Grundzüge der Geldtheorie und Geldpolitik
Prof. Dr. Jochen Michaelis
Sommersemester 2014
Kapitel 10:
Die Zeiten sind nicht normal: Geldpolitik in der Finanzkrise
Geldtheorie und Geldpolitik SS 2014 Prof. Dr. Jochen Michaelis
Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
10.1 Krisenmanagement
10.2 Die Geldpolitik der EZB
10.3 Reformen des institutionellen Rahmens
10.4 Fazit
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Steigende Zinsdifferenz
zwischen EWU-Staatsanleihen
Quelle: Deutsche Bundesbank 2011
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
• Sorgen bezüglich hoher Budgetdefizite und der Tragbarkeit der öffentlichen Finanzen
verursachen innerhalb des Euroraums starken Anstieg der Spreads zwischen
Staatsanleihen
• Erwartete Herabstufung von Staatsanleihen auf oder unter „BBB“-Niveau lässt zunächst
die Spreads auf griechische Papiere steigen
• Ansteckungseffekte wegen ähnlicher Probleme in einer Reihe von EWU-Ländern
(Irland, Portugal, Spanien, Italien)
• Renditen auf Bundesanleihen sinken aufgrund ihrer hohen Bonität und Liquidität (safe
haven)
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
Rückgang der Realzinsen speist Immobilienboom
Quelle: Deutsche Bundesbank 2011
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Sinkender Realzins führt in einer Reihe von Ländern zu
boomender Hypothekenkreditvergabe,
Immobilienpreisblase,
Überproduktion in der Bauwirtschaft.
Platzen der Immobilienpreisblase mit negativer Auswirkung auf die Stabilität des
Bankensektors.
Reaktion der Regierungen:
Übernahme „toxischer“ Aktiva oder Verstaatlichung von Banken.
Folge: Anstieg der Staatsverschuldung
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
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Ansteckungsgefahren in der EWU
Krisen in Finanzsystemen kleiner Länder sorgen für Krise in der EWU!
Wichtigster Ansteckungskanal:
Auslandsforderungen von Banken gegenüber den Euroländern.
Hohes Volumen zeigt enge Verflechtung in der EWU. Starke Zunahme seit Start der
EWU wegen Wegfall des Währungsrisikos.
Banken aus Deutschland und Frankreich wichtigste Gläubiger, insbesondere für die
Peripherieländer.
Kritisch auch: Hohes Exposure spanischer Banken gegenüber Portugal
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
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10.1 Krisenmanagement
Beistandsmechanismus für Griechenland
21. Sept. 2009: Griechische Regierung korrigiert Haushaltsangaben der Vorgängerregierung.
Feb. – April 2010: Eurogruppe einigt sich auf einen „Beistandsmechanismus“, der bei
Gefährdung der finanziellen Stabilität der Eurozone als Ultima Ratio zur Anwendung kommen soll.
Ankündigung reicht nicht aus, Finanzmärkte zu beruhigen.
2. Mai 2010: Eurogruppe gewährt Griechenland bilaterale Finanzhilfen in Höhe von insgesamt
80 Mrd. €, zusammen mit 30 Mrd. €, die vom IWF zur Verfügung gestellt werden, beläuft sich das
Hilfspaket auf insgesamt 110 Mrd. €.
• Beistand ist an harte Auflagen für die Fiskal- und Wirtschaftspolitik geknüpft
• Kreditvergabe zu Strafzinsen (über durchschnittlichen Zinsen von EWU-Anleihen): Laufzeit bis 3
Jahre: Aufschlag 3 Prozentpunkte über Interbankenkredit; Laufzeit darüber: Aufschlag 4
Prozentpunkte über Interbankenkredit.
Strafzins heilsames Mittel oder Totengräber?→ IWF-Kredite ohne Strafkomponente.
Notwendiges Anpassungsprogramm „abschreckend“ genug?
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
Europäischer Schutzschirm
9. Mai 2010: Eurogruppe schafft einen bis Mitte 2013 befristeten
Stabilisierungsmechanismus:
• 60 Mrd. Euro an Direktkrediten der EU-Kommission (European Financial Stability
Mechanism (EFSM)).
• 440 Mrd. Euro an zusätzlichen Finanzmitteln aufgebracht über eine Zweckgesellschaft,
(European Financial Stability Facility (EFSF), die das erforderliche Kapital an den
Märkten aufnimmt.
• Ergänzung durch 250 Mrd. Euro Kreditlinie des IWF
Dezember 2010: Irland nimmt als erstes Land der Eurogruppe den
Stabilisierungsmechanismus in Anspruch; Kreditvolumen 85 Mrd. Euro
April 2011: Portugal; Kreditvolumen 78 Mrd. Euro
Juni 2012: Spanien, Kreditvolumen 100 Mrd. Euro
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
Europäischer Stabilisierungsmechanismus ESM
ESM ersetzt bisherigen Schutzschirm
• Stammkapital des ESM: 700 Mrd. Euro (davon 620 Mrd. Bürgschaften)
• Anteil Deutschlands: 27 %
• strenge Konditionalität der Hilfen (glaubwürdig?)
• Entscheidungen über Hilfen einstimmig (jedes Land hat Vetorecht)
• ESM-Darlehen vorrangig gegenüber privaten Krediten
ESM juristisch umstritten
siehe Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12.09.2012
ESM ökonomisch umstritten
• Einstieg in Transferunion (analog Bremen, Ostdeutschland, Mezzogiorno etc.)
• Anreize für Reformen/Sparen vermindern sich
• Aber: Schutzwall gegen Spekulation
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
10.2 Die Geldpolitik der EZB
Zinspolitik
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
10. Mai 2010: Fortsetzung der expansiven Geldpolitik, die mit Beginn des Bankrotts von
Lehman Brothers begonnen wurde:
Vollständige Bedienung der Liquiditätsnachfrage der Kreditinstitute.
Festzins (derzeit 0,15%) für die wöchentlichen Hauptrefinanzierungsgeschäfte.
Akzeptanz von Wertpapieren als Kreditsicherheit, mit einem Rating von BBB- (zuvor A-)
bei den Refinanzierungsoperationen der EZB. Generelle Akzeptanz griechischer Anleihen.
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
Ankäufe von Staatsanleihen
10. Mai 2010:
EZB beschließt Staatsanleihenankaufprogramm, um Spannungen an Finanzmärkten
im Zuge der Griechenlandkrise entgegenzuwirken, darunter:
• Interventionen an den Sekundärmärkten für öffentliche Schuldverschreibungen im
Eurowährungsgebiet. Der Umfang der Interventionen wird vom EZB-Rat nach Lage an
den Wertpapiermärkten festgelegt.
06. September 2012:
Aufkäufe „unbegrenzt“
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
Ziele des Ankaufprogramms:
EZB: Abbau von Spannungen und Gewährleistung von Markttiefe- und Liquidität in
einem für die Geldpolitik wichtigen Marktsegment.
Begrenzung des Renditeanstiegs bei bestimmten Staatsanleihen an den
Sekundärmärkten.
Starker Renditeanstieg könnte Kreditvergabe beeinträchtigen (Kreditklemme).
Verhinderung eines Teufelskreises: Renditen↑→ Schuldendienst↑ → Insolvenzrisiko↑
→ Anleiherating↓ → Notverkäufe↑→ Renditen↑ → Verluste der Banken↑ → Staatliche
Hilfsprogramme↑…... → staatliche Insolvenz!
Vermeidung von Ansteckungseffekten auf andere Euro-Mitgliedsstaaten.
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
Probleme des EZB-Ankaufprogramms:
Finanzielle Risiken für das ESZB bei Kursverfall (abhängig vom Ankaufkurs) bzw.
Insolvenz. Im Fall der Insolvenz müsste der Staat sein Kapital bei den nationalen
Notenbanken erhöhen. Risiko politischer Einflussnahme.
Inflationsgefahr durch Ausweitung der Geldmenge
(Geldfinanzierung von Staatsdefiziten war immer Grund für massive Inflation)
Geldpolitik macht Entscheidungen von Reformschritten der Euroländer abhängig,
• politische Einflussnahme unvermeidlich
• demokratische Legimitation fraglich
Unabhängigkeit von Geld- und Fiskalpolitik aufgeweicht
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
10.3 Reformen des institutionellen Rahmens
Lissabon-Vertrag (Status quo): Artikel 126 AEUV
Die Mitgliedstaaten vermeiden übermäßige öffentliche Defizite.
Die Kommission überwacht die Entwicklung der Haushaltslage und der Höhe des
öffentlichen Schuldenstands in den Mitgliedstaaten anhand der in Protokollen zum
Vertrag festgelegten Referenzwerte (Defizit max. 3% des BIP, Schuldenstand max. 60%
des BIP).
Im Fall der Verfehlung der Referenzwerte erstellt die EU-Kommission einen Bericht.
Der Rat beschließt auf Vorschlag der Kommission, ob in einem Mitgliedsstaat ein
übermäßiges Defizit besteht. Es werden Vorschläge zu deren Beseitigung gemacht.
Bei Nichtbefolgung der Empfehlungen kann der Rat Sanktionen beschließen
(Mittelkürzungen für Investitionen, unverzinsliche Einlagen bei der EZB, Geldbußen).
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
Vorschläge der van Rompoy-Gruppe
Verbesserung nationaler Haushaltsregeln
• Einhaltung von Mindestanforderungen bei der statistische Erfassung, numerische Regeln,
Prognoseverfahren und mittelfristigen Finanzplanung.
Europäisches Semester (seit Jahresbeginn 2011 eingeführt):
• Vorabkoordinierung der haushalts- und wirtschaftspolitischen Planung der
Mitgliedsstaaten. Aber: Keine Sanktionen bei Nichtberücksichtigung von
Empfehlungen.
Überwachungsmechanismus
• Jährliche Bewertung des Risikos für das Entstehen makroökonomischer
Ungleichgewichte auch auf Basis von Frühwarnindikatoren.
• Anpassungsempfehlungen auf Basis von Empfehlungen der EU-Kommission.
• Sanktionen: Bei der Abstimmung ist das betroffene Land nicht stimmberechtigt!
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
Radikalere Vorschläge:
Eurobonds
Austritt aus Währungsunion
Nordeuro
Europäische Wirtschaftsregierung – irreal und Nonsens
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Kapitel 10 – Geldpolitik in der Finanzkrise
10.4 Fazit
Politiker halten die eigenen Regeln nicht ein!
Sparpakete:
griechische Probleme können letztlich nur von den Griechen gelöst werden
spanische Probleme können letztlich nur von den Spaniern gelöst werden
etc.
Geldpolitik darf sich nicht in die Hände der Politiker begeben
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