade in Russland sehr beliebt.
73
Mit der großen Anzahl deutscher Unternehmen in Russland – verschiedene Quellen
sprechen von 3.000 bis 4.000 – wächst der Bedarf an Deutsch sprechenden Mitarbeitern und
die Möglichkeit, in deutschen Unternehmen eine Anstellung zu finden.
4. Wachsende Bedeutung der Mehrsprachigkeit im Berufsleben
Große Unternehmen, die international agieren, versuchen das Problem der internen
Kommunikation durch die Nutzung der englischen Sprache als Unternehmenssprache zu
lösen. Aber schon auf der Ebene des mittleren Managements funktioniert dies nur noch mit
Schwierigkeiten. Werden Produktionsstätten in anderen Ländern eröffnet, ist die
Beherrschung der jeweiligen Landessprache unabdingbare Voraussetzung für wirtschaftlichen
Erfolg.
Entscheidende Bedeutung hat die Mehrsprachigkeit in mittelständigen Unternehmen.
Erfahrungen in Russland zeigen, dass immer mehr Mitarbeiter gesucht werden, die über
deutsche Sprachkenntnisse verfügen und damit in der Lage sind, mit dem Mutterhaus in
Deutschland und vor allem deren Mitarbeitern in der jeweiligen Landessprache zu
kommunizieren.
Seit 1997 bietet Deutschland im Rahmen des sogenannten „Präsidentenprogramms“,
eines russischen Weiterbildungsprogramms für Nachwuchsführungskräfte, Praktika für
Absolventen dieses Programms in Deutschland an. Wer für zwei bis drei Monate in deutschen
Unternehmen aktiv am Wirtschaftsleben teilnehmen will, muss Deutsch sprechen.
Seit 2006 gibt es auch ein Praktikum für junge deutsche Führungskräfte in Russland.
Die russische Sprache ist noch nicht Voraussetzung. Kenntnisse der Sprache würden aber
helfen, nicht nur die fachlichen Inhalte, sondern auch die mentalen Hintergründe besser zu
verstehen.
5. Mehrsprachigkeit muss zur Normalität werden – Muttersprache plus 2
Fremdsprachen
Die englische Sprache wird als Mittel zur Kommunikation weltweit sicher zur beherrschenden
Sprache. Trotzdem halten wir es für notwendig, dass in der Schule, während des Studiums
74
und im Berufsleben eine weitere Sprache in Abhängigkeit von den persönlichen Interessen
ihren Platz finden muss.
(Bericht von Jochen Scholz)
75
Jiddische Wörter in der deutschen Sprache
Gertrud Reershemius
„Maloche“, „Schlamassel“, „meschugge“ – bei einigen Wörtern ist uns die Verbindung zur
jüdischen Kultur mit ihren Sprachen Jiddisch und Hebräisch bewusst, bei der „Mischpoche“
etwa, der „Chuzpe“, oder wenn uns etwas nicht ganz „koscher“ vorkommt. Bei anderen
nehmen wir dies kaum noch wahr, beim „Malocher“ aus dem Ruhrpott zum Beispiel, bei der
„Macke“, die jemand hat, beim „miesen“ Wetter, beim „Schmusekurs“ der Regierung oder
beim Nachbarn, der gut „betucht“ ist.
1.100 Wörter jiddischer Herkunft hat der Sprachwissenschaftler Hans Peter Althaus in seinem
Lexikon deutscher Wörter jiddischer Herkunft zusammengetragen, darunter alte Bekannte wie
der „Großkotz“ oder das „Schmiere stehen“, aber auch solche im Deutschen exotisch
anmahnenden wie „Machascheife“ („Hexe“) oder „Besomenbüchse“ („Riechsalzdose“,
„Parfümflasche“), die lediglich in einigen deutschen Dialekten, Fach- oder Geheimsprachen
vorkommen.
Entwicklung des Jiddischen
Was tun solche Wörter im Deutschen? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich die
deutsche Sprachgeschichte des Mittelalters genauer ansehen. Denn es gab nicht nur in
Osteuropa, sondern auch im deutschen Sprachgebiet Juden, die Jiddisch sprachen. Die
Sprache entstand vor ungefähr 1.000 Jahren aus althochdeutschen Varietäten, vermutlich
entweder in der Gegend um Speyer und Worms am Rhein oder um Regensburg an der Donau.
Die mittelalterlichen Juden legten den Grundstein für die Entwicklung des Jiddischen, indem
sie die gesprochenen Sprachen ihrer Umgebung aufgriffen, mit hebräischen Elementen
versahen, Entlehnungen aus romanischen Sprachen integrierten und durch überregionale
Kontakte verschiedene Merkmale althochdeutscher Dialekte mischten.
Spätestens ab 1500 kann man das Jiddische als eine vom Deutschen zu
unterscheidende Sprache betrachten. Jiddisch diente als gesprochene Sprache in der
76
traditionellen jüdischen Gesellschaft der Aschkenasim, der „deutschen“ Juden, wie sie sich
selbst nannten. Zusätzlich lernte jeder jüdische Knabe seit früher Kindheit Hebräisch, um
durch Gebet, Gesang, Kenntnis und Kommentieren der heiligen Schriften seine Religion
praktizieren zu können. Hebräisch war außerdem die Sprache der Rechtsprechung und der
gelehrten Korrespondenz. Für die Mädchen und Frauen wurden Gebet- und Erbauungsbücher
und auch schon einmal Unterhaltungsliteratur auf Jiddisch verfasst.
Geheimsprache der Vaganten als Vehikel
Trotz Diskriminierung, Verfolgung, Ausweisungen und oft genug Pogromen lebte eine
jüdische Minderheit durch die Jahrhunderte hindurch auf deutschem Sprachgebiet, und auch
wenn die Kontakte zu den christlichen Nachbarn zeitweise sporadisch gewesen sein mögen,
so hat es sie doch gegeben. Juden, denen in den meisten Staaten und Kleinstaaten des
Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Landbesitz und Mitgliedschaft in den
Handwerkszünften verwehrt war, verdienten ihren Lebensunterhalt traditionell im Geldverleih
und im Handel, und in diesen Zusammenhängen kam es zu sprachlichem Kontakt mit der
christlichen Mehrheit. Oft wird das „Rotwelsche“, die Geheimsprache der Vaganten, als das
Vehikel beschrieben, durch das jiddische Wörter in die deutsche Sprache einflossen.
Zu den obdach- und heimatlos gewordenen Gruppen von Außenseitern, die seit dem
ausgehenden Mittelalter auf der Suche nach Überlebensmöglichkeiten, nicht immer legaler
Art, die Lande durchstreiften, gehörten durchaus auch Juden. Und tatsächlich bediente sich
das „Rotwelsche“ unter anderem einiger Ausdrücke hebräischen Ursprungs. Die Rolle, die
ihm bei der Entlehnung jiddischer oder hebräischer Wörter beigemessen wurde, wird jedoch
vermutlich weit überschätzt. Viel wahrscheinlicher ist, dass die jiddischen Worte durch
Alltagskontakte mit jüdischen Händlern und Schlachtern, den vorherrschenden Berufen unter
den Landjuden, herrühren. Diese Berufsgruppen hatten zudem Fachsprachen entwickelt, die
Anleihen vor allem bei der hebräischen Komponente des Jiddischen machten. In den Städten
gab es auch nach dem Ende der jüdischen Ghettos Kontakt mit Jiddischsprechern. Wenn auch
das Jiddische im Westen seit der Aufklärung zunehmend an Boden verlor, so gab es in
Großstädten wie Berlin seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Gruppen ostjüdischsprachiger
Immigranten. In Osteuropa hatte sich seit dem Mittelalter die Sprache der aus deutschen
Gebieten eingewanderten Juden zu einer äußerst vitalen Kultursprache entwickelt.
77
Verwendung jiddischer Worte im Deutschen
Wie wurden und werden jiddischstämmige Worte – die meisten aus der hebräischen
Komponente der jiddischen Sprache – im Deutschen verwendet? Deutsche Schriftsteller des
19. und beginnenden 20. Jahrhunderts charakterisierten jüdische Figuren – oft in
antisemitischer Absicht – manchmal über ihre sprachlichen Eigenheiten, also durch
lexikalische oder grammatische Merkmale des Jiddischen. Die jiddischen Wörter waren
demzufolge als solche bekannt. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden jiddische Worte
zu antisemitischer Propaganda eingesetzt oder durften nicht benutzt werden, mit dem Erfolg,
dass sie den Nachkriegsgenerationen zum Teil unbekannt waren oder dass die vor dem Krieg
bekannten Konnotationen kaum noch existierten. Seit den 80er-Jahren erfreut sich eine
Handvoll jiddischer Worte wieder zunehmender Beliebtheit und ist heute fester Bestandteil
vor allem der Zeitungssprache.
Ein Beispiel, zitiert nach Hans Peter Althaus’ Buch „Zocker, Zoff und Zores“ (2002):
„Kneipenzoff endete in blutigem Zweikampf in der Saarstraße”. Bemerkenswert und bei
Althaus nachzulesen ist die durchaus unterschiedliche Geschichte einzelner jiddischer Wörter
und ihrer Bedeutung im Deutschen. Lesen Sie die ruhig einmal nach, wenn man „Tacheles“
mit Ihnen geredet hat, wenn Sie „angeschickert“ nach Hause gekommen sind oder ein
„Ganove“ Ihnen zu Leibe rücken wollte.
79
ICHDEUTSCHSPRECHENPERFEKT
Für die Installation, die sich der babylonischen Sprachenvielfalt als Identität stiftendes
Medium widmet, bediente sich Babak Saed den Sprachen jener Länder, in denen Goethe-
Institute vertreten sind. Das Konzept hat lediglich einen Satz zum Inhalt, der in jeder der
benutzten Sprachen leicht variiert wurde. Inhaltlich bringt jeder Satz zum Ausdruck, dass
der Sprecher die jeweilige Sprache perfekt beherrscht. Allerdings beinhalten die Sätze
grammatikalische Fehler, sodass unmittelbar ein Widerspruch erkennbar wird. Dieser
Widerspruch verbildlicht die Situation des Fremden: Einerseits strebt er ein gewisses
Heimatgefühl in der ihm neuen Kultur an. Andererseits möchte er den eigenen kulturellen
Hintergrund nicht restlos aufgeben.
80
After Babel
Eine künstlerische Intervention zur Macht der Sprache von
Babak Saed
Die Installation „AFTER BABEL“ des Konzeptkünstlers Babak Saed auf der
Außenfassade der Akademie der Künste und im Inneren auf den Glassegmenten des
Skulpturengartens fordert eine besondere Aufmerksamkeit für das geschriebene Wort, denn
der Künstler iranischer Herkunft arbeitet ausschließlich mit Großbuchstaben ohne
Interpunktion und Leerzeichen. Diese WORT-AN-WORT-Sprache, die ein unbeteiligtes
Lesen erschwert, fordert vom Betrachter ebenso Konzentration wie eine kritische
Auseinandersetzung mit dem Betrachteten ein. Die Sprache erscheint zunächst
unverständlich, kann sich aber als decodierbar entschlüsseln oder ein Rätsel bleiben.
Die Installation hat zum Thema, inwieweit Sprache als ein Mittel der Ausgrenzung
Fremder oder aber ihrer Annäherung an die Einheimischen dient. Was passiert, wenn der
Fremde zu sprechen beginnt und sich als solcher zu erkennen gibt? Die Begegnung von
Menschen unterschiedlicher Sprachherkunft zeichnet im besonderen Maße die gegenwärtige
Zeit aus. Ausgehend davon, dass Sprache – auch die Muttersprache – einem kontinuierlichen
dynamischen Prozess unterworfen und somit nie vollendet ist, lässt die Schlussfolgerung zu,
dass das Ideal einer vollständigen Beherrschung auch nur einer Sprache eine Illusion bleiben
muss.
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Muttersprache – Vaterland
Zusammenfassung einer Podiumsdiskussion
Krzysztof CzyŜewski, Volha Hapeyeva, Marius Ivaškevičius, Andrej Kurkow
Moderation und Zusammenfassung: Martin Pollack
Am 15. Juni 2007 fand in Berlin auf dem Festival „Die Macht der Sprache“ eine
Podiumsdiskussion zum Thema „Muttersprache – Vaterland“ statt, deren Verlauf im
Folgenden zusammengefasst vorliegt.
Andrej Kurkow betont eingangs, dass es in der Ukraine stets eine Tradition der
russischsprachigen Literatur gab, wie Isaak Babel oder Nikolaj Ostrovskij, zu der auch er
selber sich bekennt. Er hatte nie ein Problem mit seiner Identität, obwohl man ihm immer
wieder sagte, wenn er ein ukrainischer Schriftsteller sein wolle, müsse er Ukrainisch
schreiben. Doch er wollte sich kulturell nie assimilieren, auch nie seine russische
Muttersprache aufgeben, obwohl er sich in Russland als Fremder fühlt, doch emotionell
empfindet er sich als Ukrainer.
Marius Ivaškevičius hat es als litauischer Autor in dieser Hinsicht einfacher: Er
schrieb immer Litauisch, obwohl er teilweise weißrussische Wurzeln hat. Doch auch in
Litauen gab es in der Vergangenheit Bestrebungen, die litauische Sprache als wichtiges
Instrument für die Findung der nationalen Identität zu betrachten – in diesem Sinne galt es als
unpatriotisch, polnisch oder russisch zu sprechen. Obwohl das, gerade in Hinblick auf die
Literatur, oft geradezu absurd anmutet, wie Ivaškevičius am Beispiel des polnischen
Nationaldichters Adam Mickiewicz darlegt. Um Mickiewicz streiten Weißrussen, Litauer und
Polen, er ist im heutigen Weißrussland geboren, schrieb Polnisch und fühlte sich der
polnischen Kultur zugehörig, doch sein berühmtes Versepos „Pan Tadeusz“, gern als
polnisches Nationalepos bezeichnet, beginnt mit der Zeile: „Litauen, mein Vaterland“.
Ivaškevičius: „Wir haben unser sprachliches Erbe und den alten litauischen Staat, aber in
diesem wurden immer schon verschiedene Sprachen gesprochen. Jiddisch, Polnisch, Russisch.
82
Litauisch als allgemeine Sprache gab es genau genommen nicht. Im kulturhistorischen und
politischen Kontext sind die anderen Sprachen heute verschwunden, unsere Kultur ist dadurch
ärmer geworden.“
Volha Hapeyeva weist auf die schwierige Lage der belarussisch schreibenden Autoren hin,
die gegenüber der von den offiziellen Stellen unterstützten russischen Literatur stark
benachteiligt werden. Die Literatur in Belarus ist gespalten in eine russischsprachige, die von
den offiziellen Stellen unterstützt und gefördert wird, und eine belarussische, die nach
Möglichkeit unterdrückt wird.
Volha Hapeyeva: „Früher konnten wir noch Lesungen in Buchhandlungen abhalten, das wird
nun oft verboten, wir haben also im eigenen Land große Probleme, unsere Literatur bekannt
zu machen.“
Die belarussischen Autoren bemühen sich daher verstärkt um Zusammenarbeit mit dem
Ausland, um auf diesem Weg ihre Literatur zu verbreiten. Das mag auch ein Grund dafür
sein, dass die meisten belarussischen Autoren gleichzeitig auch Übersetzer sind. Ein
besonderes Problem, so Volha Hapeyeva, liegt darin, dass die Mehrheit der Bevölkerung von
Belarus Russisch und nicht Belarussisch spricht und dass der Buchmarkt mit billigen
russischen Büchern überschwemmt wird, während die Verleger belarussischer Werke mit
großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, nicht zuletzt finanziellen, die schon beim Vertrieb
beginnen.
Ganz anders ist die Situation in Polen, das seit Jahren so etwas wie eine
Brückenfunktion zwischen den deutschsprachigen Ländern und Ländern wie der Ukraine,
Belarus, aber auch Litauen erfüllt: Viele Werke ukrainischer oder litauischer Autoren
gelangten auf dem „Umweg“ über Polen zu deutschsprachigen Verlagen. Krzysztof
CzyŜewski und das von ihm geleitete unabhängige Kulturinstitut „Pogranicze“ haben sich in
dieser Vermittlungsarbeit große Verdienste erworben.
Es ist schon richtig, so CzyŜewski, dass Polnisch und Deutsch, aber auch Russisch als
weit verbreitete Sprachen die Rolle von „Fenstern“ spielen können, gleichzeitig besitzen sie
jedoch das Potenzial, andere, kleinere Sprachen zu dominieren, was in der Vergangenheit
auch oft der Fall war. Der Sprache kommt auch eine wichtige Rolle beim Aufbau der Kultur
und Zivilisation zu. Eine Sprache hat in der Regel einen regionalen Charakter, sie ist
einzigartig, und deshalb müssen wir uns bemühen, sie zu erhalten.
83
CzyŜewski: „Es ist einfach, sich europäisch zu geben, wenn man sich auf ein gemeinsames
Erbe beziehen kann: Wir alle schätzen die Beatles oder Mozart, aber kaum einer weiß über
Baranauskas oder Čiurlionis oder andere litauische Autoren und Komponisten Bescheid. Wir
sagen: Europa, ja, wunderbar, aber Litauisch bei uns in der Schule? Niemals!“
Daneben wolle er noch über eine andere Sprache, eine Metasprache, reden: Die Sprache des
Dialogs, die uns leider verloren ging. Nach CzyŜewski ist es die wichtigste Aufgabe der
Kulturvermittler, diese verlorene Sprache wieder zu entdecken. Eine Art Parallelsprache,
Worte, die nicht gegen andere eingesetzt werden, sondern dem Dialog dienen. Als Beispiel
nennt er Paul Celan: Er schrieb Deutsch, auch nach dem Holocaust, obwohl er sehr gut
Rumänisch, Ukrainisch und Französisch sprach. Dennoch entschied er sich für Deutsch, weil
er diese Sprache nach allem, was geschehen war, wieder neu beleben wollte.
Jemand aus dem Publikum richtet an CzyŜewski die Frage, welche Rolle die Literatur
beim Prozess des nation building in Mittelosteuropa spiele.
Literatur, so CzyŜewski, war immer wichtig für diesen Prozess, das gilt auch heute
noch, wie das Beispiel von Belarus zeigt. In anderen Ländern, wie etwa Polen oder Litauen,
sei man schon einen Schritt weiter, dort könne man neben nation building auch über
civilisation building nachdenken. Natürlich gebe es in den Ländern Ostmitteleuropas auch
Rückschläge in diesem Prozess: Alte Ideologien tauchen wieder auf und schüren Ängste
gegen gewisse Entwicklungen, auch gegen die EU. Bei vielen Menschen werden auch Ängste
wach (oder bewusst geweckt), sie könnten in diesen globalen Prozessen ihre nationale
Identität verlieren, was von manchen Politikern ausgenützt wird.
Volha Hapeyeva weist darauf hin, dass sich das Thema „Nation“ naturgemäß auch in
der Literatur widerspiegelt. „Das Stück, an dem du arbeitest, soll universale Probleme
ansprechen, aber auch einzigartig sein, also relevant für deine Region und gleichzeitig
interessant für andere Leser.“
Ivaškevičius betont den Unterschied zwischen demokratischen oder autoritären
Gesellschaften. In autoritären Gesellschaften ist die Literatur wie eine Polizei, die auf die
verordnete Wahrheit achtet, sie hat nicht nur ästhetische Qualitäten. Manchmal sei er
geradezu eifersüchtig, wenn er in Belarus das riesige Interesse des Publikums an Literatur
sehe. Andererseits könne er sich nicht mehr vorstellen, als Autor in einer autoritären
Gesellschaft tätig zu sein. „Für mich ist die ästhetische Funktion der Literatur wichtiger.“
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Abschließend erläutert Krzysztof CzyŜewski, was er unter Metasprache versteht: Es
geht um Einzelheiten, um einzelne Wörter. Der Name des Kulturzentrums „Progranicze“ zum
Beispiel bedeutet nicht nur „etwas an der Grenze“, sondern auch „innere Grenze“. Innere
Grenzen, wo Leute unterschiedliche Assoziationen, geprägt durch ethnische Herkunft und
Familie, in sich tragen. Dieses Wort war viele Jahre eliminiert aus der Sprache des
Grenzlandes. Wenn man jemanden einen „Menschen des Grenzlands“ nannte, sagte das etwas
Negatives über ihn aus. Jemand, der nicht weiß, wer er ist, eine Mischung. Man musste ein
richtiger Pole, ein richtiger Litauer, Jude oder Deutscher sein. CzyŜewski und seine
Mitstreiter haben versucht, diesem Wort einen neuen Sinn zu verleihen, und das ist auch
gelungen.
CzyŜewski: „Heute sagen die Leute stolz: Ich bin ein Grenzbewohner, ich habe litauische
Wurzeln, ebenso wie polnische oder jüdische. Ohne diesen Begriff ‚Menschen des
Grenzlands’ wären wir nicht, was wir sind. Ohne diesen Begriff wären wir Invaliden, fehlte
uns ein Teil des Körpers.“
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Die Luft der Wörter
Über Sprache und Identität
Marica Bodrožić
Wörter sind Archive des Lebens. Sich an die Wörter zu halten, an das Wort zu halten, ist
immer auch eine Haltung zur Welt, ein Weltwerden, eine Schöpfung. In den Wörtern, ja sogar
im Semikolon – das die Sätze in einen Atemfluss, einen Atemzusammenhang bringt – wohnen
Gedächtnisse.
Der Mensch ist nichts ohne seine Erinnerung. Zum einen braucht er sie wie Brot, um
sich selbst zu erkennen; zum anderen muss er hin und wieder auf sie verzichten und auch im
Unwägbaren gehen. Die Sprache gibt ihm die Macht, sich und andere in Vergangenheit,
Gegenwart oder Zukunft zu sehen. Die inneren Bilder sind dabei wie kleine
Brückenübergänge an die Wörter gekoppelt.
Wo fängt der Fuß des Ichs an, wo die Fingerkuppe der Biografie? Wo enden sie? Welchen
Weg auch immer wir einschlagen, wir kommen um unsere schöpferische Macht nicht herum.
Diese wird uns zwar nicht in die Wiege, aber mit jedem neu erlernten Wort ins innere Gebiet
und dann auch in die eigene Stimme gelegt.
Sprechen ist par excellence ein Werden. Sprache ist stets Bewegung. Sie kann gar nichts
anderes sein. „Bewege Dich, so wirst du schön“, hat einmal der Schriftsteller Peter Altenberg
geschrieben. Nur das, was wir zu sagen vermögend sind, macht uns aus, macht etwas in und
mit uns zu einer Bewegung. Ein neuer Wind zieht in die Lunge ein, ein neuer Wolkenzipfel
Seele, wenn wir auf die Wörter als Waffen verzichten. Und uns nur im Sein bewegen. Das
Ich, die eigene Innerlichkeit sind aber auch nur Randdistrikte eines viel größeren Gebietes,
dem alle Menschen angehören. Auch die Natur wohnt in diesem Menschengebiet, ist
manchmal zuständig für die Stille und Würde der Wörter. Gleichsam wie in einem Wald wirkt
auch in den Buchstaben eine Form von Natur, die sich ihre eigenen Farben und Farbnuancen
ausdenkt. Und den Gebrauch der Wörter zu beschützen sucht. Ist das Ich hart wie Kernseife,
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kann es nur mit Wörtern schrubben, es kann nicht weich sein und verliert den Bezug zum
Inneren.
Liebenden geschieht das bewusste Sein immer von selbst. Wenn man liebt, hat man
keine Hand frei, um mit Steinen zu werfen, man braucht beide Hände, um aus dem Vollen zu
schöpfen. Liebe erträgt man nicht, man lebt sie mit seinem ganzen Wesen und ist dem
Anderen ebenbürtig, hat die gleichen Rechte, den gleichen Genuss, jedenfalls ist die Natur
jeder wahren Begegnung so angelegt. Der Andere braucht nicht nur unseren Respekt, so
erträgt man den Anderen nur. Es ist gegen die Würde des Menschen, dass man ihn nur erträgt.
Jeder Mensch benötigt das Ganze, den offensten Blick, die größtmögliche Zuneigung. Ob als
Individuen oder als Völker, Nationen, Länder, wir brauchen eben die ganze Zärtlichkeit des
Auges, die ganze Aufmerksamkeit: und diese wurzeln nur im Verstehen, im sprachlichen
Zugehen auf den Anderen. Wie kann man auf einen Anderen zugehen, ohne sich selbst
mitzunehmen? Das geht nicht. Das ist keine Bewegung.
Identität ist nichts anderes als die Fähigkeit, sich im eigenen Inneren erinnernd zu
bewegen. Was vermag ein Wesen zu tun, im Leben, für sich, für Andere, wenn es keine
Wörter zu Freunden hat? Wenn es nicht lesen kann, wenn es die eigenen Buchstabenflüsse,
Wörtermoore und Satzseen nicht kennt? Was vermag ein Wesen dann eigentlich überhaupt?
Was ist sein Sagen? Seine Welt? Seine Menschenwiese?
Flüsse, Moore, Seen sind weiche, wenngleich auch unwägbar tiefe Gebiete. Das
eigene Gehen darin will geübt sein – und muss eben auch, wenn die Kieselsteine aufhören, ein
gekonntes Schwimmen werden. Geben wir Anderen die Macht über unsere eigenen Sprach-
und Lebensbewegungen, und beides gehört verfugt zusammen, sind wir vom Urgrund her
gefährdet. Wir können nicht anders als unterzugehen. In Diktaturen ist dieses Phänomen bei
jedem Schritt der Menschen in ihrem Alltag zu beobachten. So sie sich sprachlich der
offiziellen Doktrin, und jede Sprachverordnung ist eine Doktrin, anheimgegeben haben,
verlieren sie die Grundlage ihrer eigenen inneren Balance. Und dann hat das Ich keine eigene
Luft, dann haben die Wörter keine eigene Luft, keine Ich-Luft, keine Herzluft, keine Seeluft,
überhaupt keine Luft. Keinen Atem. Wir haben, so wir unachtsam mit dem Erbe und dem
Archiv der Wörter umgegangen sind, alles abgegeben, was wir je hatten. Uns selbst haben wir
dann abgegeben, weil wir ohne die Wörter niemand sind.
In der sichtbaren Welt haben wir nichts. Es sieht nur so aus, als seien wir hier und dort
Besitzer. Passbesitzer, Hausbesitzer, Adressenbesitzer. Wirkliches Haben bewegt sich aber
nur in der unsichtbaren Welt, wird verwaltet auf einem unsichtbaren Sprachkonto, das
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seismografisch genau all unsere Bewegungen verzeichnet. Wir alle haben nur unsichtbare, nur
unbeweisbare Köfferchen, Wörter, Winde, Wirkungen – wir können sie nur in uns, nur in der
Sprache tragen. Selbst dann, wenn unsere Sprache die reine Stille wäre.
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Sprache und Identität im mehrsprachigen Israel
Joel Walters
„Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen.“
(Johann Wolfgang von Goethe)
Jeder Beitrag über „Die Macht der Sprache“ in Israel muss, wenn auch nur als
Erwähnung, mit den tiefen Wurzeln von Sprache und Rede in biblischen Quellen und
dem Talmud beginnen. Adams Begegnung mit Gott im Garten Eden, Moses’ verbaler
Totschlag eines Ägypters, der einen jüdischen Sklaven getötet hatte, das
ohrenbetäubende Schweigen von Aaron dem Priester nach dem Tod seiner beiden
Söhne und Dutzende von Aussagen über Sprache als das, was Menschen von anderen
Arten unterscheidet, sind nur Fragmente des Hintergrunds, der notwendig ist, um das
multikulturelle, polyphone Israel von heute zu verstehen. Dieser kurze Beitrag beginnt
mit etwas Demografie und einer Einführung in das Konstrukt der Identität, danach
stellt er drei Arten vor, wie Linguisten Sprache als Fenster zur Identität betrachten:
durch Namen, Pronomen und Diskursmarker.
Die Wiederbelebung des modernen israelischen Hebräisch stand im
Mittelpunkt des Prozesses der Nationenbildung, der 1948 in der Staatlichkeit
kulminierte. Über drei kurze Generationen hinweg gelang es dieser Sprache, die
Muttersprache der meisten Einwanderer als Sprache zur allgemeinen Verständigung
zu ersetzen. Nichtsdestotrotz ist sie heutzutage immer noch die Muttersprache von nur
einer kleinen Minderheit der 7,2 Millionen Einwohner Israels.
Zusätzlich zum Arabischen, das 1,5 Millionen Muttersprachler zählt (1 Million
Muslime, eine halbe Million Juden aus Nordafrika, Jemen und Irak, 150.000 Christen
und 120.000 Drusen) und zum Russischen (1.000.000 Muttersprachler), gibt es jeweils
mehr als 200.000 englische, rumänische und jiddische Muttersprachler. Eine weitere
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halbe Million ist Muttersprachler in elf verschiedenen anderen Sprachen (Amarisch,
Bukarisch, Deutsch, Dschidi/Jüdisch-Persisch, Französisch, Georgisch, Juhuri/Judeo-
Tat, Ladino, Polnisch, Spanisch und Ungarisch), und es gibt 14 weitere Sprachen mit
5.000 bis 50.000 Muttersprachlern (Armenisch, Bulgarisch, Chinesisch, Ga,
Griechisch, Holländisch, israelische Gebärdensprache, Italienisch, Portugiesisch,
Tagalog, Thai, Tigrigna, Tschechisch, Türkisch). Dies verleiht Israel eine enorme
mehrsprachige Vitalität und macht Hebräisch, auf eine merkwürdige Art, zur
Minderheitensprache innerhalb seiner eigenen Grenzen.
Der folgende Auszug aus einem Dialog zwischen zwei Studierenden ist
bezeichnend:
Nein, ich sage dir, einmal, das ist eine wahre Geschichte, war ich auf dem Weg
zum Haus einer Freundin. Von meinem Haus zu ihrem Haus ist es ein Weg von
20 Minuten, und ich sage dir, ich bin an Leuten vorbei gegangen und habe nur
fremde Sprachen gehört, ich hörte Russisch, ich hörte Französisch, ich hörte
Spanisch, aber ich hörte kein Hebräisch. Ich kam bei meiner Freundin an und
sagte, „Sag mal, in welchem Staat lebe ich eigentlich?!“ Ich meine, aber auf
der anderen Seite kann man das gar nicht sagen, weißt du was, weil ich
dasselbe vor Kurzem noch zu meiner Schwester gesagt habe und sie zu mir
meinte: „Moment mal, wie kommt’s, dass du nichts über Oma sagst?“ Meine
Großmutter ist Marokkanerin und sie spricht nur Marokkanisch. „Warum sagst
du nichts über Oma?“ – Also, was kann ich tun?
Die Analyse von Identität verläuft durch eine breite Vielfalt von Disziplinen, sie speist
sich aus der Psychologie, Soziologie, Anthropologie, Politologie, Geschichte, Literatur
und anderen mehr. Ihre Anwendung ist ebenso bedeutsam für die Welt von
Therapeuten wie von Politikern. Der hier gewählte Ansatz setzt voraus, dass
sprachliche Formen wie Namen von Personen und Orten, Pronomen („wir“/„sie“;
„uns“/„euch“) und Diskursmarker (englisch: „well“, „ya’ know“, „okay“, „sure“;
deutsch: „also“, „ja“, „doch“) Fenster zu kollektiven, interpersonalen und
individuellen Identitäten sind. Der Rest dieses Beitrags wird versuchen, diese Fenster
zu öffnen und manche der Arten zu zeigen, wie Sprache Identität ausdrückt.
90
1. Sprache und Gefühl in israelischer Sprache: Namen, Orte und pulsa
d’nura
Vor einem binationalen Projekt zur Identität von früheren sowjetischen jüdischen
Einwanderern nach Israel und Berlin (1997–2000) führten wir eine explorative Studie
mit Tatiana, einer 18-jährigen russischen eingewanderten Erwachsenen durch, die
1989 im Alter von 14 Jahren mit ihren Eltern von Leningrad nach Israel kam. Wir
fassten die Identität des Mädchens als ausgeprägt russisch, mäßig israelisch und
negativ jüdisch zusammen. Ihre sich entwickelnde russisch-israelische Identität fand
den deutlichsten Ausdruck in ihrem Sprechverhalten (Personen- und Ortsnamen,
Begrüßungen und Diskursmarker). Diese linguistischen Indikatoren deckten sich nicht
immer mit den Einstellungen, die sie inhaltlich in Interviews und auf
Einstellungsfragebögen äußerte. Sie war Tanya aus Petersburg für ihre
russischsprachigen Freunde, aber eine sozial distanziertere Tatiana aus Leningrad für
ihre gebürtig israelischen Altersgenossen. Sie verspottete die israelische Kultur, sprach
aber umgangssprachliches Hebräisch genau wie ein gebürtiger Israeli. Das binationale
Projekt mit Arbeitsgruppen der Bar-Ilan Universität und der Freien Universität Berlin
zeigten die gleiche Komplexität im Wiedergeben multidimensionaler jüdischer,
russischer, deutscher und israelischer Identitäten – manchmal hinsichtlich der
Nationalität, manchmal politisch, weniger oft religiös und immer als Einwanderer.
Namensänderungen bei israelischer Identität
Israel ist sowohl Goldmine als auch Katastrophengebiet für die Onomastik, die
Wissenschaft der Namen. Viele Einwanderer wählten in den frühen 1950ern
hebräische/israelische Familiennamen. Namensänderungen waren sogar verpflichtend
für diejenigen, die in den Staatsdienst eintraten. Aus der Perspektive der sozialen
Integration kann die Namensänderung sowohl als Ablehnung der Vergangenheit als
auch als Zeichen der Assimilierung verstanden werden, wie hier ein Interview mit
einem kürzlich eingewanderten Russen illustrieren soll:
I wollte, wollte wirklich meinen Namen ändern, meinen Familiennamen wie
auch meinen Vornamen. Aber, äh … Ich wollte mir einen israelischen Namen
91
geben, Arik Barak. Arik Barak. Wirklich schön. Barak, das ist … ja, das ist ein
richtiger israelischer Name … ja, ich wollte mehr verbunden sein mit … mit
dem Land …
[Letztendlich weigerte sich seine Frau].
Aber Namensänderungen erschweren es, die Genealogie sowie religiöse und ethnische
Distinktionen zurückzuverfolgen, und tragen sicherlich nicht zum Pluralismus bei;
originale Namen sind vielmehr ein wertvoller Teil der israelischen mehrsprachigen
Landschaft. Trotz assimilativer Praktiken unter Immigranten sind Namen
Unterscheidungsfaktoren zwischen aschkenasischen und sephardischen Juden, wie
auch unter christlichen und muslimischen Arabern, Drusen und Tscherkessen. Und
sogar über religiöse Linien hinweg lassen sich Familiennamen wie „Sayag“/„Saiegh“
und „Haddad“ genauso bei christlichen wie bei arabischen und marokkanischen Juden
finden.
Pulsa d’nura
Über Namen von Personen und Orten hinaus hat der öffentliche Diskurs in Israel eine
lange Tradition nur schwer festzumachenden symbolischen Sprechens. Der pulsa
d’nura (ein Fluch aus dem Talmud), der der Ermordung des Premierministers Yitzhak
Rabin 1995 vorausging, war ein sprachlicher Vorfall, der den religiös-säkularen
Konflikt zur gewalttätigen Katharsis brachte. Er brach jährlich jeden November, im
Monat der Gedächtniszeremonien, aus. Im diesem Jahr (2007) übertönten Fußballfans,
viele von ihnen auf dem politischen Schlachtfeld der rechtsgerichteten Arbeiterklasse
zugehörig, die Schweigeminute für Rabin, eine Zeremonie, die vor den Spielen
abgehalten wird. Der Vorfall dominierte die Zeitungen, Talkshows, Webseiten und
endete mit der kollektiven Strafe, dass die Mannschaft zwei ihrer Spiele vor einem
leeren Stadion spielen wird, eine poetische Stille, die scheinbar als Ersatz für das
gedacht ist, was für vor dem Spiel geplant war.
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2. Pronomen der Identität: Wir und sie, uns und euch
Auszüge einer Gruppendiskussion mit acht israelischen arabischen College-
Studentinnen und -Studenten – Mitglieder der größten eingeborenen Minderheit, vier
Männer und vier Frauen Mitte 20 aus Nordisrael – verdeutlichen, wie Pronomen als
Marker für kollektive Identität verwendet werden und zwischen den arabischen
Sprechern und den jüdischen Gesprächsinhalten Grenzen ziehen. Das erste Beispiel
dreht sich um die Arabischkenntnisse der jüdischen Bevölkerung. Es wurde von der
Gesprächsleiterin, auch eine israelische Araberin, als Gesprächsthema eingeführt. Sie
fragte: “Ist es wünschenswert, dass die Minderheitensprache (Arabisch) von der
Mehrheit (Juden) gesprochen wird? Was können sie durch dieses Wissen gewinnen?”
Die Diskussion führte zum Thema Arabistik an jüdischen Schulen (anhand der Fragen,
ob die Teilnehmer der Gruppendiskussion wollten, dass jüdische Schulen Arabisch
lehrten, und welches Niveau der Sprache sie erreichen sollten).
N: Wir, als in Israel lebende Araber, wenn Juden anfingen, perfektes Arabisch zu
sprechen, was würde es uns nützen?
Q: Es gibt das Sprichwort „Wer nur London kennt, kennt London nicht“. Lass sie
weiter Hebräisch sprechen, wo ist das Problem?
Eine entgegengesetzte Meinung aus der gleichen Gruppendiskussion kam bei der
Erörterung der Frage, ob es weiterführende Schulen geben sollte, die auf Arabisch
unterrichten, zur Sprache. Die folgende Antwort wurde auf das Argument eines
Teilnehmers gegeben, dass israelische Araber niemals richtig probiert hätten, auf
Arabisch in weiterführenden Schulen zu lernen, und dass sie es versuchen sollten.
R: Ich denke, dass wir noch nicht wirklich klar gemacht haben, dass wir in
einem jüdischen Staat und nicht in einem anderen Staat leben. Das bedeutet,
dass jeder Brief, den du bekommst, auf Hebräisch sein wird. Wenn wir das
Hebräische nicht benutzen, sind wir nicht in der Lage, uns mitzuteilen.
S: Aber das ist etwas, das uns aufgezwungen wurde!
R: Keiner kann dich davon abhalten, mit deinem Freund arabisch in einer
Vorlesung zu sprechen, aber da es eine hebräischsprachige Universität ist, wo
alle Dozenten Hebräisch sprechen, solltest du Hebräisch sprechen.
93
Und im folgenden Beispiel aus der großen Minderheit russischer Einwanderer betonen
eine Differenzierung zwischen „wir“ und „mein“ und die Wiederholung der
Bezeichnung der russischen Identität die Leidenschaft des Sprechers für seine
russische Kultur.
… weil wir aus der russischen Kultur kommen, das … da kann man nichts
machen … es wird meinem Zionismus, meinem Zionismus nicht helfen, wir
sind Russen, weil wir mit der russischen Kultur aufgewachsen sind, und ich
denke, das wird bis ans Ende unseres Lebens so bleiben.
3. Diskursmarker: kleine Fenster zu den Intentionen der Sprecher
Jede Sprache enthält zwischen 50 und 100 kleine Wörter, die, überall in die
gesprochene Rede eingestreut, eine Vielzahl von Funktionen übernehmen. Sie zeigen
etwa Themenwechsel an, verbinden Sätze miteinander, strukturieren die Konversation,
stellen – auf psycholinguistischer Ebene – Beziehungen zwischen Sprecher und
Zuhörer her, zeigen Affekt und Gefühl und geben dem Sprecher Zeit, den
Gesprächsfluss während seiner Entstehung zu planen und zu überwachen. Der
folgende Auszug stammt von einem 45-jährigen Biologen aus Moskau, der in einem
Interview zwei Studierenden der Universität seine Einwanderungsgeschichte erzählt.
Seine Rede ist voller Affekt, hier hervorgehoben durch die begleitenden
Diskursmarker.
[1] ja, ich weiß, er war nebenbei bemerkt war äh obwohl er war in meinem
Alter,
[2] er war mein erster Hebräischlehrer, in Hebräisch
[3] und auch mein erster Lehrer in jüdischen Fächern,
[4] und ich wu-wur-wurde nicht zu einem äh religiösen Mann
[5] vielleicht hatte ich nicht genug Kraft
[6] aber äh nicht wie Barux,
[7] äh, aber ah, dennoch, aber ich [bin], wie sie es nennen, traditionell,
[8] und das ist nebenbei bemerkt wegen äh Barux.
[übersetzt aus dem Hebräischen]
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Bemerkenswert in dem oben stehenden Auszug ist der defensive Kommentar im
Segment [5], gekennzeichnet durch den Diskursmarker „vielleicht“, und der repetitive,
stotterhafte Gebrauch von „aber“ und „dennoch“ in Segment [7], in dem der Sprecher
seine Identität benennt. Der Gebrauch von „nebenbei bemerkt“ in Segment [8],
begleitet von der Anerkennung, die er seinem ersten Lehrer zukommen lässt, könnte
Ambivalenz anzeigen, möglicherweise einen Konflikt zwischen seiner Identität und
seiner Dankbarkeit.
Linguisten ringen darum, die strukturellen, funktionalen und affektiven
Eigenschaften dieser ‚kleinen Wörter’ auszumachen und bieten mehr als zwanzig
verschiedene Begriffe zur Bezeichnung einer Klasse von weniger als 100 Elementen
an, darunter Diskursmarker, Diskursmodifikatoren, Kursmarker, Satzverknüpfer,
Konjunktionen; pragmatische Marker, focus particles, Beiworte, Interjektionen,
Vokative, Mittel mit Illokutionspotential, Absicherungen, Adverbialmodifikatoren;
Füllworte, Sprachkompetenzmarker; Umgangssprache und slovaparasita (russisch).
Der Großteil dieser Begriffe zeigt eine gewisse sprachliche Hilflosigkeit in der
linguistischen Wissenschaftsprosa.
Koda
Und am Ende dieses kurzen Beitrags wäre es intellektuell unehrlich, zu vermeiden, die
Macht anzusprechen, die der Holocaust immer noch über die israelische Bevölkerung
hat. Die Anrede als „Nazi“ kommt von Zeit zu Zeit in den höchst schmerzlichen
Zerwürfnissen vor – zwischen Juden und Muslimen, zwischen Einwanderern und im
Land geborenen Bürgern, zwischen Religiösen und Säkularen. Und ein Beispiel wie
„mashtap“ (Kollaborateur), ein hebräisches Beiwort, das als Beleidigung unter
Arabischsprechenden benutzt wird, ist eine subtile, aber schmerzvolle Erinnerung an
den Gebrauch des Wortes „Judenrat“ von Juden.
Mehrsprachigkeit war von den Gründern des Staates nicht zwingend
vorgesehen, als sie 1948 sowohl Arabisch als auch Hebräisch als Amtssprachen des
Landes gesetzlich festhielten. Auch dachten die jüdischen Flüchtlinge, die aus Europa,
Nordafrika und dem Mittleren Osten kamen, kaum, sie würden an einen Ort kommen,
der für seinen Pluralismus bekannt wäre. Aber die Jahre seit der deutschen ‚venda’
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weisen einen unübertroffenen demografischen Wandel von Einwanderungs- und
Geburtenraten bei Muslimen und religiösen Juden auf, weit über die der säkularen
Bevölkerung hinaus – zu einem Punkt, dass Israel heute als eine Nation gesehen
werden kann, die darum ringt, eine sehr komplexe kollektive Identität zu klären.
96
Die Macht der anderen Sprachen
Zum Einfluss multilingualer Medien
Suliman Aktham, Astrid Frohloff, Sybille Golte, Oliver Hahn
Moderation: Peter Koppen
Die folgenden Redebeiträge entstammen einem Podiumsgespräch auf dem Festival „Die
Macht der Sprache am 15. Juni 2007 in Berlin in der Akademie der Künste.
Sybille Golte: Wir bei der Deutschen Welle setzen auf Veränderungen und Dialog. Deshalb
gehen wir in Krisenregionen, deshalb ist die regionale Sprache wichtig, um die Leute
authentisch anzusprechen und nicht auf Englisch, denn damit erreichen wir nur eine
Minderheit. Englisch ist zwar in Asien weit verbreit, aber wir senden in Mandarin, Hindi oder
Urdu, also den Regionalsprachen, nicht weil wir Propaganda machen, sondern weil wir einen
Dialog führen wollen.
Astrid Frohloff: Durch Al-Dschasira ist eine große Erleichterung entstanden, als endlich ein
überregionaler Sender technisch empfangen werden konnte, der über die Grenzen hinaus
informierte. Das war ein Pendant zu den anderen Auslandssendern wie CNN und BBC, die
aber keine so hohe Glaubwürdigkeit in diesem Teil der Welt haben, wie man sich leicht
vorstellen kann. Da funktioniert Al-Dschasira als Ausgleich.
Suliman Aktham: Es ist nicht damit getan, dass man das Geld hat und die Sprache spricht.
Wir haben schon viel in der Redaktion diskutiert, aber die englische Sprache in der Redaktion
zwingt mich, mir andere Gedanken zu machen. Das fängt bei Definitionen von Begriffen an.
Aber wir richten uns an die Leute in ihrer Sprache, bis hin zum Kampf gegen die westliche
Agentursprache, die man ja kennt: Iran ist automatisch Hisbollah.
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Suliman Aktham: Ein Journalist ist nicht nur eine Informationsquelle, sondern auch einer,
der die Dinge interpretiert, ihnen einen Sinn gibt und sie in einen Rahmen stellt.
Fragt mehr nach den Gründen und was etwas bedeutet! „Die Demonstranten haben
den Zaun überwunden.“ Das ist alles. Welchen Zaun? Wo? Warum Gewalt? Und keiner fragt
nach, was das heißt. Aber ohne Hintergrund ist das eine Null-Information.
Sybille Golte: Auch sprachlich hat man vorsichtig zu sein. Man muss immer seine Quellen
benennen, z. B.: „Dieses Bild stammt vom amerikanischen Militär für die Öffentlichkeit.“
Oder: „Nach Angaben des US-Militärs hat sich dies und jenes an jenem Krisenpunkt
ereignet“. Als Journalist ist man nicht in der Lage, die Wahrheit herauszufinden; das ist im
Irak-Krieg ganz deutlich.
Oliver Hahn: Aber als Journalist muss man sich, bei allen Zeit- und sonstigen Zwängen, über
jedes Wort Gedanken machen. Was bedeutet „gezielte Tötungen“ und sind alle „Terroristen“
wirklich Terroristen? Oder vielleicht doch „Rebellen“ oder „Freiheitskämpfer“? Wegen des
Zeitdrucks gibt es natürlich immer wieder Fehler, und dass beim 11. September auch im
deutschen Journalismus so viel schief lief, ist auch klar, wegen des Zeitdrucks. Aber erfahrene
Kriegsberichterstatter wissen damit umzugehen. Über die Sprache schleichen sich spezielle
Ansichten ein, die man als Hörer oder Leser eventuell nicht erkennt.
Sybille Golte: Da gibt es etwas, das mir sehr aufstößt, Bilder im Internet, auf denen
Menschen enthauptet werden – und alle Journalisten reden von „Hinrichtungen“. Dieses Wort
enthält immer noch die Wurzel „Recht“, aber es handelt sich doch um Ermordungen. Da muss
man die Sprache überwachen: Welche Klischees diese transportiert. Man soll sich nicht selbst
zensieren, aber stark kontrollieren.
Oliver Hahn: Wie bezeichnet man Attentäter? Das hängt natürlich von der Perspektive ab: In
vielen arabischen Medien werden sie als „Märtyrer“ bezeichnet, weil man einen anderen,
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religiösen Hintergrund hat. Aber in westlichen Ohren klingt das sofort Partei ergreifend.
Deshalb sind auch Al-Dschasira Vorwürfe gemacht worden, einseitig zu berichten. Bei all
dem – und dem Kuschelwort „Dialog“ – gibt es auch die Kehrseite des Kontexts. Medien
arbeiten immer in einem kulturellen und damit sprachlichen Kontext. Wenn ein arabischer
Nachrichtensender einen Kunstbegriff für Selbstmordattentäter erfinden würde, würde er
nicht mehr mit der Sprache seines Zielpublikums arbeiten. In unserem westlichen kulturellen
Kontext heißt „Märtyrer“ etwas religiös völlig anderes. Häufig findet man keine
Übersetzungsäquivalenzen, wie man in der Übersetzungswissenschaft sagt. Hier ist
interkulturelle Medienkompetenz von den Journalisten gefordert. Da tun wir auch als
Universitäten zu wenig, und auch als Rezipient muss man eine solche vermittelt bekommen –
vielleicht sogar in Schulen, damit man die Kontexte unterscheiden kann.
Suliman Aktham: Das ist aber ein Konfliktfeld. Der Westen nennt jeden Freiheitskämpfer
einen „Terroristen“, und uns wird vorgeworfen, alle Selbstmordattentäter als „Märtyrer“ zu
bezeichnen.
Die arabischen Sender haben immer von einem „verhassten Feind“ gesprochen – es
gibt aber gar keinen geliebten Feind, das gibt es nicht. Aber was mich unruhig macht, ist, dass
im Westen diese Sprache zurückkehrt, im Rahmen der Political Correctness kommt das
zurück – z. B. „Vergeltungsanschlag“, was heißt das? Und nach welchem Recht gilt die
„Vergeltung“? Wenn ich jemanden auf der Straße umbringe, weil er versucht, mich
umzubringen? In einem Rechtsstaat gibt es keine Vergeltung.
Suliman Aktham: Wenn ein Außenminister sagt, die Anschläge auf deutsche Soldaten sind
ein „feiger Akt“, darf man diese Sprache nicht übernehmen. „Sogenannter Terrorismus“ sagt
man. Wir nennen ihn „sogenannt“, weil wir ihn nicht als Terrorismus ansehen. Mit
„sogenannt“ sagen wir aber, dass es nicht immer Terrorismus ist, aber sein kann. Uns hat
keiner eine Definition geliefert – und für mich ist immer noch nicht klar, was Terrorismus ist.
Warum sagt man nicht, auch über die UNO, das sind „Angriffe auf Zivilisten“?
Jeder instrumentalisiert das, wie er will. Der Begriff „Antiterrorkrieg“ hat rechtlich gar
keine Bedeutung: Es gibt keinen „Antiterrorkrieg“, so interessant das klingt.
„Vergeltungsanschläge“ gibt’s nicht, „Terrorismus“ per se gibt’s nicht.
100
„Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit“
Arbeitsansätze der CICEB
Ján Figel
Wir arbeiten für ein Europa, das offen ist für Sprache und Kultur; ich meine damit: offen für
Vielfalt, denn es ist die Vielfalt, die Europa zu Europa macht. Sie prägt uns und schafft eine
Gemeinschaft, die versteht, respektiert und verbindet. Das ist leicht gesagt, doch ist es nicht
so einfach zu erreichen. Aber es ist möglich und es muss auch möglich bleiben in einer Zeit,
in der die Komplexität und Probleme zunehmen. Die Globalisierung ist eine Tatsache und die
Vielfalt wird zunehmend sichtbarer, nicht nur in der Europäischen Union als Gemeinschaft
mit einer wachsenden Zahl von Staaten, sondern in allen Ländern und Gesellschaften.
Ich möchte ein Lob aussprechen für diese Konferenz, die von der Vereinigung der
nationalen europäischen Kulturinstitute in Belgien (CICEB) organisiert wurde. Es ist wichtig,
dass dazu beigetragen wird, Verbesserungen oder Antworten in Bereichen einzubringen, die
nicht nur für die Regionen von Bedeutung sind, sondern für den gesamten Kontinent – ich
würde sagen, für die ganze Welt.
Gestern sprach ich mit Menschen aus der Grenzregion zwischen Brandenburg und
Polen. Es gibt viele gute Beispiele, wie die Vergangenheit durch das Bauen neuer Brücken
überwunden wurde. Das ist eine wesentlich bessere Antwort, als stets an vergangene Kriege
zu erinnern, nun, da wir in einer Gemeinschaft zusammen leben.
Ich möchte die CICEB auch dafür loben, dass sie sich, seitdem ich zu diesem Ressort
kam, stets weiter entwickelt und erweitert hat. Eines der guten Beispiele ihrer Arbeit ist
“Märchen kurz vor Abflug” (“Fairy Tales before Take-off”). Dieses Erzählprojekt, das durch
das Sokrates-Programm unterstützt wurde, fand in internationalen Flughäfen Europas statt.
Die Geschichtenerzähler bekamen enthusiastische Reaktionen von den wartenden Passagieren
und ich bin sicher, dass CICEB weiterhin einfallsreiche und unterhaltsame Wege finden wird,
um Menschen zu motivieren, Sprachen zu erlernen. Mit ihren Aktionen, ihrer
Zusammenstellung und Philosophie steht CICEB für “Einheit in Vielfalt”.
101
Die Vielfalt nimmt zu – von 15 zu 25 Mitgliedsstaaten, und es werden mehr werden,
von 11 zu 20 Sprachen, und es werden mehr werden. Wir müssen unsere Einheit stärken,
denn Vielfalt und Einheit sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Aus diesem Grund müssen
wir uns für die Mehrsprachigkeit einsetzen und sie als Weg für die Zukunft sehen, um Einheit
zu verstehen, zu fördern und zu stärken – und die Zukunft beginnt heute oder sogar gestern.
CICEB hat eine Menge konkreter Beiträge geleistet, wie Mehrsprachigkeit in der
Europäischen Union funktionieren kann, und ich möchte dazu gratulieren.
Ihre Aufgabe ist von zentraler Bedeutung für Europa. Ich glaube, sie berührt den Kern
Europas. Es begann mit Kohle und Stahl. Manchmal wird um Energie, Wettbewerbs- oder
andere Wirtschaftsfragen gefeilscht, aber die Menschen diskutieren viel mehr über
unkonkrete und politisch sensible Dinge wie Identität, Sprachen, die Grenzen Europas,
Staatsbürgerschaft, Dinge, die entscheidend für unsere Zukunft und das gegenseitige
Verständnis sind.
In der nun 50 Jahre alten Gemeinschaft – nächstes Jahr feiern wir ihren Geburtstag –
bin ich der erste Kommissar für Mehrsprachigkeit und zum ersten Mal wird Mehrsprachigkeit
auf die politische Agenda gebracht. Ich denke, dass Mehrsprachigkeit dazu beitragen kann
und sollte, dass die Europäische Union zu dem wird, was sie ausmacht: eine friedliche
Koexistenz von Menschen aus vielen verschiedenen Sprachgemeinschaften. Andere Sprachen
zu sprechen und zu lernen, lässt uns offener und toleranter gegenüber der Kultur und
Perspektive anderer werden. Bürger mit guten Sprachkenntnissen sind besser in der Lage, die
Vorteile der freien Ortswahl zu nutzen und in einem anderen Mitgliedsstaat zu leben. Man
kann mit Sicherheit behaupten, dass es ohne Zweisprachigkeit oder Dreisprachigkeit keine
echte Mobilität geben kann. Bei mangelnden Sprachkenntnissen ist die Mobilität
notwendigerweise eingeschränkt.
Das heutige Thema ist ein wichtiges für Europa; es berührt den Kern und das Wesen
Europas. Mehrsprachigkeit trägt dazu bei, Europa zu dem zu machen, was es ist; die
friedliche Koexistenz von Menschen aus vielen verschiedenen Sprachgemeinschaften ist ein
zentraler Bestandteil des Integrationsprozesses. Andere Sprachen zu lernen und zu sprechen,
lässt uns offener und toleranter gegenüber anderen, ihren Kulturen und Sichtweisen werden.
Und Bürger mit guten Sprachkenntnissen sind eher in der Lage, von der Freiheit zu
profitieren, in einem anderen Mitgliedsstaat arbeiten oder studieren zu können. Im Grunde
lässt sich sogar sagen, dass es ohne echte Mehrsprachigkeit keine echte Mobilität geben kann.
Mehrsprachigkeit wirkt auf zwei Ebenen:
102
1. Sie bringt die Europäischen Institutionen näher an die Bürger heran. Praktizierte
Mehrsprachigkeit garantiert, dass sich Einzelpersonen, Unternehmen, Organisationen und
andere Einrichtungen in ihrer eigenen Sprache an die Institutionen der EU wenden und
Einblick in die Entscheidungen und Informationen über den EU-
Entscheidungsfindungsprozess erhalten können.
2. Im weitesten Sinn bringt Mehrsprachigkeit auch die Bürger untereinander näher
zueinander. Sie überwindet Barrieren und stellt Verbindungen zwischen Einzelpersonen
und Gruppen her. Unsere Verantwortung ist es, diesen Prozess zu unterstützen, eine
verbesserte Verständigung und Kommunikation zwischen den Bürgern und
Bevölkerungen zu fördern und gleichzeitig ihre kulturelle Identität und sprachliche
Vielfalt zu schützen.
Die Kommission ist der Meinung, dass es für EU-Bürger nicht ausreicht, nur eine einzige
Lingua franca zu lernen. Ein EU-Bürger, der oder die sich darauf beschränkt, eine Lingua
franca zu lernen, wird nicht die interkulturellen Kompetenzen erwerben, die das Lernen einer
Fremdsprache eingebettet in ihren kulturellen Kontext mit sich bringt. Es werden im Rahmen
der heutigen Konferenz ein paar interessante Modelle zu mehrsprachigen europäischen
Staaten diskutiert werden, darunter, wie ich mit Freude feststelle, aus der Slowakei, dem
Land, dass ich am besten kenne. Letzte Woche war ich in der Schweiz – ein Land in der Mitte
Europas, für das wir einen Platz freihalten, wo ich viele interessante Dinge über
Mehrsprachigkeit lernte. Wenn wir klug sind, können wir eine Menge wichtiger Lektionen
sowohl von innerhalb als auch von außerhalb der EU lernen.
“Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit”
Im November vergangenen Jahres, am ersten Geburtstag der Barroso-Kommission,
veröffentlichte die Kommission ein Kommuniqué über “Eine neue Rahmenstrategie für
Mehrsprachigkeit”. Zum ersten Mal wurde Mehrsprachigkeit als solche als eine politische
Linie definiert – was die Bedeutung unterstreicht, die ich dieser Angelegenheit beimesse,
besonders im Hinblick auf die Phase nach der Erweiterung. Die Strategie legt den weiteren
Weg fest und schlägt neue Maßnahmen vor, die sowohl von der Kommission als auch von
103
den Mitgliederstaaten umgesetzt werden sollten. Ich werde nun in wenigen Worten den
Kontext beschreiben, in dem die Strategie wirken wird.
Zuallererst haben wir die Angelegenheit der Mehrsprachigkeit in den Institutionen der
Europäischen Union. Die Europäische Union wird Gesetze verabschieden, die für ihre
Bürger, Unternehmen und Gerichte direkt verbindlich sein werden. Das bringt die
Verantwortung mit sich, allen Bürgern zu ermöglichen, mit ihren Institutionen in einer
Sprache zu kommunizieren, die sie verstehen und ebenso Gesetze in Sprachen zu
veröffentlichen, die die Bürger verstehen. Das wäre unmöglich zu erreichen, ohne ordentlich
ausgebildete Konferenzdolmetscher und Übersetzer. Die Kommission kooperiert sehr eng mit
Universitäten, um sicherzustellen, dass berufsbezogene Ausbildung von höchster Qualität
stattfindet.
Der zweite der drei Bereiche betrifft die mehrsprachige Wirtschaft. Die Bedeutung
von Sprachen und Mehrsprachigkeit für die europäische Wirtschaft wird oftmals nicht
vollständig erkannt. Das jährliche Budget mancher unserer Sprach- und Kulturinstitute
beträgt mehrere hundert Millionen Euro. Ganz zu schweigen von all den anderen
sprachbezogenen Wirtschaftszweigen wie Dolmetschen, Übersetzen, Redigieren,
Terminologie, Sprachtechnologien etc. Die Sprachwirtschaft ist ein nicht zu unterschätzender
Arbeitgeber und ein bedeutender Faktor in der Wirtschaft der EU. Dazu kommt der
Tourismus, der zunehmend mit Sprachen zu tun hat.
Der dritte Bereich ist der bei weitem umfassendste – der, in dem wir versuchen, eine
mehrsprachige Gesellschaft zu schaffen. Aktiv mehrsprachige Gesellschaften sind von
zentraler Bedeutung für die Zukunft der Europäischen Union und ermuntern alle Bürger dazu,
während ihres gesamten Lebens eine Reihe von Sprachkenntnissen zu erwerben und
anzuwenden.
Die Europäische Kommission arbeitet auf Mehrsprachigkeit in der Gesellschaft auf etlichen
Wegen hin:
• An erster Stelle gibt es Förderprogramme;
• dann gibt es unseren Kooperationsprozess mit den Mitgliedsstaaten namens “Bildung und
Ausbildung 2010”, der Ziele, Maßstäbe und regelmäßige Berichte beinhaltet und der sehr
wirksam den Fortschritt in den Mitgliederstaaten vorantreibt;
104
• sowie, drittens, den Aktionsplan der Kommission zur “Förderung des Sprachenlernens
und der Sprachenvielfalt”.
Die Förderprogramme
Ich habe bereits die Sokrates-Förderung für das CICEB-Projekt “Märchen kurz vor Abflug”
als Beispiel für ein innovatives und attraktives Projekt erwähnt, das die Kommission
unterstützt. Tatsächlich investiert die Europäische Kommission durch die Sokrates- und
Leonardo-Programme über 30 Millionen Euro im Jahr in praktische Projekte, die die
Begeisterung von Sprachschülern und ihren Lehrern wecken sollen (Schüleraustausche,
Sprachassistenzen, Lehrerfortbildungen, bewusstseinsbildende Maßnahmen etc.). Ganz zu
schweigen von den enormen Investitionen in die Mobilität durch Erasmus, die
Jugendprogramme und Städtepartnerschaften. Mobilität ist Europa in Bewegung. Sie ist ein
Schlüsselfaktor, um Menschen dazu zu bewegen, ihre Nachbarn kennenzulernen und ihre
Sprachen zu lernen – erinnern wir uns an das Ziel “1 + 2” Sprachen für alle EU-Bürger.
Mobilität wird daher für die Europäische Kommission beim neuen Programm für
Lebenslanges Lernen, das 2007 starten wird, weiterhin hohe Priorität haben.
“Bildung und Ausbildung 2010”
Hinsichtlich unserer Arbeit mit den Mitgliederstaaten im Rahmen des Prozesses zu “Bildung
und Ausbildung 2010” wünschen sich unsere Staatsoberhäupter, dass die Union “bis zum Jahr
2010 die wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaft der Welt” werden
soll. Außerdem wollen sie, dass “Europas Bildungs- und Ausbildungssysteme bis 2010 ein
weltweiter Wertmaßstab” werden. Zusammen mit den Mitgliederstaaten brachten wir eine
Gruppe nationaler Experten aus dem Sprachbereich zusammen. Die Expertengruppe kam
darin überein, zusammenzuarbeiten:
• um politische Vorgaben und Verfahren zu vergleichen und
• um von guten Beispielen in anderen Mitgliedsstaaten zu lernen.
105
Diese Gruppe hat sich die letzten Jahre hindurch regelmäßig getroffen und den
Mitgliedsstaaten eine Reihe von Empfehlungen zur Verbesserung von Sprachfähigkeiten und
-leistungen ausgesprochen. Dazu gehörte:
• das Bewusstsein für die Bedeutung von Sprachenvielfalt zu fördern,
• klar formulierte Ziele für den Sprachunterricht vorzugeben,
• transparente Zertifizierungssysteme basierend auf den Maßstäben des Gemeinsamen
Europäischen Referenzrahmens zu schaffen und
• sicherzustellen, dass die allgemeine Bildung regionale sowie Minderheiten-, Nachbar-
und Migrantensprachen berücksichtigt.
Aktionsplan zur “Förderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt”
Im Aktionsplan zur “Förderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt” verpflichtete
sich die Kommission zu 45 Maßnahmen auf der europäischen Ebene zwischen 2004 und
2006. Er beschrieb drei breit gefächerte Aktionsfelder, die wir für entscheidend erachten:
• Erstens die Vorteile des Sprachenlernens auf alle Bürger ausweiten (von
frühkindlicher Spracherziehung durch die Schulzeit bis zur Erwachsenenbildung);
• zweites die Qualität des Sprachunterrichts verbessern und
• drittens durch Verbesserung des Sprachbewusstseins durch die Medien und der
Verbesserung der Möglichkeiten zum Sprachenlernen ein sprachenfreundlicheres
Umfeld schaffen, das alle Sprachen einbezieht. Zur Implementierung des
Aktionsplans finanzierte die Kommission mehrere strategische Studien und eine Reihe
von wichtigen Konferenzen zu Schlüsselthemen des Sprachenlernens. Diese
behandelten CLIL, regionale und Minderheitensprachen, Sprachen für Schüler mit
Behinderungen, Lehrerausbildung, erfolgreiche Methoden zur Motivierung von
Sprachschülern, Hindernisse bei der Mobilität von Sprachlehrern und erfolgreiche
Grundlagen der frühkindlichen Spracherziehung. Des Weiteren traf ich mich mit der
Intergruppe für regionale und Minderheitensprachen des Europäischen Parlaments.
Und im Jahr 2007 wird die Kommission an den Aktionsplan anknüpfen, indem sie in einer
ministerienübergreifenden Konferenz darüber Bericht erstattet, was sie und die
Mitgliedsstaaten bei der Förderung des Sprachenlernens und der Sprachvielfalt erreicht
haben.
106
Die Zukunft
Europa hat ein riesiges Potential und ein enormes Erbe in den Händen. Die Zukunft unserer
Arbeit betreffend, möchte ich zwei besondere Bestandteile der Strategie herausstellen.
Große Priorität hat in der nächsten Zukunft der Europäische Indikator für
Sprachkompetenz, der von einer Gruppe von Regierungsexperten der Mitgliedsstaaten
entwickelt wird. Da es keine standardisierte europaweite Erhebung von Sprachkenntnissen
gibt, ist es notwendig, genaue und aktuelle Daten zur Effektivität der verschiedenen
Methoden des Fremdsprachenunterrichts zu sammeln. Das geschieht anhand des Indikators,
der uns den allgemeinen Stand der Fremdsprachenkenntnisse in den Mitgliedsstaaten zeigen
wird und Aufschluss darüber gibt, wie nahe wir dem Ziel sind, Europas Bürger mehrsprachig
zu machen.
In allen Mitgliedsstaaten werden eigens konzipierte Tests zur Sprachkompetenz mit
einer stichprobenartigen Auswahl von Schülern in Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen
durchgeführt. Der Indikator soll die Kenntnisse der Schüler in mindestens zwei
Fremdsprachen neben der Muttersprache messen. Er wird Politikern aller Mitgliedsstaaten,
die den Fremdsprachenunterricht und das Fremdsprachenlernen verbessern wollen,
unschätzbare strategische Informationen an die Hand geben.
Eine andere Priorität in den kommenden Monaten wird die Arbeit der Expertengruppe
„Mehrsprachigkeit“ haben, bei deren Treffen ich den Vorsitz halten werde. Die
Expertengruppe wurde gegründet, um die Diskussion über Mehrsprachigkeit voranzubringen.
Die Mitglieder der Gruppe kommen aus verschiedenen Ländern, sind politisch unabhängig
und repräsentieren nicht die Interessen einzelner Staaten oder Sprachgemeinschaften.
Das erste Treffen findet nächsten Monat statt und die Gruppe hat ein arbeitsreiches
Jahr vor sich. Ich habe ihr vorgeschlagen, eine Reihe von Themen zu berücksichtigen, die
außerhalb des normalen Fokus der Gruppen von Regierungsexperten zu Sprachfragen liegen
und von denen möglicherweise alle europäischen Sprachen profitieren. Dazu gehören
Forschung über Mehrsprachigkeit, Sprachen und die Medien, Wirtschaftssprachen und
Strategien zur Förderung von Spracherwerb. Die Empfehlungen der Expertengruppe werden
am Europäischen Tag der Sprachen 2007 vorgestellt, und ich bin zuversichtlich, dass sie
einen entscheidenden Beitrag zur Förderung und zum Erhalt von Europas reichem
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mehrsprachigen Erbe leisten wird. Die Empfehlungen werden im Anschluss in eine
Ministerkonferenz über Sprachen eingebracht.
Einheit in Vielfalt sagt sich leicht, ist aber nicht so einfach zu erreichen. Das Europa,
das wir uns für uns selbst in der Zukunft wünschen, ist ein Europa, das den vielfältigen
Reichtum all seiner Sprachen und Kulturen wertschätzt. Wir müssen die Botschaft vermitteln,
dass die sprachliche Vielfalt der Union eine Stärke ist, auf die wir besonders stolz sind. Wir
müssen Bildungssysteme schaffen, die sprachenfreundlich sind. Mit unser aller Engagement
kann diese Entwicklung erfolgreicher werden.
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Die Globalisierung mit nationalen und regionalen
Identitäten kompatibel machen
Welche Rolle kann das Deutsche dabei spielen?
Georg Boomgaarden, Emil Brix, Gerhard Leitner, Georg Schütte
Moderation: Alfred Eichhorn
Die folgenden Statements stammen aus Podiumsbeiträgen zum Abschluss der
Wissenschaftssektion „Sprachenpolitik“ auf dem Festival „Die Macht der Sprache“ am
16. Juni 2007 in Berlin.
Emil Brix: Die Globalisierung bedeutet, dass man sich auf weniger Sprachen als
Kommunikationssprachen konzentriert. Die Öffnung Ost-/Mitteleuropas hat Deutsch wieder
zu einer regionalen Kommunikationssprache im mitteleuropäischen Raum gemacht. So haben
wir profitiert von dieser europäischen Globalisierung.
Georg Schütte: Wenn wir in der Humboldt-Stiftung die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler in Deutschland befragen, nach dem Erfolg ihres Aufenthaltes, wenn diese
Personen ein, eineinhalb Jahre in Deutschland waren, dann stellen wir fest: Das hängt
hochgradig mit der Sprachkompetenz zusammen. Diejenigen, die sich der Mühe unterziehen,
Deutsch zu lernen, die fühlen sich hier auch wohl und die sagen hinterher: Dieser Aufenthalt
war auf der ganzen Linie ein voller Erfolg.
Gerhard Leitner: Bei uns gibt es eher eine Beängstigung oder Verängstigung, unter dem
Druck des Englischen etwas zu verlieren. Da geht dann, ich sage das jetzt als Anglist, die
Möglichkeit oder die Sicht verloren, dass man ja auch dadurch sehr viel gewinnt.
109
Georg Boomgaarden: In der EU haben wir natürlich die Notwendigkeit, gemeinsames
Handeln zu organisieren, und gelegentlich müssen wir dafür gemeinsame Worte finden. Und
diese gemeinsamen Worte, die wir finden, die passen in keine Sprache ganz. Wir werden in
internationalen Organisationen immer mit einem Minimalbestand arbeiten müssen – für die
Verständigung. Für die internationale Kultur geht das leider nicht.
Georg Schütte: In anderen Ländern gibt es eine andere Gelassenheit im Umgang mit
Mehrsprachigkeit. Ich glaube, da lohnt es sich hinzuschauen und einiges davon zu lernen.
Emil Brix: Ich glaube, es ist schon für uns ganz gut, ein normales Selbstbewusstsein zu
entwickeln: Sprachpolitik soll nicht unbedingt Nationalitätsstolz herstellen oder das
Abendland retten; aber es soll doch so etwas wie ein wichtiges Merkmal von Gemeinschaft
sein.
Georg Boomgaarden: Pleşu hat auch in seiner wunderbaren Rede eingefordert, dass wir die
Pflicht haben, uns mit größtmöglicher Sorgfalt um unsere eigene Sprache zu kümmern, sie zu
erhalten, ohne sie verknöchern zu lassen, sie zu erneuern, ohne sie zu entstellen. Wenn Politik
hier Wege öffnen kann, Möglichkeiten zur Begegnung, Möglichkeiten zum Lernen öffnet,
dann ist das die beste Sprachenpolitik.
110
Integration durch Sprache
Interkulturelle Bildungsförderung in Europa
Hartmut Retzlaff
Der folgende Beitrag ist die Zusammenfassung eines Vortrags, der auf der Konferenz
„Integration durch Sprache – Bildungspolitische Gesichtspunkte“, veranstaltet vom Goethe-
Institut am 10./11. Mai 2007 in Rom, gehalten wurde.
In den letzten Jahren haben sich die Mehrsprachigkeit der künftigen Bürger Europas wie auch
die Integration von Migrantenkindern als zwei zentrale Fragestellungen im europäischen
Bildungswesen herauskristallisiert. Mit beiden Themen sind Schulen und Lehrer, aber auch
andere Bildungsträger täglich konfrontiert.
• Obwohl Mehrsprachigkeit, als wesentliches Element der europäischen Integration,
eine zentrale europäische Forderung an die schulische und außerschulische Bildung ist
(Lissabon-Prozess), bleibt sie im einzelnen nationalen Kontext vielfach ein Desiderat,
dessen Umsetzung in der Realität auf vielfältige Hindernisse stößt, die es kreativ zu
überwinden gilt.
• Integration von Migrantenkindern: Die offensichtliche Benachteiligung dieser
schulischen Teilpopulation (Delphi-Studie 1996–1998, PISA-E-Studie) widerspricht
nicht nur dem Gebot sozialer Gerechtigkeit, sondern beraubt die Gesellschaft
wesentlicher kultureller und intellektueller Ressourcen; diese sozial- und
bildungspolitische Problematik ist von gesamteuropäischer Brisanz.
Die Gebrauchsregeln der Sprache erschließt sich das Kind im Erwerb der Regeln, die seine
alltäglichen Verrichtungen präjudizieren. Sprachliches und praktisches Lernen sind
untrennbare Komponenten der psycho-physischen Entwicklung des Individuums. Die
kindliche und jugendliche Entwicklung sind also sprachlich verfasst.
111
Nimmt man nun diesen Grundeinsichten die Erkenntnis hinzu, dass sozial prekäre
Verhältnisse in den städtischen Vierteln mit starkem Migrantenanteil Diskrepanzen zwischen
Selbst und Selbstvorstellung evozieren, ergibt sich zwingend, dass die Reaktion auf die bei
sich selbst festgestellten Kompetenzdefizite, fehlende Anerkennung und eigenes Ungenügen
das Individuum vor eine kritische Alternative führt:
• Entweder erwirbt es kulturelle oder attitudinale Kompetenzen bzw. verfügt über sie,
um durch Lernen oder Anpassung die eigenen Versagenserlebnisse zu überwinden,
• oder aber es kompensiert diese Erlebnisse durch leere Selbstbehauptung und
aggressives Auftrumpfen.
Ist letztere Lösung gewaltindiziert, so bedarf erstere eines positiven kollektiven wie
individuellen Identitätsaufbaus. So halten etwa David Peck, Leiter der Moseley School
Birmingham, oder Helmut Hochschild, Interims-Rektor der Neuköllner Rütli-Schule und jetzt
Schulrat in Neukölln, diesen Aufbau von positiver Identität für unabdingbar für jede
pädagogische Intervention. Auf der Konferenz des Goethe-Institut vom 10./11. Mai 2006 in
Rom äußerte sich David Peck folgendermaßen:
“Wenn ein junger Mensch die Schule betritt und diese als feindseliges Umfeld wahrnimmt,
wird er sich eher aufs Überleben konzentrieren als auf Erfolge. […] Wenn ein junger Mensch
die Schule betritt und diese als Umgebung wahrnimmt, wo seine Ethnie, sein Glaube, die
Sprache und Kultur seines Elternhauses mit Respekt behandelt werden, kann er sich auf
Erfolge konzentrieren.“
Und von Helmut Hochschild finden sich im „Tagesspiegel“ vom 28.10.2006 folgende Zitate:
„Die Schüler wissen aber auch, dass sie bei sich selbst anfangen müssen.“
„Die große Diskussion um die Schule hat zu einer Welle der Hilfsbereitschaft geführt,
die auch viele gute Ideen in die Schule spülte. Viele kreative Projekte sind entstanden. Dazu
gehört, dass die Schüler jetzt ihre eigene Kleiderkollektion, die ‚Rütli-Wear’, herstellen, was
in eine eigene Schülerfirma münden soll. Es gibt eine Schülerband. Und endlich auch einen
besseren Kontakt zu der benachbarten Realschule, um gemeinsame Aktivitäten anzustoßen.“
112
Nun gibt es auch in Deutschland sog. „Reformschulen“, die auf die skizzierte Situation mit
einer Veränderung ihrer Kernstruktur reagieren, worauf auf der Konferenz des Goethe-
Instituts in Rom auch Rudolf Messner von der GhK-Universität Kassel hingewiesen hat:
„Deutlich ist zu spüren, dass sich die Institution von einer ‚Belehrungsanstalt’ in Richtung
eines ‚Lern- und Erfahrungsraumes’ zu verändern versucht.“
Dies bedeutet aber ein verändertes Anforderungsprofil, dem sich Lehrer in einer veränderten
Schulwirklichkeit stellen müssen, da es über die Erkenntnis der objektiven Notwendigkeiten
hinaus auch des subjektiven Willens bedarf, diesen Notwendigkeiten gerecht zu werden.
Was benötigen also Lehrer, um ihren Unterricht weiterzuentwickeln? Fortbildung
stellt darin nur einen Baustein dar, der nicht unabhängig von anderen Bedingungen der
Unterrichtsentwicklung wie z.B. Kooperation, Schulleitungshandeln etc. zu betrachten ist.
Das rückt das Augenmerk allerdings dann weniger auf unmittelbare Wirkungen (etwa von
Fortbildung) als vielmehr auf effektive (schulinterne und -externe) Prozesse.
113
Sprachenschutz in Frankreich und Deutschland
Beiträge zu einer Podiumsdiskussion
Jean-François Baldi, Jean-Claude Crespy, Jutta Limbach, Jürgen Trabant
Moderation: Maik Meuser
Die folgenden Beiträge stammen aus einer Podiumsveranstaltung, die am 6. Juni 2007 im
Goethe-Institut München im Rahmen des Projekts „Die Macht der Sprache“ in Kooperation
mit dem Deutschen Sprachrat zu Fragen politischer Eingriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten
im Feld des Sprachgebrauchs veranstaltet wurde.
Jean-François Baldi: Wir haben in Frankreich eine gesetzliche Regelung mit
außergewöhnlichem Charakter. Diese betrifft nicht die französische Sprache an sich, sondern
den Gebrauch derselben. Vorrang hat die Ausdrucksfreiheit, man hat das Recht, jederzeit die
Sprache zu verwenden, die man bevorzugt. Der Gesetzgeber war der Auffassung, dass es
wichtig sei, ein Recht auf die französische Sprache zu schützen. Hier wird die Délégation
Générale à la langue française et aux langues de France tätig. In Frankreich ist in der
Verfassung festgelegt, dass Französisch die Sprache der Republik sei. Dieser Umstand bringt
rechtliche Konsequenzen mit sich. Bei dem Toubon-Gesetz von 1994 handelt es sich um ein
Gesetz zum Gebrauch der französischen Sprache. Es garantiert ihn in bestimmten Bereichen,
z. B. dem Konsum: Vorschrift ist z. B., dass die Produktinformation auf Französisch sein
muss. In Frankreich vertritt man nicht die Auffassung, dass man die Sprache schützen und
fördern müsse, weil es sich um einen Schatz handele, sondern einfach, weil sie ein
Kommunikationsmittel ist. Dieser Gesetzestext ist somit ein Garant demokratischer Rechte
und kann außerdem die Integration von Einwanderern in unserem Land einfacher gestalten.
Wir sind der Meinung, dass die Integration dieser Einwanderer durch die französische
Sprache ermöglicht werden kann – unter Achtung ihrer Muttersprachen.
114
Jürgen Trabant: Ich bin eher dafür, dass man die Sprache selbst schützen und pflegen muss.
Der Begriff der Pflege ist mir lieber. Seitdem Kultur sich mit Sprache beschäftigt, wird sie
gepflegt. Es ist der alte Begriff der cura linguae, etwas, was den Humanisten am Herzen lag.
Weil Sprache von Menschen gemacht wird, wurde sie immer gepflegt. Mit der Pflege hängt in
der europäischen Kultur auch die Liebe zur Sprache zusammen. Cura linguae und amor
linguae gehen in unserer Kultur zusammen. In dieser Tradition müssen wir sehen, was die
Franzosen machen, und was auch die Deutschen früher taten. Für Bildung und Ausbildung ist
Französisch in Frankreich die einzig legitime Sprache. Man lässt sich die Bildung der Jugend
nicht aus der Hand nehmen. Sprache ist nicht nur Kommunikationsmittel, sondern ein
„trésor“, ein Schatz. Sie ist ein Kulturgegenstand, was in der loi Toubon nur sehr indirekt
anklingt. Neben Kommunikation und Kultur geht es auch um die nationale Identität: „La
langue de la Republique Française et le Français.“ Das ist der Satz in der Verfassung. Es
wurde auch in Deutschland diskutiert, ob man einen solchen Satz in unsere Verfassung
schreiben sollte.
Jutta Limbach: Ich kann für mich sagen, dass der Vorschlag, ins Grundgesetz zu schreiben,
dass in Deutschland Deutsch gebraucht werde, von mir nicht hochgehalten wird. Mag man es
tun, aber ich verspreche mir davon nichts. Ich verstehe wohl aber die Verve an den
Universitäten, dass Wissenschaftler nicht nur Englisch sprechen und schreiben sollten, um
anderswo zitiert und wahrgenommen zu werden, sondern dass man sich in der Wissenschaft
die Fähigkeit erhalten sollte, der Gesellschaft in der Landessprache mitzuteilen, was mit ihren
Steuergeldern erforscht und was an Erkenntnis gewonnen wurde. Es ist aber fraglich, ob dazu
eine Änderung des Gesetzes gebraucht wird.
Jean-Claude Crespy: Das Wesentliche scheint mir zu sein, dass nicht die Sprache als solche
geschützt werden sollte. Es geht nicht um die ‚Reinheit’ der Sprache, sondern es geht in der
loi Toubon um den Schutz des Bürgers. Ich glaube, es ist ein elementares Recht in einer
Demokratie, dass der Bürger weiß, worum es geht; die Sprache ist das dafür wichtigste
Element. Es ist daher nötig, dass neue Begriffe der Technik, der Medizin, der Wirtschaft, der
Informatik usw. in die Sprache übersetzt werden. Eine Sprache muss die Wirklichkeit
wiedergeben können! Wenn sie die Wirklichkeit nicht mehr wiedergibt und man statt ihrer
eine andere Sprache benutzen muss, hat man den Kontakt mit der Wirklichkeit verloren. Das
115
führt zu einer Art Schizophrenie, in der sich einerseits die sprachliche Identität in Wörtern aus
alten Handwerkstraditionen ausdrückt, man andererseits Englisch reden muss, um die
Modernität zu beschreiben. Ich glaube, diese Schizophrenie ist gefährlich für die Identität.
Jean-François Baldi: Der Unterricht findet in Frankreich mit wenigen Ausnahmen sowohl
auf schulischer als auch universitärer Ebene auf Französisch statt. Zieht man einen Vergleich
mit anderen Ländern, wo ganze Studiengänge auf Englisch stattfinden, beispielsweise in der
Medizin, dann drängt sich die Frage auf: Wenn die künftigen Mediziner in Englisch
ausgebildet werden, in welcher Sprache kommunizieren sie mit ihren Patienten? Wir finden es
gefährlich, wenn man in der eigenen Sprache nicht mehr über die nötigen Wörter verfügt, um
etwas auszudrücken. Deshalb gibt es in Frankreich einen gesetzlichen Mechanismus zur
Begriffsschöpfung. Für uns gibt es zwei Grauzonen, in denen wir derzeit zwei große
Untersuchungen starten: Zum einen der Gebrauch von Französisch in den Unternehmen. Ein
anderer Bereich ist die Wissenschaft: Natürlich ist bekannt, dass Englisch die wichtigste
Kommunikationssprache unter Forschern und in den Naturwissenschaften ist, aber die
Situation gestaltet sich in einigen Wissenschaften doch anders. So spielt Französisch in den
Geisteswissenschaften nach wie vor eine bedeutende Rolle.
Jürgen Trabant: Bei uns findet genau das statt, eine Trennung zwischen Experten und
Nicht-Experten, es findet – auch wenn es sprachpuristisch klingt – eine hässliche Mischung
zwischen Englisch und Deutsch statt. Die Schule ist also zunehmend kein Ort mehr für das
Erlernen des Deutschen, sondern der große Hype (so sagt man ja auf Deutsch) heißt „Content
Language Integrated Learning“, CLIL für die Eingeweihten. Das heißt, Naturwissenschaften,
Politik, Geschichte werden auf Englisch gelehrt – in den Schulen! Das heißt, dass alle
wichtigen Gegenstände in unserer Sprache schon in den Schulen nicht mehr in der
Muttersprache verfügbar sind. Und ich sehe damit die Gefahr, die Crespy beschreibt, Tatsache
werden. In Deutschland wird der Wald geschützt, nicht die Sprache.
Man versucht nicht mehr, das, was die Sprachen sich erobert hatten, diese
wunderbaren, hohen Diskursdomänen der Wissenschaft, ins Deutsche zu transportieren. Es ist
zudem undemokratisch, weil es denjenigen, die alles bezahlen, dem Volk, die Teilnahme an
Wissenschaft und etwas komplizierteren Diskursgegenständen verwehrt.
116
Jutta Limbach: In der Sorge um die deutsche Sprache schwinge ich mit Ihnen auf einer
Welle. Ich denke nur, dass wir Deutsche in einer anderen Situation sind. Wir neigen – wegen
Diktaturen, die sich oft an der Sprache vergreifen – nicht dazu, das Deutsche nationalistisch
zu übersteigern. Aber dass die Sprache soziale Bindekraft hat und uns von Kindesbeinen an in
dieser Welt zu Hause werden lässt, da bin ich mit Ihnen einer Meinung.
Jean-Claude Crespy: Sie sagen, Frau Limbach, dass es in Deutschland eine andere Tradition
gebe, und Sie hätten es nicht gewagt, das Deutsche so wie die Franzosen zu verteidigen. Man
sollte aber nicht vergessen, dass Frankreich Sprachen einfach vernichtet hat. Frankreich ist
früher ein mehrsprachiges Land gewesen, wo man Baskisch, Bretonisch und Okzitanisch
gesprochen hat und wo das Französische durch eine gewaltsame Politik in die dominante
Position gebracht wurde, indem die anderen Sprachen in der Schule verboten wurden. Wir
haben erst spät entdeckt, dass man die Sprache am besten verteidigt, wenn man die
Mehrsprachigkeit verteidigt. Eine Sprache verteidigt sich nicht durch sich selbst, sondern mit
der Kompetenz anderer Sprachen. Wir wenden uns jetzt wieder den anderen Sprachen zu. Ich
glaube, das ist die Lösung. Das Problem ist hochaktuell, in der Europäischen Kommission ist
es brennend. Die Debatte über Sprachenschutz hängt auch damit zusammen, dass wir in einer
globalisierten Gesellschaft leben. Nun müssen wir die Wahl treffen: Sprechen wir alle
Englisch oder versuchen wir, eine Mehrsprachigkeit einzuführen, was auch zu einer anderen
Sprachpolitik führen wird? Die Frage ist: Wie können wir Mehrsprachigkeit fördern?
Jean-François Baldi: Das Toubon-Gesetz verfügt über eine relativ wenig bekannte
Bestimmung: Wenn eine öffentliche Einrichtung, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts
eine Übersetzung zum Beispiel in einer Informationsschrift oder im Internet anbietet, muss
dies in mindestens zwei Fremdsprachen geschehen. In unserem Fachjargon nennen wir dies
„Verpflichtung zur Dreisprachigkeit“. Die Übersetzung ist also unerlässlich. In der EU wurde
der freie Waren- und Personenfluss mehr oder weniger perfekt vollzogen; es ist nun an der
Zeit, den Austausch von Ideen und Konzepten zu fördern. Nichts ist hierfür besser geeignet
als die Übersetzung, sie gestattet die Verbreitung und Bereicherung der Ideen und ist viel
mehr als nur die Simultanverdolmetschung bei technischen und politischen Treffen der
117
Europäischen Kommission, sondern ein Instrument, welches das Zugehörigkeitsgefühl zu
Europa – unter Achtung der Sprachenvielfalt – stärken kann.
Jutta Limbach: Die EU hat eine Bestimmung in dem noch nicht ratifizierten
Verfassungsvertrag, die da sagt: „Die Union schützt die Vielfalt der Kulturen und der
Sprachen und fordert sie.“ Die Sprachprobleme, die Sie hinsichtlich Frankreichs und seiner
indigenen Sprachen erwähnten, sind Probleme eigenständiger sprachlicher Minderheiten.
Diese spielen in Deutschland keine große Rolle. Unser eigentliches Problem sind die
eingewanderten Minderheiten. Darüber streiten in Deutschland zwei Meinungen: Die einen
sagen, dass in der Schule – mit Schulpflicht – nur Deutsch gelernt wird, und die anderen
sagen, dass sie ihren Kindern ihre eigene Identität und Bindung zu ihrem Herkunftsland
aufrechterhalten wollen. Das heißt für das Schulsystem, dass die Kinder z. B. Türkisch lernen
können müssen.
Jürgen Trabant: Wir müssen praktikable Lösungen finden, dass wir eine oder mehrere
Sprachen für die internationale Kommunikation verwenden. Ich plädiere für mehrere und
nicht nur für eine. Der Mehrsprachigkeitsweg war einmal der deutsche. Deutschland hat in der
Sprachphilosophie die Mehrsprachigkeit entdeckt – ihre Heroen sind Herder und Humboldt.
Diese haben die Sprachen als Kulturgüter und wichtige philosophische Themen zum
Gegenstand gemacht. Um auf die türkische Frage zu kommen: Man muss die Dialektik
zwischen National-, Umgangs- und Kultursprache und den autochtonen, den „kleineren“
Sprachen (dazu gehört in Deutschland das Türkische, obwohl es eine riesige Sprache ist) an
unserer Tradition orientieren.
Ich bin als Romanist sehr sensibel, wenn in den Schulen Englisch als Universalsprache
durchgesetzt wird. Englisch im Kindergarten, in der Elementarschule; CLIL wird
weitergeführt, sodass das Deutsche am Ende nur noch eine folkloristische Position hat. Es ist
unerträglich, dass in Baden-Württemberg gefordert wurde, das Englische als
Unterrichtssprache an den Schulen in Deutschland durchzusetzen; das Deutsche wird damit
zur „Familiensprache“ degradiert. Man kann den Werbeslogan der Schwaben nehmen: „Wir
können alles außer Hochdeutsch“, d. h. niemand kann mehr Deutsch; da haben wir die
Arbeitssprache Englisch – und den Dialekt: Das Hochdeutsche wird zum „Sandwich“
zwischen Englisch und Dialekt.
118
Jean-Claude Crespy: Die Sprachgesetze in Frankreich haben der Integration nicht
weitergeholfen. In Frankreich ist die Situation anders, weil wir die Bevölkerungen, aus denen
die rebellierenden Jugendlichen kommen, kolonisiert haben. Das ist ein Verhältnis, in dem
Revanche eine gewisse Rolle spielt. Es ist immer problematisch, sich die Sprache einer
ehemaligen Kolonialherrschaft anzueignen. Die Deutschen haben die Türken nie kolonisiert
und diese sind nie kolonisiert worden. Ihre Identität ist keine beleidigte Identität. Da war das
osmanische Reich mit einer prächtigen Vergangenheit, und sie fühlen sich gleichwertig – und
deshalb zögern sie, die deutsche Sprache anzunehmen.
Jutta Limbach: Ich halte es für selbstverständlich, dass ich, wenn ich deutscher Staatsbürger
werden will, die Landessprache beherrschen muss. Dafür machen wir die Integrations- und
Sprachkurse für diejenigen, die mit uns arbeiten, die Schule besuchen und Deutsch sprechen
müssen.
Wir leben in einer entgrenzten, globalisierten Welt, sodass man – vor allem wenn man
sich über die Grenzen hinweg bewegen will – nicht nur die Muttersprache, sondern auch
andere Sprachen sprechen muss und von daher im Schulsystem die Verantwortlichkeit für das
Erlernen von Fremdsprachen besteht.
Jürgen Trabant: Ich möchte noch einmal auf das Gesetz zurückkommen. Ich bin nicht für
eine gesetzmäßige Regelung in Deutschland, stimme aber Ihrer politischen Diagnose zu, dass
hier Spaltungen entstehen. An dieser Stelle müssen demokratische Aktionen in Gang
kommen, zivilgesellschaftliche Aktionen, Vereine, Vorträge usw. Außerdem müssen wir auf
die Schulen achten, damit dort eine vernünftige Sprachpolitik gemacht wird. Die Schulpolitik
passiert – das ist das Problematische an der föderalen Struktur – unter Ausschluss der
Öffentlichkeit. Es wird nicht diskutiert, in welchen Sprachen der Unterricht stattfindet oder
wie die Pädagogik sein soll zwischen Dialekt und Hochdeutsch, oder die Frage „Wie viel
Englisch brauchen wir eigentlich?“ Das wird in den Ländern einfach dekretiert.
Bis zum 16. Jahrhundert galt Latein versus Volkssprachen, dann fand ein
jahrhundertelanger Prozess statt, in dem die Volkssprachen sich durchgesetzt haben und damit
einen allmählichen Übergang von der Spaltung in die Allgemeinverfügbarkeit schafften. Kant
119
hat nicht mehr Lateinisch geschrieben, sondern Deutsch. So kann am Ende auch ein
Dialektsprecher, der in der Schule Deutsch gelernt hat, Kant lesen. Das ist der Kern des
Modernisierungsprozesses und es geht mir darum, dass das nicht abhanden kommt. Dass Kant
nicht anfängt, auf Englisch zu philosophieren, also in dem ‚neuen Latein’, sondern weiter auf
Deutsch schreibt. Es muss der politische Wille da sein, diese Spaltung nicht noch tiefer
werden zu lassen, sondern dieses europäische Kontinuum zu bewahren.
Jean-Claude Crespy: Früher gab es noch viel Mehrsprachigkeit, dazu die Kenntnis der
Dialekte und Regionalsprachen; und auch immer Latein: Drei- oder Viersprachigkeit war
durchaus üblich. Dies muss wieder hergestellt werden, wenn wir gegen die Allmacht des
Englischen Bestand haben und die Sprachen retten wollen.
Beitrag aus dem Publikum:
Wenn wir den Gedanken „zivilgesellschaftliche Initiativen“ aufgreifen, bevor wir über
Verbote nachdenken, sollte man auch über die Schönheit der deutschen Sprache, die in der
Literatur verwirklicht wird, nachdenken.
Jutta Limbach: Das sehen wir durchaus so. Unsere heiteren Wettbewerbe mit der Suche
nach dem „Schönsten deutschen Wort“ oder nach „Ausgewanderten“ und bald auch
„Eingewanderten Wörtern“ folgten eben diesem Ziel, die Liebe zur deutschen Sprache zu
bestätigen. Wir haben den Eindruck, dass wir hier etwas in der Bevölkerung berühren, was
sehr positiv aufgenommen wird. So schönes Deutsch wurde noch nie von so vielen Personen
gesprochen wie in unserer Zeit. Der Glaube, dass vor 100 Jahren die Bevölkerung in der
deutschen Hochsprache bewanderter und artikulierter gewesen sei, der ist naiv. Ich glaube, es
hat noch nie eine Bevölkerung gegeben, die in der Mehrheit so sprachtüchtig war.
Jean-François Baldi: Die Anmerkung in Bezug auf die Literatur ist völlig zutreffend: Die
stärksten Verfechter einer Sprache sind die Schriftsteller. Des Weiteren will ich noch
hinzufügen, dass es im Bezug auf die soziale Verantwortung sehr wichtig ist – Gesetz hin
120
oder her – dass die Menschen ihrer Sprache Vertrauen entgegen bringen. Wenn man
Vertrauen zu seiner eigenen Sprache hat, dann öffnet man sich leichter den anderen Sprachen.
Maik Meuser: Zuletzt möchte ich Ihnen einen Satz des ‚Hausherrn’ mitgeben: „Die Gewalt
einer Sprache ist nicht, dass sie das Fremde abweist, sondern dass sie es versteht.“
121
„CIA – Hier können Sie Karriere machen“
Sprachenpolitik in den USA fünf Jahre nach dem
11. September 2001
Uwe Rau
Wenn über die „Macht der Sprache“ diskutiert wird, darf das Thema „Sprachenpolitik
weltweit“ nicht fehlen. Auf dem Berliner Festival kamen auch Vertreterinnen des Faches
Deutsch zu Wort, die unermüdlich Lobbyarbeit für das Deutschlernen leisten. Das ist keine
leichte Aufgabe in einem Land, in dem nur 43 Prozent aller Schüler überhaupt eine
Fremdsprache lernen, und davon nur 2,1 Prozent Deutsch. Eine wirkliche nationale
Sprachenpolitik mit Bildungsanspruch gibt es nicht. Dennoch kann man feststellen, dass das
öffentliche Fremdspracheninteresse in den letzten Jahren gestiegen ist.
Beim Durchblättern des Programmkatalogs 2005 für den größten
Fremdsprachenkongress in den Vereinigten Staaten, der Jahrestagung des American Council
on the Teaching of Foreign Languages (ACTFL), findet man eine ganzseitige Anzeige der
CIA. Dort wird unter anderem auf Chinesisch, Arabisch, Farsi und Koreanisch, aber auch auf
Deutsch für eine berufliche Laufbahn beim US-amerikanischen Nachrichtendienst geworben:
„Hier können Sie Karriere machen“. Die Anzeige richtet sich an Fremdsprachenlehrer und
beschreibt den Auftrag der CIA, wie man ihn wohl in dieser Form nicht erwarten würde:
Foreign Language Instructors. One of the most important contributions you can make to
meeting the mission of the CIA is enabling others to understand world cultures.
Die Anzeige zeigt symptomatisch den derzeitigen Status von Fremdsprachenkenntnissen in
den USA. Die Ereignisse vom 11. September 2001 haben die Bedeutung des Erlernens von
Fremdsprachen sowie der Kenntnis anderer Kulturen erhöht. Medien und Politik widmeten
dem Thema in den letzten zwei Jahren mehr Aufmerksamkeit als in den 20 Jahren zuvor;
beides wird jetzt deutlich als eine Notwendigkeit in direktem Zusammenhang mit nationalen
122
Sicherheitsinteressen betrachtet. Der Bedarf nach Sprechern fremder Sprachen ist erkannt und
zieht besondere Rekrutierungsprogramme nach sich.
Bisher hat das neue Interesse allerdings nur zu spontanen Aktionen der Regierung
geführt. Kritiker sprechen von „Band-aid-policies“ (Symptombehandlung). Die langfristigen
Sprachenprobleme des Landes würden so nicht gelöst. Nach wie vor gehört der
Fremdsprachenerwerb nicht zu den schulischen Pflichtfächern in den öffentlichen
Highschools. Trotz großer öffentlicher Aufmerksamkeit und positiver Rhetorik ist die
finanzielle Förderung für Sprachen und internationale Bildung durch die amerikanische
Bundesregierung weder konsequent noch ermutigend.
Ein Jahr nach dem Erscheinen der oben zitierten Anzeige hat das Goethe-Institut New
York erstmals für die ACTFL-Jahrestagung im November 2006 eine Sonderveranstaltung zu
diesem Thema angeregt und organisiert. Vor mehr als 200 Teilnehmern diskutierten
prominente Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Sprachwissenschaft kritisch darüber, wo das
Thema Fremdsprachenlernen tatsächlich auf der Agenda amerikanischer Sicherheitspolitik,
ökonomischer Entwicklung, der Gesetzgebungsinitiativen und betriebswirtschaftlicher
Interessen zur Bildung eines globalen Arbeitskräftepotenzials steht.
Alfred Mockett, Vertreter des Unternehmens Motive, Inc. und Vorstandsmitglied des
wichtigen Committee for Economic Development in Washington DC, betonte die Virulenz
für die Wirtschaft in so zuvor nie vernommener Deutlichkeit: „The business community is in
desperate need of cross cultural competence – a combination of foreign language skills,
cultural knowledge, and international experience.“ Am Ende seines Beitrags stand ein
leidenschaftliches Plädoyer für den internationalen Dialog:
„Die Welt war besorgt um Amerika […]. Nie zuvor haben wir eine so große Konzentration
von wirtschaftlicher Macht, politischer Macht und militärischer Macht in den Händen von so
wenigen erlebt […]. Wir aus den Bereichen Wirtschaft und Bildung können zusammen dazu
beitragen, dass dieses Problem angepackt wird. Unser wirtschaftlicher Reichtum und unsere
nationale Sicherheit hängen wesentlich davon ab, wie gut wir heute unsere Studenten
ausbilden, die die Wissensvermittler, internationalen Führungskräfte der Wirtschaft,
Wohltäter und Weltbürger von morgen sein werden.“
Professor Heidi Byrnes von der Georgetown University führte in ihrem Beitrag überzeugend
an, dass eine kohärente Sprachenpolitik in den USA nicht vorhanden sei. Im Zentrum der
Regierungsinitiativen der letzten Jahre stehe die Hinwendung zu einigen wenigen Sprachen,
123
den sogenannten critical languages oder security languages, zu denen in erster Linie das
Arabische und Chinesische gehören. Die Unterstützung dieser Sprachen sei ausschließlich
pragmatisch, nämlich sicherheitspolitisch und ökonomisch, motiviert.
Überspitzt gesagt, dienen Fremdsprachenkenntnisse so nur dazu, besser gegen den
Feind im „Krieg gegen den Terror“ und den ökonomischen Konkurrenten gewappnet zu sein.
Sprache wird auf ihre strategische Funktion reduziert und dient dann nur als Instrument für
die Durchsetzung eigener Interessen. Ein solch reduzierendes Verständnis von Sprache hält
Heidi Byrnes für nicht zukunftsfähig. Ihre Schlussausführungen wandten sich dann auch sehr
engagiert gegen diese Vereinfachungen und stießen bei den Teilnehmern auf große
Zustimmung:
„Die Macht der Sprache besteht ganz wesentlich in der Fähigkeit, die Welt deuten zu können
und in einem Verhältnis zu anderen zu stehen. Es ist eine semiotische Fähigkeit damit
gemeint, nämlich sich im Dialog zu befinden, sei es im Rahmen derselben Sprache oder über
mehrere Sprachen hinweg, im Hier und Jetzt oder über Raum und Zeit hinweg, innerhalb ein
und derselben Landesgrenze oder aber über nationale Grenzen hinweg im globalen Kontext.
Es ist eine Macht, die nur in dem Ausmaß bestehen kann, wie die grundlegenden
Voraussetzungen von Vertrauen und Verständnis standhalten, […] und zwar sowohl, wenn
Frieden geschlossen wird, wie auch bei der Kriegsführung, wenn Geschäftsabkommen
getroffen und wenn Geschäftsabkommen nicht eingehalten werden, wenn Kunst entsteht und
wenn unser ästhetisches Einfühlungsvermögen verändert wird, wenn wir etwas über uns
selbst oder über andere lernen. Doch wenn wir aus den vielfältigen Möglichkeiten, die
unserem Leben Gestalt geben, absichtlich die dialogische Fähigkeit des Verstehens entfernen
und diese mit dem monologischen Interesse unserer eigenen, egozentrischen Sicherheit
ersetzen, wird die Sprache alle ihre magische Macht verlieren und zu nichts als einem leeren
Geräusch werden. Was auch immer Sprachpolitik in diesem Land bewirken kann, beginnt und
endet hier.”
Der Vertreter der amerikanischen Bundesregierung, Robert Slater vom National Security
Education Program, hatte den Vorrednern wenig entgegenzusetzen. Interessant war sein
Hinweis auf den partei(un)politischen Charakter der sprachpolitischen Initiativen. Sowohl
Vertreter der Demokraten als auch der Republikaner sind auf diesem Gebiet aktiv. Aus seinen
Erfahrungen mit Sprachen leitet der Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums die These ab,
Sprachinteresse komme in Wellen, welche die Folge einer Krise sind. An der Welle des
124
11. September sei beachtlich, dass diese schon lange anhalte. Als positiv sei die klare
Anerkennung der Wichtigkeit von Sprache von Seiten der Politiker zu verzeichnen.
Heute, Anfang 2007, stehen darum die Zeichen für eine weiterreichende
Sprachenpolitik in den Vereinigten Staaten nicht schlecht. Der neue Kongress hat sich der
Notwendigkeit angenommen, eine „Sprachenstrategie“ für die USA zu entwickeln. Kürzlich
fand dazu eine Expertenanhörung unter dem Titel „Lost in Translation: A Review of the
Federal Government's Efforts to Develop a Foreign Language Strategy” statt. Es bleibt zu
wünschen, dass der Appell von J. David Edwards, Geschäftsführer des Joint National
Committee for Languages (JNCL), dabei auf offene Ohren trifft:
„Wir sind uns jetzt dessen bewusst, dass Sprachen wichtig sind und dass wir eine nationale
Sprachkrise haben, und dennoch werden keine langfristigen Maßnahmen ergriffen. Obwohl
Sprachen als Sicherheitsfaktor angesehen werden, schätzt man sie nicht als Bildungsfaktor.
Bevor die Entscheidungsträger nicht den Zusammenhang von Bildung und wahrer Sicherheit
erkennen, werden wir wohl keinen ernst zu nehmenden Wandel erleben, dergestalt, dass sich
das Sprachenlernen in den Vereinigten Staaten verbessert und unsere Bürger in den Stand
versetzt werden, mit dem Rest der Welt umgehen zu können.”
126
Mehrsprachigkeit in Europa – hin zu einer besseren
Praxis
Empfehlungen zum Erlernen von Sprachen in der Europäischen
Union
EUNIC Brüssel
Dieser Beitrag war Teil der von EUNIC Brüssel am 21. September 2006 organisierten
Konferenz zum Thema „Mehrsprachigkeit in Europa – hin zu einer besseren Praxis“. EUNIC
Brüssel (European National Institutes for Culture) war bis 2006 als CICEB (Consociatio
institutorum culturalium europaeorum inter belgas) bekannt.
Die Kultureinrichtungen, die EUNIC Brüssel bilden, blicken alle auf eine lange Erfahrung
und Expertise im praktischen Sprachenunterricht zurück. Die Arbeit mit Lehrern, Lernenden
und Verantwortlichen für die Ausbildungspolitik soll zum einen den Unterricht in den
einzelstaatlichen Systemen in ganz Europa unterstützen und zum anderen außerhalb des
formellen Unterrichtssystems Sprachenunterricht in eigenen Fortbildungszentren und -
programmen bereithalten. Die Mitglieder von EUNIC Brüssel besitzen ebenfalls eine
langjährige Erfahrung mit Programmen, die Brücken zwischen Sprache und Kultur schlagen,
beispielsweise durch Literatur oder die darstellenden Künste.
Vor diesem Erfahrungshintergrund werden die nachstehenden Empfehlungen
vorgelegt. EUNIC Brüssel nimmt für sich nicht in Anspruch, eine wissenschaftliche
Institution zu sein. Allerdings möchten wir darauf hinweisen, dass im Vorfeld Wissenschaftler
konsultiert wurden und mitgewirkt haben.
Empfehlungen
127
1. Bei jeder Diskussion über das Thema der Mehrsprachigkeit in Europa sollten folgende
Aspekte berücksichtigt werden:
a. Es wird nicht allgemein wahrgenommen, dass die sprachliche Vielfalt Europa
bereichert. Sie ist jedoch ein Teil des gemeinsamen europäischen Kulturerbes, für
das die Menschen gekämpft haben, daher sollte sie nicht als selbstverständlich
angesehen werden. Viele der europäischen Landessprachen sind erst im 19. und
20. Jahrhundert anerkannt worden und entstanden, als die Nationalstaaten errichtet
wurden. Nationale Sprachen haben eine zentrale Rolle in der Entwicklung und
Herausbildung der Demokratie in den Staaten Europas gespielt, deren Aufbau
unterstützt und eine aktive Teilhabe in demokratischen Systemen ermöglicht.
b. Das Hervortreten der englischen Sprache als dominante Lingua franca in Europa in
den vergangenen fünfzig Jahren wurde durch zwei wesentliche historische
Ereignisse in Europa begünstigt, nämlich das Ende des Zweiten Weltkriegs und
den Fall des Eisernen Vorhangs 1989.
c. Die Rolle der Europäischen Union in den Bereichen Kultur und Ausbildung geht
auf den Maastrichter Vertrag aus dem Jahr 1992 zurück, der die EU-Kommission
erstmals ermächtigte, Geld für Kultur- und Ausbildungsprojekte zu verwenden.
Die “1 plus 2”-Empfehlung (= Muttersprache/erste Sprache + zwei weitere
Sprachen) in Bezug auf das Erlernen von Fremdsprachen geht darauf zurück. Sie
wurde erstmals im Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung unter dem
Titel “Lehren und Lernen – Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft” (1996)
veröffentlicht (http://europa.eu.int/comm/education/doc/official/keydoc/lb-de.pdf).
d. Mehrsprachigkeit ist ein wesentlicher Teil unserer europäischen Identität, die
weiterhin gefördert werden sollte. Falls einer Lingua franca eine Vorherrschaft
eingeräumt wird, besteht das Risiko, dass andere Landessprachen einen
Funktionsverlust erleiden werden (z. B. weniger geschriebene Texte). Zur
Vermeidung einer solchen Entwicklung ist es wesentlich, unsere Bemühungen zur
Förderung der Mehrsprachigkeit zu intensivieren.
2. Wir anerkennen und würdigen, dass die Europäische Union mit der Förderung aller
offiziellen Sprachen der EU (einschließlich finanzieller Unterstützung, wo dies
zweckmäßig ist) gleichzeitig die Mehrsprachigkeit fördert. Wir empfehlen, diese Praxis
fortzusetzen. Allerdings raten wir im Hinblick auf umfassenderen Erfolg, dass die
Europäische Union größere Ressourcen für diese Aufgabe bereitstellt, ihre Presse- und
128
Informationsarbeit verbessert und die Verfahren bei der Beantwortung von Aufrufen bzw.
bei der Einreichung von Projektvorschlägen vereinfacht.
3. Wir loben die Europäische Union für ihre Praxis, den Bürgern Informationen in allen
offiziellen Sprachen verfügbar zu machen. Wir empfehlen, hinreichende Mittel
bereitzustellen, die die Fortsetzung dieser Vorgehensweise gewährleisten, um die Kluft
zwischen den EU-Institutionen und den Bürgern Europas zu schließen und eine Art
europäische Identität – neben nationalen und regionalen Identitäten – zu fördern.
4. Sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten sollten die Verantwortung für die
Unterstützung von Ausbildungsinitiativen übernehmen, die sicherstellen, dass alle Bürger
eine sehr hohe Kompetenz in ihrer Muttersprache/ersten Sprache haben, da dies die
notwendige Grundlage für ein erfolgreiches Erlernen einer zweiten und dritten Sprache
schafft.
5. Es ist zu beachten, dass der Begriff "erste Sprache" verschiedene Dinge bezeichnen kann.
Es kann sich um eine offizielle EU-Sprache handeln bzw. um eine minoritäre europäische
Sprache oder auch um eine nicht-europäische Sprache, die von Immigranten-
Gemeinschaften gesprochen wird. Es muss außerdem berücksichtigt werden, dass für
viele europäische Bürger vielleicht nicht eindeutig ist, welche Sprache ihre erste ist, z. B.
für Kinder aus mehrsprachigen Familien oder Immigranten-Familien.
6. Wir empfehlen, dass die EU-Kommission die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu
größeren Anstrengungen bei der Implementierung der “1 plus 2”-Empfehlung auffordert,
die 2002 auf der Sitzung des Rates der Europäischen Union in Barcelona vereinbart
wurde. Hierzu gehört die Gewährleistung, dass die Mitgliedstaaten dieses Modell in ihre
eigenen politischen Maßnahmen übernehmen.
Vor diesem Hintergrund und angesichts des Umstands, dass die "1 plus 2"-Empfehlung
eine Zielmarke für alle Bürger Europas ist, möchten wir anmerken, dass diese leichter zu
erreichen ist und von den Mitgliedstaaten eher als Zielsetzung für ihre
Ausbildungssysteme festgeschrieben werden wird, wenn sie eindeutig definiert wird. Wir
empfehlen daher, dass die Europäische Union für alle Mitgliedstaaten als Ziel festschreibt,
dass alle Schüler beim Abschluss der Sekundarstufe II (d. h. im Alter von ca. 18 Jahren)
die Anforderungen des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens Niveaustufe B2
129
erfüllen und zusätzlich zu ihrer Muttersprache/ersten Sprache zwei Fremdsprachen
beherrschen.
7. Während es sich bei dem ‘1 plus 2’-Modell um ein wünschenswertes Ziel handelt, sollten
die Mitgliedstaaten jedoch vorrangig sicherstellen, dass die europäischen Bürger zuerst
ihre erste Sprache fließend lesen und schreiben können, selbst wenn diese erste Sprache
keine offizielle Sprache des betreffenden Landes ist. In solchen Fällen müsste die erste
erlernte Fremdsprache die offizielle Sprache des betreffenden Landes sein. Um dies zu
verwirklichen, sollten die Mitgliedstaaten die angemessenen Mittel bereitstellen, die einen
erfolgreichen Unterricht ihrer offiziellen Sprachen sowie der Sprachen ihrer Minoritäten
und Immigranten gewährleisten.
8. Der gemeinsame europäische Referenzrahmen ist ein ausgezeichnetes Instrument zur
Förderung des Sprachenlernens und der Standardisierung der Zielstufen. Seine
Verwendung sollte durch die Entwicklung angepasster Versionen für alle offiziellen EU-
Sprachen gefestigt werden. Darüber hinaus sollte er auf die wesentlichen
Regionalsprachen (z. B. Katalanisch) und die von zahlenmäßig großen Gruppen von EU-
Bürgern gesprochenen Immigranten-Sprachen angepasst werden.
Das heißt, die Verwendung des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens sollte eine
größere Transparenz bei der Prüfung und Zertifizierung von Sprachkenntnissen (z. B.
mittels einer Akkreditierung der Prüfungen durch den Europarat) bewirken.
9. Die Existenz eines zuverlässigen Instruments zur Messung der Fremdsprachenkompetenz
der Bürger eines Mitgliedstaates ist von grundlegender Bedeutung. Die aktuelle
Eurobarometer-Untersuchung ist zweckdienlich, aber nicht hinreichend, da sie auf der
Selbsteinschätzung der Befragten hinsichtlich ihrer Kommunikationsfähigkeit beruht.
10. Innerhalb der Mitgliedstaaten sollte der Austausch erfolgreicher Methoden und Praktiken
des Fremdsprachenerwerbs besser gepflegt werden, damit sowohl politische
Entscheidungsträger als auch mit Fremdsprachenlernen und -lehren befasste Institutionen
davon profitieren können. Die EU-Kommission sollte diesen Austausch aktiv
unterstützen. Zu den auf der Konferenz von EUNIC Brüssel geäußerten Anregungen
gehören:
130
a. Förderung von frühem Fremdsprachenlernen (außerschulisch, im Kindergarten
und in der Primarschule).
b. Es sollte Forschung betrieben werden, um festzustellen, in welchem Umfang der
gleichzeitige Unterricht zweier Fremdsprachen in jungem Alter (10-11 Jahre) sich
als erfolgreich erwiesen hat.
c. Die Reihenfolge, in der Fremdsprachen erlernt werden, sollte geprüft werden, und
Forschungsarbeiten sollten die Effektivität der verschiedenen Ansätze
untersuchen.
Konkrete Vorschläge:
- Die erste zu erlernende Fremdsprache hat eine komplexe Grammatik/einen
komplexen Satzbau, weil dann das Erlernen weiterer Fremdsprachen erleichtert
wird.
- Die erste Fremdsprache gehört einer anderen Sprachenfamilie an als die
Muttersprache/erste Sprache (z. B. germanische, romanische, slawische
Sprachen); die zweite zu erlernende Fremdsprache gehört wiederum zu einer
anderen Sprachenfamilie.
- Englisch wird nicht als erste Fremdsprache unterrichtet, um die Motivation für
das Erlernen von mindestens zwei Fremdsprachen aufrechtzuerhalten.
d. In breiterem Umfang sollte Inhalt- und Sprachenintegriertes Lernen (Content and
language integrated learning; CLIL) ab der Grundstufe (ab einem Alter von 7
Jahren) eingesetzt werden.
e. Die Lehreraus- und -fortbildung und die Aus- und Fortbildung der Fortbildner,
einschließlich der Entwicklung von international vergleichbaren Standards
(Referenzrahmen), müssen stärker fokussiert werden.
f. Weitere Anstrengungen sollten zur Erzielung von Synergien (d. h. Einsatz der
Kenntnisse der ersten Fremdsprache für das Erlernen der zweiten Fremdsprache)
bei Sprachschülern unternommen werden, wenn zwei oder drei Fremdsprachen
unterrichtet werden.
11. Es sollte der Situation Rechnung getragen werden, dass die englische Sprache als Lingua
franca Englischsprachige daran hindert, andere Fremdsprachen zu lernen. Auf der
Konferenz wurden als mögliche Lösungen vorgeschlagen:
a. Aktive Kampagnen, die das Erlernen von Fremdsprachen attraktiv machen und die
Sensibilität für die mit dem Erlernen verbundenen Vorteile erhöht. Insbesondere
131
sollte das Erlernen von Sprachen als Weg zu interkulturellem Lernen und
Austausch dargestellt werden, der eine Reflexion über die eigene Kultur und
Identität eröffnet. Die Kampagnen sollten sich auf politische Entscheidungsträger,
Fachleute und Sprachschüler aller Altersgruppen einschließlich der Eltern von
Sprachschülern ausrichten.
b. Aktive Kampagnen zur Förderung des Erlernens von “Nachbar-Sprachen” (z. B.
Niederländisch in Nordwestdeutschland oder Italienisch in Südostfrankreich)
c. Weiterentwicklung des von Professor Sabatini von der Accademia della Crusca in
Florenz vorgeschlagenen Modells, in dem sich die europäischen Bürger
• zuerst auf ihre Muttersprache konzentrieren sollten: la lingua madre,
• dann eine andere Sprache erlernen sollten, zu der sie einen Bezug
empfinden: la lingua sposa
• und schließlich die Sprache erlernen sollten, die am nützlichsten für sie
ist: la lingua segretaria.
12. Die Rolle von Kultur, kulturellen Veranstaltungen und der sich mit kulturellen
Beziehungen befassenden Organisationen für die Förderung der Mehrsprachigkeit sollte
anerkannt werden. Wir empfehlen daher, dass in den Programmen der EU-Kommission,
die sich mit dem Erlernen von Fremdsprachen oder dem lebenslangen Lernen befassen,
die Verbindung zwischen Mehrsprachigkeit und Kultur besonders hervorgehoben wird.
Das jüngste Projekt von EUNIC Brüssel innerhalb des Sokrates-Lingua-Programms
„Märchen kurz vor Abflug“ ist ein Beispiel. Ein weiterer Vorschlag für die Verbindung
von Mehrsprachigkeit und Kultur ist eine verstärkte Verwendung von Untertiteln bei
fremdsprachigen Spielfilmen und Fernsehprogrammen, anstatt diese in der Landessprache
zu synchronisieren.
132
Wer hat Angst vor Englisch?
Nachdenken über Deutschlehren und -lernen in den USA
Heidi Byrnes
Sinnvolle Sprachenpolitik ist nur dann möglich, wenn von Anfang an so genau wie möglich
Kontexte und Kapazitäten, sowie der Wissensstand um Sprachlehren und -lernen, dazu die
Prozesse, Inhalte und möglichen Ergebnisse erfasst werden. Es geht um Deutschlehren und
Deutschlernen in den USA. Dieser Kontext scheint einerseits besonders negativ besetzt zu
sein, andererseits trägt er Kennzeichen, die sich moderne Gesellschaften sprachenpolitisch
zunehmend zu eigen machen müssen.
Deutschlehren und -lernen in den USA heißt, sich mit dem Deutschen in einem vom
Englischen dominierten Land zu befassen, das sich zudem als Welthegemonialmacht fühlt,
was sich auch durch die Dominanz der Sprache ausdrückt. Einem Erwerb des Deutschen kann
überdies in den meisten Fällen kein unmittelbar ersichtlicher Stellenwert zugesprochen
werden. Und schließlich wird Deutsch in einem Umfeld gelehrt und gelernt, innerhalb dessen
sich eine Vielzahl von Sprachen Gehör verschaffen wollen. Möglich ist das vor allem
deswegen, weil ein Sprachenpluralismus zumindest als abrufbare Ideologie angenommen und
in der gesellschaftlichen Praxis akzeptiert wird. Diese Konstellation ist für das Deutsche
zunächst weder positiv noch negativ. Somit bietet sie einen guten Ausgangspunkt für
Betrachtungen zu einer Auslandssprachenpolitik, die lokale Gegebenheiten dynamisch für
sich nutzen möchte.
Der Lehr- und Lernbetrieb des Deutschen in den USA
Fünf Herangehensweisen geben dem Lehr- und Lernbetrieb des Deutschen in den USA eine
besondere Note, bestimmen seine Präsenz und geben Denkanstöße für empfehlenswerte
Maßnahmen im Inland.
133
1. Alle Entscheidungsträger im Land, bis zum Klassenlehrer, sind gefordert, zu
überlegen, wie und wo man für das Deutsche einen gesellschaftlichen Platz kreieren kann. Ich
sage „kreieren“ nicht „finden“, um zu betonen, dass in einer vom Englischen dominierten
Umgebung zunächst gewisse unabdingbare Voraussetzungen geschaffen werden müssen.
Dazu gehören:
- Sicherstellen eines breiten Zugangs zum Deutschunterricht;
- Erwecken und Erhalten von Interesse, wobei die Gründe für das Erlernen des
Deutschen weitgehend persönlich-affektiv und nicht instrumental besetzt, also
kaum flächendeckend steuerbar sind;
- genaue Spezifizierung von realistisch erzielbaren Lernergebnissen;
- einheitliche Festlegung curricularer Inhalte und Progressionen;
- pädagogisch-methodologische Herangehensweisen, die größtmöglichen Konsens
genießen;
- der Wille, öffentlich „lesbare“ und mitteilbare Nachweise zu Lernergebnissen zu
erbringen und aus Erfolgen sowie Misserfolgen zu lernen;
- öffentliche Formen der Anerkennung für besondere Anstrengungen und erzielte
Ergebnisse auf beiden Seiten, der Lehrenden und der Lernenden.
Selbst dieser Kurzkatalog macht klar, dass jeder Lehrende gefordert ist, den Willen und die
Fähigkeit zu entwickeln, im öffentlichen Diskurs fundamentale Themenkreise der
Sprachenpädagogik informiert und überzeugend darstellen zu können. Man mag darüber
denken wie man will, aber wenn effektives Werben diese Fähigkeiten beinhaltet, dann wird
das Werben zu einer besonderen Form der Weiterbildung, die sowohl Lehrenden als auch
Lernenden die Möglichkeit anbietet, ein differenziertes und selbstbewusstes Selbstverständnis
der jeweils anfallenden Aufgaben zu entwickeln.
2. Zum Zweiten sind die USA ein Land, das keine offizielle Sprachenpolitik besitzt und
dessen Bildungswesen föderativ ausgerichtet ist. Diese föderative Struktur endet nicht auf
Länderebene, sondern dringt bis in den einzelnen Schulbezirk vor. Hier zeigt sich, dass lokale
Gegebenheiten nicht von vornherein Formen des Sprachenlehrens und -lernens
vorherbestimmen. Allerdings werden sie vor allem dann positive Auswirkungen haben, wenn
sie durch Aktivismus dem System abverlangt werden.
134
3. Ein dritter Punkt ist, dass die gewünschte Nische für das Deutsche nur unter
Berücksichtung der Anteile anderer Sprachen entstehen kann, allen voran des Spanischen, das
die weitaus höchste Lernerzahl verzeichnet und ganze Schulbezirke dazu veranlasst, kaum
noch andere Sprachen anzubieten. Wenn man in Europa eine „English only“-Bewegung als
unmissverständlichen Beweis für den unaufhaltsamen Vormarsch des Englischen betrachtet,
dann sollte dennoch auch berücksichtigt werden, dass sich in vielen Teilen des Landes der
Status des Spanischen als Fremdsprache in den einer Zweitsprache umwandelt, womit sich die
Position aller Sprachen ändert.
In dieser fluktuierenden Situation haben sich alle Fremdsprachenverbände zu einem
kooperativen Nebeneinander entschieden. Die Wahl einer Fremdsprache hängt nämlich so
sehr von lokalen oder persönlichen, nicht genauer kontrollierbaren Faktoren ab, dass es nur
darum geht, dass Fremdsprachen überhaupt angeboten und gelernt werden. Für das Deutsche
ergibt sich damit häufig der Status einer Drittsprache. Das hat im Erwachsenenbereich
weitgehend Vorteile, solange man sie lernerzieherisch erkennt und effizient nutzt (siehe
http://www3.georgetown.edu/departments/german/programs/curriculum/index.html).
4. Fremdsprachenunterricht und damit Deutschunterricht findet in einem Land statt, in
dem Spracherwerb keinen gefestigten Platz in der schulischen Ausbildung hat. Wenn zum
Beispiel aus finanziellen oder curricularen Gründen Engpässe entstehen, sind Sprachen und
musische Fächer die ersten Opfer. Daher ist im tertiären Bereich oft das nachzuholen, was auf
der Primär- und Sekundarstufe nicht stattgefunden hat. Gleichzeitig schrumpfen die lange Zeit
üblichen viersemestrigen language requirements vieler Colleges, und zwar nicht, weil man
den Wert von Sprachen nicht anerkennt, sondern weil sie ihre Bildungsaufgaben anders sehen
müssen als früher: Sie werden stärker berufsqualifizierend statt bildend. Sprachunterricht ist
inhärent kostspielig: Die Universitäten haben Schwierigkeiten, alles vom Anfänger- bis zum
Unterricht für weit Fortgeschrittene anzubieten, und das in einer Palette von Sprachen, die
sich immer schneller wandelt. Ohnehin verkürzt die anscheinend unüberbrückbare Kluft
zwischen „Sprachunterricht“ und literarisch-kulturellem Unterricht inhärent den Bildungswert
eines Programms. Der Aktivismus der universitären Germanistikprogramme in den USA ist
unter diesen Vorzeichen zu verstehen.
5. Dieser offenen Situation haben die amerikanischen Fremdsprachenorganisationen und
die Lehrenden überraschend viele positive Seiten abgerungen. Einige Stichworte:
135
Sie haben Lehrer und das Lehren, Lerner und das Lernen in den Vordergrund gestellt.
Das bedeutet, dass Lehrerfortbildung und eine breite Palette von Fortbildungsmöglichkeiten
im Vordergrund stehen und dies innerhalb einer landesweiten Fachorganisation, der American
Association of Teachers of German, AATG, die auch international verknüpft ist. Außerdem
verwendet man ein Multiplikatorensystem, das jüngere Kollegen gezielt einbindet. Schließlich
ist die AATG eng mit einer sprachenübergreifenden Organisation, dem American Council for
the Teaching of Languages, ACTFL, verbunden, womit man nicht nur ihre numerische Stärke
für sich gewinnt, sondern auch Zugang zu Expertise, Teilnahme an nationalen Projekten, wie
der Revision der Standards zur Lehrerausbildung, sowie die Möglichkeit, selbst tonangebend
aufzutreten. So konnte in den letzten zwanzig Jahren ein Umdenken stattfinden in Richtung
zweier dominanter curricularer, pädagogischer und evaluativer Bewegungen des
amerikanischen Fremdsprachenunterrichts, dem sogenannten Proficiency Movement und dem
noch wichtigeren Standards Movement.
Der eigentliche Wert dieser Herangehensweise liegt darin, dem Lehrer diskursiv eine
Identität als Träger für eine wichtige Sache zu vermitteln, ein Verständnis, das sich in der
täglichen pädagogischen Arbeit und in der langjährigen professionellen Weiterbildung in
vielerlei Formen niederschlägt. Möglich ist das allerdings nur, wenn Involviertsein unter der
Rubrik service (neben teaching und scholarship) zum anerkannten Berufsethos gehört, gerade
auch auf der universitären Ebene und für Professoren in den höheren Fakultätsrängen. Ohne
dieses Ethos und die Mechanismen für seine Erneuerung in der nächsten Generation wäre das
Deutsche in den USA schon längst in einem kümmerlichen Zustand, und selbst eine
Institution wie das Goethe-Institut hätte seine stille Grablegung nicht verhindern können.
Was ist aber jenseits des Weiterlebens tatsächlich erreicht worden?
a) Der kommunikative Unterricht unter dem Proficiency und Standards Movement wurde
zur akzeptierten Form, ein bemerkenswertes Ergebnis im Vergleich zum europäischen
Sprachenunterricht, der hier sehr viel Nachholbedarf zu haben scheint.
b) Gleichzeitig wurde auf der tertiären Ebene die meistens orale kommunikative Form
auf ihre Adäquatheit hinterfragt, indem man für eine wesentlich konsequentere
Literarisierung plädierte und Verbindungen zwischen den Anliegen des
Fremdsprachenunterrichts und denen des muttersprachlichen Unterrichts herzustellen
versuchte.
c) Im Curriculum ermöglichte man zum einen mit dem Kinder lernen Deutsch-Projekt
einen Einstieg in den Deutschunterricht in der Primarschule; zum anderen verband
136
man sich mit fachsprachlichen Studiengängen (siehe das 5-year-Master-Programm im
Ingenieurwesen an der University of Rhode Island). Oder es wird anspruchsvoller
inhaltsorientierter Sprachunterricht angeboten, wie das in Georgetown der Fall ist.
d) Die Lehrerfortbildung nimmt alle technologischen Möglichkeiten wahr, besonders
auch webbasierte Fernstudiengänge.
e) Innerhalb gegebener Grenzen wird das Lernen der Sprache mit Muttersprachlern
verbunden, gleich ob sie in der örtlichen Umgebung, in der virtuellen Welt oder durch
Austauschprogramme zu erreichen sind.
f) Man lehrt das Deutsche nicht ohne Bezug zur Kultur, sondern sucht gezielt die
Verbindung mit der deutschen, österreichischen oder schweizerischen Kultur.
Zum letzten Punkt eine Bemerkung. Wie weit ein Spracherwerb ohne Kulturbezug
befürwortet werden kann und besonders inwiefern er die internationale Position des
Deutschen verbessern könnte, ist noch längst nicht genügend durchdacht. Dieses Konzept
wird zunehmend eng verbunden mit dem Lingua franca-Status des Englischen und als
möglicherweise attraktiver Ausweg aus der kulturellen Dominanz des Englischen betrachtet.
Im Gegensatz zu einer solchen Herangehensweise ist allerdings für unsere Lerner des
Deutschen in den USA eines klar: Sie sehen gerade in einer expliziten kulturellen Einbindung
die Motivation, Deutsch zu lernen. Damit liefern sie ein mächtiges Gegenmittel für eine
völlige Instrumentalisierung des Sprachenlernens, um nicht zu sagen eine Verfälschung
grundsätzlicher Aspekte von Sprache, wie sie leider zu oft von wohlmeinenden
Entscheidungsträgern propagiert wird. Und sie stellen die viel wichtigere Frage, wie Sprache
und Kultur im Kontext des Spracherwerbs als ineinander verwoben zu verstehen sind: Welche
Sprachformen, welche Aspekte der Kultur, welche pädagogischen Herangehensweisen sind
angemessen?
Überlegungen zur Macht der Sprache in einem globalisierten Deutschland
Zu fragen wäre dementsprechend, inwiefern diese Überlegungen nicht nur die ausländische,
sondern auch die inländische Sprachenpolitik des Deutschen befruchten können. Das
Verhältnis zwischen dem Deutschen und dem Englischen spielt zwar eine zentrale Rolle, aber
es ist differenzierter zu betrachten, als oft üblich ist. Das Englische wird in intellektuellen und
akademischen Kreisen als bedrohlich empfunden, während es in der Gesellschaft in viele
137
öffentliche und persönliche Bereiche vorgedrungen ist. Der Schluss liegt also nahe, dass der
strategisch und taktisch nutzbringende Ausgangspunkt für sprachenpolitische Überlegungen
nicht so sehr auf der Seite des Englischen zu suchen wäre, als vielmehr auf der Seite des
Deutschen.
Zu bedenken ist, dass die Macht der Sprache grundsätzlich eine relative Angelegenheit
ist. Macht hat der, dem sie zugestanden wird; Ohnmacht derjenige, der keine Gegenbewegung
zustande bringen kann oder will. So gesehen, ist eigentlich der Ohnmächtige in der
Schlüsselposition: Er ist eben nicht völlig ohnmächtig. Weiterhin ist es nicht so, dass die
Macht der Sprache eine begrenzte Menge ist, die nur Gewinner und Verlierer zulässt. Im
Zeitalter der Globalisierung und des Pluralismus schafft die Sprache eine unvergleichliche
Erweiterung der Bedeutungsmöglichkeiten, eine Sprachmächtigkeit, und damit eine massive
Herausforderung an Menschen als sprechende Wesen überhaupt, sich in immer mehr
Bereichen in immer differenzierteren Formen in immer mehr Sprachen ausdrücken zu
können. Allerdings ist eine erweiterte Sprachmächtigkeit nur potentiell vorhanden. So sind die
Bildungssysteme zu hinterfragen, ob sie sich diesen Herausforderungen tatsächlich stellen.
Klar ist, dass es keine billige oder kurzfristige Lösung gibt, weshalb die sich daraus
ergebenden Konsequenzen nur selten beim Namen genannt werden. Leider steht damit der
Weg offen für Interpretationen des Englischen als einer dunkel-konspirativen, vielleicht
verrohenden und die eigenen intellektuellen und kulturellen Werte beleidigenden Macht. Und
verschlossen bleibt der Weg zu wirklichen Lösungen.
Wo wären diese zu finden?
1. Beginnen wir mit den Sprachen. Priorität wird, gerade in einer pluralistischen und
multilingualen Gesellschaft, dem muttersprachlichen Unterricht beizumessen sein, gleich ob
es sich um die Herkunftssprache von Minderheiten oder Migranten, also um das Türkische
oder die Bildungssprache des Landes, eben das Deutsche handelt. Weil aber diese Differenzen
existieren und die Landessprache für alle zugänglich sein und auf einer kompetenten Ebene
gehandhabt werden muss, entstehen hohe Ansprüche an das Bildungssystem, ganz besonders
im Fachbereich Deutsch als Fremdsprache. Das verlangt vor allem, dass sich die Hochschulen
involvieren, wobei den DaF-Abteilungen nicht nur eine Nebenposition zuzuerkennen ist,
sondern im Verbund mit der Angewandten Sprachwissenschaft eine bisher nicht gegebene
Prominenz gebührt.
138
2. Weil Plurilingualismus sowohl ein nachbarschaftliches als auch ein globales
Phänomen ist, stehen für Deutsche vor allem das Französische, Italienische, Tschechische und
Polnische im Vordergrund, und natürlich die globale Lingua franca, Englisch. Wenn also im
europäischen Fremdsprachen-Kontext „Muttersprache plus 2“ propagiert wird, dann ist zu
bedenken, ob unbedingt das Englische die erste Fremdsprache sein sollte. Bekanntermaßen ist
der Drittspracherwerb leichter als der Erwerb der ersten Fremdsprache. Studien haben
nachgewiesen, dass im europäischen Kontext der Erfolg im Erlernen des Englischen von der
alltäglichen Präsenz des Englischen profitiert, der Unterricht also durchaus nicht ein reiner
Fremdsprachenunterricht ist.
3. Wenn drittens die Dominanz des Englischen in Grenzen zu halten ist, dann wäre die
Handhabung der englischen Studiengänge, vielleicht sogar die Entscheidung für solche
Studiengänge überhaupt eine kritische Analyse wert. Zumindest wäre ein studienbegleitender
Pflicht-DaF-Unterricht in den frühen Studienphasen vorrangig. Darüber hinaus ist für die
Mehrheit der Studierenden ein hoch angesetzter „English for Academic Purposes“-Strang
(EAP) dringend vonnöten, und zwar nicht nur für deutsche, sondern auch für ausländische,
nicht muttersprachliche Englischsprecher. Schließlich ist ein viel differenzierteres Verständnis
für das Verhältnis zwischen sprachlichen Fähigkeiten und disziplinärem Wissen seitens aller
Lehrenden im tertiären Bereich zu fördern und einzuforden. Erste Erfahrungen mit CLIL
(Content and Language Integerated Learning) im europäischen Hochschulbereich ähneln hier
wohl etablierten Erfahrungen an amerikanischen Universitäten: Das erforderliche
Sprachniveau bei Studierenden und Lehrenden ist nur mit einem expliziten, hoch
spezialisierten Ansatz zu erreichen, sowohl auf der curricularen als auch auf der
pädagogischen Seite. Das verlangt bildungspolitischen Willen und stetige, langfristige
Finanzierung, flankiert von wissenschaftlicher Forschung in diesem Bereich und hoher
Kompetenz der Lehrenden.
4. Den Überlegungen innerhalb des Europäischen Referenzrahmens, der sowohl auf den
muttersprachlichen Unterricht als auch auf den universitären Bereich ausgedehnt werden soll,
gebührt konzentrierte Aufmerksamkeit. Die gegenwärtigen Überlegungen sind weder
ausreichend noch genügend transparent, besonders hinsichtlich der Anforderungen im
Zusammenhang mit der hoch angesetzten Literarisierung in mehr als einer Sprache.
139
5. Die mit sprachlicher Ausbildung betrauten Fachverbände müssen wesentlich
fundierter und enger zusammenarbeiten. Nicht nur die Fachverbände für diverse
Fremdsprachen, sondern auch die für den DaF-Unterricht und den muttersprachlichen
Deutschunterricht. Das trifft für alle Bildungsebenen zu, inklusive die Universitäten.
Damit wären grundsätzliche Rahmenbedingungen für den deutschen Kontext gegeben, mit
denen sich im Zeitalter der Globalisierung nicht nur mit dem Englischen sondern auch mit
anderen Sprachen, inklusive Deutsch, konstruktiv und realistisch, zukunftsträchtig und
selbstermächtigend umgehen ließe. Man wird sich zu Vielem aufraffen müssen, was weit über
eine Abwehrstellung gegenüber dem Englischen hinausgeht. Gefragt ist eine
Sprachmächtigkeit, die sich allerdings nur dann zum Wohl der Bürger und des Landes
entwickeln kann, wenn den komplexen Verbindungen zwischen muttersprachlicher und nicht
muttersprachlicher Literarisierung wesentlich größere Bedeutung beigemessen wird und
Querverbindungen herausgearbeitet werden können.
Vielleicht ist ein im Englischen weit verbreiteter Ausdruck ein brauchbares Ende für
diesen Beitrag zu einem deutsch-amerikanischen Thema: „think globally – act locally.“ Ob
das mit dem Kehren vor der eigenen Tür beginnt, ist zumindest in Betracht zu ziehen.
140
Soll die EU die englische Sprache zu ihrer einzigen
Arbeits- und Verhandlungssprache erklären?
Beiträge der Landessieger im Wettbewerb „Jugend debattiert
international“
Denys Chernyshenko (Ukraine), Jakub Štefela (Tschechien),
Milda Vikut÷ (Litauen) und Inese Zepa (Lettland)
Der Debattier-Wettbewerb zum Thema „Soll die EU die englische Sprache zu ihrer einzigen
Arbeits- und Verhandlungssprache erklären“ fand als Projekt des Goethe-Instituts, der
Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ und der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung
im Rahmen des deutschsprachigen Wettbewerbs „Jugend debattiert international“ statt, der
seit 2005 durchgeführt wird. Teilnehmende Länder waren Polen, die Tschechische Republik,
Estland, Lettland, Litauen und die Ukraine.
Denys Chernyshenko: Man kann nach der Debatte das Fazit ziehen, dass die Einführung der
englischen Sprache ein schwieriger Prozess ist, der von einer Seite Geldanlagen und von der
anderen Seite gute Englischkenntnisse bei den Leuten erfordert.
Ich bin aus den Gründen, dass die EU eine Organisation aus verschiedenen Ländern
ist, das Motto „in Vielfalt einig“ lautet und es schon das Drei-Sprachen-Regime gibt, das
eigentlich allen gefällt, das nicht so schwer ist – und aus dem Grund, dass jede Sprache eine
Kultur symbolisiert und den Bürgern der EU die Kultur eines anderen Landes vorstellt,
dagegen, dass Englisch die einzige Arbeitssprache der EU wird.
Inese Zepa: Wir haben viele verschiedene Dinge besprochen und verstanden, dass es
Probleme auf beiden Seiten gibt, so wie es jetzt ist; und auch wenn man es ändert, werden
neue Probleme auftauchen – für mich aber war doch das Entscheidende, dass Englisch als
141
einzige Arbeitssprache für effektivere Arbeit sorgen würde, und ich glaube, das wichtigste für
uns EU-Bürger ist, dass die Arbeit gut gemacht wird.
Die anderen Probleme kann man später vielleicht reduzieren, und da Englisch auch
jetzt schon die am meisten gesprochene Sprache ist, bleibe ich bei meiner Meinung, dass es
auch als einzige Arbeitssprache eingeführt werden soll.
Milda Vitkut÷: In dieser Debatte haben wir vielseitige Beispiele angehört; strittig blieb für
mich, ob die Arbeit in den EU-Organen erleichtert würde oder nicht. Ich bleibe bei meiner
Meinung, dass sie nicht erleichtert wird und immer mehr Schwierigkeiten entstehen werden,
wenn nicht alle Abgeordneten Englisch können.
Und für mich ist das wichtigste Argument, dass es die Bürgerrechte verletzen würde,
und die Pro-Seite hat keinen Vorschlag gebracht, wie man das ändern könnte, so dass zum
Beispiel alle Bürger ins Parlament kandidieren könnten. Und aus diesen Gründen bin ich
dagegen, dass Englisch zur einzigen Arbeitssprache in der EU wird.
Jakub Štefela: Ich glaube, in der Debatte haben wir uns viel mit den politischen Aspekten
beschäftigt, ob es eigentlich richtig ist, eine einzige Arbeitssprache einzuführen, ob es fair
gegenüber den anderen Ländern ist. Ich glaube aber, für mich ist das wichtigste Argument,
dass es die Arbeit wirklich beschleunigen wird, dass dann die europäischen Organe schneller
und effektiver arbeiten können und dass die vielen Probleme mit den inoffiziellen
Gesprächen, die in den Organen zwischen den Leuten in verschiedenen Sprachen verlaufen,
entfallen. Aus diesen Gründen bin ich heute dafür, dass die europäische Union Englisch zu
ihrer einzigen Arbeitssprache erklärt.
142
Japanischunterricht
in der globalen Gesellschaft von heute
Fumiya Hirataka, Katsumi Kakazu
Die Japan Foundation – in Deutschland vertreten durch das Japanische Kulturinstitut Köln –
als Vorreiter im Bereich des Japanischunterrichts im Ausland bemüht sich zurzeit um die
Einrichtung von “Standards für den Japanischen Sprachunterricht” aus der Perspektive des
Fremdsprachenunterrichts, der ein wesentliches Element in der Förderung gegenseitigen
Verständnisses zwischen verschiedenen Kulturen in der heutigen globalen Gesellschaft
darstellt.
1. Die internationale Verbreitung des Japanischunterrichts
1.1. Zahl der Institutionen, Lehrer und Lernenden
Gegen Ende der 1980er-Jahre, als die ersten Zeichen der Globalisierung erkennbar waren und
Japan begann, verstärkt den Englischunterricht zu fördern, stieg in der restlichen Welt die
Zahl der Personen enorm an, die Japanisch lernten. In Australien zum Beispiel gab es eine
solche Popularitätswelle, dass man von “einem Tsunami der japanischen Sprache” sprach. Ein
Grund für diesen Trend mag der Tatsache geschuldet sein, dass die Möglichkeiten für
interkulturelle Interaktion mit fortschreitender Globalisierung zunahmen und dass
entsprechende Strategien zur Förderung internationaler Sprachen entwickelt wurden, als das
Umfeld und der Raum für multikulturelle Koexistenz wuchs.
Grafik 1 zeigt die beträchtliche Ausbreitung des Japanischunterrichts im Ausland von
1979 bis 2003. Es ist ersichtlich, dass in enormem Tempo Rahmenbedingungen für den
Japanischunterricht geschaffen wurden. Die Zahl der Lernenden, die anfänglich bei 120.000
lag, begann gegen Ende der 1980er-Jahre rapide anzusteigen. Sie stieg bis zur ersten Hälfte
der 1990er auf über eine Million und überschritt die Zwei-Millionen-Marke 1998. Soeben
wird eine weitere Studie von Japan Foundation auf den Weg gebracht, doch wird schon jetzt
gesagt, dass die Zahl der Lernenden bis heute sogar noch weiter gestiegen ist. Angesichts
143
dieses Trends werden in der japanischen Regierung nun Stimmen laut, die die Notwendigkeit
von Maßnahmen betonen, die darauf abzielen sollen, die Zahl der Japanischlernenden auf drei
Millionen bis 2010 und langfristig noch weiter zu erhöhen.
0
500000
1000000
1500000
2000000
2500000
'79 '84 '88 '90 '93 '98 '03
Lernende
Lehrer (x10)
Institutionen (x10)
(1) Anzahl Lernende, Lehrer und Institutionen (The Japan Foundation 2003)
1.2. Überblick nach Regionen
Betrachtet man die Verteilung von Institutionen, Lehrern und Lernenden der japanischen
Sprache nach Regionen (Grafik 2), sieht man, dass etwa 60 % der Lernenden auf Südostasien
konzentriert sind. Etwa 40 % aller bestehenden Institutionen und 50 % der Lehrer finden sich
ebenfalls in dieser Region. Man sieht, dass auch ein großer Prozentsatz Australien und
anderen ozeanischen Ländern zukommt. Tatsächlich befinden sich etwa 90 % aller
Japanischlernenden in Asien und Ozeanien. Es ist zudem bemerkenswert, dass die Zahl der
Lernenden in Nordamerika auch steigt. Eine Tatsache, der in Zukunft mehr Beachtung
geschenkt werden sollte, ist die relativ geringe Rate von Lernenden in Europa, wo doch schon
seit Langem über Japan geforscht und Japanischunterricht erteilt wird.
144
0,20,92,51,6
6,8
0,6
8,7
61
17,6
Ostasien
Südostasien
Südasien
Ozeanien
Nordameria
Südamerika
Westeuropa
Osteuropa
Mittlerer Osten und Afrika
(2) Lernende nach Regionen (The Japan Foundation 2003)
1.3. Anzahl der Personen, die den Japanese Language Proficiency Test ablegen
Die folgenden zwei Grafiken, Nummer 3 und 4, zeigen die Entwicklung der Zahl derjenigen,
die den Japanese Language Proficiency Test ablegen – einer der Indikatoren, mit denen das
japanische Sprachniveau einer Person bestimmt werden kann. Er wurde 1984 eingeführt.
Zuletzt wurde er 2006 in 130 Städten in 48 Ländern auf der ganzen Welt durchgeführt und
wurde von über 430.000 Personen abgelegt. Der jährliche Anstieg, der in Grafik 3 gezeigt
wird, stimmt überein mit dem Aufwärtstrend bei der Anzahl der Institutionen, Lehrer und
Lernenden, der in der Grafik oben gezeigt wurde. Der Nachteil an diesem Test ist, dass er nur
ein recht geringes Spektrum umfasst und nicht mehrmals pro Jahr abgelegt werden kann, wie
es beim TOEFL und TOEIC möglich ist. Es ist inzwischen dringend erforderlich, zum einen
den Test selbst zu verbessern, zum anderen aber auch das System seiner Durchführung besser
auszubauen und umzusetzen, zusammen mit der Schaffung von “Standards für den
Japanischen Sprachunterricht”.
145
050000
100000150000200000250000300000350000400000450000500000
'84 '88 '92 '95 '03 '06
(3) Anzahl der Personen, die den JLPT ablegen (The Japan Foundation 2006)
17
16
3
3
12
2
17
37
China
Japan
Südkorea
Hongkong
Thailand
Indonesien
Vietnam
Indien
Singapur
andere
(4) Anzahl der Personen, die den JLPT ablegten, nach Ländern (The Japan
Foundation 2006)
Wenn man sich die Verteilung der Personen, die den Japanese Language Proficiency Test
ablegten, nach Ländern ansieht (Grafik 4), ist eine Zunahme am stärksten in China und dem
Rest Asiens zu beobachten, was 38 % der Gesamtheit ausmacht. Die Beliebtheit dieses Tests
in China liegt natürlich an der großen Zahl derjenigen, die in Japan studieren möchten, aber
auch daran, dass viele sich durch ihn einen Vorteil bei der Arbeitssuche erhoffen.
1.4. Reaktionen auf diese Entwicklungen
In Anbetracht dieser international auftretenden Trends zum Japanese Language Proficiency
Test sieht sich die Japan Foundation, die zentrale Einrichtung für den Japanischunterricht im
Ausland, zu einer neuen Herangehensweise veranlasst, mit der auf dieses internationale
Interesse reagiert werden soll. Mit anderen Worten, es wird ein Bedarf gesehen,
146
- Projekte, die der Unterstützung dienen, effizient mit Projekten, die der Werbung
dienen, zu kombinieren
- neue Richtlinien und Strategien für Projekte zu entwickeln, die der Werbung dienen
- vorhandenes Wissen, Humanressourcen und Netzwerke einzusetzen und
- den Blick auf frühere Beispiele in Europa und den USA zu richten und
Anknüpfungspunkte für die asiatischen Regionen zu suchen.
Es darf derzeit als sicher gelten, dass der Japanischunterricht international standardisiert
werden muss, und daher wurden erste Schritte hin zu “Standards für den Japanischen
Sprachunterricht” unternommen. Die Etablierung einer eigenen internationalen
Standardisierung begann mit der Untersuchung von bereits bestehenden Beispielen in
führenden Ländern, die schon Erfahrung in der Entwicklung von Richtlinien zum
Sprachunterricht im Kontext mehrsprachiger und multikultureller Gesellschaften haben, etwa
des ALL-Projekts in Australien (Scarino 1988), der SFLL in den USA (ACTFL 1999) und
des Allgemeinen Europäischen Referenzrahmens CEFR, der einer der Triebkräfte der
europäischen Integration ist (Council of Europe 2001).
2. Standards für den Japanischen Sprachunterricht als sprachliche
Richtlinienschaffung
2.1. Standardisierung
Bei der Behandlung des Themas „Entwicklung von ‚Standards für den Japanischen
Sprachunterricht’“ möchten die Autoren zuallererst auf die Begriffe „Standardisierung“,
„Wahl und Gebrauch“ sowie „Anwendung“ eingehen.
Wenn es um Richtlinien im Bereich der Sprache geht, läuft eine “Standardisierung“
auf die Erstellung eines Corpus hinaus, und so muss die Japan Foundation, um “Standards für
den Japanischen Sprachunterricht” entwickeln zu können, sowohl klare Motive für die
Einrichtung derselben formulieren, als auch die Ziele und Prinzipien des Standards benennen.
Das Rahmenwerk der “Standards für den Japanischen Sprachunterricht”, die sie vorschlägt,
hat als Grundprinzip die „Japanische Sprache für gegenseitiges Verstehen”, genauer gesagt
die “Japanische Sprache, die es einem Sender und Empfänger von Botschaften möglich
147
macht, gemeinsam ihre jeweiligen Aufgaben zu bewältigen”. Das Konzept “Japanische
Sprache für gegenseitiges Verstehen” basiert auf “Kooperation” und der “Fähigkeit, Aufgaben
zu bewältigen”.
Ein Problem, das der Europäische Referenzrahmen im Hinblick auf die europäischen
Sprachen nicht in Betracht zieht, das aber für die japanische Sprache berücksichtigt werden
muss, ist der Umgang mit geschriebenen Zeichen. Japanisch ist dafür bekannt, dass es
Lernenden, vor allem denjenigen, die nicht bereits mit chinesischen Zeichen vertraut sind,
Schwierigkeiten beim Erlernen der kanji (chinesische Schriftzeichen) bereitet. Die Frage nach
der Schreibung der Zeichen, die zum Großteil aus kanji bestehen, kann natürlich nicht
umgangen werden, wenn es um Lesen und Schreiben des Japanischen geht. Außerdem geht
mit der Entwicklung eines Standards die schwierige Frage einher, wie am besten mit dem
Thema „Kultur“ umzugehen ist.
2.2. Wahl und Gebrauch
Im Bereich sprachbezogener Richtlinien führen die Begriffe “Wahl und Gebrauch” zum
Entwurf eines Statuskonzeptes. Hier ist es nützlich, den Begriff der “Domäne” anzuwenden,
den Fishman (1972) ausgehend von der “Wahl” einer Sprache (oder Sprachvariation) in
mehrsprachigen Umgebungen beschrieben hat. Die “Standards für den Japanischen
Sprachunterricht” erfordern ebenfalls ein Denken, das die japanische Sprache in einer
mehrsprachigen Gesellschaft positioniert.
Bei der Frage “Wahl und Gebrauch” sind, im Hinblick auf die Nutzer und Dialoge
führenden Beteiligten, die Zielsetzungen der “Standards für Japanischunterricht” wichtig.
Der letzte Punkt, der hinsichtlich der Aspekte “Wahl und Gebrauch” berücksichtigt
werden muss, ist der Wettbewerb mit anderen Standards, einschließlich solcher für den
Japanischunterricht. Die Entscheidung, wie die Koordination mit solchen bereits bestehenden
Standards ablaufen soll, ist ein weiterer unvermeidlicher Punkt, der im Entwicklungsprozess
der neuen “Standards für den Japanischen Sprachunterricht” behandelt werden muss.
2.3. Anwendung
Im Hinblick auf die Frage der “Anwendung” gibt es zwei Haupttypen von Standards. Einer ist
die Methode der SFELL, die einen Standard schafft, welcher Richtlinien für das Unterrichten
von mehreren (Fremd-)Sprachen in einem Land bietet, den USA. Die andere Methode ist die
148
des Europäischen Referenzrahmens, welcher einen Standard mit Richtlinien schafft, die auf
zahlreiche in Europa gesprochene Sprachen anwendbar sind, einer großen Region mit vielen
Ländern.
Wenn die Situation des weltweit stattfindenden Japanischunterrichts betrachtet wird,
sollte man die japanische Sprache auf dem Niveau ähnlicher Sprachen, wie etwa Chinesisch
und Koreanisch, angesiedelt sehen, da sie der gleichen ostasiatischen Kultur entstammen und
alle einer Kultur angehören, die chinesische Zeichen (kanji) verwendet. Es sollte angestrebt
werden, einen gemeinsamen Standard zu entwickeln, der all diese Sprachen einschließt.
Genau genommen sind die “Standards für den Japanischen Sprachunterricht” ein Produkt
einer multilingualen Kultur. Wenn die “Standards für den Japanischen Sprachunterricht” Teil
einer multilingualen Gesellschaft werden sollen und als einer der Mechanismen zur Erhaltung
und Förderung von sprachlicher Vielfalt zu betrachten sind, hält es die Japan Stiftung für
mehr als angebracht, einen Standard zu entwickeln, der derart beschaffen ist, dass er ein
Grundelement bei der Entwicklung einer Ostasiatischen Variante des Europäischen
Referenzrahmens bilden kann, wie sie wohl nach und nach erforderlich werden wird, wenn
man sich darauf einrichtet, eine ostasiatische, multilinguale und multikulturelle Gesellschaft
aufzubauen.
3. Was bedeutet „Japanische Sprache für gegenseitiges Verstehen“?
3.1. Merkmale der Standards
Obwohl es vielleicht einfacher ist, einen Standard für Japanisch zu entwickeln, der allein auf
die Verbreitung abzielt, als die beiden zuvor genannten Methoden anzuwenden, wird es
wahrscheinlich einige Stolpersteine zu überwinden geben, bevor seine Richtlinien verstanden
werden und er als Referenz verwendet werden kann. Dazu kommt, dass dieser, sollte der
schlimmste aller Fälle eintreten, von manchen fälschlicherweise als Rückschritt zu den
Methoden des Japanischunterrichts zu Zeiten vor und während dem Zweiten Weltkrieg
aufgefasst werden könnte. Ungeachtet der angewandten Methode ist es wesentlich, dass die
Japan Foundation deutlich macht, dass sie mit den “Standards für den Japanischen
Sprachunterricht” keine derartige Absicht verfolgt.
149
Von diesen Grundsätzen ausgehend hält die Japan Foundation es für notwendig, dass
die derzeit entstehenden “Standards für den Japanischen Sprachunterricht“ die folgenden
Merkmale haben:
- Sie müssen umfassend sein.
- Sie müssen offen sein.
- Sie müssen flexibel sein.
- Sie müssen kreativ sein.
- Sie müssen ein Prozess und nicht ein Produkt sein.
- Sie müssen der Vernetzung förderlich sein.
- Sie dürfen nicht verpflichtend sein.
3.2. An der multilingualen Gesellschaft teilhaben
Was bedeutet das Ziel und Prinzip der “Standards für den Japanischen Sprachunterricht”,
nämlich für gegenseitiges Verstehen benutzt zu werden, dann für die japanische Sprache? Es
bedeutet:
- Japanisch ist nicht mehr nur eine Sprache für das japanische Volk
- Es bedarf einer japanischen Sprache, die von einer Vielfalt von Menschen
verschiedener Nationalitäten und ethnischer Gruppen gesprochen wird.
Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Japan Foundation in der Tat den Bedarf für Standards
für den Japanischen Sprachunterricht sieht, damit Japan teilhaben kann an der rapide auf uns
zukommenden multilingualen Gesellschaft.
150
Staatsbürgerliche Erziehung
Erfahrungen aus dem National Centre for Languages (CiLT)
Lachlan MacCallum
Vielen Dank für die Möglichkeit, zu Ihnen über die Macht der Sprache, staatsbürgerliche
Erziehung und den „Curriculum for Excellence“, den neuen schottische Lehrplan, sprechen zu
dürfen. Es ist mir ein besonderes Vergnügen, zusammen mit Kollegen aus Europa
vorzutragen. In den letzten paar Jahren habe ich beim Europarat an Projekten zum
Fachbereich Geschichte mitgewirkt, in Seminaren und als Vorsitzender multinationaler
Arbeitsgruppen in ganz Europa. Neben dem Vergnügen, dabei etwas über andere Kulturen,
Nationalgeschichten und Bildungssysteme zu erfahren, ist die zentrale Botschaft, die sich mir
erschlossen hat, dass es viel mehr um Gemeinsamkeiten als um Unterschiede geht – die
gemeinsamen Fragen, mit denen wir als Pädagogen bei der staatsbürgerlichen Erziehung in
ganz Europa konfrontiert sind. Darauf werde ich später noch zu sprechen kommen.
Warum ich qualifiziert bin, zu Ihnen zu sprechen? Nun, ich war recht stark in Teile des
„Curriculum for Excellence“ (CfE) involviert und bin auf nationaler Ebene für die
Staatsbürgerliche Erziehung („Education for Citizenship“; EfC) im schottischen Schulbezirk
zuständig. Und in diesem Zusammenhang habe ich bei zahlreichen nationalen
Fachkonferenzen über das Thema Staatsbürgerliche Erziehung und ihre Bedeutung für den
beruflichen Alltag der Teilnehmer gesprochen. Dabei haben mir bisher die Teilnehmer der
nationalen Fachtagung des Bereichs Kunst und Design am meisten Respekt eingeflößt, da die
Kunstlehrerinnen und -lehrer dazu neigten, den Stil und die Farbkombination der Kleidung
des jeweiligen Referenten kritisch zu würdigen. Die Schauspiellehrer neigten eher dazu, die
Körpersprache zu analysieren. Ich bin nicht sicher, was Sie tun werden, wenn Ihre
Aufmerksamkeit abdriftet.
Wenn mir in Momenten akuter Langeweile bei Schulinspektorenkonferenzen gar
nichts mehr hilft, gehe ich die unregelmäßigen Verben durch. Denn ich bin ein aktiver
Sprachschüler – vielleicht die letzte der Qualifikationen, die ich für mein Hiersein heute
anbringen kann. Ich habe ein aufrichtiges Interesse an Sprachen – als Schüler. In den
151
vergangenen 10 Jahren hatte ich große Freude daran, in einer bestimmten europäischen
Minderheitensprache ein gutes Niveau der Lesefähigkeit, und was meine Freundin Isobel
McGregor “auditives Verstehen im Kontext” nennt, zu erreichen; und nun erstreckt sich
meine Lesetätigkeit auch auf verwandten Sprachen und ich vergleiche die Unterschiede. Ich
bin da wirklich hartnäckig!
Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, wie das Lernen einer neuen Sprache über das
rein Linguistische und Funktionale hinaus auf eine Ebene des sozialen und kulturellen
Verstehens und in meinem Fall zur professionellen Kenntnis von Bildungssystemen führt – in
meinen Augen ist das das Weltbürgertum schlechthin.
(Ich werde Ihnen nicht verraten, welche Sprache es in meinem Fall ist, aber ein paar
Hinweise, während ich spreche, kann ich einstreuen – kanske ni kan gissa, kanske inte)
Die EfC und der CfE
Nun komme ich dazu, das Sprachenlernen im Zusammenhang mit der Staatsbürgerlichen
Erziehung und dem „Curriculum for Excellence“ (CfE) zu betrachten.
Die beiden lassen sich mühelos miteinander verbinden, da es in meinen Augen keinen
Unterschied zwischen ihnen gibt. Wenn wir die schottische Definition für die „Education for
Citizenship“ (EfC), also die Staatsbürgerliche Erziehung, nehmen, als die Vorbereitung
unserer jungen Menschen für politische, soziale, wirtschaftliche, kulturelle und erzieherische
Teilhabe an der Gesellschaft, dann ist das im Grunde nicht vom „Curriculum for Excellence“
(CfE) zu unterscheiden. Letzterer, mit seiner Betonung der Aspekte Verantwortliche Bürger,
Erfolgreiche Lernende, Selbstbewusste Individuen und Effektive Beitragende, schafft Klarheit
und Zielgerichtetheit für den EfC durch die Betonung klarer Ergebnisse für Schüler. Ich
werde daher die beiden Begriffe EfC und CfE ganz austauschbar verwenden, weil ich der
Meinung bin, dass sie gemeinsam der grundlegende Zweck von Bildung in einer Demokratie
sind.
Ich werde im Wesentlichen über Sprachen und die Frage des Staatsbürgerlichen
sprechen und es Ihnen selbst überlassen, das, was ich sage, auf die speziellen
Anwendungsbereiche des CfE zu beziehen. Vorweg jedoch zwei Warnmeldungen:
• Es ist als HMI (Her Majesty's Inspector) nicht meine Aufgabe, den Ansatz der
Schottischen Erziehungsbehörde SEED zur Sprachenpolitik zu verteidigen oder zu
152
kritisieren; und auch nicht deren Herangehensweise an Fragen der Sprachenvielfalt.
Ich habe volles Vertrauen in die Organisationen CILT („Scottish Center for
Information on Language Teaching and Research“) und SALT (“Scottish Association
for Language Teaching“), dass sie in der Lage sind, mit vollem Einsatz für Ressourcen
und Unterstützung die Stellung zu halten.
• Auch ist das, was ich über die Rolle von Sprachen für das Thema Staatsbürgertum
sagen werde, nicht speziell nur für Sie allein anwendbar. Ich habe mich schon stark
gemacht dafür, dass das Fach Kunst und Design und das Thema Staatsbürgertum
zusammengehören, ausgehend von ästhetischen Werturteilen, visueller Analyse,
persönlichem Ausdruck und der Rolle der Kunst als Teil des freien
Meinungsausdrucks in einer Demokratie. Ich habe mich stark gemacht dafür, dass das
Fach Geschichte und das Thema Staatsbürgertum zusammengehören, ausgehend von
den Aspekten nationale Identität und kritisches Denken. Und ich habe mich stark
gemacht dafür, dass die Gesellschaftswissenschaften und das Thema Staatsbürgertum
zusammengehören, ausgehend vom Aspekt der politischen Kompetenz.
Ich werde einfach den schottischen Ansatz zur EfC aufzeigen und ein paar Gedanken dazu
äußern, wo im weitesten Sinne die Möglichkeiten für Sprachen in diesem Spektrum liegen.
Was ich herausstellen möchte, ist die Besonderheit des schottischen Ansatzes zur EfC – die
besondere kulturelle Dimension der EfC in Schottland. Auf diese Frage möchte ich mich
konzentrieren.
Was ist EfC?
Wir müssen ein wenig über das Konzept der Staatsbürgerlichen Erziehung sprechen. Wie
sieht es aus? Und welchen Ansatz haben wir in Schottland übernommen?
Nun, Staatsbürgertum ist per se ein komplexer und dynamischer Begriff – der sich
heute in mancher Hinsicht gegenüber der Zeit vor einigen Jahren, als ich mein Amt als
Landesbeauftragter angetreten habe, verändert hat. Also muss auch die staatsbürgerliche
Erziehung dynamisch sein und auf Anforderungen eingehen können – das versteht sich von
selbst.
153
• Staatsbürgerliche Erziehung ist ein pan-europäisches Phänomen vom Baltikum bis
zum Balkan. In Osteuropa entstehen neue Staaten, mit der Notwendigkeit, nationale
Identitäten zu bilden und im globalen Wettbewerb zu konkurrieren. Die
Herausforderungen für Schüler und Bildungspolitiker in den schon lange bestehenden
Demokratien Westeuropas nehmen zu.
• Sie ist eine Antwort auf die Agenda zur sozialen Eingliederung, und die Rolle der
Schulen dabei ist es, den jungen Menschen ein Bewusstsein für soziale
Angelegenheiten zu vermitteln – die Notwendigkeit, einen gewissen Sinn für soziale
Verantwortung und Fairness zu entwickeln – und die Suche nach größerer sozialer
Gerechtigkeit.
• Sie ist eine Antwort auf die sich wandelnden politischen Gegebenheiten in Schottland
und anderswo. Sie wirft grundlegende Fragen auf, die politische Kompetenz
betreffend sowie die Rolle von Schulen bei der Gewährleistung dessen, dass junge
Menschen sowohl die demokratischen Prozesse verstehen, die ihr Leben beeinflussen,
als auch in der Lage sind, an diesen zu partizipieren. Politiker in ganz Europa zeigen
derzeit Interesse an der EfC und an den Ansichten der jungen Menschen zum
politischen Geschehen.
• Die Staatsbürgerliche Erziehung ist eine Antwort auf einige ganz grundlegende
Angelegenheiten der nationalen Identität und Kultur und, lokal betrachtet, die
Beziehung Schottlands zum Rest Großbritanniens und zu Europa.
• Sie ist eine Antwort auf die Zwänge, denen junge Menschen entgegensehen, wenn sie
in einer zunehmend globalen Wirtschaft ins Arbeitsleben eintreten.
Es gibt ein breites Spektrum von Ansätzen zur Staatsbürgerlichen Erziehung in anderen
europäischen Ländern, die gleiche Themen aufgreifen: soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche
Zwänge, Globalisierung, technischer Fortschritt und die Entfremdung von Gruppen junger
Menschen von der Gesellschaft, der sie angehören, und den Wertsystemen, die von den
Schulen repräsentiert werden.
Kerneigenschaften des in Schottland gewählten Ansatzes
Das Spektrum der Ansätze zur Staatsbürgerlichen Erziehung kann überzeichnet so dargestellt
werden, dass am einen Ende der Skala der Ansatz “Staatsbürgerkunde und Fahnenappell”, am
154
anderen Ende das Modell “volle Mitverwaltung und Leitung von Schule und Gemeinde”
steht. Wie immer schon war Schottland recht geschickt und hat einen interessanten und ganz
eigentümlichen Mittelweg gewählt:
• Wir verfolgen in Schottland einen weitgefassten Ansatz zur EfC, der den Lehrplan,
den Unterricht, das Schulklima und die Beziehung der Schule zur Gemeinde betrifft.
Er ist weit entfernt von der Staatsbürgerkunde, verfährt aber nach einem sehr
sorgfältig und strategisch gestalteten Lehrplan, ein Bereich, in dem sich, wie unser
kürzlich vom HMIE erstelltes Porträt der EfC zeigt, viel bewegt hat. Das klingt liberal,
ist aber tatsächlich ziemlich schwer umzusetzen.
• Ich hoffe, dass die ACE-Initiative uns davon überzeugen wird, dass diese Frage jeden
angeht und nicht nur in der Verantwortung eines kleinen Kaders liegt.
• Vollwertige Staatsbürgerschaft bedeutet, die Möglichkeit und die Motivation zu
haben, politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich, pädagogisch und kulturell an den
Prozessen der Gesellschaft teilzunehmen. Die Fähigkeit, effektiv teilzuhaben,
hängt von dem Wissen, den Kenntnissen und der Erfahrung ab, und davon, ob
Entscheidungen auf gut informierter Basis möglich sind. Es gehört zum EfC-
Prozess an der Schule, dazu grundlegendes Wissen und Kenntnisse durch den
Lehrplan zu vermitteln.
• Der schottische Ansatz sieht junge Menschen als „Bürger heute – nicht Bürger von
morgen“. Sie haben Rechte und Pflichten, die wesentlich für den Bildungsprozess
sind. Die Atmosphäre und das Ethos der Schule sind entscheidende Faktoren, wenn es
darum geht, jungen Menschen das Gefühl zu geben, dass sie ins Leben an der Schule
eingebunden sind und eingebunden sein wollen. Es geht nicht nur darum, die richtigen
Unterrichtsstoffe zu lehren und sicherzustellen, dass jeder die Möglichkeit hat, bei
Berufspraktika Erfahrungen zu sammeln oder gemeinnützige Arbeit zu leisten. Die
Schule ist selbst eine Gemeinschaft, in der die Eigenschaften aktiver
Staatsbürgerschaft entwickelt werden können.
• Der schottische Ansatz betont außerdem einige Punkte ganz besonders:
1) kritisches Denkvermögen: analysieren und eigene Schlussfolgerungen auf
Basis verfügbarer Informationen ziehen
2) die Entwicklung eigener Wertvorstellungen und das Bewusstsein für die
Wertvorstellungen anderer
155
3) Umweltbewusstsein und Wertschätzung kultureller Vielfalt als Teil der
Verantwortung und Pflichten, die das Weltbürgertum mit sich bringt
4) erweiterte Wertschätzung für die Bedeutung von Kultur und kultureller
Identität.
Im Grunde steht das, was die Staatsbürgerliche Erziehung EfC leistet, in keinerlei Differenz
zu dem, was das vorrangig Ziel des „Curriculum for Excellence“ ist:
• Verantwortungsvolle Bürger – die Entwicklung von Werten
• Erfolgreiche Lernende – die unabhängig und kritisch denken können
• Selbstbewusste Individuen – die in einer Vielzahl von Kontexten mit anderen
kommunizieren können
• Effektive Beitragende – die an der Gemeinschaft teilhaben wollen
Allerdings leben wir in einer Welt des, wie Politiker gerne sagen, „intelligenten Dafür-
Einstehens“. Bei meinen Tätigkeiten für zahlreiche Bildungsbehörden treffe ich auf viele
höhere Schulangestellte aus den Organisationsteams, die ihre Lehrpläne anhand praktischer
Überlegungen planen – im Zentrum stehen Budgetfragen und die Verfügbarkeit von Personal
statt die philosophische Auseinandersetzung mit der Macht der Sprache. Hier gibt es, wie
Ihnen sicher einleuchtet, eine starke Konkurrenz.
Wie kann dann aber die Sache der Sprachen und des staatsbürgerlichen Bewusstseins
vorangebracht werden? Nun, die Argumente, die den Spracherwerb als einen Teil des
Schulabschlusses befürworten, werden Ihnen wohlbekannt sein: Wenn man anerkennt, dass
staatsbürgerliche Erziehung auf der globalen Ebene ein Aspekt des Weltbürgertums ist, dann
gewinnt der Spracherwerb wirklich an Bedeutung. Und wenn man auch anerkennt, dass
unsere Gesellschaft in Schottland dynamisch und äußerst reich an kulturellen und
sprachlichen Ressourcen ist, dann gewinnt das Argument noch an Stärke.
Spracherziehung, sei es im Bereich der Fremdsprachen, der Sprachgemeinschaft oder
der Muttersprache, bietet folgende Vorteile, die direkt mit allem in Verbindung stehen, was
ich über staatsbürgerliches Bewusstsein und die vier Bereiche des CfE gesagt habe:
• die Kompetenz, selbstsicher in einer Vielzahl von Formen und Kontexten zu
kommunizieren
156
• die Kompetenz, Texte auf ihre Bedeutung hin zu analysieren – im wörtlichen und
ästhetischen Sinn
• die Erweiterung des Horizonts und die Selbsterkenntnis, die Sprachkompetenz –
fremdsprachlich oder muttersprachlich – mit sich bringt; sowie ein Verständnis der
Gemeinschaftlichkeit und Verbindungen zwischen Völkern, auf historischer und
gesellschaftlicher Ebene, die das Wesen von Sprache untermauern; ebenso wie ein
Gefühl für bedeutsame Unterschiede, etwa die wunderbare Bandbreite ganz ähnlicher
Worte im schottischen und im Skåne-Dialekt für verschiedene Arten von Regen und
Nebel.
• Wertschätzung und Respekt für die gesellschaftlichen und kulturellen Werte anderer
entwickeln zu können – ein wesentlicher Aspekt der Staatsbürgerlichen Erziehung –,
was entscheidend für die zunehmend vielfältigeren Gesellschaften Europas und
anerkanntes Oberziel in den meisten Erziehungsrichtlinien ist. So ist etwa die Kenntnis
der Sprache und der Kultur der Samen gesetzlich verankerter Bestandteil der
nationalen Lehrpläne Norwegens, Schwedens und Finnlands.
• das Gefühl persönlichen Erfolgs und wachsenden Selbstbewusstseins – die Botschaft
eines unbekannten Textes oder einer Nachricht verstehen und übersetzen zu können.
Meine Frau denkt, ich sei verrückt, wenn ich ihr sage, dass das Lesen ausländischer
Romane wie Sudoku ist – Entspannung durch echte intellektuelle Herausforderung.
• das Gefühl von Unabhängigkeit, das das Überleben in einer fremden Umgebung mit
sich bringt. Vergessen Sie das Märchen, das jedermann Englisch spricht. Versuchen
Sie einmal, in Kiew U-Bahn zu fahren oder in einer Seitenstraße in Athen
Fußballtickets zu kaufen, ohne die Vorzüge einer klassischen Erziehung genossen zu
haben oder zumindest Grundkenntnisse der kyrillischen Schrift. Sogar die Vororte von
Stockholm haben ihre Tücken. Ich bin überall auf der Welt gut durchgekommen, bis
auf ein einziges Mal. Ferenczvaros Budapest spielte in einem Teil der Stadt, in den
Touristen nicht gehen, und da war ich wirklich aufgeschmissen.
• die Möglichkeiten, die sich für den Bereich Informationstechnologie ergeben
• die praktisch anwendbare und nützliche Seite von Sprache für die Herstellung von
Kontakten und die Abwicklung von Geschäften; samt den persönlichen und
gesellschaftlichen Auswirkungen, wenn man Geschäftsverhandlungen, weil man sich
darum bemüht hat, erfolgreich gestalten kann
• die Übertragbarkeit von Kenntnissen und Wissen – was es erlaubt, mit Zeit und
Unterstützung nahezu jede Sprache zu lernen.
157
Letzteres ist für mich ist der eigentliche Vorteil, der alles Vorangegangene unterstreicht.
Der Zusammenhang von der Macht der Sprache und dem staatsbürgerlichen Denken
ist also ein schlagkräftiger, und genau darum geht es. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei,
dies in ihren jeweiligen Schulen oder staatlichen und nationalen Zusammenhängen
voranzubringen.
Allerdings besteht der Trick, wie Sie selbst wissen, darin, die Kinder und jungen Menschen
von der Bedeutung und Relevanz des Sprachenlernens für ihr eigenes Leben zu überzeugen
und ihr Interesse, ihr Selbstbewusstsein, ihre Freude und ihren Leistungswillen anzuregen.
Dem Spaß am Sprachenlernen kommt also eine enorme Bedeutung zu. Kürzlich hatte ich das
Vergnügen, jemanden dabei zu beobachten, wie er eine Gruppe 11- bis 12-jähriger Schüler in
einer kleinen Schule auf dem Land intensiv an die Wiederaufnahme des
Französischunterrichts heranführte, nachdem dieser durch Personalengpässe abgebrochen
war. Es war alles sehr lebendig und lustig, aber was mich wirklich fasziniert hat, war die Art,
wie unser Kollege ohne Vorwarnung von perfektem, lebhaftem Französisch, was der
augenscheinliche Grund der Übung war, in ebenso fließendes Spanisch und Deutsch
wechselte, um einzelne Punkte zu verdeutlichen. Die Kinder waren entzückt. Was er im
Grunde bezweckte, war, ihnen den Rhythmus und Klang verschiedener Sprachen
nahezubringen – teilweise natürlich, um sie zu ködern und ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen,
aber auch, um sie von der Universalität der Sprache, wie sie beschreibt und Bilder malt, zu
überzeugen. Wie auch immer, es war gewaltig und sie hatten große Freude daran – ihr
Interesse war geweckt.
Ich werde noch weiter abschweifen mit einem weiteren Hinweis auf meine eigenen
Sprachinteressen. Ich fahre viel Auto. Ich höre mir dabei Hörbücher in meiner
Lieblingsfremdsprache an – um mich wach zu halten. Und ich schäme mich nicht zu sagen,
dass ich zu Beginn meines Lernens die Kinderkassette „Pu der Bär“ über Winnie Puuh hörte –
der in dieser Sprache „Nalle Puh“ heißt (inzwischen bin ich zu Detektivgeschichten von
Henning Mankell und Åke Edwardsson übergegangen). Zu meiner großen Überraschung
gluckste meine damals siebenjährige Tochter vergnügt vor sich hin, als Nalle Puh und seine
Freunde die verschiedensten Abenteuer mit Heffalumps erlebten – sie verstand die Worte
nicht, aber sie bekam die Bedeutung und das Vergnügen mit. Die Macht des Klangs
verzaubert. Ich persönlich liebe den Klang des Estnischen, obwohl es unwahrscheinlich ist,
158
dass ich es jemals lernen werde, wie auch den des Italienischen und Griechischen – und den
meiner Lieblingssprache.
Schlussbetrachtung
Der einzige von meinen pädagogischen Ratschlägen, den meine drei Töchter beherzigt haben,
ist, dass es von Vorteil ist, entweder eine Sprache so gut zu lernen, dass man sie auf einem
vernünftigen Niveau beherrscht, oder aber, sollte dies scheitern, zwei bis zu einem
Basiswissen, das einem erlaubt, sich verständlich zu machen. In den verschiedenen Phasen
ihrer Ausbildung und ihre Karriere begreifen sie langsam, wie wichtig Erfahrung im
Sprachenlernen für einen Bürger innerhalb der globalen Gesellschaft ist.
Meine älteste Tochter machte eine einjährige Auslandserfahrung an einer
amerikanischen Highschool. In Utah machte sie zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem
Einfluss der Latinokultur, radebrechte auf Spanisch und nahm dann ein Jahr lang
Spanischunterricht an der Universität. Meine zweitälteste Tochter ging für ein Jahr nach
Stockholm an die Universität und nahm das unglaubliche Sprachvermögen ihrer polnischen,
holländischen, schwedischen, deutschen, spanischen und italienischen Freunde wahr, und
damit auch die sich daraus ergebenden Berufschancen in der Wirtschaft und im
internationalen Rechtswesen. Sie war schwer beeindruckt. (Ich muss dazu sagen, dass eine
gemeinsame Fußballleidenschaft sie ebenfalls stark motivierte.) Ich glaube, sie wissen heute
beide, dass Papa auch einmal Recht hatte – die kulturelle und funktionale Macht der Sprache
ist voll krass, um es in ihren Worten auszudrücken.
Tack for er uppmärksamhet. Det var jätte bra att jag kunde presentera om kraften av språk.
Jag talar svenska!
159
Mehrsprachig – the treasure I’ve found
Gewinnerrede des Publikumswettbewerbs „Der Preis: Die Macht
der Sprache“
Ana Maria Baracaldo
2. Platz: Mehrsprachigkeit
At the cross-roads of life, in between the business of the everyday work-life and the tears and
violence of war, we, as citizens of the world, should find the necessary peace and tranquility
in the knowledge of the world’s languages.
Sprachen? Si, idiomas son las herramientas que deberíamos usar para crear las amistades
entre países.
Durch Sprachen habe ich gelernt, neue Kulturen kennenzulernen und Menschen zu begegnen.
This past year, I earned a new treasure. He hecho mis maletas y decidí a aprender alemán. En
realidad.
Ich beschloss, typische deutsche, amerikanische und kolumbianische Vorurteile zu
widerlegen.
Para que la gente las realidades entendieran.
Next month, I have to return home. But I’ll then leave in Germany:
Meine Gastfamilie, meine Freunde,
and the life I’ve lived here.
I know the treasure I’ve found:
el idioma,
und die Erinnerungen
will always be with me.
This is my peace and tranquility.
Der Wettbewerb wurde im Rahmen
des Festivals „Die Macht der
Sprache“ veranstaltet, das vom 14.
bis 16. Juni 2007 in Berlin stattfand
und den Abschluss des zweijährigen
internationalen Projekts bildete.
161
Autorenindex
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Ludwig M. Eichinger ist Direktor des Instituts für Deutsche
Sprache und seit 2002 Ordinarius für Germanistische Linguistik an der Universität
Mannheim. Er war als Gastprofessor in China, den USA, Burkina Faso, Mali und Österreich
tätig und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Seit
2003 ist er Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Literatur
Mainz.
Prof. Dr. Rainer Enrique Hamel ist seit 1988 Ordentlicher Professor für Linguistik am
Anthropologischen Seminar der Universidad Autónoma Metropolitana, Mexiko-Stadt, sowie
Mitglied der Mexikanischen Akademie der Wissenschaften. Er hatte Gastprofessuren an der
Universität von Frankfurt a. M., an der Universität Mannheim und dem Institut für Deutsche
Sprache Mannheim, an der Stanford University, der Universität Santa Barbara sowie der
Universidade Federal do Pará in Belem, Brasilien, inne. Hinzu kamen Aufenthalte an
Universitäten in Kanada, Bolivien, Frankreich und Spanien.
Prof. Dr. Ulrich Ammon ist seit 1980 Professor für Germanistische Linguistik mit dem
Schwerpunkt Soziolinguistik an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg-Essen und war
Gastprofessor an zahlreichen ausländischen Universitäten. Seine Forschungsschwerpunkte
sind neben der Soziolinguistik auch Sprachsoziologie, Internationalsprachenforschung,
Sprachenpolitik, Dialektologie, neuere Geschichte der deutschen Sprache und Sprachdidaktik.
Seit 2003 ist er Präsident der Gesellschaft für Angewandte Linguistik. Außerdem ist er
Mitglied des Internationalen Rats des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim und
Mitglied des Beirats „Sprache“ des Goethe-Instituts.
Prof. Dr. Ralph Mocikat ist Professor für Immunologie an der Ludwig-Maximilians-
Universität München. Er leitet außerdem eine Arbeitsgruppe am Institut für Molekulare
162
Immunologie München des Helmholtz Zentrums München. Seine Forschungsschwerpunkte
liegen im Bereich der Grundlagen-Immunologie, Molekularbiologie und experimentellen
Onkologie. Als Naturwissenschaftler setzt er sich für die deutsche Sprache in der
Wissenschaft ein. Als Vorsitzender des Vereins „Arbeitskreis Deutsch als
Wissenschaftssprache“ ist er Mitverfasser der „Sieben Thesen zur deutschen Sprache in der
Wissenschaft“, die etwa 150 Personen unterzeichnet haben
(www.7thesenwissenschaftssprache.de).
Prof. Dr. Peter Eisenberg hat seit 1993 den Lehrstuhl für Deutsche Sprache der Gegenwart
an der Universität Potsdam inne. Von 1990 bis 1992 war er Vorsitzender der Deutschen
Gesellschaft für Sprachwissenschaft. Seit 1998 ist er Mitglied der Deutschen Akademie für
Sprache und Dichtung in Darmstadt. Prof. Eisenberg ist Mitglied verschiedener Beiräte und
Kommissionen, unter anderem beim DAAD und dem IDS Mannheim. Seine
Hauptarbeitsgebiete in der Sprachwissenschaft waren zunächst Computerlinguistik, künstliche
Intelligenz und Grammatiktheorie, danach vor allem die Grammatik des Deutschen mit den
Schwerpunkten Syntax und Semantik.
Jochen Scholz war zum Zeitpunkt der Konferenz Leiter der Repräsentanz der Deutschen
Management Akademie Niedersachsen in Moskau. Von 2004 bis 2008 war er gleichzeitig
Leiter der Repräsentanz des Landes Niedersachsen in Russland. Seit Anfang 2008 ist Jochen
Schulz Geschäftsführer der OOO „TÜV SÜD Russland“.
Dr. Gertrud Reershemius ist Professorin für Germanistische Linguistik an der Aston
University in Birmingham, England. Ihre Forschungsgebiete sind Sprachkontaktforschung
und Pragmatik mit den Schwerpunkten Jiddisch und Niederdeutsch.
Babak Saed ist im Iran geboren und bekannt für seine Installationen im öffentlichen Raum.
Er wurde im Jahr 2000 mit dem Kunstpreis der Stadt Bonn ausgezeichnet, ist Preisträger des
dna award 2002 der DigitalART Gallery Frankfurt/M. und erhielt im Jahr 2005 für eine
163
Innenraumplastik den 1. Preis beim Wettbewerb „Kunst am Bau“ der Fachhochschule Bonn-
Rhein-Sieg, St. Augustin.
Marica Bodrožić ist deutsche Schriftstellerin mit kroatischer Abstammung. Sie studierte in
Frankfurt/M. Kulturanthropologie, Psychoanalyse und Slawistik. 2002 erhielt sie den
Heimito-von-Doderer-Preis und 2007 den Förderpreis Literatur zum Kunstpreis Berlin der
Akademie der Künste. Ihre persönliche „Liebesgeschichte“ zur deutschen Sprache schilderte
Sie in ihrem Buch „Sterne erben, Sterne färben. Meine Ankunft in Wörtern“, das 2007
erschienen ist.
Prof. Dr. Joel Walters ist Extraordinarius für Linguistik am English Department der
Bar-Ilan-Universität in Israel. Sein derzeitiges Forschungsgebiet ist Zweisprachigkeit
und soziale Identität. Für die Daten in dem vorliegenden Beitrag „Sprache und
Identität im mehrsprachigen Israel“ und hilfreiche Kommentare dankt der Autor Dafna
Yitzhaki, Zhanna Feldman und Carmit Altman.
Ján Figel ist seit 2004 EU-Kommissar für allgemeine und berufliche Bildung und Kultur.
Zum Zeitpunkt der Konferenz fiel auch das Ressort „Mehrsprachigkeit“ in seinen
Zuständigkeitsbereich. Von 1992 bis 1998 war er Abgeordneter des Nationalrats der
Slowakischen Republik, danach bis 2002 Staatssekretär im slowakischen Außenministerium
und für die Beitrittsverhandlungen mit der EU zuständig. Von 1995 bis 2000 war er Dozent
für Internationale Beziehungen an der Universität Trnava. Der hier vorliegende Beitrag war
Teil der CICEB Konferenz „Mehrsprachigkeit in Europa – für eine bessere Praxis“ am
21. September 2006 im Ausschuss der Regionen, mitveranstaltet durch das Goethe-Institut
Brüssel.
Dr. Hartmut Retzlaff arbeitet am Goethe-Institut Rom im Bereich der Bildungskooperation
Deutsch. Er ist Chefredakteur von „per|voi – Eine Zeitschrift für Deutschlehrer/Innen in
Italien“.
164
Uwe Rau ist stellvertretender Institutsleiter des Goethe-Instituts London und Leiter der
Spracharbeit. Er war zuvor stellvertretender Institutsleiter des Goethe-Instituts New York und
Leiter der Spracharbeit. Der hier vorliegende Beitrag stammt aus dem Symposium
„Sprachenpolitik in den USA fünf Jahre nach dem 11. September 2001“, das am
17. November 2006 in Nashville stattfand und Teil des internationalen Projektes „Die Macht
der Sprache“ des Goethe-Instituts war.
Prof. Dr. Heidi Byrnes arbeitet seit 1977 am German Department der Georgetown
University in Washington, DC und ist Vizepräsidentin der American Association for Applied
Linguistics. Ihr Schwerpunkt im Bereich Lehre und Forschung liegt auf dem
Zweitsprachenerwerb bei Erwachsenen. In den letzten Jahren hat sie sich verstärkt auch mit
sprachpolitischen Fragestellungen befasst. Der hier vorliegende Beitrag ist die
Zusammenfassung eines Vortrags, der im Rahmen des Festivals „Die Macht der Sprache“ am
15. Juni 2007 in Berlin gehalten wurde.
Prof. Dr. Fumiya Hirataka ist Germanist, Sprachwissenschaftler und Spezialist für die
japanische Sprache. Er war eine Zeit lang an der Humboldt Universität Berlin tätig. Zurzeit
arbeitet er an der Keio Universität Tokio im Fachbereich Policy Management. Der hier
abgedruckte Vortrag wurde beim Festival „Die Macht der Sprache“ am 15. Juni 2007 in
Berlin gehalten.
Dr. Katsumi Kakazu ist als Managing Director für die Abteilung Japanische Sprache der
Japan Foundation in Tokio verantwortlich und im Internationalen Zentrum der Japanischen
Sprache von Urawa tätig. Er war auch als Leiter des Zentrums der Japanischen Sprache in
Sydney beschäftigt. Der hier abgedruckte Vortrag wurde beim Festival „Die Macht der
Sprache“ am 15. Juni 2007 in Berlin gehalten.
Lachlan MacCallum ist HM Inspector of Schools in Schottland und Mitglied des Projekts
„Learning and teaching about the history of Europe in the 20th century“.
165
Podien und Wettbewerbe:
„Muttersprache Vaterland“
Krzysztof CzyŜewski wurde 1958 geboren und ist Essayist, Lyriker, Übersetzer und
Redakteur. Er leitet das Institut Pogranicze im kleinen Ort Sejny an der litauisch-
weißrussischen Grenze und führt den Verlag Pogranicze. CzyŜewski knüpft seit Jahren
Verbindungen zwischen Polen und anderen Ländern Ostmitteleuropas.
Volha Hapeyeva wurde 1982 in Minsk geboren. Sie schreibt Prosa und Lyrik und übersetzt
aus dem Polnischen, Englischen und Deutschen.
Marius Ivaškevičius wurde 1973 geboren, studierte litauische Philologie, schreibt Prosa,
Dramen und Essays.
Andrej Kurkow wurde 1961 im heutigen St. Petersburg geboren. Er studierte Fremdsprachen
und ist Journalist, Drehbuchautor und Autor von Romanen wie etwa „Picknick auf dem Eis“,
„Pinguine frieren nicht“, „Die letzte Liebe des Präsidenten“. Kurkow lebt in Kiew, er schreibt
auf Russisch. €(
Dr. Martin Pollack (Moderation) stammt aus Oberösterreich, studierte Slawistik sowie
osteuropäische Geschichte u. a. in Wien und Warschau. Parallel zum Studium wurde er als
Journalist und Übersetzer tätig und begann 1987 seine Arbeit als Redakteur für das
Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Seit 1998 ist er als freier Autor tätig und wurde 2003 mit
dem Österreichischen Staatspreis für literarische Übersetzungen geehrt. Von der Stadt
Breslau/Wrocław erhielt er den Angelus-Literaturpreis (2007).
„Multilinguale Medien“
Suliman Aktham ist Leiter Berliner Büros von Al-Dschasira.
Astrid Frohloff ist Fernsehjournalistin und Moderatorin. Seit Dezember 2003 ist sie im
Vorstand der Organisation „Reporter ohne Grenzen“.
Sybille Golte ist Leiterin der Asienprogramme und des Indonesischen Programms des
Deutsche Welle Radios.
Prof. Dr. Oliver Hahn ist Medienwissenschaftler und Professor für Journalistik an der
privaten Hochschule „Business and Information Technology School“ in Iserlohn
166
Peter Koppen (Moderation) ist stellvertretender Leiter für internationale Koproduktionen,
Sprachkurse und Bildungsprogramme des Deutsche Welle Radios.
„Sprachenpolitik“
Dr. Emil Brix ist Abteilungsleiter im Bundesministerium für europäische und internationale
Angelegenheiten, Österreich.
Georg Boomgaarden war zum Zeitpunkt des Podiums Staatssekretär im Auswärtigen Amt.
Seit Sommer 2008 ist er Botschafter in London.
Prof. Dr. Gerhardt Leitner ist Professor am Institut für englische Philologie der Freien
Universität Berlin.
Dr. Georg Schütte ist Generalsekretär der Alexander von Humboldt Stiftung.
Alfred Eichhorn (Moderation) ist Redakteur und Moderator der Senderreihe „Forum – Die
Debatte im Inforadio“ beim Inforadio Berlin-Brandenburg.
(Das Podium wurde im Inforadio des RBB ausgestrahlt)
„Sprachenschutz“
Jean-François Baldi ist stellvertretender Leiter der Délégation générale für die französische
Sprache und die Sprachen Frankreichs.
Jean-Claude Crespy ist Leiter des Institut Français in Berlin.
Prof. Dr. Jutta Limbach war Gastgeberin des Podiums und zum Zeitpunkt der Debatte
Präsidentin des Goethe-Instituts.
Maik Meuser (Moderation) ist Moderator der Deutschen Welle. Seit Juli 2007 moderiert er
das Journal auf DW-TV.
Prof. Dr. Jürgen Trabant ist Leiter des Romanischen Instituts der Freien Universität Berlin
Wettbewerb „Jugend debattiert“
Denys Chernyshenko, Ukraine
Jakub Štefela, Tschechische Republik
Milda Vikut÷, Litauen
Inese Zepa, Lettland
167
Rednerwettbewerb „Die Macht der Sprache“
Ana Maria Baracaldo hat kolumbianische Wurzeln, besucht die Schule in den USA und war
zu einem Schüleraustausch in Deutschland.
168
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