Jahresbericht
zur Evaluation der Integrierten Versorgung
Gesundes Kinzigtal
2011
Langfassung
Dr. Achim Siegel Dr. Ulrich Stößel
Evaluations-Koordinierungsstelle
Integrierte Versorgung (EKIV)
an der Abteilung für Medizinische Soziologie Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Hebelstr. 29 79104 Freiburg
[email protected] http://www.ekiv.org
im Auftrag der Gesundes Kinzigtal GmbH in Zusammenarbeit mit AOK BW und LKK BW
Evaluation der Integrierten Versorgung
Gesundes Kinzigtal
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
2
Vorbemerkung
Mit dem Jahresbericht 2011 zur Evaluation der Integrierten Versorgung Gesundes
Kinzigtal legen wir einen Überblick vor zum aktuellen Stand der Projekte, mit denen
die Integrierte Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK) extern evaluiert wird: Wir fassen
die bisherigen Ergebnisse zusammen und resümieren diese im Hinblick auf die über-
greifenden Fragestellungen der Evaluation der IVGK.1
Der vorliegende Evaluationsbericht (Langfassung) ist folgendermaßen geglie-
dert: Nach einer Zusammenfassung der wesentlichen Aussagen des Berichts (Kapitel
1) erläutern wir in Kapitel 2 die projektübergreifenden Fragestellungen der IVGK-Eva-
luation. Anschließend, in den Kapiteln 3 bis 6, fassen wir den gegenwärtigen Stand
der einzelnen Evaluationsprojekte zusammen, diskutieren die jeweils offenen Fragen
und geben – wo möglich – einen Ausblick auf den Fortgang der Projekte.
Mit dem Jahresbericht 2011 schreiben wir den Jahresbericht aus dem vorher-
gehenden Jahr – den Jahresbericht 2010 – fort. Da im SDM-Projekt (Kapitel 3) im Ver-
gleich zum Jahresbericht 2010 keine neuen Evaluationsergebnisse vorliegen, fassen
wir in Kapitel 3 die bisherigen Ergebnisse sehr knapp zusammen und referieren die
Diskussion, die im Jahr 2011 um die Fortsetzung bzw. Beendigung des SDM-Projekts
geführt wurde. Für eine ausführlichere Zusammenfassung und Interpretation der Er-
gebnisse des SDM-Projekts verweisen wir auf den Jahresbericht 2010. In den Kapiteln
4 bis 6 gehen wir auf neue Evaluationsergebnisse im ÜUF-Projekt (Kapitel 4), im
PeGL-Projekt (Kapitel 5) und im AGil-Projekt (Kapitel 6) ein. Zum Abschluss versu-
chen wir eine Zwischenbilanz der bisherigen Ergebnisse (Kapitel 7).
Wir danken allen, die durch ihr produktives Feedback dazu beigetragen haben,
dass der Bericht in der jetzigen Form entstanden ist. Dazu gehören insbesondere Frau
Dr. Ingrid Schubert (PMV forschungsgruppe, Universität zu Köln) und Dr. Matthias
Nübling (Gesellschaft für empirische Beratung, Denzlingen). Gleichwohl verantworten
wir, die beiden Autoren, den folgenden Bericht und somit auch alle Unzulänglich-
keiten, die er eventuell noch enthält.
Freiburg, im April 2012 Achim Siegel & Ulrich Stößel
1 Neben diesen externen Evaluationsstudien gibt es auch noch eine interne Evaluation, für welche die Evaluations-Koordinierungsstelle (EKIV) allerdings nicht verantwortlich ist. Aufgabe der internen Evalua-tion ist es in erster Linie, Wirksamkeit und Effizienz einzelner IVGK-Gesundheitsprogramme zu beurteilen. Aktuelle interne Evaluationsstudien können unter folgender Adresse abgerufen werden: http://gesundes-kinzigtal.de/index.php?option=com_content&view=article&id=263%3Afb-start&catid=1%3Astatic&Itemid=192.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
3
Inhaltsübersicht
Vorbemerkung ................................................................................................................2
Inhaltsübersicht...............................................................................................................3
Gliederung ......................................................................................................................5
Tabellenverzeichnis ........................................................................................................8
Abbildungsverzeichnis ..................................................................................................10
1 Zusammenfassung ....................................................................................................12
1.1 SDM-Projekt ....................................................................................................12
1.2 ÜUF-Projekt.....................................................................................................13
1.3 PeGL-Projekt...................................................................................................15
1.4 AGil-Projekt .....................................................................................................16
1.5 Resümee.........................................................................................................17
2 Fragestellungen der Evaluation der Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK)...........................................................................................18 2.1 Hauptziele der IVGK .......................................................................................18
2.2 Der Stellenwert der Evaluation........................................................................19
2.3 Leitende Fragestellungen der Evaluation........................................................19
2.4 Hauptfragestellungen der einzelnen Evaluationsprojekte ...............................21
3 Das SDM-Projekt: Erhebung und Ermittlung der Einstellungen von Versicherten zur Versorgungsqualität, zur Patientenzufriedenheit und zum Shared Decision-Making (SDM) ...........................................................................24 3.1 Fragestellung, Material und Methoden des SDM-Projekts..............................24
3.2 Wichtige Ergebnisse des SDM-Projekts..........................................................25
3.3 Diskussion der Ergebnisse..............................................................................28
3.4 Ausblick ...........................................................................................................30
4 Das ÜUF-Projekt: Identifizierung und Abbau von Über-, Unter- und Fehl- versorgung und Erhebung des Gesundheitszustands der Versicherten – Versorgungsevaluation auf Basis von GKV-Routinedaten ...........................................33 4.1 Allgemeine Forschungsfragen des ÜUF-Projekts ...........................................34
4.2 Studienpopulationen und Methoden des ÜUF-Projekts ..................................37
4.3 Bisherige Ergebnisse: Die Beobachtungsjahre 2004-2008.............................42
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
4
4.4 Diskussion der bisherigen Ergebnisse und Ausblick.......................................72
5 Das COPE-Teilprojekt 2: Prozessevaluation aus Sicht der GK-Leistungspartner (PeGL-Projekt)............................................................................82 5.1 Funktion und Forschungsfragen des PeGL-Projekts ......................................82
5.2 Methoden und Studienpopulation des PeGL-Projekts ....................................84
5.3 Ausgewählte Ergebnisse der ersten drei Befragungen der GK-Leistungspartner aus den Jahren 2008, 2009 und 2010 ................................85
5.4 Diskussion der bisherigen Ergebnisse und Ausblick.....................................108
6 Das AGil-Projekt: Aktive Gesundheitsförderung bei alten Menschen im Kinzigtal. Prozess- und Ergebnisevaluation eines Interventionsprogramms im Kontext einer Integrierten Versorgung von AOK-Patienten ...................................111 6.1 Forschungsfragen des AGil-Projekts.............................................................111
6.2 Studienpopulation und Methoden des AGil-Projekts im Kinzigtal .................113
6.3 Ausgewählte Zwischenergebnisse des AGil-Evaluationsprojekts .................116
6.4 Diskussion und Ausblick................................................................................134
7 Versuch einer Zwischenbilanz der IVGK-Evaluation ...............................................131
8 Literaturverzeichnis..................................................................................................137
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
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Gliederung
Vorbemerkung ................................................................................................................2
Inhaltsübersicht...............................................................................................................3
Gliederung ......................................................................................................................5
Tabellenverzeichnis ........................................................................................................8
Abbildungsverzeichnis ..................................................................................................10
1 Zusammenfassung ....................................................................................................12
1.1 SDM-Projekt ....................................................................................................12
1.2 ÜUF-Projekt.....................................................................................................13
1.3 PeGL-Projekt...................................................................................................15
1.4 AGil-Projekt .....................................................................................................16
1.5 Resümee.........................................................................................................17
2 Fragestellungen der Evaluation der Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK)...........................................................................................18 2.1 Hauptziele der IVGK .......................................................................................18
2.2 Der Stellenwert der Evaluation........................................................................19
2.3 Leitende Fragestellungen der Evaluation........................................................19
2.4 Hauptfragestellungen der einzelnen Evaluationsprojekte ...............................21
3 Das SDM-Projekt: Erhebung und Ermittlung der Einstellungen von Versicherten zur Versorgungsqualität, zur Patientenzufriedenheit und zum Shared Decision-Making (SDM) ...........................................................................24 3.1 Fragestellung, Material und Methoden des SDM-Projekts..............................24
3.2 Wichtige Ergebnisse des SDM-Projekts..........................................................25
3.3 Diskussion der Ergebnisse..............................................................................28
3.4 Ausblick ...........................................................................................................30
4 Das ÜUF-Projekt: Identifizierung und Abbau von Über-, Unter- und Fehl- versorgung und Erhebung des Gesundheitszustands der Versicherten – Versorgungsevaluation auf Basis von GKV-Routinedaten ...........................................33 4.1 Allgemeine Forschungsfragen des ÜUF-Projekts ...........................................34
4.1.1 Grundlagen: Die Definition von Über-, Unter- und Fehlversor- gung des Sachverständigenrats im Sondergutachten 2000/2001 .................34
4.1.2 Forschungsfragen des ÜUF-Projekts....................................................35
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
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4.2 Studienpopulationen und Methoden des ÜUF-Projekts ..................................37
4.2.1 Studienpopulationen und Studiendauer des ÜUF-Projekts ..................37
4.2.2 Stichprobengrößen der Studienpopulationen .......................................39
4.2.3 Methoden des Populationenvergleichs.................................................41
4.3 Bisherige Ergebnisse: Die Beobachtungsjahre 2004-2008.............................42
4.3.1 Ausgewählte globale Prävalenzen, Inanspruchnahme- Kennziffern und Qualitätsindikatoren.............................................................43
4.3.1.1 Häufigste Behandlungsanlässe im Jahr 2008 ............................43
4.3.1.2 Versicherte mit Multimorbidität und Multimedikation ..................46
4.3.1.3 Versicherte mit problematischen Arzneimittelverordnungen ......50
4.3.1.4 Weitere globale Kennziffern der Inanspruchnahme ...................53
4.3.2 Indikationsbezogene Kennziffern und Qualitätsindikatoren ..................57
4.3.2.1 Chronische koronare Herzkrankheit (KHK) ................................58
4.3.2.2 Osteoporose und Frakturen........................................................64
4.3.2.3 Kennziffern und Qualitätsindikatoren zu anderen Indikationen im Überblick .......................................................................67
4.4 Diskussion der bisherigen Ergebnisse und Ausblick.......................................72
4.4.1 Diskussion der bisherigen Ergebnisse..................................................72
4.4.2 Ausblick auf den Fortgang des ÜUF-Projekts.......................................80
5 Das COPE-Teilprojekt 2: Prozessevaluation aus Sicht der GK-Leistungspartner (PeGL-Projekt)............................................................................82 5.1 Funktion und Forschungsfragen des PeGL-Projekts ......................................82
5.2 Methoden und Studienpopulation des PeGL-Projekts ....................................84
5.3 Ausgewählte Ergebnisse der ersten drei Befragungen der GK-Leistungspartner aus den Jahren 2008, 2009 und 2010 ................................85
5.3.1 Rücklauf der Befragungen ....................................................................85
5.3.2 Motive der Befragten, der IVGK als Leistungspartner beizutreten, und eventuelle Bedenken gegen die IVGK ................................86
5.3.3 Bewertung der die IVGK tragenden Institutionen..................................91
5.3.4 Kenntnis der IVGK-Gesundheitsprogramme, Vermittlung in Pro- gramme und Einschätzung der Beliebtheit der Programme ..........................92
5.3.5 Bewertung ausgewählter Aspekte des Projektverlaufs und Zufriedenheit mit der IVGK ............................................................................95
5.3.6 Unterschiede zwischen Hausärzten, Fachärzten und sonstigen Leistungspartnern zur Zeit der T3-Befragung..............................................100
5.3.7 Tauglichkeit und Umsetzungsbarrieren der Partizipativen Entscheidungsfindung aus Sicht der Leistungspartner................................103
5.3.7.1 Die Bedeutung von Zielvereinbarungen aus Sicht der Leistungspartner...................................................................................104
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
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5.3.7.2 Tauglichkeit und Umsetzungsbarrrieren der Partizipativen Entscheidungsfindung aus Sicht der Leistungspartner ........................107
5.4 Diskussion der bisherigen Ergebnisse und Ausblick.....................................108
6 Das AGil-Projekt: Aktive Gesundheitsförderung bei alten Menschen im Kinzigtal – Prozess- und Ergebnisevaluation eines Interventionsprogramms im Kontext einer Integrierten Versorgung von AOK-Patienten ...................................111 6.1 Forschungsfragen des AGil-Projekts.............................................................111
6.1.1 Grundlagen: Das Interventionsprogramm „Aktive Gesundheitsförderung im Alter“ ...................................................................111
6.1.2 Forschungsfragen des AGil-Projekts im Kinzigtal...............................112
6.2 Studienpopulation und Methoden des AGil-Projekts im Kinzigtal .................113
6.2.1 Erhebungsmethoden der Prozessevaluation ......................................113
6.2.2 Studiendesign und Erhebungsmethoden der Ergebnisevaluation ......113
6.2.2.1 Ergebnisevaluation mittels Primärdaten ...................................114
6.2.2.2 Ergebnisevaluation mittels GKV-Routinedaten ........................115
6.2.3 Fallzahlenkalkulation und Einschlusskriterien.....................................115
6.3 Bisherige Ergebnisse des AGil-Evaluationsprojekts .....................................116
6.3.1 Ergebnisse der Prozessevaluation .....................................................116
6.3.1.1 Beteiligung am AGil-Programm und soziodemographische Merkmale der Programmteilnehmer .....................................................116
6.3.1.2 Bewertung des AGil-Programms durch die Teilnehmer ...........118
6.3.1.3 Umsetzung der AGil-Empfehlungen laut Angaben der Programmteilnehmer............................................................................120
6.3.1.4 Einschätzung der Nachhaltigkeit des Programms durch Mitglieder der Gesundheitsberater-Teams...........................................122
6.3.1.5 Zur Übertragbarkeit des AGil-Programms von einem großstädtischen auf einen ländlichen Kontext......................................123
6.3.2 Bisherige Resultate der Ergebnisevaluation im Überblick ..................124
6.3.2.1 Veränderungen des Ernährungsverhaltens..............................124
6.3.2.2 Veränderungen des Bewegungsverhaltens..............................125
6.3.2.3 Veränderungen sozialer Teilhaben und sozialer Vorsorge.......125
6.3.2.4 Veränderungen des subjektiven Gesundheitszustands und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität...................................126
6.3.2.5 Anmerkungen zur noch laufenden Ergebnisevaluation auf Basis von GKV-Routinedaten.........................................................126
6.4 Diskussion und Ausblick................................................................................134
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
8
7 Versuch einer Zwischenbilanz der IVGK-Evaluation ...............................................131
8 Literaturverzeichnis..................................................................................................137
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Evaluationsprojekte zur Bearbeitung der Leitfragen der IVGK-Evaluation.......22
Tab. 2: Anzahl der Versicherten der AOK BW nach Versichertengruppe und Beobachtungsjahr (ohne Kassenwechsler) ...........................................................39
Tab. 3: Anzahl der Versicherten der LKK BW nach Versichertengruppe und Beobachtungsjahr (ohne Kassenwechsler) ...........................................................40
Tab. 4: Anteil der im Kinzigtal wohnenden AOK-Versicherten nach Leistungs- partner-Status des behandelnden Arztes .....................................................................40
Tab. 5a: Liste der zehn häufigsten ICD-Gruppen der AOK-Versicherten im ambulanten Sektor: Anteil der Versicherten mit ambulant-ärztlicher Diagnose im Jahr 2008.................................................................................................44
Tab. 5b: Liste der zehn häufigsten ICD-Gruppen der AOK-Versicherten im stationären Sektor: Anteil der Versicherten mit stationärer Hauptent- lassungsdiagnose im Jahr 2008 ...................................................................................44
Tab. 6: Liste der zehn häufigsten ICD-Gruppen der LKK-Versicherten im ambulanten Sektor: Anteil der Versicherten mit ambulant-ärztlicher Diagnose im Jahr 2008.................................................................................................45
Tab. 7: Anteil der AOK-Versicherten mit Multimorbidität nach Beobachtungsjahr .......46
Tab. 8: AOK-Versicherte: Charlson-Komorbiditäts-Index .............................................48
Tab. 9: Anteil der AOK-Versicherten mit Multimedikation nach Beobachtungsjahr......49
Tab. 10: Anteil der LKK-Versicherten mit Multimedikation nach Beobachtungsjahr.....50
Tab. 11: AOK-Versicherte mit längerfristiger Verordnung von Benzodiazepinen (>20 DDD) .................................................................................51
Tab. 12: Längerfristige Verordnung von Benzodiazepinen (>20 DDD) bei LP-Patienten und NLP-Patienten im Kinzigtal ..............................................................51
Tab. 13: Anteil der Patienten mit >30 DDD an Anxiolytika, Sedativa, Hypnotika in mindestens einem Quartal des Jahres an allen Empfängern dieser Wirkstoffe (nur AOK-Versicherte) ......................................................................52 Tab. 14: Anteil der Patienten mit >75 DDD an NSAR in mindestens einem Quar- tal des Jahres an allen Empfängern dieser Wirkstoffe (nur AOK-Versicherte).............53
Tab. 15: Anteil der AOK-Versicherten mit Praxiskontakt nach Beobachtungsjahr .......54
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9
Tab. 16: Anteil der AOK-Versicherten mit Praxiskontakt und Notfallschein..................55
Tab. 17: Anteil der AOK-Versicherten mit Pflegestufe I-III (SGB XI) ............................56
Tab. 18: Generikaanteil der AOK-Versicherten ............................................................56
Tab. 19: Generikaanteil der LKK-Versicherten .............................................................57
Tab. 20: Anteil der AOK-Versicherten mit chronischer KHK.........................................59
Tab. 21: Anteil der KHK-Patienten mit TAH-Verordnung..............................................60
Tab. 22: Anteil der KHK-Patienten mit Betablocker-Verordnung..................................61
Tab. 23: Anteil der KHK-Patienten mit Statin-Verordnung............................................62
Tab. 24: Anteil der KHK-Patienten mit Koronarangiographie .......................................62
Tab. 25: Anteil der KHK-Patienten mit Koronarangiographie und Interventionen ........63
Tab. 26: Anteil der AOK-Versicherten mit Osteoporose ...............................................65
Tab. 27: Anteil der Osteoporose-Patienten mit Fraktur unter den Bekannten Osteoporose-Patienten...............................................................................66
Tab. 28: Anteil der Osteoporose-Patienten mit Fraktur, die eine osteoporosespezifische Therapie erhalten ...................................................................67
Tab. 29a: Wichtige Kennziffern und Qualitätsindikatoren zur Versorgung der AOK-Versicherten im Zeitraum 2004-08, bewertet aus Kinzigtal-Sicht (Referenz-gruppe: AOK-Versicherte im übrigen Baden-Württemberg) – Teil A ............................76
Tab. 29b: Wichtige Kennziffern und Qualitätsindikatoren zur Versorgung der AOK-Versicherten im Zeitraum 2004-08, bewertet aus Kinzigtal-Sicht (Referenz-gruppe: AOK-Versicherte im übrigen Baden-Württemberg) – Teil B ............................77
Tab. 29c: Wichtige Kennziffern und Qualitätsindikatoren zur Versorgung der AOK-Versicherten im Zeitraum 2004-08, bewertet aus Kinzigtal-Sicht (Referenz-gruppe: AOK-Versicherte im übrigen Baden-Württemberg) – Teil C............................78
Tab. 30: Charakteristika der Interventionsgruppe und der beiden Vergleichsgrup- pen der AGil-Studie (AOK-Versicherte mit zuordenbaren GKV-Routinedaten)..........127
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
10
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Beteiligung der Patienten an Therapieentscheidungen beim letzten Hausarztbesuch in der T0- und T2-Befragung (Instrument: PEF-FB, Werte- Bereich 0 – 100) ...........................................................................................................26 Abb. 2: Zufriedenheit mit der hausärztlichen Versorgung in der T0- und T2-Befragung (Instrument: ZAV, Wertebereich 0 – 100) ..............................................27 Abb. 3: Körperliche Lebensqualität in der T0- und T2-Befragung (Instrument: SF-12, Wertebereich 0 – 100) ..................................................................27 Abb. 4: Grundzüge des Studiendesigns des ÜUF-Projekts..........................................38 Abb. 5: Beteiligung an der Drittbefragung der GK-Leistungspartner: Anzahl (und Anteil der Responder in %) nach Berufsgruppe ...................................................86 Abb. 6: Motive der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten für den Beitritt zu „Gesundes Kinzigtal“ – Erstbefragung 2008.................................................87 Abb. 7: Motive der sonstigen Leistungspartner für den Beitritt zu „Gesundes Kinzigtal“ – Drittbefragung 2010............................................................88 Abb. 8: Bedenken der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten gegen „Gesundes Kinzigtal“ – Erstbefragung 2008.................................................................89 Abb. 9: Bedenken der sonstigen Leistungspartner gegen „Gesundes Kinzigtal“ – Drittbefragung 2010 ...................................................................................90 Abb. 10: Beurteilung des Ärztenetzes MQNK/des Ärztlichen Beirats, der AOK BW und der LKK BW und der Geschäftsstelle der Gesundes Kinzigtal GmbH bei allen Befragten ............................................................................................91 Abb. 11: Kenntnis der Programme, Vermittlung von Patienten in die Programme und Einschätzung der Beliebtheit der Programme – alle Befragte ...............................93 Abb. 12: Kenntnis der Programme, Vermittlung von Patienten in die Programme und Einschätzung der Beliebtheit der Programme bei denjenigen Befragten (N=20), die an allen bisherigen Befragungen teilgenommen haben ............................94 Abb. 13: Bewertung der Effekte der IVGK auf die eigene Praxis bzw. Institution.........95 Abb. 14: Bewertung der Effekte der IVGK auf die eigene Praxis bzw. Institution durch diejenigen Befragten (N=20), die an allen bisherigen Befragungen teilgenommen haben ....................................................................................................96 Abb. 15: Entwicklung von Informationsaustausch und Kooperation aus Sicht der Leistungspartner.....................................................................................................97
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
11
Abb. 16: Entwicklung von Informationsaustausch und Kooperation aus Sicht derjenigen Leistungspartner (N=20), die an allen bisherigen Befragungen teilgenommen haben ....................................................................................................98 Abb. 17: Zufriedenheit mit dem bisherigen Projektverlauf ............................................99 Abb. 18: Zufriedenheit mit dem bisherigen Projektverlauf bei denjenigen Befragten (N=20), die an allen bisherigen Befragungen teilgenommen haben ............................99 Abb. 19: Bewertung der Effekte der IVGK auf die eigene Praxis bzw. Institution bei Hausärzten, Fachärzten und sonstigen Leistungspartnern in der T3-Befragung..............................................................................................................100 Abb. 20: Entwicklung von Kooperation und Informationsaustausch in der IVGK aus Sicht von Hausärzten, Fachärzten und sonstigen Leistungspartnern bei der T3-Befragung........................................................................................................101 Abb. 21: Zufriedenheit mit dem bisherigen Projektverlauf bei Hausärzten, Fachärzten und sonstigen Leistungspartnern zur Zeit der T3-Befragung ..................102 Abb. 22: Zielvereinbarungen (ZV) aus Sicht von Haus- und Fachärzten I .................104 Abb. 23: Zielvereinbarungen (ZV) aus Sicht von Haus- und Fachärzten II ................105 Abb. 24: Funktionalität und Umsetzungsbarrieren einer Partizipativen Entscheidungsfindung (PEF) ......................................................................................107 Abb. 25: Fallzahlenentwicklung der AGil-Programmteilnehmer .................................117 Abb. 26: Zufriedenheit der AGil-Teilnehmer mit den Vorträgen der AGil-Interven- tion (Äußerungen zur Aussage „Mit den Vorträgen war ich insgesamt zufrieden“) ....118 Abb. 27: Zufriedenheit der AGil-Teilnehmer mit der Kleingruppenarbeit (Äuße- rungen zur Aussage „Mit der Kleingruppenarbeit war ich insgesamt zufrieden“) .......119 Abb. 28: Umsetzung der AGil-Empfehlungen zu gesunder Ernährung sechs Monate nach Intervention (Antworten auf die Frage „Konnten Empfehlungen zur Ernährung schon umgesetzt werden?“)................................................................120 Abb. 29: Umsetzung der AGil-Empfehlungen zu körperlicher Aktivität (Antworten auf die Frage „Konnten Empfehlungen zu körperlicher Aktivität bereits umgesetzt werden?“)....................................................................................................................121
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
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1 Zusammenfassung
Die Evaluation der Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK) verfolgt Frage-
stellungen, die sich aus den Zielen der IVGK ableiten. Hauptziel der IVGK ist, in der
Region Kinzigtal in Südbaden eine wirtschaftlichere Gesundheitsversorgung bei min-
destens gleich bleibender Versorgungsqualität – möglichst aber bei steigender Versor-
gungsqualität – zu erreichen. Bei der sektorenübergreifenden Koordination der Versor-
gung arbeitet die Managementgesellschaft Gesundes Kinzigtal GmbH eng mit den
Vertragspartnern AOK Baden-Württemberg und LKK Baden-Württemberg zusammen,
die für ihre im Kinzigtal wohnenden Versicherten mit der Gesundes Kinzigtal GmbH
langfristige Versorgungsverträge abgeschlossen haben. Diese haben zunächst eine
Laufzeit bis 30. Juni 2015 (AOK Baden-Württemberg) bzw. 31. Dezember 2015 (LKK
Baden-Württemberg); in beiden Fällen besteht die Option einer Vertragsverlängerung.
Bislang scheint es, als könne das Teilziel einer ökonomischeren Gesundheits-
versorgung im Kinzigtal erreicht werden: Die finanziellen Ergebnisse für die ersten
Jahre nach erfolgtem Strukturaufbau zeigen, dass es bereits in diesem Zeitraum
gelungen ist, die Gesundheitsversorgung der AOK- und LKK-Versicherten im Kinzigtal
zunehmend wirtschaftlicher zu gestalten als vor dem Start der IVGK (vgl. Abschnitt
2.1).
Angesichts dieses doppelten Ziels der IVGK kommt der wissenschaftlichen Eva-
luation die wichtige Aufgabe zu, Aspekte der Versorgungsqualität im Kinzigtal und in
der IVGK zu erheben und zu bewerten. Von Beginn an lag den Gründern und Ver-
tragspartnern der IVGK viel daran, besonders die Qualitätsaspekte der Versorgung im
Kinzigtal gründlich und von unabhängigen Forschungsinstituten untersuchen zu las-
sen. Dafür haben sie nicht nur beträchtliche Summen für die Durchführung der Eva-
luation bereitgestellt, sondern auch beachtliche Kapazitäten u. a. für ein umfang-
reiches Datenmanagement. All dies hat dazu geführt, dass die Evaluation der IVGK
einmalig ist in der Geschichte der Integrierten Versorgung in Deutschland, denn
nirgendwo sonst existiert für Projekte der Integrierten Versorgung eine derart umfang-
reiche und unabhängige Evaluation.
1.1 SDM-Projekt Das SDM-Projekt (Kapitel 3) wird von Prof. Dr. Dr. Martin Härter (Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf und Universitätsklinikum Freiburg) geleitet und von seinem Frei-
burger Forschungsteam durchgeführt. Mittels einer dreiarmigen kontrollierten Kohor-
tenstudie untersucht das Projektteam in erster Linie die Frage, ob es im Kontext eines
integrierten Versorgungssystems wie der IVGK und durch spezifische Fortbildungsver-
anstaltungen für Ärzte gelingt,
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
13
- die Patienten stärker an Therapieentscheidungen zu beteiligen als in der her-
kömmlichen Versorgung und
- zu einer höheren Zufriedenheit der Versicherten beizutragen.
Im SDM-Projekt werden weitere Ziel-Parameter erhoben wie z.B. die Lebensqualität
der Versicherten oder die Entscheidungskonfidenz von Patienten, d.h. das Ausmaß, in
dem diese den Eindruck haben, zusammen mit ihrem Arzt informierte und wohlabge-
wogene Entscheidungen getroffen zu haben.
Bislang haben im SDM-Projekt drei Versichertenbefragungen im Abstand von
jeweils einem Jahr stattgefunden. Bei der dritten Befragung (T2-Befragung) zeigte sich
lediglich bei einer der insgesamt neun Zielvariablen ein Interventionseffekt, d.h. eine
signifikant unterschiedliche Entwicklung der Zielvariablen in den einzelnen Studien-
gruppen: Das Ausmaß der erlebten Beteiligung an Therapieentscheidungen ging bei
allen drei Studiengruppen im Zeitverlauf zurück, aber entgegen den Forschungshypo-
thesen war der Rückgang in der Gruppe der IV-Versicherten signifikant stärker als in
den beiden Vergleichsgruppen. Dies schlug sich jedoch nicht bedeutsam in der Zufrie-
denheit der Versicherten mit der hausärztlichen Versorgung insgesamt nieder – die
Zufriedenheitswerte der IV-Versicherten wurden bislang von keiner der anderen Stu-
diengruppen übertroffen (vgl. Abschnitt 3.3.5).
Da wir die signifikant stärker zurückgehende erlebte Patientenbeteiligung in der
Interventionsgruppe für erklärungsbedürftig halten, diskutieren wir dieses Ergebnis
ausführlich in Abschnitt 3.4.1.2.
1.2 ÜUF-Projekt
Das ÜUF-Projekt, dessen bisherige Ergebnisse wir in Kapitel 4 zusammenfassen und
diskutieren, soll Antworten auf zwei entscheidende Fragen liefern: Entwickelt sich die
Gesundheit der Versicherten in der IVGK und in der Region Kinzigtal seit Beginn des
IVGK-Projekts günstiger als im übrigen Baden-Württemberg? Gelingt es im Zuge des
Ausbaus der IVGK, Phänomene der Über-, Unter- und Fehlversorgung (nach der Defi-
nition des Sachverständigenrats) im Vergleich zum übrigen Baden-Württemberg zu
reduzieren und so die komparative Versorgungsqualität im Kinzigtal zu erhöhen?
Das ÜUF-Projekt, durchgeführt von der PMV forschungsgruppe an der Univer-
sität zu Köln unter der Leitung von Frau Dr. Ingrid Schubert, basiert auf dem Design
einer bevölkerungsbezogenen quasi-experimentellen kontrollierten Studie. Dabei gel-
ten die im Kinzigtal wohnenden AOK- und LKK-Versicherten als Interventionsgruppe;
zum Vergleich wird eine für das übrige Baden-Württemberg repräsentative Zufalls-
stichprobe aller volljährigen AOK- und LKK-Versicherten herangezogen. Bei Popula-
tionsvergleichen werden die Ergebnisse der baden-württembergischen Vergleichs-
gruppe stets standardisiert auf die im Kinzigtal vorgefundene Alters- und Geschlechts-
verteilung der volljährigen AOK- und LKK-Versicherten. Die in der Studie analysierten
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
14
Daten sind sektorübergreifende pseudonymisierte GKV-Routinedaten der beteiligten
Versicherten.
Die Interventionsgruppe geht in Form einer Vollerhebung in die Studie ein (ca.
31.000 Versicherte), während für die Vergleichsgruppe eine Zufallsstichprobe gezo-
gen wurde, die rund 20 % der Grundgesamtheit beträgt (ca. 500.000 Versicherte). Als
Basisjahr der Studie gilt das Jahr 2004, da es das letzte interventionsfreie Kalen-
derjahr darstellt; alle darauf folgenden Beobachtungsjahre (2005 bis 2011) sind dem-
entsprechend Jahre mit einer sukzessive zunehmenden Interventionsintensität.
Die Zwischenergebnisse, die wir im gegenwärtigen Evaluationsbericht darstellen
und interpretieren, beruhen auf einer Analyse des Zeitraums 2004-2008. Den Untersu-
chungen zur Versorgungsqualität, die die PMV forschungsgruppe mittels Qualitätsindi-
katoren und anderen Kennziffern analysiert, entnehmen wir, dass die Versorgungs-
qualität im Kinzigtal und in der IVGK alles in allem als relativ gut einzuschätzen ist und
sich im Zeitraum 2004-08 insgesamt positiv entwickelt hat.
So sind einige Phänomene der Über-, Unter- und Fehlversorgung (im Sinne des
Sachverständigenrats) in der IVGK und im Kinzigtal erkennbar geringer ausgeprägt
als im übrigen Baden-Württemberg. Dies betrifft insbesondere die Prävalenz proble-
matischer Arzneimittelverordnungen wie z.B. die längerfristige Verordnung von Benzo-
diazepinen oder generell von anderen Arzneimitteln mit Abhängigkeitspotential. So
fanden sich im Jahr 2008 nur bei 2,4% der volljährigen AOK-Versicherten länger-
fristige Benzodiazepin-Verordnungen zu Lasten der GKV, während es im übrigen Ba-
den-Württemberg (alters- und geschlechtsstandardisiert) 3,9% waren.
Auch bei indikationsspezifischen Kennziffern und Qualitätsindikatoren sind für
das Kinzigtal komparative Verbesserungen häufiger zu verzeichnen als komparative
Verschlechterungen. Sehr eindrücklich ist zum Beispiel, dass es im Kinzigtal im
Zeitraum 2004-08 gelang, den Anteil der Patienten mit Fraktur unter den bekannten
Osteoporose-Patienten auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau konstant zu
halten, wohingegen der von Beginn an höhere Anteil im übrigen Baden-Württemberg
im selben Zeitraum weiter anstieg (vgl. Abschnitt 4.3.2.2). Für den Zeitraum 2004-
2008 jedenfalls lässt sich im Hinblick auf Phänomene der Über-, Unter- und Fehl-
versorgung und auf sonstige wichtige Kennziffern für das Kinzigtal eine insgesamt
positive Bilanz erkennen (vgl. Abschnitt 4.4.1).
Auch hinsichtlich der zweiten großen Forschungsfrage des ÜUF-Projekts er-
scheinen die bisherigen Zwischenergebnisse angesichts der Ziele der IVGK viel
versprechend: Bei fast allen untersuchten Indikationen zeigt sich, dass die admini-
strativen Prävalenzen im Zeitraum 2004-2008 im Kinzigtal langsamer stiegen – oder
ggf. stärker zurückgingen – als im übrigen Baden-Württemberg. Aus verschiedenen
Gründen halten wir es aber für verfrüht, diesen bislang erkennbaren Trend bereits jetzt
– auf Basis von lediglich fünf Beobachtungsjahren – als hinreichend stabil und
verlässlich anzusehen. Diese Vorbehalte diskutieren wir ausführlich in Abschnitt 4.4.1
und in Kapitel 7.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
15
1.3 PeGL-Projekt
Das dritte Evaluationsprojekt, dessen Ergebnisse wir in Kapitel 5 zusammenfassen, ist
die seit 2008 jährlich stattfindende Befragung der GK-Leistungspartner, die „Prozess-
evaluation aus Sicht der GK-Leistungspartner“ (PeGL). Das Projekt wird von Dr. Matt-
hias Nübling (Gesellschaft für empirische Beratung, Denzlingen) geleitet.
Von diesem Projekt erhoffen wir uns unter anderem Antworten auf die folgenden
beiden Fragen: Wie zufrieden sind die am IV-Projekt beteiligten Ärzte und andere Lei-
stungspartner mit der IVGK und verschiedenen Aspekten des Projektverlaufs? Ent-
steht im Zuge des Aufbaus der IVGK eine intensivere Kooperation zwischen Vertre-
tern verschiedener medizinischer Disziplinen und verschiedener anderer Gesundheits-
berufe?
Auf die erste Frage bieten die bisherigen Ergebnisse des PeGL-Projekts eine
ermutigende Antwort: Die Zufriedenheit der GK-Leistungspartner mit dem IVGK-Pro-
jekt war bei allen drei bisherigen Befragungen (2008, 2009 und 2010) sehr hoch: Rund
94 % der im Jahr 2010 per Fragebogen antwortenden Leistungspartner würden wieder
Mitglied in GK werden, wenn sie noch einmal vor der Entscheidung stünden. Ein
genauso hoher Anteil der Leistungspartner würde anderen „die Mitgliedschaft in GK
empfehlen“. Vor allem im Hinblick auf die Frage, ob sich für die Leistungspartner auch
konkrete Vorteile – auch finanzieller Art – durch die Kooperation mit der IVGK ergeben
hätten, unterscheiden sich die Antworten der Leistungspartner je nach Berufsgruppe:
So gaben die Hausärzte am häufigsten positive Antworten, gefolgt von den Fach-
ärzten und den sonstigen Leistungspartnern (Klinikärzte, Physiotherapeuten, Vertreter
von Pflegeheimen und Pflegediensten). Die Hausärzte unter den IVGK-Leistungs-
partnern äußern sich im Übrigen auch im Hinblick auf die klassischen Fragen der Ge-
samtzufriedenheit am positivsten.
Hinsichtlich der zweiten Forschungsfrage lässt sich anhand der Daten der Dritt-
befragung (2010) ebenfalls ein positiver Trend erkennen: So haben sich aus Sicht der
Mehrheit der Befragten z.B. „die Kooperation und der Informationsaustausch mit
anderen Praxen und Leistungserbringern seit Beginn der IVGK vorteilhaft entwickelt“.
Dieser Trend ist am klarsten bei der Subgruppe derjenigen Befragten festzustellen, die
an allen drei Befragungen teilgenommen haben und demzufolge auch schon seit
Beginn des Jahres 2008 mit der IVGK kooperieren. Auffällig ist, dass bei dieser Frage
Fachärzte und vor allem Hausärzte häufiger eine positive Antwort geben als die
sonstigen Leistungspartner. Bei dieser grundsätzlichen Frage der interdisziplinären
Kooperation scheint es also auch für die IVGK noch Entwicklungspotential zu geben –
zumindest aus Sicht der sonstigen Leistungspartner. Allerdings ist zu berücksichtigen,
dass viele der „sonstigen Leistungspartner“ zum Zeitpunkt der Drittbefragung 2010
noch nicht lange IVGK-Leistungspartner waren und demzufolge auch nur für eine
kurze Zeit Erfahrungen mit der IVGK sammeln konnten. Gerade im Hinblick auf die bei
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
16
der letzten Befragung feststellbaren Unterschiede zwischen den drei Leistungspart-
nergruppen ist also noch vieles „im Fluss“.
1.4 AGil-Projekt
Das mittlerweile beendete AGil-Programm im Kinzigtal hatte das Ziel, Senioren ab 60
Jahren zu einer möglichst gesunden Ernährung, zu körperlicher Aktivität und sozialer
Teilhabe zu befähigen. Dies sollte zum einen durch eine halbtägige Veranstaltung er-
reicht werden, die sowohl Informations- und Beratungskomponenten als auch Klein-
gruppenarbeit umfasst. Zum anderen sollte dies durch einen Empfehlungsbrief ge-
schehen, der individuelle Tipps zu gesunder Ernährung und zur Steigerung körper-
licher Aktivität enthält. Diesen Empfehlungsbrief erhalten alle Programmteilnehmer
zwei Wochen nach der Veranstaltung.
Das AGil-Evaluationsprojekt wird von Prof. Dr. Olaf von dem Knesebeck (Univer-
sitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) geleitet. Die vom Bundesministerium für Bildung
und Forschung finanzierte AGil-Studie hat die Aufgabe, das AGil-Programm im Kin-
zigtal zu evaluieren, und zwar in Form einer Prozessevaluation wie auch einer um-
fangreichen Ergebnisevaluation. Bei letzterer werden Effektivität und Effizienz des
AGil-Programms untersucht; dabei soll die dreifache Frage beantwortet werden, ob
das AGil-Programm in einer ländlichen Gegend wie dem Kinzigtal geeignet ist,
1. den Programmteilnehmern zu einem besseren Gesundheitszustand zu ver-
helfen,
2. bei den Programmteilnehmern ein anderes Verhalten bei der Inanspruchnah-
me von Versorgungsleistungen in Gang zu setzen und
3. die Versorgungskosten der Programmteilnehmer im Vergleich zu Nicht-Teil-
nehmern zu verändern.
Zur Beantwortung vor allem der letzten beiden Fragen werden Primärdaten (Frage-
bogendaten) der Programmteilnehmer mit deren pseudonymisierten GKV-Routine-
daten verknüpft; diese werden dann mit den GKV-Routinedaten zweier Kontrollgrup-
pen retrospektiv verglichen (retrospektive kontrollierte Kohortenstudie). Die pseudo-
nymisierten GKV-Routinedaten werden von der AOK Baden-Württemberg zur Ver-
fügung gestellt. Zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage werden im Wesent-
lichen Primärdaten herangezogen, die durch die Befragung der Programmteilnehmer
mittels teilstandardisierter Fragebögen erhoben wurden.
Bislang liegen uns die Ergebnisse der Prozessevaluation und eines Teils der
Ergebnisevaluation vor. Die Auswertung der Ergebnisse, die auf den GKV-Routine-
daten der AGil-Programmteilnehmer beruhen, dauert hingegen noch an. Die AGil-
Teilnehmer selbst erlebten die Intervention offenkundig als sehr nützlich. Rund 98 %
aller per Fragebogen antwortenden Teilnehmer würden die Teilnahme am AGil-
Programm auch Freunden weiterempfehlen. Nach der Teilnahme am AGil-Programm
änderte sich das – per Fragebogen ermittelte – Ernährungsverhalten der Teilnehmer
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
17
signifikant in dem Sinne, dass diese häufiger als zuvor Obst und Gemüse aßen. Auch
engagierten sich die Programmteilnehmer nach der Intervention signifikant häufiger
als zuvor, und auch soziale Vorsorgemaßnahmen (Patientenverfügungen und Vor-
sorgevollmachten) wurden nach der Intervention von den am AGil-Programm teilneh-
menden Frauen signifikant häufiger getroffen als zuvor. Bei einer ganzen Reihe von
Ergebnisparametern konnten jedoch keine signifikanten Änderungen gemessen wer-
den; dies gilt auch für die gesundheitsbezogene Lebensqualität, die wohl den wich-
tigsten Ergebnisparameter darstellt, der mittels Primärdaten erhoben wurde. Da die
entsprechenden Fragebogendaten nur bei der Interventionsgruppe und nicht auch
noch bei einer Kontrollgruppe erhoben wurden, ist es aus methodischen Gründen pro-
blematisch, die bei den AGil-Teilnehmern festgestellten signifikanten Änderungen auf
die Programmteilnahme zurückzuführen. So kann z. B. die bei den AGil-Teilnehmern
gefundene Zunahme an sozialen Vorsorgemaßnahmen auch nur einen säkularen ge-
sellschaftlichen Trend widerspiegeln. Das würde bedeuten, dass die Teilnahme am
AGil-Programm nicht ursächlich wäre für die bei den Programmteilnehmern festge-
stellte Zunahme an sozialen Vorsorgemaßnahmen.
Die Ergebnisparameter, die auf Basis von GKV-Routinedaten ermittelt werden,
wurden nicht nur bei der Interventionsgruppe – den AGil-Programmteilnehmern –
erhoben, sondern retrospektiv auch bei zwei Kontrollgruppen. Dieser Teil der Ergeb-
nisevaluation beruht also auf einem methodologisch aussagekräftigeren Studien-
design (kontrollierte Kohortenstudie) als der Teil, der auf Primärdaten basiert. Man
darf also gespannt sein, welche Resultate sich bei der noch ausstehenden Auswer-
tung der GKV-Routinedaten ergeben. Die Ergebnisevaluation des AGil-Programms
wird voraussichtlich noch im Lauf des Jahres 2012 abgeschlossen sein.
1.5 Resümee
Aus den bisherigen externen Evaluationsstudien ergibt sich in unseren Augen bislang
eine insgesamt positive Zwischenbilanz für die IVGK: In vielen Bereichen können wir
Anzeichen für eine relativ hohe Versorgungsqualität erkennen, die häufig – auch im
Vergleich mit dem übrigen Baden-Württemberg – im Zeitraum 2004-08 weiter ge-
stiegen ist. Deutlich seltener gibt es Indizien für eine (absolute oder komparative) Ver-
schlechterung der Versorgungsqualität. Dass die bisherigen Ergebnisse im SDM-Pro-
jekt eine etwas zurückgehende erlebte Beteiligung von Patienten an Therapieent-
scheidungen zeigen – siehe unsere ausführliche Diskussion in Abschnitt 3.3 und in
Kapitel 7 –, stellt das bislang recht positive Gesamtbild unseres Erachtens nicht in
Frage.
Zu welchem Ergebnis die Evaluationsprojekte am Ende auch gelangen werden –
in jedem Fall scheint uns die Evaluation der IVGK geeignet, praxisrelevante Antworten
auf wichtige Fragen zur Gestaltung der zukünftigen Gesundheitsversorgung in
Deutschland hervorzubringen.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
18
2 Fragestellungen der Evaluation der Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK)
Die Evaluation der Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK) soll verschie-
dene Fragestellungen beantworten, die sich von den Zielen und dem Charakter des IV-
Projekts „Gesundes Kinzigtal“ ableiten. Wir umreißen deshalb zunächst kurz die Haupt-
ziele der IVGK.
2.1 Hauptziele der IVGK
Hauptziel des IV-Projekts „Gesundes Kinzigtal“ ist, eine – im Vergleich zur herkömm-
lichen Versorgung – wirtschaftlichere Gesundheitsversorgung im Kinzigtal zu organi-
sieren, und zwar ohne Abstriche bei der Versorgungsqualität.
Dieses doppelte Ziel wird auf Basis eines integrierten Versorgungssystems ange-
strebt: Die Träger der IVGK versuchen also, die Kooperation der verschiedenen Lei-
stungserbringer über Berufs- und Sektorengrenzen hinweg zu optimieren, um die übli-
chen Schnittstellenprobleme des herkömmlichen Versorgungssystems und die daraus
resultierenden ökonomischen Ineffizienzen zu überwinden. Darüber hinaus legen Be-
treiber und Initiatoren der IVGK großes Gewicht auf Prävention: Mit zielgenauen Prä-
ventionsprogrammen zu verschiedenen Indikationen soll die Entstehung von Krank-
heiten (bzw. von Folgeerkrankungen) aufgeschoben oder – wenn möglich – verhindert
werden. Dies soll mittel- und langfristig ebenfalls zu Effizienzgewinnen führen (Her-
mann et al. 2006, Hildebrandt et al. 2010). Das Ziel einer höheren Wirtschaftlichkeit der
IVGK wollen Betreiber und Vertragspartner der IVGK ausdrücklich nicht auf Kosten der
Versorgungsqualität erreichen: Mit Blick auf die herkömmliche Versorgung soll eine
mindestens gleich hohe, möglichst aber eine höhere Versorgungsqualität etabliert
werden. Aus Sicht des IVGK-Managements gilt es also zu verhindern, dass die höhere
Wirtschaftlichkeit der Versorgungsregion Kinzigtal durch eine sich im Vergleich ver-
schlechternde Versorgungsqualität erkauft wird.
Das erste dieser beiden Ziele – eine höhere Wirtschaftlichkeit – scheint bereits in
Reichweite: Die bisherigen finanziellen Ergebnisse der IVGK, die im Fall der AOK-
Versicherten für die Jahre bis einschließlich 2008 vorliegen und im Fall der LKK-
Versicherten bis einschließlich 2010 (Stand: Januar 2012), erbrachten für die Versi-
cherten im Kinzigtal deutliche und zunehmende Deckungsbeitragsverbesserungen in
Bezug auf den Deckungsbeitrag vor dem Start der IVGK (vgl. Rabatta 2009, Daul
2009, Optimedis AG 2011, Staeck 2012). Diese positiven finanziellen Ergebnisse
waren angesichts des erst unmittelbar zuvor vollzogenen Strukturaufbaus der IVGK in
ihrer Höhe überraschend. Derart deutliche Deckungsbeitragserhöhungen waren erst
später erwartet worden (Hildebrandt et al. 2010: 10).
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
19
2.2 Der Stellenwert der Evaluation der IVGK Die Relevanz der wirtschaftlichen Ziele der IVGK für die Fragestellungen der Evalua-
tion wird klarer, wenn man sich vergegenwärtigt, was eine Deckungsbeitragserhöhung
bedeutet. Den Deckungsbeitrag der Kinzigtal-Versicherten zu erhöhen ist gleichbedeu-
tend damit, bei der Versorgung der Kinzigtal-Versicherten im Vergleich zur Kostenent-
wicklung der Referenzbevölkerung (hier: Versicherte in Deutschland-West) Kosten ein-
zusparen. Eine Deckungsbeitragserhöhung bedeutet also stets eine komparative Ko-
steneinsparung.
Angesichts der bislang positiven finanziellen Ergebnisse der IVGK wird die
Relevanz der wissenschaftlichen Evaluation der IVGK umso größer: Die Aufgabe der
Evaluation, die Entwicklung der Versorgungsqualität im Kinzigtal und in der IVGK zu
untersuchen – und zwar auch im Vergleich zur herkömmlichen Versorgung –, wird
dadurch zur Untersuchung der Frage, ob die positiven finanziellen Ergebnisse der
IVGK auch mit einer absolut und/oder komparativ sich erhöhenden Versorgungsqua-
lität einhergehen oder aber ob sie durch eine absolut oder komparativ sich verschlech-
ternde Versorgungsqualität erkauft wurden. Letzteres wäre z.B. der Fall, wenn im
Kinzigtal Phänomene der Unter- oder Fehlversorgung stärker zunähmen (oder in
geringerem Ausmaß zurückgingen) als in der herkömmlichen Versorgung.
Vor dem Hintergrund der Geschichte von Managed-Care-Organisationen in der
Schweiz und in den USA könnte man theoretisch noch eine weitere unerwünschte
Quelle von Einsparungen vermuten (Lehmann & Zweifel 2004: 1010; Leu & Beck 2007:
123): eine vorrangige Selektion so genannter „guter Risiken“, also vergleichsweise
gesunder Versicherter, im Einzugsbereich der IVGK. Dies ist im Fall der IVGK bei
genauerer Betrachtung zum einen theoretisch unplausibel, da es keine finanziellen
Anreize für eine Risikoselektion gibt (Hermann et al. 2006: 21; Siegel et al. 2008). Zum
anderen lassen sich keinerlei empirische Indizien für eine solche Risikoselektion finden
– vielmehr ist das Gegenteil der Fall (ebd.: 232ff; Köster et al. 2011a: 12).
Als Möglichkeit, positive finanzielle Ergebnisse mit nicht erwünschten Mitteln zu
erreichen, bleibt also nur die theoretische Möglichkeit einer zunehmenden (absoluten
oder komparativen) Unter- und Fehlversorgung der Kinzigtal-Versicherten, d.h. einer
absoluten oder relativen Verschlechterung der Versorgungsqualität.
2.3 Leitende Fragestellungen der IVGK-Evaluation
Auf der Grundlage derartiger Überlegungen wurden bereits im Jahr 2006 folgende
neun Leitfragen für die Evaluation der IVGK formuliert und in den „Vorschlag für ein
Rahmenkonzept“ (Stößel 2006) der Evaluation aufgenommen:
1) Inwieweit eignet sich ein solches Modell, Unter-, Fehl- und Überversorgung
(entsprechend der Definition des BMG und des Sachverständigenrates) zu
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
20
identifizieren und durch geeignete Interventionen auf personaler (personen-
bezogener) und struktureller (versorgungsbezogener) Ebene abzubauen?
2) Inwieweit trägt ein solches Modell zur stärkeren Patientenaktivierung und Be-
teiligung an Entscheidungsprozessen in Prävention, Kuration und Rehabilitation
und zur Stärkung von Selbsthilfeinitiativen bei?
3) Trägt ein solches Modell zu einer Qualitätssteigerung in den Versorgungs-
strukturen und Abläufen innerhalb der Sektoren und sektorenübergreifend bei?
4) Verändern sich Berufszufriedenheit bei Ärzten und die Patientenzufriedenheit
im Sinne einer effektiven und effizienten Nutzung von Versorgungsangeboten?
5) Erzeugt ein solches Modell ein höheres Wirtschaftlichkeitspotential ohne Ein-
bußen an Qualität der Versorgung und Zufriedenheit bei den Versorgern und
Patienten?
6) Verbessert ein solches Modell die fachliche Kooperation der Gesundheitsberufe
untereinander?
7) Lassen sich auf der Ebene des gesundheitlichen Outcomes bei den Patienten
im präventiven, kurativen und rehabilitativen Bereich Indikatoren identifizieren
und messen, die einen Vergleich des Outcomes mit Vergleichspopulationen
und –regionen ermöglichen?
8) Lassen sich durch die Verknüpfung von GKV-Routinedaten mit Daten aus Pri-
märerhebungen Erkenntnisse generieren, die für Integrierte Versorgungssyste-
me eine bessere Entscheidungsgrundlage erlauben?
9) Welchen Einfluss haben mögliche Gesetzesänderungen auf die Ausgestaltung
und den Ablauf des Modells?
Mittlerweile hat sich bei der Operationalisierung der Fragen in Form von funktions-
fähigen Evaluationsmodulen (Forschungsprojekten) gezeigt, dass etliche dieser neun
Fragen inhaltlich redundant sind, d.h. die Fragen überschneiden sich zum Teil. Dies ist
z.B. der Fall bei den Fragen 1) und 3) und 7): Steigerungen der Versorgungsqualität –
vgl. die Fragen 3), 5) und 7) – lassen sich reliabel und valide beispielsweise mit Quali-
tätsindikatoren messen, die zumindest teilweise dann auch einen Zustand oder eine
Entwicklung von Über-, Unter- oder Fehlversorgung anzeigen. Sodann sollten „Steige-
rungen“ der Versorgungsqualität bzw. die Entwicklung gesundheitlicher, patientenbe-
zogener Ergebnisparameter sinnvollerweise von vornherein nicht nur absolut, d.h. in
der begrenzten Region Kinzigtal, gemessen werden (wie es mit dem Wortlaut der
Fragen 1), 3) und 5) noch vereinbar wäre), sondern grundsätzlich auch komparativ in
Bezug auf eine Vergleichspopulation, wie es in Frage 7) formuliert ist.
Im Zuge der Ausschreibung einzelner Evaluationsmodule und der damit einher-
gehenden Operationalisierung der Forschungsfragen haben wir die Leitfragen der
Evaluation der IVGK kompakter gefasst und in Form folgender sieben Fragen reformu-
liert:
1. Gelingt es im Zuge der Etablierung des integrierten Versorgungssystems im
Kinzigtal, die Patienten stärker zu aktivieren und stärker an den medizinischen/-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
21
therapeutischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen, und zwar im Vergleich
mit einer strukturell ähnlichen Versichertenpopulation außerhalb des Kinzigtals?
2. Wie entwickelt sich die Zufriedenheit der IV-Versicherten und der übrigen Ver-
sicherten im Kinzigtal mit der Gesundheitsversorgung, und zwar auch im Hin-
blick auf eine Vergleichspopulation?
3. Entwickelt sich die Gesundheit der IV-Versicherten und der Versicherten im
Kinzigtal günstiger als die einer strukturell ähnlichen Vergleichspopulation aus
dem übrigen Baden-Württemberg?
4. Gelingt es im Zuge des Aufbaus der IVGK, auch Phänomene der Über-, Unter-
und Fehlversorgung – wie vom Sachverständigenrat definiert – zu reduzieren
und damit die Versorgungsqualität im Kinzigtal auch im Hinblick auf eine
Vergleichspopulation zu erhöhen?
5. Wie entwickelt sich die Zufriedenheit der niedergelassenen Ärzte und anderer
Leistungserbringer mit dem IV-Projekt und der IVGK?
6. Entsteht im Zuge des Aufbaus der IVGK eine intensivere Kooperation zwischen
den Vertretern verschiedener medizinischer Disziplinen und verschiedener
Gesundheitsberufe?
7. Ist die neue Versorgungsform, die durch die IVGK repräsentiert wird, wirt-
schaftlicher als die Normalversorgung – und zwar bei mindestens gleich hoher
und gleich bleibender Versorgungsqualität in Bezug auf die herkömmliche Ver-
sorgung?
2.4 Hauptfragestellungen der einzelnen Evaluationsprojekte Wir wollen nun noch kurz skizzieren, welche dieser Leitfragen in welchen Evaluations-
projekten untersucht werden (siehe Tab. 1). Eine ausführlichere Darstellung der Fra-
gestellungen der einzelnen Evaluationsprojekte – sowie deren Forschungsdesigns,
Zwischenergebnissen und offenen Fragen – bleibt den Kapiteln 3 bis 6 vorbehalten.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
22
Tab. 1: Evaluationsprojekte zur Bearbeitung der Leitfragen der IVGK-Evaluation
Leitfragen (Kurzfassung) werden untersucht im…
1. Stärkere Patientenaktivierung und Patienten- beteiligung im Vergleich?
SDM-Projekt
2. Zufriedenheit der Versicherten im Vergleich? SDM-Projekt
3. Entwicklung der Gesundheit der Versicherten im Vergleich?
ÜUF-Projekt, SDM-Projekt, AGil-Projekt
4. Erhöhung der Versorgungsqualität und Reduk- tion von Über-, Unter- und Fehlversorgung im Vergleich?
ÜUF-Projekt
5. Zufriedenheit der niedergelassenen Ärzte und anderer Leistungserbringer mit IVGK?
PeGL-Projekt
6. Intensivere fachliche und interdisziplinäre Kooperation durch IVGK?
PeGL-Projekt
7. Ist die neue Versorgungsform wirtschaftlicher – ohne Qualitätseinbußen?
finanzielle Ergebnisrechung, ÜUF-, SDM-, AGil-, PeGL-Projekt
Die Fragen 1. und 2. werden im Projekt „Erhebung und Ermittlung der Einstellungen von Versicherten zur Versorgungsqualität, zur Patientenzufriedenheit und zum Shared Decision-Making (SDM)“ untersucht. Dieses Projekt bezeichnen wir im Folgenden ab-gekürzt als „SDM-Projekt“. Frage 3. wird in mehreren Evaluationsprojekten bearbeitet. Die Fragestellung wird anhand von GKV-Routinedaten umfassend im ÜUF-Projekt untersucht. Der volle Name dieses Projekts lautet: „Identifizierung und Abbau von Über-, Unter- und Fehl-versorgung und Erhebung des Gesundheitszustands der Versicherten. Versorgungs-evaluation auf Basis von GKV-Routinedaten“. Neben dem ÜUF-Projekt nehmen sich allerdings auch das SDM-Projekt (siehe oben) und das AGil-Projekt Teilaspekten der Fragestellung 3. an. So thematisiert das SDM-Projekt die gesundheitliche Entwicklung der Versicherten im Hinblick auf den Aspekt der subjektiv empfundenen Lebensqualität der Patienten. Das AGil-Projekt („Aktive Gesundheitsförderung bei alten Menschen im Kinzigtal“) untersucht die Lebensqualität sowie verschiedene Aspekte des Gesund-heitsverhaltens bei einer bestimmten Gruppe von IV-Versicherten, nämlich den Teil-nehmern des Gesundheitsförderungsprogramms „AGil“,2 das von der IVGK angeboten wird. Zudem wird die Effektivität einzelner anderer Gesundheitsprogramme intern eva-luiert, d.h. die entsprechende Programmevaluation wird durch Mitarbeiter der Gesun-des Kinzigtal GmbH oder der Optimedis AG selbst durchgeführt. Diese internen Eva-luationsprojekte sind allerdings nicht Gegenstand des EKIV-Evaluationsberichts. Frage 4. wird ausschließlich im ÜUF-Projekt und anhand von GKV-Routinedaten untersucht.
2 Siehe hierzu http://www.gesundes-kinzigtal.de/index.php?option=com_content&view=article&id=120&catid=5&Itemid=65.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
23
Die Fragen 5. und 6. sind Thema des Projekts „Prozessevaluation aus Sicht der GK-Leistungspartner“ (PeGL-Projekt). Frage 7. ist sicher die spannendste, aber auch die umfassendste Forschungs-frage – und zugleich die, welche auch entscheidend dafür ist, ob der Leuchtturm „Gesundes Kinzigtal“ (Seiler et al. 2006) nachhaltig Vorbildcharakter für integrierte Vollversorgungslösungen in Deutschland gewinnt. Die Teilfrage nach der Wirtschaft-lichkeit der IVGK als System wird durch die finanzielle Ergebnisrechnung beantwortet, die in Abschnitt 2.1 erwähnt wurde. Die Frage nach der Versorgungsqualität in der Region Kinzigtal und bei den IV-Versicherten wird hingegen im Grunde von allen bisher genannten Evaluationsprojekten bearbeitet, wobei das ÜUF-Projekt sicher den größten und umfassendsten Beitrag leistet. Aber auch andere Evaluationsprojekte tragen hier-zu bei: So wird im AGil-Evaluationsprojekt das AGil-Programm im Hinblick auf seine Effektivität und Effizienz – also auch auf seine Wirtschaftlichkeit hin – untersucht. Da die im SDM-Projekt untersuchte Zufriedenheit der Versicherten ein wichtiges Quali-tätsmerkmal darstellt, trägt auch das SDM-Projekt seinen Teil zur Beantwortung der Frage nach der Versorgungsqualität bei. Ähnliches gilt – mutatis mutandis – für das PeGL-Projekt. Demnach lässt sich also behaupten: Die Beantwortung von Frage 7. entsteht als Synthese der (jährlich fortlaufenden) finanziellen Ergebnisrechnungen und sämtlicher Evaluationsprojekte.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
24
3 Das SDM-Projekt: Erhebung und Ermittlung der Ein-stellungen von Versicherten zur Versorgungsqualität, zur Patientenzufriedenheit und zum Shared Decision-Making (SDM)
Das SDM-Projekt wurde am 25.10.2006 ausgeschrieben3 und Anfang des Jahres 2007
an Prof. Dr. Dr. Martin Härter vergeben. Prof. Härter und seine gesamte Forschungs-
gruppe arbeiteten zu dieser Zeit am Universitätsklinikum Freiburg, Abteilung Psychia-
trie und Psychotherapie, Sektion Epidemiologie und Versorgungsforschung. Im Jahr
2010 leitet Prof. Härter noch immer die Sektion Epidemiologie und Versorgungsfor-
schung, er ist jedoch hauptsächlich am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf tätig,
wo er im Jahr 2008 die Leitung des Instituts und der Poliklinik für Medizinische Psycho-
logie übernommen hat. Die Arbeit am SDM-Projekt wird seit 2008 sowohl von Freiburg
aus – hier insbesondere von Dipl.-Psych. Lars Hölzel – als auch von Hamburg aus ge-
leistet. Prof. Härter und seine Arbeitsgruppe sind Experten auf dem Gebiet der
Erforschung und Umsetzung von Patientenbeteiligung bei Therapieentscheidungen,
also dessen, was der englische Fachbegriff des shared decision-making ausdrückt.
Im SDM-Projekt sind im Jahr 2011 keine neuen Ergebnisse zu verzeichnen.
Daher beschränken wir uns im Folgenden auf eine knappe Zusammenfassung der
bisherigen Ergebnisse (Abschnitte 3.1 bis 3.3). Des Weiteren referieren wir die
Diskussion, die im Jahr 2011 um die Fortsetzung des SDM-Projekts geführt wurde
(Abschnitt 3.4). Eine ausführliche Zusammenfassung und Interpretation der bisherigen
Ergebnisse des SDM-Projekts findet sich im letzten Jahresbericht 2010 (Langfassung).
3.1 Fragestellung, Material und Methoden des SDM-Projekts
Das SDM-Projekt wird von Prof. Dr. Dr. Martin Härter (Universitätsklinikum Hamburg-
Eppendorf und Universitätsklinikum Freiburg) geleitet und von seinem Freiburger For-
schungsteam durchgeführt. Mittels einer dreiarmigen kontrollierten Kohortenstudie un-
tersucht das Projektteam in erster Linie die Frage, ob es im Kontext eines integrierten
Versorgungssystems nach Art der IVGK sowie durch spezifische Fortbildungsveran-
staltungen für Ärzte gelingt,
- die in der IVGK eingeschriebenen Patienten stärker an Therapieentscheidun-
gen zu beteiligen als in der herkömmlichen Versorgung und
- zu einer höheren Zufriedenheit der Versicherten mit der Versorgung beizutra-
gen.
Das Projektteam untersucht diese Forschungsfragen in Anlehnung an das heuristische
Modell der Partizipativen Entscheidungsfindung (PEF); dieses ist gleichbedeutend mit
3 Der Ausschreibungstext findet sich auf http://www.ekiv.org/pdf/EKIV-Shared-Decision-Making(SDM).pdf.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
25
dem Modell des Shared Decision-Making (SDM). Dabei wird von folgenden Hypothe-
sen ausgegangen: Eine gelungene Beteiligung des Patienten an den Therapieent-
scheidungen des Arztes führt zu einer höheren Entscheidungskonfidenz (Entschei-
dungssicherheit) des Patienten, d.h. der Patient begreift die partizipativ getroffene The-
rapieentscheidung als eine informierte und wohl abgewogene Entscheidung. Ist die
Entscheidungssicherheit des Patienten hoch, so ist auch die Wahrscheinlichkeit hoch,
dass der Patient die getroffene Behandlungsentscheidung umsetzt. Weiterhin wird im
PEF-Modell angenommen, dass eine hohe Entscheidungssicherheit zu einer hohen
Zufriedenheit des Patienten mit dem behandelnden Arzt beiträgt. Im Idealfall führt eine
stärkere Beteiligung des Patienten an Therapieentscheidungen somit zu einer höheren
Therapietreue des Patienten und zu einem besseren Behandlungserfolg. Dieser wie-
derum bewirkt idealerweise und unter sonst gleichen Bedingungen eine höhere Le-
bensqualität des Patienten (vgl. Härter et al. 2008: 7f).
Im SDM-Projekt werden – in Anlehnung an das heuristische PEF-Modell –
neben der Patientenbeteiligung an Therapieentscheidungen und der Patientenzufrie-
denheit weitere Ziel-Parameter erhoben wie z.B. die gesundheitsbezogene Lebens-
qualität der Versicherten, ihre Beteiligungs- und Informationspräferenz sowie ihre Ent-
scheidungskonfidenz (Entscheidungssicherheit).
Die Forschungsfragen des SDM-Projekts werden auf Basis einer dreiarmigen
kontrollierten Kohortenstudie untersucht. Als Interventionskohorte („Gruppe IV“) wur-
den bei der ersten Erhebung 1.153 AOK- und 40 LKK-Versicherte angeschrieben, die
sich bis März 2007 in die IVGK eingeschrieben hatten (Vollerhebung der damaligen
IVGK-Versicherten). Als erste Kontrollstichprobe („Stichprobe NIV“) wurden 2.523
AOK- und 115 LKK-Versicherte angeschrieben, die im Kinzigtal wohnten, aber bis
März 2007 nicht in die IVGK eingeschrieben waren. Als zweite Kontrollstichprobe
(„Stichprobe S-B“) wurden 2.596 AOK- und 115 LKK-Versicherte angeschrieben, die
in der Region um Sigmaringen und Biberach ihren Wohnsitz hatten. Die beiden
Kontrollstichproben waren hinsichtlich der Variablen Alter, Geschlecht, Versicherten-
status und GKV-Kosten im Jahr 2006 nach Maßgabe der Interventionskohorte strati-
fiziert aus der Grundgesamtheit gezogen worden, damit eine möglichst gute Vergleich-
barkeit der drei Kohorten gegeben war.
3.2 Wichtige Ergebnisse des SDM-Projekts
Bislang fanden im SDM-Projekt drei Befragungen (T0-, T1- und T2-Befragung) im
Abstand von jeweils einem Jahr statt.4 Nach der T0-Erhebung waren die Fragebögen
von insgesamt 2.351 Probanden auswertbar (Antwort-Rate: 36%), nach der T2-Befra-
gung immerhin noch 1.205 Fragebögen (Antwort-Rate bzgl. der zu T0 angeschriebe-
4 Die im Folgenden referierten Ergebnisse sind den Projektberichten zur T0-Erhebung (Härter et al. 2008) und zur T2-Erhebung (Härter et al. 2010) entnommen.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
26
nen Versicherten: 18,4%). Die Antwort-Rate war in der IV-Gruppe signifikant höher als
in den beiden Kontrollstichproben.
Die Daten der zweiten Befragung (T1-Befragung) erwiesen in Bezug zur
Erstbefragung (T0-Befragung) keine Interventionseffekte. Bei der dritten Befragung
(T2-Befragung) zeigte sich bezüglich der T0-Befragung lediglich bei einer der insge-
samt neun Zielvariablen ein Interventionseffekt, d.h. eine signifikant unterschiedliche
Entwicklung der Zielvariablen in den drei Studiengruppen: Das Ausmaß der erlebten
Beteiligung an Therapieentscheidungen ging bei allen drei Studiengruppen im Zeit-
verlauf zurück, aber entgegen den Erwartungen war der Rückgang in der Gruppe der
IV-Versicherten (IV-Gruppe) signifikant stärker als in den beiden Kontrollgruppen.
Dieses Ergebnis ist in Abb. 1 graphisch dargestellt.
Abb. 1: Beteiligung der Patienten an Therapieentscheidungen beim letzten Hausarzt-besuch in der T0- und T2-Befragung (Instrument: PEF-FB, Wertebereich 0 – 100)
Die signifikant stärker zurückgehende erlebte Beteiligung der Patienten in der IV-
Gruppe schlug sich jedoch nicht bedeutsam in der Zufriedenheit der Versicherten mit
der hausärztlichen Versorgung insgesamt nieder: Die Entwicklung der Zufriedenheits-
werte in den drei Studiengruppen im Zeitverlauf unterschied sich nicht signifikant
voneinander (Abb. 2). In der IV-Gruppe ging zwar der Durchschnittswert von 82,8 auf
81,5 Punkte zurück, wie Abb. 2 zeigt; dieser Wert wurde zum Zeitpunkt T2 dennoch
von keiner der anderen Studiengruppen übertroffen.
72,3
64,870 68,869,4 67,2
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
T0 T2
IV-Kinzigtal (n=255)
NIV-Kinzigtal(n=329)
Sigm.-Bib. (n=403)
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
27
Abb. 2: Zufriedenheit mit der hausärztlichen Versorgung in der T0- und T2-Befragung
(Instrument: ZAV, Wertebereich 0 – 100)
Hinsichtlich der körperlichen Lebensqualität (Abb. 3) zeigten sich zwar ebenfalls keine
statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Werten der drei Stichproben; ein
statistisch signifikanter Interventionseffekt wurde aber nur knapp verfehlt (p=0.07): Wie
in Abb. 3 zu sehen ist, stieg der durchschnittliche Indexwert der körperlichen Lebens-
qualität in der IV-Gruppe um einen Prozentpunkt an, während der entsprechende Wert
in der NIV-Gruppe zurückging und in der S-B-Gruppe ungefähr konstant blieb. Abb. 3: Körperliche Lebensqualität in der T0- und T2-Befragung (Instrument: SF-12, Wertebereich 0 – 100)
82,8 81,281,3 81,280,3 80
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
T0 T2
IV-Kinzigtal (n=293)
NIV-Kinzigtal(n=376)
Sigm.-Bib. (n=474)
42,3 43,342,2 41,242 42,2
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
T0 T2
IV-Kinzigtal (n=124)
NIV-Kinzigtal(n=174)
Sigm.-Bib. (n=226)
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
28
3.3 Diskussion der Ergebnisse
Während die körperliche Lebensqualität (Abb. 3) und die psychische Lebensqualität
(ohne Abb.) in den drei Studiengruppen sich immerhin tendenziell in der erwarteten
Richtung veränderten – ohne dass jedoch dieser Interventionseffekt statistisch signi-
fikant war –, ergab sich bei der von den Befragten erlebten Beteiligung an Therapieent-
scheidungen in den drei Studiengruppen ein statistisch signifikantes Ergebnis entge-
gen den Erwartungen: Das Ausmaß der erlebten Beteiligung verringerte sich bei den in
die IVGK eingeschriebenen Patienten signifikant stärker als bei den übrigen Proban-
den. Zwar erscheint das Ausmaß des „übermäßigen“ Rückgangs der erlebten Betei-
ligung bei den IV-Versicherten substantiell nicht dramatisch, d.h. klinisch noch „nicht
relevant“ (Härter et al. 2010: 29), aber es ist dennoch ein signifikantes Ergebnis ent-
gegen den Erwartungen. Obwohl die gesunkene erlebte Beteiligung bei den IV-Ver-
sicherten sich bislang offenkundig nicht auf deren Zufriedenheit mit der hausärztlichen
Versorgung niedergeschlagen hat, halten wir die zurückgegangene erlebte Beteiligung
der IV-Versicherten für erklärungsbedürftig. Grundsätzlich sehen wir drei Möglichkei-
ten, dieses Ergebnis zu erklären:
(1) Im vergleichenden Hinblick auf ein analoges Studienergebnis aus der
Schweiz (Busato et al. 2010) ist prinzipiell folgendes Erklärungsmuster denkbar: Da
Netzwerkpraxen in der Regel stärker als Einzelpraxen auf Basis strukturierter und evtl.
sogar sektorenübergreifender strukturierter Behandlungspfade arbeiten, erscheinen
den Patienten von Netzwerkpraxen die möglichen Behandlungsoptionen in stärkerem
Ausmaß vorgegeben als den Patienten von Einzelpraxen. In Einzelpraxen können die
Behandlungsoptionen den Patienten in stärkerem Ausmaß als „selbständig bestimmt“
und „aushandelbar“ erscheinen, da dort die Arzt-Patient-Dyade weniger stark in ein
übergreifendes (Behandlungs-)Netz eingebunden ist als in Netzwerkpraxen mit ihrer
Vielzahl an strukturierten Behandlungsprogrammen. Dieses Erklärungsmuster impli-
ziert, dass in der zurückgehenden „erlebten Beteiligung“, die bei den IV-Versicherten
im Kinzigtal gemessen wurde, eine objektiv sinkende Patientenbeteiligung ihren Nie-
derschlag gefunden hat.
(2) Abweichend von der zuletzt genannten Annahme kann man aber auch davon
ausgehen, dass in den Wahrnehmungen und Situationseinschätzungen der IV-Pro-
banden sich nicht nur eine (möglicherweise) objektiv verringerte Patientenbeteiligung
widerspiegelt, sondern dass sich in der zurückgehenden erlebten Beteiligung zumin-
dest auch ein Erwartungseffekt ausgewirkt hat: Die in die IVGK eintretenden AOK- und
LKK-Versicherten haben sich offenkundig in die IVGK eingeschrieben, weil sie vom
Argument der höheren Versorgungsqualität und stärkeren Patientenorientierung über-
zeugt wurden. (Finanzielle Anreize für einen Eintritt – wie z.B. eine reduzierte Pra-
xisgebühr – gab es für die AOK-Versicherten nicht.) Bereits dies wird sich in der IV-
Gruppe in höheren Erwartungen an Versorgungsqualität und Patientenbeteiligung
ausgewirkt haben. Zudem waren die umfangreichen Eingangsuntersuchungen, Befra-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
29
gungen und Therapiezielvereinbarungen, die bei allen IV-Versicherten unmittelbar
nach deren Eintritt in die IVGK anstanden, zweifellos geeignet, bei den IV-Versicherten
besonders hohe Erwartungen an die IVGK zu wecken – Erwartungen, die im Behand-
lungsalltag der folgenden Monate und Jahre vermutlich so nicht eingelöst werden
konnten. Die mutmaßlich folgende „Ernüchterung“ führte dann folgerichtig – so kann
man annehmen – bei den IV-Versicherten zu einer etwas kritischeren Sichtweise des
ärztlichen Beteiligungsverhaltens.
Den gerade beschriebenen Erwartungseffekt zu unterstellen, erfordert nicht un-
bedingt, eine objektiv sinkende Patientenbeteiligung – worauf das Erklärungsmuster (1)
fokussiert – zu negieren. Denn man kann unterstellen, dass beide Effekte wirksam
waren, d.h. dass sowohl die Patientenbeteiligung in der IVGK objektiv zurückging als
auch der beschriebene Erwartungseffekt auftrat. Unmöglich ist es jedoch, die relative
Stärke der beiden Effekte mit Verweis auf empirische Daten zu bestimmen, da die im
SDM-Projekt eingesetzten Messinstrumente etwaige „objektive“ Effekte nicht separat
messen, sondern stets nur als von den Versicherten wahrgenommene objektive
Effekte, in der die Eigendynamik der Wahrnehmungsschemata der Versicherten immer
enthalten ist.5
(3) Wenn man grundsätzlich unterstellt, dass auch ein Erwartungseffekt der oben
beschriebenen Art stattgefunden hat und man aber beide Effekte – nämlich den
„reinen“ Erwartungseffekt und den Effekt einer objektiv veränderten Beteiligungsrealität
– nicht vergleichend quantifizieren kann, dann ergibt sich noch ein drittes mögliches
Erklärungsmuster: Man könnte unterstellen, dass sich die Patientenbeteiligung in der
IVGK objektiv sogar etwas erhöht hat, da ja entsprechende Fortbildungsveranstal-
tungen für die Ärzte sowie die mit Patienten abgeschlossenen Zielvereinbarungen auch
eine beteiligungsfördernde Wirkung hinterlassen haben müssten. Verträte man ein
solches Argument, dann müsste man dennoch anerkennen, dass der mutmaßliche
Anstieg der „objektiven“ Patientenbeteiligung so gering war, dass er von dem beschrie-
benen Erwartungseffekt dominiert, d.h. überkompensiert wurde, denn der Gesamteffekt
steht ja zweifelsfrei fest: Die von den Patienten wahrgenommene Patientenbeteiligung
ging in der IVGK signifikant stärker zurück als in den Kontrollgruppen.
Wir verfügen nicht über empirische Daten, die uns verlässliche Hinweise darauf
geben könnten, welche der drei Erklärungsmöglichkeiten die Realität am besten trifft.
Angesichts neuester – eher ernüchternder – Literatur-Reviews (z.B. Légaré et al.
2010) zur Frage, welche Arten von SDM-Interventionen zu einer objektiv größeren
Patientenbeteiligung führen, halten wir Erklärungsmuster (3) jedoch für wenig plau-
sibel. Da wir auf der anderen Seite einen Erwartungseffekt in der geschilderten Art für
wahrscheinlich halten, scheint uns Erklärungsmuster (2) am plausibelsten. Wie dem
5 Dass es einen solchen Erwartungseffekt gegeben hat, lässt sich nicht zuverlässig nachweisen – dies liegt in der Natur des im SDM-Projekt angewandten Studiendesigns. Derartige Erwartungseffekte lassen sich im Grunde nur mithilfe einer randomisierten kontrollierten Studie (Doppelblind-Studie) verhindern bzw. zuverlässig kontrollieren. Ein solches Studiendesign war jedoch im SDM-Projekt nicht anwendbar.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
30
auch sei: Bisher müssen wir jedenfalls die Forschungsfrage verneinen, ob ein Versor-
gungssystem wie die IVGK zu einer – aus Patientensicht – stärkeren Patienten-
beteiligung an Therapieentscheidungen führt.
Ungeachtet dieses Teilergebnisses ist die Zufriedenheit der IVGK-Patienten mit
der hausärztlichen Versorgung insgesamt weiterhin sehr hoch, und sie wird auch von
den Zufriedenheitswerten der Kontrollgruppen nicht übertroffen. Letzteres gilt auch für
die Indexwerte der körperlichen und psychischen Lebensqualität.
3.4 Ausblick
Im Mai 2010 wurde angesichts der bis dahin im SDM-Projekt vorliegenden Ergebnisse
beschlossen, die ursprünglich für den Spätsommer 2010 vorgesehene T3-Erhebung
auszusetzen. Da die bis Frühjahr 2010 vorliegenden Ergebnisse signalisierten, dass
die bisher durchgeführten Interventionen für eine stärkere Patientenbeteiligung an The-
rapieentscheidungen nicht die erwarteten Ergebnisse zeitigten, sollten zunächst einmal
– so wurde beschlossen – die bisherigen Ergebnisse genauer analysiert, die bisherigen
Interventionen sorgfältig überprüft und eventuell neuartige Interventionen geprüft und
möglicherweise implementiert werden. Auf der Basis dieser Analysen und Überle-
gungen sollte dann neu über die Fortsetzung des SDM-Projekts in Gestalt einer T3-
Erhebung entschieden werden.
Mit Zustimmung aller an der IVGK beteiligten Organisationen war für Anfang
2011 eine erste Zusatzuntersuchung (sog. „Benchmarking-Analyse“) geplant: Anhand
der bislang vorliegenden Daten im SDM-Projekt sollte geprüft werden, wie stark die
Ergebnisse über die einzelnen Arztpraxen hinweg streuen, bei denen die Probanden
jeweils in Behandlung sind. Dabei sollten die Hausärzte im Kinzigtal, die mit der IVGK
kooperieren, ein individuelles Feedback im Sinne einer Benchmarking-Analyse erhal-
ten. In diesem Feedback-Bericht sollte (in anonymisierter Form) dargestellt werden,
wie die Probanden, die bei dem betreffenden Hausarzt regelmäßig in Behandlung sind,
im Vergleich zu allen übrigen Probanden geantwortet haben. Mit der Benchmarking-
Analyse sollte also jedem einzelnen Hausarzt in der IVGK die Möglichkeit gegeben
werden, die auf seine Patientenbeteiligungspraxis bezogenen Ergebnisse mit den
Ergebnissen der anderen Ärzte zu vergleichen und damit zu erkennen, ob „seine“
Ergebnisse eine über- oder unterdurchschnittliche Patientenbeteiligung und Patienten-
zufriedenheit zeigen. Die Projektauftraggeber, also die Managementgesellschaft und
die an der IVGK beteiligten Krankenkassen, sollten nur vollständig anonymisierte
Ergebnisse erhalten. Aus diesen sollte lediglich hervorgehen, dass z.B. Hausarztpraxis
Nr. 12 bei der Variable „erlebte Beteiligung (T2)“ um x Standardabweichungen unter
dem Durchschnitt liegt. Die Information, welche Praxis dies ist, sollte den Projekt-
auftraggebern nicht preisgegeben werden. Die IVGK-Ärzte wären in diesem Fall jedoch
frei gewesen, „ihre“ Ergebnisse mit ihren Kollegen und mit dem GK-Management zu
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
31
erörtern und Möglichkeiten zu diskutieren, wie die Ergebnisse zu verbessern sind. Es
wurde erwartet, dass viele IVGK-Ärzte davon Gebrauch machen würden.
Erst im Anschluss an eine sorgfältige Auswertung und Interpretation der Ergeb-
nisse der Benchmarking-Analyse – so war geplant – sollte dann im Lauf des Jahres
2011 über den Fortgang bzw. die weitere Ausgestaltung SDM-bezogener Interven-
tionen in der IVGK entschieden werden. Zusammen mit der Benchmarking-Analyse
wurde der Forschungsgruppe Härter auch der Auftrag erteilt, die Ergebnisse der
bisherigen Erhebungen auch noch einmal auf spezielle Fragestellungen hin zu prüfen.
So sollte z. B. untersucht werden, ob in den Fragebögen einzelne fehlende Werte im
Nachhinein durch plausible Annahmen ersetzt werden könnten, womit dann eventuell
die Fallzahlen für die Endauswertungen erhöht werden, die Ergebnisse also auf eine
bessere statistische Grundlage gestellt werden könnten.
Seitens der Projektauftragnehmer – der Forschungsgruppe Härter – und seitens
der Evaluationskoordinierungsstelle (EKIV) waren die Vorbereitungen für die Bench-
marking-Analyse Ende August 2010 getroffen worden: Die „Vorhabensbeschreibung
‚Praxisbezogene Benchmarking-Analyse der Ergebnisparameter im SDM-Projekt’“ war
an die AOK BW zur Operationalisierung und Weiterbearbeitung geschickt worden.
Nach erfolgter Datenanforderung seitens der AOK BW sollte die LKK BW für ihre
Probanden analoge Daten selektieren und der Forschungsgruppe Härter bereitstellen.
Im Herbst 2010 und noch einmal im Frühjahr 2011 stellte die AOK Baden-Würt-
temberg fest, dass die für die Benchmarking-Analyse nötige Datenselektion wesentlich
schwieriger als erwartet sei und die Daten voraussichtlich später als geplant geliefert
werden könnten. Im Mai 2011 wurden die bisherigen Evaluationsergebnisse des SDM-
Projekts im strategischen Gremium der IVGK thematisiert. Nach eingehender Prüfung
der Datenanforderungen und der bisherigen Evaluationsergebnisse erklärte die AOK
schließlich, dass sie für die Benchmarking-Analyse keine Ressourcen mehr zur Verfü-
gung stellen könne: Durch die Datenauswahl und Datenselektion wäre ein hoher
personeller und zeitlicher Aufwand entstanden, so dass die daraus resultierenden
Kosten den als gering eingeschätzen Nutzen nicht gerechtfertigt hätten. Aufgrund
dessen musste die Benchmarking-Analyse storniert werden. Mit der Stornierung der
Benchmarking-Analyse fehlt eine arztpraxisbezogene Analyse der Ergebnisparameter
der SDM-Studie und damit eine wichtige Informationsgrundlage für die Weiterentwick-
lung von Interventionsprogrammen im Kinzigtal, die eine stärker partizipative und pa-
tientenorientierte Arzt-Patient-Kommunikation zum Ziel haben.
Die nochmalige Auswertung der bisherigen Ergebnisse wird aber in jedem Fall
noch durchgeführt werden; dies hat die Forschungsgruppe Härter zugesagt. In dieser
Endauswertung der bisher erhobenen Daten soll versucht werden, möglichst viele der
in den Fragebögen fehlenden Werte durch plausible „Ersatzwerte“ zu ersetzen, damit
die Endauswertung auf einer möglichst hohen Fallzahl basiert.
Eine Weiterführung und evtl. Neugestaltung patientenorientierter Interventionen
in der IVGK halten wir – die EKIV – grundsätzlich für sinnvoll. Die Forschungsliteratur
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
32
zum Thema Patientenorientierung und Patientenbeteiligung zeigt, dass es eine breite
Palette wirksamer Maßnahmen gibt – Maßnahmen, die nicht notwendigerweise auf die
Fortbildung von Ärzten fokussiert sind, sondern die sich vor allem – z.B. in Form sog.
Entscheidungshilfen („decision aids“) – an Patienten wenden und in erster Linie ein
„empowerment“ von Patienten bezwecken. (Vgl. hierzu Légaré et al. 2010, O’Connor et
al. 2009.)
Wünschenswert wäre ebenfalls, über die Praxis der Zielvereinbarungen zwischen
IVGK-Vertrauensärzten und ihren Risikopatienten mehr Klarheit zu erhalten, damit die
Auswirkungen der Zielvereinbarungen auf den Praxisalltag und die Selbstmanage-
ment-Fähigkeiten der Patienten besser eingeschätzt werden können. In jedem Fall
sollten die zu erwartenden Kosten und Nutzen weiterer SDM-Interventionen und ent-
sprechender Studien sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
33
4 Das ÜUF-Projekt: Identifizierung und Abbau von Über-, Unter- und Fehlversorgung und Erhebung des Gesundheitszustands der Versicherten – Versorgungs-evaluation auf Basis von GKV-Routinedaten
Das ÜUF-Projekt wurde am 20.12.2006 ausgeschrieben6 und im Frühjahr 2007 an die
PMV forschungsgruppe unter der Leitung von Frau Dr. Ingrid Schubert vergeben. Die
PMV forschungsgruppe verfügt über langjährige Expertise in der Erhebung, Aufberei-
tung und Analyse von GKV-Routinedaten für versorgungsepidemiologische, pharmako-
epidemiologische und gesundheitsökonomische Fragestellungen.7
Der in der Ausschreibung genannte Titel des Forschungsprojekts lautete zu-
nächst „Erhebung von Unter-, Fehl- und Überversorgung sowie Status-Quo-Analyse
des Gesundheitszustands von Versicherten anhand von AOK-/LKK-Routinedaten für
die Versicherten des Kinzigtals in den Jahren 2002-2006 und begleitend für die Jahre
2007 bis 2009“. Es war also zunächst vorgesehen, die Daten der Jahre 2002 bis 2006
rückwirkend in einem Schritt zu analysieren und anschließend jährlich die Daten der
Jahre 2007 bis 2009 zu untersuchen. In der Folgezeit wurden jedoch mehrere Eck-
punkte des Forschungsvorhabens modifiziert: Bereits in ersten Projektgesprächen mit
der PMV forschungsgruppe und den Krankenkassen AOK BW und LKK BW zeigte
sich, dass eine Bereitstellung der Daten und eine Analyse der Beobachtungsjahre
2002-2003 aus verschiedenen Gründen nur wenig kosteneffektiv wäre. Daher einigte
man sich darauf, dass erst die Daten der Jahre ab 2004 untersucht werden sollten.
In späteren Projektgesprächen wurden weitere Modifikationen beschlossen: Zum
einen wurde die Projektlaufzeit verlängert: So sollen – bis auf weiteres – die Daten der
Jahre 2004 bis einschließlich 2011 untersucht werden. Zum zweiten wurde vereinbart,
dass das Jahr 2004 als Basisjahr betrachtet werden soll, da es das letzte interven-
tionsfreie Kalenderjahr in der Region Kinzigtal – der Interventionsregion – darstellt. Die
folgenden Jahre 2005 bis 2011 gelten dann als Jahre mit jeweils zunehmender
Interventionsintensität. (Weitere Details zum Studiendesign und der Methodik des
ÜUF-Projekts finden sich in Abschnitt 4.2.)
6 Der Ausschreibungstext findet sich auf http://www.ekiv.org/pdf/EKIV-Shared-Decision-Making(SDM).pdf 7 Siehe z.B. Ihle et al. (2005), Schubert et al. (2008) sowie Swart & Ihle (Hg.)(2005); letzteres gilt im deutschen Sprachraum als Standardwerk zur Forschung mit GKV-Routinedaten.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
34
4.1 Allgemeine Forschungsfragen des ÜUF-Projekts
4.1.1 Grundlagen: Die Definition von Über-, Unter- und Fehlversor-gung des Sachverständigenrats im Sondergutachten 2000/2001
Im Jahr 1999 erhielt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im
Gesundheitswesen (bis 2003: „Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Ge-
sundheitswesen“) den Auftrag, in einem Sondergutachten zu untersuchen, wie die Ver-
sorgungssteuerung im deutschen Gesundheitswesen verbessert werden kann. Band III
dieses Sondergutachtens wurde im Jahr 2001 unter dem Titel „Über-, Unter- und
Fehlversorgung“ veröffentlicht. Dieser Band bietet nicht nur konzeptionelle Grundlagen
für die empirische Untersuchung von Über-, Unter- und Fehlversorgung, er enthält
auch die Ergebnisse von Umfragen, welche die Sicht von Experten auf Phänomene der
Über-, Unter- und Fehlversorgung in verschiedenen Sektoren und bei verschiedenen
Indikationen widerspiegeln. Zudem gibt der Sachverständigenrat Empfehlungen, wie
Phänomene der Über-, Unter- und Fehlversorgung abgebaut werden können. Das
Sondergutachten schließt mit dem Fazit, dass in vielen Bereichen des Gesund-
heitswesens in Deutschland eine zum Teil eklatante Über-, Unter- und Fehlversorgung
besteht und also die Versorgungsqualität verbesserungsbedürftig ist. Die Ergebnisse
dieses Sondergutachtens können und sollen hier nicht wiedergegeben werden.8 Da
jedoch das Verständnis der Begriffe Über-, Unter- und Fehlversorgung aus dem Son-
dergutachten auch heute noch maßgeblich ist für empirische Untersuchungen zu
diesem Thema, wollen wir hier diese Begriffe erläutern.
„Unterversorgung“ besteht, wenn bestimmte Leistungen den Bedürftigen komplett
oder teilweise vorenthalten werden, obwohl diese Leistungen zur Verfügung stehen
und auch wirtschaftlich erbracht werden können. So stellte der Sachverständigenrat
beispielsweise bei der Versorgung depressiv Erkrankter eine weit verbreitete Unter-
versorgung mit Psycho- aber auch mit Pharmakotherapien fest (Sachverständigenrat
2001: 15). Im Fall chronisch an Rückenschmerzen Erkrankter wies der Rat auf eine
Unterversorgung mit aktivierenden Behandlungsformen hin (ebd.).
Unter „Überversorgung“ versteht der Rat eine Versorgung, die über den beste-
henden Bedarf hinaus entweder keinen Nutzen bringt oder nur einen solchen Nutzen,
der in keinem hinreichend günstigen Verhältnis zu den aufgewendeten Kosten steht,
also ineffizient erbracht wird. Beim Phänomen Überversorgung unterscheidet der Rat
zwischen „medizinischer“ und „ökonomischer Überversorgung“: Erstere besteht dann,
wenn ohne indizierten Nutzen versorgt wird oder ohne dass ein hinreichend gesicherter
Netto-Nutzen für den Patienten entsteht. „Ökonomische Überversorgung“ bezeichnet
eine Versorgung mit Leistungen, die nur einen geringen Nutzen haben und ihre Kosten
8 Zusammenfassungen des Gutachtens können von der Homepage des Sachverständigenrats herun-tergeladen werden: http://www.svr-gesundheit.de/Startseite/Startseite.htm. Die Langversion des Sonder-gutachtens ist als Bundestagsdrucksache 16/13770 erhältlich.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
35
nicht rechtfertigen können oder mit Leistungen, die ineffizient erbracht werden. Über-
versorgung sieht der Rat z.B. bei Patienten mit Kreuzschmerzen gegeben: Hier be-
stehe eine „deutliche Überversorgung mit bildgebenden diagnostischen und invasiv-
therapeutischen Verfahren“ (ebd.).
„Fehlversorgung“ ist eine Versorgung mit Leistungen, die zu einem vermeidbaren
Schaden führen. Dabei können folgende Unterkategorien unterschieden werden: (a)
Eine nicht bedarfsgerechte Leistung führt zu einem Schaden; (b) eine bedarfsgerechte,
aber nicht fachgerecht erbrachte Leistung führt zu einem vermeidbaren Schaden; (c)
die verspätete oder nicht sachgerechte Durchführung einer Leistung lässt einen ver-
meidbaren Schaden entstehen.
Seit diesem Sondergutachten des Sachverständigenrats haben Untersuchun-
gen von Versorgungsdaten auf der Basis von Qualitätsindikatoren – die dann auch das
Ausmaß von Über-, Unter- und Fehlversorgung in den untersuchten Bereichen wider-
spiegeln sollen – einen Aufschwung erfahren. Inzwischen gibt es auch eine Reihe von
Qualitätsindikatoren-Systemen, von denen AQUIK (initiiert von der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung) und die vom AQUA-Institut im Auftrag des AOK–Bundesverbands
erarbeiteten QiSA-Indikatoren nur die bekanntesten darstellen.9
Als konzeptionelle Basis für die Bildung von Qualitätsindikatoren werden häufig
sog. evidenzbasierte Behandlungsleitlinien herangezogen, in denen leicht nachvoll-
ziehbare Behandlungsalgorithmen auf der Grundlage neuester Ergebnisse wissen-
schaftlicher Studien dargestellt werden. Der Sachverständigenrat hat leitliniengestützte
Versorgungsansätze als ein Mittel für einen kurzfristigen – wenn auch nur partiellen –
Abbau von Überversorgung erwähnt (ebd.: 20). Für einen nachhaltigen Abbau von
Über- und Fehlversorgung hält der Rat umfangreichere Strukturreformen im Versor-
gungssystem für erforderlich. Diese müssten auf die Überwindung der sektoralen
Grenzen und der daraus resultierenden Ineffizienzen zielen, das bestehende Über-
gewicht akutmedizinischer kurativer Behandlungen reduzieren und insbesondere die
Prävention und eine angemessene – auch verstärkt interdisziplinäre – Betreuung chro-
nisch Kranker fördern (ebd: 13-21).
4.1.2 Forschungsfragen des ÜUF-Projekts
Die Integrierte Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK) zeichnet sich dadurch aus, dass
sie viele der in verschiedenen Gutachten des Sachverständigenrats vorgeschlagenen
Strukturreformen zu realisieren versucht hat (vgl. Sachverständigenrat 2009: 676f).
Nicht nur versucht die Managementgesellschaft Gesundes Kinzigtal GmbH, die
Versorgung im Kinzigtal zusammen mit den Projektpartnern AOK Baden-Württemberg
und LKK Baden-Württemberg sektorenübergreifend zu steuern; mit dem Einsparcon-
9 Nähere Informationen zu den QiSA-Indikatoren finden sich auf folgender Homepage: QiSA: http://www.aok-gesundheitspartner.de/bund/qisa/index.html. Genauere Informationen zu den AQUIK-Indikatoren können auf http://www.kbv.de/themen/aquik.html eingesehen werden.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
36
tracting wurde auch ein innovatives Anreizsystem implementiert, so dass sich kom-
parative Kosteneinsparungen durch höhere Versorgungseffizienz im Kinzigtal für
Managementgesellschaft, Versorger und Krankenkassen auch finanziell lohnen (vgl.
Hermann et al. 2006, Hildebrandt et al. 2010). Damit wurden in der Region Kinzigtal
gute Grundlagen für einen Abbau von Über- und Fehlversorgung geschaffen – zumin-
dest im Hinblick auf die Versorgung der AOK- und LKK-Versicherten. Grundsätzlich be-
absichtigen die Träger der IVGK, die Versorgungsqualität zu erhöhen, also auch Unter-
versorgung zu vermeiden. Zu diesem Zweck wurden auch eine Reihe von institu-
tionellen Vorkehrungen geschaffen (ebd., vgl. auch Siegel et al. 2008).
Das ÜUF-Projekt soll daher anhand der Analyse von GKV-Routinedaten prüfen,
ob mit zunehmender Dauer der IVGK sich die Versorgungsqualität für die AOK- und
LKK-Versicherten im Kinzigtal im Vergleich zur herkömmlichen Versorgung verbessert
und ob es Indizien gibt, dass die Morbidität (Krankheitslast) in der Region Kinzigtal im
Zeitverlauf zurückgeht bzw. im Vergleich zu Regionen mit überwiegend herkömmlicher
Versorgung in geringerem Ausmaß ansteigt. Zu diesem Zweck erhebt die PMV for-
schungsgruppe aus GKV-Routinedaten die administrative Prävalenz verschiedener
Indikationen, bildet Kennziffern zur Inanspruchnahme der Versorgung sowie Qualitäts-
indikatoren, um die Versorgungsqualität zu beurteilen und ggf. Indizien für Über-,
Unter- und Fehlversorgung zu erhalten. Zu einem späteren Zeitpunkt werden auch
Inzidenz- und Überlebens-Kennziffern zu verschiedenen Indikationen und Krankheits-
zuständen erhoben. Neben globalen, d.h. indikationsunabhängigen Kennziffern und
Qualitätsindikatoren werden zu folgenden einzelnen Ziel-Indikationen spezielle Kenn-
ziffern und Indikatoren gebildet:
- chronische KHK
- Demenz
- Depression/affektive Störungen
- Diabetes
- Herzinsuffizienz
- Hypertonie
- Osteoporose und Frakturen
- Rückenschmerzen
Zu den Indikationen Brustkrebs, Prostatakrebs und Darmkrebs sowie für die Gruppe
der Arthropathien werden detaillierte Prävalenz-Kennziffern, jedoch keine Qualitätsin-
dikatoren erhoben. Zu Suchterkrankungen werden verschiedene Kennziffern erhoben,
die dem IVGK-Management als Hintergrundinformationen dienen können, wegen ihrer
eingeschränkten Aussagekraft aber nicht Teil der Evaluation sind.
Die Möglichkeiten zur Bildung von Kennziffern und Qualitätskennziffern im ÜUF-
Projekt sind dadurch beschränkt, dass die Untersuchung der PMV forschungsgruppe
„nur“ auf GKV-Routinedaten – Leistungs- und Abrechnungsdaten der beteiligten Kran-
kenkassen – basiert: So können z.B. viele AQUIK- und QiSA-Indikatoren nicht abge-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
37
bildet werden, da viele dieser Indikatoren auch auf Behandlerdaten beruhen, die nicht
in die GKV-Routinedaten eingehen.
Die Fokussierung auf GKV-Routinedaten hat in unserem Forschungskontext je-
doch entscheidende Vorteile: Zum einen können GKV-Routinedaten relativ schnell
verfügbar gemacht werden, und sie können für jeden Versicherten in pseudonymi-
sierter Form sektorenübergreifend (und im Übrigen datenschutzkonform) zusammen-
geführt werden. Zum anderen hätte man bei einer alternativen Vorgehensweise – z.B.
durch die zusätzliche Verwendung von Arzt- bzw. Behandlerdaten – zunächst kaum
überwindliche praktische und konzeptionelle Probleme: Diese Behandlerdaten könnten
nur für einen Teil (!) der Interventionsgruppe, also nur für einen Teil aller im Kinzigtal
versicherten AOK- und LKK-Versicherten in einigermaßen ökonomischer Weise
verfügbar gemacht werden. Hingegen wäre der Aufwand unabsehbar, den man
betreiben müsste, um an die Behandlerdaten einer adäquaten Vergleichsgruppe
außerhalb des Kinzigtal zu kommen und an die Behandlerdaten für diejenigen AOK-
und LKK-Versicherten im Kinzigtal, die nicht von IVGK-Leistungspartnern behandelt
werden.
Aus diesen Gründen erschien die Analyse von GKV-Routinedaten als der auf
absehbare Zeit kosteneffektivste Ansatz für die bevölkerungsbezogene vergleichende
ÜUF-Studie.
4.2 Studienpopulationen und Methoden des ÜUF-Projekts
4.2.1 Studienpopulationen und Studiendauer des ÜUF-Projekts
Das ÜUF-Projekt entspricht dem Design einer bevölkerungsbezogenen quasi-experi-
mentellen kontrollierten Studie: Prävalenzen, Kennziffern und Qualitätsindikatoren, die
für die AOK- und LKK-Versicherten im Kinzigtal ermittelt wurden (Interventionsgruppe),
werden mit den Daten einer für ganz Baden-Württemberg repräsentativen Stichprobe
volljähriger AOK- bzw. LKK-Versicherter verglichen, aus der Versicherte der Region
Kinzigtal ausgeschlossen wurden (Vergleichsgruppe).
Die Grundgesamtheit der Interventionsgruppe im weitesten Sinn besteht aus
den im Kinzigtal wohnenden AOK- und LKK-Versicherten (PLZ-Bereiche 77709-77797,
78132), während die Grundgesamtheit der Interventionsgruppe im engeren Sinn die-
jenigen AOK- und LKK-Versicherten im Kinzigtal bilden, die – zu einem gegebenen
Stichtag – aktiv in die IVGK eingeschrieben waren. Die Grundgesamtheit der Ver-
gleichsgruppe setzt sich aus allen volljährigen Versicherten der AOK Baden-Württem-
berg (AOK BW) und der LKK Baden-Württemberg (LKK BW) zusammen, die außerhalb
der Region Kinzigtal ihren Wohnsitz haben. Während bei den Interventionsgruppen
eine Vollerhebung durchgeführt wurde und somit die Daten aller ca. 31.000 AOK- und
LKK-Versicherten im Kinzigtal analysiert werden, steht für die Untersuchung der Ver-
gleichsgruppe eine Zufallsstichprobe zur Verfügung, die rund 20 % der Grundgesamt-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
38
T0: 2004 T7: 2011T3: 2007T2: 2006T1: 2005 …
Interventionen der IVGK
Kontroll-Stichprobe: AOK-/LKK-
Versicherte im übrigen Baden-Württemberg
Interventions-gruppe:
AOK-/LKK-Versicherteim Kinzigtal
Interventions-gruppe:
AOK-/LKK-Versicherteim Kinzigtal
Interventions-gruppe:
AOK-/LKK-Versicherteim Kinzigtal
Interventions-gruppe:
AOK-/LKK-Versicherteim Kinzigtal
Kontroll-Stichprobe: AOK-/LKK-
Versicherte im übrigen Baden-
Württemberg
Kontroll-Stichprobe: AOK-/LKK-
Versicherte im übrigen Baden-Württemberg
Kontroll-Stichprobe: AOK-/LKK-
Versicherte im übrigen Baden-Württemberg
Kontroll-Stichprobe: AOK-/LKK-
Versicherte im übrigen Baden-Württemberg
T0-Vergleich:Prävalenzen,
Indikatoren derVersorgung
T1-Vergleich:dito
T2-Vergleich:dito
T3-Vergleich:dito
T7-Vergleich:Prävalenzen,
Indikatoren derVersorgung,Inzidenzen,
Interventions-gruppe:
AOK-/LKK-Versicherteim Kinzigtal
heit der Vergleichsgruppe und somit die Daten von ca. 500.000 volljährigen Ver-
sicherten umfasst.
Wie oben erwähnt, werden im ÜUF-Projekt die Daten der Beobachtungsjahre
2004 bis 2011 analysiert. Bisher liegen Berichte zu den Daten der Jahre 2004-08 vor.
Das Jahr 2004 gilt dabei als Basisjahr, weil es das letzte interventionsfreie Kalender-
jahr darstellt. Die folgenden Jahre 2005-11 gelten dementsprechend als Jahre mit
zunehmend intensiver und extensiver Intervention seitens der IVGK. Grundzüge des
Studiendesigns sind in Abb. 18 illustriert.
In Abb. 18 symbolisieren die unterschiedlichen Farb-Abstufungen innerhalb der
Interventionsgruppe im weitesten Sinn verschiedene Teilgruppen: (a) Die Farbe weiß
stellt diejenigen AOK-/LKK-Versicherten im Kinzigtal dar, die nicht von hausärztlichen
IVGK-Leistungspartnern behandelt werden; diese Versicherten werden zwar nicht
durch die Interventionen der IVGK erreicht, die IVGK übernimmt jedoch auch für diese
Versicherten eine virtuelle Budgetmitverantwortung. (b) Die Farbe hellgrün symbolisiert
diejenigen AOK-/LKK-Versicherten im Kinzigtal, die zwar regelmäßig von hausärzt-
lichen IVGK-Leistungspartnern behandelt werden, die sich aber (noch) nicht in die
IVGK eingeschrieben haben. (c) Die Farbe mittelgrün stellt diejenigen AOK-/LKK-Ver-
sicherten im Kinzigtal dar, die sich in die IVGK eingeschrieben haben und somit auch
direkt in den Genuss der IVGK-spezifischen Gesundheits- und Krankheitsmanage-
mentprogramme kommen; zudem wählen sie den IVGK-Patientenbeirat.
Abb. 18: Grundzüge des Studiendesigns des ÜUF-Projekts
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
39
4.2.2 Stichprobengrößen der Studienpopulationen
In die folgenden Untersuchungen wurden grundsätzlich nur AOK- und LKK-Versicherte
einbezogen, die in den einzelnen Beobachtungsjahren durchgängig versichert waren
oder – falls sie im betreffenden Jahr verstarben – bis zu ihrem Sterbedatum durch-
gängig versichert waren. Kassenwechsler wurden für das Jahr ihres Kassenwechsels
also nicht berücksichtigt. Weitere Details zur Auswahl der Vergleichsstichprobe finden
sich im aktuellen Zwischenbericht der PMV forschungsgruppe (Köster et al. 2011a: 29f
und 2011b: 29f). Die Ergebnisse für die Versicherten beider Kassen werden im
Folgenden stets getrennt wiedergegeben.
In Tab. 4 sind die Stichprobengrößen der betrachteten Studienpopulationen der
AOK BW dargestellt. Als „IV-Versicherte“ wurden AOK-Versicherte aus dem Kinzigtal
kategorisiert, wenn sie am 31.12.2008 – dem letzten Tag des betrachteten Zeitraums
2004-08 – in die Integrierte Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK) eingeschrieben
waren. Alle anderen im Kinzigtal wohnenden AOK-Versicherten gelten als „Nicht-IV-
Versicherte“. Beide Gruppen zusammengenommen bilden – wie oben erwähnt – die
„Interventionsgruppe im weitesten Sinn“, während die Teilgruppe der „IV-Versicherten“
die „Interventionsgruppe im engeren Sinn“ darstellt. Die Versicherten der AOK BW mit
Wohnsitz außerhalb des Kinzigtals, die zum Vergleich herangezogen wurden, werden
im Folgenden als „Vergleichsstichprobe BW“ bezeichnet. Diese Vergleichsstichprobe
enthält – aus Gründen, die hier nicht zu erläutern sind – nur volljährige Versicherte. Für
die drei AOK-Versichertengruppen bzw. –stichproben ergeben sich die in Tab. 2 wie-
dergegebenen Umfänge (vgl. Köster et al. 2011a: 34).10
Tab. 2: Anzahl der Versicherten der AOK BW nach Versichertengruppe und Beobach-tungsjahr (ohne Kassenwechsler) Versicherte der AOK BW in der Region Kinzigtal Vergleichsstich-
Jahr IV-Versicherte Nicht-IV-Versicherte Gesamt probe BW
2004 3.776 24.080 27.856 512.293
2005 3.842 24.474 28.316 503.530
2006 3.928 24.703 28.631 494.432
2007 3.961 23.939 27.900 483.601
2008 3.909 23.129 27.038 460.414
Im Fall der LKK BW wurden ebenfalls diejenigen Versicherten als „IV-Versicherte“
gewertet, die am 31.12.2008 in die IVGK eingeschrieben waren. Alle anderen im Kin-
zigtal wohnenden LKK-Versicherten gelten im Folgenden als „Nicht-IV-Versicherte“. In
der „Vergleichsstichprobe BW“ der LKK-Versicherten sind – wie im Fall der AOK-Ver-
10 Alle in Kapitel 4 wiedergegebenen Tabellen und Ergebnisse sind dem aktuellen Zwischenbericht der PMV forschungsgruppe entnommen: Siehe Köster et al. 2010a und Köster et al. 2010b.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
40
sicherten – nur volljährige Versicherte enthalten. Für die drei betrachteten Versicher-
tengruppen der LKK BW ergeben sich die in Tab. 3 dargestellten Populationsumfänge
(Köster et al. 2011b: 34):
Tab. 3: Anzahl der Versicherten der LKK BW nach Versichertengruppe und Beo-bachtungsjahr (ohne Kassenwechsler)
Versicherte der LKK BW in der Region Kinzigtal Vergleichs-
Jahr IV-Versicherte Nicht-IV-Versicherte Gesamt stichprobe BW
2004 257 1.361 1.618 15.594
2005 255 1.390 1.645 15.488
2006 258 1.416 1.674 15.459
2007 261 1.411 1.672 15.206
2008 262 1.411 1.673 14.455
Zum ersten Mal in einem Zwischenbericht führte die PMV forschungsgruppe neben
den bereits erwähnten Differenzierungen der Versicherten nach Gruppen und Unter-
gruppen für einige Auswertungen noch eine weitere Differenzierung ein: Die in der
Region Kinzigtal wohnenden AOK-Versicherten wurden bei manchen Fragestellungen
auch noch danach unterschieden, ob sie überwiegend von ärztlichen Leistungs-
partnern der IVGK betreut wurden oder überwiegend von nicht zur IVGK gehörenden
Ärzten. Erstere werden im Folgenden abgekürzt als „LP-Patienten“ („Leistungspartner-
Patienten“) bezeichnet, letztere als „NLP-Patienten“ („Nicht-Leistungspartner-Patien-
ten“). Tab. 4 zeigt, wie sich die im Kinzigtal wohnenden AOK-Versicherten nach
diesem Kriterium verteilen.
Tab. 4: Anteil der im Kinzigtal wohnenden AOK-Versicherten nach Leistungspartner-Status des behandelnden Arztes
Anteil (%) der AOK-BW-Versicherten in der Region Kinzigtal
Jahr
LP-Patienten
NLP-Patienten
nicht zuordenbar
Gesamt
2004 37,9 56,1 6,0 100,0
2005 38,5 56,8 4,6 100,0
2006 39,1 57,4 3,4 100,0
2007 39,1 57,6 3,3 100,0
2008 39,2 57,6 3,1 100,0
Alle im Kinzigtal wohnenden AOK-Versicherten wurden anhand ihrer Originalscheine
bei hausärztlich, kinderärztlich oder gynäkologisch tätigen Ärzten im Zeitraum 2006 bis
2008 einer der drei Gruppen (LP-Patienten vs. NLP-Patienten vs. nicht zuordenbar)
zugeordnet. Als LP-Patienten wurden solche Versicherte klassifiziert, die mehr als 50%
der Originalscheine bei IVGK-Leistungspartnern abgegeben hatten. Als NLP-Patienten
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
41
wurden hingegen Versicherte klassifiziert, die höchstens 50% ihrer Originalscheine bei
IVGK-Leistungspartnern abgegeben hatten. Die dann noch übrig bleibende Gruppe der
„nicht zuordenbaren“ Versicherten besteht folglich aus zwei Gruppen von Versicherten,
nämlich (a) Versicherten mit ambulanter Inanspruchnahme, aber ohne Originalschein
bei hausärztlich oder kinderärztlich oder gynäkologisch tätigen Ärzten im Zeitraum
2006-08 und (b) Versicherten ohne ambulante Inanspruchnahme im Zeitraum 2006-08.
Man wird davon ausgehen können, dass die LP-Patienten in der Regel stärker als die
NLP-Patienten und stärker als die nicht zuordenbaren Versicherten von den Grund-
sätzen und Handlungsmaximen der IVGK berührt werden. Gleichzeitig sind die beiden
Gruppen der LP-Patienten und der NLP-Patienten relativ gut miteinander vergleichbar,
was die durchschnittliche Krankheitslast pro Person betrifft (Köster et al. 2011a: 74).
Aus diesem Grund kann es für bestimmte Fragestellungen sinnvoll sein, Kennziffern
bzw. Qualitätsindikatoren bei LP-Patienten und NLP-Patienten miteinander zu ver-
gleichen und daraus Folgerungen hinsichtlich der Effektivität der IVGK innerhalb der
Region Kinzigtal abzuleiten.
Aus Tab. 4 wird ersichtlich, dass 2006-08 knapp 40% der AOK-Versicherten im
Kinzigtal überwiegend von haus- oder kinderärztlich oder gynäkologisch tätigen Lei-
stungspartnern der IVGK behandelt wurden. Die übrigen AOK-Versicherten aus dem
Kinzigtal hatten ihre haus- oder kinderärztlichen oder gynäkologischen Originalscheine
nicht mehrheitlich bei IVGK-Leistungspartnern abgegeben (rund 58%) oder waren im
Zeitraum 2006-08 nicht ambulant hausärztlich, kinderärztlich oder gynäkologisch
behandelt worden (rund 3%).
Wegen der relativ geringen Anzahl der im Kinzigtal wohnenden LKK-Versicherten
hat die PMV forschungsgruppe darauf verzichtet, für die LKK-Versicherten Kennziffern
und Qualitätsindikatoren auch nach dem Leistungspartner-Status des maßgeblich
behandelnden Arztes zu differenzieren. Derartige Ergebnisse wären wegen der relativ
geringen Fallzahl weitaus weniger aussagekräftig als die analogen Ergebnisse bei den
AOK-Versicherten.
4.2.3 Methoden des Populationenvergleichs: Standardisierung und Fall-Kontroll-Ansatz
Bei vergleichenden Analysen zu Morbiditätskennziffern, globalen Inanspruchnahme-
Kennziffern und globalen Qualitätsindikatoren wird die für das übrige Baden-Württem-
berg repräsentative Vergleichsstichprobe („Vergleichsstichprobe BW“) vollständig ein-
bezogen und dabei auf die Alters- und Geschlechtsverteilung der volljährigen Versi-
cherten aus der Region Kinzigtal standardisiert. Mit Hilfe der Standardisierung einer
Vergleichspopulation auf bestimmte Parameter der Interventionspopulation können die
zu vergleichenden Populationen auch dann sinnvoll miteinander verglichen werden,
wenn die betreffenden Parameter (hier: Alter und Geschlecht) in den einzelnen Popula-
tionen nicht gleich verteilt sind. Da die Variablen Alter und Geschlecht aber im Allge-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
42
meinen wichtige Parameter darstellen, die die Verbreitung von Krankheiten und die
damit zusammenhängenden Inanspruchnahme-Kennziffern beeinflussen, ist eine Stan-
dardisierung zum Zweck eines validen Vergleichs unabdingbar. Die im Fall der Ver-
gleichsstichprobe BW standardisierten Prävalenzen (z.B. Multimorbiditätsprävalenz)
und anderen Kennziffern geben daher auch nicht die betreffende Prävalenz bei
volljährigen AOK-Versicherten aus dem übrigen Baden-Württemberg wieder, sondern
streng genommen nur die Prävalenz bei volljährigen AOK-Versicherten aus dem übri-
gen Baden-Württemberg, falls bei diesen dieselbe Alters- und Geschlechtsverteilung
vorläge wie bei den volljährigen AOK-Versicherten im Kinzigtal.
Bei den Auswertungen indikationsspezifischer Kennziffern und Qualitätsindika-
toren wird, falls nicht anders angegeben, ebenfalls das Verfahren der Standardisierung
bezüglich der Parameter Alter und Geschlecht angewendet. Lediglich in wenigen –
entsprechend ausgewiesenen – Einzelfällen wird auf das Verfahren der Standardi-
sierung verzichtet. Stattdessen basieren in diesen Fällen die Vergleiche zwischen
Interventionsgruppe und Vergleichsstichprobe auf einem Fall-Kontroll-Ansatz: Zu-
nächst werden aus der Interventionspopulation („Kinzigtal-Versicherte insgesamt“)
sämtliche Versicherte mit der entsprechenden Ziel-Indikation ausgewählt und bezüglich
der betreffenden Inanspruchnahme etc. betrachtet; für jeden Kinzigtal-Versicherten mit
der gegebenen Ziel-Indikation („Fall“) werden dann nach dem Zufallsprinzip jeweils fünf
Versicherte aus der baden-württembergischen Vergleichsstichprobe („Kontrollen“) ge-
zogen, die nicht nur dieselbe Ziel-Indikation, sondern auch noch dasselbe Alter und
dasselbe Geschlecht wie der entsprechende „Fall“ aufweisen. Mit diesem Fall-Kontroll-
Ansatz ist gewährleistet, dass Interventions- und Vergleichspopulation im Hinblick auf
indikationsspezifische Kennziffern und Indikatoren auch dann valide verglichen werden
können, wenn die betreffende Ziel-Indikation in beiden Populationen unterschiedlich
häufig vorkommt. Falls nicht anders angegeben, beträgt das zahlenmäßige Verhältnis
zwischen je einem Fall und „seinen“ Kontrollen stets 1:5 (Matching-Verhältnis 1:5).
4.3 Bisherige Ergebnisse: Die Beobachtungsjahre 2004-2008
In den folgenden beiden Abschnitten fassen wir diejenigen Zwischenergebnisse der
Jahre 2004-08 zusammen, welche unseres Erachtens aussagekräftige Antworten auf
die oben erwähnten Forschungsfragen enthalten.11 Selbstverständlich sind diese Ant-
worten als vorläufig zu betrachten, da wir nur Zwischenergebnisse kommentieren. Die
11 Der vollständige Zwischenbericht der PMV forschungsgruppe zu den Beobachtungsjahren 2004-08 lässt sich – für den die AOK BW-Versicherten betreffenden Teilbericht – auf dem geschlossenen (passwortgeschützten) Bereich der EKIV-Homepage einsehen und herunterladen: http://www.ekiv.org/de/intern/pdf/projektberichte/KIT-PMV-UEUF_AOK%202004-2007-fin-2010-03-29_korr-sicher.pdf. Auf den Zwischenbericht der Jahre 2004-08 (AOK BW-Daten) wird im Folgenden als Köster et al. 2011a verwiesen, auf den entsprechenden Zwischenbericht zu den LKK-Daten als Köster et al. 2011b. Um den Bericht einzusehen, der die Daten der LKK-Versicherten untersucht, wenden sich Interessenten bitte an Frau Stützle von der LKK Baden-Württemberg.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
43
Verantwortung für Auswahl und Interpretation der folgenden Zwischenergebnisse tra-
gen die Autoren des vorliegenden Berichts.
Wir referieren zunächst ausgewählte globale Prävalenzen, Kennziffern und Qua-
litätsindikatoren (Abschnitt 4.3.1), bevor wir auf Indikatoren zu einzelnen Ziel-Indika-
tionen eingehen (Abschnitt 4.3.2).
4.3.1 Ausgewählte globale Prävalenzen, Inanspruchnahme-Kennziffern und Qualitätsindikatoren 4.3.1.1 Häufigste Behandlungsanlässe im Jahr 2008
Im Folgenden werden stets fünf verschiedene Teil-Populationen unterschieden (vgl.
Tab. 5a und 5b): Für den Kinzigtal-internen Vergleich zwischen IV-Versicherten (1) und
Nicht-IV-Versicherten (2) wurden stets alle Versicherten unabhängig von ihrem Alter
einbezogen; das Durchschnittsalter der IV-Versicherten ist dabei wesentlich höher als
das der Nicht-IV-Versicherten. Die Teilpopulationen (1) und (2) ergeben zusammen die
Versichertenpopulation „Kinzigtal Gesamt“ (3). Werden die Ergebnisse aus dem Kin-
zigtal mit den Ergebnissen einer hinsichtlich Alter und Geschlecht auf die Kinzigtal-
Population standardisierten Stichprobe volljähriger Versicherter aus dem übrigen
Baden-Württemberg (5) verglichen, so werden dabei auch bei der Kinzigtal-Population
grundsätzlich nur die volljährigen Versicherten (4) betrachtet.
Ein Blick auf die häufigsten Behandlungsanlässe fördert wichtige Charakte-
ristika der Versicherten aus dem Kinzigtal zutage. Bei den AOK-Versicherten bilden im
Jahr 2008 folgende ICD-Gruppen die zehn häufigsten Behandlungsanlässe im ambu-
lanten Sektor (Tab. 5a) bzw. im stationären Sektor (Tab. 5b):
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
44
Tab. 5a: Liste der zehn häufigsten ICD-Gruppen der AOK-Versicherten im ambulanten Sektor: Anteil der Versicherten mit ambulant-ärztlicher Diagnose im Jahr 2008
Kinzigtal Alter >= 18 J.
ICD-
Gruppe
Bezeichnung IV-Vers.
(1)
Nicht-IV-
Vers. (2)
Gesamt
(3)
Kinzigtal
(4)
standard.
BW (5)
M40-M54 Krankh.d.Wirbelsäule & d.Rückens 50,3 32,0 34,6 39,6 42,2
I10-I15 Hypertonie 43,7 25,3 28,0 33,3 35,0
M00-M25 Arthropathien 41,8 23,4 26,1 29,8 28,7
E70-E90 Stoffwechselstörungen 37,2 20,6 23,0 27,2 29,5 N80-N98 Nichtentzündliche Krankheiten des
weiblichen Genitaltraktes 26,5 21,0 21,8 24,9 22,8
M60-M79 Krankheiten der Weichteilgewebe 28,1 17,0 18,6 20,9 20,6
J00-J06 Akute Infekt. d. oberen Atemwege 23,7 24,1 24,0 20,3 20,3
I80-I89 Krankh.d.Venen, Lymphgefäße u. Lymphknoten, andernorts n. klass.
22,8 13,9 15,2 17,9 18,0
H49-H52
Affekt. d. Augenmuskeln, Stör. d. Blickbewegungen, Akkomodations- störungen & Refraktionsfehler
28,3 15,3 17,2 17,0 22,2
J40-J47 Chron.Krankh. d. unteren Atemwege 21,9 16,0 16,9 16,7 16,8
Tab. 5b: Liste der zehn häufigsten ICD-Gruppen der AOK-Versicherten im stationären Sektor: Anteil der Versicherten mit stationärer Hauptentlassungsdiagnose im Jahr 2008
Kinzigtal Alter >= 18 J.
ICD-
Gruppe
Bezeichnung IV-Vers.
(1)
Nicht-IV-
Vers. (2)
Gesamt
(3)
Kinzigtal
(4)
standard.
BW (5)
I30-I52 Sonstige Formen d. Herzkrankh. 15,6 9,1 10,0 11,9 11,0
C00-C97 Bösartige Neubildungen 12,3 8,7 9,2 11,0 12,4
M00-M25 Arthropathien 13,6 8,0 8,8 10,4 9,4
M40-M54 Krankh.d.Wirbelsäule & Rückens 11,0 4,4 5,3 6,4 5,9
I20-I25 Ischämische Herzkrankheiten 11,0 4,1 5,1 6,1 8,3
I60-I69 Zerebrovaskuläre Krankheiten 6,9 4,0 4,4 5,3 5,5
G40-G47 Episodische und paroxysmale Krankheiten d. Nervensystems
7,7 3,9 4,4 5,0 4,2
R50-R69 Allgemeinsymptome 5,4 3,9 4,1 4,8 3,9
K55-K63 Sonstige Krankh. d. Darms 6,7 3,4 3,8 4,5 5,5
K40-K46 Hernien 5,9 3,2 3,6 4,2 4,0
Ein Blick auf die beiden Tabellen (Tab. 5a und 5b) zeigt keine auffälligen und
systematisch indikationsübergreifenden Niveauunterschiede zwischen den volljährigen
AOK-Versicherten im Kinzigtal einerseits und der alters- und geschlechtsstandar-
disierten Vergleichsstichprobe aus dem übrigen Baden-Württemberg andererseits.
Anteil ( in % ) mit ambulant-ärztlicher Diagnose
Anzahl m. stat. Hauptentlassungsdiagnose pro 1.000 Vers.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
45
Dies gilt sowohl für die Krankenscheindiagnosen als auch für die stationären Hauptent-
lassungsdiagnosen.
Vergleicht man die Behandlungshäufigkeiten bei den IV-Versicherten und Nicht-
IV-Versicherten im Kinzigtal, so zeigen sich deutliche Unterschiede: Sowohl im ambu-
lanten als auch im stationären Sektor weisen die IV-Versicherten durchweg eine we-
sentlich höhere Behandlungsprävalenz auf als die Nicht-IV-Versicherten (nicht stan-
dardisierte Werte). Dieses Ergebnis deckt sich mit dem – bereits an anderer Stelle
diskutierten12 – Befund, dass in der IVGK eine umgekehrte Risikoselektion praktiziert
wird: Als IV-Versicherte werden zunächst und vorwiegend ältere und mit einer höheren
Krankheitslast konfrontierte Versicherte eingeschrieben.
Die Resultate zu den zehn häufigsten ambulanten Behandlungsanlässen bei den
LKK-Versicherten finden sich in Tabellen 6.
Tab. 6: Liste der zehn häufigsten ICD-Gruppen der LKK-Versicherten im ambulanten Sektor: Anteil der Versicherten mit ambulant-ärztlicher Diagnose im Jahr 2008
Kinzigtal Alter >= 18 J.
ICD-
Gruppe
Bezeichnung IV-Vers.
(1)
Nicht-IV-
Vers. (2)
Gesamt
(3)
Kinzigtal
(4)
standard.
BW (5)
I10-I15 Hypertonie 55,0 33,3 36,7 43,0 47,1
M40-M54 Krankh.d.Wirbelsäule & d. Rückens 50,4 31,4 34,4 39,0 41,9
M00-M25 Arthropathien 53,1 30,3 33,8 38,4 38,9
E79-E90 Stoffwechselstörungen 33,6 23,4 25,0 29,4 32,7
I80-I89 Krankh. der Venen, Lymphgefäße & Lymphknoten, andernorts n. klass.
34,7 19,1 21,5 25,2 25,5
I30-I52 Sonstige Formen der Herzkrankheit 27,9 18,9 20,3 23,7 24,6
E00-E07 Krankh. der Schilddrüse 24,0 18,4 19,2 22,4 20,2
M60-M79 Krankheiten der Weichteilgewebe 26,7 15,0 16,9 17,9 21,2
H49-H52 Affektionen der Augenmuskeln, Stör. d.Blickbew., Akkomodationstionsstö-rungen u. Refraktionsfehler
31,3 15,5 17,9 17,8 22,8
H25-H28 Affektionen der Linse 23,7 10,8 12,8 15,0 15,0
12 Siehe ausführlich: Siegel A & Stößel U: Umgekehrte Risikoselektion in der Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal – Sozialstruktur und GKV-Kosten von eingeschriebenen und nicht-eingeschriebenen Versicherten im Zeitverlauf. In: EKIV-Newsletter 1/2009: 10-14. Download unter: http://www.ekiv.org/de/pdf/EKIV-Newsletter_2009-1.pdf
Anteil ( in % ) mit ambulant-ärztlicher Diagnose
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
46
Beim Blick auf die Ergebnisse der LKK-Versicherten fallen vor allem zwei Dinge auf:
(1) Die Behandlungsprävalenzen im ambulanten Sektor sind im Kinzigtal fast durchweg
niedriger als im übrigen Baden-Württemberg; demgegenüber sind sie im stationären
Sektor (ohne Tabelle13) fast durchweg höher als im restlichen Baden-Württemberg. (2)
Die Behandlungsprävalenzen bei den IV-Versicherten im Kinzigtal sind sowohl im
ambulanten als auch im stationären Sektor deutlich höher als bei den Nicht-IV-Versi-
cherten im Kinzigtal: Die von der IVGK praktizierte umgekehrte Risikoselektion zeigt
sich also auch im Fall der LKK-Versicherten sehr deutlich.
4.3.1.2 Versicherte mit Multimorbidität und Multimedikation
Einen guten Überblick über die Entwicklung der Morbidität bei den AOK-Versicherten
erhält man in einer einzigen Tabelle, wenn man den Anteil der Versicherten mit Multi-
morbidität in den fünf Beobachtungsjahren bildet. Das Kriterium „Multimorbidität“ galt
als erfüllt, wenn bei einem Versicherten Diagnosen aus mindestens drei verschiedenen
ICD-Untergruppen und diese über mindestens drei Quartale im Jahr dokumentiert
waren. Demnach lässt sich für die AOK-Versicherten folgende Entwicklung feststellen:
Tab. 7: Anteil der AOK-Versicherten mit Multimorbidität nach Beobachtungsjahr
Tabelle 7 zeigt, dass sowohl im Kinzigtal als auch in der Vergleichsstichprobe BW der
Anteil der Versicherten mit Multimorbidität im Zeitraum 2004-08 steigt. Der Anstieg fällt
bei den volljährigen Versicherten im Kinzigtal etwas geringer aus (von rund 28 % im
Jahr 2004 auf 34 % im Jahr 2008 – Anstieg: 21%) als in der alters- und geschlechts-
standardisierten baden-württembergischen Vergleichsgruppe (von rund 28 % im Jahr
13 Wegen sehr geringer Fallzahlen müssen wir an dieser Stelle aus Datenschutzgründen darauf verzichten, die stationäre Behandlungsprävalenz bei den LKK-Versicherten nach Indikationengruppen aufzulisten.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
47
2004 auf 36 % im Jahr 2008 – Anstieg: 28%). Betrachtet man die beiden Versicherten-
gruppen innerhalb des Kinzigtals, so zeigen sich erneut die – durchaus erwünschten –
Auswirkungen der umgekehrten Risikoselektion in der IVGK: Unter den IV-Versicherten
ist der Anteil an Versicherten mit Multimorbidität im Jahr 2008 mehr als doppelt so
hoch wie unter den Nicht-IV-Versicherten im Kinzigtal (nicht standardisierte Werte).
Vergleicht man die Multimorbiditätsprävalenz bei den LP-Patienten und den NLP-
Patienten im Kinzigtal (alters- und geschlechtsstandardisierte Werte), so zeigt sich eine
signifikant höhere Prävalenz bei den Patienten der IVGK-Leistungspartner: Im Jahr
2008 beträgt diese Prävalenz 32,4% bei den LP-Patienten und 28,2% bei den NLP-
Patienten.
Für die LKK-Versicherten liegen Ergebnisse bezüglich der Multimorbiditätsprä-
valenz bislang nur für die Jahre 2007 und 2008 vor (Köster et al. 2011b: 71): 2008
beläuft sich die Prävalenz auf rund 42% bei den volljährigen LKK-Versicherten im
Kinzigtal, während es im übrigen Baden-Württemberg rund 44 % sind (ohne Tabelle).
Die in die IVGK eingeschriebenen Versicherten haben dabei eine deutlich höhere
Prävalenz als die Nicht-Eingeschriebenen (rund 59% vs. 32%; nicht standardisiert).
Der sog. Charlson-Komorbiditäts-Index misst im Grundsatz etwas Ähnliches wie
die Multimorbiditätsprävalenz (Köster et al. 2011a: 61ff): Er stellt einen eindimen-
sionalen Morbiditätsmaßstab dar, in den 17 Erkrankungen eingehen; sein prognosti-
scher Wert für die 10-Jahres-Mortalität ist beachtlich (vgl. ebd.). Je höher der Index-
wert, desto höher die Krankheitslast eines Versicherten. Tab. 7 zeigt die Entwicklung
des durchschnittlichen Charlson-Komorbiditäts-Indexwerts unter den AOK-Versicher-
ten. Wie im Fall der Multimorbiditätsprävalenz steigt auch der Charlson-Komorbiditäts-
Indexwert im Kinzigtal im Zeitraum 2006-08 langsamer an als im übrigen Baden-
Württemberg (Anstieg um 13% vs. 19%). Auch ist der durchschnittliche Indexwert im
Kinzigtal geringer als in der Vergleichsstichprobe (2008: 0,69 vs. 0,81). Ähnlich wie im
Fall der Multimorbiditätsprävalenz ist der Indexwert bei den IV-Versicherten im Kin-
zigtal 2008 etwas mehr als doppelt so hoch wie bei den Nicht-IV-Versicherten (1,04 vs.
0,51).
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
48
Tab. 8: Charlson-Komorbidäts-Index unter den Versicherten der AOK BW
An dieser Stelle lohnt wieder ein Vergleich der Charlson-Indexwerte bei LP-Patienten
und NLP-Patienten: Im Basisjahr 2004 lagen die alters- und geschlechtsstandardi-
sierten Durchschnittswerte beinahe auf gleicher Höhe, nämlich bei 0,49 (LP-Patienten)
und bei 0,48 (NLP-Patienten). Im Zeitraum 2004-08 stieg jedoch der durchschnittliche
Indexwert unter den LP-Patienten etwas stärker als unter den NLP-Patienten (Anstieg
um 31% vs. 23%). Deshalb unterscheiden sich die alters- und geschlechtsstan-
dardisierten Durchschnittswerte im Jahr 2008 etwas deutlicher als noch 2004 (LP-
Patienten 2008: 0,64; NLP-Patienten 2008: 0,59). Dies bedeutet nicht zwingend, dass
die LP-Patienten objektiv „schneller krank“ geworden sind als die NLP-Patienten. Denn
der schneller gestiegene durchschnittliche Charlson-Indexwert unter den LP-Patienten
kann (auch!) darin begründet sein, dass die Einführung der IVGK bei den IVGK-
Leistungspartnern zu einer steigenden Aufmerksamkeit für etwaige Komorbiditäten und
somit zu einer etwas häufigeren Kodierung von Nebendiagnosen geführt hat.
Im Vergleich zu den AOK-Versicherten zeigen sich bei den LKK-Versicherten
beider Teilpopulationen deutlich höhere Charlson-Komorbiditäts-Indexwerte: Während
die LKK-Versicherten im Kinzigtal im Jahr 2008 einen Durchschnittswert von 0,84
aufweisen, beträgt dieser bei den LKK-Versicherten der Vergleichsstichprobe 0,98
(alters- und geschlechtsstandardisierte Werte). Diese höheren Werte beim Charlson-
Index bei den LKK-Versicherten bestätigen inhaltlich das oben referierte Ergebnis zur
Multimorbiditätsprävalenz: Die in die Studie einbezogenen LKK-Versicherten haben im
Vergleich zu den untersuchten AOK-Versicherten eine höhere Krankheitslast (nicht
alters- und geschlechtsstandardisiert!).
Tab. 9 gibt den Anteil der AOK-Versicherten mit Multimedikation wieder. Das Kri-
terium „Multimedikation“ galt als erfüllt, wenn bei einem Versicherten in allen vier Quar-
talen eines Jahres mindestens fünf verschiedene Verordnungen (ATC 7-stellig) doku-
mentiert waren. Einen hohen Anteil von Versicherten mit Multimedikation interpretieren
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
49
wir grundsätzlich – auch wenn das nicht für jeden Einzelfall gilt – kritisch, denn bei Pa-
tienten mit Multimedikation steigt die Wahrscheinlichkeit unerwünschter Arzneimittel-
wirkungen bzw. unvorgesehener Arzneimittelinteraktionen.
Tab. 9: Anteil der AOK-Versicherten mit Multimedikation nach Beobachtungsjahr
Wie aus Tab. 9 zu erkennen ist, liegt der Anteil volljähriger Versicherter mit Multimedi-
kation im Kinzigtal im Jahr 2008 mit 6,3% um knapp ein Fünftel niedriger als in der
baden-württembergischen Vergleichsstichprobe mit 7,5%. Der Anteil steigt in beiden
Versichertengruppen von 2004 bis 2008 merklich an; dabei verläuft der Anstieg im
Kinzigtal etwas steiler als in der alters- und geschlechtsstandardisierten Vergleichs-
gruppe (40% vs. 34%). Vergleicht man die alters- und geschlechtsstandardisierte
Multimedikationsprävalenz bei LP-Patienten und NLP-Patienten unter den AOK-
Versicherten des Kinzigtals, so erhält man auch wieder eine etwas höhere Prävalenz
für die LP-Patienten (2008: 5,7% vs. 5,3%). Der Unterschied ist nicht signifikant (Köster
et al. 2011a: 75).
Tab. 10 bildet diese Kennziffer für die LKK-Versicherten ab. Auch hier liegt der
Anteil der Versicherten mit Multimedikation im Kinzigtal im gesamten betrachteten
Zeitraum deutlich unter dem Anteil im übrigen Baden-Württemberg. Allerdings steigt
unter den Kinzigtaler LKK-Versicherten der Anteil von 2004-08 deutlicher an (81%) als
im übrigen Baden-Württemberg (61%). Die Ergebnisse im Kinzigtal beruhen jedoch auf
geringen Fallzahlen und sind dementsprechend mit Vorsicht zu interpretieren.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
50
Tab. 10: Anteil der LKK-Versicherten mit Multimedikation nach Beobachtungsjahr 4.3.1.3 Versicherte mit problematischen Arzneimittelverordnungen
Es gibt Medikationskennziffern, die wesentlich eindeutiger als problematisch anzuse-
hen sind als dies bei der gerade erwähnten Multimedikation der Fall ist. Diese können
deshalb auch als Qualitätsindikatoren im eigentlichen Wortsinn interpretiert werden.
Dies gilt vor allem für die längerfristige Verordnung von Benzodiazepinen. Eine länger-
fristige Benzodiazepin-Verordnung ist wegen des hohen Abhängigkeitspotentials als
kritisch einzuschätzen. Als „längerfristig“ galt eine Verordnung, wenn bei einem Ver-
sicherten mehr als 20 Tagesdosen (>20 DDD) pro Jahr dokumentiert waren. Die
entsprechende Verordnungsprävalenz kann also als globaler Qualitätsindikator inter-
pretiert werden, der eine Fehlversorgung anzeigt. Tab. 11 gibt die Entwicklung der
längerfristigen Benzodiazepin-Verordnungen zu Lasten der GKV bei den AOK-Ver-
sicherten wieder.
Wie anhand von Tab. 11 zu sehen ist, kommen bei den AOK-Versicherten im
Kinzigtal längerfristige Benzodiazepin-Verordnungen in jedem Beobachtungsjahr von
2004 bis 2008 deutlich seltener vor (2,5% im Jahr 2004; 2,4% im Jahr 2008) als in der
alters- und geschlechtsstandardisierten Vergleichsstichprobe aus dem übrigen Baden-
Württemberg (4,0% im Jahr 2004; 3,9% im Jahr 2008). Diese Kennziffern berück-
sichtigen allerdings nur Benzodiazepine, die zu Lasten der GKV verordnet wurden –
Verordnungen auf Privatrezept werden in GKV-Routinedaten grundsätzlich nicht er-
fasst. Die tatsächliche Prävalenz aller Benzodiazepin-Verordnungen wird daher ver-
mutlich in beiden Versichertengruppen unterschätzt.
Die PMV forschungsgruppe hat im aktuellen Jahresbericht auch ein alters- und
geschlechtsadjustiertes Odds Ratio (OR) für einen Kinzigtal-Versicherten berechnet,
eine längerfristige Benzodiazepin-Verordnung zu Lasten der GKV zu erhalten (Re-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
51
ferenz: Vergleichsstichprobe BW). Dabei war das OR eines Kinzigtal-Versicherten sig-
nifikant unter dem Referenzwert (2008: OR=0,60; 95% Konfidenzintervall 0,55-0,65). Tab. 11: AOK-Versicherte mit längerfristiger Verordnung von Benzodiazepinen (>20 DDD)
Vergleicht man die Verordnungsprävalenz bei LP-Patienten und NLP-Patienten im
Kinzigtal, so erhält man folgendes Ergebnis (Tab. 12). Tab. 12: Längerfristige Verordnung von Benzodiazepinen (>20 DDD) bei LP-Patienten und NLP-Patienten im Kinzigtal
Tab. 12 zeigt eine in allen betrachteten Jahren (2006-08) signifikant geringere Präva-
lenz unter den LP-Patienten. Das Odds Ratio der LP-Patienten (Referenzgruppe: NLP-
Patienten) bewegt sich in diesem Zeitraum zwischen 0,70 (2006) und 0,76 (2008).
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
52
Auch bei den LKK-Versicherten (ohne Tabelle) finden sich im Kinzigtal in allen be-
trachteten Jahren deutlich seltener längerfristige Benzodiazepin-Verordnungen zu La-
sten der GKV als im übrigen Baden-Württemberg (2008: 2,8% im Kinzigtal; 4,2% im
übrigen Baden-Württemberg; vgl. Köster et al. 2011b: 81). Dieses Ergebnis spiegelt
sich ebenfalls in einer für die Kinzigtal-Versicherten signifikant verringerten Odds Ratio
wider (OR im Jahr 2008: 0,65; 95% Konfidenzintervall: 0,46-0,90 – Köster et al. 2011b:
82). Auf eine detaillierte Darstellung des Zeitverlaufs bei den LKK-Versicherten
verzichten wir wegen teilweise sehr geringer Fallzahlen.
Die Problematik einer potentiellen Medikamentenabhängigkeit wird auch in ei-
nem QiSA-Indikator abgebildet: Dort wird der Anteil der Patienten mit mehr als 30 DDD
Anxiolytika, Sedativa oder Hypnotika pro Quartal an allen Patienten mit diesen Wirk-
stoffen dargestellt (QiSA-Indikator Nr. 11, Szecsenyi et al. 2009: 46ff). Da der Nenner
des Indikators (alle Patienten mit mindestens einer Verordnung eines betreffenden
Wirkstoffs pro Quartal) in diesem Fall bereits eine deutlich eingeschränkte Population
im Vergleich zur Gesamtstichprobe/Gesamtpopulation darstellt, liegt der Anteil auch
entsprechend höher, wie aus Tab. 13 zu erkennen ist.
Tab. 13: Anteil der Patienten mit >30 DDD an Anxiolytika, Sedativa, Hypnotika in mindestens einem Quartal des Jahres an allen Empfängern dieser Wirkstoffe (nur AOK-Versicherte) Auch bei diesem Indikator zeigt sich eine geringere Prävalenz bei den volljährigen Ver-
sicherten im Kinzigtal (33,8% im Jahr 2008) im Vergleich zum übrigen Baden-Würt-
temberg (39,4% im Jahr 2008). Im Jahr 2008 ist die Prävalenz bei den (späteren) IV-
Eingeschriebenen mit rund 28% sogar am niedrigsten. Die Prävalenz der Kinzigtal-
Versicherten ist im Vergleich zu den Versicherten aus dem übrigen Baden-Württem-
berg signifikant geringer (OR im Jahr 2008: 0,78; 95% Konfidenzintervall: 0,68-0,90 –
Köster et al. 2011a: 88). Vergleicht man die Prävalenz bei LP-Patienten und NLP-
Patienten im Kinzigtal, zeigt sich im Jahr 2008 eine geringere Prävalenz bei den LP-
Patienten (30,3% vs. 35,5%); diese Differenz ist nicht signifikant. Auf eine Darstellung
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
53
dieser Kennziffer bei den LKK-Versicherten verzichten wir hier wegen der einge-
schränkten Aussagekraft aufgrund sehr geringer Fallzahlen.
Zum Abschluss dieses Abschnitts referieren wir einen letzten Indikator zu proble-
matischen Arzneimittelverordnungen, nämlich den Anteil der Patienten mit länger an-
dauernder und/oder hoch dosierter Anwendung nicht-steroidaler Antirheumatika (>75
DDD) in mindestens einem Quartal des Jahres an allen Empfängern dieser Wirkstoffe
(Tab. 14). Die länger andauernde Einnahme nicht-steroidaler Antirheumatika (NSAR)
ist problematisch, da sie ein erhöhtes Risiko einer Ulkusentwicklung beinhaltet. Der
Indikator findet sich ebenfalls in der Liste der QiSA-Indikatoren (QiSA-Indikator Nr. 12;
Szecsenyi et al. 2008: 49ff). Auch im Hinblick auf diesen Indikator sind konstant nied-
rigere Indikatorwerte im Kinzigtal im Vergleich zum übrigen Baden-Württemberg zu
erkennen (7,1% vs. 10,0% im Jahr 2008). Die alters- und geschlechtsstandardisierten
Prävalenzen im Jahr 2008 sind im Kinzigtal signifikant geringer als im übrigen Baden-
Württemberg (OR 0,67; 95% Konfidenzintervall: 0,61-0,74 – Köster et al. 2011a: 89).
Auch dieses Ergebnis ist für die Versorgung im Kinzigtal positiv zu werten. Die
höheren Werte unter den IV-Versicherten können als Folgeerscheinung der umge-
kehrten Risikoselektion interpretiert werden, d.h. durch die Tatsache, dass die Morbidi-
tät in der Gruppe der IV-Versicherten höher ist als bei den Nicht-IV-Versicherten. Tab. 14: Anteil der Patienten mit >75 DDD an NSAR in mindestens einem Quartal des Jahres an allen Empfängern dieser Wirkstoffe (nur AOK-Versicherte)
4.3.1.4 Weitere globale Kennziffern der Inanspruchnahme
In diesem Unterabschnitt geben wir eine Reihe ausgewählter weiterer Inanspruch-
nahme-Kennziffern wieder. Tab. 15 stellt den Anteil der AOK-Versicherten mit Praxis-
kontakt pro Jahr dar.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
54
Tab. 15: Anteil der AOK-Versicherten mit Praxiskontakt nach Beobachtungsjahr
Wie aus Tab. 15 zu erkennen ist, unterscheiden sich die volljährigen Versicherten im
Kinzigtal im Jahr 2008 nicht von der Vergleichsgruppe (92,0% vs. 92,1%). Lediglich in
den Vorjahren ist der Anteil der AOK-Versicherten mit Praxiskontakt im Kinzigtal etwas
höher als im übrigen Baden-Württemberg (2007: 91,4% vs. 89,7%). Von den in die
IVGK eingeschriebenen AOK-Versicherten haben 2008 so gut wie alle mindestens ein
Mal im Jahr Kontakt zu einer Arztpraxis (2008: 99,2%).
Bei den LKK-Versicherten (ohne Tabelle) liegt der Anteil der Versicherten mit
Praxiskontakt im Jahr 2008 im Kinzigtal bei 89%, im übrigen Baden-Württemberg bei
90,6%. Von den in die IVGK eingeschriebenen LKK-Versicherten haben 98,5% minde-
stens einen Praxiskontakt im Jahr 2008.14
Ein wichtiges Ziel integrierter Versorgungssysteme ist es, durch eine besser ko-
ordinierte Routineversorgung der Patienten die Anzahl sowie den Anteil von Notfallbe-
handlungen zu reduzieren. Tab. 16 illustriert die Entwicklung des Anteils der AOK-
Versicherten mit Abrechnung einer Leistung im Notfall und im organisierten ärztlichen
Not(fall)dienst. Darunter fallen z.B. diejenigen Versicherten, die sich in einem gege-
benen Jahr selbst ins Krankenhaus einweisen oder z.B. diejenigen, die im betreffenden
Jahr den Wochenend-Notdienst der KV in Anspruch nehmen.
Aus Tab. 16 geht hervor, dass die entsprechenden Anteile im Kinzigtal im ge-
samten Zeitraum etwas höher sind als in der Vergleichsgruppe (2008: 18,7% vs.
16,4%). Wegen der EBM-Umstellung ist die Berechnung der Kennziffer erst ab 2006
möglich. Tab. 16 zeigt jedoch auch, dass der Anteil im Kinzigtal von 2006 bis 2008
etwas geringer ansteigt (+8%) als in der Vergleichgruppe (+11%). Es wird interessant
sein zu beobachten, ob dieser Trend auch in den Folgejahren anhält.
14 Wir verzichten hier auf eine Tabelle, da die LKK-Daten der Jahre 2004 und 2006 unvollständig und die Daten des Jahres 2005 nicht verfügbar sind.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
55
Tab. 16: Anteil der AOK-Versicherten mit Praxiskontakt und Notfallschein
Bei den LKK-Versicherten ist bisher ein gegenläufiger Trend auszumachen (ohne
Tabelle): Im Jahr 2006 hatten lediglich 8,8% der Kinzigtaler LKK-Versicherten eine
Notfallbehandlung gegenüber 11,3% in der Vergleichsgruppe; im Jahr 2008 lag diese
Kennziffer jedoch im Kinzigtal höher als in der Vergleichsgruppe (16,2% vs. 15,2%).
Eine wichtige Kennziffer, die die PMV forschungsgruppe im aktuellen Zwischen-
bericht erstmals ausgewiesen hat, ist der Anteil der Versicherten mit Pflegestufe I-III
nach SGB XI. Jede nachhaltige Strategie zur Verbesserung der Gesundheitsversor-
gung sollte zum Ziel haben, durch geeignete präventive Maßnahmen Pflegebedürftig-
keit im Alter zu verhindern oder zu verzögern. Tab. 17 zeigt dementsprechend den
Anteil der AOK-Versicherten mit Pflegestufe I-III.
Aus Tab. 17 geht hervor, dass der Anteil der AOK-Versicherten mit Pflegestufe I-
III bis zum Jahr 2006 im Kinzigtal und in der Vergleichsgruppe auf gleicher Höhe war
(2006: jeweils 5,6%). In den Jahren 2007 und 2008 zeigt sich ein Trend zu einem
geringeren Anteil im Kinzigtal (2008: 5,5% vs. 6,0%). Bezogen auf das Basisjahr 2004
hat sich bis 2008 der Anteil im Kinzigtal also um 5% reduziert, in der Vergleichsgruppe
ist er hingegen um 5% gewachsen. (Die Differenz im Jahr 2008 wurde nicht auf stati-
stische Signifikanz geprüft.)
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
56
Tab. 17: Anteil der AOK-Versicherten mit Pflegestufe I-III (SGB XI)
Schließlich sei hier noch ein letztes Ergebnis aus dem Bereich der globalen, d.h.
indikationenübergreifenden Inanspruchnahmekennziffern dargestellt – ein Ergebnis,
das auch einen Teil zum finanziellen Erfolg der IVGK bis 2008 beigetragen hat: der
Generikaanteil an allen Tagesdosen generikafähiger Präparate. Die Erhöhung des Ge-
nerikaanteils gilt als eine Möglichkeit, ohne Qualitätsverlust Kosten zu senken. Zwar
wird die Steuerung des Generikaanteils durch die kürzlich in Kraft getretenen Rabatt-
verträge nicht mehr durch die Verordnung des Arztes vorgenommen, doch sind die
Ergebnisse für den Zeitraum 2004-08 noch relevant und bedeutsam (Tabellen 18 und
19).
Tab. 18: Generikaanteil der AOK-Versicherten
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
57
Tab. 19: Generikaanteil der LKK-Versicherten
Obwohl der Generikaanteil auch bei den baden-württembergischen Vergleichsgruppen
von AOK und LKK sehr hoch ist, wird er im Kinzigtal noch einmal übertroffen (89,5%
vs. 87,1% bei den Verordnungen der AOK-Versicherten im Jahr 2008; 89,4% vs.
88,0% bei den Verordnungen der LKK-Versicherten im Jahr 2008). Gleichwohl ist
erkennbar, dass – aus oben genanntem Grund – die bis 2006 und 2007 noch beträcht-
liche Differenz im Jahr 2008 tendenziell geringer geworden ist.
Betrachtet man die Generikaquoten für IV-Versicherte und Nicht-IV-Versicherte
im Kinzigtal, so fällt auf, dass der Generikaanteil bei den IV-Versicherten den der Nicht-
IV-Versicherten jeweils immer noch deutlich übersteigt: Der Generikaanteil beträgt für
die IV-Versicherten der AOK 91,8% (Nicht-IV-Versicherte der AOK: 88,5%). Der Gene-
rikaanteil für die IV-Versicherten der LKK beläuft sich sogar auf 92,9% (Nicht-IV-Versi-
cherte der LKK: 88,4%).
4.3.2 Ausgewählte indikationsbezogene Prävalenzen, Kennziffern und Qualitätsindikatoren
Im Folgenden geben wir einen Überblick über die Entwicklung indikationsspezifischer
Kennziffern und Qualitätsindikatoren im Zeitraum 2004-08. Diese beziehen sich auf die
Versorgung von Patienten mit den folgenden Indikationen:
- Chronische KHK
- Herzinsuffizienz
- Diabetes mellitus
- Affektive Störungen
- Demenz
- Osteoporose und Frakturen
- Rückenschmerzen.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
58
Zunächst stellen wir die bisherigen Zwischenergebnisse zur Versorgung von Patienten
mit chronischer KHK und von Patienten mit Osteoporose und Frakturen im Detail vor
(Abschnitte 4.3.2.1 und 4.3.2.2), um die Vorgehensweise der PMV forschungsgruppe
bei der Bildung und Auswertung von indikationsspezifischen Kennziffern und Qualitäts-
indikatoren zu veranschaulichen. Anschließend fassen wir in Abschnitt 4.3.2.3 die
Ergebnisse zu allen übrigen Indikationen zusammen (Herzinsuffizienz, Diabetes melli-
tus, affektive Störungen, Demenz, Rückenschmerzen).
Da für die LKK-Versicherten die Fallzahlen bei indikationsbezogenen Analysen
oft sehr gering sind, sehen wir in den folgenden Abschnitten von einer Darstellung der
LKK-Ergebnisse ab.
Die bisherigen Zwischenergebnisse zu indikationsspezifischen Indikatoren las-
sen sich folgendermaßen zusammenfassen: Im Zeitraum 2004-08 wurde im Kinzigtal
die Versorgungsqualität absolut gesehen in zahlreichen Bereichen verbessert (absolu-
te Verbesserung). Dabei konnten in vielen Fällen die Indikatorwerte auch im Vergleich
zum übrigen Baden-Württemberg verbessert werden (absolute und komparative Ver-
besserung der Versorgung im Kinzigtal). In einigen anderen Versorgungsbereichen
wurden aber auch deutliche Optimierungspotentiale für das Kinzigtal identifiziert. Nur
in sehr wenigen Bereichen muss der Versorgung im Kinzigtal unseres Erachtens ein
vergleichsweise negatives Ergebnis bescheinigt werden. Ein „vergleichsweise nega-
tives Ergebnis“ betrachten wir dann als gegeben, wenn nicht nur das aktuelle Versor-
gungsniveau im Kinzigtal (hier: 2008) im Vergleich zum übrigen Baden-Württemberg
auf einem als weniger gut zu bewertenden Niveau liegt, sondern wenn sich die Indi-
katorwerte im Kinzigtal im Zeitraum 2004-08 auch noch weniger günstig entwickelten
als im übrigen Baden-Württemberg.
4.3.2.1 Chronische koronare Herzkrankheit (KHK) Zum Oberbegriff der „chronischen koronaren Herzkrankheit“ (chronische KHK) wurden
in der vorliegenden Untersuchung die ICD-10-Diagnosen I20 (Angina pectoris) bis I25
(chronische ischämische Herzkrankheit) sowie die Codes Z95.1 (Vorhandensein eines
aortokoronaren Bypasses) und Z95.2 (Vorhandensein eines Implantates oder Trans-
plantates nach koronarer Gefäßplastik) gezählt.
Bei der Ermittlung der administrativen Prävalenz bestimmter Ziel-Indikationen bil-
dete die PMV forschungsgruppe stets zwei Prävalenz-Varianten, nämlich
a. die Prävalenz, die sich ergibt, wenn in den GKV-Routinedaten eines Versicher-
ten die entsprechende Diagnose (nach ICD-10) im betrachteten Zeitraum (Jahr)
zumindest einmal kodiert war (Prävalenz aufgrund Diagnosenennung), und
b. die Prävalenz, die nur epidemiologisch sichere Fälle umfasst, so dass Ver-
dachtsdiagnosen weitgehend ausgeschlossen sind (Prävalenz auf Basis epide-
miologisch sicherer Fälle).
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
59
Im Fall der chronischen KHK wurde für die „Prävalenz aufgrund Diagnosenennung“
jeder Versicherte (im Zähler der Kennziffer) gezählt, bei dem im gegebenen Beobach-
tungsjahr zumindest einmal einer der folgenden ICD-10-Codes dokumentiert war: I20,
I21, I22, I23, I24, I25, Z95.1 oder Z95.2.
Für die Prävalenz der chronischen KHK auf Basis epidemiologisch sicherer Fälle
hingegen wurde ein Versicherter nur dann gezählt, wenn
(a) ein stationärer Aufenthalt mit einer entsprechenden ICD-10-Diagnose (chroni-
sche KHK) als Hauptentlassungsdiagnose dokumentiert war oder
(b) eine entsprechende ICD-10-Diagnose (chronische KHK) in mindestens drei von
vier Quartalen des betreffenden Jahres vorlag (Köster et al. 2011a: 40).
Im Folgenden referieren wir stets nur Prävalenzen, die sich auf die „epidemiologisch
sicheren“ Fälle beziehen. Auf dieser Basis stellt sich die administrative Prävalenz der
chronischen KHK bei den AOK-Versicherten im Kinzigtal und im übrigen Baden-
Württemberg – letztere standardisiert auf die Alters- und Geschlechtsverteilung der
Versicherten im Kinzigtal – wie folgt dar:
Tab. 20: Anteil der AOK-Versicherten mit chronischer KHK Wie in Tab. 20 zu sehen, ist die administrative Prävalenz der chronischen KHK im Kin-
zigtal geringer als in der alters- und geschlechtsstandardisierten Vergleichsgruppe aus
dem übrigen Baden-Württemberg (2008: 5,8% vs. 7,1%). Deutlich wird auch hier
wieder das Phänomen der „umgekehrten Risikoselektion“ in der IVGK: Die IVGK-
Eingeschriebenen weisen einen mehr als doppelt so hohen Anteil an Versicherten mit
chronischer KHK auf wie die Nicht-Eingeschriebenen (2008: 8,6% vs. 4,2%).
Im Folgenden geben wir beispielhaft zunächst drei Qualitätsindikatoren wieder;
damit soll eine potentielle Unterversorgung bei chronischer KHK untersucht werden.
Diese Indikatoren sind aus einschlägigen Behandlungsleitlinien wie etwa der Natio-
nalen Versorgungsleitlinie KHK abgeleitet und betreffen die Prävalenz der
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
60
(1) Verordnung von Trombozytenaggregationshemmern (TAH),
(2) Verordnung von Betablockern und
(3) Verordnung von Statinen bei chronischer KHK.
Bei der Darstellung dieser drei Indikatoren wird vernachlässigt, dass es bei manchen
Patienten möglicherweise Kontraindikationen für die in Leitlinien empfohlene Medika-
tion gibt.
Tab. 21 zeigt den Anteil der Patienten mit chronischer KHK, die in einem gege-
benen Jahr Thromozytenaggregationshemmer (TAH) verordnet bekommen haben. Zu
sehen ist, dass im Jahr 2008 die Statin-Verordnungsprävalenz im Kinzigtal noch etwas
unter dem Niveau der alters- und geschlechtsstandardisierten Vergleichsgruppe liegt
(40,8% vs. 41,7%). Deutlich wird jedoch auch, dass die Verordnungsprävalenz im
Kinzigtal von 2004 bis 2008 deutlich stärker gestiegen ist (+24%) als in der Ver-
gleichsgruppe (+10%). Insofern wurde eine im Kinzigtal bestehende (absolute und
komparative) Unterversorgung im betrachteten Zeitraum verringert. Zu beachten ist
jedoch, dass TAH die Selbstmedikation der Patienten offenkundig eine bedeutende
Rolle spielt. Die hier abgebildeten Verordnungsprävalenzen unterschätzen deshalb
vermutlich die reale Einnahme von TAH durch Patienten mit chronischer KHK in beiden
Populationen.
Tab. 21: Anteil der KHK-Patienten mit TAH-Verordnung nach Beobachtungsjahr
In Tab. 22 wird die Behandlungshäufigkeit von Patienten mit chronischer KHK (Basis:
epidemiologisch sichere KHK-Fälle) mit Betablockern wiedergegeben. Wie Tab. 22
zeigt, werden Betablocker im Kinzigtal über den gesamten Zeitraum um rund drei Pro-
zentpunkte häufiger verordnet als in der Kontrollgruppe. Die Differenz ist signifikant
(OR 2008: 1,17; 95% Konfidenzintervall: 1,04–1,32). Die Verordnungsprävalenz erhöh-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
61
te sich in beiden Populationen im Zeitraum 2004-08 in etwa gleichem Maße (15% vs.
16%).
Tab. 22: Anteil der KHK-Patienten mit Betablockern nach Beobachtungsjahr Schaut man sich die Verordnungsprävalenz bei den IV-Versicherten im Kinzigtal an
(Tab. 22), so fällt eine etwas höhere – nicht alters- und geschlechtsstandardisierte (!) –
Verordnungshäufigkeit im Vergleich zu den Nicht-IV-Versicherten im Kinzigtal auf
(2008: 72,8% vs. 68,5%).
Vergleicht man die Verordnungsprävalenz bei LP- und NLP-Patienten (ohne
Tabelle), so zeigt sich eine etwas geringere Prävalenz unter den LP-Patienten (2008:
67,7% vs. 70,8%); die Ergebnisse beider Teilgruppen sind hinsichtlich Alter, Ge-
schlecht und Charlson-Index standardisiert. Diese Differenz ist allerdings nicht signifi-
kant (Köster et al. 2011a: 123).
Tab. 23 gibt den Anteil der KHK-Patienten wieder, denen Statine verordnet wur-
den. Hier zeigt sich eine etwas geringere Verordnungshäufigkeit im Kinzigtal (2008:
52,0%) im Vergleich zur Kontrollgruppe (2008: 54,2%). In beiden Populationen hat sich
der Anteil der KHK-Patienten mit Statin-Verordnungen im Zeitraum 2004-08 erhöht;
dabei war der Anstieg im Kinzigtal etwas größer als in der Vergleichsgruppe (41% vs.
36%). Während die Verordnungsprävalenz im Jahr 2005 sich in den beiden Popula-
tionen noch signifikant unterschied, war das im Jahr 2008 nicht mehr Fall (Köster et al.
2011a: 124).
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
62
Tab. 23: Anteil der KHK-Patienten mit Statinen
Zum Abschluss der KHK-bezogenen Kennziffern referieren wir noch einen Indikator,
der eine mögliche Überversorgung thematisiert, nämlich die Häufigkeit von Koronar-
angiographien – d.h. Herzkatheteruntersuchungen – bei Patienten mit chronischer
KHK. (Zur Kontroverse um die Häufigkeit von Koronarangiographien als einem mög-
lichen Überversorgungsphänomen vgl. Köster et al. 2011a: 115f.)
Wir referieren in Tab. 24 zunächst die Häufigkeit von Koronarangiographien bei
KHK-Patienten, bevor wir in Tab. 25 eine Methode der PMV forschungsgruppe wieder-
geben, den Anteil der therapeutisch folgenreichen Koronarangiographien zu bestim-
men und somit einen Indikator für den „Grad der Indiziertheit“ von Koronarangiogra-
phien zu bilden.
Tab. 24: Anteil der KHK-Patienten mit Koronarangiographie
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
63
Wie aus Tab. 24 hervorgeht, liegt im Jahr 2007 der Anteil der KHK-Patienten mit Koro-
narangiographie im Kinzigtal (9,7%) etwa gleichauf mit dem entsprechenden Anteil in
der Kontrollgruppe (9,9%). Betrachtet man die Anteile im zeitlichen Verlauf, so kann
man feststellen, dass der Anteil im Kinzigtal von 2004 bis 2006 deutlicher als in der
Kontrollgruppe gestiegen, dann aber – von 2006 auf 2007 – deutlich zurückgegangen
ist.
Bei allen diesen Ergebnissen ist nicht auszumachen, ob die Entscheidung zur
Koronarangiographie leitlinienkonform gestellt wurde; damit ist auch nicht zu be-
urteilen, ob im Kinzigtal eine eventuelle Überversorgung (die sich bis 2006 aufgebaut
hatte) im Jahr 2007 wieder abgebaut wurde. Um hier einer möglichen Überversorgung
besser auf die Spur zu kommen, hat die PMV forschungsgruppe eine weitere Kenn-
ziffer gebildet, nämlich die Anzahl der Interventionen oder kardiochirurgischen Maß-
nahmen (PCTA, Anlage eines Stents, Desobliteration, Operationen an Koronararterien,
Bypass-Chirurgie) in Relation zur Anzahl der Koronarangiographien. Sollte sich hier
zeigen, dass der weit überwiegende Teil der Koronarangiographien therapeutisch fol-
genlos bleibt, erschiene eine Überversorgung mit dieser invasiven Diagnostik als
wahrscheinlich.15 Die entsprechende Kennziffer ist in Tab. 25 dargestellt.
Tab. 25: Anteil der KHK-Patienten mit Koronarangiographie und Interventionen Wie die Ergebnisse in Tab. 25 zeigen, ist der Anteil der KHK-Patienten mit Inter-
ventionen an allen KHK-Patienten mit Koronarangiographien im Kinzigtal im Zeitraum
2004-07 deutlich gestiegen, und zwar von 41% (2004) auf 68% (2007). Demgegenüber
ist der entsprechende Anteil in der baden-württembergischen Kontrollgruppe relativ
15 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass einige Leitlinien eine Herzkatheteruntersuchung zur Diagnose-abklärung vor Verordnung bestimmter Arzneimittel empfehlen; in solchen Fällen sind nicht zwingend Interventionen zu erwarten.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
64
konstant geblieben (rund 54% im Jahr 2004, 58% im Jahr 2007). Unterstellt man, dass
die Indikation für Interventionen stets leitlinienkonform gestellt wird, so kann man
dieses Ergebnis als ein Indiz dafür interpretieren, dass eine relative Überversorgung im
Kinzigtal im Jahr 2004 bis zum Jahr 2007 zunehmend abgebaut wurde. Dennoch sollte der Wert dieser Kennziffer immer einen deutlichen Abstand zum
Maximalwert haben, denn wenn bei allen oder fast allen KHK-Patienten mit Herz-katheteruntersuchung auch eine Intervention folgen würde, wäre die Indikation für eine Koronarangiographie mit Sicherheit zu eng gestellt.
Die PMV forschungsgruppe hat zur Indikation chronische KHK zwei weitere Kennziffern errechnet, die wir ebenfalls für wichtig halten. Wir wollen die entspre-chenden Ergebnisse im Folgenden kurz skizzieren (ohne Tabellen).
Leitlinien empfehlen bei der Risikostratifizierung und zur genaueren Abklärung einiger medizinischer Sachverhalte die Einbeziehung eines Kardiologen. Dement-sprechend ermittelte die PMV forschungsgruppe den Anteil der Versicherten mit chronischer KHK, die einen Kardiologen aufgesucht haben. Im Jahr 2008 ist dieser Anteil im Kinzigtal signifikant höher als in alters- und geschlechtsstandardisierten Vergleichsgruppe (35,8% vs. 30,1%). Zudem hat sich der Anteil in den Jahren 2006 bis 2008 im Kinzigtal erhöht (+12%), während er sich in der Vergleichsgruppe etwas verringert hat (-3%). (Für die Jahre 2004-05 fehlten die entsprechenden EBM-Daten, damit Kardiologen in den Routinedaten identifiziert werden konnten.)
Die IVGK beabsichtigt, durch eine bessere ambulante Versorgung die Zahl der Krankenhauseinweisungen möglichst gering zu halten. Dementsprechend errechnete die PMV forschungsgruppe den Anteil der Versicherten mit chronischer KHK, die einen Krankenhausaufenthalt mit der Hauptentlassungsdiagnose „ischämische Herzkrank-heit“ (ICD 10: I20-I25) hatten. Dieser Anteil konnte in beiden Teilpopulationen im Zeitraum 2004-08 gleichermaßen um 9% reduziert werden. Der Anteil lag im Jahr 2008 im Kinzigtal auf einem etwas geringeren Niveau als in der Vergleichsgruppe (10,5% vs. 11,3%).
4.3.2.2 Osteoporose und Frakturen Unter dem Oberbegriff „Osteoporose“ wurden die beiden ICD-10-Codes M80 („Osteo-
porose mit pathologischer Fraktur“) und M81 („Osteoporose ohne pathologische Frak-
tur“) zusammengefasst. Als epidemiologisch sicher wurden diejenigen Patienten defi-
niert, die mindestens eine der folgenden drei Bedingungen erfüllten:
(a) stationärer Aufenthalt mit entsprechender Diagnose (M80 oder M81) als Haupt-
entlassungsdiagnose;
(b) eine entsprechende Diagnose in mindestens einem Quartal und zusätzlich
mindestens eine Verordnung eines Arzneimittels, das typischerweise zur Be-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
65
handlung von Osteoporose eingesetzt wird16, verordnet durch den die Diagnose
stellenden Arzt;
(c) eine entsprechende Diagnose in mindestens zwei Quartalen.
Tab. 26 weist die Prävalenz einer epidemiologisch sicheren Osteoporose-Diagnose bei
den AOK-Versicherten aus.
Tab. 26: Anteil der AOK-Versicherten mit Osteoporose nach Beobachtungsjahr
Laut Tab. 26 ist die Osteoporose-Prävalenz im Kinzigtal im gesamten Zeitraum etwas
höher als in der baden-württembergischen Vergleichsgruppe. Nach den vorliegenden
Zahlen ist die Prävalenz im Zeitraum 2004-08 im Kinzigtal mit einem Anstieg von 15%
sogar etwas stärker gestiegen als in der Vergleichsgruppe mit 10%. Bei der Interpre-
tation dieser Daten ist jedoch Vorsicht geboten, denn eine höhere Osteoporose-
Prävalenz kann durchaus auch durch einen höheren Grad an Aufmerksamkeit bedingt
sein, die sich evtl. aus dem Ziel einer frühzeitigen Entdeckung erklärt.
Besonders deutlich wird in Tab. 26 wieder das Phänomen der „umgekehrten Ri-
sikoselektion“ in der IVGK: Unter den IV-Versicherten im Kinzigtal ist die Prävalenz im
Jahr 2008 mit 10,7% besonders hoch. Auch wenn man LP-Patienten und NLP-
Patienten hinsichtlich der Osteoporose-Prävalenz vergleicht, zeigt sich ein signifikant
höherer Anteil an Patienten mit Osteoporose unter den LP-Patienten (2008: 5,9% vs.
4,8% - Köster et al. 2011a: 197).
16 Hierzu wurden die Wirkstoffe mit den folgenden ATC Codes gezählt: A11CC, A12AA, A12AX, G02CE, G03CA, G03CB, G03FA, G03FB, G03XC, M05BA, M05BB (Köster et al. 2010a: 49).
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
66
Tab. 27: Anteil der Patienten mit Fraktur unter den bekannten Osteoporosepatienten Tab. 27 zeigt den Anteil der Osteoporose-Patienten mit Fraktur. Diese Kennziffer be-
trachten wir als einen wichtigen Indikator für die Effektivität der Osteoporose-Prä-
vention und Osteoporose-Behandlung: Je geringer dieser Anteil ist und je stärker sich
der Anteil in einem gegebenen Zeitraum verringert, als desto effektiver kann die
Primär-, Sekundär- und ggf. Tertiärprävention von Osteoporose gelten. (Unterstellt ist
dabei eine ähnliche Verteilung der Schweregrade der Osteoporose in den zu ver-
gleichenden Bevölkerungsgruppen.)
Wie aus Tab. 27 hervorgeht, ist der Anteil der Patienten mit Fraktur an allen
bekannten – bereits anhand der ICD-Codes des Vorjahres identifizierten – Osteopo-
rose-Patienten im Kinzigtal deutlich und signifikant geringer (2008: 22,4%) als in der
Kontrollgruppe (2008: 30,0%). Das Risiko, als bekannter Osteoporose-Patient eine
Fraktur zu erleiden, ist demnach im Kinzigtal signifikant geringer als in der Vergleichs-
stichprobe (OR 0,68; 95% Konfidenzintervall: 0,59-0,78). Ebenfalls beachtlich ist die
zeitliche Entwicklung im Vergleich: Der Anteil der bekannten Osteoporose-Patienten
mit Fraktur bleibt im Kinzigtal im Zeitraum 2004-08 nahezu konstant (Anstieg um 2%),
in der Kontrollgruppe steigt er recht deutlich an (Anstieg um 11%). Vergleicht man
diese Frakturprävalenz bei LP-Patienten und NLP-Patienten mit bekannter Osteopo-
rose, so erhält man für die LP-Patienten ein etwas verringertes Risiko (2008: OR 0,88);
die Odds Ratio für die LP-Patienten ist jedoch nicht statistisch signifikant verringert.
Das Thema „Versorgung von Patienten mit Osteoporose“ wollen wir mit einem
Qualitätsindikator abschließen, der die Verordnungsprävalenz einer spezifischen The-
rapie bei Patienten mit manifester Osteoporose – hier operationalisiert als „Patienten
mit Osteoporose und Fraktur“ – wiedergibt. Sofern keine Kontraindikationen vorliegen,
empfehlen Leitlinien für Patienten mit manifester Osteoporose eine spezifische Thera-
pie (Verordnung von Biphosphonaten, Strontiumranelat, SERM, Teriparatid oder Para-
thyroidhormon – siehe Köster et al. 2011a: 205).
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
67
Tab. 28: Anteil der Osteoporose-Patienten mit Fraktur, die eine osteoporosespezifische Therapie erhalten Tab. 28 weist für das Kinzigtal einen höheren Anteil an Osteoporose-Patienten mit
Fraktur und spezifischer Therapie aus (2008: 50,0%) als die Kontrollgruppe aus dem
übrigen Baden-Württemberg (2008: 44,1%); diese Differenz ist knapp nicht signifikant
(2008 OR: 1,25; 95% Konfidenzintervall: 0,99-1,56). Unter den IV-Versicherten ist der
entsprechende Anteil noch deutlich höher (2008: 66,3%). Vergleicht man LP-Patienten
und NLP-Patienten, zeigt sich ein (nicht signifikant) höherer Anteil mit spezifischer
Therapie bei den LP-Patienten (55,7% vs. 45,9%).
4.3.2.3 Kennziffern und Qualitätsindikatoren zu anderen Indikationen – ein Überblick Im Folgenden fassen wir die unseres Erachtens wichtigsten Kennziffern und Qualitäts-
indikatoren zu den übrigen Indikationen zusammen. Dabei referieren wir nur die Er-
gebnisse zu den AOK-Versicherten; bei den LKK-Versicherten ergeben sich im Hin-
blick auf indikationsspezifische Indikatoren meist zu geringe Fallzahlen für eine sinn-
volle Interpretation.
Patienten mit Herzinsuffizienz: Der Anteil der Herzinsuffizienz-Patienten mit einer
leitliniengemäßen Medikation (Behandlung mit ACE-Hemmern, AT1-Antagonisten
und/oder Betablockern) erhöhte sich im Zeitraum 2004-08 in beiden Populationen
annähernd gleichermaßen stark, nämlich um 13% im Kinzigtal und um 11% in der Ver-
gleichsgruppe. Der Anteil liegt im Jahr 2008 in beiden Populationen auf gleicher Höhe,
nämlich bei rund 80%. Der Anteil der Herzinsuffizienz-Patienten mit leitliniengemäßer
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
68
Medikation ist unter den IV-Versicherten im Kinzigtal mit 84,7% (nicht alters- und
geschlechtsstandardisiert!) höher als unter den Nicht-IV-Versicherten. Vergleicht man
LP-Patienten und NLP-Patienten, so zeigt sich für 2008 ein etwas – aber nicht sta-
tistisch signifikant – höherer Anteil unter den LP-Patienten (81,8% vs. 79,2%).
Leitlinien verweisen auf die Notwendigkeit einer kardiologischen Diagnose-
sicherung und einer jährlichen Untersuchung der linksventrikulären Pumpfunktion.
Nimmt man dies als Maßstab, so zeigt sich eine Unterversorgung im Hinblick auf den
Anteil der Herzinsuffizienzpatienten mit dieser kardiologischen Abklärung, denn nur
rund ein Viertel bzw. ein Fünftel aller Herzinsuffizienz-Patienten (Kinzigtal: 24,2%;
Vergleichsgruppe BW: 19,2%) weist einen jährlichen Kontakt mit einem Kardiologen
auf. Bei den Kinzigtaler Herzinsuffizienz-Patienten hat sich der Anteil im Zeitraum
2004-08 stark erhöht (+41%), in der Vergleichsgruppe hingegen ist er leicht gesunken
(-3%). Daher hat im Jahr 2008 ein Herzinsuffizienz-Patient im Kinzigtal eine signifikant
höhere Chance auf einen Kardiologenkontakt als ein Herzinsuffizient aus dem übrigen
Baden-Württemberg (OR 1,34; 95% Konfidenzintervall: 1,15-1,56). Im Kinzigtal ist es
also im Zeitraum 2004-08 gelungen, die Unterversorgung zu verringern; im übrigen
Baden-Württemberg ist das nicht der Fall. Zwischen LP-Patienten (24,9%) und NLP-
Patienten (23,3%) innerhalb des Kinzigtals besteht 2008 nur ein geringer Unterschied.
Die Kennziffer Anteil der Herzinsuffizienz-Patienten, die mindestens einen Kran-
kenhausaufenthalt mit einer Hauptentlassungsdiagnose „Ischämische Herzkrankheit“
(ICD 10: I20-I25) hatten, signalisiert, inwiefern es durch eine gute ambulante Routine-
versorgung von Herzinsuffizienz-Patienten gelungen ist, Komplikationen und Kranken-
hausaufenthalte gering zu halten bzw. zu verringern. Im Jahr 2008 war dieser Anteil
im Kinzigtal geringer (2,6%) als in der alters- und geschlechtsstandardisierten Ver-
gleichsgruppe (3,8%). Allerdings stieg der Anteil im Kinzigtal im Zeitraum 2004-08
etwas stärker an (+8%) als in der Vergleichsgruppe (+3%).
Patienten mit Diabetes mellitus: Im Zeitraum 2004-08 stieg im Kinzigtal der Anteil
der Diabetiker mit KHK und/oder Fettstoffwechselstörungen, die Statine verordnet
bekamen, um 52%, nämlich von 31,7% im Jahr 2004 auf 48,3% im Jahr 2008. Dies ist
als deutlicher Rückgang einer Unterversorgung zu werten. Auch in der alters- und ge-
schlechtsstandardisierten Vergleichsgruppe stieg der entsprechende Anteil von 36,2%
(2004) auf 49,6% (2007). Mit 37% fiel der Anstieg in der Vergleichsgruppe geringer
aus als im Kinzigtal. Die Anteile in den beiden Populationen liegen damit im Jahr 2008
auf annähernd gleichem Niveau.
Noch deutliches Optimierungspotential besteht für die Diabetiker beider Popula-
tionen im Hinblick auf Augenhintergrunduntersuchungen, die laut einschlägiger Leitli-
nien bei Diabetikern einmal pro Jahr erfolgen sollten. Im Kinzigtal fand eine jährliche
Augenhintergrunduntersuchung im Jahr 2008 nur bei gut der Hälfte aller Diabetiker
(51,2%) statt, in der alters- und geschlechtsstandardisierten Vergleichsgruppe bei
57,1%. Dieser Unterschied ist statistisch signifikant (OR 0,78; 95% Konfidenzintervall
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
69
0,72-0,84). Der Anteil der Diabetiker mit Augenarztkontakt hat sich im Kinzigtal im
Zeitraum 2004-08 stärker erhöht (+9%) als in der Vergleichsgruppe (+3%). Von den
IV-versicherten Diabetikern erhielten 2008 immerhin 63,8% eine Augenhintergrund-
untersuchung (nicht alters- und geschlechtsstandardisiert!). Vergleicht man LP-Pa-
tienten und NLP-Patienten innerhalb des Kinzigtals, so zeigt sich ein signifikant höhe-
rer Anteil für die LP-Patienten (56,3% vs. 47,5% – diese Prozentzahlen sind alters-,
geschlechts- und komorbiditätsadjustiert!). Das bedeutet: Der Anteil der Diabetiker mit
jährlichem Augenarztkontakt entspricht unter den LP-Patienten in etwa dem baden-
württembergischen Durchschnitt. An diesem Ergebnismuster ändert sich nichts
Entscheidendes, wenn man als Kennziffer die Augenarztkontaktprävalenz für einen
Zweijahreszeitraum berechnet (Köster et al. 2011a: 181).
Im Kinzigtal zeigte sich im Zeitraum 2004-08 ein leichter Anstieg des Anteils der
Diabetiker, die wegen ihres Diabetes stationär behandelt wurden: Der Anteil erhöhte
sich von 3,7% im Jahr 2004 auf 4,1% im Jahr 2008 (Anstieg um 11%). Demgegenüber
verringerte sich der entsprechende, d.h. alters- und geschlechtsstandardisierte Anteil
in der Vergleichsgruppe um 20%, nämlich von 4,0% (2004) auf 3,2% (2008). Dies ist
als Hinweis auf eine erhöhte Rate an Entgleisungen oder Komplikationen der Erkran-
kung im Kinzigtal zu werten (absolute und komparative Verschlechterung im Kinzigtal).
Hier wird man gut im Auge behalten müssen, ob sich ein solches Ergebnis in den
kommenden Jahren fortsetzt oder ob wir es im Kinzigtal mit einem „Ausreißerjahr“ zu
tun haben, wie man aufgrund der bisherigen Zeitreihe vermuten könnte (vgl. Köster et
al. 2011a: 175). Vergleicht man LP-Patienten und NLP-Patienten im Kinzigtal, dann
zeigt sich ein merklich – wenn auch nicht signifikant – geringerer Anteil für die LP-
Patienten (3,3% vs. 4,8%). Unter den von Leistungspartnern der IVGK betreuten
Diabetes-Patienten gab es also eine deutlich geringere Rate (OR 0,71) an Patienten,
die im Krankenhaus behandelt werden mussten.
Patienten mit affektiven Störungen: Psychische Erkrankungen zählen zu den häu-
figsten Ursachen einer Arbeitsunfähigkeit. Ein wichtiges Ziel einer besseren Betreuung
von Patienten mit psychischen Erkrankungen ist die Verringerung der Tage mit
Arbeitsunfähigkeit. Bei Patienten mit affektiven Störungen, von denen die Patienten
mit unipolarer Depression den weitaus größten Anteil ausmachen, wurde daher der
Anteil derjenigen Patienten berechnet, bei denen pro Jahr mehr als 20 AU-Tage
dokumentiert waren. Unabhängig von der konkreten AU-Diagnose verringerte sich der
Anteil der Patienten mit affektiven Störungen, die mehr als 20 AU-Tage pro Jahr
aufwiesen, im Kinzigtal von 38,4% (2004) auf 37,3% (2008). In der baden-württem-
bergischen Vergleichsgruppe ging der entsprechende Anteil stärker zurück, nämlich
von 40,2% (2004) auf 36,2% (2008). Die Anteile im Jahr 2008 unterscheiden sich nicht
signifikant voneinander. Zählt man hingegen nur diejenigen AU-Tage, die wegen
affektiver Störungen (als AU-Diagnose) entstanden, so belief sich der entsprechende
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
70
Anteil im Kinzigtal auf 13,2% sowohl 2004 als auch 2008. In der Vergleichsgruppe
lagen die entsprechenden Anteile bei 9,8% (2004) bzw. 10,5% (2008).
Eine wichtige Kennziffer zur Beurteilung der ambulanten Versorgung von Patien-
ten mit affektiven Störungen ist der Anteil der Patienten mit affektiven Störungen, die
in einem Jahr einen Krankenhausaufenthalt wegen affektiver Störungen hatten. Im
aktuellsten Beobachtungsjahr 2008 war dieser Anteil im Kinzigtal merklich und
signifikant höher als im übrigen Baden-Württemberg (3,9% vs. 2,9%). Immerhin hat
sich der Anteil im Kinzigtal im Zeitraum 2004-08 um 5% verringert (von 4,1% auf
3,9%), während er in der Vergleichsgruppe konstant geblieben ist.
Ein anderer, im letzten EKIV-Jahresbericht noch referierter Indikator wurde von
der PMV forschungsgruppe im aktuellen Zwischenbericht nicht mehr berechnet. Es
handelt sich um einen Indikator zur Kontinuität der (medikamentösen) Antidepressiva-
Therapie. Hier entschied sich die PMV forschungsgruppe nach ausführlichen Diskus-
sionen und Überlegungen zum Verzicht auf diesen Indikator, da die Komplexität ak-
tueller Leitlinienempfehlungen in Kombination mit verschiedenen Unwägbarkeiten der
betreffenden Routinedaten die Konstruktvalidität des Indikators zu stark beeinträch-
tigten (Köster et al. 2011a: 159).
Patienten mit Demenz: Zur Beschreibung der Versorgung von Patienten mit De-
menzerkrankungen wurden mehrere Kennziffern gebildet. Davon können drei als
Qualitätsindikatoren herangezogen werden. Zwei von diesen dokumentieren eine
spezifische Fehl- bzw. Überversorgung: Nicht empfohlen wird in evidenzbasierten
Leitlinien eine Nootropika-Behandlung bei Patienten mit Alzheimer-Demenz; dasselbe
gilt für eine Behandlung mit Antidementiva bei Patienten mit vaskulärer Demenz. Der
dritte Qualitätsindikator operationalisiert die einschlägige Empfehlung, im Fall einer
Therapie mit spezifischen Antidementiva auch eine Verlaufskontrolle der Therapie zu
dokumentieren.
Im Zeitraum 2004-08 verringerte sich der Anteil von Patienten mit Alzheimer-
demenz, die Nootropika verordnet bekamen, in beiden Populationen deutlich. Im Kin-
zigtal war der Rückgang stärker als in der Vergleichsgruppe (-46% vs. -34%). Im Jahr
2008 liegt der Anteil im Kinzigtal bei 2,1% im Vergleich zu 2,3% im übrigen Baden-
Württemberg. Die Differenz im Jahr 2008 ist nicht signifikant.
Hingegen konnte das Niveau einer zweiten Art von Fehlversorgung bei der
Behandlung von Patienten mit vaskulärer Demenz in beiden Populationen nicht redu-
ziert werden: Der Anteil der Patienten mit vaskulärer Demenz, die nicht empfohlene
Antidementiva erhielten, stieg im Zeitraum 2004-08 in beiden Populationen geringfügig
an; dabei war der Anstieg im Kinzigtal etwas geringer (+2%) als in der Vergleichs-
gruppe (+6%). Im Jahr 2008 lag der Anteil im Kinzigtal (knapp nicht signifikant) höher
als im übrigen Baden-Württemberg (20,7% vs. 13,9%).
Der Anteil von mit Antidementiva behandelten Demenzpatienten, bei denen eine
Verlaufsbeobachtung stattfand, verringerte sich in beiden Populationen im Zeitraum
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
71
2004-08 annähernd gleichmäßig (Kinzigtal: -12%; Vergleichsgruppe: -14%). 2008 lag
der Anteil im Kinzigtal um ein Zehntel höher als in der Vergleichsgruppe (24,4% vs.
22,0%).
Demenzpatienten mit längerfristiger Psycholeptika-Verordnung (mehr als 180
definierte Tagesdosen) pro Jahr stellen in jedem Fall eine Risikopopulation dar, und
zwar unabhängig von der Frage, ob eine Psycholeptika-Behandlung therapeutisch
indiziert ist. Der entsprechende Anteil an allen Demenzpatienten ist im Kinzigtal mit
7,3% (2008) deutlich und signifikant geringer als in der alters- und geschlechtsstan-
dardisierten Vergleichsgruppe mit 11,2% (2008); der alters-, geschlechts- und
komorbiditätsadjustierte OR-Wert für die Patienten im Kinzigtal beträgt 0,63 (95%
Konfidenzintervall 0,45-0,86). Beim Vergleich der LP- und NLP-Patienten innerhalb
des Kinzigtals zeigt sich ein – nicht signifikant – geringerer Anteil bei den LP-Patienten
(alters-, geschlechts- und komorbiditätsadjustierte OR für LP-Patienten: 0,74).
Als weitere Risiko-Kennziffer wurde der Anteil der Demenzpatienten mit Hinweis
auf eine Fraktur ausgewiesen. Dieser Anteil lag im Kinzigtal wie auch in der Ver-
gleichsgruppe im Jahr 2008 bei rund 15%.
Patienten mit Rückenschmerzen: Im Hinblick auf die Behandlung von Rücken-
schmerzen stellte der Sachverständigenrat vor einigen Jahren eine generelle Über-
versorgung mit bildgebender Diagnostik fest (Sachverständigenrat 2001, S. 12).
Dementsprechend wurden zwei Indikatoren berechnet, die eine potentielle Überver-
sorgung anzeigen. Ein erster Indikator operationalisiert den Anteil von Rücken-
schmerz-Patienten, die eine CT oder MRT als bildgebendes Verfahren verordnet
bekamen, ein zweiter Indikator thematisiert den Anteil der Patienten, der ein anderes
bildgebendes Verfahren als CT oder MRT erhalten hat.
Der Anteil der Rückenschmerzpatienten mit mindestens einem CT oder MRT pro
Jahr war 2008 im Kinzigtal deutlich und signifikant geringer als im übrigen Baden-
Württemberg (7,6% vs. 10,2%). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Anteil im
Zeitraum 2004-08 im Kinzigtal etwas gestiegen ist (+7%), während er in der Ver-
gleichsgruppe gefallen ist (-6%).
Der Anteil der Rückenschmerz-Patienten mit einem anderen bildgebenden
Verfahren als CT oder MRT war 2008 im Kinzigtal und im restlichen Baden-Württem-
berg auf gleicher Höhe (33,2% vs. 33,3%). Der Anteil verringerte sich im Zeitraum
2004-08 im Kinzigtal geringfügig stärker als in der Vergleichsgruppe (-9% im Kinzigtal;
-7% in der Vergleichsgruppe).
Anders als in der Vergleichsgruppe ist der Anteil der Rückenschmerz-Patienten,
die pro Jahr mehr als 14 AU-Tage wegen Rückenschmerzen aufweisen, im Kinzigtal
angestiegen, nämlich von 10,0% im Jahr 2004 auf 14,1% im Jahr 2008. In der
Vergleichsgruppe ist der Anteil konstant geblieben. Dies ist eine Entwicklung, die das
IVGK-Management im Auge behalten sollte.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
72
Ebenfalls im Auge behalten werden sollte der Anteil der Rückenschmerz-
Patienten mit einer Wirbelsäulen-OP, also einem schwerwiegenden, kostspieligen und
risikoreichen invasiven Eingriff. Dieser Patientenanteil kann als eine Risikopopulation
gelten, die so gering wie möglich sein sollte. Im Jahr 2008 lag der Anteil im Kinzigtal
höher als in der Vergleichsgruppe (3,5 Promille vs. 3,0 Promille), und auch der Anstieg
im Zeitraum 2004-08 verlief bei den Patienten im Kinzigtal deutlich steiler als in der
Vergleichsgruppe (+289% vs. 76%).
4.4 Diskussion der bisherigen Ergebnisse und Ausblick
In Abschnitt 4.4.1 erörtern wir zunächst, welche vorläufigen Folgerungen aus den
bisherigen Ergebnissen im ÜUF-Projekt gezogen werden können – und zwar ins-
besondere vor dem Hintergrund der leitenden Forschungshypothesen (vgl. Abschnitt
4.1.2). Anschließend geben wir in Abschnitt 4.4.2 einen Ausblick auf den weiteren
Fortgang der ÜUF-Studie.
4.4.1 Diskussion der bisherigen Ergebnisse
Die von uns ausgewählten Zwischenergebnisse zu globalen, d.h. indikationenübergrei-
fenden Prävalenzen, Inanspruchnahme-Kennziffern und Qualitätsindikatoren brachten
bereits Aufschluss über wichtige Aspekte der Versorgung im Kinzigtal im Vergleich
zum übrigen Baden-Württemberg.
Bei vielen der hier dargestellten globalen Kennziffern und Qualitätsindikatoren
konnten wir positive Ergebnisse für die Versorgung im Kinzigtal feststellen: So waren
nicht nur längerfristige Benzodiazepin-Verordnungen bei den Versicherten im Kinzigtal
signifikant seltener als in der Vergleichsgruppe; auch andere problematische Arznei-
mittel-Verordnungen, die in den QiSA-Indikatoren Nr. 11 und 12 (häufige Verordnun-
gen von Anxiolytika, Sedativa und Hypnotika sowie von NSAR) abgebildet werden,
waren im Kinzigtal signifikant seltener zu finden.
Auffallend ist auch die im gesamten Zeitraum 2004-08 höhere Generikaquote
im Kinzigtal; dabei erreicht die Generikaquote bei den Verordnungen der IVGK-
Versicherten sehr hohe Werte (Generikaquote der IV-Versicherten der AOK im
Kinzigtal: 89,5%; Generikaquote der IV-Versicherten der LKK im Kinzigtal: 89,4%).
Darüber hinaus ist es im Kinzigtal auch gelungen, den Anteil der AOK-Versicherten mit
Pflegestufe I-III (nach SGB XI) im Zeitraum 2004-08 konstant zu halten; angesichts des
Anstiegs im übrigen Baden-Württemberg scheint uns das ein beachtliches Ergebnis.
Auch die bisherigen Auswertungen zu den indikationsbezogenen Kennziffern und
Qualitätsindikatoren zeigen unseres Erachtens, dass die Versorgung im Kinzigtal und
in der IVGK auf gutem Weg ist, ihre ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Unsere Zusam-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
73
menfassung der indikationsspezifischen Indikatoren zeigte zum einen, dass sich die
meisten Indikatoren im Kinzigtal (in absoluten Werten) verbesserten. Zum anderen
waren aber auch die für das Kinzigtal zu verzeichnenden komparativen Verbesse-
rungen – d.h. Verbesserungen gemessen an der Entwicklung der Vergleichsgruppe –
häufiger als komparative Verschlechterungen. In den nächsten Berichten wird sich
zeigen, ob die bislang feststellbaren positiven Trends sich verstetigen und ggf. ver-
stärken und damit nachhaltig über säkuläre Entwicklungstrends hinausgehen.
Wir wollen an dieser Stelle versuchen, die oben referierten Zwischenergebnisse
des ÜUF-Projekts im Hinblick auf die Qualitätsindikatoren und wichtigen – da im Sinne
der IVGK-Ziele erfolgsrelevanten – Kennziffern quantifizierend zu bilanzieren. Diese
Bilanz kann nur einen vorläufigen Charakter haben, da sie zum einen auf einer noch
unvollständigen Zeitreihe beruht – es fehlen noch die Beobachtungsjahre 2009-11 –
und da sie zum anderen auch inhaltlich noch einen Entwurfscharakter hat, d.h. in den
nächsten Monaten noch Gegenstand weiterer Erörterungen sein wird.
In den folgenden drei Tabellen haben wir jeweils in der ersten Spalte die unseres
Erachtens aussagekräftigsten Kennziffern und Qualitätsindikatoren aufgeführt (Tab.
29a, 29b, 29c). Jeweils in der zweiten, dritten und vierten Spalte haben wir versucht,
die bisherigen Ergebnisse des betreffenden Indikators aus der Perspektive der IVGK
zu kategorisieren, d.h. zu bewerten, ob das Ergebnis den Zielen der IVGK entspricht
oder eher nicht entspricht.17 Dies soll etwas ausführlicher erläutert werden:
Zunächst haben wir in der zweiten Spalte bewertet, ob das aktuelle Niveau der
betreffenden Kennziffer den Zielen der IVGK entspricht, konkreter formuliert: ob die
betreffende Kennziffer im aktuellsten Beobachtungsjahr (hier: 2008) einen „besseren“
oder einen als „schlechter“ zu bewertenden Wert aufweist als die Vergleichsgruppe.
Beispiele: Die längerfristige Verordnung von Benzodiazepinen zu Lasten der GKV liegt
im Jahr 2008 im Kinzigtal auf einem niedrigeren Niveau als in der Vergleichsgruppe.
Dieses Ergebnis ist aus der Perspektive der IVGK positiv zu bewerten (Tab. 29a, Zeile
2, Spalte 2). Der Anteil der Versicherten mit Notfallschein ist 2008 im Kinzigtal auf
einem höheren Niveau als in der Vergleichsgruppe. Dieses Ergebnis ist aus der
Perspektive der IVGK als negativ zu kategorisieren (Tab. 29a, Zeile 5, Spalte 2). Wenn
die Indikatorwerte im aktuellsten Beobachtungsjahr 2008 signifikant verschieden
waren, haben wir die kategorisierenden Bewertungen in Spalte 2 zusätzlich fettge-
druckt und mit einem Sternchen (*) versehen (so z.B. in Tab. 29a, Zeile 2, Spalte 2).
Für die Gesamtbewertung der IVGK wichtig ist jedoch nicht nur das Niveau einer
Kennziffer im aktuellsten Beobachtungsjahr im Populationsvergleich. Ebenso wichtig
ist, wie sich eine Kennziffer im Zeitraum 2004-08 – also ab dem Basisjahr 2004 bis
zum aktuellsten Beobachtungsjahr – entwickelt hat. Die komparative Veränderung
einer Kennziffer im bisher betrachteten Zeitraum 2004-08 haben wir – aus der Per-
17 Da die Aussagekraft der Ergebnisse bei den AOK-Versicherten aufgrund der höheren Fallzahlen wesentlich höher ist als bei den LKK-Versicherten, beschränken wir diesen Versuch einer quantifi-zierenden Zwischenbilanz auf die Ergebnisse bei den AOK-Versicherten.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
74
spektive der IVGK – in der dritten Spalte bewertet. Beispiele: Der Anteil der Ver-
sicherten mit Pflegestufe I-III (nach SGB XI) hat sich im Zeitraum 2004-08 im Kinzigtal
um 5% verringert, während er sich im übrigen Baden-Württemberg um 5% erhöht hat.
Dieses Ergebnis ist aus Sicht der IVGK positiv zu bewerten (Tab. 29a, Zeile 6, Spalte
3). Hingegen ist z.B. die Veränderung des Anteils der Herzinsuffizienzpatienten, die
einen stationären Aufenthalt mit einer Hauptentlassungsdiagnose „ischämische Herz-
krankheit“ hatten, als negativ zu kategorisieren (Tab. 29b, Zeile 8, Spalte 3), denn im
Zeitraum 2004-08 ist dieser Anteil im Kinzigtal um 8% gestiegen, in der Vergleichs-
gruppe aber nur um 3%. Aus Sicht der IVGK als neutral zu kategorisieren ist z.B. die
komparative Veränderung des Anteils der Versicherten mit längerfristiger Benzodia-
zepin-Verordnung (Tab. 29a, Zeile 2, Spalte 3): Dieser Anteil ging im Kinzigtal um 4%
zurück, in der Vergleichsgruppe um 2%; diese Differenz der Veränderungsraten (zwei
Prozentpunkte) stuften wir als nicht bewertungsrelevant ein, d.h. wir kategorisierten sie
als „neutrales Ergebnis“.
Schließlich haben wir in der vierten Spalte bei jeder Kennziffer bzw. jedem Indi-
kator eine Gesamtbewertung vorgenommen. Positiv (aus Sicht der IVGK) fiel diese
Gesamtbewertung in den folgenden beiden Fällen aus:
(a) Der Wert der Kennziffer im Jahr 2008 ist aus Sicht der IVGK als vergleichs-
weise positiv zu bewerten und die komparative Veränderung der Kennziffer im
Zeitraum 2004-08 ist nicht als negativ zu bewerten.
(b) Die komparative Veränderung der Kennziffer im Zeitraum 2004-08 ist aus
Sicht der IVGK als positiv zu bewerten und der Wert der Kennziffer im Jahr 2008 ist
nicht als vergleichsweise negativ zu bewerten.
Negativ fiel unsere Gesamtbewertung (aus Sicht der IVGK) in den folgenden
beiden Fällen aus:
(c) Der Wert der Kennziffer im Jahr 2008 ist aus Sicht der IVGK als vergleichs-
weise negativ zu bewerten und die komparative Veränderung der Kennziffer im Zeit-
raum 2004-08 ist nicht als positiv zu bewerten.
(d) Die komparative Veränderung der Kennziffer im Zeitraum 2004-08 ist aus
Sicht der IVGK als negativ zu bewerten und der Wert der Kennziffer im Jahr 2008 ist
nicht als vergleichsweise positiv zu bewerten.
Neutral fiel unsere Gesamtbewertung in folgendem Fall aus:
(e) Sowohl der Wert der Kennziffer im Jahr 2008 als auch die komparative
Veränderung der Kennziffer im Zeitraum 2004-08 ist aus Sicht der IVGK als neutral zu
bewerten.
Noch eine wichtige Bemerkung zu unserem Bewertungsalgorithmus: Wir berück-
sichtigen bei unserer Kategorisierung der Ergebnisse zunächst keine inferenzstatisti-
schen Aspekte, d.h. wir fragen nicht nach der Signifikanz einer (per Querschnittsbe-
trachtung ermittelten) Differenz. Das hat folgenden Grund: Wir sehen es für die Ge-
samtbewertung eines Ergebnisses (bzw. einer Kennziffer) nicht nur als wesentlich an,
dass (i) der Wert der betreffenden Kennziffer im aktuellsten Beobachtungsjahr im
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
75
Kinzigtal als „besser“ oder „schlechter“ oder „neutral“ zu beurteilen ist, sondern
genauso wesentlich erscheint uns (ii) die komparative Veränderung einer Kennziffer
relativ zum Basisjahr. Da wir zur Beurteilung des zuletzt genannten Aspekts (ii) über
keine inferenzstatistischen Ergebnisse verfügen, haben wir bei unserer Gesamtbewer-
tung (Spalte 4 in den Tabellen 29a bis 29c) die von der PMV forschungsgruppe durch-
geführten inferenzstatistischen Ergebnisse zu Aspekt (i) zunächst nur als nachrangigen
Aspekt behandelt. In einer Sensitivitätsanalyse haben wir jedoch diese inferenzstatisti-
schen Ergebnisse in unserem Bewertungsalgorithmus berücksichtigt und anhand eines
entsprechend modifizierten Bewertungsschemas geprüft, wie sich dies auf das Ge-
samtergebnis auswirkt (siehe unten).
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
76
Tab. 29a: Wichtige Kennziffern und Qualitätsindikatoren zur Versorgung der AOK-Versicherten im Kinzigtal im Zeitraum 2004-08, bewertet aus Kinzigtal-Sicht (Refe-renzgruppe: AOK-Versicherte im übrigen Baden-Württemberg) – Teil A Kennziffer / Qualitätsindikator Bewertung
Niveau
2008 im
Vergleich
Bewertung
komparative
Veränderung
2004-2008
Gesamt-
bewertung
bisheriges
Ergebnis
Anteil der Versicherten mit längerfristiger Benzodia-
zepin-Verordnung (>20 DDD / Jahr) [F] +* . +
Anteil der Versicherten mit >30 DDD an Anxiolytika,
Sedativa, Hypnotika in mindestens einem Quartal an
allen Empfängern dieser Wirkstoffe [F]
+* + +
Anteil der Versicherten mit >75 DDD an NSAR in
mindestens einem Quartal des Jahres an allen Emp-
fängern dieser Wirkstoffe [F]
+* . +
Anteil der Versicherten mit Praxiskontakt und Not-
fallschein [Kz-min] – + .
Anteil der Versicherten mit Pflegestufe I-III (SGB XI)
[K-min] + + +
Anteil der KHK-Patienten mit Verordnung von
Thrombozytenaggregationshemmern (TAH) [U] . + +
Anteil der KHK-Patienten mit Verordnung von Beta-
blockern [U] +* . +
Anteil der KHK-Patienten mit Verordnung von
Statinen [U] – + .
Anteil der KHK-Patienten mit Koronarangiographie,
davon mit Interventionen [Ü umgekehrt] +* + +
Erläuterungen zu den Tabellen 29a-c:
Ü = Indikator einer potentiellen Überversorgung
U = Indikator einer potentiellen Unterversorgung
F = Indikator einer potentiellen Fehlversorgung
K-min = Kennziffer, die im Interesse einer wirksamen Prävention oder allgemeiner Effizienz-erwägungen möglichst minimiert werden sollte
+ = im Sinne der Ziele der IVGK positiv zu bewertendes Ergebnis
+* = im Sinne der Ziele der IVGK positiv zu bewertendes Ergebnis; Differenz zur Vergleichs-gruppe im Jahr 2008 ist zudem statistisch signifikant
– = im Sinne der Ziele der IVGK negativ zu bewertendes Ergebnis
–* = im Sinne der Ziele der IVGK negativ zu bewertendes Ergebnis; Differenz zur Vergleichs-gruppe im Jahr 2008 ist zudem statistisch signifikant
. = im Sinne der Ziele der IVGK neutral zu bewertendes Ergebnis
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
77
Tab. 29b: Wichtige Kennziffern und Qualitätsindikatoren zur Versorgung der AOK-Versicherten im Kinzigtal im Zeitraum 2004-08, bewertet aus Kinzigtal-Sicht (Referenz-gruppe: AOK-Versicherte im übrigen Baden-Württemberg) – Teil B Kennziffer / Qualitätsindikator Bewertung
Niveau 2008
im Vergleich
Bewertung
komparative
Veränderung
2004-2008
Gesamt-
bewertung
bisheriges
Ergebnis
Anteil der Patienten mit chronischer KHK, die
einen Kardiologen aufsuchten [U] +* + +
Anteil der Versicherten mit chronischer KHK, die
mindestens einen Krankenhausaufenthalt mit
Entlassungsdiagnose „ischämische Herzkrank-
heit“ hatten [K-min]
. . .
Anteil der Patienten mit Fraktur unter den be-
kannten Osteoporose-Patienten [K-min] +* + +
Anteil der Osteoporose-Patienten mit Fraktur, die
eine osteoporosespezifische Therapie erhalten
[U]
+ + +
Anteil der Herzinsuffizienz-Patienten mit einer
leitliniengemäßen Medikation [U]
. . .
Anteil der Herzinsuffizienzpatienten mit jährli-
chem Kardiologenkontakt [U]
+* + +
Anteil der Herzinsuffizienz-Patienten mit minde-
stens einem Krankenhausaufenthalt mit Haupt-
entlassungsdiagnose „Ischämische Herzkrank-
heit“ (ICD 10: I20-I25) [K-min]
+ – .
Anteil der Diabetiker mit KHK und/oder Fett-
stoffwechselstörungen, die Statine verordnet be-
kamen [U]
– + .
Anteil der Diabetiker mit jährlichem Augenarzt-
kontakt [U]
–* + .
Anteil der Diabetiker, die wegen Diabetes statio-
när behandelt wurden [K-min]
–* – –
Anteil der Versicherten mit affektiven Störungen,
bei denen >14 AU-Tage pro Jahr dokumentiert
waren [K-min]
– – –
Anteil der Versicherten mit affektiven Störungen,
bei denen >14 AU-Tage pro Jahr mit AU-Diag-
nose „affektive Störungen“ dokumentiert waren
[K-min]
–* + .
Anteil der Patienten mit affektiven Störungen, die
einen Krankenhausaufenthalt wegen affektiver
Störungen hatten [K-min]
–* + .
Legende: Siehe Legende zu Tabelle 29a, S. 76.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
78
Tab. 29c: Wichtige Kennziffern und Qualitätsindikatoren zur Versorgung der AOK-Versicherten im Kinzigtal im Zeitraum 2004-08, bewertet aus Kinzigtal-Sicht (Refe-renzgruppe: AOK-Versicherte im übrigen Baden-Württemberg) – Teil C Kennziffer / Qualitätsindikator Bewertung
Niveau
2008 im
Vergleich
Bewertung
komparative
Veränderung
2004-2008
Gesamt-
bewertung
bisheriges
Ergebnis
Anteil von Patienten mit Alzheimerdemenz, die
Nootropika verordnet bekamen [Ü/F]
. + +
Anteil der Patienten mit vaskulärer Demenz, die
nicht empfohlene Antidementiva erhielten [Ü/F)
– + .
Anteil von mit Antidementiva behandelten Demenz-
patienten, bei denen eine Verlaufsbeobachtung
stattfand [U]
+ . +
Demenzpatienten mit längerfristiger Psycholeptika-
Verordnung (>180 DDD) pro Jahr [K-min]
+* + +
Anteil der Demenzpatienten mit Hinweis auf eine
Fraktur [K-min]
. . .
Anteil der Rückenschmerzpatienten mit minde-
stens einem CT oder MRT pro Jahr [Ü/F]
+* – .
Anteil der Rückenschmerz-Patienten mit einem
anderen bildgebenden Verfahren als CT oder MRT
pro Jahr [Ü/F]
. . .
Anteil der Rückenschmerz-Patienten, die pro Jahr
mehr als 14 AU-Tage wegen Rückenschmerzen
hatten [K-min]
–* – –
Anteil der Versicherten mit Operation an der Wir-
belsäule [K-min]
– – –
Legende: Siehe Legende zu Tab. 29a, S. 76.
Akzeptiert man unseren Bewertungsalgorithmus für eine bilanzierende Gesamtbewer-
tung des Vergleichs Kinzigtal vs. Vergleichsgruppe (übriges Baden-Württemberg),
dann können die in den Tabellen 29a bis 29c wiedergegebenen Ergebnisse in einer
einfachen Formel zusammengefasst werden, indem man positive, neutrale und nega-
tive Gesamtergebnisse auszählt. Dieses Verhältnis beträgt in unserem Fall 14:13:4.
Das bedeutet: 14 positiven Ergebnissen stehen 13 neutrale und 4 negative Ergebnisse
gegenüber. Akzeptiert man unseren Bewertungsalgorithmus, dann kann man dieses
Ergebnis unseres Erachtens als einen klaren – wenn auch vorläufigen – Hinweis
interpretieren, dass die IVGK bislang auf gutem Weg ist, ihre Ziele zu erreichen.
An dieser Stelle wollen wir im Sinne einer Sensitivitätsanalyse skizzieren, wie
sich das Gesamtergebnis (14:13:4) verändert, wenn wir einen alternativen – leicht
veränderten – Bewertungsalgorithmus als Grundlage heranziehen. Eine einigermaßen
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
79
plausible Veränderung unseres bisherigen Bewertungsschemas könnte darin beste-
hen, dass man ein positives oder negatives Gesamtergebnis bei einer gegebenen
Kennziffer nur dann (als positives bzw. negatives Gesamtergebnis) gelten lässt, wenn
die Indikatorwerte des aktuellsten Beobachtungsjahres – hier: 2008 – sich in den bei-
den Teilpopulationen signifikant (!) unterscheiden. Diese Bedingung wäre gleichbe-
deutend mit einer inferenzstatistischen Absicherung des Unterschieds der Indikator-
werte im aktuellsten Beobachtungsjahr. Auf Basis dieses modifizierten Bewertungs-
algorithmus käme man schließlich auf 8 positive, 21 neutrale und 2 negative Ge-
samtergebnisse bei den 31 Qualitätsindikatoren und Kennziffern. Aus den oben ge-
nannten Gründen halten wir diesen alternativen Bewertungsalgorithmus wegen der
darin implizierten Übergewichtung einer rein querschnittlichen Betrachtung (im aktu-
ellsten Beobachtungsjahr) inhaltlich für weniger angemessen als unser zuerst ausge-
führtes Bewertungsschema. Gleichwohl wird deutlich, dass auch das Ergebnis auf
Basis des alternativen Bewertungsalgorithmus (8:21:2) eine ähnliche Schlussfolgerung
wie oben zulässt: Die aus Sicht der IVGK positiven Resultate überwiegen die negativen
Resultate bei weitem.
Generell ist angesichts der Zwischenergebnisse des ÜUF-Projekts zu bedenken,
dass der bisher betrachtete Zeitraum erst fünf Jahre beträgt, wobei die ersten Inter-
ventionen des IVGK-Managements erst im letzten Quartal des Jahres 2005 einsetzten.
Schon allein deshalb sollten die bisher erkennbaren Trends noch mit Vorsicht
interpretiert werden. Es bedarf eines längeren Beobachtungszeitraums, damit man von
nachhaltigen Trends sprechen kann.
Dieser Vorbehalt gilt besonders im Hinblick auf die Forschungsfrage, ob die
Morbidität im Kinzigtal – im Vergleich zum übrigen Baden-Württemberg – im Verlauf
des IV-Projekts reduziert werden kann und die Gesundheit der Versicherten im Kin-
zigtal und in der IVGK sich günstiger entwickelt als im übrigen Baden-Württemberg.
Zwar lässt sich bislang erkennen, dass in dem bisher betrachteten Zeitraum 2004-08
die administrativen Prävalenzen der meisten untersuchten Ziel-Indikationen sowie die
Multimorbiditätsprävalenz im Kinzigtal langsamer anstiegen (bzw. deutlicher zurück-
gingen) als im übrigen Baden-Württemberg – was ein erfolgreiches Zwischenergebnis
im Sinne der von der IVGK verfolgten Ziele zu sein scheint. Jedoch sollte man sich
stets drei methodische Vorbehalte vor Augen führen, bevor man Schlüsse im Hinblick
auf die genannte Forschungsfrage zieht:
Zum ersten sind es bisher – wie bereits erwähnt – lediglich vier Beobachtungs-
jahre, in denen sich ein solcher Trend zeigt. Das ist sicher ein noch zu kurzer Zeitraum,
damit ein Trend verlässlich bestimmbar ist. So ist beispielsweise bei einigen Indika-
tionen zu sehen, dass es vor allem vom Jahr 2004 zum Jahr 2005 überdurchschnittlich
deutliche Zäsuren bei den ermittelten Prävalenzen gibt; dabei kann nicht ausgeschlos-
sen werden, dass diese auch auf besondere Kodier-Effekte im Jahr 2004 zurückzu-
führen sind. Analog hierzu ist nicht auszuschließen, dass z.B. in den GKV-Routine-
daten des Jahres 2009 – dem ersten Jahr des morbiditätsortientierten Risikostruktur-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
80
ausgleichs – sich Kodier-Effekte zeigen werden, die unsere heutigen vorläufigen
Schlussfolgerungen als relativierungsbedürftig erscheinen lassen könnten.
Zum zweiten sind die auf Basis von GKV-Routinedaten ermittelten Prävalenzen
stets administrative Prävalenzen; das bedeutet, dass diese nur die im Versorgungs-
system gleichsam „aktenkundig werdende“ Krankheitslast widerspiegeln. Bei manchen
Indikationen ist jedoch bekannt, dass die entsprechenden Krankheiten – wie z.B. De-
pressionen – häufig nicht erkannt, somit „unterdiagnostiziert“ und folglich unterbe-
handelt sind, weswegen die administrativen Prävalenzen die realen Prävalenzen unzu-
reichend widerspiegeln. Wird dann in einer bestimmten Region (wie etwa dem
Kinzigtal) ein darauf bezogenes Interventionsprogramm implementiert – z.B. mit der
Absicht, Depressionen besser zu diagnostizieren, um sie möglichst frühzeitig behan-
deln zu können –, dann ist es denkbar, dass die administrative Prävalenz zunächst ein-
mal ansteigt, obwohl Diagnostik und Behandlung effektiver werden.
Zum dritten sind Prävalenz-Kennziffern (und ihre Veränderung im Zeitverlauf)
grundsätzlich weniger aussagekräftig als es z.B. Inzidenz-Ziffern sind, die die Häufig-
keit neu auftretender Erkrankungen in einem bestimmten Zeitraum und in einer defi-
nierten Population messen. Inzidenzen und Inzidenzunterschiede zwischen Interven-
tionsregion und Vergleichsregion können jedoch zum jetzigen Zeitpunkt im ÜUF-Pro-
jekt für viele interessierende Krankheitsbilder (z.B. neu auftretende Herzinfarkte oder
Re-Infarkte; bestimmte Folgeerkrankungen bei Diabetikern, etc.) noch nicht verlässlich
bestimmt werden. Hierfür ist es nötig, deutlich längere Zeiträume zu berücksichtigen,
damit mehr neu auftretende Fälle als bisher beobachtet werden können.
4.4.2 Ausblick auf den Fortgang des ÜUF-Projekts
Das zentrale Thema des ÜUF-Projekts ist die Veränderung der Versorgungsqualität
aller AOK- und LKK-Versicherten im Kinzigtal im Vergleich zur herkömmlichen Versor-
gung außerhalb des Kinzigtals. Der aktuelle Zwischenbericht der PMV forschungsgrup-
pe (mit 2008 als aktuellstem Beobachtungsjahr) enthielt im Vergleich zu den früheren
Berichten eine zusätzliche vergleichende Komponente: Der Vergleich von (A) Patien-
ten im Kinzigtal, die von IVGK-Leistungspartnern (hausärztlich, kinderärztlich oder gy-
näkologisch) betreut werden, mit (B) Patienten im Kinzigtal, die von anderen Ärzten
(hausärztlich, kinderärztlich oder gynäkologisch) betreut werden. Für diese Art von
Vergleichen liegen bislang nur drei Beobachtungsjahre (2006-08) vor, so dass uns eine
systematische Bewertung der Ergebnisse dieser Vergleiche zum jetzigen Zeitpunkt
noch verfrüht erscheint. Im nächsten Zwischenbericht der PMV forschungsgruppe, der
zusätzlich Daten der Jahre 2009 und 2010 umfassen wird, werden dann die Ergeb-
nisse solcher Vergleiche umfassender und daher angemessener zu bewerten sein.
Mit einem grundsätzlichen Problem hinsichtlich der Spezifität und Validität der
GKV-Routinedaten wird das ÜUF-Projekt zukünftig umzugehen haben: dem Problem
der zunehmenden Relevanz von Abrechnungspauschalen und Komplexziffern im Ver-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
81
sorgungsalltag von Ärzten. Dies wird vor allem im Zuge zunehmender Einschreibe-
zahlen von AOK-Versicherten in die baden-württembergische Hausarzt-zentrierte
Versorgung (HzV) an Bedeutung gewinnen: Die ab 2009 zunehmende Relevanz von
Komplexziffern und Pauschalen könnte es mit sich bringen, dass einzelne EBM-Ziffern,
die in Zähler oder Nenner von Qualitätsindikatoren eingehen, im Rahmen neuartiger
Verträge (wie z.B. dem HzV) nicht mehr einzeln abgerechnet werden. Falls also ein
relevanter Teil der baden-württembergischen Vergleichsgruppe in den HzV einge-
schrieben wäre, würden für die Behandlung dieser HzV-Versicherten unter bestimmten
Umständen keine einzelnen EBM-Ziffern mehr abgerechnet, welche Teil eines Quali-
tätsindikators sind. Dies könnte in den Regionen zu einer Unterschätzung der Lei-
stungserbringung und der Verzerrung der Versorgungsqualität führen, in denen über-
proportional viele AOK-Versicherte in die HzV eingeschrieben sind. Für das Kinzigtal
mit seiner (mutmaßlich) unterdurchschnittlichen HzV-Einschreibequote würde eine
analoge Verzerrung der Versorgungsqualität resultieren. In jedem Fall wird der betref-
fende Indikator entwertet. Dafür hat das GK-Evaluationsteam aber bereits Vorkeh-
rungen getroffen, denn im Frühjahr 2010 wurde Folgendes beschlossen: Die PMV for-
schungsgruppe erhält für alle Daten ab dem Jahr 2009 jeweils aktuelle Informationen
darüber, (a) welche einzelnen EBM-Ziffern in neuartigen Komplex-Ziffern „aufgehen“
und (b) welche Versicherten(pseudonyme) aus dem ÜUF-Projekt sich in Versor-
gungsverträge (wie z.B. den HzV) eingeschrieben haben, in denen derartige Komplex-
Ziffern abgerechnet werden. Damit wäre es der PMV forschungsgruppe möglich, bei
künftigen Auswertungen Vorkehrungen gegen mögliche Verzerrungen zu treffen.
Unserer Ansicht nach hat es sich bislang bewährt, die Versorgung im Kinzigtal
auf Basis von GKV-Routinedaten vergleichend evaluieren zu lassen. Ungeachtet der
bekannten methodischen Limitationen (vgl. Abschnitt 4.1.2) hat das ÜUF-Projekt be-
reits zum jetzigen Zeitpunkt wertvolle Erkenntnisse geliefert, die trotz des unver-
meidlichen Zeitverzugs zwischen der Entstehung der Leistungen und der Leistungs-
daten einerseits und dem Zeitpunkt der Datenlieferung und des darauf Bezug nehmen-
den Berichts andererseits auch für das Qualitäts-Monitoring der IVGK von Bedeutung
sind: Die Komponente des inner-baden-württembergischen Vergleichs ist ja nicht nur
für die Evaluation der IVGK von entscheidender Bedeutung, sondern bietet auch dem
IVGK-Management viele wertvolle Anhaltspunkte dafür, „wo das Kinzigtal im Vergleich
zu anderen steht“.
Unseres Erachtens ist es momentan nur auf der Basis von GKV-Routinedaten
mit einem vertretbaren Aufwand möglich, verschiedene Versorgungsregionen sekto-
ren- und leistungserbringerübergreifend über einen langen Beobachtungszeitraum zu
vergleichen. Das bedeutet natürlich nicht, dass bei der IVGK-Evaluation zukünftig nicht
auch noch die (pseudonymisierten) Daten der Leistungspartner berücksichtigt werden
sollten, denn viele AQUIK- und QiSA-Indikatoren setzen gerade auf solchen Daten auf.
Im Moment jedoch ist die Analyse von GKV-Routinedaten der kosteneffektivste Weg
zur Realisierung eines Vergleichs von Versorgungssystemen.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
82
5 Das COPE-Teilprojekt 2: Prozessevaluation aus Sicht der GK-Leistungspartner (PeGL-Projekt)
Das COPE-Projekt (Coaching und Prozessevaluation aus Sicht der Leistungserbringer)
wurde am 22.10.2007 ausgeschrieben. Es bestand bis Anfang 2010 aus zwei Teilpro-
jekten, nämlich (1) aus dem Teilprojekt 1 „Coaching der Funktionsträger der Integrier-
ten Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK)“ und (2) aus dem Teilprojekt 2, der „Pro-
zessevaluation aus Sicht der Leistungserbringer“. Durchführung und Auswertung von
Teilprojekt 1 oblagen nicht primär der Evaluations-Koordinierungsstelle. Teilprojekt 1
wurde Anfang 2010 vorerst beendet; Einzelheiten zum Verlauf von Teilprojekt 1 finden
sich im EKIV-Evaluationsbericht des letzten Jahres.
Mit der Durchführung von Teilprojekt 2, der Prozessevaluation aus Sicht der GK-
Leistungspartner, wurde Dr. Matthias Nübling beauftragt. Dr. Nübling leitet die „Ge-
sellschaft für empirische Beratung“ in Denzlingen; Ärztebefragungen und andere Pri-
märdatenerhebungen bei Beschäftigten im Gesundheitswesen gehören zu seinem
Spezialgebiet.18 Das Teilprojekt 2, die Prozessevaluation aus Sicht der GK-Leistungs-
partner (abgekürzt: PeGL), wurde als zunächst dreimalige Befragung der GK-Lei-
stungspartner über insgesamt drei Jahre hinweg (2008 – 2010) durchgeführt. Die Er-
gebnisse dieser drei Befragungen sind Gegenstand des EKIV-Evaluationsberichts
2011. Ab 2012 soll die Befragung der GK-Leistungspartner alle zwei Jahre durchge-
führt werden.
5.1 Funktion und Forschungsfragen des PeGL-Projekts
Die Evaluation aus Sicht der GK-Leistungspartner hat im Wesentlichen drei Aufgaben.
Sie soll
- den IVGK-Entscheidungsträgern Hinweise geben, wie das IV-Projekt verbessert
werden kann,
- beschreiben und analysieren, wie die GK-Leistungspartner die Prozess-, aber
auch die Struktur- und Ergebnisqualität des IV-Projekts bewerten und
- beschreiben und analysieren, wie sich diese Bewertung im Zeitverlauf verän-
dert.
Zusammengefasst könnte man sagen: Das PeGL-Projekt soll dem IVGK-Management
ein standardisiertes Feedback der GK-Leistungspartner geben. Für die ersten beiden
Befragungen in den Jahren 2008 und 2009 wurde für alle befragten IVGK-Leistungs-
partner ein einheitlicher Fragebogen verwendet. Die Fragen konzentrierten sich dabei
auf die folgenden Bereiche:
- Motive der Ärzte und anderer Leistungserbringer, der IVGK beizutreten19,
18 Siehe hierzu http://www.empirische-beratung.de/. 19 Fragen zu diesem Thema wurden bei der Zweitbefragung (2009) weggelassen.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
83
- eventuelle Bedenken gegen die IVGK (nur T1-Befragung 2008)20,
- Bewertung der Geschäftsstelle der Gesundes Kinzigtal GmbH in Haslach,
- Bewertung der beiden Krankenkassen AOK Baden-Württemberg (AOK BW)
und LKK Baden-Württemberg (LKK BW),
- Bewertung des Ärztlichen Beirats und des Ärztenetzes MQNK,
- Kenntnis der GK-Krankheitsmanagement- bzw. -Präventionsprogramme,
- Häufigkeit der Vermittlung von Patienten in jene Programme,
- Einschätzung der Beliebtheit der Programme bzw. der Nachfrage seitens der
Patienten,
- Bewertung der Programme,
- Bewertung des bisherigen Verlaufs der IVGK,
- Gesamtzufriedenheit mit der IVGK,
- Erwartungen und Wünsche für die Zukunft sowie
- Vorschläge und Anmerkungen zu verschiedenen anderen Fragen.
Bei der Drittbefragung (T3-Erhebung) wurden erstmals zwei verschiedene Fragebo-
genversionen verwendet, und zwar eine Version für die niedergelassenen ärztlichen
und psychotherapeutischen Leistungspartner, die für die Patienten als „Ärzte des
Vertrauens“ fungieren können (Version A), und eine Version B für die sonstigen Lei-
stungspartner (Klinikärzte, Pflegeheime, Pflegedienste, Physiotherapeuten). Mit dieser
Differenzierung in zwei verschiedene Fragebogenvarianten sollten die unterschiedli-
chen Positionen und Problemstellungen der verschiedenen Leistungspartnergruppen
spezifischer erfasst werden. Die etwas kürzere Version B für die „sonstigen Leistungs-
partner“ umfasste Fragen zu folgenden Themen:
- Motivation zum Eintritt in die IVGK,
- Bewertung eventueller Bedenken gegen eine Kooperation mit der IVGK,
- Bewertung der Geschäftsstelle der Gesundes Kinzigtal (GK) GmbH in Haslach,
- Bewertung der beiden Krankenkassen AOK Baden-Württemberg (AOK BW)
und LKK Baden-Württemberg (LKK BW) sowie Bewertung des Ärztlichen Bei-
rats/des Ärztenetzes MQNK,
- Kenntnis der GK-Krankheitsmanagement- bzw. GK-Präventionsprogramme,
- Bewertung der Programme,
- Bewertung des bisherigen Verlaufs der IVGK,
- Gesamtzufriedenheit,
- Erwartungen und Wünsche für die Zukunft sowie
- Vorschläge und Anmerkungen zu verschiedenen anderen Fragen.
In Version A, also dem Fragebogen für die niedergelassenen ärztlichen und psycho-
therapeutischen Leistungspartner, fehlten die ersten beiden Fragen (Motivation zum
Eintritt in die IVGK und Bewertung eventueller Bedenken gegen eine Kooperation mit
der IVGK), da die überwiegende Mehrheit der niedergelassenen Ärzte und Psychothe-
rapeuten diese beiden Fragen bereits bei der Erstbefragung im Jahr 2008 beantwortet
20 Fragen zu diesem Thema wurden bei der Zweitbefragung (2009) weggelassen.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
84
hatte. Im Vergleich zur Version B enthielt Version A aber einige zusätzliche Fragen, die
auf die Tätigkeit von Ärzten des Vertrauens zugeschnitten waren. Dazu gehörten
Fragen zu folgenden Themen:
- Häufigkeit der Vermittlung der Patienten in jene Programme,
- Einschätzung der Beliebtheit der Programme bzw. der Nachfrage seitens der
Patienten,
- praktische Probleme und Funktionalität von Zielvereinbarungen mit Patienten,
- Probleme und Funktionalität der Partizipativen Entscheidungsfindung mit Pa-
tienten.
Fragen zu den beiden letztgenannten Fragen wurden in der Drittbefragung zum ersten
Mal überhaupt gestellt.
5.2 Methoden und Studienpopulation des PeGL-Projekts Bei der Befragung der GK-Leistungspartner wird stets ein teilstandardisierter Frage-
bogen eingesetzt. Die Versionen, die bei der Erst- bzw. der Zweitbefragung eingesetzt
wurden, enthalten insgesamt 94 (bzw. 9021) Fragen zu den oben genannten Themen.
Die Relevanz der thematischen Bereiche und einzelner Fragen wurde vor der ersten
Befragung mittels eines ausführlichen Fokusgruppengesprächs mit Vertretern der GK-
Leistungspartner festgelegt (Nübling 2008: 7). Die Version A des bei der Drittbefragung
eingesetzten Fragebogens enthält insgesamt 105 Fragen, die Version B hingegen 91
Fragen.
Das PeGL-Projekt folgt prinzipiell dem Design einer Kohorten- bzw. Trend-
Studie: Beginnend mit dem Jahr 2008 werden die GK-Leistungspartner in zunächst
drei aufeinander folgenden Jahren befragt. Da in den Jahren der Zweit- und Dritt-
befragung, also 2009 und 2010, stets weitere neue Leistungspartner hinzukamen,
erweiterte sich jeweils der Kreis der Befragten in diesen Jahren. Die Befragung fand
stets im Mai/Juni eines Jahres statt.
21 Wie oben erwähnt, wurden bei der Zweitbefragung Fragen zur Eintrittsmotivation und zu den möglichen Motiven, nicht einzutreten, vorerst nicht mehr gestellt. Dafür wurden in der Zweitbefragung zusätzliche Fragen zu neu implementierten Gesundheitsprogrammen gestellt, die zur Zeit der T1-Befragung noch nicht existierten.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
85
5.3 Ausgewählte Ergebnisse der Befragungen aus den Jahren 2008, 2009 und 201022
5.3.1 Rücklauf der drei Befragungen
Im Mai 2008, zum Zeitpunkt der ersten Befragung (T1-Befragung), gehörten der IVGK
insgesamt 50 Leistungserbringer an, an die der Fragebogen ausgegeben wurde. Von
diesen 50 Fragebögen wurden 35 an das evaluierende Institut zurückgeschickt; dies
entspricht einem guten Rücklauf von 70%. Unter den 35 Respondern befanden sich 15
Hausärzte, 16 Fachärzte und drei sonstige Leistungspartner.
Im Mai/Juni 2009 wurde der T2-Fragebogen an 59 Leistungserbringer verteilt;
34 Fragebögen wurden an das auswertende Institut zurückgeschickt. Dies entspricht
einem Rücklauf von 58% – der Rücklauf der Zweitbefragung war also geringer als bei
der Erstbefragung. Unter den 34 Respondern der T2-Erhebung waren 17 Hausärzte,
12 Fachärzte, 3 Vertreter von Kliniken und 2 Physiotherapeuten.
Im Juni 2010 erhielten insgesamt 85 Leistungspartner einen Fragebogen; 51
Fragebögen wurden ausgefüllt zurückgeschickt (Rücklauf: 60%). Seit der Zweitbefra-
gung im Jahr 2009 hatten sich also viele neue Leistungspartner der IVGK ange-
schlossen, darunter überproportional viele sonstige Leistungspartner.
Der zunehmende Anteil der sonstigen Leistungspartner im Zeitverlauf ist klar
erkennbar, wenn man die Zusammensetzung der Responder nach Berufsgruppen bei
der Erstbefragung mit ihrer Zusammensetzung bei der Drittbefragung vergleicht: Fielen
bei der Erstbefragung 2008 lediglich 3 Responder (9 %) in die Gruppe der „sonstigen
Leistungspartner“, so waren es bei der Drittbefragung 2010 13 Befragte (26 %). Umge-
kehrt formuliert: 2008 waren gut 90 % der Responder niedergelassene Ärzte (oder
Psychotherapeuten), 2010 machten sie einen Anteil von drei Vierteln der Responder
aus. In Abb. 5 sind die Responder der T3-Befragung (2010) nach ihrer Berufszuge-
hörigkeit detailliert aufgeschlüsselt.
22 Die folgenden Ergebnisse sind den drei bisherigen Ergebnisberichten entnommen (vgl. Nübling 2008; Nübling 2009; Nübling 2010).
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
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Hausarzt (inkl.Psychoth.)Facharzt
Klinik
Physiotherap.
Pflegeheim/-dienstsonstiges
N=21 (41%)
N=17 (33%)
N=3 (6%)
N=4 (8%)
N=5 (10%)
N=1 (2%)
Abb. 5: Beteiligung an der Drittbefragung der GK-Leistungspartner: Anzahl (und Anteil der Responder in %) nach Berufsgruppe (nach Nübling 2010: 11) 5.3.2 Motive der Befragten, der IVGK als Leistungspartner beizutreten, und eventuelle Bedenken gegen die IVGK Die Motive, der IVGK als Leistungspartner beizutreten, sowie eventuelle Bedenken ge-
gen die IVGK wurden in der T1-Befragung im Jahr 2008 erfragt. Bei dieser ersten Be-
fragung konnten die Motive der sonstigen Leistungspartner nur unzureichend erhoben
werden, da sie sich der IVGK großenteils erst später anschlossen. Deshalb wurden die
Fragen nach Eintrittsmotiven und Bedenken gegen einen Beitritt den sonstigen Lei-
stungspartnern bei der Drittbefragung erneut gestellt – nunmehr in der separaten Fra-
gebogen-Version B (vgl. oben, Abschnitt 5.1).
Die Beitrittsmotive der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten lassen
sich Abb. 6 entnehmen. Die zugrunde liegende Frage lautete: „Was waren Ihre Motive
für den Eintritt bei ‚Gesundes Kinzigtal?’“ Bei der Antwort mussten die einzelnen Motive
nach ihrer Bedeutung gewichtet werden.
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Abb. 6: Motive der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten für den Beitritt zu „Gesundes Kinzigtal“ – Erstbefragung 2008 (Punktwerte: 100 „sehr wichtiger Grund/-Hauptgrund“; 67 „wichtiger Grund“; 33 „weniger wichtig“; 0 „gar nicht wichtig“)
Bei den Befragten an erster Stelle steht das Motiv „etwas Neues ausprobieren, neue
Wege gehen“ und damit gleichsam eine „Vorreiterrolle“ einzunehmen (durchschnittlich
76 Punkte), an zweiter Stelle folgt die „Hoffnung auf Vernetzung und Informations-
austausch mit anderen Praxen/Leistungserbringern“ (durchschnittlich 73 Punkte). Das
im Durchschnitt drittwichtigste Motiv, der IVGK beizutreten, besteht in der „Hoffnung
auf Verbesserung der Patientenversorgung durch Integrierte Versorgung“ (durch-
schnittlich 70 Punkte). Weitere wichtige Gründe, der IVGK beizutreten, sind die „Hoff-
nung auf Kosteneinsparungen im Gesundheitssystem (ohne Abstriche bei Patienten-
versorgung)“ (62 Punkte), die Handlungsmaxime „raus aus dem Einzelkämpferdasein“
(57 Punkte), die „Hoffnung auf finanzielle Vorteile für meine Praxis/Institution“ (56
Punkte) sowie die „Unzufriedenheit mit dem bestehenden System/Frustration“ (55
Punkte). Weniger wichtig waren hingegen die Motive „Hoffnung auf Unterstützung bei
EDV“ (44 Punkte) und „Hoffnung auf Verbesserung der Versorgungsqualität in meiner
Praxis“ (43 Punkte). Noch weniger wichtig erschien der Mehrheit der Befragten das
Motiv „Hoffnung auf Verbesserung der Patientenbindung an meine Praxis durch
Einschreibungen“ (32 Punkte). Bemerkenswert ist, dass unter den drei wichtigsten
Gründen, der IVGK beizutreten, kein klassisches eigennütziges Motiv zu finden ist. Die
angegebenen wichtigsten Motive lassen sich vielmehr als „kommunitäre“, d.h. Gemein-
sinn ausdrückende Motive kategorisieren (so z.B. „bessere Vernetzung/Informations-
austausch mit anderen Praxen“, „Hoffnung auf Verbesserung der Patientenversorgung
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durch IV“ oder auch „raus aus dem Einzelkämpferdasein“) oder als „Selbstverwirkli-
chungsmotive“ („etwas Neues ausprobieren“, „Vorreiterrolle einnehmen“). Erst an sech-
ster Stelle folgt ein klassisches eigennütziges Motiv („Hoffnung auf finanzielle Vorteile
für meine Praxis/Institution“).
Die Eintrittsmotive der sonstigen Leistungspartner unterscheiden sich von denen
der niedergelassenen Ärzte in einigen Aspekten, jedoch nicht gravierend (Abb. 7).
Abb. 7: Motive der sonstigen Leistungspartner für den Beitritt zu „Gesundes Kinzigtal“ – Drittbefragung 2010 (Punktwerte: 100 „sehr wichtiger Grund/Hauptgrund“; 67 „wichtiger Grund“; 33 „weniger wichtig“; 0 „gar nicht wichtig“)
Deutliche Unterschiede lassen sich vor allem hinsichtlich der Motive „Unterstützung bei
EDV“ und „Verbesserung der Patientenbindung“ feststellen: Während die Unterstüt-
zung bei der Implementierung einer netzkompatiblen EDV-Ausrüstung bei den nieder-
gelassenen Ärzten noch relativ wichtig war (durchschnittlich 44 Punkte), ist das bei den
sonstigen Leistungspartnern kaum der Fall (20 Punkte). Die Verbesserung der Patien-
tenbindung ist hingegen für die sonstigen Leistungspartner ein recht wichtiges Motiv,
der IVGK beizutreten (durchschnittlich 54 Punkte), während das bei den niedergelasse-
nen Ärzten eindeutig – und auch statistisch signifikant (p < 0.05) – weniger der Fall ist
(32 Punkte). Hingegen sind Motive, welche die Unzufriedenheit mit der Regelver-
sorgung sowie die eigene Vorreiterrolle bei der Schaffung eines neuartigen Versor-
gungssystems ausdrücken, von den niedergelassenen Ärzten in der Regel stärker
gewichtet worden als von den sonstigen Leistungspartnern.
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Für interessant halten wir auch die Antworten auf die Frage, welche Bedenken die
Befragten gegen das Projekt „Gesundes Kinzigtal“ vor bzw. bei ihrem Eintritt hatten.
Die Frage lautete wörtlich: „Nichtmitglieder äußern zum Teil Bedenken gegen das
Projekt ‚Gesundes Kinzigtal’. Inwiefern hatten auch Sie folgende Bedenken vor bzw.
beim Eintritt?“ Die Ergebnisse zu dieser Frage finden sich in Abb. 8.
Abb. 8: Bedenken der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten gegen „Ge-sundes Kinzigtal“ – Erstbefragung 2008 (Punktwerte: 100 „starke Bedenken“; 50 „einige Bedenken“; 0 „keine Bedenken“) Zur Kategorie „starke Bedenken“ rechnen die niedergelassenen Ärzte und Psychothe-
rapeuten im Durchschnitt keine der hier aufgeführten Bedenken. Das ist keine Sensa-
tion, denn die Befragten hatten sich zum Zeitpunkt der Befragung bereits für den
Beitritt zur IVGK entschieden, so dass es nur „menschlich“ (und insofern „natürlich“) ist,
dass sie eine affirmative Haltung zu ihrer Entscheidung einnehmen und den Beitritt
auch im Nachhinein nicht in Frage stellen, indem sie z.B. viele „starke Bedenken“
hegen. Für interessanter halten wir, dass die beiden mit Abstand stärksten Bedenken,
nämlich „die Teilnahme wird mir viel Zusatzarbeit einbringen“ (62 Punkte) und „die
Teilnahme wird mich viel Zeit kosten“ (59 Punkte), keine ideologisch oder standes-
politisch motivierten Bedenken sind, sondern vielmehr pragmatisch-praktische Beden-
ken. Deutlich schwächer sind hingegen die Bedenken, dass sich eine Teilnahme finan-
ziell nicht lohnen werde (35 Punkte). Alle übrigen hier aufgeführten potentiellen Beden-
ken wiegen noch weniger schwer und finden sich gleichsam in der Grauzone zwischen
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den Kategorien „einige Bedenken“ und „keine Bedenken“ – angefangen bei eher inte-
ressenpolitischen Bedenken („die Ärzte lassen sich vor einen fremden Karren spannen
und es entsteht eine neue KV“ – 29 Punkte) bis hin zur Befürchtung, beim Projekt
„Gesundes Kinzigtal“ ginge es „nur um finanzielle Vorteile für die Ärzteschaft“ (19
Punkte).
Im Hinblick auf die Wertigkeit der Bedenken gegen einen Beitritt zur IVGK unter-
scheiden sich die sonstigen Leistungspartner nur in Nuancen von den niederge-
lassenen Ärzten (Abb. 9). Abb. 9: Bedenken der sonstigen Leistungspartner gegen „Gesundes Kinzigtal“ – Drittbefragung 2010 (Punktwerte: 100 „starke Bedenken“; 50 „einige Bedenken“; 0 „keine Bedenken“)
So ist die Befürchtung, bei „Gesundes Kinzigtal“ gehe es „nur um finanzielle Vorteile für
die Ärzteschaft“, bei den sonstigen Leistungspartnern im Durchschnitt etwas ausge-
prägter (31 Punkte) als bei den niedergelassenen Ärzten (19 Punkte). Auf der anderen
Seite befürchten die sonstigen Leistungspartner im Durchschnitt etwas weniger die
niedergelassenen Ärzte, dass die Teilnahme an der IVGK „viel Zeit kosten“ wird oder
„viel Zusatzarbeit einbringt“ (42 und 46 Punkte im Vergleich zu 59 und 62 Punkten).
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MQNK/ärztl.Beirat AOK/LKK GK-Geschäftsstelle
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5.3.3 Bewertung der die IVGK tragenden Institutionen Wie bei der Erst- und Zweitbefragung (2008, 2009) beurteilten alle befragten Lei-
stungspartner auch bei der Drittbefragung 2010 jene drei Institutionen, denen eine be-
sondere Bedeutung für die Steuerung der IVGK zukommt: 1) das Ärztenetz MQNK
bzw. den Ärztlichen Beirat, der die Interessen der Leistungserbringer vertritt und der an
allen Entscheidungen in der IVGK über medizinisch-therapeutische Belange beteiligt
ist, 2) die Krankenkassen AOK Baden-Württemberg und LKK Baden-Württemberg und
3) die Geschäftsstelle der IV-Managementgesellschaft Gesundes Kinzigtal GmbH.
Abb. 10 lässt erkennen, dass keine der drei Organisationen bzw. Institutionen im
Durchschnitt als „weniger gut“ oder gar als „schlecht“ beurteilt wird. Die beiden Kran-
kenkassen AOK Baden-Württemberg (AOK BW) und LKK Baden-Württemberg (LKK
BW) liegen bei allen drei Befragungszeitpunkten stabil im Bereich zwischen 50 und 60
Punkten, also im noch guten bis befriedigenden Bereich. Zusehends verbessert hat
sich die Bewertung des MQNK bzw. des Ärztlichen Beirats, die von im Durchschnitt 55
Punkten (2008) über 57 Punkte (2009) auf 62 Punkte (2010) gestiegen ist. Weiterhin
herausragend ist die Bewertung der Geschäftsstelle der Gesundes Kinzigtal GmbH –
diese findet sich in allen drei Befragungen im Wertebereich zwischen „gut“ und „sehr
gut“ (81 Punkte im Jahr 2008, 76 Punkte im Jahr 2010). Abb. 10: Beurteilung des Ärztenetzes MQNK/des Ärztlichen Beirats, der AOK BW und der LKK BW und der Geschäftsstelle der Gesundes Kinzigtal GmbH bei allen Befrag-ten (Punktwerte: 100 „sehr gut“; 67 „gut“; 33 „weniger gut“, 0 „schlecht“)
Zu beachten ist bei den in Abbildung 10 illustrierten Ergebnissen, dass die Kriterien zur
Beurteilung der drei Institutionen verschieden sind. Deshalb sind die „Noten“ (Punkt-
werte) der drei Organisationen bzw. Institutionen nicht direkt miteinander vergleichbar.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
92
Die Beurteilungskriterien für die GK-Geschäftsstelle waren „Freundlichkeit“, „Kompe-
tenz bei der Beantwortung von Fragen“, „Erreichbarkeit (per Mail/Telefon)“, „Schnellig-
keit bei der Beantwortung von Fragen/bei Hilfe“, „Informationen über GK bzw. Pro-
gramme/Projekte/Sitzungen“, „Verhandlungen bei Rabatt-Verträgen“ sowie eine Ge-
samtbeurteilung der Geschäftsstelle. Die Kriterien zur Bewertung des ärztlichen Beirats
waren hingegen „Vertretung meiner Interessen durch den ärztlichen Beirat (MQNK)“,
„Informationen und Beratung zu GK“ sowie „fachliche Unterstützung“. Für die Bewer-
tung von AOK BW und LKK BW galten folgende Kriterien: „Kooperation mit der
AOK/LKK“, „Informationen und Beratung durch AOK/LKK“ sowie „Unterstützung durch
und Zusammenarbeit mit AOK/LKK“.
In der T3-Befragung (2010) wurde den Leistungspartnern erstmals eine weitere
Frage zur Zusammenarbeit mit AOK BW und LKK BW gestellt: Diese lautete: „Wie
beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit der AOK / LKK im Vergleich zu anderen Kran-
kenkassen?“ Hierbei gab es fünf gültige Antwortmöglichkeiten, nämlich
- „deutlich schlechter“ (dieser Antwort wurden bei der Auswertung 0 Punkte zu-
gewiesen),
- „etwas schlechter“ (25 Punkte),
- „gleich gut“ (50 Punkte),
- „etwas besser“ (75 Punkte) und
- „deutlich besser“ (100 Punkte).
Die durchschnittliche Punktzahl aller gültigen Antworten lag bei 74 Punkten. Das be-
deutet: Die dominierende Antworttendenz der im Jahr 2010 befragten IVGK-Leistungs-
partner wird durch die Antwort „etwas besser“ repräsentiert. Dabei gaben 41 der ins-
gesamt 51 befragten Leistungspartner inhaltlich valide Antworten, die zur Berechnung
des Durchschnittswerts herangezogen werden konnten; 10 Befragte machten keine
Angabe oder kreuzten die Antwort „kann ich nicht beurteilen“ an.
5.3.4 Kenntnis der IVGK-Gesundheitsprogramme, Vermittlung in Program-me und Einschätzung der Beliebtheit der Programme Im Folgenden referieren wir Ergebnisse dazu, (1) wie gut die Leistungspartner die
IVGK-Gesundheitsprogramme kennen, (2) wie häufig sie Patienten in diese Program-
me vermitteln und (3) wie sie die Beliebtheit der Programme bei den Patienten ein-
schätzen. Die Ergebnisse zu diesen drei Aspekten werden in Abb. 11 wiedergegeben.
Die drei Aspekte werden dabei jeweils von Skalen-Mittelwerten widergespiegelt, d.h.
ein gegebener Mittelwert ist selbst bereits die Zusammenfassung mehrerer Einzel-
fragen. Sämtliche in Abb. 11 dargestellten Mittelwerte beziehen sich auf diejenigen
Gesundheitsprogramme, die auch bereits im Jahr 2008 Gegenstand der Befragung
waren.
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Abb. 11: Kenntnis der Programme, Vermittlung von Patienten in die Programme und Einschätzung der Beliebtheit der Programme bei allen Befragten (Wertebereich: 0-100; 100 = bestmögliche Bewertung)
Während der Skalenmittelwert hinsichtlich der Kenntnis der Programme (Abb. 11,
linkes Säulentripel) bei der Befragung im Jahr 2008 69 Punkte betrug, belief er sich
2009 auf 87 Punkte und sank dann 2010 wieder leicht auf 77 Punkte. Im Jahr 2009 war
die Kenntnis der IVGK-Gesundheitsprogramme unter allen im jeweiligen Jahr befragten
Leistungspartnern also am größten. Ein ähnliches Ergebnismuster zeigt sich bei der
Vermittlung von Patienten in die Programme: Die Skalenmittelwerte hinsichtlich der
Vermittlung von Patienten in Programme (Abb. 11, mittleres Säulentripel) stiegen zu-
nächst deutlich von 2008 (29 Punkte) auf 2009 (46 Punkte), fielen dann aber im Jahr
2010 wieder etwas ab (36 Punkte). Lediglich bei der Einschätzung der Beliebtheit der
Programme bei den Patienten (aus Sicht der Leistungspartner) blieb der deutliche
Anstieg zwischen 2008 und 2009 auch im Jahr 2010 erhalten, wenn auch in abge-
schwächter Form (Abb. 11, rechtes Säulentripel).
Der Rückgang im Jahr 2010 bei den Skalen „Kenntnis der Programme“ und
„Vermittlung in Programme“ kann allerdings damit zusammenhängen, dass bei der T3-
Befragung im Jahr 2010 zahlreiche neu in die IVGK eingetretene Leistungspartner
erstmals befragt wurden. Der Rückgang bei den Skalenmittelmittelwerten im Jahr 2010
wäre dann nicht gleichbedeutend mit einer allgemein zurückgehenden, d.h. ver-
schlechterten Kenntnis bzw. Vermittlung der Patienten in die Programme, sondern
wäre lediglich eine Folge dessen, dass viele der neu eingetretenen Leistungspartner im
Jahr 2010 noch nicht so vertraut mit den IVGK-Gesundheitsprogrammen waren wie
diejenigen Leistungserbringer, die schon länger mit der IVGK kooperierten. Um zu
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prüfen, ob diese Vermutung zutrifft, kann man die gleichen Skalenmittelwerte bei einer
Teilgruppe der Befragten ermitteln, und zwar bei denjenigen Leistungspartnern, die
bisher an allen drei Befragungen (2008, 2009, 2010) teilgenommen haben. Unter den
51 Teilnehmern der T3-Befragung 2010 gab es 20 Befragte, die auch schon 2008 und
2009 dabei waren. Abb. 12 zeigt die Mittelwerte der Skalen „Kenntnis der Programme“,
„Vermittlung in Programme“ und „Einschätzung der Beliebtheit der Programme“ für
diese 20 Befragten.
Abb. 12: Kenntnis der Programme, Vermittlung von Patienten in die Programme und Einschätzung der Beliebtheit der Programme bei denjenigen Befragten (N=20), die an allen bisherigen Befragungen teilgenommen haben (Wertebereich: 0-100; 100 = best-mögliche Bewertung)
Abb. 12 lässt erkennen, dass der von 2008 auf 2009 stattgefundene Anstieg der Ska-
lenmittelwerte auch im Jahr 2010 erhalten geblieben ist (bzw. sich noch etwas fort-
gesetzt hat). Ein Rückgang der Skalenmittelwerte 2010 unter das in 2009 vorge-
fundene Niveau ist nicht zu erkennen. Das bedeutet: Bei der oben genannten Kohorte
– den schon bis zum Frühjahr 2008 mit der IVGK kooperierenden und seither konti-
nuierlich an der Befragung teilnehmenden Leistungspartnern – ist die (durchschnitt-
liche) Programmkenntnis, die Häufigkeit der Vermittlung von Patienten in Programme
und die eingeschätzte Beliebtheit der Programme in keinem Befragungsjahr unter
einen früher schon einmal erreichten Wert gefallen.
Bei den Skalen „Vermittlung in Programme“ und „Beliebtheit/Nutzung der Pro-
gramme“ ist generell zu berücksichtigen, dass nicht alle Leistungspartner gleicher-
maßen Patienten in Programme einschreiben oder diese vermitteln können, so dass
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
95
ein Anstieg der Skalenwerte auf die jeweiligen Maximalwerte von vornherein wenig
wahrscheinlich ist: So wird z.B. ein Facharzt für Kardiologie selten oder nie Patienten in
das Osteoporose-Präventionsprogramm „Starke Muskeln, feste Knochen“ vermitteln,
und umgekehrt wird ein Facharzt für Orthopädie nur selten – wenn überhaupt –
Patienten in das Programm „Starkes Herz“ vermitteln. Für die befragten Psychothe-
rapeuten, Physiotherapeuten und andere aus der Kategorie „sonstige Leistungser-
bringer“ gilt (mutatis mutandis) das Gleiche. Lediglich bei der Skala „Kenntnis der Pro-
gramme“ besteht eine gute Chance, dass sich der Mittelwert dem Maximalwert 100
annähert oder ihn erreicht.
5.3.5 Bewertung ausgewählter Aspekte des Projektverlaufs und Zufrie-denheit mit der IVGK
In Abb. 13 geben wir ausgewählte Befragungsergebnisse zu verschiedenen Aspekten
des Projektverlaufs wieder. Diese betreffen vor allem die Frage, inwieweit die befragten
Leistungspartner positive Effekte der IVGK für ihre Praxen (bzw. Institutionen) spüren.
Abb. 13: Bewertung der Effekte der IVGK auf die eigene Praxis bzw. Institution (Punkt-werte: 100 „stimme voll zu“; 67 „stimme eher zu“; 33 „stimme eher nicht zu“; 0 „stimme nicht zu“) In den Antworten der Leistungspartner, die in Abb. 13 illustriert sind, deutet sich eine
tendenziell wachsende Zufriedenheit mit dem Verlauf des IV-Projekts an. Der negativ
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bisher wenig positiveEffekte für meinePraxis /Institution
für meine Praxis /Institution haben sich
finanzielle Vorteileergeben
werde an denEntscheidungen
genügend beteiligt
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formulierten Aussage „Für meine Praxis haben sich bisher wenig positive Effekte er-
geben“ stimmten die Befragten zwar schon 2008 „eher nicht“ zu (44 Punkte), die
Zustimmung ist bei den Folgebefragungen 2009 und 2010 aber weiter gesunken (36
Punkte).
Ähnlich stellt sich das Ergebnis dar, wenn man sich die Zustimmung zu fol-
gender Aussage ansieht (mittleres Säulentripel in Abb. 13): „Für meine Praxis/Institu-
tion haben sich finanzielle Vorteile ergeben“. Hier stieg die Zustimmung von 41 Punk-
ten im Jahr 2008 auf 55 Punkte 2009 und 56 Punkte 2010. Trotz der positiven Ent-
wicklungstendenz in den bisherigen Jahren ist hier in den zukünftigen Befragungen
noch „Spielraum nach oben“.
Eine aus Sicht der IVGK und der beteiligten Leistungspartner positive Entwick-
lung signalisiert auch das in Abb. 13 ganz rechts abgebildete Säulentripel: Die Aus-
sage „ich werde an der Entwicklung und an den Entscheidungen des Netzwerkes ge-
nügend beteiligt“ traf 2010 auf eine im Durchschnitt höhere Zustimmung (75 Punkte)
als 2009 (68 Punkte) und 2008 (63 Punkte). Die Leistungspartner sind also mit ihrer
Beteiligung an den Netz-Entscheidungen im Mittel zufrieden bis sehr zufrieden.
Die positiven Entwicklungstendenzen bei den drei genannten Aspekten erschei-
nen noch etwas stetiger, wenn man nur die Angaben jener 20 Befragten berücksichtigt,
die an allen bisherigen Befragungen (T1, T2, T3) teilgenommen haben. Die Ergebnisse
für diese Teilgruppe sind in Abb. 14 illustriert.
Abb. 14: Bewertung der Effekte der IVGK auf die eigene Praxis bzw. Institution durch diejenigen Befragten (N=20), die an allen bisherigen Befragungen teilgenommen haben (Punktwerte: 100 „stimme voll zu“; 67 „stimme eher zu“; 33 „stimme eher nicht zu“; 0 „stimme nicht zu“)
37
56
63
28
69 70
25
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10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
bisher wenigpositive Effekte für
meine Praxis/Institution
für meine Praxis /Institution habensich finanzielle
Vorteile ergeben
werde an denEntscheidungen
genügend beteiligt
2008
2009
2010
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
97
Ein wesentliches Ziel integrierter Versorgungssysteme ist ein effektiverer Informations-
austausch und eine intensivere Zusammenarbeit verschiedener Leistungserbringer
über Fachgrenzen und Sektoren hinweg. Auch zu diesem Aspekt wurden allen Lei-
stungspartnern Fragen gestellt. Einige Ergebnisse hierzu finden sich in Abb. 15:
Abb. 15: Entwicklung von Informationsaustausch und Kooperation aus Sicht der Lei-stungspartner (Punktwerte: 100 „stimme voll zu“; 67 „stimme eher zu“; 33 „stimme eher nicht zu“; 0 „stimme nicht zu“)
Die beiden Aussagen zu Kooperation bzw. Vernetzung und Informationsaustausch in
Abb. 15 signalisieren eine moderate Tendenz zu einer stärkeren Kooperation der Lei-
stungspartner. Demgegenüber scheint die bis 2009 zunehmende Tendenz eines uner-
wartet hohen Zeitaufwands (Zustimmung zur Aussage „die Teilnahme am Netzwerk
frisst deutlich mehr Zeit als vermutet“) vorerst gestoppt. Diese Tendenzen haben auch
dann Bestand, wenn man nur die Antworten der Leistungspartner berücksichtigt, die an
allen bisherigen Befragungen teilgenommen haben (Abb. 16).
50
5962
5460
70
56
6761
0
10
20
30
40
50
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80
90
100
kooperiere jetztstärker mit anderenLeistungserbringern
(LE) als zuvor
Vernetzung und Info-Austausch mit
anderen LE habensich vorteilhaft
entwickelt
Teilnahme amNetzwerk frisst
deutlich mehr Zeit alsvermutet
2008
2009
2010
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
98
Abb. 16: Entwicklung von Informationsaustausch und Kooperation aus Sicht derjenigen Leistungspartner (N=20), die an allen bisherigen Befragungen teilggenommen haben (Punktwerte: 100 „stimme voll zu“; 67 „stimme eher zu“; 33 „stimme eher nicht zu“; 0 „stimme nicht zu“)
Abb. 17 gibt verschiedene Aspekte der Gesamtzufriedenheit mit der IVGK wieder. Be-
reits bei der Befragung im Jahr 2008 ernteten die Aussagen „ich würde wieder Mitglied
in GK werden“ (85 Punkte) und „ich würde anderen die Mitgliedschaft empfehlen“ (83
Punkte) überragende Zustimmungswerte. Bei der Befragung im Jahr 2009 wurden
diese Werte mit 89 bzw. 91 Punkten sogar noch übertroffen (Abb. 26). Bei der Befra-
gung im Jahr 2010 gingen die Werte wieder zurück und befanden sich geringfügig
unter dem Niveau aus dem Jahr 2008 (80 Punkte). Damit sind sie allerdings noch
immer auf einem sehr hohen Niveau.
Eine ähnliche Entwicklung nahm die Zustimmung zur Aussage „das Ziel
‚Einsparungen ohne Abstriche bei der Versorgungsqualität’ kann – soweit ich das
sehen kann – erreicht werden.“ Hier drückte die noch etwas verhaltene Zustimmung im
Jahr 2008 (59 Punkte) noch eine „Rest-Skepsis“ vieler IVGK-Leistungspartner gegen-
über dem Hauptziel des integrierten Versorgungssystems aus. Im Jahr 2009 wich
diese „Rest-Skepsis“ zusehends; zur Zeit der Drittbefragung im Jahr 2010 war sie
wieder etwas stärker vorhanden (64 Punkte), ohne jedoch das Niveau aus dem Jahr
2008 zu erreichen (59 Punkte).
54
6369
56 56
72
61
71 71
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
kooperiere jetztstärker mit anderen
LE als zuvor
Vernetzung und Info-Austausch mit
anderen LE habensich vorteilhaft
entwickelt
Teilnahme amNetzwerk frisst
deutlich mehr Zeit alsvermutet
2008
2009
2010
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
99
Abb. 17: Zufriedenheit mit dem bisherigen Projektverlauf (Punktwerte: 100 „sicher ja“; 67 „eher ja“; 33 „eher nein“; 0 „sicher nein“) Die analogen Ergebnisse für diejenigen Leistungspartner, die an allen bisherigen Be-
fragungen teilgenommen haben (Abb. 18), zeigen bei allen genannten Indikatoren der
Gesamtzufriedenheit einen etwas geringeren Rückgang von 2009 auf 2010 als es in
der Gesamtgruppe der Befragten der Fall ist. Zudem ist das Niveau der Zufriedenheits-
indikatoren in dieser Teilgruppe 2010 durchweg etwas höher als in der Gesamtgruppe. Abb. 18: Zufriedenheit mit dem bisherigen Projektverlauf bei den Befragten (N=20), die an allen bisherigen Befragungen teilgenommen haben (Punktwerte: 100 „sicher ja“; 67 „eher ja“; 33 „eher nein“; 0 „sicher nein“)
85 83
59
89 91
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60
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90
100
"würde wiederMitglied in GK
werden"
"würde anderen dieMitgliedschaft
empfehlen"
Ziel "Einsparungenohne Abstriche beiVers.qualität" kann
erreicht werden
2008
2009
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8783
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87 90
76
85 85
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0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
"würde wiederMitglied in GK
werden"
"würde anderen dieMitgliedschaft
empfehlen"
Ziel "Einsparungenohne Abstriche beiVers.qualität" kann
erreicht werden
2008
2009
2010
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
100
5.3.6 Unterschiede zwischen Hausärzten, Fachärzten und sonstigen Lei-stungspartnern zur Zeit der T3-Befragung
In den Berichten zu den drei bisherigen Befragungen der GK-Leistungspartner finden
sich auch detaillierte Darstellungen dazu, wie stark Hausärzte, Fachärzte und sonstige
Leistungspartner sich in ihren Einschätzungen unterscheiden. Wir beleuchten in
diesem Abschnitt ein paar markante Unterschiede, aber auch einige interessante
Gemeinsamkeiten zwischen diesen drei Gruppen. Dabei beschränken wir uns auf die
Daten der T3-Befragung, denn mit der Drittbefragung liegen erstmals auch hinreichend
viele Daten für die „sonstigen Leistungspartner“ vor.
In Abb. 19 finden sich die Einschätzungen von Hausärzten, Fachärzten und
sonstigen Leistungspartnern bezüglich der Effekte der IVGK auf die eigene Praxis bzw.
Institution. (Die analogen Ergebnisse für die Gesamtgruppe wurden bereits in Abb. 13
illustriert.)
Abb. 19: Bewertung der Effekte der IVGK auf die eigene Praxis bzw. Institution bei Hausärzten, Fachärzten und sonstigen Leistungspartnern in der T3-Befragung (Punkt-werte: 100 „stimme voll zu“; 67 „stimme eher zu“; 33 „stimme eher nicht zu“; 0 „stimme nicht zu“) Die in Abb. 19 dargestellten Einschätzungen lassen deutliche Unterschiede zwischen
den drei Berufsgruppen erkennen: Am positivsten wird die Entwicklung von den Haus-
ärzten gesehen, dann folgen die Fachärzte und schließlich die sonstigen Leistungs-
partner (vgl. das linke und mittlere Säulentripel in Abb. 19). Im Hinblick auf die Frage,
inwieweit sich die Leistungspartner „an den Entscheidungen genügend beteiligt“ sehen,
sind die Unterschiede zwischen den drei Gruppen jedoch gering. Zu berücksichtigen
24
7780
45 44
67
53
26
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100
es gibt bisherwenig positive
Effekte für meinePraxis /Institution
für meine Praxis /Institution habensich finanzielle
Vorteile ergeben
werde an denEntscheidungen
genügend beteiligt
Hausärzte
Fachärzte
andere
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
101
ist, dass ein großer Teil der sonstigen Leistungspartner erst kurz vor der T3-Befragung
in die IVGK eingetreten ist; daher können etwaige positive Effekte auf die eigene
Praxis/Institution – z. B. eine erhöhte Patientenbindung – möglicherweise erst später
erfahren werden. Dennoch kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass
die IVGK bei allen Leistungspartnergruppen im Lauf der Zeit zu gleichermaßen positi-
ven Effekten führt. Dies scheint auch der Vergleich zwischen Haus- und Fachärzten zu
zeigen (Abb. 19).
In Abb. 20 sind die Einschätzungen der drei Gruppen zur Entwicklung von Ko-
operation, Vernetzung und Informationsaustausch in der IVGK dargestellt.
Abb. 20: Entwicklung von Kooperation und Informationsaustausch in der IVGK aus Sicht von Hausärzten, Fachärzten und sonstigen Leistungspartnern bei der T3-Befra-gung (Punktwerte: 100 „stimme voll zu“; 67 „stimme eher zu“; 33 „stimme eher nicht zu“; 0 „stimme überhaupt nicht zu“) Abb. 20 zeigt eine nahezu gleich ausgeprägte, moderate Zustimmung von Hausärzten
und Fachärzten zur Aussage, dass man nun stärker mit anderen kooperiere und dass
Vernetzung und Informationsaustausch sich „vorteilhaft entwickelt“ hätten. Diesen Aus-
sagen stimmen die sonstigen Leistungspartner „eher nicht zu“ (26 bzw. 33 Punkte).
Ähnliche Unterschiede, wenn auch im Ausmaß etwas geringer, bestehen hinsichtlich
der Aussage „die Teilnahme am Netzwerk frisst deutlich mehr Zeit als erwartet“: Hier
stimmen die Hausärzte am deutlichsten zu (72 Punkte), während die Zustimmung der
Fachärzte deutlich geringer ausfällt (56 Punkte); die sonstigen Leistungspartner stim-
men hier tendenziell „eher nicht zu“ (39 Punkte), d. h. Ihnen erscheint der Zeitaufwand
durch die Kooperation mit der IVGK tendenziell nicht deutlich höher als erwartet.
6973 72
61
73
56
2633
39
0
10
20
30
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80
90
100
kooperiere jetztstärker mit anderen
LE als zuvor
Vernetzung undInfo-Austausch mitanderen LE haben
sich vorteilhaftentwickelt
Teilnahme amNetzwerk frisst
deutlich mehr Zeitals vermutet
Hausärzte
Fachärzte
andere LE
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
102
Die in Abb. 20 abgebildeten Umfragewerte zur Frage einer intensiveren fachlichen Ko-
operation zeigen also eine positive Tendenz bei den niedergelassenen ärztlichen Lei-
stungspartner, sie indizieren aber vor allem bei den sonstigen Leistungspartnern noch
Entwicklungspotential. Die Möglichkeiten eines integrierten Versorgungssystems er-
scheinen hier also noch nicht ausgeschöpft.
Bei den Indikatoren der Gesamtzufriedenheit mit dem bisherigen Projektverlauf
(Abb. 21) liegen für die drei Leistungspartnergruppen vergleichsweise ähnliche Ergeb-
nisse vor. Die beiden klassischen Indikatoren (linkes und mittleres Säulentripel in Abb.
21) zeigen in der Tendenz eine sehr hohe (Hausärzte) bzw. hohe Zufriedenheit
(Fachärzte und sonstige Leistungspartner). Haus- und Fachärzte halten das Hauptziel
der IVGK tendenziell für erreichbar (rechts Säulentripel in Abb. 21), während die
sonstigen Leistungspartner hier noch erkennbar mehr Skepsis hegen.
Abb. 21: Zufriedenheit mit dem bisherigen Projektverlauf bei Hausärzten, Fachärzten und sonstigen Leistungspartnern zur Zeit der T3-Befragung (Punktwerte: 100 – „sicher ja“; 67 – „eher ja“; 33 „eher nein“; 0 – „sicher nein“)
Die nach Berufsgruppe differenzierten Ergebnisse (Abb. 19-21) spiegeln offenkundig
auch die Tatsache wider, dass die sonstigen Leistungspartner bislang noch nicht in
demselben Maße wie die niedergelassenen Ärzte in die Steuerung der IVGK und die
Versorgungskoordination eingebunden sind. Allerdings unterscheiden sich auch die
niedergelassenen Fachärzte in wichtigen Aspekten von den Hausärzten. Tendenziell
haben diese Unterschiede zwischen der T2- und der T3-Befragung etwas zugenom-
93 90
6773 73
6570
73
57
0
10
20
30
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60
70
80
90
100
"würde wiederMitglied in GK
werden"
"würde anderendie Mitgliedschaft
empfehlen"
Ziel "Einsparungenohne Abstriche bei
Vers.qualität"kann erreicht
werden
Hausärzte
Fachärzte
andere LE
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
103
men.23 Es besteht kein Anlass, diese Entwicklung zu dramatisieren; gleichwohl wird
das IVGK-Management derartige Entwicklungen im Auge behalten müssen.
5.3.7 Tauglichkeit und Umsetzungsbarrieren der Partizipativen Entschei-dungsfindung aus Sicht der Leistungspartner
Im letzten Abschnitt zum PeGL-Projekt konzentrieren wir uns auf die beiden Aspekte,
zu denen Hausärzte (inkl. Psychotherapeuten) und Fachärzte bei der Drittbefragung
erstmals befragt wurden, nämlich zur Funktionalität und zu den Umsetzungshindernis-
sen von partizipativer Entscheidungsfindung im Allgemeinen und von Zielvereinbarun-
gen mit Risikopatienten im Besonderen. Diese Fragestellung erscheint uns aus folgen-
den Gründen besonders interessant:
(1) Im Jahr 2007 organisierte die IVGK für die kooperierenden niedergelassenen
Ärzte eine Weiterbildungsveranstaltung zur Theorie und Praxis der Partizipa-
tiven Entscheidungsfindung (PEF). Im Jahr 2008 wurden drei Folgeveran-
staltungen zu weiteren Aspekten der Arzt-Patient-Kommunikation angeboten.
Insofern sollte man eine gewisse Offenheit der GK-Leistungspartner für die
Grundgedanken der PEF erwarten können.
(2) Zudem haben sich die mit der IVGK kooperierenden niedergelassenen Ärzte
bzw. Psychotherapeuten verpflichtet, mit Risikopatienten regelmäßig Therapie-
zielvereinbarungen abzuschließen, um Therapiemotivation und Selbstmanage-
mentfähigkeiten der Patienten zu verbessern. Als „Risikopatient“ gilt ein Ver-
sicherter, wenn bei ihm/ihr z. B. in der Eingangsuntersuchung oder im sog.
Risikofragebogen eine chronische Krankheit oder einschlägige Risikofaktoren
(wie z. B. Rauchen oder Adipositas) festgestellt wurden. Das Management der
IVGK betrachtet Zielvereinbarungen mit Risikopatienten, die zu einer höheren
Therapiemotivation und größeren Selbstmanagementfähigkeiten der Patienten
führen sollen, als wichtige Faktoren einer höheren „Gesundheitsproduktivität“
im Kinzigtal.
(3) Darüber hinaus interessieren uns diese beiden Fragenkomplexe besonders,
weil sich im SDM-Evaluationsprojekt bislang gezeigt hat, dass die subjektive
(d.h. von den Patienten wahrgenommene) Beteiligung von Patienten an Thera-
pieentscheidungen seit 2007 unter den IVGK-Patienten entgegen den Erwar-
tungen etwas stärker zurückgegangen ist als in zwei Kontrollgruppen (vgl.
oben, Kapitel 3). Offenkundig ist es auch innerhalb der IVGK schwieriger als
zunächst gedacht, Patienten stärker zu beteiligen. Daher ist es von Interesse,
mehr über die praktischen Umsetzungsbarrieren von PEF allgemein und von
Zielvereinbarungen im Besonderen zu erfahren.
23 Die Unterschiede zwischen der T2- und T3-Befragung können hier aus Platzgründen nicht wieder-gegeben werden (vgl. hierzu ausführlich Nübling 2010: z. B. S. 27).
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
104
63
5244 44
0102030405060708090
100
"ZV sindzielführendesInstrument zurSteigerung d.
Therapiemotivation d.Patienten
"in meiner Praxiswerden regelmäßigZV gemeinsam mit
Pat. getroffen"
"In meiner Praxiswerden die ZV
schriftlichdokumentiert"
"Die ZV werdengemeinsam mit Pat.überprüft und ggf.
angepasst"
Wer
tebe
reic
h
5.3.7.1 Die Bedeutung von Zielvereinbarungen aus Sicht der Leistungspartner
Zum Thema „Zielvereinbarungen“ wurden den Befragten sieben Aussagen vorgelegt,
denen sie stärker oder abgeschwächt zustimmen konnten („trifft voll zu“, „trifft eher zu“)
oder die sie mehr oder weniger entschieden ablehnen konnten („trifft eher nicht zu“,
„trifft nicht zu“). Eine fünfte Antwortmöglichkeit lautete jeweils: „Kann ich nicht
beurteilen“. Die Antworten zu diesen sieben Fragen sind in den beiden folgenden
Abbildungen zusammengefasst; nicht berücksichtigt ist dabei jeweils die Häufigkeit der
Antwort „kann ich nicht beurteilen“.
Abb. 22: Zielvereinbarungen (ZV) aus Sicht von Haus- und Fachärzten I (Wertebereich:
100 „trifft voll zu“, 67 „trifft eher zu“, 33 „trifft eher nicht zu“, 0 „trifft nicht zu“)
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
105
5649
53
0
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20
30
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80
90
100
"aus Patientensicht sind ZVein wichtiges Element der
Behandlung"
"Die Patienten bemühen sichdarum, die ZV einzuhalten"
"Die ZV führen zu dengewünschten positivenGesundheitseffekten"
Wer
tebe
reic
hAbb. 23: Zielvereinbarungen (ZV) aus Sicht von Haus- und Fachärzten II (Werte-
bereich: 100 „trifft voll zu“, 67 „trifft eher zu“, 33 „trifft eher nicht zu“, 0 „trifft nicht zu“)
In Abb. 22 und 23 werden für die einzelnen Fragen – wie üblich – jeweils Durch-
schnittswerte dargestellt. Die Antworten der Befragten auf die Aussage „Zielvereinba-
rungen sind für mich ein zielführendes Instrument, um die Therapiemotivation der Pa-
tienten zu erhöhen“ resultieren in einem Durchschnittswert von 63 Punkten. Betrachtet
man bei dieser Frage allein den Durchschnittswert, dann erscheint das Ergebnis po-
sitiv, d. h. es spiegelt eine vom Netzmanagement gewünschte und in mehreren Fortbil-
dungsveranstaltungen geförderte Haltung der Netzärzte wider. Dieser Befund ist je-
doch zu relativieren, wenn man zwei Dinge berücksichtigt: Von den 25 Befragten, die
eine gültige Antwort gaben, lehnten immerhin acht Personen (32 %) die betreffende
Aussage ab („trifft nicht zu“ oder „trifft eher nicht zu“). Das bedeutet: Ein Drittel der Be-
fragten, die eine gültige – inhaltlich interpretierbare – Antwort gaben, teilt die genannte
Auffassung ausdrücklich nicht. Ebenfalls klärungsbedürftig erscheint uns die Tatsache,
dass weitere 13 Befragte – also 34 % aller Personen, denen die Frage gestellt wurde –
die betreffende Aussage entweder explizit nicht beurteilen konnten (n=11) oder aus
sonstigen Gründen keine gültige Antwort gaben (n=2). Diese 13 Personen wird man
vernünftigerweise nicht – jedenfalls nicht mehrheitlich – zu denjenigen Leistungs-
partnern zählen können, die von Sinn und Zweck von Zielvereinbarungen in ihrer Pra-
xis überzeugt sind. So gesehen bedeutet das Ergebnis, dass von 38 niedergelassenen
Ärzten/Psychotherapeuten, die an der Befragung teilnahmen, weniger als die Hälfte
(n=17) davon überzeugt sind, dass Zielvereinbarungen mit Patienten deren Therapie-
motivation erhöhen und/oder deren Selbstmanagement verbessern können. Ange-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
106
sichts der Tatsache, dass das IVGK-Management Zielvereinbarungen als ein wichtiges
Element der Behandler-Patient-Kommunikation ansieht, erscheint dieses Ergebnis
optimierungsfähig.
Bei den drei übrigen in Abb. 22 dargestellten Ergebnissen ist der Anteil der
Befragten ohne gültige Antwort deutlich geringer: Die drei betreffenden Aussagen
konnten oder wollten jeweils nur acht Befragte nicht beurteilen. Aber auch hinsichtlich
dieser drei Aussagen zeigen die Ergebnisse eine eher gemischte Bilanz: Zielverein-
barungen mit Patienten treffen regelmäßig demnach nur 16 („trifft voll zu“ oder „trifft
eher zu“) der insgesamt 38 Befragten – hier resultiert ein Durchschnittswert von 52.
Schriftlich dokumentiert werden die Zielvereinbarungen sogar nur von insgesamt 13
Befragten („trifft voll zu“ oder „trifft eher zu“) – zusammen mit den anderen Antworten
resultiert bei dieser Aussage ein Durchschnittswert von 44 Punkten. Ähnlich ist die
Situation bei der Frage der Überprüfung und ggf. Modifikation der Zielvereinbarungen
mit den Patienten (Abb. 22, erste Säule von rechts): Hier gaben insgesamt 14 Befragte
eine ausdrücklich positive Antwort und kreuzten entweder die Kategorie „trifft voll zu“
oder „trifft eher zu“ an, 16 Befragte antworteten explizit negativ („trifft eher nicht zu“
oder „trifft nicht zu“) – hier resultiert ein Durchschnittswert von ebenfalls 44 Punkten.
Eine eher gemischte Bilanz kann man auch im Hinblick auf die in Abb. 23
dargestellten Ergebnisse feststellen. Bei der Aussage „Zielvereinbarungen stellen aus
Sicht der Patienten ein wichtiges Element der Behandlung dar“ (Abb. 23, erste Säule
von links) enthielten sich 13 der 38 Befragten einer gültigen, d. h. inhaltlich inter-
pretierbaren Antwort. Von den restlichen 25 Befragten gaben 14 eine positive Antwort
(„trifft voll zu“ oder „trifft eher zu“), 11 Befragte eine negative Antwort („trifft nicht zu“
oder „trifft eher nicht zu“) – hier resultiert ein Durchschnittswert von 56. Noch
verhaltener sind die Befragten hinsichtlich der Aussage „die Patienten bemühen sich
darum, die Zielvereinbarungen einzuhalten“ (Abb. 23, mittlere Säule). Hier antworteten
nur noch 11 Befragte tendenziell positiv, 12 Befragte tendenziell negativ, während sich
15 Befragte einer Beurteilung enthielten. Ähnlich ist die Antworttendenz bei der Frage,
ob Zielvereinbarungen zu gewünschten positiven Gesundheitseffekten führten (Abb.
23, erste Säule von rechts): 11 Befragte antworteten tendenziell positiv, 11 tendenziell
negativ, während 16 Befragte sich eines Urteils enthielten.
Zusammenfassend lässt sich also in Bezug auf die Aussagen zur Bedeutung von
Zielvereinbarungen Folgendes feststellen: Interpretiert man den zumeist recht hohen
Anteil derer, die sich kein Urteil über die Relevanz von Zielvereinbarungen erlauben
können oder wollen, als Zurückhaltung aufgrund fehlender eigener Erfahrungen bzw.
fehlenden Anwendungswissens, dann bedeuten die Ergebnisse, dass nur eine
Minderheit der antwortenden niedergelassenen Haus- und Fachärzte sowie Psycho-
therapeuten vom guten Sinn und Zweck von Zielvereinbarungen überzeugt ist und/oder
diese auch im Praxisalltag anwendet.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
107
91
67
46
80
0102030405060708090
100
"Es ist grundsätzlichsinnvoll, die
Patienten - soweitmöglich - an med.
und therap.Entscheidungen zu
beteiligen"
"PEF ist für mich sehrzeitaufwändig"
"PEF stellt zu hoheAnforderungen an die
Kompetenzen derPatienten"
"PEF ist geeignet, dieTherapiemotivation
und dasSelbstmanagement
der Patienten zuerhöhen"
Wer
tebe
reic
h3.5.7.2 Tauglichkeit und Umsetzungsbarrieren der Partizipativen Entscheidungs-
findung (PEF) aus Sicht der Leistungspartner
Gemeinsame Therapiezielvereinbarungen mit Patienten machen lediglich einen spe-
ziellen Teilaspekt dessen aus, was allgemein mit dem Begriff der Partizipativen Ent-
scheidungsfindung (PEF; engl.: shared decision-making) bezeichnet wird. Bei der
Drittbefragung der GK-Leistungspartner wurde daher auch die Sicht der nieder-
gelassenen Ärzte und Psychotherapeuten auf die Partizipative Entscheidungsfindung
allgemein erfragt, und zwar in Form von vier Aussagen, denen die Befragten entweder
zustimmen („trifft voll zu“, „trifft eher zu“) oder die sie ablehnen konnten („trifft eher
nicht zu“, „trifft nicht zu“). Eine fünfte Antwortmöglichkeit war „kann ich nicht beurteilen“.
In Abb. 24 stellen wir die Durchschnittswerte der vier Aussagen dar. Die zugrunde
liegenden Aussagen geben wieder, wie die Patienten – nach Einschätzung ihrer Ärzte
– die Zielvereinbarungen sehen.
Abb. 24: Funktionalität und Umsetzungsbarrieren einer Partizipativen Entscheidungs-
findung (PEF)
Die erste Aussage lautete „Es ist grundsätzlich sinnvoll, die Patienten – soweit möglich
– an medizinischen und therapeutischen Entscheidungen zu beteiligen“ (Abb. 24, erste
Säule von links). Hier enthielten sich nur insgesamt fünf von 38 Befragten einer gülti-
gen Aussage. Zudem stimmten sämtliche Befragte, die eine gültige Antwort gaben, der
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
108
Aussage entweder „voll“ zu (24 von 33 Befragten) oder „eher“ zu (9 von 33 Befragten),
so dass sich ein sehr hoher Durchschnittswert von 91 Punkten ergab. Die ganz über-
wiegende Mehrheit der Befragten teilt also im Grundsatz die Idee der PEF.
Die nächsten beiden Aussagen beschreiben mögliche Umsetzungshindernisse
der PEF im Praxisalltag (Abb. 24, zweite und dritte Säule von links). Bei beiden Aus-
sagen enthielten sich insgesamt 9 von 38 Befragten einer gültigen Antwort. Einen
hohen Zeitaufwand für die PEF nannten 21 von 29 Antwortenden. (Aber immerhin acht
Befragte ließen dies für sich nicht gelten – Durchschnittswert 67 Punkte). „Zu hohe
Anforderungen an die Kompetenzen der Patienten“ nannten dagegen nur 13 der 29
Antwortenden als Umsetzungshindernis; 16 Befragte widersprachen ausdrücklich der
Aussage, dass die PEF zu hohe Anforderungen an die Kompetenzen der Patienten
stelle (Durchschnittswert 46 Punkte).
Die im Grundsatz optimistische Aussage, die PEF sei „geeignet, die Therapie-
motivation und das Selbstmanagement der Patienten zu erhöhen“, traf weitgehend auf
Zustimmung: 29 von insgesamt 38 Befragten teilten diese Auffassung ausdrücklich.
Lediglich ein Befragter widersprach dieser Aussage explizit; acht Befragte enthielten
sich einer inhaltlich interpretierbaren Stellungnahme.
Zusammenfassend lässt sich hinsichtlich der in Abb. 24 illustrierten Ergebnisse
also folgendes Resümee ziehen: Was die Haltung zur Partizipativen Entscheidungs-
findung (PEF) im Grundsätzlichen betrifft, gibt es eine recht weitgehende Übereinstim-
mung zwischen den niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten mit der „Philo-
sophie“ des IVGK-Managements. Allerdings sehen viele der befragten Leistungs-
partner im hohen Zeitaufwand der PEF beträchtliche Umsetzungshindernisse. Ein Teil
der Befragten meint zudem, dass die PEF zu hohe Anforderungen an die Kompeten-
zen der Patienten stelle.
5.4 Diskussion der bisherigen Ergebnisse und Ausblick
Nach den ersten drei Befragungen der IVGK-Leistungspartner gibt es unseres Erach-
tens eine ganze Reihe bemerkenswerter und wichtiger Ergebnisse.
Die Arbeit der Geschäftsstelle der Gesundes Kinzigtal GmbH wird in allen drei
Befragungen als gut bis sehr gut beurteilt. Die Tätigkeiten der beiden Krankenkassen
AOK BW und LKK BW sowie des Ärztlichen Beirats bzw. des Ärztenetzes MQNK
werden als befriedigend bis gut beurteilt. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang
ist, dass die Leistungspartner der IVGK die Zusammenarbeit mit AOK BW und LKK
BW im Schnitt als „etwas besser“ beurteilen als die Zusammenarbeit mit anderen
Kassen. Dieses Ergebnis kann als erstes Indiz dafür betrachtet werden, dass sich im
Zuge der Etablierung der IVGK tatsächlich eine höhere „Vertrauensproduktivität“
zwischen Krankenkassen und Leistungspartnern entwickelt als in der herkömmlichen
Versorgung.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
109
Für ein wichtiges Ergebnis halten wir auch, wie die Leistungspartner die Entwicklung
des Informationsaustauschs und der Kooperation mit anderen Leistungspartnern im
Netz einschätzen. Wie oben gezeigt, teilt ein allmählich wachsender Anteil der Lei-
stungspartner die Einschätzung, dass man seit dem Start der IVGK stärker mit anderen
Leistungspartnern kooperiere als vorher und dass die Vernetzung und der wechsel-
seitige Informationsaustausch sich positiv entwickelt habe. Erfreulich für das IVGK-Ma-
nagement ist sicher, dass unter den Leistungspartnern zunehmend die Meinung
herrscht, man werde „an den Entscheidungen des Netzwerks genügend beteiligt“.
Sehr wichtig für die Leistungspartner ist zweifellos, ob ihr Engagement und die
Kooperation mit dem Netzmanagement auf Dauer positive Auswirkungen für sie hat,
seien diese nun unmittelbar finanzieller oder anderer Art. Die bisherigen Befragungen
zeigen, dass der Anteil der Leistungspartner, die bislang „nur wenige positive Effekte“
auf ihre Praxis bzw. ihre Institution sehen, im Zeitverlauf zurückgeht. Schränkt man die
Frage auf unmittelbar finanzielle Auswirkungen ein, so konstatiert ein allmählich wach-
sender Teil der Leistungspartner „finanzielle Vorteile“ für sich durch die IVGK. Eine
solch positive Entwicklung für ihre Praxis bzw. ihre Institution sehen vor allem dieje-
nigen Leistungspartner, die zumindest seit Frühjahr 2008 der IVGK angehören, d. h.
die an allen bisherigen Leistungspartnerbefragungen teilgenommen haben. Bei denje-
nigen, die sich erst vor kurzem der IVGK angeschlossen haben, ist das dementspre-
chend (noch) etwas anders.
Noch deutliche Unterschiede existieren in genau dieser Frage zwischen ver-
schiedenen Leistungspartnergruppen, nämlich zwischen (a) Hausärzten, (b) niederge-
lassenen Fachärzten und (c) den sonstigen Leistungspartnern (Klinikärzte, Physio-
therapeuten, Vertreter von Pflegeheimen, Pflegediensten und sozialtherapeutischen
Diensten). Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen diesen drei Gruppen
haben wir anhand der Daten der Drittbefragung (2010) genauer untersucht. Demnach
konstatieren Hausärzte deutlich stärker als die anderen beiden Gruppen positive
Auswirkungen für sich; dies gilt auch im Hinblick auf unmittelbar finanzielle Vorteile. Mit
recht deutlichem Abstand folgen die Fachärzte und dann die sonstigen Leistungs-
partner. Die Hausärzte sind allerdings auch diejenige Gruppe, die am deutlichsten
bekennt, dass „die Teilnahme am Netzwerk (…) deutlich mehr Zeit (frisst) als erwartet“.
Weitgehend einig sind sich alle drei Gruppen hingegen, dass sie an den Entschei-
dungen der IVGK „genügend beteiligt“ werden. Dies darf man als großen Erfolg des
bisherigen Netzmanagements sehen – ein Erfolg, der keineswegs selbstverständlich,
aber gleichwohl wichtig für die weitere Entwicklung der IVGK ist.
Im Hinblick auf die Frage, ob die Kooperation und der Informationsaustausch
mit anderen Leistungspartnern intensiver geworden seien und sich „vorteilhaft ent-
wickelt“ hätten, unterscheiden sich die drei Gruppen wieder recht deutlich voneinander:
Haus- und Fachärzte konstatieren hier in ungefähr gleichem Maße eine positive Ent-
wicklung, während das bei den sonstigen Leistungspartnern (noch) nicht der Fall ist.
Dies mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass viele der sonstigen Leistungs-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
110
partner sich erst relativ kurz vor der Drittbefragung – aus der diese Daten stammen –
der IVGK angeschlossen haben.
Bei den beiden Indikatoren der Gesamtzufriedenheit mit dem bisherigen Pro-
jektverlauf liegen alle drei Leistungspartnergruppen in dem Bereich, der eine hohe bis
sehr hohe Zufriedenheit anzeigt. Dabei äußern die Hausärzte im Durchschnitt eine
sehr hohe Zufriedenheit (93 bzw. 90 Punkte), die beiden anderen Gruppen immerhin
eine hohe Zufriedenheit (73 bzw. 70 Punkte).
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
111
6 Das AGil-Projekt: Aktive Gesundheitsförderung bei alten Menschen im Kinzigtal – Prozess- und Ergebnis-evaluation eines Interventionsprogramms im Kontext einer Integrierten Versorgung von AOK-Patienten
Das Akronym „AGil“ steht für den ausführlichen Projektnamen „Aktive Gesundheitsför-
derung bei alten Menschen im Kinzigtal – Prozess- und Ergebnisevaluation eines Inter-
ventionsprogramms im Kontext der Integrierten Versorgung von AOK-Patienten“. Das
AGil-Projekt wurde nicht aus dem IVGK-Evaluationsbudget finanziert, sondern vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Förderschwer-
punkts „Präventionsforschung“ (Förderkennzeichen 01EL0715). Die Projektlaufzeit be-
gann am 01.11.2007 und endete am 28.02.2011.
Das Projekt wurde geleitet von Prof. Dr. Olaf von dem Knesebeck, Institut für
Medizinische Soziologie, Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie des Universitäts-
klinikums Hamburg-Eppendorf. Bei der Durchführung einzelner Evaluationsbestandtei-
le kooperierte die Hamburger Forschungsgruppe mit Dr. Enno Swart, Institut für Sozial-
medizin an der Universität Magdeburg, und mit Prof. Dr. Heinz Rothgang, Zentrum für
Sozialpolitik an der Universität Bremen (vgl. Abschnitt 6.2.2.2).
Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse beruhen auf dem Schlussbericht
der Projektgruppe an das BMBF (Knesebeck et al. 2011) sowie auf Publikationen von
Projektergebnissen in Fachzeitschriften (Hofreuter-Gätgens et al. 2011, Swart et al.
2011a, Swart et al. 2011b).
6.1 Forschungsfragen des AGil-Projekts
6.1.1 Grundlagen: Das Interventionsprogramm „Aktive Gesundheits-förderung im Alter“
Angesichts der demographischen Alterung fortgeschrittener Industriegesellschaften ist
in den letzten Jahren eine zunehmende Zahl an Programmen zur Gesundheitsförde-
rung im höheren Lebensalter entwickelt worden. Ein viel versprechendes Interventions-
programm wurde unter dem Namen „AGil“ („Aktive Gesundheitsförderung im Alter“) am
Zentrum für Gerontologie und Geriatrie des Albertinen-Hauses in Hamburg entwickelt
und mit dem Deutschen Präventionspreis 2005 ausgezeichnet (Dapp et al. 2005;
Meier-Baumgartner et al. 2006). Ziel dieses Programms ist die eigenverantwortliche
Selbstbestimmung im Alter („Empowerment“): Nicht-pflegebedürftige Menschen ab
einem Alter von 60 Jahren sollen in drei Bereichen zu eigenverantwortlicher Selbst-
bestimmung befähigt werden: Sie sollen 1. zu körperlicher Aktivität, 2. gesunder Ernäh-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
112
rung und 3. zu größerer sozialer Teilhabe (Ausbau bzw. Erhalt eines sozialen Netzes
und gesellschaftlicher Aktivitäten) motiviert und angeleitet werden. Das AGil-Programm
wurde bereits in einem städtischen Kontext (Hamburg) erfolgreich erprobt. Dabei wur-
den die Empfehlungen der Gesundheitsberater, die das Programm durchführten, von
den Programmteilnehmern weitgehend erfolgreich umgesetzt (Meier-Baumgartner et
al. 2006: 24f, 68f). Seither werden am Albertinen-Haus in Hamburg Multiplikatoren
geschult, die als vierköpfige interdisziplinäre Gesundheitsberater-Teams – bestehend
aus einem Ökothrophologen (Ernährungsberater), einem Physiotherapeuten, einem
Sozialpädagogen und einem leitenden Arzt – die Teilnehmer von AGil-Programmen zu
eigenverantwortlichem Gesundheitsverhalten anleiten.
Das insgesamt halbtägige Interventionsprogramm umfasst mehrere Komponen-
ten: zum ersten eine Informationsveranstaltung zu den Themen
- medizinische Grundlagen des Alterns,
- Bedeutung sozialer Vorsorge und geistiger Aktivität,
- Stellenwert körperlicher Aktivität und
- gesunde Ernährung.
Zum zweiten schließt sich an diese Informationsveranstaltung eine Arbeit in Klein-
gruppen mit jeweils maximal sechs Personen an, in der die Teilnehmer individuell be-
raten werden. Zum dritten erhalten die Teilnehmer zwei Wochen nach der Veran-
staltung Informationsbriefe mit individuellen Empfehlungen zur Steigerung körperlicher
Aktivität und gesunder Ernährung.24
Für das AGil-Projekt in der Variante, wie es in Hamburg stattfand, liegen bislang
nur Ergebnisse einer Prozessevaluation vor. Hingegen wurden die Ergebnisse – sei es
in gesundheitlicher oder gesundheitsökonomischer Hinsicht – bislang nicht evaluiert.
Das AGil-Projekt im Kinzigtal leistet also auch in dieser Hinsicht Pionierarbeit.
6.1.2 Forschungsfragen des AGil-Projekts im Kinzigtal
Die Evaluation des AGil-Programms im Kinzigtal (im Folgenden: AGil-Projekt) bein-
haltet sowohl eine Prozess- als auch eine Ergebnisevaluation der AGil-Intervention im
Kinzigtal. Eine allgemein interessierende Forschungsfrage ist dabei, wie gut das AGil-
Programm, das ursprünglich in einem großstädtischen Kontext erprobt wurde, auf eine
ländlich geprägte Umgebung wie das Kinzigtal übertragbar ist.
Im Rahmen der Prozessevaluation sollen folgende spezifischen Forschungs-
fragen beantwortet werden:
- Inwieweit wird die Zielgruppe des Programms im Rahmen des IV-Projekts
„Gesundes Kinzigtal“ erreicht?
24 Im Rahmen des AGil-Programms, das in Hamburg durchgeführt wurde, erhielten die Teilnehmer ein halbes Jahr nach dieser ersten Informationsveranstaltung eine Einladung zu einem gemeinsamen Erfah-rungsaustausch und zur Teilnahme an einem weiteren Workshop. Diese Komponente entfiel bei der im Kinzigtal angewandten Programmvariante.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
113
- Wie hoch ist die Akzeptanz des Programms bei der Zielgruppe und den übrigen
Beteiligten?
- Wird das Programm wie geplant durchgeführt? Welche Umsetzungshindernisse
treten dabei ggf. auf?
Bei der Ergebnisevaluation stehen folgende Fragen im Vordergrund:
- Wie entwickeln sich die Einstellungen und Kenntnisse der Programmteilnehmer
in den drei Interventionsbereichen körperliche Aktivität, gesunde Ernährung und
soziale Teilhabe?
- Inwieweit werden die Kenntnisse und Einstellungen der Programmteilnehmer
aus den drei Interventionsbereichen im Alltag umgesetzt?
- Wie entwickelt sich der Gesundheitszustand der Programmteilnehmer?
- Verändert sich bei den Programmteilnehmern die Inanspruchnahme von Ver-
sorgungsleistungen?
- Wie entwickeln sich die Versorgungskosten der Programmteilnehmer?
6.2 Studienpopulation und Methoden des AGil-Projekts im Kinzigtal
6.2.1 Erhebungsmethoden der Prozessevaluation
Im Rahmen der Prozessevaluation werden sowohl die Programmdurchführenden als
auch die Hausärzte der Programmteilnehmer sowie die Interventionsteilnehmer selbst
befragt, und zwar zu jeweils verschiedenen Aspekten der Programmdurchführung. Da-
bei kommen zum einen Leitfadeninterviews zum Einsatz – nämlich bei der Befragung
der Gesundheitsberater-Teams und der Hausärzte –, zum anderen auch kurze, stan-
dardisierte Befragungen. Letztere werden bei der Befragung der Programmteilnehmer
eingesetzt. Dabei werden diese z. B. zu ihrer Einschätzung der Informationsveran-
staltung und der Beratung in Kleingruppen befragt. Ein weiterer wichtiger Aspekt der
Prozessevaluation besteht in der kurzen Befragung derer, die zwar eine Einladung zur
Programmteilnahme erhalten, aber nicht teilgenommen haben (Nicht-Teilnehmer).
6.2.2 Studiendesign und Erhebungsmethoden der Ergebnis-evaluation
Die Forschungsfragen der Ergebnisevaluation sollen zum einen durch einen Vorher-
Nachher-Vergleich beantwortet werden, zum anderen durch eine retrospektive kon-
trollierte Kohortenstudie. Welches der beiden Designs angewendet wird, bestimmt sich
nach der Art der Daten, die zur Evaluation verwendet werden. Zum einen werden Primärdaten der Programmteilnehmer mittels Fragebogen erhoben. Hierbei wird nur die Interventionsgruppe befragt, d.h. die entsprechenden
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
114
Primärdaten stehen für keine irgendwie geartete Kontrollgruppe zur Verfügung. Zum anderen werden jedoch auch Sekundärdaten in Form von GKV-Routinedaten heran-gezogen: Die Forschungsgruppe kann über die sektorübergreifenden GKV-Routine-daten aller im Kinzigtal wohnenden AOK-Versicherten verfügen, die vor dem 01. Oktober 1952 geboren wurden. Für die Sekundärdatenanalyse stehen also die GKV-Routinedaten all jener AOK-Versicherten aus dem Kinzigtal zur Verfügung, die zu Beginn der AGil-Rekrutierung das 55. Lebensjahr vollendet hatten. Aus den Daten der nicht am AGil-Projekt teilnehmenden Versicherten lässt sich also retrospektiv eine (oder mehrere) Vergleichsgruppe(n) konstruieren.
Das bedeutet in methodischer Hinsicht Folgendes: In Bezug auf die Frage-stellungen, die mittels GKV-Routinedaten beantwortet werden können, wird das Design einer retrospektiven kontrollierten Kohortenstudie angewendet. In Bezug auf die Frage-stellungen, die mittels Primärdaten beantwortet werden, kommt lediglich das – aus-sageschwächere – Design eines Vorher-Nachher-Vergleichs zum Einsatz. 6.2.2.1 Ergebnisevaluation mittels Primärdaten Die Programmteilnehmer werden mittels standardisierten Fragebögen befragt, und
zwar zu insgesamt vier Messzeitpunkten:
- t0: unmittelbar vor Intervention,
- t1: ein halbes Jahr nach Intervention,
- t2: ein Jahr nach Intervention und
- t3: eineinhalb Jahre nach Intervention.25
Gegenstand dieser Befragungen sind zum einen gesundheitsrelevante Einstellungen,
Kenntnisse und Verhaltensgewohnheiten sowie Aspekte des momentanen Gesund-
heitszustands; dabei werden insbesondere erhoben:
- gesundheitsrelevante Kontrollüberzeugungen (Wallston et al. 1978; Knesebeck
1998),
- gesundheitsrelevante Kenntnisse im Hinblick auf Bewegung, Ernährung und
soziale Vorsorge,
- Ernährungsgewohnheiten (Meier-Baumgartner et al. 2006: 130),
- körperliche Aktivitäten (ebd.: 133),
- soziales Netz/soziale Teilhabe,
- gesundheitsbezogene Lebensqualität (Instrument: SF-36; Bullinger & Kirch-
berger 1998) sowie
- verhaltensbezogene und biomedizinische Risikofaktoren.
Weiterhin werden kritische Lebensereignisse sowie soziodemographische Merkmale
der Versicherten erfragt.
25 Ursprünglich war der Zeitpunkt der T3-Erhebung zwei Jahre nach der Intervention vorgesehen (Knese-beck & Trojan 2006: 13). Da jedoch die Phase der Teilnehmer-Rekrutierung verlängert werden musste, damit genügend Probanden rekrutiert werden konnten, wurde der Zeitpunkt für die letzte Erhebung vor-verlegt.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
115
6.2.2.2 Ergebnisevaluation mittels GKV-Routinedaten
Die beiden in Abschnitt 6.1.2 zuletzt genannten Forschungsfragen der Ergebnisevalua-
tion, nämlich
- verändert sich bei den Programmteilnehmern die Inanspruchnahme von Versor-
gungsleistungen?
- wie entwickeln sich die Versorgungskosten der Programmteilnehmer?
werden auf der Basis von GKV-Routinedaten beantwortet. Diese stellt die AOK Baden-
Württemberg für ihre am AGil-Programm teilnehmenden Versicherten in pseudonymi-
sierter Form zur Verfügung. Für diesen speziellen Teil der Ergebnisevaluation wurden
die Kooperationspartner Dr. Enno Swart (Universität Magdeburg) und Prof. Heinz Roth-
gang (Universität Bremen) beauftragt.
Da – wie oben erwähnt – die GKV-Routinedaten in pseudonymisierter Form für
alle im Kinzigtal wohnenden AOK-Versicherten geliefert wurden, die am 30. 09. 1952
das 55. Lebensjahr vollendet hatten, können auf der Basis von GKV-Routinedaten
auch Vergleichsgruppen zur Analyse herangezogen werden. Für diesen Teil der Eva-
luation liegen noch keine Vorbilder, standardisierten Instrumente oder Auswertungs-
routinen vor. Das AGil-Projekt leistet hinsichtlich dieser Dimension der Ergebniseva-
luation also auch Entwicklungs- und Erprobungsarbeit.
Spezielle Analysen zum Inanspruchnahmeverhalten der AGil-Teilnehmer wer-
den von Dr. Enno Swart und seinem Team angefertigt.26 Die Frage, wie sich die Ver-
sorgungskosten der Programmteilnehmer entwickeln, wird im Rahmen einer gesund-
heitsökonomischen Evaluation zu beantworten versucht, für die Prof. Rothgang
verantwortlich ist.
Die Teile der Ergebnisevaluation, die auf der Auswertung von GKV-Routine-
daten beruhen, dauern noch an (Stand: März 2012) – Genaueres wird in Abschnitt
6.3.2.5 erläutert. Aus diesem Grund kann auf diesen Teil der Ergebnisevaluation hier
nur ein Ausblick gegeben werden.
6.2.3 Fallzahlenkalkulation und Einschlusskriterien
Bei der Studienplanung wurde davon ausgegangen, dass im Rahmen der Ergebnis-
evaluation Verteilungsunterschiede von ca. zehn Prozentpunkten in einem Vorher-
Nachher-Vergleich mit einer Teststärke von 80% aufgedeckt werden können. Hierzu
wären 309 auswertbare Datensätze nötig, d.h. es müssten die Daten von 309 Re-
spondern vorliegen. Da die Forschungsgruppe Knesebeck und ihre Kooperationspart-
ner aber auch Interventionseffekte zwischen verschiedenen Subgruppen (z.B. nach
26 Weitere Details zu den Perspektiven von Inanspruchnahme-Analysen auf der Basis von GKV-Routinedaten finden sich in einer Präsentation von Enno Swart, die Grundlage seines Vortrags auf dem 1. GK-Evaluationsplenum war: http://www.ekiv.org/de/intern/pdf/Evaluationsplenum_2009-7/Swart-2009-07-02.pdf.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
116
Geschlecht oder Schichtzugehörigkeit) vergleichen wollten, sollten die Daten von
insgesamt 600 Programmteilnehmern erhoben werden.
Für die Teilnahme am AGil-Programm galten folgende Einschlusskriterien: Die
Programmteilnehmer sollten mindestens 60 Jahre alt, nicht pflegebedürftig und nicht
kognitiv eingeschränkt (d.h. nicht dement) sein. Zudem mussten Studienteilnehmer in
die Integrierte Versorgung Gesundes Kinzigtal (IVGK) eingeschrieben sein.
6.3 Ausgewählte Ergebnisse des AGil-Evaluationsprojekts
6.3.1 Ergebnisse der Prozessevaluation
Im Folgenden gehen wir auf vier Aspekte der Prozessevaluation ein. Dabei sollen auch
die drei oben genannten Forschungsfragen der Prozessevaluation beantwortet werden.
6.3.1.1 Beteiligung am AGil-Programm und soziodemographische Merkmale der Teilnehmer
Die Beteiligung der IV-eingeschriebenen Versicherten ab 60 Jahren am AGil-Pro-
gramm und an der Programmevaluation wird ausführlich in Abb. 25 dargestellt. Laut
Einschlusskriterien kamen im Rekrutierungszeitraum 2045 Versicherte für eine Pro-
grammteilnahme in Frage. Bis zum Ende des Rekrutierungszeitraums (31. März 2009)
wurden insgesamt 2016 Versicherte schriftlich eingeladen, am AGil-Programm teilzu-
nehmen und sich an der Studie zu beteiligen (Abb. 25).
Am AGil-Programm teilgenommen haben schließlich 468 Versicherte. Davon
haben sich 361 Personen (76 % der Programmteilnehmer) auch an der Evaluation und
damit an der T0-Befragung beteiligt. Von den insgesamt 1577 Nicht-Teilnehmern
haben später 450 Personen (29 %) an einer kurzen standardisierten Befragung teilge-
nommen. Weitere 733 Nicht-Teilnehmer konnten telefonisch kontaktiert werden; ihre
Gründe für die Ablehnung der Teilnahme wurden in Telefonprotokollen erhoben. An
der T1-Befragung, die im September 2009 abgeschlossen wurde, beteiligten sich 317
Versicherte, an der T2-Befragung immerhin noch 300 Personen. Bei der letzten Erhe-
bungswelle (T3-Befragung) waren es noch 288 Teilnehmer. Die T2-Befragung wurde
im März 2010 abgeschlossen, die T3-Befragung im Herbst 2010. Angaben zu allen vier
Befragungen liegen von insgesamt 229 Personen vor; das entspricht rund 63 % der
Befragten.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
117
Abb. 25: Fallzahlenentwicklung der AGil-Programmteilnehmer bzw. Studienteilnehmer
(nach Knesebeck et al. 2011: 14)
Damit wurde das ursprüngliche Ziel, am Ende der Studie die Primärdaten von insge-
samt 600 Programmteilnehmern analysieren zu können, verfehlt. Da sich dies bereits
im Jahr 2008 abzuzeichnen begann, wurde der ursprünglich geplante Rekrutierungs-
zeitraum verlängert, und zwar bis zum 31. 03. 2009. Damit sich die Gesamtlaufzeit des
Projekts nicht auch noch entsprechend verlängerte, musste gleichzeitig der Zeitpunkt
für die letzte Datenerhebung (T3-Erhebung) verkürzt werden, nämlich von zunächst 24
Monaten nach Intervention auf letztlich 18 Monate nach Intervention. Eine Beteiligung
von knapp 300 Programmteilnehmern an der T3-Befragung reicht aus, um die vermu-
teten Verteilungsunterschiede von ca. 10 Prozentpunkten im Vorher-Nachher-Vergleich
mit einer Teststärke von etwas weniger als 80% aufzudecken.
Die Analyse der soziodemographischen Zusammensetzung der AGil-Teilneh-
mer brachte folgende Ergebnisse: Die Mehrheit der 468 Programmteilnehmer waren
Frauen (58%). Das Durchschnittsalter der teilnehmenden Frauen wie auch der teil-
nehmenden Männer lag bei 71 Jahren; damit sind die AGil-Teilnehmer im Kinzigtal im
Durchschnitt rund ein Jahr älter als die AGil-Teilnehmer in Hamburg, deren Durch-
schnittsalter 70,1 Jahre betrug.
Die meisten AGil-Teilnehmer im Kinzigtal sind verheiratet und leben mit dem
Ehepartner zusammen (75,6%); sie sind überwiegend in Rente (76,8%) oder Haus-
frau/Hausmann (17,2%). Die weit überwiegende Mehrheit der AGil-Teilnehmer im
Kinzigtal hat einen Volksschul- oder Hauptschulabschluss (86,9%).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zielgruppe trotz des relativ hohen
Rekrutierungsaufwands der Gesundes Kinzigtal GmbH nur in einem moderaten Um-
fang vom AGil-Programm erreicht wurde (Knesebeck et al. 2011: 12): 468 der 2045
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
118
Personen (23 %), die die Einschlusskriterien erfüllten, nahmen am Programm teil.
Mögliche Teilnahmebarrieren kommen in Abschnitt 6.3.1.3 zur Sprache.
6.3.1.2 Bewertung des AGil-Programms durch die Teilnehmer
Die Akzeptanz des AGil-Programms im Kinzigtal bei den Programmteilnehmern lässt
sich sehr anschaulich an deren Bewertungen der verschiedenen Programmbestand-
teile und des Programms insgesamt verdeutlichen. Die folgenden Bewertungen des
AGil-Programms durch die Programmteilnehmer im Kinzigtal basieren auf den An-
gaben bei der T1-Befragung, an der insgesamt 317 Personen teilgenommen haben.
Die T1-Befragung fand sechs Monate nach der Intervention statt.
Abb. 26: Zufriedenheit der AGil-Teilnehmer mit den Vorträgen der AGil-Intervention
(Äußerungen zur Aussage „Mit den Vorträgen war ich insgesamt zufrieden“) Abb. 26 zeigt, dass die ganz überwiegende Mehrheit der AGil-Teilnehmer voll oder
weitgehend mit den Vorträgen zufrieden war. Dabei stimmten rund 60% der teilneh-
menden Frauen „voll zu“, mit den Vorträgen zufrieden zu sein; bei den Männern war es
knapp die Hälfte (43,4%).
Ähnlich zufrieden waren die Teilnehmer mit der sich an die Vorträge an-
schließenden Arbeit in Kleingruppen, in denen die Teilnehmer in Bezug auf körperliche
%
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
119
Aktivität, gesunde Ernährung und soziale Teilhabe beraten wurden. Die detaillierten
Ergebnisse zu dieser Frage sind in Abb. 27 dargestellt.
Abb. 27: Zufriedenheit der AGil-Teilnehmer mit der Kleingruppenarbeit (Äußerungen
zur Aussage „Mit der Kleingruppenarbeit war ich insgesamt zufrieden“)
Sehr zufrieden waren die Programmteilnehmer auch mit den schriftlichen Empfeh-
lungsschreiben, die sie ca. zwei Wochen nach der Veranstaltung erhielten: Rund 96 %
hielten die Empfehlungsbriefe für eine gute Ergänzung der Veranstaltung (Knesebeck
et al. 2011: 89).
Die positive Bewertung der einzelnen Bestandteile der Veranstaltung spiegelt
sich auch darin wider, dass 97,7 % der befragten Teilnehmer „die Veranstaltung
jederzeit weiterempfehlen“ würden. Dies stellt ein sehr positives Gesamturteil dar. Die
sehr positive Beurteilung führt jedoch nur bei einer Minderheit der Teilnehmer (9 %)
dazu, dass die Teilnehmer selbst für die normalerweise anfallenden Kosten der
Veranstaltung (89,- € pro Person) aufkommen würden. Rund die Häfte der Teilnehmer
lehnte dies ab; rund 39 % der Teilnehmer waren sich nicht sicher (ebd.: 88).
%
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
120
6.3.1.3 Umsetzung der AGil-Empfehlungen laut Angaben der Programmteil-nehmer
Die beiden folgenden Abbildungen geben wieder, inwieweit die AGil-Teilnehmer die
Empfehlungen der AGil-Gesundheitsberater in Bezug auf körperliche Aktivität und ge-
sunde Ernährung nach eigenen Angaben sechs Monate nach der Intervention bereits
umgesetzt haben oder umsetzen wollten. Dies kann als ein spezifischer Aspekt der
Akzeptanz des AGil-Programms gesehen werden.
So zeigt Abb. 28, dass erstaunlich viele Versicherte – nämlich etwas mehr als
drei Viertel aller befragten Programmteilnehmer – bei der T1-Befragung angeben, dass
sie die Empfehlungen in Bezug auf gesunde Ernährung bereits umsetzen konnten.
Bemerkenswert ist hierbei, dass der Anteil bei den Männern beinahe so hoch ist wie
der Anteil bei den Frauen, obwohl die Männer das AGil-Programm etwas kritischer
beurteilen (vgl. Abschnitt 6.3.3). Weitere 15% der Befragten geben an, demnächst mit
der Umsetzung beginnen zu wollen. Weniger als 5% der Programmteilnehmer erklä-
ren, dass sie nicht damit beginnen wollen, d.h. dass sie den Empfehlungen nicht folgen
werden.
Abb. 28: Umsetzung der AGil-Empfehlungen zu gesunder Ernährung sechs Monate
nach Intervention (Antworten auf die Frage „Konnten Empfehlungen zur Ernährung
schon umgesetzt werden?“)
%
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
121
In Bezug auf die AGil-Empfehlungen zu körperlicher Aktivität und Bewegung – siehe
Abb. 29 – äußern etwas mehr als zwei Drittel der Programmteilnehmer, dass sie die
Empfehlungen bereits umsetzen konnten. Die Antworten der befragten Männer unter-
scheiden sich wiederum kaum von denen der Frauen. Nur rund zehn Prozent der
Befragten geben an, dass sie nicht mit der Umsetzung dieser Empfehlungen beginnen
werden. Die „bereits umgesetzten“ Empfehlungen beziehen sich vor allem auf die
Aspekte gesunde Ernähung und tägliche Flüssigkeitsaufnahme und etwas seltener auf
die Aspekte vermehrte Bewegung und sportliche Aktivitäten (Knesebeck et al. 2011:
90). Nach Einschätzung der Teilnehmer hat sich durch die Teilnahme am AGil-Pro-
gramm das eigene Wissen im Hinblick auf ein gesundheitsförderliches Verhalten deut-
lich verbessert, z. B. in punkto gesunde Ernährung, Flüssigkeitsaufnahme und körper-
liche Aktivität (ebd.: 91). Dies gilt nach Einschätzung der Teilnehmer nicht nur für das
Wissen, sondern auch – obwohl in etwas geringerem Maß – für das eigene Verhalten
(ebd.). Abb. 29: Umsetzung der AGil-Empfehlungen zu körperlicher Aktivität (Antworten auf die Frage „Konnten Empfehlungen zu körperlicher Aktivität bereits umgesetzt wer-den?“)
Die berichteten Ergebnisse können als Beleg für die hohe Akzeptanz des AGil-Pro-
gramms bei den Teilnehmern angesehen werden. Bei den Einschätzungen zur Nütz-
%
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
122
lichkeit des Programms und bei den Angaben zur Umsetzung der Empfehlungen durch
die Teilnehmer ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Antworteffekt der „sozialen Er-
wünschtheit“ zu den überaus positiven Antworten beigetragen haben könnte: Die Teil-
nehmer waren im Verlauf der AGil-Intervention für die (erwünschten) Effekte eines
gesundheitsorientierten Verhaltens sensibilisiert worden und sahen sich nun verpflich-
tet, bei der Befragung tendenziell im Sinne des Erwünschten zu antworten. Zu einer
möglichen Verzerrung in Richtung „positiver“ Antworten der Probanden mag aber nicht
nur das Prinzip sozialer Erwünschtheit beigetragen haben, sondern auch – in kom-
plementärer Weise – der Mechanismus der kognitiven Dissonanzreduktion (Knesebeck
et al. 2011: 91): Um den Aufwand der Programmteilnahme im nachhinein als „ange-
messen“ zu rechtfertigen, neigen Probanden häufig dazu, ein Programm als „wirksam“
einzuschätzen, auch wenn dies einer kritischen und objektiven Betrachtung nicht stand
hält.
6.3.1.4 Einschätzung der Nachhaltigkeit des Programms durch Mitglieder der Gesundheitsberater-Teams
Im Hinblick auf die Atmosphäre bei den AGil-Veranstaltungen teilen auch die Gesund-
heitsberater den positiven Eindruck, wie man ihn aus den Einschätzungen der Teil-
nehmer gewinnt. Die Gesundheitsberater, die das Programm durchführten, so Knese-
beck und Kollegen, „berichten in der Regel von positiven Eindrücken, die sie in den
Veranstaltungen gewonnen haben. Vor allem die atmosphärischen Aspekte werden
dabei herausgehoben (Aktivität, Interesse und Verständnis der Teilnehmer), so dass
Probleme die Ausnahme bilden. Zuweilen wurde die Gruppenzusammensetzung krit-
isch angesprochen, insbesondere dann, wenn die Gruppen bezüglich des Alters und
ihrer Leistungsfähigkeit zu heterogen waren“ (ebd.: 80).
Die Einschätzungen der Programmdurchführenden hinsichtlich der Nachhaltig-
keit des Programms fallen hingegen weniger positiv aus. Die von Beginn an beste-
henden Zweifel an der Nachhaltigkeit des Programms bei den Gesundheitsberatern
bestanden auch nach Durchführung des Programms fort (ebd.: 70-74): Grundsätzlich
bestanden Zweifel daran, dass eine Veranstaltung, die nur an einem einzigen Nach-
mittag abgehalten wird – auch in Verbindung mit einem späteren Empfehlungsschrei-
ben –, zu nachhaltigen Änderungen des Gesundheitsverhaltens der Teilnehmer führt.
Diese Zweifel wurden in den Augen der Gesundheitsberater noch verstärkt durch
spezifische Schwierigkeiten der Programmdurchführung im Kinzigtal: So war ein
unerwartet großer Anteil der Teilnehmer so krank oder kognitiv so stark eingeschränkt,
dass bei den Programmdurchführenden nicht die Erwartung aufkommen konnte, dass
die Empfehlungen in großem Ausmaß und dauerhaft umgesetzt würden (ebd.: 69f).
Auf Basis der Leitfaden-Interviews mit den Programmdurchführenden kristalli-
sierten sich drei Gründe heraus, warum die Gesundheitsberater das AGil-Programm im
Kinzigtal nicht als nachhaltig einschätzen; gleichsam spiegelbildlich dazu werden
Möglichkeiten erkennbar, wie das Programm nachhaltiger gestaltet werden könnte:
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
123
(1) Für einige Mitglieder der Gesundheitsberater-Teams waren die Hausärzte
der Teilnehmer nicht hinreichend in das Programm und vor allem in die Umsetzung der
Gesundheitsempfehlungen eingebunden. In einer Neuauflage des Programms könnte
dies jedoch geändert werden. Die Hausärzte könnten zumindest bei der Umsetzung
der Gesundheitsempfehlungen systematisch einbezogen werden (ebd.: 70).
(2) Die Sportmöglichkeiten für Ältere im Kinzigtal erscheinen begrenzt. So gab
es bislang wenige auf Ältere zugeschnittene Sportmöglichkeiten im Kinzigtal, zudem
gibt es die entsprechenden Sportstätten – wie z.B. Schwimmbäder oder Hallenbäder –
nur in sehr begrenztem Umfang (ebd.: 70). Diesem Mangel könnte man zumindest
partiell entgegenwirken durch spezifische Sportangebote für Senioren, die z. B. mit den
Sportvereinen erarbeitet und angeboten werden könnten.
(3) Motivation und Eignung der Teilnehmer machten eine nachhaltige Wirkung
des Programms unwahrscheinlich (ebd.: 71). Zum einen war – wie oben bereits
erwähnt – ein unerwartet großer Teil der Teilnehmer nach Einschätzung der Gesund-
heitsberater bereits „zu krank“ oder kognitiv zu eingeschränkt. Zum anderen meinten
einige der Gesundheitsberater, bei vielen Teilnehmern keine intrinsische Teilnahme-
motivation zu erkennen. Vielmehr sei ein großer Teil der Teilnehmer extrinsisch moti-
viert worden, d.h. viele Versicherte nahmen primär wegen der Empfehlung und
Fürsprache ihres Hausarztes oder der Programmkoordinatoren teil und weniger, weil
sie von Sinn und Zweck der Veranstaltung überzeugt waren (ebd.: 71).
6.3.1.5 Zur Übertragbarkeit des AGil-Programms von einem großstädtischen auf
einen ländlichen Kontext
Nach den Analysen der Forschungsgruppe Knesebeck spielte der ländliche und klein-
städtische Kontext des AGil-Programms im Kinzigtal einerseits eine für die Umsetzung
förderliche, anderseits aber auch eine hemmende Rolle.
Eine förderliche Rolle ergab sich durch die relativ enge soziale Vernetzung der
Versicherten: Die kommunikative Vernetzung erbrachte einen – im Vergleich zum
großstädtischen Kontext – spezifischen Zugangsweg und eine spezifische Form der
Werbung für das AGil-Programm, nämlich die sog. Nachbarschaftswerbung: „So
äußerten die an der Rekrutierung beteiligten Ärzte, dass Patienten, die zunächst Ein-
wände gegen die Teilnahme an der Intervention geäußert haben, nach einiger Zeit
dem Programm doch positiv gegenüberstanden, weil Bekannte ihnen davon positiv
berichtet hatten“ (ebd.: 94).
Auf der anderen Seite wirkte sich die ländliche und zum Teil bergige Region
auch hemmend auf die Programmteilnahme aus: Wegen des – im Vergleich zur
Großstadt Hamburg – schlechter ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetzes stellte die
ländliche Region für viele potentielle Versicherte eine Teilnahmebarriere dar, denn vor
allem ältere Frauen besitzen dort oft keinen Führerschein oder haben keine Fahrpraxis
(mehr), und auch die vom Veranstalter organisierten Fahrgemeinschaften werden von
einigen potentiellen Teilnehmern als Hürde wahrgenommen. Daher waren nach Anga-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
124
ben der befragten Ärzte mobile Versicherte mit Führerschein und Fahrpraxis unter den
Programmteilnehmern überrepräsentiert.
Zudem wurde die potentielle Wirksamkeit der Gesundheitsempfehlungen durch
besondere Gegebenheiten der ländlich und kleinstädtisch geprägten Region verringert:
Manche Sportstätten – wie z. B. Freibäder und Hallenbäder –, deren verstärkte Nut-
zung den Programmteilnehmern im großstädtischen Kontext häufig empfohlen wurde,
gibt es in weiten Teilen des Kinzigtals nicht bzw. für eine Nutzung müssen oft große
Strecken überwunden werden (vgl. Knesebeck et al. 2011: 95).
6.3.2 Bisherige Resultate der Ergebnisevaluation im Überblick
Im Folgenden werden die abgeschlossenen Teile der Ergebnisevaluation in vier Ab-
schnitten zusammengefasst (6.3.2.1 bis 6.3.2.4). Wie oben erläutert, dauern die Teile
der Ergebnisevaluation noch an, die auf der Auswertung von GKV-Routinedaten be-
ruhen. Zu letzterer geben wir in Abschnitt 6.3.2.5 lediglich einen kurzen Überblick und
Ausblick. Eine ausführlichere Darstellung dieser vorläufigen, d.h. noch nicht abge-
schlossenen Ergebnisse findet sich in Knesebeck et al. 2011: 107-184.
Die in den Abschnitten 6.3.2.1 bis 6.3.2.4 betrachteten Aspekte basieren auf
Primärdaten, genauer: auf standardisierten Befragungen der Programmteilnehmer.
Diese Ergebnisse beruhen auf den Angaben jener 229 AGil-Teilnehmer, die an allen
vier Befragungen (t0 bis t3) teilgenommen haben und von denen also vollständige
Befragungsdaten vorliegen. Der Anteil dieser Teilgruppe an allen Programmteilneh-
mern (n=361) beträgt 63,4 % (ebd.: 96).27 6.3.2.1 Veränderungen des Ernährungsverhaltens
In den standardisierten Befragungen wurden die Probanden jedes Mal gefragt, wie
viele Obst- und Gemüseportionen sie an einem „normalen Tag“ zu sich nehmen. Für
die 229 kontinuierlichen Studienteilnehmer ergab sich eine signifikante Zunahme nach
der Intervention, die auch längerfristig – bis zum letzten Befragungszeitpunkt 18 Mo-
nate nach Intervention (t3) – stabil blieb. Dies galt auch – und sogar verstärkt – für die
Teilgruppe der Studienteilnehmer, in deren Empfehlungsschreiben eine darauf bezo-
gene Empfehlung ausdrücklich enthalten war (vgl. ebd.: 98f).
Im Hinblick auf das Trinkverhalten galt es als gesund, wenn täglich mindestens
1,5 Liter nicht-alkoholische Getränke getrunken wurden. Hier gaben sehr viele AGil-
Teilnehmer bereits vor der Intervention (t0) eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr an.
Dementsprechend konnte nach der Intervention für die Gesamtgruppe der kontinuier-
lichen Studienteilnehmer (n=229) auch keine signifikante Zunahme festgestellt werden.
27 Ein Vergleich beider Teilgruppen zeigt, dass die Teilgruppe der an allen vier Befragungen teilneh-menden Probanden etwas jünger und gesundheitlich etwas weniger eingeschränkt ist als die Teilgruppe derer, die nicht an allen Befragungen teilgenommen haben (ebd.: 96).
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
125
Bei jenem Drittel der Studienteilnehmer, die eine ausdrückliche Empfehlung bekamen,
täglich mehr zu trinken, konnte hingegen eine signifikante Zunahme eines gesunden
Trinkverhaltens ermittelt werden. Dies gilt aber in erster Linie für die Männer mit einem
entsprechenden Empfehlungsschreiben und weniger für die Frauen (ebd.: 99f). Bei den
Männern mit entsprechender Empfehlung war das veränderte Trinkverhalten auch 18
Monate nach Intervention stabil (ebd.). 6.3.2.2 Veränderungen des Bewegungsverhaltens
Das Bewegungsverhalten wurde mit den folgenden drei Fragen erhoben:
(1) „An wie vielen Tagen der letzten Woche waren Sie aus irgendeinem Grund
außerhalb Ihrer Wohnung unterwegs wie z. B. zum Spazieren, Einkaufen, für Besuche
oder andere Tätigkeiten?“
(2) „An wie vielen Tagen sind Sie in der letzten Woche leichten sportlichen
Aktivitäten nachgegangen wie z. B. Walken, Schwimmen, Radfahren?“
(3) „An wie vielen Tagen sind Sie in der letzten Woche anstrengenden sport-
lichen Aktivitäten nachgegangen wie z. B. Bergwandern, Joggen, Fußball?“
Mögliche Antworten auf alle drei Fragen waren „gar nicht“, „an 1-2 Tagen“, „an
3-4 Tagen“ oder „an 5-7 Tagen“.
Die Auswertung der erhobenen Daten zeigt, dass einfache Aktivitäten wie Spa-
ziergänge oder Besorgungen zu Fuß nach der Intervention nicht signifikant gesteigert
wurden, sondern der Tendenz nach sogar abnahmen – auch wenn diese Tendenz
nicht statistisch signifikant war (ebd.: 100).
Bei leichten sportlichen Aktivitäten wie z. B. Walken, Schwimmen oder Radfah-
ren war zwar im Trend eine leichte Zunahme zu verzeichnen; diese war jedoch nicht
signifikant. Dies gilt auch für die Teilgruppe der Probanden, deren Empfehlungsschrei-
ben eine entsprechende Empfehlung ausdrücklich enthielt (ebd.: 101). 6.3.2.3 Veränderungen sozialer Teilhabe und sozialer Vorsorge
Zur Ermittlung der sozialen Teilhabe wurde den Probanden eine Liste mit verschiede-
nen Gruppen und Vereinen vorgelegt; enthalten waren hier z. B. Kirche, Selbsthilfe-
gruppe, Sportvereine. Dabei wurden die Befragten gebeten anzugeben, wie häufig sie
an deren Aktivitäten teilnahmen. Mögliche Antworten waren „(fast) täglich“, „1 mal pro
Woche“, „1 mal pro Monat“, „seltener“ oder „nie“. Zudem wurden die Probanden
gefragt, mit wie vielen Verwandten sie sich treffen, wie viele von ihnen man auch um
Hilfe bitten und mit wie vielen man über persönliche Probleme sprechen würde.
Letztere Fragen wurden auch mit Bezug auf Freunde gestellt. Aus den Antworten auf
diese drei Fragen wurden drei Indikatoren für soziale Teilhabe gebildet.
In allen vier Befragungen wurden die Programmteilnehmer auch zu ihrer sozialen
Vorsorge befragt – Patientenverfügungen und allgemein Vorsorgevollmachten waren
auch ein Thema der AGil-Vorträge gewesen. In den Befragungen wurde daher gefragt,
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
126
ob die Betreffenden eine Patientenverfügung bzw. eine Vorsorgevollmacht erstellt
hatten und – wenn nicht – ob sie dies in Zukunft beabsichtigten.
Im Hinblick auf die Kontakthäufigkeiten zu Verwandten und Freunden sind im
gesamten Studienzeitraum keine signifikante Veränderungen festzustellen. Insgesamt
gehen die Häufigkeiten aller drei erfragten Kontaktarten tendenziell etwas zurück; die
Unterschiede zwischen den einzelnen Befragungszeitpunkten sind jedoch nicht signifi-
kant (ebd.: 98). Bei der sozialen Integration der Studienteilnehmer in Gruppen und
Vereinen ist das anders: Hier nehmen die Aktivitäten der Studienteilnehmer im Zeit-
verlauf nach der Intervention recht deutlich und signifikant zu, vor allem bei den männ-
lichen Studienteilnehmern (ebd.: 102f).
Auch im Hinblick auf die beiden Indikatoren der sozialen Vorsorge gibt es bemer-
kenswerte Veränderungen. Die Anzahl der weiblichen Probanden mit Patienten-
verfügungen oder mit einer entsprechenden Absicht nimmt zwischen dem ersten und
letzten Befragungszeitpunkt (t0–t3) signifikant zu. Bei den Männern geht der ent-
sprechende Anteil leicht – aber nicht signifikant – zurück (ebd.: 103). Im Hinblick auf
Vorsorgevollmachten ist sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern eine Zu-
nahme (t0-t3) festzustellen. Bei den Frauen fällt die Zunahme ziemlich deutlich aus und
ist zudem signifikant, bei den Männern hingegen nicht (ebd.: 104). 6.2.2.4 Veränderungen des subjektiven Gesundheitszustands und der gesund-heitsbezogenen Lebensqualität
Der subjektiv empfundene Gesundheitszustand und die gesundheitsbezogene Lebens-
qualität der Probanden wurden mit dem seit langem etablierten Instrument des SF-36
erhoben. Das Instrument enthält 36 Fragen; es lässt sich in acht Subskalen gliedern,
die jeweils einen anderen Aspekt des Gesundheitszustands wiedergeben – wie z.B.
körperliche Funktionsfähigkeit, das Ausmaß körperlicher Schmerzen, soziale Funk-
tionsfähigkeit oder verschiedene Aspekte des psychischen Befindens. Für die konti-
nuierlichen Studienteilnehmer ließen sich nur sehr geringfügige (und nicht signifikante)
Veränderungen für die acht Subskalen im Zeitverlauf ermitteln. Auch für bestimmte
Untergruppen der Probanden – z. B. für diejenigen, die ihr Ess- und Trinkverhalten
oder ihr Bewegungsverhalten verbessert hatten – ließen sich keine signifikanten Ver-
änderungen feststellen (ebd.: 104f). 6.2.2.5 Anmerkungen zur noch laufenden Ergebnisevaluation auf Basis von GKV-Routinedaten
Während die auf Primärdaten basierenden Ergebnisse das Design eines Vorher-
Nachher-Vergleichs ohne Kontrollgruppe verfolgen, beruhen die mittels Sekundärdaten
ermittelten Ergebnisse auf dem Design einer retrospektiven kontrollierten Kohorten-
studie. Die Aussagekraft der zuletzt genannten Ergebnisse ist methodologisch also
höher einzuschätzen, da zur Kontrolle der Ergebnisse in der Interventionsgruppe eine
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
127
regelrechte Kontrollgruppe herangezogen wird – auch wenn diese nicht randomisiert
und nicht prospektiv bestimmt wurde.
Für die Sekundärdatenanalysen werden die sektorübergreifenden GKV-Routinedaten
von insgesamt 10.118 AOK-Versicherten berücksichtigt. Einbezogen werden die Daten
von Versicherten, die
- vor dem 01. Oktober 1952 geboren sind,
- ihren Wohnort im Kinzigtal haben (Postleitzahlen 777xx oder 78132),
- seit 2004 durchgängig oder bis zu ihrem Tod bei der AOK BW versichert waren.
58,3 % dieser 10.118 Versicherten waren Frauen, 41,7 % waren Männer. Das Durch-
schnittsalter betrug im Jahr 2007 71,2 Jahre; die Frauen waren dabei im Schnitt etwas
älter (72,6 Jahre) als die Männer (69,3 Jahre).
Diese 10.118 AOK-Versicherten wurden für die Sekundäranalysen in drei
Gruppen eingeteilt, nämlich in die Interventionsgruppe (AGil-Teilnehmer) und in zwei
Vergleichsgruppen (IVGK-Eingeschriebene, aber keine AGil-Teilnehmer vs. Nicht-
Eingeschriebene). Die zahlenmäßige Verteilung der 10.118 Versicherten auf die drei
Gruppen ist detailliert in Tab. 30 wiedergegeben; die Tabelle stellt auch das Durch-
schnittsalter und den Frauenanteil in den drei Gruppen dar. Bei den späteren Grup-
penvergleichen wird stets eine Alters- und Geschlechtsstandardisierung der drei Grup-
pen durchgeführt, damit die Ergebnisse trotz der – geringfügigen – Alters- und Ge-
schlechtsunterschiede möglichst gut vergleichbar sind. Tab. 30: Charakteristika der Interventionsgruppe und der beiden Vergleichsgruppen der AGil-Studie (AOK-Versicherte mit zuordenbaren GKV-Routinedaten) AGil-Teilnehmer IVGK-Eingeschriebe-
ne (am 30.06.2009)
übrige AOK BW-
Versicherte
Anzahl Versicherte 414 2.227 7.477
Frauenanteil (in %) 58,2 58,1 58,4
Durchschittsalter (in Jahren) 70,6 70,1 71,6
Aus Tab. 30 geht hervor, dass für insgesamt 414 Programmteilnehmer auch individuell
zuordenbare GKV-Routinedaten vorliegen. Zum jetzigen Zeitpunkt (März 2012) sind
jedoch nur für 232 Programmteilnehmer die Routinedaten für einen mindestens ein-
jährigen Zeitraum vor der Intervention und für einen einjährigen Zeitraum nach der
Intervention (Follow-Up-Zeitraum) auswertbar. Von diesen 232 Teilnehmern sind wie-
derum nur die Daten von 204 Probanden planmäßig auswertbar; die übrigen 28
Probanden können in der Endauswertung wegen Restriktionen bei der Datenzusam-
menführung nicht berücksichtigt werden (genauer hierzu: Knesebeck et al. 2012: 25-
29). Und lediglich für 158 dieser 204 Probanden liegt auch ein ausgefüllter Fragebogen
zum Erhebungszeitpunkt T0 vor, d. h. zum jetzigen Zeitpunkt können nur für 158 Pro-
banden deren GKV-Routinedaten in Verknüpfung mit den per Fragebogen gewonne-
nen Primärdaten ausgewertet werden.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
128
Dies erklärt auch, warum die Teile der Ergebnisevaluation, die auf der Auswer-
tung von GKV-Routinedaten basieren, noch nicht abgeschlossen sind: Für diejenigen
Programmteilnehmer, die z. B. erst im März 2009 für die Studie rekrutiert wurden, ist
der avisierte einjährige Follow-Up-Zeitraum erst mit den GKV-Routinedaten vollständig,
die den Zeitraum vom 01. 04. 2009 bis zum 31. 03. 2010 abbilden. Die GKV-Routine-
daten, die den Zeitraum bis 31. 03. 2010 abbilden, stellte die AOK Baden-Württemberg
der auswertenden Forschungsgruppe im Februar 2012 zur Verfügung. Mit dieser Da-
tenlieferung wird also für alle Programmteilnehmer, deren GKV-Routinedaten prinzipiell
verfügbar sind, ein mindestens einjähriger Follow-Up-Zeitraum auswertbar sein.
Zum jetzigen Zeitpunkt liegen daher noch keine verlässlichen Resultate der auf
GKV-Routinedaten basierenden Ergebnisevaluation vor. Erste, vorläufige Ergebnisten-
denzen sind im Bericht der Projektgruppe Knesebeck an das BMBF ausgeführt (ebd.:
107-184). Demnach zeigen sich aufgrund der bislang verfügbaren Daten für die AGil-
Interventionsteilnehmer keine Effekte im Sinne einer zurückgehenden Inanspruchnah-
me ambulanter oder stationärer Versorgungsleistungen durch die Intervention. Aller-
dings wurde bislang auch noch kein systematischer Vergleich zwischen Interventions-
gruppe und Kontrollgruppe angestellt (vgl. ebd.: 159-171). Auf eine genauere Dar-
stellung der bisherigen Ergebnisse der Inanspruchnahme-Analyse und der gesund-
heitsökonomischen Analyse verzichten wir an dieser Stelle.
6.4 Diskussion und Ausblick
Unsere Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse der AGil-Studie hat gezeigt,
dass die Programmteilnehmer das AGil-Programm sehr positiv bewertet haben: Rund
98% der Teilnehmer würden die Veranstaltung „jederzeit weiterempfehlen.“ Die ganz
überwiegende Mehrheit der Teilnehmer konnte ein halbes Jahr nach Intervention die
Empfehlungen der AGil-Gesundheitsberater in Bezug auf gesunde Ernährung und kör-
perliche Aktivität nach eigenen Angaben „bereits umsetzen“; weitere 15 bis 20% der
Teilnehmer wollten „demnächst“ damit beginnen.
In einem moderaten Umfang könnte das AGil-Programm bei den Teilnehmern
auch eine Veränderung des gesundheitsrelevanten Verhaltens begünstigt haben: So
nahm der durchschnittliche tägliche Verzehr von Obst und Gemüse nach der Inter-
vention signifikant zu, und auch die soziale Integration der AGil-Teilnehmer in gesell-
schaftlichen Gruppen und Vereinen war nach der Intervention signifikant höher als
zuvor. Keine signifikanten Veränderungen ergaben sich im Hinblick auf ein gesund-
heitsförderliches Trinkverhalten, körperliche Bewegung, soziale Kontakte mit engen
Familienangehörigen und Freunden und im Hinblick auf die subjektiv wahrgenommene
gesundheitsbezogene Lebensqualität, die mithilfe des SF-36 erhoben wurde. Das
soziale Vorsorgeverhalten (tatsächliche oder geplante Vorsorgevollmachten und Pa-
tientenverfügungen) nahm nach der Intervention bei den weiblichen AGil-Teilnehmern
zwar signifikant zu; ob dies aber als Effekt der AGil-Teilnahme interpretiert werden
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
129
kann, ist fraglich. Denn das Thema Vorsorgevollmachten (insbesondere Patientenver-
fügungen) wird in der gesamten Gesellschaft seit einigen Jahren verstärkt diskutiert, so
dass nicht klar ist, inwieweit die Zunahme eines Vorsorgeverhaltens bei den AGil-
Teilnehmern nur einen säkularen Trend widerspiegelt.
Das zuletzt genannte Argument wirft ein generelles methodisches Problem der
AGil-Studie auf: Für die Ergebnisparameter, die mittels Primärdaten erhoben wurden,
existiert keine irgendwie geartete Kontrollgruppe. So kann z. B. nicht geprüft werden,
inwieweit die unter den weiblichen AGil-Teilnehmern festgestellte Zunahme des sozia-
len Vorsorgeverhaltens über den säkularen Trend hinausgeht. Genausowenig kann
überprüft werden, ob beispielsweise die zeitliche Konstanz der gesundheitsbezogenen
Lebensqualität bei den AGil-Teilnehmern eine vergleichsweise Verbesserung gegen-
über gleichartigen Personen ohne AGil-Teilnahme darstellt: Es ist immerhin denkbar,
dass der säkulare Trend, der sich in den Werten einer entsprechenden Kontrollgruppe
ausdrücken würde, in einer signifikant zurückgehenden Lebensqualität bestünde. Wäre
das der Fall, so könnte die gleichbleibende Lebensqualität unter den AGil-Teilnehmern
unter Umständen als Erfolg des AGil-Programms interpretiert werden. Es zeigt sich
also, dass das Design eines Vorher-Nachher-Vergleichs offenbar zu schwach ist, um
unter den Bedingungen eines mutmaßlich geringen Programmeffekts aussagekräftige
Evaluationsergebnisse zu liefern. Für die bisherigen Ergebnisse gilt eine weitere Ein-
schränkung So positiv einige der oben referierten, auf Basis von Primärdaten gewon-
nenen Ergebnisse auch sind: Es handelt sich dabei um Teilnehmer-Angaben, bei de-
nen nicht auszuschließen ist, dass diese durch eine Antworttendenz im Sinne der „so-
zialen Erwünschtheit“ beeinflusst sind und dementsprechend positiv ausfielen.
Eine methodisch aussagekräftigere Prüfung der Wirksamkeit des AGil-Pro-
gramms ist also wohl eher in den Teilen der Ergebnisevaluation zu sehen, die die
Effekte der Programmteilnahme auf die Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen
und Versorgungskosten zu messen versuchen, denn hier spielt der Aspekt der sozialen
Erwünschheit keine Rolle, und zur Kontrolle der Programmeffekte werden immerhin die
Vergleichswerte zweier Kontrollgruppen (retrospektiv) herangezogen. In diesem Punkt
müssen also noch belastbare Ergebnisse abgewartet werden.
An dieser Stelle wollen wir deshalb nur noch ein methodisches Problem be-
schreiben, das bei der Interpretation der noch ausstehenden Teile der Ergebniseva-
laution auftreten könnte: Das größte Problem bei der Beurteilung der Ergebnisse wird
voraussichtlich darin bestehen, eine „virtuelle Kontrollgruppe“ zu finden, die den Selbst-
selektionseffekt kompensieren kann, der sich bei den Teilnehmern des AGil-Pro-
gramms im Kinzigtal ausgewirkt haben könnte: Es kann nämlich angenommen werden,
dass die Programm- und Studienteilnehmer im Vergleich zu den zur Programmteil-
nahme zwar eingeladenen, aber nicht teilnehmenden Versicherten in höherem Aus-
maß Persönlichkeitsmerkmale aufweisen, die von vornherein mit einer überdurch-
schnittlichen Gesundheitsprognose assoziiert sind. Diese Annahme ist gleichbedeu-
tend mit der Vermutung eines „healthy-user-“ bzw. „healthy-adherer-Effekts“: Proban-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
130
den, die über die persönlichen und/oder gesundheitlichen Ressourcen verfügen, die
nötig sind, um überhaupt ein bestimmtes Interventionsprogramm zu absolvieren, haben
in der Regel von vornherein eine bessere Prognose als diejenigen Probanden, die das
Interventionsprogramm abbrechen oder gar nicht erst beginnen. Würde man diesen –
wahrscheinlich auch mit der AGil-Programmteilnahme verbundenen – „healthy-ad-
herer-Effekt“ bei der Selektion einer virtuellen Vergleichsgruppe (oder zumindest bei
der Ergebnisinterpretation) nicht berücksichtigen, so würde man die Effektivität des
AGil-Programms wahrscheinlich überschätzen.28 Ein derartiger „healthy-user“ oder
„healthy-adherer-Effekt“ ist nicht nur theoretisch plausibel, sondern es gibt auch
empirische Hinweise darauf, dass er auch bei den Teilnehmern des AGil-Programms
im Kinzigtal existiert. So hat ein erster Vergleich von AGil-Teilnehmern und Nicht-
Teilnehmern durch die Forschungsgruppe Knesebeck gezeigt, dass die Teilnehmer im
Vergleich zu den Nicht-Teilnehmern sich offenkundig als gesünder einschätzten.
Ein weiteres Problem bei der Interpretation der Ergebnisse könnte sein, dass
sich die AGil-Programmteilnehmer von den Kontrollgruppen nicht nur durch die AGil-
Teilnahme (und einem evtl. „dazu gehörenden“ healthy-user-Effekt) unterscheiden,
sondern möglicherweise auch durch die Teilnahme an weiteren IVGK-Gesundheitspro-
grammen, die ja ebenfalls eine gesundheitserhaltende Wirkung haben sollten. Sofern
also die AGil-Teilnehmer zum großen Teil auch an anderen IVGK-Programmen teil-
nehmen – was aus Sicht der IVGK wünschenswert ist –, wäre die Treatment-Bedin-
gung „AGil-Teilnahme“ in methodischer Hinsicht „kontaminiert“ mit zusätzlichen ge-
sundheitsförderlichen Faktoren, die in dieser Form in der virtuellen Kontrollgruppe
vermutlich nicht zur Wirkung kämen. In diesem Fall würde die Effektivität des AGil-
Programms (als alleiniger Intervention!) ebenfalls überschätzt.29 Für die Verantwort-
lichen der IVGK wird dieser Aspekt letztlich zweitrangig sein, sofern das AGil-Pro-
gramm sozusagen „seinen Beitrag“ im „Konzert der IVGK-Programme“ leistet, d.h. im
Zusammenspiel mit den übrigen Interventionen zu einer gesünderen Bevölkerung und
zu komparativ geringeren Versorgungskosten beiträgt. Im Hinblick auf die Zurechnung
des eventuell zu beobachtenden Gesundheitseffekts (als Wirkung) zum AGil-Pro-
gramm (als Ursache) stellt dies jedoch ein konzeptionelles Problem dar. Zunächst sind
jedoch die noch ausstehenden Ergebnisse der AGil-Studie abzuwarten – möglicher-
weise stellt sich dann das Problem in der skizzierten Form nicht.
28 Natürlich ist es nur auf der Grundlage eines randomisierten kontrollierten Studiendesigns möglich, derartige Effekte vollständig auszuschalten bzw. zu kontrollieren. Dennoch wird man auch mit einer nicht-randomisiert gezogenen Kontrollgruppe in vielen Fällen Vorkehrungen treffen können, damit der beschriebene Effekt einigermaßen kontrolliert oder zumindest bei der Ergebnisinterpretation angemessen berücksichtigt werden kann. 29 Diesen Aspekt haben wir kürzlich in zwei Beiträgen als ein generelles methodisches Problem bei der Evaluation kleinräumiger Versorgungssysteme beschrieben (Siegel et al. 2011a und 2011b).
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
131
7 Versuch einer Zwischenbilanz der IVGK-Evaluation
Zum Abschluss wollen wir noch einmal auf die zu Beginn (in Abschnitt 2.3 und 2.4) ge-
nannten übergreifenden Fragestellungen der IVGK-Evaluation zurückkommen und
ausloten, inwieweit sich bereits beim jetzigen Stand der Evaluation Antworten andeu-
ten.
Zum jetzigen Zeitpunkt können wir noch keine verlässliche, aussagekräftige
Bilanz der Ergebnisse des AGil-Projekts ziehen. Da die methodisch aussagekräftigsten
Aspekte der Ergebnisevaluation des AGil-Programms noch ausstehen, gilt es diese
abzuwarten.
Eine recht ermutigende Bilanz ergibt sich unseres Erachtens aus den bisherigen
Ergebnissen der Prozessevaluation aus Sicht der GK-Leistungspartner (PeGL-Projekt).
Die Zufriedenheit der GK-Leistungspartner mit dem bisherigen Verlauf des IVGK-
Projekts war bei allen drei bisherigen Befragungen (2008, 2009 und 2010) insgesamt
sehr hoch (vgl. Abschnitt 5.3.5). So gaben rund 94 % der antwortenden Leistungs-
partner an, dass sie „wieder Mitglied in GK“ werden würden, wenn sie noch einmal vor
der Wahl stünden, und ebenfalls rund 94 % der Antwortenden würden „anderen die
Mitgliedschaft empfehlen“. Im Hinblick auf die Frage, ob im Zuge der Etablierung der
IVGK eine intensivere Kooperation zwischen den Vertretern verschiedener medizini-
scher Disziplinen und verschiedener Gesundheitsberufe entstehe, lässt sich eine posi-
tive Entwicklungstendenz erkennen (vgl. Abschnitt 5.3.6). Ein stetig steigender Anteil
derjenigen Leistungspartner, die bei allen drei Befragungen teilgenommen haben – und
insofern auch schon zu Beginn des Jahres 2008 Leistungspartner waren –, sieht für
sich bzw. die eigene Institution (Praxis oder sonstige Institution) Vorteile seit dem
Beginn der IVGK. Im Hinblick auf finanzielle Vorteile gilt das vor allem für die
Hausärzte, weniger für Fachärzte und die übrigen Leistungspartner (Klinikangestellte,
Physiotherapeuten, Vertreter von Pflegeheimen und Pflegediensten). Auch im Hinblick
auf verschiedene Indikatoren der Gesamtzufriedenheit gibt es Unterschiede zwischen
den drei Leistungspartnergruppen: Am zufriedensten sind die Hausärzte – deren
Zufriedenheitswerte erreichen nahezu das Optimum. Demgegenüber sind die
Fachärzte und die übrigen Leistungserbringer etwas weniger positiv gestimmt, aber
dennoch im Durchschnitt zufrieden (vgl. Abschnitt 5.3.6). Im Hinblick auf die Ent-
wicklung des Informationsaustauschs und interdisziplinärer Kooperation sehen eben-
falls die Hausärzte am häufigsten einen positiven Trend, gefolgt von den Fachärzten.
Bislang kaum Änderungen in diesem Bereich sehen die sonstigen Leistungspartner.
Ein Großteil der sonstigen Leistungspartner gehört jedoch erst seit kurzem der IVGK
an und hat bei der Drittbefragung (2010) zum ersten Mal überhaupt an einer Leistungs-
partnerbefragung teilgenommen. Es ist daher davon auszugehen, dass die in der T3-
Befragung festgestellten Unterschiede zwischen den drei Berufsgruppen schon allein
wegen der erst kurzen Zugehörigkeitsdauer vieler sonstiger Leistungspartner noch
sehr stark „im Fluss“ sind.
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
132
Eine insgesamt positive Zwischenbilanz können wir aus den bisherigen Ergebnissen
der ÜUF-Studie ziehen. Darin wird die Versorgung im Kinzigtal auf Basis von GKV-
Routinedaten evaluiert. Aus unserer Diskussion der bislang vorliegenden Ergebnisse
(vgl. Abschnitt 4.4) geht hervor, dass die auf Basis von GKV-Routinedaten bestimm-
bare Versorgungsqualität im Kinzigtal insgesamt als relativ hoch einzuschätzen ist und
im Zeitraum 2004-08 sich hinsichtlich vieler Indikatoren verbessert hat.
Eine Reihe von Phänomenen der Über-, Unter- oder Fehlversorgung scheinen
im Kinzigtal weniger ausgeprägt als im übrigen Baden-Württemberg. Im Hinblick auf
viele globale – d.h. nicht indikationsspezifische – Kennziffern und Qualitätsindikatoren
war die Versorgung im Kinzigtal bereits im Basisjahr 2004 dem übrigen Baden-Würt-
temberg überlegen (z.B. höhere Generikaquote, weniger problematische Arzneimittel-
verordnungen wie z.B. längerfristige Verordnung von Medikamenten mit hohem Abhän-
gigkeitspotential u.a.). In diesen Bereichen konnten die komparativen Vorteile des Kin-
zigtals auch in den Folgejahren weitgehend gehalten werden. Auch in Bezug auf
indikationsspezifische Kennziffern und Qualitätsindikatoren schneidet die Versorgung
im Kinzigtal alles in allem positiv ab und hat sich im betrachteten Zeitraum auch
vergleichsweise positiv entwickelt.
In Abschnitt 4.4.1 haben wir zwei verschiedene Algorithmen gebildet und erör-
tert, mit denen unseres Erachtens am zweckmäßigsten das Verhältnis zwischen „posi-
tiven Ergebnissen“, „neutralen Ergebnissen“ und „negativen Ergebnissen“ bei einzel-
nen Indikatoren zu bestimmen ist. Die Ergebniskategorisierung haben wir dabei grund-
sätzlich in komparativer Weise operationalisiert, d. h. wir haben die Ergebnisse im
Kinzigtal stets im Vergleich zum säkularen Trend kategorisiert; letzteren sahen wir in
der Versorgung der AOK- (bzw. LKK-)Versicherten im übrigen Baden-Württemberg
verwirklicht. Wie in Abschnitt 4.4.1 ausgeführt, sind für das Kinzigtal im Zeitraum 2004-
2008 deutlich mehr positive als negative Ergebnisse zu verzeichnen, und zwar un-
abhängig davon, welchen der beiden erörterten Algorithmen man letztlich anwendet.
Im einen Fall stehen 14 positiven Ergebnissen 13 neutrale und 4 negative Ergebnisse
gegenüber (Resultat 14: 13: 4). Im anderen Fall, dem ein eher konservativer Algorith-
mus zugrunde liegt, stehen 8 positiven Ergebnissen 21 neutrale und 2 negative Ergeb-
nisse gegenüber (Resultat: 8: 21: 2). Man sieht also, dass in jedem Fall die Anzahl der
positiven Ergebnisse die Anzahl der negativen Ergebnisse um den Faktor 3,5 bis 4
übersteigt. Dieses Ergebnis spricht also für eine vergleichsweise hohe und sich im
Zeitraum 2004-08 vergleichsweise erhöhende Versorgungsqualität im Kinzigtal.
Generell sollte jedoch angesichts der hier referierten Ergebnisse stets bedacht
werden, dass der bisher betrachtete Zeitraum nur fünf Jahre beträgt und deshalb die
anscheinend erkennbaren Trends noch nicht als stabil angesehen werden können.
Hierfür bedarf es noch weiterer Beobachtungsjahre.
Dieser Vorbehalt gilt besonders im Hinblick auf die übergreifende Forschungs-
frage, ob die Morbidität im Kinzigtal im Verlauf des IV-Projekts vergleichsweise re-
duziert werden kann und die Gesundheit der Versicherten im Kinzigtal und in der IVGK
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
133
sich günstiger entwickelt als im übrigen Baden-Württemberg. Zwar lässt sich erkennen,
dass in dem bisher betrachteten Zeitraum 2004-08 die administrativen Prävalenzen der
meisten untersuchten Ziel-Indikationen wie auch die Multimorbiditätsprävalenz im
Kinzigtal langsamer anstiegen als im übrigen Baden-Württemberg – was zweifellos ein
Ergebnis ist, das aus Sicht der IVGK als wichtiger Etappenerfolg angesehen werden
kann. Jedoch sollte man sich stets drei methodische Vorbehalte vor Augen führen,
bevor man Schlüsse im Hinblick auf die genannte Forschungsfrage zieht:
Zum ersten sind es – wie bereits erwähnt – bisher lediglich fünf Beobachtungs-
jahre, in denen sich ein solcher Trend zeigt. Das ist sicher ein noch zu kurzer Zeitraum,
damit ein Trend verlässlich bestimmbar ist. So ist beispielsweise bei einigen Indika-
tionen zu sehen, dass es vor allem vom Jahr 2004 zum Jahr 2005 Zäsuren bei den
ermittelten Prävalenzen gibt; es ist möglich, dass diese Zäsuren auch auf besondere
Kodier-Effekte im Jahr 2004 zurückzuführen sind (vgl. hierzu auch Abschnitt 4.4.1).
Analog dazu ist auch nicht völlig auszuschließen, dass z.B. in den GKV-Routinedaten
des Jahres 2009 – dem ersten Jahr des morbiditätsorientierten Risikostrukturaus-
gleichs – sich Kodier-Effekte zeigen werden, die unsere heutigen vorläufigen Schluss-
folgerungen als überholt erscheinen lassen könnten.
Zum zweiten sind die auf Basis von GKV-Routinedaten ermittelten Prävalenzen
stets administrative Prävalenzen; das bedeutet, dass diese nur die im Versorgungs-
system gleichsam „aktenkundig werdende“ Krankheitslast widerspiegeln. Bei manchen
Krankheiten – wie z.B. Depressionen – ist jedoch bekannt, dass sie häufig nicht er-
kannt werden und somit „unterdiagnostiziert“ und folglich unterbehandelt sind, weswe-
gen die administrativen Prävalenzen die realen Prävalenzen unzureichend widerspie-
geln. Wird dann in einer bestimmten Region (wie etwa dem Kinzigtal) ein darauf bezo-
genes Interventionsprogramm implementiert – z.B. mit der Absicht, Depressionen
besser zu diagnostizieren, um sie möglichst frühzeitig behandeln zu können –, dann ist
es denkbar, dass die administrative Prävalenz zunächst einmal ansteigt, obwohl Diag-
nostik und Behandlung effektiver werden.
Zum dritten sind Prävalenz-Kennziffern (und ihre Veränderung im Zeitverlauf)
grundsätzlich weniger aussagekräftig als es z.B. Inzidenz-Ziffern sind, die die Häufig-
keit neu auftretender Erkrankungen in einem bestimmten Zeitraum und in einer defi-
nierten Population messen. Inzidenzen und Inzidenzunterschiede zwischen Interven-
tionsregion und Vergleichsregion können jedoch zum jetzigen Zeitpunkt im ÜUF-Pro-
jekt für viele interessierende Krankheitsbilder (z.B. neu auftretende Herzinfarkte oder
Re-Infarkte; bestimmte Folgeerkrankungen bei Patienten mit Diabetes, etc.) noch nicht
verlässlich bestimmt werden. Hierfür ist es nötig, deutlich längere Zeiträume zu berück-
sichtigen, damit mehr neu auftretende Fälle als bisher beobachtet werden können.
Natürlich ist es möglich, dass die bisher beobachteten ersten Trends einer lang-
samer ansteigenden Krankheitslast im Kinzigtal gleichsam das „erste Kapitel“ in Sa-
chen erfolgreicher Prävention darstellen. Man sollte jedoch der Versuchung widerste-
EKIV-Evaluationsbericht 2011 – Langfassung
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hen, bereits zum jetzigen Zeitpunkt von einer komparativ abnehmenden Krankheitslast
und einem dadurch höheren Gesundheitsnutzen im Kinzigtal zu sprechen.
Während die Zwischenergebnisse aus dem ÜUF-Projekt und dem PeGL-Projekt
aus Sicht der IVGK unseres Erachtens bislang sehr ermutigend sind, verhält es sich
beim SDM-Projekt etwas anders. Denn das am meisten überraschende Zwischener-
gebnis im SDM-Projekt lautet: Das Ausmaß der erlebten Beteiligung von Patienten an
Therapieentscheidungen verringert sich bei den in die IVGK eingeschriebenen Patien-
ten signifikant stärker als bei den übrigen Probanden. Zwar ist das Ausmaß des „über-
mäßigen“ Rückgangs der erlebten Beteiligung bei den IV-Versicherten nicht drama-
tisch, d.h. es ist klinisch „nicht relevant“ (Härter et al. 2010: 29); dennoch ist es ein
statistisch signifikantes Ergebnis, das den Erwartungen und Forschungshypothesen
widerspricht. Obwohl die gesunkene erlebte Beteiligung bei den IV-Versicherten sich
bislang nicht auf deren Zufriedenheit mit der hausärztlichen Versorgung niederge-
schlagen hat – diese ist nämlich weiterhin auf einem etwas (statistisch aber nicht sig-
nifikant) höheren Niveau als die Zufriedenheit der Probanden aus der Kontrollregion
um Sigmaringen-Biberach –, halten wir die zurückgegangene erlebte Beteiligung der
IV-Versicherten für erklärungsbedürftig. Wie in Abschnitt 3.4.1.2 ausführlich diskutiert,
sehen wir grundsätzlich drei Möglichkeiten, dieses vorläufige Ergebnis zu erklären:
(1) Im Hinblick auf ein analoges Studienergebnis aus der Schweiz (vgl. Abschnitt
3.4.1.2) ist prinzipiell folgendes Erklärungsmuster denkbar: Da Netzwerkpraxen in der
Regel stärker als Einzelpraxen auf Basis strukturierter und evtl. sektorenübergreifender
Behandlungspfade arbeiten, erscheinen den Patienten von Netzwerkpraxen die mögli-
chen Behandlungsoptionen in stärkerem Ausmaß vorgegeben als den Patienten von
Einzelpraxen. In Einzelpraxen können die Behandlungsoptionen deshalb in größerem
Ausmaß als „selbstständig bestimmt“ und „aushandelbar“ erscheinen, da dort die Arzt-
Patient-Dyade in geringerem Ausmaß in ein übergreifendes (Behandlungs-)Netz einge-
bunden ist als in Netzwerkpraxen mit ihrer Vielzahl an strukturierten Behandlungs-
programmen. Dieses Erklärungsmuster impliziert, dass in der zurückgehenden „erleb-
ten Beteiligung“, die bei den IV-Versicherten im Kinzigtal gemessen wurde, eine
objektiv sinkende Patientenbeteiligung ihren angemessenen Niederschlag gefunden
hat.
(2) Im Gegensatz zur zuletzt genannten Annahme kann man aber auch davon
ausgehen, dass in den Wahrnehmungen und Situationseinschätzungen der IV-Pro-
banden sich nicht nur eine (möglicherweise) objektiv verringerte Patientenbeteiligung
widerspiegelt, sondern dass sich in der zurückgehenden erlebten Beteiligung zu-
mindest auch ein Erwartungseffekt ausgewirkt hat: Die umfangreichen Eingangs-
untersuchungen, Befragungen und Therapiezielvereinbarungen, die bei den IV-Versi-
cherten unmittelbar nach deren Eintritt in die IVGK stattfanden, waren zweifellos geeig-
net, bei den IV-Versicherten anfangs besonders hohe Erwartungen an die IVGK (in
punkto Patientenbeteiligung und Versorgungsqualität) zu wecken – Erwartungen, die
im Behandlungsalltag der folgenden Monate und Jahre vermutlich so nicht eingelöst
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werden konnten. Die folgende „Ernüchterung“ führte dann folgerichtig – so kann man
annehmen – bei den IV-Versicherten zu einer etwas kritischeren Sichtweise des
ärztlichen Beteiligungsverhaltens. Mit der Annahme eines solchen Ernüchterungs-
effekts könnte jedenfalls plausibel erklärt werden, warum die erlebte Beteiligung unter
den IV-Versicherten von einem überdurchschnittlichen Niveau aus startete (T0-Befra-
gung), aber seit der T1-Befragung sich auf einem unterdurchschnittlichen Niveau be-
fand, was sich aber erst bei der T2-Befragung in einem statistisch signifikanten Effekt
auswirkte (vgl. Abschnitt 3.3.5.3). Den gerade beschriebenen Erwartungseffekt zu
unterstellen, erfordert nicht unbedingt, eine objektiv sinkende Patientenbeteiligung –
worauf das Erklärungsmuster (1) fokussiert – zu negieren. Denn man kann unter-
stellen, dass beide Effekte wirksam waren, d.h. dass sowohl die Patientenbeteiligung in
der IVGK objektiv zurückging als auch der beschriebene Ernüchterungseffekt auftrat.
Unmöglich ist es jedoch, die relative Größe der beiden Effekte mit Verweis auf
empirische Daten zu bestimmen, da die im SDM-Projekt eingesetzten Messinstru-
mente etwaige „objektive“ Effekte nicht separat von den Wahrnehmungen und Erwar-
tungen der Patienten messen, sondern stets nur „Gesamteffekte“ – d.h. die objektive
Realität so, wie sie durch den befragten Probanden wahrgenommen wird.
(3) Wenn man grundsätzlich unterstellt, dass auch ein Erwartungseffekt der oben
beschriebenen Art stattgefunden hat und man aber beide Effekte – nämlich den
„Ernüchterungseffekt“ und den Effekt einer objektiv veränderten Beteiligungsrealität –
nicht quantifizieren kann, dann ergibt sich theoretisch noch ein drittes mögliches Erklä-
rungsmuster: Man könnte unterstellen, dass sich die Patientenbeteiligung in der IVGK
objektiv sogar etwas erhöht hat, da ja entsprechende Fortbildungsveranstaltungen für
die Ärzte sowie die mit Patienten abgeschlossenen Zielvereinbarungen auch eine –
wenn auch geringe – beteiligungsfördernde Wirkung hinterlassen haben müssten. Ver-
träte man ein solches Argument, dann müsste man dennoch anerkennen, dass der
mutmaßliche Anstieg der „objektiven“ Patientenbeteiligung letztendlich so gering war,
dass er von dem beschriebenen Ernüchterungseffekt dominiert, d.h. überkompensiert
wurde, denn der Gesamteffekt steht ja zweifelsfrei fest: Die von den Patienten wahrge-
nommene Patientenbeteiligung ging in der IVGK signifikant stärker zurück als in den
Kontrollgruppen.
Wir verfügen nicht über empirische Daten, die uns verlässliche Hinweise darauf
geben könnten, welche der drei Erklärungsmöglichkeiten die Realität am besten trifft.
Wir haben jedoch in Abschnitt 3.4.1.2 begründet, dass uns das dort ausgeführte zweite
Erklärungsmuster am plausibelsten erscheint, und zwar auch angesichts – eher er-
nüchternder – neuester Literatur-Reviews zu der Frage, welche Arten von SDM-Inter-
ventionen zu einer objektiv größeren Patientenbeteiligung an Therapieentscheidungen
führen. Mit anderen Worten: Die Ergebnisse neuester Literatur-Reviews machen es
eher unwahrscheinlich, dass Erklärungsmuster (3) zutrifft. Wie dem auch sei: Bisher
müssen wir jedenfalls die anfangs (vgl. Abschnitt 2.4) gestellte Forschungsfrage ver-
neinen, ob ein Versorgungssystem wie die IVGK zu einer aus Patientensicht stärkeren
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Patientenbeteiligung an Therapieentscheidungen führt. Ungeachtet dieses Teilergeb-
nisses ist die Zufriedenheit der IVGK-Patienten mit der hausärztlichen Versorgung ins-
gesamt weiterhin sehr hoch, und sie wird auch von den Zufriedenheitswerten der
Kontrollgruppen nicht übertroffen.
Angesichts der viel versprechenden Ergebnisse aus den anderen Evaluations-
studien (PeGL-Projekt und vor allem ÜUF-Projekt) erscheint die eher „gemischte“ Zwi-
schenbilanz des SDM-Projekts aus Sicht der IVGK gut verkraftbar. Wichtiger aber als
die Frage, ob am Ende der IVGK-Evaluation auch Ergebnisse stehen, die den optimi-
stischen Erwartungen entsprechen, ist aus Sicht der wissenschaftlichen Begleitung fol-
gende Feststellung: Die Evaluation der IVGK ist insgesamt auf einem guten Weg,
brauchbare Antworten auf gestaltungsrelevante und zukunftsweisende Forschungs-
fragen hervorzubringen.
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