Drogenabhängigkeit und Sucht
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Universitätsklinikums des
SaarlandesOriana Clasen
Definition von Abhängigkeit
� Zwang, einen Stoff einzunehmen und sich mit allen Mitteln zu besorgen
� Tendenz, die Dosis zu steigern� Psychische, gelegentlich auch körperliche
Abhängigkeit
� Kontrollverlust: Die Unfähigkeit, die Einnahme eines Stoffes bei freiem Willen zu bejahen oder abzulehnen
Welche Suchtformen gibt es?
� Alkohol�Drogen, Medikamente�Nikotin� Spielsucht� Kaufsucht� Sexsucht� Arbeitssucht
Klassifikation nach ICD 10
� F 10 Störungen durch Alkohol� F 11 Störungen durch Opiate� F 12 Störungen durch Cannabinoide� F 13 Störungen durch Sedativa und Hypnotika� F 14 Störungen durch Kokain� F 15 Störungen durch sonstige Stimulantien einschließlich Koffein� F 16 Störungen durch Halluzinogene� F 17 Störungen durch Tabak� F 18 Störungen durch flüchtige Lösungsmittel� F 19 Störungen durch multiplen Substanzmissbrauch und Konsum
sonstiger psychotroper Substanzen
Klassifikation
� Wir unterscheiden:� Akute Intoxikation� Schädlicher Gebrauch� Abhängigkeitssyndrom� Entzugssyndrom� Entzugssyndrom mit Delir� Psychotische Störung� Amnestisches Syndrom� Restzustand und verzögert auftretende psychotische
Störung� Sonstige psychische- und Verhaltensstörung
Klassifikation nach DSM-5
�Diagnose wird entlang einer Schweregrads-Dimension «Substanzgebrauchsstörung» (Substance Use Disorder) gestellt
� Als einzige «Verhaltenssucht» wurde die «Glücksspielstörung» (Gambling Disorder) aufgenommen
�Da die diagnostische Schwelle niedriger ist, würden mehr Patienten einen Behandlungsanspruch erhalten
DSM-5
� Insgesamt 11 Kriterien, die sich auf einen Zeitraum der vorangegangen 12 Monate beziehen
� Leichte Substanzgebrauchsstörung (2-3)
�Moderate Substanzgebrauchsstörung (4-5)
� Schwere Substanzgebrauchsstörung (ab 6)
DSM-5
1. Substanz wird in größeren Mengen oder länger als geplant konsumiert
2. Fortgesetzter Konsum trotz gegenteiliger Absicht3. Hoher Zeitaufwand für Beschaffung und Konsum der Substanz
oder zum Erholen von Konsumwirkung4. Craving5. Vaersagen wichtiger Verpflichtungen bei der Arbeit, in der Schule
oder zu Hause6. Soziale und zwischenmenschliche Probleme7. Aufgabe oder Reduzieren wichtiger Aktivitäten8. Substanz wird auch in gefährlichen Situationen konsumiert9. Fortgesetzter Konsum trotz Kenntnis um körperliche oder
psychische Probleme durch Konsum 10. Toleranzentwicklung11. Entzugssymptomatik
Prävalenz
� Der Konsum von Tabak beginnt im Durchschnitt mit 14,3 Jahren, die Prävalenzraten bei 12-19 jährigen sind in den letzten Jahren leicht rückläufig
� Der Konsum von Alkohol beginnt im Durchschnitt mit 13,6 Jahren, der Alkoholkonsum der 12-17 jährigen war nach einem Rückgang von 2004 – 2005 und einem folgenden Anstieg von 2010 bis 2011 wieder rückläufig
� Der Konsum von Cannabis beginnt im Durchschnitt mit 16,7 Jahren, wobei das Einstiegsalter sinkt und die Zahl der Konsumenten steigt
Prävalenz
�Bei 12 – 17 jährigen Jugendlichen lag die Zahl derer, deren Trinkverhalten als riskant eingestuft wurde, bei 5 %
�Die Zahl der 12 – 17 Jährigen, deren Trinkverhalten als gefährlich eingestuft wurde, lag bei 2 % (2008)
Prävalenz
�Etwa 5% der Jugendlichen zeigen Zeichen einer Cannabisabhängigkeit (Thomasius, 2009 )
�Wobei etwa die Hälfte ausschließlich Cannabis konsumiert, die andere Hälfte weitere Suchtmittel, davon 50% Alkohol und 30% Amphetamine und Kokain
Trends im Konsumverhalten
� Schüler/innen der 9. und 10. Jahrgangsstufe in Deutschland ( 2008 )
� Tabak: 78% mindestens einmal 47%innerhalb der letzten 30 Tage
� Alkohol: 6% der Jungen und 5% der Mädchen waren abstinent, 38% berichteten von Trunkenheitserlebnissen in den letzten 30 Tagen
�Drogen: 33% berichteten von zumindest einmaligem Gebrauch illegaler Drogen, wobei Cannabis mit 31% am Häufigsten genannt wurde
Aktuelle Zahlen
� 13% der 12-17 jährigen tranken mindestens 1 Mal in der Woche Alkohol
� 16,7% der Minderjährigen gaben an, zumindest 1 Mal im letzten Monat bis zum Rausch getrunken zu haben
�Die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen Alkoholvergiftung ging bei 10-15 jährigen um 5,5% zurück, bei Jugendlichen stieg sie um 2,9% an
�Die Zahl der jungen „Komasäufer“ stieg weiter
Aktuelle Zahlen
�9% der 16 - 17-jährigen betreiben regelmäßigen Alkoholmissbrauch
�2-4% können in Deutschland als Alkoholabhängig bezeichnet werden
Aktuelle Zahlen
� unter 12-17 jährigen Zunahme des Cannabiskonsums (2011-2014) von 2,8% zu 6,4 % (Kreuter M et al, 2016)
� regelmäßiger Konsum von 0,2% zu 1,5 %
�Harte Drogen, wie Heroin sind auf dem Rückmarsch, eine große Gefahr besteht aber durch synthetische Designerdrogen und vermeintlich harmlose Kräutermischungen
Ätiologie
� Der Gebrauch von Drogen lässt sich auf einen Zeitraum von mindestens 10000 Jahren vor Christus zurückverfolgen
� Eingesetzt bei magischen, kulturellen und religiösen Handlungen
� Meskalin bei mittelamerikanischen Indianerstämmen
� Cannabis in Indien
� Kokain bei Andenindianern
Ätiologie
� In unseren Bereichen wurde Alkohol, v.a. ab den 50iger, zunehmend konsumiert
�Veränderung in den 60iger Jahren: ausgelöst durch die Hippiebewegung in den USA schwappte der Missbrauch von Cannabis, LSD, weiterer synthetischer Drogen und Heroin nach Europa
�Zur Zeit sind Alkohol, Cannabis und Designerdrogen führend
Ätiologie
�Multifaktorielles Bedingungsgefüge
�Gen-Umwelt-Interaktion (corticotropin releasing factor binding protein (CRFBP) ) (Haass-Koffler CL, 2016)
�Dopaminerges Belohnungssystem (Erhöhung der Dopaminkonzentration)
� Bestrafungs-/Angstsystem (gehemmt über GABA)
� Emotionales Erleben wird in einem schwer löschbaren Suchtgedächtnis gespeichert
Ätiologie
� Entwicklungspsychologische Perspektive� Demonstriert Autonomie� Eigener Lebensstil� Ablösung von den Eltern
� Kinder alkoholkranker Eltern haben ein 5-fach erhöhtes Risiko� nicht nur „Lernen am Modell“
Ätiologie
� Voraussetzung für die Sucht ist die „süchtige Fehlhaltung“
� Ihr dynamisches Prinzip äußert sich in dem Bestreben, aus der unerträglich erscheinenden Realität in eine erwünschte Scheinwelt zu flüchten
�Diese Fehlhaltung ist soweit verbreitet, dass sie zu den Reaktionsformen des Menschen überhaupt gerechnet werden muss
Ätiologie
�Die Entstehung einer Sucht wird aus dem Zusammenwirken vier Hauptfaktoren erklärt:
�Genetik�Persönlichkeit�Soziales Milieu (Modelllernen)�Art des Suchtstoffs oder der Droge
Multifaktorielles Ätiologiemodell der Substanzabhängigkeit
Verlauf
� Probier- bzw Experimentierkonsum� Gelegenheitskonsum� Schädlicher Missbrauch� Gewohnheitskonsum� Abhängigkeitskonsum� Toleranzbildung (steigt zunächst, nimmt dann später ab)� Wir unterscheiden psychische und körperliche
Abhängigkeit� Psychische Abhängigkeit ist Grundlage aller
Sucht (substanzgebunden und nicht substanzgebunden)
Komorbidität
�ADHS�Störung des Sozialverhaltens�Persönlichkeitsstörungen�Depressionen�Angststörungen
Folgen
�Am Ende erreicht der Süchtige das Gegenteil von dem, was er sich erhoffte
Alkoholismus
� Rolle des Alkohols in unserer Gesellschaft
� Definition nach Jelinek: Unter Alkoholismus versteht man jeglichen Gebrauch von alkoholischen Getränken, der einem Individuum oder der Gesellschaft oder beiden Schaden zufügt
� Formen des Alkoholismus:Chronische TrunksuchtSpiegeltrinkerDipsomanie / Quartalssäufer
Wirkung von Alkohol
�Alkohol ist nicht nur ein Genussmittel, sondern ein Psychopharmakon mit Tranquilizereffekt
�Setzt Spannung und Angst herab�Bekämpft Niedergeschlagenheit und
Missempfinden�Hebt kurzzeitig das Selbstwertgefühl�Hilft, Einschlafschwierigkeiten zu
überwinden
Alkoholmissbrauch
�Alkoholmissbrauch wird gefördert durch:
�Gesellschaftlichen Trinkzwang�Koma Saufen�Flat-Rate-Partys�Alko Pops ( nach Preissteigerung weniger
geworden! )�Verharmlosung („Mixery“ ist kein Alkohol)
Alkoholmissbrauch
�Je jünger der Alkoholkonsument ist, je größer ist die Gefahr, eine Suchtkrankheit zu entwickeln
�Der Übergang in die Sucht ist fließend, heimliches Trinken und Leugnen der Problematik sind gefährliche Anzeichen
�Es finden sich viele körperliche, psychische und soziale Folgeschäden
Folgeschäden
�Magenbeschwerden (Gastritis), Leberschädigung, Impotenz, Nervenschädigungen, alkoholische Psychosen, toxische Hirnschädigung, Alkoholembryopathie
� Stimmungslabilität, Interessenverlust, Lügen, später Wesensänderung
� Vernachlässigung und Verlust von Beziehungen, Verlust der Leistungsfähigkeit,
� Verlust von Schul- und Arbeitsplatz,� Invalidität
Diagnostik
� Ausführliche Anamnese, auch suchtspezifisch
� Psychopathologischer Befund
� Körperliche Untersuchung
� Laboruntersuchungen ( Toxikologie, Transaminasen, Blutbild, Pankreaswerte )
Klinisches Bild
Akute Alkoholintoxikation:�Gang-/Standunsicherheit�Verwaschene Sprache�Reaktionsverlangsamung�Aggressive Streitbarkeit�Sexuelle Enthemmung
Klinisches Bild
Alkoholmissbrauch:�Körperliche oder psychische
Gesundheitsschädigung
�Beeinträchtigt die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen signifikant
Klinisches Bild
Alkoholabhängigkeit: mind. 3 inh. 12 Mon.� „Craving“� Verminderte Kontrolle bzgl. Menge, Beginn und Ende
des Konsums� Körperliche Entzugssymptomatik� Toleranzentwicklung� Gedankliche Einengung auf Alkoholkonsum� Fortgesetzter Konsum trotz eingetretener Folgen und
Kenntnis über Schädigung
Klinisches Bild
Alkoholentzugssyndrom:� Tremor (vorgehaltene Hände, Zunge, Augenlider)
� Schwitzen� Psychomotorische Unruhe mit Hypertonie und
Tachykardie� Insomnie� Halluzinationen (v.a. optisch)
� Generalisierte Krampfanfälle� Delir (Leitsymptom: Bewusstseinstrübung)
� Stimmungsverschlechterung (Depression, Suizidgedanken)
Therapie
�Entgiftung und Entzug
�Psychotherapie
�Soziotherapie
�Selbsthilfeorganisationen
Medikamentöse Therapie
� Oft kann auf den Einsatz von entzugsmildernden Medikamenten verzichtet werden
Ausgeprägte Cannabisabhängigkeit:� Sedierende Neuroleptika
Kokainentzug:� Trizyklische Antidepressiva
Amphetamin- oder Ecstasyabhängigkeit:� Vorübergehend Benzodiazepine
Alkohol-Entzugssymptomen (stat. Setting):� Clomethiazol
Opioidabhängigkeitsyndrom:� Levomethadon
Cannabis
�Psychotrope Droge�Weiblichen indischen Hanfpflanze�Hauptwirkstoff: Delta-9-
Tetrahydrocannabinol (THC)�Haschisch ist der Harz der weiblichen
Blütenstaude�Marihuana besteht aus getrockneten
Blüten und Blättern
Wirkung
�Cannabis beeinflusst das Zentralnervensystem� Schmerzlindernd (Analgetikum)�Relaxierend� Sedierend� Antiemetisch� In höheren Dosierungen wird von
halluzinatorischen Eigenschaften berichtet�Die Wirkung dauert in der Regel 3-4 Stunden,
bei oralem Konsum werden aber auch längere Zeiträume berichtet
Cannabis
�Macht Cannabis abhängig?� Entstehen durch Cannabismissbrauch
Psychosen?� Einstiegsdroge?� Kombination mit Amphetamin
Cannabis
�Unterschiedliche Ergebnisse in Bezug auf ein Impairment der Inhibition, Impulsivität und Entscheidungsbildung
�Defizite in der Aufmerksamkeit und Konzentration
�Chronischer THC Konsum kann zu dauerhaften Defiziten in Gedächtnisfunktionen führen (Ganzer F et al, 2016)
Hinweise auf Cannabismissbrauch
�Die Zeichen sind sehr heterogen� Konzentrationsschwäche und Unruhezustände� Stimmungsschwankungen� Interessenverlust� Schulschwierigkeiten / Leistungsknick� Freunde aus der „Szene“� Sozialer Rückzug, Apathie� Verwahrlosung, Vernachlässigung der
Körperhygiene
Weitere Drogen
�Amphetamine ( Speed, Pep )�Ecstasy�Chrystal Meth�Halluzinogene (z.B. LSD )�Opiate ( Heroin )�Kokain�Medikamente ( Tranquilizer, Barbiturate,
Analgetika ) �Pilze, Engelstrompeten
Räucher- und Kräutermischungen
�Spice�Maya Räuchermischung�Jamaica Gold Extreme�Monkees go Bananas�Lava red�Führen oft zu erheblichen
Rauschzuständen mit illusionären Verkennungen und Halluzinationen
Nikotin
� 12,0 % der 11- bis 17-jährigen Jugendlichen in Deutschland rauchen
� Motivation – Stressabbau� Nebenwirkungen ( Bronchitis, Magenbeschwerden,
Hypertonie, Herzinfarkt, Lungenkarzinom )
� Prävention
� etwa 6 Jahre zuvor gewonnenen Daten der KiGGS-Basiserhebung kann die Aussage getroffen werden, dass sich die Raucherquote von 20,4 % auf 12,0 % fast halbiert hat
Spielsucht
� Verschiebung der klassischen Spielsucht bei Erwachsenen ( Automaten, Spielkasino ) bei Jugendlichen auf Videospiele ( besonders interaktive Spiele haben ein hohes Suchtpotential, z.B.WoW)
� Leichte Zugänglichkeit� Anonymität� Scheinerfolge�Gefahr des Abdriftens in eine Scheinwelt
Umgang mit Suchtbetroffenen
�Offenes Ansprechen�Schweigen hilft keinem und ist kein
Freundschaftsdienst�Moralisieren und Katastrophieren
vermeiden�Hilfsangebote aufzeigen�Vorstellung bei Arzt des Vertrauens
und/oder Suchtberatungsstellen
Prävention
� Kinder brauchen seelische Sicherheit� Kinder brauchen Aufmerksamkeit und
Bestätigung� Kinder brauchen Freiraum und Beständigkeit� Kinder brauchen realistische Vorbilder� Kinder brauchen Bewegung und richtige
Ernährung� Kinder brauchen Freunde und eine
verständnisvolle Umwelt� Kinder brauchen Träume und Lebensziele
Prognose
�Frühe Intervention verspricht bessere Therapieerfolge
�Behandlung komorbider Erkrankungen ist wichtig ( ADHS, Störung des Sozialverhaltens, Depressionen, Angststörung,BPS )
�Schutzfaktoren sind gute Intelligenz und vorhandene familiäre und soziale Bindungen
Ich danke für Ihr Interesse