Kinder und Jugendliche schützen – Seelsorge verbessern
Schulung für pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen der DekanatskonferenzDekanat Allgäu-Oberschwaben, Wangen, 22. Januar 2014
Sabine Hesse, Diplom-Theologin, Diplom-PädagoginStabsstelle Prävention, Kinder-
und Jugendschutz der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Ursula Mähne, Diplom-Psychologin-
Brennessel e.V., Hilfe gegen sexuellen Missbrauch, Ravensburg
„Die Stabsstelle nimmt sich der Prävention von sexualisierter Gewalt an und tritt in Kirche und
Gesellschaft hinein offensiv auf. Sie vertritt im diözesanen Auftrag die kirchliche Sorge, dass
Kinder, Jugendliche und erwachsene Schutzbefohlene besser und effektiver vor sexualisierter Gewalt bewahrt
werden und ihre Menschenwürde geschützt wird.“
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne ...
Herzlichen Glückwunsch, Sie sind die Ersten!
Information und Sensibilisierung über sexualisierte Gewalt für alle pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diözese Rottenburg-
Stuttgart
Bitte um differenzierte Rückmeldungen am Ende, zur Verbesserung der Schulungen für Ihre Kolleginnen und Kollegen
Unser Programm für heuteTeil A: Sexualisierte GewaltI.Warum Prävention gegen sexualisierte Gewalt?II.Worum geht es? Begriffe und FaktenIII.Täter-Opfer-Institutionen-DynamikIV.Kindeswohlgefährdung
Teil B: Was tun?I.Was schon getan wird in Landkreis und DiözeseII.Kommission sexueller Missbrauch und Stabsstelle PräventionIII.Auf dem Weg zu einer „Kultur der Achtsamkeit und Verantwortung“IV.Was können Sie tun?
I. Warum Prävention?
Pastoral nach 2010 …„Ich traue mich gar nicht mehr, ein Kind anzufassen, auch wenn es
weint.“„Ich mache einen Bogen um jeden Spielplatz.“
„Wenn ich mit einem Kind allein im Auto wäre, sage ich die Fahrt lieber ab.“
Dem „Generalverdacht“ gegen die katholische Kirche wollen wir durch proaktiven Kinderschutz begegnen. Damit distanzieren wir uns eindeutig von sexualisierter Gewalt.
Sexueller Kindesmissbrauch in Deutschland 2013. Keine Entwarnung. Kein Schlussstrich.
„Immer wieder ist nach Aufdeckung von Missbrauchsfällen zu lesen und zu hören, dass gerade diesem Täter, dieser Täterin „so etwas“ überhaupt nicht zugetraut wurde und eine besondere Kinderfreundlichkeit und große Hilfsbereitschaft bei dieser Person immer im Vordergrund gestanden hätten. …
Es wird darauf ankommen, das Spezifische der Missbrauchstat, nämlich die Manipulation von Wahrnehmung, gesamtgesellschaftlich zu vermitteln, um ihr den Boden zu entziehen.“
(Bilanzbericht 2013 des UBSKM, S.7)
Warum Prävention in der Kirche?„Was ihr dem Geringsten meiner Brüder und Schwestern tut, das habt
ihr mir getan.“ (Mt 25)
„Ich sehe ganz klar, dass das, was die Kirche heute braucht, die Fähigkeit ist, die Wunden zu heilen und die Herzen der Menschen zu wärmen – Nähe und Verbundenheit.“
(Papst Franziskus, Interview mit Stimmen der Zeit 2013)
Prävention von sexualisierter Gewalt an allen Orten - generell Kinderschutz - gehört zum diakonischen Auftrag der Kirche.
Gute Prävention braucht den Blick in Vergangenheit und Gegenwart (Ziele)•
Verhinderung sexueller Übergriffe in der Zukunft
•
verantwortungsvolles Eingreifen in akuten Fällen
•
sachgerechter Umgang mit Betroffenen zur Heilung bzw. Minderung von Folgeschäden
•
Analyse der Umstände, die den sexuellen Missbrauch begünstigt haben und deren Verbesserung (nachhaltige Aufarbeitung)
II. Worum geht es? Begriffe und Fakten
Ein paar Situationen zur Einstimmung: Ist das sexueller Missbrauch?
Bitte antworten Sie spontan!
Klares Ja!Eher Ja
Ich weiß
nicht ...Eher nein
Klares Nein!
Begriffsklärung Sexualisierte Gewalt (1)
Grenzverletzung …
kann unabsichtlich sein.
↔ Sexueller Übergriff/ Belästigung: gezielt und geplant
↔ Sexueller Missbrauch/ Ausbeutung/ strafrechtlich relevante Gewalthandlung
Begriffsklärung Sexualisierte Gewalt (2)
Sexuelle Misshandlungen sind sexuelle Handlungen vor oder an Minderjährigen (= „Hands off“
und „Hands on“),
-
die gegen deren Willen vorgenommen werden oder-
denen das Kind aufgrund seiner Unterlegenheit im körperlichen,
psychischen, kognitiven oder sprachlichen Bereich nicht bewusst zustimmen kann.
Der Täter oder die Täterin nutzt die eigene Überlegenheit oder seine/ ihre Macht-
und Autoritätsposition aus,
um eigene Bedürfnisse zu befriedigen.
Sexualisierte Gewalt: StatistikKriminalstatistik (Hellfeld): Im Jahr 2012 wurden 12.623 Fälle verzeichnet.
Eine repräsentative Umfrage unter 14-
bis 90-Jährigen (Häuser et. al. 2011) zeigt: Mehr als jede Zehnte beziehungsweise jeder Zehnte hat in ihrer beziehungsweise seiner Kindheit und Jugend sexuellen Missbrauch erlebt.
Andere Studien (Wetzels 1997, Bieneck et al. 2011) mit Befragten unterschiedlichen Alters (16-
bis 59-Jährige beziehungsweise 16-
bis 39-
Jährige) gehen von Häufigkeiten zwischen sechs und 16 Prozent aus.
Wir können also damit rechnen, dass durchschnittlich jedes 10. Gemeindemitglied in seinem Leben sexualisierte Gewalt erfahren hat. Diese Zahl steigt mit der Hilfebedürftigkeit (z.B. bei Behinderung).
Sexualisierte Gewalt: Statistik
Zahlen aus den USA:
Unter den Priestern gibt es ca. 4% angezeigte Missbrauchstäter.Und 8% Missbrauchsopfer.
40% der Ordensschwestern sind Missbrauchsopfer.
(Quelle: Msgr. Rossetti, Vortrag München 08.11.2013)
Täter und Täterinnen von sexualisierter Gewalt
Sexualisierte Gewalt gibt es in jeder sozialen Schicht, unabhängig von kultureller Herkunft oder Bildungsstand.
80-90% der Täter sind Männer, 10-20% Frauen.
(Kommission Sexueller Missbrauch der Diözese Rottenburg-Stuttgart:102 Beschuldigte für den Zeitraum 1945-2012,
davon 47 inkardinierte und 23 nicht inkardinierte Priester sowie ca. 13 Ordensfrauen.)
Manche Täter und Täterinnen sind für eine relativ große Zahl an Delikten verantwortlich
(Bsp.: USA
DBK-Hotline Jesuiten-Bericht) Rossetti
St. Luke Institute, USA: 91 Priester
Folgen von sexuellen Gewalterfahrungen für die Opfer
Körperliche Verletzungen und Beeinträchtigungen im Sexualleben, psychosomatische Beschwerden
Seelische Probleme: Beeinträchtigung der Selbstwahrnehmung und Selbstachtung, Ängste, Depressionen, selbstverletzendes Verhalten, Aggressivität und Delinquenz, Beziehungsstörungen
Durch die Verbindung mit Sexualität ist die Scham über die Erniedrigung noch größer als bei anderen Formen der Misshandlung, so dass die Opfer nur mit enormer Kraft und/ oder nach langer Zeit in der Lage sind, darüber zu sprechen.
Folgen von sexuellen Gewalterfahrungen für die Opfer (Zitat einer heute 45Jährigen, die als Jugendliche vom Kaplan in eine Beziehung gezogen wurde)
„Ab diesem Erlebnis hatte ich Konzentrationsschwierigkeiten in der Schule; ich flüchtete vor der Wirklichkeit.
Bis vor kurzer Zeit hatte ich so starke Schuldgefühle, dass ich die Schuld des Priesters nicht sehen konnte. Ich schämte mich sehr und meinte, dass ich Strafe verdient hätte, als ob ich ihn in Versuchung geführt hätte.
Er stellte mich auf die gleiche Ebene wie meine Eltern und behandelte mich, als ob ich eine Erwachsene wäre. Seitdem weiß ich nicht zu unterscheiden zwischen meinem Rang und Platz und zwischen dem Rang und Platz anderer Personen, die über mir stehen.
Ich hatte große Angst, wieder von jemand geliebt zu werden; ein großer Widerstand war in mir.Nervlich bin ich sehr empfindlich; die Schilddrüse funktioniert seit dieser Zeit nicht normal.
Die Frage ist in mir, ob ich noch jemandem vertrauen kann, der mir Gutes will. Wird er mein Vertrauen nicht missbrauchen? Wie kann ich erkennen, dass der andere ehrlich und zuverlässig ist?
Andererseits vertraue ich anderen oft wie ein kleines Kind, wenn ich jemand als stark empfinde; ich habe keine Distanz. ...“
III. Täter - Opfer - Institutionen- Dynamik bei sexualisierter Gewalt
Die Täter – alle pädophil?Es lässt sich kein Merkmal nachweisen, anhand dessen man
Täterinnen und Täter vorab hätte identifizieren können. (Man kann jedoch ihr Verhalten z.T. beobachten.)
Es sind i.d.R. auch keine diagnostizierbar „Pädophilen“. (Leygraf-Studie 2012: 68 von 78 untersuchten Tätern hatten keine psychiatrische Diagnose.)
Pädophilie ist ein psychosexuelles Problem.
Erwachsene Menschen, die kindliche oder jugendliche Sexual“partner“
suchen, haben ein psychosoziales Problem.
Sexueller Missbrauch ist eine Beziehungstat.
Täter und Täterinnen kommen meistens aus dem sozialen Nahraum der Kinder/ Jugendlichen,
also (Groß-)Familie, Schule, Vereine, Kirchengemeinde ...
Besonders gefährdet sind vulnerable, akut oder dauerhaft belastete Kinder und Jugendliche.
Sexueller Missbrauch ist eine Beziehungstat.
Missbrauchstäter und –
täterinnen sind Menschen (z.B. Seelsorger oder BetreuerInnen), die gezielt vorgehen:
Sie erwerben das Vertrauen von Kindern, Jugendlichen (und ihren Eltern!) und missbrauchen es dann für ihre eigenen Bedürfnisse.
Damit gefährden sie die Basis kirchlicher Arbeit: das Vertrauen zwischen Menschen und zu Gott.
Durch das Verbrechen im Raum der Kirche wurde den Opfern häufig der Zugang zu Religion und Glauben als Ressource für ihr Leben zerstört.
Sexueller Missbrauch ist eine Beziehungstat.Verantwortung pastoraler MitarbeiterInnen,
insbesondere der Gemeindeleitung:
Gestaltung der institutionellen Bedingungen und der Beziehungen in der Gemeinde so, dass sexualisierte Gewalt im Raum der Kirche erschwert wird
Unterstützung für betroffene Menschen
1. Täterstrategien (vgl. Ursula Enders, 2012, S. 63ff)
Entscheidung für eine ehrenamtliche Tätigkeit oder einen BerufWahl des ArbeitsplatzesGezielte Suche verletzlicher KinderGelegenheiten schaffenWahrnehmungen der Kolleginnen und Kollegen vernebelnErste „zufällige“ sexuelle Grenzverletzungen (Testrituale)Wahrnehmung der Opfer vernebelnOpfer verführen und Widerstand brechenSchweigen der Opfer sichernDie eigenen Verbrechen vertuschen (– auch vor sich selbst!)
Täterstrategien: Spezifisch kirchliche Rechtfertigungsmuster
Falsche moralische Autorität: „Wenn ich als Pfarrer dir sage, dass du das tun sollst, dann kannst du sicher sein,
dass es nicht verboten ist.“„Wenn du darüber sprichst, ist das eine Sünde!“
Sexualisierung von Riten => Senkung der Abwehrmechanismen:„Der Pater war mit meinen Eltern befreundet. Wenn er abends kam, wollte er noch mit
uns beten, wenn wir ins Bett gingen. Dabei berührte er mich unter der Bettdecke überall, auch in der Scheide.“
Spiritualität als Mittel der Verschleierung: „Wir sind jetzt in der Liebe Christi verbunden.“
„Du bist eine auserwählte Braut Christi.“
(vgl. Zimmer u.a.,2014, S. 136ff
„Red Flags“ – Typische Verhaltensweisen von Sexualtätern•
Wenige erwachsene Freunde, Mangel an gleichaltrigen Beziehungen
•
Kindische Interessen und Verhalten•
Verbringt auffällig viel Zeit mit Kindern, unternimmt Ferien und
Ausflüge mit Kindern•
Kinder in seinem persönlichen Wohnumfeld
•
Macht Kindern großzügige Geschenke•
Körperliche Grenzverletzungen bei Kindern (z.B. Raufereien)
•
“King of the kids,”
or “pied piper”
•
Persönliche Missbrauchsgeschichte•
Außergewöhnlich passive, unsichere Persönlichkeit
(nach Msgr. Stephen Rossetti, Vortrag München 08.11.2013)
2. Dynamik beim OpferAbhängigkeit (äußerlich und emotional)SchamSchuldgefühleAngstEinsamkeitWunsch, dass der Missbrauch aufhört!
RisikofaktorenSchutzfaktoren
3. Dynamik in der Institution
Das Risiko, zum Tatort zu werden, ist bei Einrichtungen mit
… klaren Strukturen:
gering
... diffusen Strukturen :
mittel
… autoritären Strukturen :
hoch
… verwahrlosten Strukturen :
hoch.
(vgl. Ursula Enders, 2012)
3. Dynamik in der Institution
Beispiele aus dem kirchlichen Kontext
Andreas Zimmer / Dorothee Lappehsen-Lengler / Maria Weber / Kai Götzinger
Sexueller Kindesmissbrauch in kirchlichen Institutionen - Zeugnisse, Hinweise, Prävention
Ergebnisse der Auswertung der Hotline der Deutschen Bischofskonferenz für Opfer sexueller
Gewalt
Reihe: Studien und Praxishilfe zum Kinderschutz, hrsg. von J. M. Fegert und U. Ziegenhain 2014, 252 S.
Broschiert €
24,95ISBN 978-3-7799-2267-4
Das Buch dokumentiert Ergebnisse und Erkenntnisse aus den zahlreichen Gesprächen mit Betroffenen. Es
dokumentiert aber auch die Erfolgsgeschichte der weltweit ersten katholischen Hotline.
Exkurs: Tatort Heim: Ausgeliefertsein, alltägliche Gewalt, Fehlen von Kontrolle, TäterkooperationKontext: „schwarze Pädagogik“
Besonderheit: Vielfach mehrere Beschuldigte Ca. 40% weibl. Beschuldigte, 74% männl. OpferTeilweise sofortige totale Verfügung über das Kind bzw. den Jugendlichen durch die Heimsituation
Annäherung:nachts im Schlafraum oder in „Arrestzellen“, bei Strafarbeiten im Keller, in Ausbildungswerkstätten und Ferienfreizeiten
„Vergünstigungen“: Vorteile innerhalb des Heims
(vgl. Zimmer u.a.,2014, S. 218ff
Exkurs: Tatort Internat: Elitenbildung –
Leistungsdruck -
Ersatzfamilie
•
Annäherung überUnterricht, Rahmenprogramm des Internats,Aufklärungsgespräche oder seelsorgliche Gespräche,„Hilfsangebot“
bei schulischem Druck,Angebot zu Unterstützung in familiärer Krise (z.B. Tod eines Elternteils).
•
„Vergünstigungen“: Vorabinformation zu Prüfungen, Sonderstellung.
•
Tatort des Missbrauchs z. B. Privaträume des Täters, sanitäre Einrichtungen, Schwimmbad, Sporthallen, Schlafbereich.
(vgl. Zimmer u.a.,2014, S. 170ff
Exkurs: Tatort Pfarrei: Individuelle Entwicklungskrisen, Familienkonflikte, Autoritätsstrukturen
Kontext: oft Katechese und Jugendarbeit
•
Annäherung über •
Beichte als Start (vor allem 50er und 60er Jahre)
•
Erstkommunion, Messdiener, Jugendarbeit (Ferienlager),•
bei seelischer Notlage.
•
„Vergünstigungen“: Sonderstellung, angesehene Aufgaben, Mitnahme zu Urlaub, Alkohol & Zigaretten.
•
Diverse Tatorte des Missbrauchs (z. B. Pfarrwohnung, Sakristei, Kirche, Jugendheim, Ferienlager)
•
Besonderheit: große Bandbreite miteinander kombinierter Settings.
(vgl. Zimmer u.a.,2014, S. 196ff)
Dynamik in der Institution (z.B. Gemeinde) bei Aufdeckung eines sexuellen Missbrauchs
Institutioneller Schockzustand und Traumatisierung
Verdrängung und Aggression gegen das Opfer
Im Sog der Gruppe
Spaltung der Gruppe
Die Leitung ist gefordert, Position zu beziehen!
IV. KindeswohlgefährdungIm juristischen Sprachgebrauch ist das Kindeswohl dann gefährdet, wenn
gegenwärtig oder unmittelbar bevorstehend
eine Gefahr für die Kindesentwicklung besteht,
die bei ihrer Fortdauer
eine erhebliche Schädigung
des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes
mit ziemlicher Sicherheit
voraussehen lässt.
In diesem Fall kann das Sorgerecht ganz oder teilweise entzogen werden.
Formen von KindeswohlgefährdungVernachlässigung (66%)Körperliche Misshandlung (24%)Seelische Misshandlung (26%)Sexueller Missbrauch (5%)
Außerdem: Miterleben von Gewalt zwischen den Eltern
(Zahlen: Statistisches Bundesamt, 2012, Mehrfachnennungen möglich)
KindeswohlgefährdungHilfreich:
Unterscheidung zwischen schlechter Erziehung/ schlechten Voraussetzungen für das Aufwachsen und Kindeswohlgefährdung.
Auch hier ist mit hoher Emotionalität auf allen Seiten zu rechnen.
„Cool bleiben!“
Exkurs: SGB VIII Kinder-
und Jugendhilfegesetz § 8a Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
(1) Was passiert im Jugendamt bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung?Gefährdungs-
und Ressourceneinschätzung im Zusammenwirken mehrerer
FachkräfteEinbeziehung der Sorgeberechtigten und der Kinder –
sofern das Wohl des
Kindes dadurch nicht gefährdet istauf Hilfen hinwirken
(2) Fachkräfte in Kitas und anderen Einrichtungen der Jugendhilfe müssen zunächst intern ebenso vorgehen, bevor sie das Jugendamt informieren.(3) ggfs. Einschaltung des Familiengerichts oder Inobhutnahme
Exkurs: SGB VIII Kinder-
und Jugendhilfegesetz § 8b Fachliche Beratung und Begleitung zum Schutz von Kindern
und Jugendlichen
Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft für alle
Personen, die beruflich in Kontakt mit
Kindern oder Jugendlichen stehen
Für Träger: Anspruch auf Fachberatung zur Entwicklung von Leitlinien zur Sicherung des Kindeswohls und zu Verfahren der Beteiligung
Exkurs: SGB VIII Kinder-
und Jugendhilfegesetz § 72a Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen
(1)
Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe dürfen für die Wahrnehmung der Aufgaben in der Kinder-
und Jugendhilfe keine Person beschäftigen oder
vermitteln, die rechtskräftig wegen einer Straftat nach den §§
171, 174 bis 174c, 176 bis 180a, 181a, 182 bis 184f, 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 des Strafgesetzbuchs verurteilt worden ist.
Zu diesem Zweck sollen sie sich bei der Einstellung oder Vermittlung und in regelmäßigen Abständen von den betroffenen Personen ein Führungszeugnis nach §
30 Absatz 5 und §
30a Absatz 1 des
Bundeszentralregistergesetzes vorlegen lassen. (= Erweitertes Führungszeugnis)
(2) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen durch Vereinbarungen mit den Trägern der freien Jugendhilfe sicherstellen, dass diese keine Person, die wegen einer Straftat nach Absatz 1 Satz 1 rechtskräftig verurteilt worden ist, beschäftigen.
Exkurs: Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) vom 01.01.2012
Rahmenbedingungen für verbindliche Netzwerkstrukturen im Kinderschutz
Beratung und Übermittlung von Informationen durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung:
-
Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft-
Bei Notwendigkeit ist es auch Geheimnisträgern erlaubt, das
Jugendamt zu informieren.
TEIL B:Was tun?!
I. Was schon getan wird -
im Landkreis Ravensburg
-
in der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Umgang mit KindeswohlgefährdungFür einen verbesserten staatlichen und gesellschaftlichen Umgang mit
Kindeswohlgefährdung wurden seit ca. 2005 viele Maßnahmen ergriffen und neue Handlungsabläufe verabredet.
Kindeswohl als oberstes Leitprinzip
Jugendamt als Unterstützer und Partner für Familien und Kinder
Einschätzung der Gefährdung gemeinsam mit Fachkräften
Kinderschutz = Netzwerkarbeit
In diesem Netzwerk spielen die Kirchen vor Ort eine wichtige Rolle!
Kinderschutz im Landkreis Ravensburg
Handreichung zum Umgang mit vermuteter oder tatsächlicher
Kindeswohlgefährdung
Ein Handlungsleitfaden für Lehrer, Ärzte, Hebammen, Polizei, Beratungsstellen, Erzieher
und Ehrenamtliche.
Hier:Schaubild zum Verfahrensablauf für
Fachkräfte außerhalb der Jugendhilfe
Was in der DRS schon getan wird
Beratungsstellen für Eltern, Kinder und Jugendliche
LV Kita: Leitfaden zum Umgang mit sexuellem Missbrauch
BDKJ: Schulungen, Ehrenerklärung, Hotline …
Caritas: Entwicklung eines Kinderschutzkonzepts (Projekt), Hotline, Schulungen zu Leitlinien …
Stiftung Katholische Freie Schule: Kommission Sexueller Missbrauch , Ehrenerklärung, Richtlinien ...
Einholung aller erweiterten Führungszeugnisse (außer Pensionäre)
Das erweiterte Führungszeugnis
… erfasst rechtskräftige Verurteilungen von bestimmten Straftaten v.a. gegen die sexuelle Selbstbestimmung
Eine Vorlagepflicht dient dazu, einschlägig verurteilte Straftäter von Tätigkeiten innerhalb der eigenen Einrichtung auszuschließen.
Nicht mehr und nicht weniger.
Ein erweitertes Führungszeugnis---
muss –
laut Bischöfl. Gesetz von 2010 -
von allen haupt-
und
nebenberuflich Beschäftigten
in der Kinder-
und Jugendarbeit der DRS vorgelegt werden.
---
Für Ehrenamtliche
gilt bislang nur eine Pflicht zur Schulung und die Abgabe einer Ehrenerklärung. In Zukunft müssen auch Ehrenamtliche je nach Art, Intensität und Dauer ihres Einsatzes ein Führungszeugnis vorlegen.
---
Die dazu nötige Novellierung des Bischöfl. Gesetzes entspr. §72a SGB VIII (Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen) ist noch nicht abgeschlossen.
Was in der DRS schon getan wird
Diözesaner Beschwerdeweg seit 2002:Kommission sexueller Missbrauch (KsM)
Aufgabe: „alle ihr vorgetragenen oder zur Kenntnis gelangenden Vorfälle sexuellen Missbrauchs (durch Geistliche oder Laien im Dienst der Diözese) sorgfältig ermitteln und Empfehlungen für den Bischof zu erarbeiten“
Mitglieder der KsM (Stand 21.01.2014)
Vorsitzende/r
Leiter der Hauptabteilung Pastorales Personal
Leiter der Hauptabteilung Personal
Juristin des Bischöflichen Ordinariats
Kirchenrechtler der Uni Tübingen, Theol. Fak.
Vom Diözesanrat benannte Person
Vom Diözesan-Priesterrat benannte Person
psychiatrischer Sachverständiger
z. Zt. vakant
Domkapitular Msgr. Paul Hildebrand
Ltd. Dir. i. K. Hermann-Josef Drexl
Dr. iur. Tanja Johner-Camaj
Prof. Dr. Bernhard Sven Anuth, Tübingen
Gabriele Derlig, Reutlingen
Msgr. Herbert Schmucker, Stuttgart
Dr. Christoph Funk, Biberach/Gammertingen
Beratende Mitglieder der KsM
Daniel Noa, Oberstaatsanwalt, Ludwigsburg
Sabine Hesse, Geschäftsführerin und Präventionsbeauftragte
Mit der kirchenrechtlichen Voruntersuchung beauftragte Berichterstatter
Seit 2002: Dr. iur.can. Norbert Reuhs, Offizialatsoberrat
Seit 2011 zusätzlich: Mechthild Berchtold, Referentin im Bischöfl. Ordinariat für die PastoralreferentInnen
www.praevention-erzbistum-hamburg.de
Gesetzliche Zusammenhänge
in der Präventionsarbeit
(Beispiel Hamburg)
Was in der DRS schon getan wird
Stabsstelle Prävention, Kinder-
und Jugendschutz im Bischöflichen Ordinariat
Seit 01.Dezember 2012-
1 Referentin (Sabine Hesse), 1 Sekretärin (Kerstin Keller) (50%)
-
Im Alltag an HA V (Past. Personal)/ DK Hildebrand angebunden
Aufgaben und Ziele der Stabsstelle Prävention, Kinder- und Jugendschutz
Diözesane Koordinationsstelle zur Unterstützung, Vernetzung und Steuerung der diözesanen Aktivitäten–
Fachberatung
–
Vermittlung–
Vernetzung
–
Information–
Evaluation und Weiterentwicklung
–
Öffentlichkeitsarbeit
Aufgaben und Ziele der Stabsstelle Prävention, Kinder- und Jugendschutz
Kooperation mit wichtigen Akteuren–
BO-intern (versch. Hauptabteilungen)
–
Diözesen -
intern (eigenständige Träger: DiCV, BDKJ, Schulstiftung, DJK, Ordensfrauen)
–
Landesweit: Erzdiözese Freiburg, ELK, freie Träger u.a.
–
Bundesweit: Treffen aller diözesanen Präventionsbeauftragten
Aufgaben und Ziele der Stabsstelle Prävention, Kinder- und Jugendschutz
Erstellung eines Fortbildungskonzepts für MitarbeiterInnen in der Pastoral
(in die Breite und die Tiefe)
Mittelfristig: Aufbau eines Netzwerks von Vertrauenspersonen „vor Ort“
Aufgaben und Ziele der Stabsstelle Prävention, Kinder- und JugendschutzVorbereitung einer diözesanen Präventionsordnung(Basis: Überarbeitete Rahmenordnung der DBK vom 26.08.2013)
„Im Geiste des Evangeliums will die katholische Kirche allen Kindern und Jugendlichen sowie erwachsenen Schutzbefohlenen einen sicheren Lern- und Lebensraum bieten. In diesem wird ihre menschliche und geistliche Entwicklung gefördert sowie ihre Würde und Integrität geachtet. …
Ziel von Prävention in Diözesen, Ordensgemeinschaften, kirchlichen Institutionen und Verbänden ist es, eine neue Kultur des achtsamen Miteinanders zu entwickeln.“
Auf dem Weg zu einer „Kultur der Achtsamkeit und Verantwortung“Kultur = neue Selbstverständlichkeiten einüben
Regeln etablieren, die erwünschtes Verhalten beschreiben, und diese öffentlich bekannt machen
Täterstrategien außer Kraft setzen und Schutzsysteme stärken = Kinder und Jugendliche stärken
= Als Erwachsene pädagogische Verantwortung übernehmen = erfordert Konfliktbereitschaft (Personalentwicklung und
Elternbildung)
Beispiel „Verhaltenskodex“ aus dem Bistum Hildesheim (Instruktion des Generalvikars)„... Gespräche, Beziehung, körperlicher Kontakt•
Einzelgespräche finden nur in den dafür vom jeweiligen Rechtsträger vorgesehenen geeigneten Räumlichkeiten statt.
•
Herausgehobene, intensive freundschaftliche Beziehungen zwischen Bezugspersonen und Minderjährigen sind zu unterlassen.
•
Finanzielle Zuwendungen und Geschenke an einzelne Minderjährige, die in keinem Zusammenhang mit der konkreten Aufgabe der Bezugsperson stehen, sind nicht erlaubt.
•
Unerwünschte Berührungen, körperliche Annäherung in Verbindung mit dem Versprechen von Belohnungen und/oder der Androhung von Repressalien sowie anderes aufdringliches Verhalten sind zu vermeiden. Körperliche Berührungen haben altersgerecht und angemessen zu sein und setzen die freie und erklärte Zustimmung durch die jeweilige Schutzperson voraus. Der Wille der Schutzperson ist ausnahmslos zu respektieren. Stete Achtsamkeit und Zurückhaltung sind geboten. ...“
Auf dem Weg zu einer „Kultur der Achtsamkeit und Verantwortung“
Partizipation stärken = Beteiligung der Betroffenen bei der Aushandlung von Regeln
= Sprachfähigkeit über Intimität und Sexualität fördern = Überhöhtes Priesterbild und nicht hilfreiche Hierarchien abbauen
(entsprechend Vaticanum II)
Neue Räume für Betroffene/ Opfer öffnen: Schablonen vermeiden, sich individuell auf die Einzelnen einlassen
Warmherzige Aufmerksamkeit, ihre Anliegen verstehen wollen Spirituelle Angebote
Seelsorge im besten Sinne verwirklichen!
Auf dem Weg zu einer „Kultur der Achtsamkeit und Verantwortung“
Im Umgang mit Opfern von sexuellem Missbrauch:
Leiden, Ekel, Angst aushaltenMit Aggression und Wut der Opfer professionell umgehen: die dahinter liegende Not sehen, sich nicht persönlich angegriffen fühlen, dennoch dafür sorgen, dass man respektvoll behandelt wird –
und selbst
weiterhin respektvoll bleiben Notwendig dafür: selbstverständliche Kultur der Psychohygiene, Supervision
Personen mit Leitungsverantwortung: „Die eindeutige Parteinahme für die Opfer ist ein ganz entscheidender Faktor für eine Verarbeitung des Leids.“
(Zimmer u.a. 2014, S. 242)
Was können Sie tun, wenn Sie meinen, dass ein sexueller Missbrauch geschieht?Ruhe bewahren!!!Beobachtungen aufschreibenSich mit Fachkräften (z.B. „Brennessel“) über die Beobachtungen
austauschen und beraten lassen
Das sollten Sie auf keinen Fall tun:Den mutmaßlichen Täter konfrontieren, solange das Opfer nicht
wirkungsvoll geschützt ist!
Katholische Beratungsstellen:Psychologische Familien- und LebensberatungBad Waldsee „Die Brücke“-Beratungszentrum am See
Robert-Koch-Straße 52,
88339 Bad Waldsee
Telefon 0 75 24 / 40 11 68-0
Psychologische Familien- und LebensberatungLeutkirch Marienplatz 11
Telefon 0 75 61 / 90 66-0
Psychologische Familien- und LebensberatungRavensburgErziehungs- und Jugendberatung Kapuzinerstraße 12
Telefon 07 51 / 30 23
Psychologische Familien- und LebensberatungRavensburgEhe-, Familien- und Lebensberatung Allmandstraße 10
Telefon 07 51 / 3 24 79
Evangelische Beratungsstellen:Psychologische Beratungsstelle RavensburgMarktstraße 5388212 RavensburgTelefon 0751 / 39 [email protected]
Psychologische Beratungsstelle WangenHaus der kirchlichen DiensteBuchweg 888239 Wangen im AllgäuTelefon 07522 / 35 52
Freie Beratungsstelle:Brennessel e.V. Hilfe gegen sexuellen Missbrauch Marktstr. 53
88212 Ravensburg
Tel.: 0751 / 3978
Unberechtigter Verdacht Studien zufolge sind nur die wenigsten Beschuldigungen wegen sexuellen
Missbrauchs unberechtigt.
Hier ein paar Kontrollfragen:Können Sie weitgehend ausschließen, dass Sie durch den Täter manipuliert
wurden?
Hat die Äußerung des Verdachts durch ein Kind/ Jugendlichen vielleicht die Funktion, auf eine andere Not hinzuweisen?
Ist die Äußerung vielleicht eine „Waffe“
in einem anders liegenden Konflikt?
Unberechtigter Verdacht Leitlinien der DBK:„Maßnahmen im Falle einer fälschlichen Beschuldigung41. Erweist sich eine Beschuldigung oder ein Verdacht als unbegründet,
ist dies durch den Ordinarius im Abschlussdekret der kirchenrechtlichen Voruntersuchung festzuhalten. …
42. Es ist Aufgabe des Ordinarius, den guten Ruf einer fälschlich beschuldigten oder verdächtigten Person durch geeignete Maßnahmen wiederherzustellen. …“
Was können Sie in Ihrem Alltag tun? (Lassen Sie sich von unserem Logo inspirieren …)
Was können Sie in Ihrem Alltag tun? Einige Ideen
Das eigene Nähe-Distanz-Verhalten überprüfen
Ungute Gefühle wahrnehmen und angemessen thematisieren
Position beziehen: Bei uns ist „Kein Raum für Missbrauch!“
Beschwerdemanagement verbessern
Derjenige, der Kinder und Jugendliche missbraucht, richtet Schaden an, nicht diejenigen, die sich dafür einsetzen, ihn zu entlarven!
Sexuellen Missbrauch als Verbrechen thematisieren: „Wer das Schweigen bricht, bricht die Macht der Täter.“
Im örtlichen Kinderschutz-Netzwerk engagieren
Mit den KollegInnen der Beratungsstellen zusammen arbeiten
Für die eigene Psycho-
und Teamhygiene sorgen
Sich noch weiter bilden, Erkenntnisse weitergeben
…………
LiteraturKostenlose Downloads:Deutsche Bischofskonferenz:Abschlussbericht der Hotline http://www.hilfe-missbrauch.de/„Leygraf-Studie“: Sexuelle Übergriffe durch katholische Geistliche in Deutschland: Eine Analyse
forensischer Gutachten 2000 -
2010. Abschlussbericht 2012. Hrsg.: Norbert Leygraf, Andrej König, Hans-Ludwig Kröber, Friedemann Pfäfflin. http://www.dbk.de/themen/thema-sexueller-missbrauch
Unabhängiger Beauftragter der Bundesregierung:„Handbuch Schutzkonzepte Sexueller Missbrauch“
2013http://beauftragter-missbrauch.de/
LiteraturAndreas Zimmer / Dorothee Lappehsen-Lengler / Maria Weber / Kai Götzinger: Sexueller Kindesmissbrauch in kirchlichen Institutionen - Zeugnisse, Hinweise, PräventionErgebnisse der Auswertung der Hotline der Deutschen Bischofskonferenz für Opfer sexueller Gewalt(Reihe: Studien und Praxishilfe zum Kinderschutz, hrsg. von J. M. Fegert und U. Ziegenhain)Weinheim, Basel 2014, €
24,95
Klaus Mertes: Verlorenes Vertrauen. Katholisch sein in der KriseFreiburg 2013, 19,99€
Ursula Enders (Hg.): Grenzen achten. Schutz vor sexuellem Missbrauch in Institutionen. Ein Handbuch für die Praxis
Köln 2012, 14,99€
Erfahrungsberichte: Hasenmüller „Gute Nacht, Zuckerpüppchen“, Denef „Ich wurde sexuell missbraucht“, ...
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, Ihr Mitdenken und Nachfragen!
Wir hoffen, dass Sie einige Erkenntnisse und Anregungen für den Kinderschutz vor Ort mitnehmen können.
Wir bitten Sie nun um Ihre Rückmeldung zu dieser Veranstaltung.