66. Internationaler Sommerkurs der CAU Kiel | Kiel, 31. Juli 2013
Die Wirtschaft Deutschlands und die Krise der Europäischen Währungsunion
Dr. Stefan Kooths Prognose-Zentrum, Büro Berlin
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
2
Schumpeter: „IfW, das schönste Institut der Welt!“
Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel)
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
3
Überblick
Strukturmerkmale der deutschen Wirtschaft
Wirtschaftspolitik: Ordnungspolitische Tradition und
wirtschaftspolitische Beratung
Ökonomische Entwicklung und konjunktureller Ausblick
Krise und Zukunft der Europäischen Währungsunion
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
4
Überblick
Strukturmerkmale der deutschen Wirtschaft
Wirtschaftspolitik: Ordnungspolitische Tradition und
wirtschaftspolitische Beratung
Ökonomische Entwicklung und konjunktureller Ausblick
Krise und Zukunft der Europäischen Währungsunion
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
5
Deutschland im internationalen Vergleich
Wirtschaftliches Schwergewicht in der EWU
Hoher Lebensstandard im internationalen Vergleich
Starke Einbindung in die Weltwirtschaft – ehemals „Exportweltmeister“
Starke industrielle Basis, robuster Arbeitsmarkt nach durchgreifenden Reformen
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
6
Bruttoinlandsprodukt im OECD-Vergleich in Tausend US-Dollar
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
7
Pro-Kopf-Einkommen im OECD-Vergleich in US-Dollar
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
8
Bedeutung der Wirtschaftszweige Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung in Prozent im Jahr 2011
Land- und Forstwirtschaft
1,0%
Produzierendes Gewerbe
30,0%
Handel,Gastgewerbeund Verkehr
15,2%
Finanzierung,Vermietungund Unter-nehmens-
dienstleister31,3%
Öffentlicheund private
Dienstleister22,5%
Dienstleistungen69,0%
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
9
Warenstruktur der deutschen Exporte
Vorleistungsgüter
Konsumgüter
Investitionsgüter
Andere Energie
Landwirtschaftsgüter
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
10
Überblick
Strukturmerkmale der deutschen Wirtschaft
Wirtschaftspolitik: Ordnungspolitische Tradition und
wirtschaftspolitische Beratung
Ökonomische Entwicklung und konjunktureller Ausblick
Krise und Zukunft der Europäischen Währungsunion
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
11
Entstehung des Ordoliberalismus (1/2)
Untertanen
Feudalmacht
Wirtschaft
Feudalsystem
(Demokratischer) Staat
Verfassung
Kapitalistische Wirtschaft
Wettbewerb
liberale Revolution
Freies Marktsystem klassischer Prägung
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
12
Entstehung Ordoliberalismus (2/2)
(Demokratischer) Staat
Verfassung
Kapitalistische Wirtschaft
Wettbewerb
Inte
rven
tio
nen
Ein
flu
ss
Degeneriertes „unfreies“ Marktsystem
Demokratischer Staat
Verfassung
Soziale Marktwirtschaft
Wettbewerb
Ordoliberales System
Schutz Regu- lierung
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
13
Konstituierende Prinzipien
funktionsfähiges Preissystem
„vollständiger“ Konkurrenz
Primat der Währungspolitik
Offene Märkte
Privateigentum Vertragsfreiheit
Haftung
Verstetigung der Wirtschaftspolitik
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
14
Regulierende Prinzipien und Grundsätze der Wirtschaftspolitik
Regulierende Prinzipien (Begegnung von Marktversagen)
- Missbrauchsaufsicht (Monopolkontrolle)
- Einkommenspolitik (aktive Umverteilung)
- Korrektur der Wirtschaftsrechnung (externe Effekte)
- [Vorkehrungen gegen anomales Angebotsverhalten]
Grundsätze der Wirtschaftspolitik
- Begrenzung wirtschaftlicher Macht
- Ordnungs- vor Prozesspolitik
- Beachtung der Interdependenz der Ordnungen
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
15
Wirtschaftspolitische Beratung in Deutschland
Vielzahl unabhängiger ökonomischer Beratungsinstanzen
Sachverständigenrat (5 Professoren plus Stab)
Deutsche Bundesbank
Mehrere Wirtschaftsforschungsinstitute: IfW, ZEW, RWI, IWH, ifo, DIW, ...
Gemeinschaftsdiagnose
Wissenschaftliche Beiräte bei den Ministerien
Einzelne Berater in Ausschüssen, Kommissionen usw.
Problem der Fristendiskrepanz: Kurzfristinteressen (Politik, Wahlen) vs. langfristige ökonomische Wirkungen
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
16
Ideal …
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
17
„Ich will Wahlen gewinnen und nicht den Ludwig-Erhard-Preis.“
H. Kohl (Bundeskanzler 1982-1998)
… und Wirklichkeit
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
18
Überblick
Strukturmerkmale der deutschen Wirtschaft
Wirtschaftspolitik: Ordnungspolitische Tradition und
wirtschaftspolitische Beratung
Ökonomische Entwicklung und konjunktureller Ausblick
Krise und Zukunft der Europäischen Währungsunion
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
19
Wirtschaftliche Schlaglichter der deutschen Nachkriegsgeschichte
Die 1950er Jahre: „Wirtschaftswunder“ unter L. Erhard
Probleme in den 1960er Jahren: Rezession, starke DM
Schocks in den 1970er Jahren: Ölpreisexplosion, Dollarabwertung, Inflation
Zaghafte Reformen in den 1980er Jahren
Die 1990er Jahre: Wiedervereinigung – Illusionen und Realität
Heute: Nach der Flaute („kranker Mann“) Vorbild für Europa?
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
20
Deutschland nach der Weltfinanzkrise
In der Finanzkrise war Deutschland zunächst hart betroffen (schärfste Rezession der Nachkriegszeit)
Scharfer Einbruch des Welthandels traf deutsche Exporteure sehr stark (weltweiter Investitionseinbruch!)
Die deutsche Wirtschaft ist besonders exportabhängig und investitionsgüterorientiert
Gründe für die kräftige Erholung = Gründe für den vorangegangenen Einbruch
Seit 2000 allmähliche Rückgewinnung der Wettbewerbs-fähigkeit (Lohnmoderation, Arbeitsmarktreformen)
Kräftiges Wachstum in den Schwellenländern (Aufholprozesse)
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
21
Aber: Europäische Krise belastet zunehmend auch die deutsche Konjunktur
EWU als wichtigster Handelspartner der deutschen Volkswirtschaft
Starke Präsenz in den Märkten der globalen Wachstumskerne
Verunsicherung über die Entwicklung in der EWU lähmt Investitionsbereitschaft
Flucht in „Betongold“: Sonderkonjunktur für die Bauwirtschaft
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
22
Bruttoinlandsprodukt: Überwindung der Schwächephase …
-20
-15
-10
-5
0
5
10
15
101
103
105
107
109
111
113
115
I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
laufende Jahresrate Niveau (Kettenindex)
Quartalsdaten, preis-, saison- und kalenderbereinigt.
2005=100
Prognose
Prozent
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
23
… und Gefahr der Überhitzung in der Mittelfrist
-5
-4
-3
-2
-1
0
1
2
3
4
5
1700
1800
1900
2000
2100
2200
2300
2400
2500
2600
2700
1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017
Produktionslücke BIP Potenzial
Jahresdaten, preisbereinigt; Produktionslücke: in Prozent des Produktionspotenzials.
Projektion
Mrd. Euro Prozent
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
24
0
5
10
15
20
25
30
840
860
880
900
920
940
960
980
1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017
Nettoanlagevermögen Durchschnittsalter des Straßennetzes
Jahresdaten; Nettoanlagevermögen: preisbereinigt (Referenzjahr 2005).Quelle: Statistisches Bundesamt, Deutsche Bundesbank, IfW/ZEW-Projektionen.
Mrd. Euro Jahre
Erosion des öffentlichen Kapitalstocks
2024:
30 J.
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
25
Ausblick: Finanzpolitik in Deutschland
Finanzpolitische Solidität Deutschlands wird überschätzt
- Kaum Spielraum zur Abfederung negativer Schocks
- Garantieübernahmen innerhalb des Euroraums
- Extrem günstige Finanzierungsbedingungen
- Hohe implizite Staatsverschuldung
Schuldenbremse: Konsolidierungspfad muss mit ordnungspolitischer Neuausrichtung einhergehen
- Erosion des öffentlichen Kapitalstocks seit 10 Jahren
- Allokationsverträgliche Infrastrukturbereitstellung
- Prozyklizität überwinden
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
26
Gefahr der Überlastung
Quelle: FAZ, 26. Oktober 2011, S. 11
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
27
Überblick
Strukturmerkmale der deutschen Wirtschaft
Wirtschaftspolitik: Ordnungspolitische Tradition und
wirtschaftspolitische Beratung
Ökonomische Entwicklung und konjunktureller Ausblick
Krise und Zukunft der Europäischen Währungsunion
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
28
Funktionsprinzip der Währungsunion
Währungsunion - Supranationale Geldpolitik zur Bereitstellung eines
funktionsfähigen Tauschmittels
- Risikoadäquate Zinsfindung als Kernaufgabe des Kapitalmarktes setzt Insolvenzmöglichkeit aller Schuldner zwingend voraus
Unsichere Rückzahlung, aber in Hartwährung
Alternative: Nationale Geldpolitik - Mögliche Entlastung des Staatshaushalts über Notenpresse (bei
gefügiger Zentralbank)
- Zinsanstieg aufgrund von Inflations- und Abwertungserwartung
Sichere Rückzahlung, aber in Weichwährung
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
29
Krisendiagnose (1/2)
Spillovers im Finanzsektor als Triebfeder der Europäisierung nationaler Schuldenkrisen
Realwirtschaftliche Kapitalstockkrise als Kern der Bankenkrise - Ursprüngliche Renditeansprüche nicht erfüllbar
- Wertschöpfungsschonende Verlustabwicklung
Geldpolitische Dilemma-Situation - Monetäres Mandat vs. Finanzmarktstabilität/Staatsfinanzierung
- Überforderung des Eurosystems
Seit 4 Jahren im Krisenmodus
Nationale Resegmentierung der Bankenmärkte
Symptom: Massive Zahlungsbilanzfinanzierung (Target2)
- Status-quo nicht zielführend, sondern Quelle neuer Probleme (z. B. Test des OMT-Programms)
Funktionsuntüchtiger Ordnungsrahmen
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
30
Krisendiagnose (2/2)
Krise als Symptom, nicht als Problemkern - Beginn der Bereinigung verzerrter Produktionsstrukturen
- Ursache am Beginn des vorangegangenen Booms
Krise kein Schock, sondern Reaktion
Vermeidung von Bankeninsolvenzen kann problemverschärfend wirken - Zombie-Banken: Fortsetzung der Fehllenkung von Kapital
- Deformierte Anreizstrukturen (“moral hazard”)
Kurzfristlösungen nur im Einklang mit Langfristordnung
Grenzen der Makrosteuerung beachten - Multiplikator-Analyse ignoriert Bedeutung der Produktionsstruktur
- Hohe Unsicherheit über das Produktionspotenzial
Gefahr falscher wirtschaftspolitischer Signale
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
31
Derzeitige Strategie: Europäische Zentralisierung
Zentrale Hilfsfonds - Kombination aus EFSF und ESM
- Maximales Volumen von 800 Mrd. Euro
- Angewiesen auf stabile Staatsfinanzen in den Kernländern
Zentrale Koordination und Kontrolle - „Euro-Plus-Pakt“ (März 2011)
- „Six-Pack“ (Dezember 2011)
- „Fiskalpakt/Fiskalunion“ (Dezember 2011)
- „Two-Pack“
- …
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
32
Gefahren 1: Hilfsfonds
Dimensionierung - Groß genug, um Bonität der Garantieländer zu beeinträchtigen
(direkte Form der Ansteckung)
- Zu klein, um ein großes Land über längere Zeit von direkter Kapitalmarktfinanzierung unabhängig zu machen
- Tendenz zur Entquantifizierung (unbegrenzte Haftungsgemeinschaft)
Unklare Beteiligung des Privatsektors - Beispiel Griechenland: Erwarteter Zahlungsausfall führt nicht zu
Panik und Ansteckung
- ESM: Intransparenz und Fehlanreize in Bezug auf private Beteiligung (Präambel: „in Ausnahmefällen“, „in angemessener und verhältnismäßiger Form“)
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
33
Gefahren 2: Koordination und Überwachung
Zuverlässigkeit der Überwachungsmechanismen (Score-Boards) sehr fraglich
Implizite Haftungsgarantie bei Versagen der Überwachung
Verwischung der Verantwortlichkeiten
Durchsetzung von Sanktionen stößt an Grenzen der demokratischen Legitimierung
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
34
Grundkonzeption einer tragfähigen Lösung
Problemspezifische Handlungsfelder - Fiskalpolitik
- Finanzmarktordnung
- Geldpolitik
- Strukturpolitik
- Marktmechanismen
Verbundlösung und Kompetenzverteilung - Instrumenteneinsatz und Verantwortung
- Nationale vs. Europäische Ebene
- „Solidarität“, Ex-post-Verantwortung und Pareto-Prinzip
- Nationale Fiskalhoheit, Prinzipien des Fiskalföderalismus
Zeitdimension - Verbindung von kurzer und langer Frist
- Akzeptanz der Ausgangslage (Legacy-Problem)
- Berücksichtigung der Pfadabhängigkeit
Kriseneindämmung und neue Ordnung, ordnungskonsistente Kriseninstrumente
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
35
Politikfelder und zentrale Ziele
Finanzpolitik - Überwindung der akuten Schuldenkrise (Legacy-Problem) und des
permanenten „deficit bias“
- Wahrung der nationalen fiskalischen Souveränität
Finanzmarktordnung - Vertiefung der monetären Integration
- Haftungsprinzip und Krisenfestigkeit
Geldpolitik - Fokus auf monetäres Mandat
- Stopp der übermäßigen Zahlungsbilanzfinanzierung
Strukturpolitik - Stärkung des Wachstumspotenzials
CAU Kiel Sommerkurs 2013
31. Juli 2013
36
Kieler Krisen-Kompass
Strukturpolitik
Markt- mechanismen
Kurze Frist Lange Frist
Potenzialwachstum
Neuausrichtung der Produktionsstruktur
(9) Reformagenda (10) Beratung durch internationale Organisationen
Schattierungen signalisieren zu- bzw. abnehmende Wirkung/Bedeutung im Zeitablauf.
Geldpolitik
Stopp der ZB-Finanzierung
(8) Verbot der gezielten Staatsfinanzierung Währungsstabilität
(5) Bankenabwicklungsanstalt
Finanzmarkt-ordnung (6) Zwangswandelanleihen
Aufbau eines Haftungspuffers 100%ige Gläubigerhaftung
Abbau der Target2-Positionen (4) Risikoadäquates Sicherheitenschema
(3) Einheitliche Bankenregulierung
No-bail out (Staaten)
No-bail out (Banken)
Finanzpolitik
Umverteilung
(1) Verbindliche Fiskalregeln Konsolidierung
Tragfähige Verschuldung
Staatsinsolvenz (7) Regelverstoß
(2) Zinslastenausgleichsfonds
Anlaufphase
Bankeninsolvenzen
konditional
verbesserte Kapitalallokation
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!