Kriterien und Probleme der Definition von Wortarten
Ein exemplarischer Vergleich von vier Referenzgrammatiken
Peter Paschke
1. Vorbemerkung..................................................................................................................................... 5
2. Wort und Wortart ............................................................................................................................... 6
2.1. Zum Begriff des "Wortes"........................................................................................................ 6
2.1.1. Abgrenzung von benachbarten Wörtern ......................................................................... 6
2.1.2. Lexem, syntaktisches Wort, Wortform ............................................................................ 7
2.2. Wortartdefinition: Kriterien, Probleme und Anforderungen .............................................. 8
2.2.1. Kriterien der Wortartdefinition......................................................................................... 8
2.2.2. Probleme der Wortartdefinition........................................................................................ 9
2.2.3. Anforderungen an die Wortartdefinition.......................................................................10
2.3. Kriterien der Wortartdefinition in den vier untersuchten Grammatiken ........................11
2.3.1. Ulrich Engel: Deutsche Grammatik (2. Aufl., 1991)....................................................11
2.3.2. Gerhard Helbig/ Joachim Buscha: Deutsche Grammatik (14. Aufl. 1991) .............12
2.3.3. Elke Hentschel/Harald Weydt: Handbuch der deutschen Grammatik (2. Auflage 1994)................................................................................................................13
2.3.4. Drosdowski u.a.: Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache (5. Aufl. 1995) ....................................................................................................................15
3. Ausgewählte Probleme der Abgrenzung von Wortarten in vier Referenzgrammatiken ........17
3.1. Artikel oder Pronomen?..........................................................................................................17
3.1.1. Engel ...................................................................................................................................17
3.1.2. Helbig/Buscha...................................................................................................................19
3.1.3. Hentschel/Weydt ..............................................................................................................20
3.1.4. Duden-Grammatik............................................................................................................21
3.2. Adverb oder Adjektiv? ............................................................................................................22
3.2.1. Engel ...................................................................................................................................22
3.2.2. Helbig/Buscha...................................................................................................................23
3.2.3. Hentschel/Weydt ..............................................................................................................24
3.2.4. Duden-Grammatik............................................................................................................25
3.3. Modal- und Rangierpartikel, Modalwort, Satz- und Kommentaradverb .........................26
3.3.1. Engel ...................................................................................................................................27
3.3.2. Helbig/Buscha...................................................................................................................29
3.3.3. Hentschel/Weydt ..............................................................................................................30
3.3.4. Duden-Grammatik............................................................................................................32
4. Resümee..............................................................................................................................................34
Bibliographie ...............................................................................................................................................40
3
1. Vorbemerkung
Eine Hausarbeit zum Thema "Wortarten" in einem Seminar zur Syntax1? Liegt die Definition
von Wortarten bzw. –klassen nicht auf einer ganz anderen Ebene als die Analyse syntaktischer
Strukturen?
Natürlich handelt es sich bei Wortklassen und syntaktischen Funktionen prinzipiell um zwei
verschiedene Ebenen, die auseinanderzuhalten sind. Die Verwechslung von "Adverb" und
"adverbialer Bestimmung" (vgl. 3.2) ist ein Beispiel für die Probleme, die aus einer mangelnden
Trennung entstehen. Gleichzeitig aber spielen syntaktische Kriterien bei der Wortartdefinition
eine große Rolle; grob gesagt sind Wortklassen oft dadurch definiert, daß ihre Elemente auf
bestimmte syntaktische Funktionen "spezialisiert" sind. Und in der Regel wird man von
Wortklassen erwarten, daß sie syntaktisch relevant sind, d.h. daß syntaktische Regeln auf sie
zugreifen können.
Es ist allerdings keineswegs so, daß gängige Grammatiken des Deutschen syntaktische
Kriterien bei der Wortklasseneinteilung in gleicher Weise berücksichtigen. Vielmehr wechseln die
Kriterien bzw. werden unterschiedlich gewichtet und die Resultate sind dementsprechend
heterogen. Selbst Wortartbegriffe wie "Adjektiv", "Artikel", "Pronomen" werden in
verschiedenen Grammatiken nicht einheitlich definiert. Im Partikelbereich ist die terminologische
und inhaltliche Verwirrung eher noch stärker ausgeprägt.
Aus der Erfahrung, daß fremdsprachlicher Deutschunterricht oder Lexikographie durchaus
nicht auf einer einheitlichen Wortklasseneinteilung aufbauen können2, ist das Interesse am Thema
der vorliegenden Hausarbeit entstanden. Sie möchte einen Einblick gewinnen/geben in
unterschiedliche Verfahren, in Kriterien und Probleme der Definition von Wortarten. Dazu
wurden vier Grammatiken3 ausgewählt und kritisch miteinander verglichen:
Engel 1991: Deutsche Grammatik (2. Auflage) (zitiert als EN)
1 Die vorliegende Arbeit entstand als Hausarbeit im Rahmen eines M.A.-Studiums am University College Dublin im Studienjahr 1999/2000 (Syntax-Seminar von Cliona Marsh) 2 Konkret habe ich diese Erfahrung bei der Arbeit an einem Zusatzmaterial (Glossar, Funktionswortschatz, Wortfamilien) zu folgendem Lesekurs für Geisteswissenschaftler gemacht: Böhmer, Maria/ Zoepffel Tassinari, Ursula: Il tedesco scientifico. Wissenschaftsdeutsch. Corso di lettura, Rom: Bulzoni Editore 1997 (2. Auflage). Ziel dieser Arbeit ist allerdings nicht die Lösung didaktischer oder lexikographischer Probleme, sondern die Beschäftigung mit grundsätzlichen Problemen der Wortklassendefinition. 3 Vollständige bibliographische Angaben im Literaturverzeichnis
5
Helbig/Buscha1991: Deutsche Grammatik (14. Auflage) (HB)
Hentschel/Weydt 1994: Handbuch der deutschen Grammatik (2. Auflage) (HW)
Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache 1995 (5. Auflage) (DU)
Der Vergleich hat exemplarischen Charakter und beschränkt sich auf die Abgrenzung von
Artikel und Pronomen (3.1), die Unterscheidung von Adjektiv und Adverb (3.2) und die
Definition der sogenannten Modalpartikeln bzw. –wörter (3.3).
Zuvor aber sollen (in Kapitel 2) einige Voraussetzungen geklärt werden. Dazu gehören der
Wortbegriff (2.1) und eine von der traditionellen Zehn-Wortarten-Lehre (und ihrer Kritik)
ausgehende Einführung in Kriterien und Probleme der Definition von Wortarten (2.2).
Schließlich wird (in 2.3) dargestellt, wie die vier untersuchten Grammatiken auf einer allgemeinen
Ebene die Einteilung in Wortarten begründen.
2. Wort und Wortart
2.1. Zum Begriff des "Wortes"
2.1.1. Abgrenzung von benachbarten Wörtern
Die Rede von Wortarten oder –klassen4 setzt eigentlich voraus, daß man zunächst angibt, was
unter "Wort" zu verstehen ist. Engel (EN 15f.) zeigt, daß eine Definition wie "kleinste relativ
selbständige sprachliche Einheit mit eigener Bedeutung" sehr bald in Widersprüche führt. Es
leuchtet z.B. nicht ein, warum dem Futur-Hilfsverb "wird/ werden" mehr Selbständigkeit
zuerkannt werden soll als dem Ablaut in einer Präteritumform. Die orthographischen
Konventionen (Zusammen- oder Getrenntschreibung) scheiden als alleiniges Kriterium aus, denn
es handelt sich z.T. um willkürliche Festlegungen (wie der durch die aktuelle Rechtschreibreform
bedingte Wandel belegt). Engel zitiert (und problematisiert) einige weitere Versuche, den Begriff
der Selbständigkeit zu präzisieren. Demnach wären Wörter, solche sprachlichen Einheiten, die a)
als Satzglieder fungieren können oder b) als Kern von Satzgliedern erscheinen können oder c)
4 Ich verwende Wortklasse und Wortart synonym. Die entsprechenden Termini in anderen Sprachen sind: engl. parts of speech, frz. parties du discours, lat. partes orationis, ital. parti del discorso.
6
sich jederzeit von ihrer sprachlichen Umgebung trennen lassen. Aber in jedem Fall ergeben sich
Widersprüche; denn jede der vorgeschlagenen Definitionen grenzt sprachliche Elemente aus, die
traditionell als Wörter verstanden werden. Engel konstatiert schließlich, daß alle
Definitionsversuche bisher erfolglos geblieben sind, ist aber der Ansicht, daß die Probleme nur
Randbereiche betreffen und die Rede vom "Wort" sich gleichwohl auf einen breiten Konsens
stützen kann. Hinsichtlich der Isolierung des einzelnen Wortes innerhalb des Satzverbandes bzw.
der Lautkette möchte ich es bei diesem Befund belassen.5 Abschließend sei angemerkt, daß alle
vier untersuchten Grammatiken, die Klassifikation von (orthographisch) mehrgliedrigen
Ausdrücken – Engel spricht von "komplexen Wörtern" – wie ein wenig (EN 542), was für einer (HB
253), wer auch immer (HW 228), manch ein (DU 305) als Mitglieder von Wortklassen zulassen.
2.1.2. Lexem, syntaktisches Wort, Wortform
Der Wortbegriff läßt sich aber noch in anderer Weise problematisieren. Handelt es sich z.B.
bei fliegen, fliegt, flog, geflogen um ein Wort oder um vier verschiedene Wörter? Im Rahmen der
Wortartenlehre wird hier nur ein Wort angesetzt, d.h. es werden Lexeme, nicht Wortformen (Lexe)
klassifiziert. Linke u.a. (1996: 55-59) definieren daneben syntaktische Wörter; darunter verstehen sie
"jede spezifische grammatische Ausprägung eines Wortes" (57); so sind nicht nur die o.a. vier
Formen von "fliegen" verschiedene syntaktische Wörter, sondern auch fliegen (Infinitiv), fliegen (1.
Person Plural Präsens Indikativ), fliegen (3. Pers. Pl. Präs. Ind.). Eine Wortform kann also verschiedene
syntaktische Wörter repräsentieren. Bei Linke u.a. entspricht die Wortform der Ausdrucksseite
(signifiant) des sprachlichen Zeichens. Die Inhaltsseite (signifié) des syntaktischen Wortes umfaßt
neben den semantischen Merkmalen die morphosyntaktischen Informationen. Beim Lexem
dagegen sind die flexivischen Variationen neutral gesetzt, d.h. es ist ein Paradigma verschiedener
syntaktischer Wörter mit demselben lexikalischen Morphem (signifiant)6. Auf der Inhaltsseite des
Lexems gibt es neben den semantischen Merkmalen also keine syntaktischen Informationen;
Linke u.a. postulieren aber eine "Wortartprägung", "eine gewisse 'Veranlagung' zur Ausdifferen-
zierung nach bestimmten morphosyntaktischen Merkmalen" (Linke u.a. 1996, 57 und 59). Ohne
eine solche Annahme wäre es z.B. schwierig, für Spiel und spielen (mit identischem lexikalischem
Morphem und gleicher Bedeutung) zwei verschiedene Lexeme anzusetzen, ein Nomen und ein
Verb.
5 Zum selben Problemkreis vgl. den Artikel "Wort" im Metzler Lexikon Sprache (Glück 1993: 692f.) sowie Hentschel/Weydt (HW 13f) 6 Da es unpraktisch wäre, ein Lexem als Menge von syntaktischen Wörtern (oder auch nur mit allen Wortformen) anzuführen, benutzt man konventionalisierte Zitierformen, im Deutschen etwa den Infinitiv bei Verben oder den Nominativ Singular bei Nomen.
7
Festzuhalten bleibt an dieser Stelle: In der Grammatik werden prinzipiell nicht Wortformen
oder syntaktische Wörter, sondern Lexeme nach Wortarten klassifiziert. Um unterschiedliche
Lexeme handelt es sich nicht nur, wenn Bedeutungsunterschiede vorliegen, sondern (bei
identischem lexikalischem Morphem) auch dann, wenn eine unterschiedliche morphosyntaktische
Veranlagung zu beobachten ist. Im Abschnitt 2.2.2 werden wir sehen, daß es bei unflektierbaren
Wörtern u.U. notwendig ist, diese "Veranlagung" völlig von morphologischen Aspekten zu lösen
und als "syntaktische Verwendbarkeit" zu fassen, wenn gleichlautende (homonyme), aber
verschiedenen Wortklassen angehörende Lexeme unterschieden werden sollen.
2.2. Wortartdefinition: Kriterien, Probleme und Anforderungen
2.2.1. Kriterien der Wortartdefinition
Die klassische Zehn-Wortarten-Lehre unterscheidet Substantiv/Nomen, Verb, Adjektiv,
Artikel, Pronomen, Adverb, Konjunktion, Präposition, Numerale und Interjektion. Linke u.a.
(1996: 73ff) zeigen, daß diese Einteilung auf semantischen, morphologischen und syntaktischen
Kriterien beruht. Die Wortklasse Numerale z.B. ist durch das semantische Kriterium der Zahl
definiert. Daß aber Million als Substantiv, verdreifachen als Verb und doppelt als Adjektiv gewertet
werden, beweist, daß – wenigstens bei den sog. Hauptwortarten – morphologische (und darüber
vermittelt syntaktische) Gesichtspunkte im Vordergrund stehen: Substantive sind nach Numerus
und Kasus flektierbar, Adjektive zudem nach dem Genus, Verben nach Person, Numerus,
Tempus und Modus. Damit wird zugleich bestätigt, daß Lexeme klassifiziert werden, denn nur
diese (nicht etwa syntaktische Wörter) sind morphosyntaktisch neutral und daher "flektierbar",
d.h. in syntaktische Wörter bzw. die entsprechenden Wortformen (Lexe) überführbar. Bei
morphologisch "armen" Lexemen wie Präpositionen, Konjunktionen und Adverbien beruht die
Klassifikation dagegen direkt (d.h. nicht über morphologische Merkmale vermittelt) auf
syntaktischen Kriterien: Konjunktionen z.B. verknüpfen Satzteile und Teilsätze; Präpositionen
stehen vor nominalen Wortgruppen; Adverbien können als Satzglieder fungieren. Ein solches
Klassifikationsverfahren kann, da es auf der Verteilung von Lexemen im Satz beruht, als
distributionell bezeichnet werden. Damit sind jene drei Kriterienkomplexe benannt, die – wenn
auch in je unterschiedlicher Auswahl und Rangfolge – der Wortklasseneinteilung immer wieder
zugrunde gelegt werden: semantische, morphologische und syntaktisch-distributionelle Kriterien. In welcher
Weise dies in den hier untersuchten vier Grammatiken der Fall ist, sehen wir in Abschnitt 2.3 und
in Kapitel 3.
8
2.2.2. Probleme der Wortartdefinition
Nicht nur die Kriterien, auch ein immer wiederkehrendes Grundproblem der Wortklassen-
definition läßt sich gut am Beispiel der Zehn-Wortarten-Lehre verdeutlichen. Es geht darum, wie
gleichbedeutende und gleichlautende Wörter mit unterschiedlichen syntaktischen Funktionen
klassifiziert werden. Linke u.a. (1996: 75f) erwähnen seit und während, die sowohl "präpositional"
als auch "konjunktional" verwendet werden. Gewöhnlich werden solche Wörter "doppelt
geführt" (ebd., 75), d.h. sowohl als Konjunktionen wie als Präpositionen. Wenn man davon
ausgeht, daß Gegenstand der Wortartklassifizierung Lexeme sind, ergibt sich daraus nach Linke
u.a., daß sich Lexeme durch ein Merkmal wie "syntaktische Verwendbarkeit" unterscheiden
können. Damit hätten wir auf der Inhaltsseite des sprachlichen Zeichens neben den semantischen
Merkmalen eine zweite Kategorie etabliert, die – unabhängig vom Potential zur
morphosyntaktischen Ausdifferenzierung, das bei unflektierbaren Wörtern ja gar nicht gegeben
ist – Lexeme allein aufgrund ihrer Verwendung im Satz voneinander abzugrenzen vermag. Linke
u.a. bieten allerdings auch eine alternative Interpretation an: "Man könnte aber auch sagen, dass
es nur jeweils ein Lexem seit oder während gibt, dass es dazu aber je zwei gleichlautende
(homonyme) syntaktische Wörter gibt. In diesem Fall würden sich die syntaktischen Wörter
gegenüber den Lexemen durch ein zusätzliches Merkmal 'syntaktische Verwendbarkeit'
auszeichnen." (Linke u.a. 1996: 75). Diese Lösung hätte freilich den Nachteil, daß der
Gegenstand der Klassifizierung nach Wortarten kein einheitlicher mehr wäre: teils syntaktische
Wörter wie im vorliegenden Fall, teils Lexeme z.B. bei Substantiven, Adjektiven, Verben – es sei
denn, man wollte bei den Flektierbaren je nach Kasus, Numerus, Person und Tempus ebenfalls
verschiedene (syntaktische) Wörter ansetzen.
Linke u.a. (1996:75) gehen auch auf die problematische Unterscheidung von Adjektiv und
Adverb in der Zehn-Wortarten-Lehre ein (vgl. unten Abschnitt 3.2). Daß Wörter wie schön einmal
als Adjektiv (Sie hat schönes Haar), einmal als Adverb (Sie singt schön) klassifiziert werden, beweise –
so Linke u.a. –, daß die Ebene der Lexeme (mit ihren "prinzipiellen Möglichkeiten" der
syntaktischen Verwendbarkeit) verlassen worden sei und man sich auf die Ebene der
Klassifizierung von syntaktischen Wörtern begeben habe. M.E. ist diese Einschätzung nicht
zwingend. Wenn nämlich für seit und während zwei Lexeme (mit unterschiedlicher syntaktischer
Verwendbarkeit) akzeptiert werden, ist nicht einzusehen, wieso es nicht auch zwei (homonyme)
Lexeme schön geben soll (ein Adjektiv und ein Adverb), zumal nicht alle Adjektive auch "adverbial
verwendet" werden können (z.B. ander-, besonder-), eine Klassifizierung als Adjektiv also nicht in
jedem Fall die syntaktische Verwendbarkeit "als Adverb" mit einschließt. Damit ist nicht gesagt,
9
daß eine solche Lösung opportun ist, aber sie ist theoretisch möglich. Wenn sie letztlich nicht
befriedigt, liegt es wohl daran, daß Homonymie im traditionellen Verständnis eine
Differenzierung nach semantischen Merkmalen (wenn nicht gar das Fehlen gemeinsamer
semantischer Merkmale7) voraussetzt.
Dagegen würde in Fällen wie den hier präsentierten die Zuweisung zu einer einzigen Wortart
dazu führen, daß ein Teil der relevanten syntaktischen Information verloren ginge. Um es an
einem weiteren Beispiel zu verdeutlichen: In den beiden Sätzen Jedoch wir müssen das Ergebnis noch
einmal prüfen und Jedoch müssen wir das Ergebnis noch einmal prüfen ist kein Bedeutungsunterschied
zwischen den beiden Vorkommen von jedoch zu erkennen. Nach syntaktischen Kriterien aber
fungiert jedoch einmal als erststellenfähiges Adverb (Rangierpartikel usw. ), das andere Mal als
außerhalb des Satzverbandes stehende Konjunktion (Konjunktor o.ä.). Wir haben also die Wahl,
zwei homonyme (aber nicht semantisch, sondern nur syntaktisch unterscheidbare) Lexeme jedoch
anzusetzen oder ein einziges Lexem jedoch (entweder Adverb oder Konjunktion), wobei ein Teil
der syntaktischen Information unterschlagen wird.
2.2.3. Anforderungen an die Wortartdefinition
Hier wird deutlich, daß sich die Wortartenlehre im Spannungsfeld widerstreitender
Anforderungen bewegt. Jedes konkrete Wortexemplar sollte z.B. möglichst nur einer Wortklasse
zugeordnet werden können, gleichzeitig aber sollten relevante Informationen über das
syntaktische Verhalten nicht vorenthalten werden. Die Lösung kann im Ansetzen homonymer
Lexeme mit unterschiedlicher syntaktischer Verwendbarkeit liegen, was aber wiederum dem
Bestreben entgegensteht, Homonyme nur bei klaren Bedeutungsunterschieden zuzulassen.
Die Wortartenlehre sollte möglichst mit einem einheitlichen Kriterium operieren oder doch
wenigstens ein festes Leitkriterium bestimmen, denn bei wechselnden Kriterien besteht die
Gefahr, daß die Klassen nicht distinktiv sind, sondern sich überschneiden (vgl. oben das Problem
der Numeralia). Eine Misch-Klassifizierung könnte aber auch dazu führen, daß die
Klassenbildung nicht exhaustiv ist, also einzelne Lexeme gar keiner Klasse zugewiesen werden
können (Linke u.a. 1996: 76).
Ein gutes Beispiel für distinktive Klassenbildung nach einheitlichem Kriterium ist die "Fünf-
Wortarten-Lehre" nach Hans Glinz (vgl. Linke u.a. 1996: 76f), die nach rein morphologischen
Gesichtspunkten Verben, Nomen, Adjektive, Begleiter/Stellvertreter des Nomens und Partikeln 7 vgl. Glück 1993: 251 Stichwort "Homonymie" und 474 Stichwort "Polysemie"
10
unterscheidet. Dabei ist freilich in Kauf zu nehmen, daß sich über die syntaktischen
Eigenschaften der als unflektierbar definierten "Partikeln" kaum etwas aussagen läßt. Dieser
Umstand muß als Nachteil bewertet werden, denn die Wortartenlehre soll einerseits eine von der
Syntax unabhängige Analyseebene etablieren (sonst wäre sie überflüssig), zum anderen soll sie
etwas über die syntaktische Verwendbarkeit von Wörtern (Lexemen) aussagen; die Bildung von
Wortklassen zielt letztlich auf Regeln, die angeben, wie man aus Wörtern korrekte Sätze bildet.
2.3. Kriterien der Wortartdefinition in den vier untersuchten Grammatiken
2.3.1. Ulrich Engel: Deutsche Grammatik (2. Aufl., 1991)
Engel (EN 17-20) präsentiert und kommentiert zunächst die üblichen Verfahren zur
Bestimmung von Wortklassen: das flexematische Verfahren (vgl. oben das Glinz'sche Modell)
habe den Nachteil, die – grammatisch besonders interessanten – unveränderlichen Wörter (die
Partikeln) nicht weiter zu differenzieren. Beim distributionellen Verfahren sieht Engel die
Schwierigkeit, daß "in die meisten Distributionsrahmen auch andere Wörter eingesetzt werden
können" (EN 17). Als Beispiel führt Engel den Distributionsrahmen für Substantive ein, in den
auch ein verbaler Infinitiv eingesetzt werden kann. Engel will in dem angeführten Beispielsatz
Euer Reden stört das Wort Reden offenbar nicht als Nomen klassifizieren.8 Das semantische
Verfahren schließlich unterstellt – so Engel – "daß jeder Wortklasse per se eine bestimmte
Bedeutung zukomme." (ebd.) Am Beispiel von Schönheit, das ebenso eine Eigenschaft oder Be-
schaffenheit ausdrückt wie viele Adjektive, und von Aufstieg, auf das das semantische Merkmal
"Vorgang" ebenso zutrifft wie auf entsprechende Verben, zeigt Engel die Fragwürdigkeit des
semantischen Verfahrens auf.
Seinem eigenen Klassifikationsvorschlag legt Engel einen "erweiterten Distributionsbegriff"
zugrunde; er geht von den "Stämmen" der Wörter aus und zählt dann, neben den
herkömmlichen Kontextelementen (also benachbarten Wörtern), auch Flexionsendungen zur
Umgebung. So gelingt es ihm, morphologische (flexematische) und syntaktische Kriterien unter
dem gemeinsamen Oberbegriff der "Distribution" zusammenzufassen. Engel klassifiziert also
Lexeme, die auf der Ausdrucksseite durch "Stämme" – d.h. durch lexikalische Morpheme als den
gemeinsamen materiellen Bestandteilen der im Lexem zusammengefaßten syntaktischen Wörter9
8 Engel gelingt dies bei seinem eigenen Verfahren dadurch, daß er reden zunächst als Verb aus der Menge aller Wörter "ausfiltert", so daß sich ein Nomen-Test erübrigt. 9 vgl. oben 2.1.2. bzw. Linke u.a. 1996: 57
11
- repräsentiert sind, indem er ihre Wort-Syntax, also ihre Überführbarkeit in syntaktische Wörter
bzw. die entsprechenden Wortformen, mit zum distributionellen Rahmen zählt. Auf diese Weise
gelangt er zu 16 Wortklassen: Verben, Nomina, Determinative, Adjektive, Pronomina, Präpo-
sitionen, Subjunktoren, Konjunktoren, Adverbien, Modalpartikeln, Rangierpartikeln,
Gradpartikeln, Kopulapartikeln, Satzäquivalente, Abtönungspartikeln sowie einer Partikel-Rest-
klasse. Für jede Klasse wird eine Testfrage angegeben (z.B. "Ist konjugierbar?" für die Klasse der
Verben), deren positive Beantwortung die Zuweisung zur entsprechenden Wortklasse bedingt.
Nur – und darin liegt das Besondere des Engelschen Ansatzes – wenn die Antwort negativ
ausfällt, wird das Wort den nachfolgenden Tests unterzogen. D.h., wenn z.B. das Wort reden
bereits als Verb "ausgefiltert" wurde, wird der nachfolgende Nomen-Test nicht mehr durch-
geführt (vgl. das anschauliche Flußdiagramm, EN 18).10 Dadurch gelangt Engel, im Unterschied
zu anderen Grammatikern, zu hochgradig distinktiven Wortklassen. Auch Engel kann zwar nicht
vermeiden, daß ein bestimmtes Wort den Definitionen verschiedener Wortklassen entspricht,
aber durch eine feste Reihenfolge von Wortarttests und die Grundregel, daß das Wort nur der
ersten Wortklasse mit positivem Testergebnis angehört, kann er Doppelzuweisungen verhindern.
Von dieser strikten Vorgehensweise kennt Engel nur eine Ausnahme: "Eine Reihe homographer
Wörter sind – im Gegensatz zu dem soeben Gesagten – mehreren Wortklassen zuzuweisen,
wenn sie deutlich unterscheidbare Bedeutung aufweisen". (EN 19)
2.3.2. Gerhard Helbig/ Joachim Buscha: Deutsche Grammatik (14. Aufl. 1991)
Helbig/Buscha (HB 19-21) teilen den Wortschatz der deutschen Sprache durchgängig nach
syntaktischen Kriterien in Wortklassen ein. Morphologische Kriterien werden als ungeeignet
angesehen, weil sie nur auf flektierende Wortarten anwendbar sind; semantische Kriterien
scheiden nach Helbig/Buscha aus, weil nicht alle Wörter einen "direkten Wirklichkeitsbezug"
aufweisen. Da aber alle Wortarten bestimmte syntaktische Funktionen im Satz ausüben, erweist
sich das syntaktische Prinzip als eines, das durchgängig und einheitlich angewandt werden kann.
Helbig/Buscha bestreiten dabei nicht, daß die auf syntaktischem Wege gefundenen Wortklassen
zusätzlich bestimmte morphologische und semantische Eigenschaften haben (die in den jewei-
ligen Kapiteln der Grammatik beschrieben werden). Grundlage des syntaktischen Verfahrens
sind Distributionsrahmen ("Substitutionsrahmen"), die aber teilweise durch transformationelle
Tests ergänzt werden, weil sich bei identischen Oberflächenstrukturen nur so bestimmte
Unterschiede erfassen lassen. Helbig/Buscha erläutern dies am Beispiel der beiden Sätze: 1. Der
10 Da Engel in der Klassifizierung von Stämmen/ lexikalischen Morphemen ausgeht, ist unklar, wie er bei gleichlautenden Stämmen überhaupt zu verschiedenen Wörtern gelangen kann, z.B. bei spielen/Spiel, laufen/Lauf usw.
12
Vater kam schnell zurück und 2. Der Vater kam gesund zurück. Aufgrund der
Nominalisierungstransformation (1a. das schnelle Zurückkommen, 1b. der gesunde Vater) wird
schnell als Adverb gewertet und gesund als Adjektiv. Aufgrund ihres syntaktischen Verfahrens
gelangen Helbig/ Buscha zu einer von der Schulgrammatik abweichenden Einteilung der
Wortklassen. Auffällig ist z.B., daß die Pronomina keine eigene Klasse bilden, sondern (vgl.
Inhaltsverzeichnis EN 8) als Teilmenge der "Substantivwörter" gewertet werden. Insgesamt
ermitteln Helbig/Buscha 10 Wortklassen (EN 5-12): die vier Haupt-Wortklassen Verben,
Substantivwörter, Adjektive und Adverbien sowie die sechs "Funktionswörter"-Klassen
Artikelwörter, Präpositionen, Konjunktionen, Partikeln, Modalwörter und Satzäquivalente. Dem
Pronomen es und den Negationswörtern sind aus praktisch-didaktischen Gründen eigene Kapitel
gewidmet, obwohl sie keine eigene Wortklassen darstellen.
Im Gegensatz zu Engel geben Helbig/Buscha in ihrem einleitenden Kapitel zur "Einteilung
der Wortklassen" (HB 19-21) nicht an, mit welchen Verfahren sie im einzelnen zu den 10
Wortklassen gelangen. In den jeweiligen Kapiteln wird die Abgrenzung von anderen Wortklassen
durch distributionelle und/ oder transformationelle syntaktische Tests auch nicht immer an den
Anfang gestellt, sondern erscheint z.T. etwas versteckt in der "syntaktischen Beschreibung" der
einzelnen Wortklassen. Der Hauptunterschied zu Engel ist jedoch liegt darin, daß Helbig/Buscha
offensichtlich keinen Wert auf die Distinktivität ihrer Wortklassen legen. Während Engel eine
feste Abfolge von Tests bestimmt und bei positivem Testergebnis das jeweilige Wort von allen
weiteren Tests ausschließt, lassen Helbig/Buscha Mehrfachzuweisungen systematisch zu, so daß
verschiedene syntaktische Funktionen gleichermaßen berücksichtigt werden. So wird das o.g.
Adverb schnell in anderen Umgebungen (der schnelle Bote) als Adjektiv gewertet, Adjektive und
Partizipien können in die Klasse der Substantivwörter übertreten (HB 249), Indefinitpronomina
werden z.T. auch als Artikelwörter gebraucht (HB 258), bei den Modalwörtern erscheinen auch
Adjektive (HB 500) usw. Dabei ist nicht völlig klar, ob Helbig/Buscha verschiedene Lexeme
ansetzen (also die syntaktische Verwendbarkeit als Unterscheidungsmerkmal zwischen Lexemen
zulassen) oder jeweils nur ein Lexem mit verschiedenen syntaktischen Funktionen (die ebenso
vielen syntaktischen Wörtern entsprechen).
2.3.3. Elke Hentschel/Harald Weydt: Handbuch der deutschen Grammatik (2. Auflage 1994)
Hentschel/Weydt widmen sich in einem Abschnitt der Einleitung (HW 14-20) recht
ausführlich dem Problem der Definition von Wortarten, d.h. "Gruppen von Wörtern, die in
13
bestimmten Merkmalen übereinstimmen" (HW 14). Die in vielen Grammatiken verwendeten
morphologischen Kriterien der Einteilung und Abgrenzung von Wortarten halten
Hentschel/Weydt sowohl mit Blick auf flexionsarme Sprachen als auch hinsichtlich
nichtflektierbarer Wörter des Deutschen für fragwürdig und unzureichend. Zuerst – so die
Autoren – müsse die (Wortart-)Kategorie festgelegt werden, um dann empirisch festzustellen, wie
sie sich morphologisch verhalte. Syntaktisch-distributionelle Verfahren werden von Hentschel/
Weydt nicht erwähnt. Stattdessen wollen sie die "Unterscheidungen in Wortarten als semantisch
fundiert" (HW 15, meine Hervorhebung) interpretieren. Es werden vier Formen von Bedeutung
unterschieden, die anschließend der Definition von Wortarten zugrundegelegt werden sollen.
Unter kategorematischer Bedeutung wird eine Bedeutung verstanden, "die aus der außersprachlichen
Wirklichkeit einen bestimmten Bereich ausgliedert." (HW 16) Das können absolute Bedeutungen
sein wie bei den Wörtern Pferd, tot, liegen oder relationale wie bei Onkel, groß, ähneln. Während
solche "Nennwörter" einen Wirklichkeitsausschnitt benennen, sind Wörter mit deiktischer
Bedeutung dadurch gekennzeichnet, daß sie (nur) auf etwas zeigen. Dies kann (in Anlehnung an
Bühler) etwas Wahrgenommenes, etwas Vorgestelltes oder ein Element in der Textumgebung
sein. Wortbeispiele mit deiktische Bedeutung sind Personalpronomina, aber auch Adverbien und
Adjektive (hier, jetzt, hiesig, jetzig). Kategorematische Bedeutungen können nach Hentschel/ Weydt
unterschiedlich sprachlich repräsentiert werden. Auf dieselbe außersprachliche Erscheinung kann
man sich bspw. mit dem Substantiv Blut, dem Adjektiv blutig oder dem Verb bluten beziehen.
Diesen unterschiedlichen Zugriff auf die Wirklichkeit bezeichnen die Autoren als Wortartbedeutung
oder kategorielle Bedeutung. Es gibt offenbar drei kategorielle Bedeutungen: die substantivische als
"Etwas (…), das uns gegenübersteht und das wir zum Gegenstand unseres Sprechens machen
können", die adjektivische als "Eigenschaft, die einem Gegenstand zugeschrieben wird" und die
verbale als "Vorgang in der Zeit" (alle HW 19).11 Es überrascht, daß Hentschel/ Weydt hier den
Begriff der "Wortart" vorwegnehmen, der doch eigentlich erst vermittelt über die Formen von
Bedeutung definiert werden sollte. Die synkategorematische Bedeutung schließlich "gliedert nichts
aus der außersprachlichen Wirklichkeit aus, sondern entfaltet sich erst in Verbindung mit
anderen." (HW 20) Exemplarisch werden die Präposition in, die Konjunktion weil und die
Abtönungspartikel denn angeführt. Abschließend werden diese vier Arten von Bedeutung zur
Bestimmung der Wortarten genutzt:
"Nach diesen Vorbemerkungen lassen sich die Wortarten Verb, Substantiv und Adjektiv als Klassen bestimmen, die Wörter mit kategorematischer und Wortartbedeutung enthalten. Pronomina haben deiktische und kategorielle (substantivische oder adjektivische), aber keine kategorematischen Bedeutungen;
11 So formuliert entgehen Hentschel/Weydt jener einfachen Kritik an semantischen Verfahren, wie sie Engel (s.o. 2.3.1.) vorbringt. Z.B. bezeichnet das Wort Aufstieg zwar einen Vorgang, abstrahiert aber dabei von zeitlichen Aspekten, so daß die kategorielle Bedeutung des Verbs nicht vorliegt.
14
sie verweisen auf etwas, ohne es zu nennen. Partikeln wiederum haben lediglich synkategorematische Bedeutungen: Sie gliedern nichts aus einer wie auch immer vorgestellten Wirklichkeit aus, sie fassen es nicht kategoriell, sondern sie drücken Relationen zwischen von Autosemantika bezeichneten Phänomenen aus. (HW 20)
An dieser Stelle scheint es, als kennten Hentschel/Weydt überhaupt nur fünf Wortarten, aber
das Inhaltsverzeichnis weist neben einem umfangreichen Partikelbereich12 auch die klassischen
Wortarten Artikel, Adverb und Numerale aus. Die grundlegenden vier Bedeutungsarten scheinen
nicht geeignet zu sein, auch diese Wortarten hinreichend zu definieren; von Fall zu Fall werden in
den jeweiligen Kapiteln zusätzliche semantische Merkmale eingeführt. Bei den Adverbien ist es
die "Bezeichnung von Umständen, unter denen sich eine im Verb ausgedrückte Handlung voll-
zieht" (HW 235), bei den Artikeln die "Aktualisierung" (d.h. die Individualisierung eines Gegen-
standes aus der betreffenden Klasse) (HW 203f), bei den Numeralia der Begriff der Zahl (HW
231). Der Abschnitt zu den Numeralia ist insofern aufschlußreich, als er verdeutlicht, daß den
Autoren wenig an trennscharfen Wortklassen liegt. Die Aufrechterhaltung der traditionellen Wortart
"Numerale" wird nämlich gerade deshalb als sinnvoll erachtet, weil sie so unterschiedliche Wörter
wie (Zahl)Adjektive, Substantive (eine Million) und Adverbien (erstens, dreifach) enthält (HW 231).13
Insgesamt hat man den Eindruck, daß Hentschel/Weydt mit den vier Formen von Bedeutung
zwar einige interessante Einsichten vermitteln können, daraus aber kein einheitliches Kriterium
für die Definition von Wortarten gewinnen. Die (wechselnden) semantischen Merkmale dienen
der nachträglichen Begründung und semantischen Ausdeutung von traditionellen Kategorien und
vermögen die mangelnde Distinktivität der schulgrammatischen Wortklassen nicht zu überwinden.
2.3.4. Drosdowski u.a.: Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache (5. Aufl. 1995)
Im Duden – vgl. den Überblick DU 85-89 – kommen bei der Abgrenzung der Wortarten
offenbar syntaktische, morphologische und semantische Kriterien zum Einsatz:
Auf Grund der unterschiedlichen Funktion im Satz und der damit eng verknüpften Formmerkmale, Anordnung und Beziehungen zueinander können verschiedene Klassen von Wörtern unterschieden werden, die sich auch semantisch voneinander abgrenzen lassen und die man Wortarten nennt. Nach ihrem Hauptmerkmal bilden wir zwei Gruppen von Wortarten: die flektierbaren und die unflektierbaren. (DU 85)
Diese Formulierung, aber auch der Überblick über die einzelnen Wortarten nennt an erster
Stelle syntaktische und morphologische Eigenschaften, erst an zweiter Stelle solche semantischer 12 Die Partikeln untergliedern sich in Modalwörter, Abtönungspartikeln, Intensivpartikeln, Fokuspartikeln, Antwortpartikeln sowie die Negationspartikel nicht. 13 Andererseits kritisieren Hentschel/Weydt die verbreitete Klassifizierung der Numeralia als Zahladjektive mit der Begründung: "Die Mehrzahl der Numeralia kann zwar adjektivisch verwendet werden, unterscheidet sich aber in
15
Art. Dies legt die Vermutung nahe, daß die Wortarten im Duden im Prinzip durch flexematische
Formmerkmale und durch Funktionen im Satz bzw. ihre Distribution in Syntagmen definiert sind
und daß die so gewonnenen Klassen anschließend auch semantisch beschrieben werden;
allerdings findet sich für diese Interpretation keine explizite Bestätigung im Text. Die
Kurzbeschreibungen der einzelnen Wortarten (DU 85-87 vgl. auch die Tabelle S. 88) nennen
jeweils Beispielwörter aus der Wortklasse, morphologische und syntaktische Eigenschaften,
semantisch-pragmatische Merkmale. Insgesamt listet der Duden 8 bzw. 914 Wortarten auf: die
flektierbaren Verben, Substantive, Adjektive, Artikel und Pronomina sowie die unflektierbaren
Adverbien, Partikeln, Präpositionen und Konjunktionen. Für sich genommen ist jedes einzelne
morphologische, syntaktische oder semantische Merkmal nicht hinreichend, um eine Wortart zu
bestimmen. Es läßt sich also kein Leitkriterium erkennen. Erst in der Zusammenschau aller drei
Aspekte werden Konturen der jeweiligen Wortart erkennbar. So hat z.B. das Adjektiv die
syntaktischen Funktionen: "Attribut, adverbiale Bestimmung" (DU 88); dies gilt aber auch für
Adverbien (das Haus dort) oder Substantive (er kommt Dienstag). Seine Distribution ist angegeben
als "mit Substantiv bzw. Verb" (ebd.), was ebenso für Artikel, Verben, Adverbien u.a. gelten
kann. Auch das semantische Merkmal 'Benennung von Eigenschaften oder Merkmalen' ist allein
nicht geeignet, Adjektive zuverlässig von anderen Wortarten abzugrenzen. Erst das
morphologische Merkmal "Deklination, Komparation" bringt mehr Klarheit (obwohl auch
Adverbien vereinzelt steigerbar sind).
Zur Distinktivität der so definierten Wortklassen heißt es im Duden: "Die in diesem
Überblick gezogenen Grenzen zwischen den einzelnen Wortarten sind nicht starr." (DU 89). Als
Beispiele werden die Substantivierung nichtsubstantivischer Wörter angeführt, Partizipien, welche
in bestimmten Verwendungen als Adjektive anzusehen seien (reizend, gerissen), schließlich
Präpositionen, die aus Substantiven (dank, infolge), Adjektiven (nördlich, gelegentlich) und Partizipien
(ungeachtet) gewonnen wurden. Auch wenn sich ein Teil dieser Beispiele als "echte" Homonymie
(also mit semantischen Unterschieden) erklären läßt (reizend, dank), so ist doch festzuhalten, daß
der Duden auch systematische Zuweisung zu mehreren Wortklassen zuläßt, z.B. bei
Substantivierungen oder – in einem gewissem Sinne – bei Pronomina und Artikeln (vgl. 3.1). In
anderen Fällen jedoch werden eben solche Doppelklassifizierungen strikt abgelehnt, z.B. bei
Adjektiven und Adverbien (vgl. 3.2).
ihrem Flexionsverhalten deutlich von den Adjektiven." (HW 231). Hier verwundert, daß angeblich fragwürdige morphologische Kriterien nun doch zur Abgrenzung von Wortarten herhalten müssen. 14 In der tabellarischen Übersicht auf S. 88 sind Artikel und Pronomina (wohl in Anlehnung an die Glinz'schen "Begleiter und Stellvertreter des Nomens") in einer Gruppe zusammengefaßt.
16
3. Ausgewählte Probleme der Abgrenzung von Wortarten in vier Referenzgrammatiken
3.1. Artikel oder Pronomen?
In der traditionellen Zehn-Wortartenlehre werden Wörter wie er, wir, dieser, mein, jeder, alle u.a.
als Pronomina klassifiziert, weil sie "für ein Nomen ein(zu)treten" können. (HW 213f). Präziser
müßte man eigentlich sagen, daß sie eine Nominalphrase ersetzen können, wie man leicht aus
folgendem Beispiel ersieht: Das Baby schreit. Es schreit./ *Das es schreit. Ein zweites Problem ist,
daß ein Teil dieser Wörter als Vertreter einer Nominalphrase, aber auch als Begleiter des Nomens
auftreten kann, z.B.: Jeder (Mensch) ist sich selbst der nächste. Z.T. sind dabei morphologische
Unterschiede zu beobachten: Das ist mein Radio/ meines. Manchmal werden diese beiden
Funktionen als "substantivischer" und "adjektivischer" Gebrauch des Pronomens beschrieben,
was ich für eine unglückliche terminologische Vermischung von Wortartkategorien und für
sachlich nicht gerechtfertigt halte, denn erstens fungieren Pronomina syntaktisch eben nicht wie
Substantive, sondern wie Nominalphrasen, zweitens ähnelt ihre "begleitende" Funktion eher der
des Artikels als der des Adjektivs (das übrigens nicht nur als Attribut/Begleiter des Nomens
auftritt!). Stattdessen möchte ich mit Engel (EN 524) lieber von "autonomem" und
"attributivem" Gebrauch sprechen. Das ähnliche (attributive) syntaktische Verhalten von
"Pronomen" und Artikel läßt sich an folgenden Syntagmen beobachten: Mein/Ein kleines Baby –
Dieser/der junge Mann. Schließlich ist bekannt, daß (die Artikel) der, ein auch autonom aufttreten:
Die Frau/ Die kenne ich doch? wobei morphologische Abweichungen ähnlich wie bei den
Possessiva auftreten: Nimmst du noch ein Bier/ ein(e)s?Willst du den Leuten/ denen einen Urlaubsgruß
schicken? Somit stellt sich die Frage, wie Artikel und Pronomina voneinander abgegrenzt werden
können und wie jene Wörter zu behandeln sind, die sowohl autonom als auch attributiv
verwendet werden können.
3.1.1. Engel
Engel betrachtet die Artikel (definiter, indefiniter und Nullartikel, vgl. EN 525) als Teil der
Wortklasse "Determinative", zu der auch Wörter wie mein, dieser, kein gehören. Im stufenweisen
Klassifizierungsfahren Engels (EN 18-20) sind Determinative als Wörter bestimmt, die a) nicht
konjugierbar sind (Verben), b) kein konstantes Genus aufweisen (Nomen) und c) mit dem
17
sächsischen Genitiv inkompatibel sind.15 Dies trifft sowohl auf die Artikel als auch auf
herkömmliche Pronomina zu: *Das/ ein/ mein/ kein/ dieses/ jedes/ manches Annas Buch. Dagegen
gelten als Pronomina solche Wörter, die nicht schon als Determinative ausgeschieden wurden,
nicht in den Distributionsrahmen "Determinativ ____ Nomen" passen (also keine Adjektive
sind) und die die gleiche Umgebung wie Nominalphrasen haben (EN 18-20), z.B. ich, du, er, man,
jemand, wer (EN 649). Die auf distributionellem Wege bestimmten Klassen werden auch
semantisch ausgedeutet: Das Nomen – so Engel (EN 523) – könne Größen nur "benennen"; erst
die durch das Hinzutreten des Determinativs entstehende Nominalphrase könne Größen
"bezeichnen", d.h. als Ausschnitt aus der Wirklichkeit ausweisen. Das Pronomen könne diese
Funktion dagegen selbständig ausüben (EN 649). – Engel wendet sich gegen eine Begrifflichkeit
(z.B. die Glinz'sche Kategorie der "Begleiter und Stellvertreter des Nomens"), welche die
Funktion von Determinativen und Pronomina in einer einzigen Klasse vereinigt, denn dabei
fielen (unbeabsichtigt), jene Wörter heraus, die entweder nur Stellvertreter (z.B.
Personalpronomina) oder nur Begleiter (einziges Beispiel: lauter) seien (EN 524). Man mag diese
Argumentation als spitzfindig betrachten, muß dann aber hinnehmen, daß die "Begleiter und
Stellvertreter des Nomens" Elemente mit unterschiedlichen syntaktischen Verwendungsmöglich-
keiten umfassen. Wie löst Engel das Problem, daß sich die beiden Mengen der autonom bzw.
attributiv verwendeten Elemente nur teilweise überschneiden? Er schlägt die besonders
zahlreiche Schnittmenge, also Wörter wie dieser, jeder, mancher, alle den Determinativen zu. Das
resultiert bereits aus dem gestuften Testverfahren: einmal als Determinative ausgesondert,
werden solche Wörter nicht mehr dem Pronomina-Test unterzogen. Engel rechnet sie "auch bei
autonomem Gebrauch" zu den Determinativen" (EN 524). Nur wo sich die beiden
Gebrauchsweisen morphologisch unterscheiden, also z.B. bei ein/einer, kein/keiner, mein/meiner,
setzt Engel homonyme Lexeme an und ordnet diese verschiedenen Wortklassen zu (ebd.). Engel
versucht, sein – m.E. einleuchtendes, aber nicht zwingendes – Vorgehen plausibler zu machen,
indem er eine Hauptfunktion von Determinativen postuliert. Demnach sind Determinative "in
ihrer Hauptfunktion Begleiter des Nomens und nur teilweise in einer Nebenfunktion auch
Vertreter der Nominalphrase" (EN 524). Worauf sich diese Annahme stützt, wird weder hier
noch an anderer Stelle (EN 649f) klar. Man könnte vermuten, daß sich Engel auf statistische
15 Das Kriterium der Unverträglichkeit mit dem sächsischen Genitiv müßte präziser wie folgt formuliert sein: "Wörter, die als Attribute in Nominalphrasen erscheinen können, aber mit dem sächsischen Genitiv inkompatibel sind, werden als Determinative definiert"; andernfalls müßten auch Pronomina wie er, sie, wir oder andere Wortklassen, die Engel erst in der Folge "aussortiert", aufgrund ihrer Unverträglichkeit mit dem sächsischen Genitiv als Determinative gelten.
18
Daten stützt; dem aber steht entgegen, daß Engel derlei Erwägungen in einem anderen
Zusammenhang als Entscheidungsbasis für die Zuweisung zu Wortklassen ablehnt.16
3.1.2. Helbig/Buscha
Bei Helbig/Buscha gehören autonom gebrauchte Pronomina zur übergreifenden Klasse der
"Substantivwörter" (HB 229ff) und werden entsprechend als Subklasse "substantivische Pro-
nomina" ausgewiesen (HB 231-236; 251ff). Die zutreffende Beobachtung (HB 229), daß
substantivische Pronomina nicht in den für Substantivwörter allgemein gültigen
Distributionsrahmen passen, weil sie bei einer Substitution nicht nur das Substantiv selbst,
sondern auch das vorausgehende Artikelwort (und Adjektiv), also die gesamte Nominalphrase,
ersetzen, wird offenbar nicht als Hinderungsgrund für diese Art von Wortklasseneinteilung
angesehen. Als "Artikelwörter" gelten dagegen die attributiven Elemente in folgenden
Beispielsätzen: Der Freund spricht. Mein Arzt kommt morgen. Alle Studenten haben die Prüfungen bestanden
(HB 355). Helbig/ Buscha grenzen Artikelwörter folgendermaßen von anderen Wortklassen ab:
Sie stehen immer vor einem Substantiv (wenn auch nicht immer direkt davor), können nicht mit
anderen Artikelwörtern koordinativ verbunden werden, ändern ihre Position im Satz gemeinsam
mit dem zugehörigen Substantiv, kongruieren mit diesem in Genus, Kasus und Numerus und
treten (wenn man den Nullartikel berücksichtigt) obligatorisch auf. (HB 355f). Zu den
Artikelwörtern rechnen Helbig/ Buscha außer den Artikeln selbst die "adjektivischen
Pronomina" dieser, jener, ein solcher, mein, dessen, welcher, jeder, mancher, kein usw. (HB 357f).
Helbig/Buscha unterscheiden also genau zwischen "substantivischen" und "adjektivischen"
Pronomina und weisen sie verschiedenen übergreifenden Wortklassen zu (statt sie als "Begleiter
und Stellvertreter des Nomens" zu vermengen), setzen aber – im Gegensatz zu Engel – eine
ganze Reihe von homonymen Lexemen an, die sich paarweise auf Artikelwörter und Substantiv-
wörter verteilen. Vor allem bei den substantivischen Pronomina wird immer wieder auf
"gleichlautende" Artikelwörter Bezug genommen (z.B. HB 234, 235, 253, 255). Morphologische
Unterschiede (z.B. ein Hut/einer) werden zwar erwähnt, können aber – anders als bei Engel –
nicht als Rechtfertigung für die Lexem-"Verdoppelung" fungieren, da diese ja auch bei fehlenden
Flexionsabweichungen (z.B. mancher Student/ mancher) vorgenommen wird. Daß sich die Lexem-
Paare auch semantisch nicht unterscheiden, ist Helbig/Buscha wohl bewußt; mehrfach heißt es,
substantivische Pronomina stimmten "völlig" mit den entsprechenden Artikelwörtern "überein"
16 Um die Nichtberücksichtigung von Adjektiven wie sicher, gewiß, bestimmt bei den Modalpartikeln zu rechtfertigen schreibt Engel: "Die Frage der Gebrauchshäufigkeit hat bei der Wortklassenzuweisung keine Rolle zu spielen, schon weil sie in vielen Fällen gar nicht ohne weiteres zu entscheiden sein dürfte." (EN 762)
19
(HB 234, 235). Es liegt also der Fall vor, daß homonyme Lexeme angesetzt werden, die sich
weder morphologisch noch semantisch, sondern nur in ihrer syntaktischen Verwendung
unterscheiden.
3.1.3. Hentschel/Weydt
Hentschel/Weydt halten sich an die traditionelle Unterscheidung von Artikeln und
Pronomina. Das ihrer Meinung nach wichtigste Argument für einen weiten Artikelbegriff wie den
von Helbig/Buscha oder Eisenberg, nämlich daß sich Artikel und (attributive) Pronomina
gegenseitig ausschließen (*der dieser, *ein mein Buch), weisen sie zurück, weil es nicht für alle
Sprachen gelte (HW 203). Belegt wird dies mit dem italienischen Beispiel la mia casa ("mein
Haus", wörtlich: "das meinige Haus"), wo Artikel (la) und Pronomen (mia) – vermeintlich –
zusammen auftreten. Diese, m.E. sachlich nicht zutreffende Beobachtung verwundert insofern,
als die Autoren wenig später (HW 214) mitteilen, daß in der romanischen Grammatiktradition die
"adjektivischen" Pronomina als Adjektive gelten.17 Die Hauptfunktion des Artikels sehen Hen-
tschel/Weydt in der sog. Aktualisierung, d.h. in der Anwendung des (im Nomen ausgedrückten)
Begriffs auf das im Einzelfall bezeichnete Objekt. Da die Autoren ihre Kategorien nicht
distributionell gewinnen, sondern semantisch fundieren wollen (s.o. 2.3.3), muß die
"Bezeichnungsfunktion", welche bei Engel als semantische Ausdeutung einer auf anderem Wege
gewonnenen Wortklasse erscheint, hier als konstitutitv für die Wortart "Artikel" gelten. Da
andererseits anerkannt wird, daß "verschiedene Pronomina (z.B. jede/r, mein, kein, jene/r, welche/r)"
dieselbe Funktion übernehmen (HW 204), bleibt letztlich unklar, worin das Spezifikum einer
enggefaßten Artikelklasse besteht. "Pronomina" werden demgegenüber wie folgt definiert: Sie
treten für ein Nomen ein und charakterisieren Objekte nicht "inhaltlich-kategorematisch",
sondern "situieren sie im Sprechkontext" (HW 214). "Sie haben (…) eine deiktische Bedeutung
und eine substantivische oder adjektivische Wortartbedeutung" (ebd.). Substantivische
Pronomina sind dementsprechend ich, dir, sie, adjektivische dieser (Hund), mein (Buch), jenes (Haus)
(ebd.).18 Hentschel/Weydt verwenden also eine ähnliche Terminologie wie Helbig/Buscha19,
17 In der "Grammatik der italienischen Sprache" von Christoph Schwarze werden die Possessiva als "Postartikel" gewertet, die "in ihren grammatischen Eigenschaften den Adjektiven eng verwandt" sind. (Schwarze 1995: 35f). 18 Abgesehen von der (distributionellen) Problematik dieser Begrifflichkeit (vgl. oben), mag man auch unter semantischen Gesichtspunkten bezweifeln, ob den attributiven "Pronomina" etwas "Adjektivisches" anhaftet. Fraglich ist z.B., ob mein in mein Buch dem Objekt Buch tatsächlich in derselben Weise eine Eigenschaft zuschreibt (vgl. HW 19), wie das attributive Adjektiv spannend in das spannende Buch. Das Buch ändert seine Eigenschaften ja nicht je nachdem, wem es gehört. Das Adjektiv hat qualifizierende Funktion, das Possessivum situierende (deiktische). Dagegen läßt sich allerdings einwenden, daß Sprache außersprachliche Wirklichkeit nicht einfach widerspiegelt, sondern die Sicht des Sprechers auf die Realität reflektiert. In diesem Sinne läßt sich argumentieren, daß der Sprecher u.U. eine Relation zwischen Objekt und Sprechkontext als Eigenschaft des Objekts selbst darstellt.
20
fassen die "adjektivischen Pronomina" aber nicht mit den Artikeln in einer Klasse zusammen,
sondern belassen sie in der übergreifenden Klasse der Pronomina. Daß so eine doppelte
Besprechung in verschiedenen Grammatikkapiteln vermieden werden kann, führen sie als
beschreibungsökonomischen Vorteil ihres Vorgehens ins Feld (HW 214). Der Nachteil ist eine
wenig trennscharfe Definition der Klassen selbst, denn bei Hentschel/ Weydt können viele
Pronomina semantisch ("Aktualisierung") und syntaktisch ("adjektivischer" Gebrauch) dasselbe
leisten wie die Artikel.
3.1.4. Duden-Grammatik
In der Duden-Grammatik ist man von der in früheren Ausgaben20 angesetzten Wortart "Be-
gleiter und Stellvertreter des Nomens" wieder abgekommen und zur Zweiteilung in "Artikel" und
"Pronomina" zurückgekehrt. Artikel stehen vor dem Substantiv (inkl. seiner attributiven
Adjektive), kongruieren mit diesem in Genus, Kasus und Numerus, werden zusammen mit
diesem im Satz verschoben und können (aufgrund komplementärer Distribution) in der Regel
nicht miteinander kombiniert werden (DU 304f). Wenn sie dennoch gehäuft auftreten (z.B. alle
diese Bücher) handelt es sich um "additive Kombinationsvarianten" der gegenseitigen
Einschränkung und Präzisierung (vgl. HB 355f.) und jeder der beiden Artikel kann jederzeit
weggelassen werden (alle Bücher, diese Bücher), weil der andere die "Artikelfunktion" allein ausübt.
Dies gilt dagegen nicht bei Kombinationen von Artikel und Adjektiv (mein ganzes Geld mein
Geld/ *ganzes Geld) (DU305f).21 Innerhalb der Wortart "Artikel" unterscheidet der Duden "Ar-
tikel im engeren Sinne" (bestimmter, unbestimmter, Nullartikel) und "Artikel im weiteren Sinne"
(DU 304). Zu letzteren zählen Demonstrativ-, Possessiv-, Interrogativ- und Indefinitpronomina
– z.B. dieser, mein, jeder – jedoch nur, wenn sie attributiv auftreten. (DU 321). Wenn man den
"Duden" wörtlich nimmt, bedeutet dies, daß ein Wort wie dieser prinzipiell ein
(Demonstrativ)Pronomen ist, dies auch in attributiver Verwendung bleibt, dann aber gleichzeitig
als "Artikel im weiteren Sinne" zu klassifizieren ist. Der Verzicht auf das Ansetzen von jeweils
zwei homonymen (und z.T. morphologisch unterscheidbaren) Lexemen führt zwangsläufig dazu,
daß auch der Begriff des Pronomens unscharf wird; es hat zwar die Fähigkeit "als Stellvertreter
oder Platzhalter für ein Nomen zu dienen" (DU 321), wird aber – wie der Artikel – "auch in
Verbindung mit einem Substantiv" (DU 87) gebraucht. Das Vorgehen des Dudens ist ähnlich
19 Den Ausdruck "adjektivische Pronomina" (als Teilklasse der Artikelwörter) benutzen Helbig/Buscha übrigens – entgegen der Bemerkung von HW 214 – auch schon in früheren Ausgaben ihrer Grammatik, z.B. Helbig/Buscha 1981: 317. 20 z.B. in der 3. Auflage (1973), vgl. Grebe u.a. 1973: 270ff. 21 Deshalb wird sämtlich als Artikel gewertet: meine sämtlichen Bücher meine Bücher/ sämtliche Bücher (DU 306)
21
problematisch wie bei Hentschel/Weydt. Da Pronomina wie dieser, alle usw. keine
Entsprechungen in gleichlautenden "Artikeln im weiteren Sinn" haben, sondern selbst, d.h. als
Pronomina, Artikelfunktionen übernehmen, verschwimmen die definitorischen Grenzen
zwischen den beiden Wortklassen. Positiv gewendet ließe sich darin u.U. der Versuch erblicken,
Wortarten nicht völlig mit syntaktischen Funktionen zu identifizieren, also nicht für jede
syntaktische Funktion, die ein Wort übernehmen kann, ein eigenes Homonym anzusetzen.
3.2. Adverb oder Adjektiv?
Wenden wir uns nun einem Problem zu, das schon angesprochen wurde: der Abgrenzung
von Adjektiv und Adverb. Linke u.a. (1996: 75) kritisieren die Tatsache, daß viele Grammatiker
schön in den Sätzen Sie hat schönes Haar/ Sie ist schön als Adjektiv werten, während sie es in Sie singt
schön als Adverb einstufen. Wie verhalten sich in dieser Hinsicht die vier von uns untersuchten
Grammatiken?
3.2.1. Engel
Engel führt die Adjektivprobe vor der Adverbprobe durch, so daß Wörter, die bereits als
Adjektive klassifiziert worden sind, nicht mehr als Adverbien klassifiziert werden können.
Adjektive sind für Engel Wörter, die gemäß seinem gestuften Klassifikationsverfahren (EN 18-
20) nicht konjugierbar sind (Verben), kein konstantes Genus haben (Nomen), in der
Nominalphrase nicht mit dem sächsischen Genitiv inkompatibel sind (Determinative) und
jederzeit in dem Distributionsrahmen "Determinativ ___ Nomen" stehen können.22 Wenn ein
Wort bei diesen und den nachfolgenden Proben für Pronomina, Präpositionen und Subjunktoren
keiner Wortklasse zugewiesen werden kann, außerdem erststellenfähig ist und auf Sachfragen
(Ergänzungsfragen) antwortet, wird es als Adverb klassizifiziert. Adverbien sind also Partikeln
(unflektierbare Wörter), die allein im Vorfeld des Aussagesatzes stehen können und auf W-
22 Engel klassifiert auch Partizipien in attributiver Stellung als Adjektive (EN 557). Dies verwundert insofern, als Partizipien Flexionsformen von Verben sind und Verben bereits vor der Adjektivprobe ausgeschieden werden. Der Widerspruch kann allerdings aufgelöst werden, wenn man bedenkt, daß Verben als konjugierbar (nicht jedoch deklinierbar!) definiert sind. Attributive, deklinierte Partizipien sind in dieser Sicht keine Verbformen, sondern eigenständige Lexeme. Beispiel: In Der Baum ist abgestorben ist das Partizip eine Form des verbalen Lexems absterben, in der abgestorbene Baum eine Form des adjektivischen Lexems abgestorben. Nicht attributiv verwendbare Wörter wie pleite, baff, egal sind für Engel konsequenterweise keine (nur "prädikativ verwendbaren") Adjektive, sondern Kopulapartikeln (vgl. EN 18-20; 767ff). Problematisch ist deren Abgrenzung m.E. insofern, als einige dieser Partikeln gemäß dem Engel'schen Flußdiagramm (EN 20) eigentlich als Adverbien klassifiziert werden müssen, und zwar wenn sie erststellenfähig und erfragbar sind (Was bist du? – Pleite bin ich.)
22
Fragen antworten (oder selbst W-Frageelemente sind) (EN 749).23 Für Engel ist schön also
unabhängig von seiner syntaktischen Funktion und damit in allen drei o.a. Beispielsätzen ein
Adjektiv. Die z.T. ähnliche syntaktische Funktion von Adverbien und Adjektiven, illustriert am
Beispiel Er ist mir blindlings (Adv.)/ bereitwillig (Adj.) gefolgt, sieht Engel durchaus, bezeichnet sie
aber nicht als "adverbial", sondern als "Satzangabe" (EN 754, 219ff). Die Verwendung des
Begriffs "adverbial/ Adverbialbestimmung", und demzufolge die Klassifizierung eines Adjektivs
in Angabefunktion als Adverb, kritisiert er als Verwechslung von Wortklasse und syntaktischer
Funktion (EN 754), zumal Adverbien nicht nur in Angabefunktion erscheinen, sondern auch als
Verbergänzungen oder Attribute zum Nomen (EN 749). Engels Argumentation ist im Sinne der
Trennung von Wortart- und Satzlehre sowie der Vermeidung von Doppelzuweisungen zweifellos
zuzustimmen. Theoretisch wäre es aber auch möglich, Adverbien als nichtflektierbare Wörter zu
definieren, die allein das Vorfeld besetzen und auf Ergänzungsfragen antworten können. Zu
einem Adjektiv wie (der) schön(e Garten) könnte man dann ein homonymes adverbiales Lexem (Sie
singt) schön ansetzen, das sich hinsichtlich seiner morphologischen (nicht flektierbar) und
syntaktischen Eigenschaften vom gleichlautenden Adjektiv unterscheidet.
3.2.2. Helbig/Buscha
Diesen Weg beschreiten im Prinzip Helbig/Buscha. Zur Definition von Adjektiven ver-
wenden sie zwei Distributionsrahmen (HB 308), in die nur Adjektive in attributiver oder
"prädikativer" Verwendung eingefügt werden können. Alle Wörter, die (wenigstens) in einen der
beiden Rahmen passen, gelten als Adjektive.24 Auch bei der morphosyntaktischen Beschreibung
(310ff) wird nur der attributive und prädikative Gebrauch erwähnt. Daraus ist bereits zu
erschließen, daß entsprechende "Homonyme" in Angabefunktion (bzw. als "adverbiale
Bestimmung") nicht als Adjektive gewertet werden. Bestätigt wird diese Vermutung durch die
Definition der Adverbien. Diese werden von Helbig/Buscha als nicht flektierbare Wörter
bestimmt, die adverbial, prädikativ oder attributiv auftreten (HB 337). Es wird jeweils ein Distri-
butionsrahmen angegeben: Der Mann arbeitet (dort). Der Mann ist (dort). Der Mann (dort) arbeitet den
ganzen Tag. (HB 338f) Auch ein Wort wie fleißig kann in den adverbialen oder prädikativen
Rahmen eingesetzt werden. Bei "adverbialer" Verwendung gilt es dann als Adverb, bei
prädikativer aber als Adjektiv (HB 343). An diesem Beispiel sehen wir zunächst einmal, daß die
Distributionsrahmen für Adjektive und Adverbien wenig trennscharf arbeiten; in beiden Fällen
23 Engel (EN 750) zählt auch Wörter wie bislang, bisher, mitunter, oft zu den Adverbien, die – so Hentschel/Weydt (HW 239) – nicht eindeutig erfragbar sind. 24 Also zählen bei Helbig/Buscha auch Engels "Kopulapartikeln" zu den Adjektiven.
23
wird ein prädikativer Gebrauch geprüft, aber unterschiedlich bewertet, was die Zuordnung zu
Wortklassen betrifft. Der Adverb-Rahmen Der Mann ist … (HB 338) erscheint sogar wortgleich
als Adjektiv-Rahmen (HB 308) und kann sowohl mit fleißig als auch dort gefüllt werden. Daß fleißig
ein Adjektiv ist und dort ein Adverb, ergibt sich also nicht aus den entsprechenden Tests.25
Zweitens bestätigt sich unsere Vermutung: Helbig/Buscha bezeichnen Adjektive, wenn sie
nichtflektiert als Satzangabe (Engel) auftreten, als Adverbien, oder besser: sie setzen homonyme
Adverbien an. In Er braucht dringend Hilfe und Er arbeitet schnell (HB 340) gelten dringend und schnell
daher als Adverbien.26 Solche "Adverbien, die der Form nach mit den Adjektiven
übereinstimmen" nennen Helbig/Buscha "Adjektivadverbien" (HB 337). Diese bilden freilich
keine eigene Klasse, auch keine Teilklasse der Adverbien, sondern sind Adverbien, zu denen es
gleichlautende Adjektive gibt. Es erstaunt, daß Helbig/Buscha die doppelte Klassifizierung von
Wörtern wie fleißig oder schnell nirgends explizit rechtfertigen; allerdings steht ihr Vorgehen im
Einklang mit dem – schon bei den Artikelwörtern/Pronomina beobachteten – generellen Ansatz
ihrer Grammatik, verschiedene syntaktische Funktionen von Wörtern durch Zuweisung zu
verschiedenen Wortklassen zu erfassen. Wortklassen sind im Grunde syntaktische Funktionen.
3.2.3. Hentschel/Weydt
Auch Hentschel/Weydt unterscheiden Adjektive und Adverbien und sprechen bei "adverbial
verwendeten" Adjektiven von "Adjektivadverbien". Die Kategorie der Adjektive ist semantisch
begründet: Adjektive haben, wie Substantive und Verben eine kategorematische Bedeutung, glie-
dern also etwas aus der außersprachlichen Wirklichkeit aus, und eine (adjektivische) kategorielle
Bedeutung, die darin liegt, daß sie dieses Etwas als Eigenschaft fassen, die einem Gegenstand
zugeschrieben wird (HW 16, 19, 179). Es werden drei Verwendungsweisen des Adjektivs
differenziert: attributiv, prädikativ und adverbial (HW 180). Beim Standardfall der adverbialen
Verwendung bezieht sich das Adjektiv auf ein Verb.27 "Man spricht dann syntaktisch von einem
Adjektivadverb" (HW 182). Die Vermengung von Wortartkategorien in einem einzigen Terminus
ist – wie ich meine – prinzipiell problematisch; das gilt ebenso für die "Adjektivadverbien" bei
25 Das Problem könnte gelöst werden, wenn man von Adjektiven forderte, daß sie stets als flektiertes (Links)Attribut von Nomen erscheinen können; damit wären allerdings Wörter wie pleite, baff, egal ebenfalls aus der Klasse der Adjektive ausgeschlossen (vgl. Anm. 21, 23). 26 Allerdings wird das "prädikative Attribut" gesund in Der Mann kommt gesund an als Adjektiv gewertet, weil sich der Satz wie folgt transformieren läßt: Der Mann kommt an. Er ist gesund. 27 Hentschel/Weydt kennen noch eine zweite "adverbiale" Verwendung des Adjektivs, nämlich mit Bezug auf ein anderes Adjektiv, z.B. in Er sprach unnatürlich laut. Da Adjektive in dieser Verwendung nicht mit sehr kombinierbar sind, plädieren die Autoren dafür, sie "als graduierend aufzufassen und damit auch syntaktisch wie Intensivpartikeln zu behandeln" (HW 185). – Ähnlich wie Helbig/Buscha besprechen sie auch die Funktion des Adjektivs als "prädikatives Attribut" zu Subjekt oder Objekt (Wir verspeisten das Fleisch roh). Hier tritt das Adjektiv als es selbst auf und ist nicht mit dem Adjektivadverb zu verwechseln (HW 183).
24
Helbig/Buscha. Aber bei Hentschel/Weydt kommt noch etwas hinzu, denn "Adjektivadverbien"
sind eigentlich keine Adverbien (wie bei Helbig/Buscha), sondern Zwitterwesen: halb Wortart
(Adjektiv), halb syntaktische Funktion. Im Adverb-Kapitel verwehren sich Hentschel/Weydt
nämlich dagegen, daß adverbial verwendete Adjektive als Adverbien gewertet werden. Daß dies
oft geschehe, liege daran, daß mit "Adverb" "einmal die syntaktische Funktion (Adverbial-
bestimmung) und einmal eine auf diese Funktion spezialisierte Wortart gemeint ist." (HW 235f.)
Hentschel/Weydt selbst dagegen wollen unter "Adverb" ausschließlich die Wortart und nicht die
syntaktische Funktion verstehen (ebd.). Aus all dem kann man nur schließen, daß
"Adjektivadverbien" – was paradox anmuten mag – keine Adverbien sind! Daher heißt es z.B.
bezüglich der Modaladverbien (HW 237): "Zu dieser semantischen Gruppe würde auch die
Mehrzahl der Adjektivadverbien gehören" – aber in Wirklichkeit gehören sie offenbar nicht dazu.
Fazit: Adjektivadverbien sind bei Hentschel/Weydt keine Adverbien (wie bei Helbig/Buscha),
sondern Adjektive, die syntaktisch mit Bezug auf ein Verb ("adverbial") verwendet werden.
Damit sind auch auch Probleme für die von Hentschel/Weydt postulierte semantische
Fundierung der Wortarten verknüpft: Jeglicher semantische Unterschied zwischen Adjektiven
und Adverbien wird nämlich von "Grenzgängern" wie den Adjektivadverbien in Frage gestellt. In
Der Mann arbeitet fleißig wird die Eigenschaft des Fleißes eben nicht (wie beim attributivem oder
prädikativen Gebrauch des Adjektivs) einem Gegenstand zugeschrieben. Schon eher gilt hier für
fleißig, was auch für Adverbien gilt: sie "bezeichnen die Umstände näher, unter denen sich
beispielsweise eine im Verb ausgedrückte Handlung vollzieht." (HW 235) Solche inneren
Widersprüche lassen sich nur vermeiden, wenn man entweder (wie Engel) nicht den Anspruch
erhebt, die syntaktischen (und/oder semantischen) Funktionen einer Wortklasse vollständig
abzubilden, oder wenn man (wie Helbig/Buscha) eine doppelte Klassifizierung erlaubt. Daß
Hentschel/Weydt diese zweite Möglichkeit nicht nutzen, mag daran liegen – aber diesbezüglich
sind wir auf Vermutungen angewiesen –, daß sie das Ansetzen von homonymen, semantisch
nicht unterscheidbaren Mitgliedern unterschiedlicher Wortklassen vermeiden wollen.
3.2.4. Duden-Grammatik
Der Duden beschreitet im Prinzip einen ähnlichen Weg, d.h. Adjektive können zwar
vergleichbare Funktionen wie Adverbien übernehmen ("adverbialer Gebrauch" DU 258f.), gelten
aber doch stets als Adjektive. Den Terminus "Adverb" will der Duden als rein "lexikalische", d.h.
Wortartkategorie, nicht jedoch als syntaktischen Begriff verstanden wissen (DU 355). "Dadurch
wird ausdrücklich auch das Adjektiv (…) aus dem Bereich des Adverbs ausgeschlossen. Das
Adjektiv kann zwar (…) als Umstandsangabe oder adverbiale Bestimmung dienen, im Hinblick
25
auf die Wortart ist es aber streng vom Adverb zu scheiden." (ebd.) Die bei Hentschel/Weydt
aufgezeigten Widersprüche zwischen semantischer Definition des Adjektivs und seiner
adverbialen Funktion löst der Duden durch eine Erweiterung der traditionellen semantischen
Merkmale dieser Wortart: Demzufolge können Adjektive nicht nur einem Gegenstand, sondern
auch einem Geschehen eine Eigenschaft zuweisen (DU 254). Somit schwindet der semantische
Unterschied zwischen Adjektiv und Adverb, denn zwischen "Eigenschaften" und "näheren
Umständen" eines Geschehens ist eine klare Trennlinie nicht mehr ziehbar. Das schon zitierte
Satzpaar von Engel mag dies noch einmal illustrieren: Er folgte ihr bereitwillig (Eigenschaft)/
blindlings (nähere Umstände). Da sich – wie gesehen – auch die syntaktischen Funktionen der
beiden Wortarten überlappen, verbleibt dem Duden als sichere Grundlage der Abgrenzung von
Adjektiv und Adverb nur die Morphologie: "Man darf sich (…) durch die Tatsache, daß das
Adjektiv als adverbiale Bestimmung immer unflektiert gebraucht wird, nicht irremachen lassen:
Als adverbiale Bestimmung begegnet es im Satz zwar unflektiert (…), als Wortart ist es aber
grundsätzlich flektierbar." (DU 355)28 Der Duden kann den dargestellten Weg gehen, weil er
semantische, syntaktische und morphologische Kriterien bei der Wortartdefinition
gleichberechtigt (und abwechselnd) nutzt. Hentschel/Weydt dagegen ist eine solche Lösung
verwehrt, weil sie die Semantik als Leitkriterium der Wortklassenbestimmung postulieren, eine
Überschneidung der semantischen Funktionen von Adjektiv und Adverb also nicht zulassen
können. – Abschließend sei vermerkt, daß auch der Duden Wortart- und Syntaxkategorien nicht
immer deutlich trennt. So heißt die vom "adverbial" verwendeten Adjektiv ausgeübte
syntaktische Funktion z.B. in Sie ging eilig nach Hause "adverbiales Satzadjektiv" (DU 253, 626).
"Satzadjektiv" ist also entgegen dem Anschein keine Subklasse der Wortart Adjektiv, sondern
eine syntaktische Kategorie, die zudem – und dies erstaunt, kann aber hier nicht vertieft werden –
von der syntaktischen Funktion eines "adverbialen Präpositionalgefüges" (DU 620) wie in Sie ging
in aller Eile nach Hause unterschieden wird.
3.3. Modal- und Rangierpartikel, Modalwort, Satz- und Kommentaradverb
In diesem Abschnitt wollen wir uns Wörtern zuwenden, die nichts zur Beschreibung des
Sachverhalts beitragen, sondern eine Bewertung desselben durch den Sprecher ausdrücken:
hoffentlich, sicherlich, glücklicherweise u.a. Traditionell und in Wörterbüchern meist als Adverbien
28 Nicht klar wird, warum der Duden einerseits zuläßt, daß attributiv verwendete Pronomina als Artikel gewertet werden (vgl. oben 3.1.), andererseits aber "adverbial" verwendete Adjektive nicht als Adverbien betrachten will.
26
klassifiziert, teilen sie zwar die Erststellenfähigkeit mit diesen, können aber nicht auf Sachfragen
antworten.
3.3.1. Engel
Engel grenzt die Gruppe der hier interessierenden Wörter in bekannter distributioneller
Weise ein. Ein Wort, das die Tests für Verb, Nomen, Determinativ, Adjektiv, Pronomen,
Präposition und Subjunktor nicht bestanden hat, außerdem erststellenfähig ist und nicht auf
Sachfragen antwortet (also kein Adverb ist), wird als Modalpartikel ausgewiesen, wenn es auf
Entscheidungsfragen antworten kann (z.B. hoffentlich, vielleicht, leider) und als Rangierpartikel, wenn
es auf keinerlei Fragen antwortet (z.B. jedoch, gottlob, wenigstens) (EN 20, 762-764). Zwar dienen
auch Wörter wie bestimmt, sicher, gewiß, natürlich als Antworten auf Ja-Nein-Fragen, aber sie wurden,
da attributiv verwendbar, bereits zuvor als Adjektive ausgefiltert und gelten somit nicht als
Modalpartikeln (EN 762). Gleiches gilt für Adjektive wie wirklich, wahrhaftig, die nicht zusätzlich
als Rangierpartikeln geführt werden (EN 763). Daß sich bestimmte unflektierte Adjektive
syntaktisch ganz ähnlich verhalten wie Modal- und Rangierpartikeln und dabei ebenso wie diese
eine "Bewertung des Sachverhalts" durch den Sprecher ausdrücken (EN 762, 763), schlägt sich
bei Engel nicht in der Wortklassenzuweisung nieder, sondern auf der Ebene syntaktischer Analyse:
Angehörige verschiedener Wortklassen, aber auch komplexe sprachliche Ausdrücke erscheinen
hier als "existimatorische Angaben" (EN 226ff), die "eine Einschätzung des Sachverhalts durch
den Sprecher" (EN 226) wiedergeben und semantisch weiter subklassifiziert werden können.
"Ordinative Angaben" etwa "setzen Äußerungen in Beziehung zu anderen Äußerungen (…),
überschreiten also insofern die Satzgrenze" (EN 228). Sie sind realisiert durch Modalpartikeln wie
allerdings, freilich und Rangierpartikeln wie beispielsweise, jedoch, sowieso u.a., auch durch die
unflektierten Adjektive gewiß, sicher, wirklich, tatsächlich und komplexe Ausdrücke wie auf der
einen/anderen Seite, in erster Linie etc. Ähnliche Mischungen sprachlicher Darstellungsmöglichkeiten
finden sich bei den "judikativen" Angaben, die zum Ausdruck bringen, "wie der Sprecher einen
Sachverhalt bewertet, wie er ihn findet" (EN 229) und bei den "verifikativen" Angaben, die den
"Realitätsgehalt eines Sachverhalts (modifizieren)" (EN 230). M.a.W.: Dadurch, daß Engel im
Syntaxteil seiner Grammatik bestimmte gemeinsame syntaktische ("Angabe") und semantische
("Bewertung") Funktionen von Modal-/Rangierpartikeln und Adjektiven erfaßt und darstellt, ist
er nicht darauf angewiesen, derartige Ähnlichkeiten bei der Wortklassenanalyse zu
berücksichtigen.29 Das theoretisch stringente Verfahren Engels wird in der Praxis allerdings nicht
immer ganz durchgehalten. Dies erweist sich insbesondere im Umgang mit homonymen Lexe-
27
men. Prinzipiell läßt Engel Homonyme zu, wenn sich Bedeutungsunterschiede erkennen lassen.
So steht der bejahenden, leicht vorwurfsvollen Modalpartikel allerdings (z.B. Kommst du mit? –
Allerdings.) die gleichlautende einschränkende Rangierpartikel (Ich komme gern, allerdings später)
gegenüber (EN 89).30 Oder die Abtönungspartikel vielleicht (Ich habe vielleicht einen Hunger!)
kontrastiert mit der homonymen Modalpartikel (Hast du vielleicht etwas zu essen?) (EN 238, 762f).
Aber nicht immer sind Unterschiede in der Bedeutung klar erkennbar. Warum z.B. gilt teilweise als
(graduatives) Adverb in Teilweise schien ihr das Schauspiel zu gefallen oder in Sie ist teilweise geheilt (EN
754), aber als Modalpartikel in Sie haben ja teilweise recht (EN 763)?31 Warum sind fast und
gewissermaßen neben Modalpartikeln (EN 762) auch Gradpartikeln (EN 227), während dasselbe
nicht für beinahe gilt? Vergleichbare Fragen stellen sich bei manchen Rangierpartikeln, am
deutlichsten vielleicht bei solchen, die – ohne erkennbare Bedeutungsabwandlung – zusätzlich als
Konjunktoren klassifiziert wurden. Bei dem Konjunktor vielmehr (Vielmehr wir haben …) heißt es,
an seine Stelle trete meist die "gleichlautende und gleichbedeutende" Rangierpartikel (Vielmehr
haben wir …) (EN 747). Entsprechend Engels Flußdiagramm (EN 20) dürfte vielmehr, da
erststellenfähig, nur als Rangierpartikel ausgewiesen werden; daß es sich auch wie ein Konjunktor
verhalten kann, dürfte hier ebensowenig eine Rolle spielen wie bei doch (EN 742, 867), jedoch (EN
763, 872) und nur (EN 743). Andernfalls ist nicht einzusehen, warum für Adjektive wie sicher,
gewiß, bestimmt nicht ebenfalls homonyme Modalpartikeln angesetzt werden können.
Problematisch erscheint mir, daß Engel mit solchen (Doppel)zuweisungen das Grundprinzip
seines Klassifizierungsverfahrens – jedes Wort, abgesehen von bedeutungsverschiedenen
Homographen, nur einer einzigen Klasse zuzuordnen (EN 19) – in Frage stellt. Weniger schwer
wiegen demgegenüber einzelne fragwürdige Klassenzuweisungen. So wird eigentlich in einem Satz
wie Eigentlich müßte ich jetzt gehen (EN 764) als Rangierpartikel bezeichnet, in dem sehr ähnlichen
Satz Eigentlich müßte sie das wissen (EN 231) dagegen als unflektiertes Adjektiv. Dieser Widerspruch
geht vermutlich auf unterschiedliche Einschätzungen der Frage zurück, ob das zitierte eigentlich (=
"ehrlich gesagt", "wenn man es richtig bedenkt" usw.) dieselbe Bedeutung hat wie das attributive
(die) eigentlich(e Frage) (= "wahr", "wirklich"). Es kann auch nicht ganz überzeugen, daß gern als
Adverb (EN 750) klassifiziert wird und nicht als Modalpartikel. Es ist erststellenfähig und
antwortet m.E. nicht auf Sachfragen (Wie gehst du ins Kino? *Gern.), sondern auf
Entscheidungsfragen (Kommst du mit? Gern.)32 – Abschließend sei angemerkt, daß die
Unterscheidung von Modal- und Rangierpartikeln nicht immer einfach ist. Manchmal ist nämlich
29 Darüberhinaus bespricht Engel auch textuelle Funktionen bestimmter Partikeln, vgl. "Textorganisatoren" EN 89ff. 30 Ähnliches müßte eigentlich für freilich gelten, wird aber von Engel nicht erwähnt, vgl. EN 90. 31 Außerdem wird teilweise als Gradpartikel gewertet (EN 227). 32 Man kann sich fragen, ob Engel gern vielleicht (unbewußt) aus semantischen Gründen nicht als Modalpartikel wertet, nämlich weil es keine Sprecherbewertung wiedergibt?
28
nicht klar auszumachen, ob die jeweilige Partikel auf Entscheidungsfragen oder auf gar keine
Fragen antwortet. Wenn etwa fast als Antwort akzeptiert wird (Bist du fertig? – Fast.), dann kann
man m.E. auch mindestens als Antwort gelten lassen (Hätte ich anrufen sollen? – Mindestens.) Für Engel
aber ist fast Modalpartikel und mindestens Rangierpartikel.
3.3.2. Helbig/Buscha
Helbig/Buscha (HB 500ff) sprechen von "Modalwörtern" und verstehen darunter neben den
unflektierbaren allerdings, freilich, hoffentlich, kaum, leider, sicherlich, vielleicht usw. auch solche, "die
zugleich attributiv verwendet werden" und "damit in die Klasse der Adjektive übertreten" (ebd.):
bestimmt, gewiß, natürlich, offenbar, unzweifelhaft u.a. Von Bedeutungsunterschieden ist dabei keine
Rede, weshalb wir davon ausgehen müssen, daß Helbig/Buscha auch hier – wie bei Adjektiv und
Adverb – homonyme Lexeme ansetzen, die sich lediglich hinsichtlich ihrer Distribution bzw.
syntaktischen Verwendbarkeit unterscheiden. Allerdings lassen sich Modalwörter nicht rein
distributionell ermitteln, denn sie teilen oberflächliche Stellungseigenschaften mit den Adverbien
(HB 501): Er kommt pünktlich ("Adverb")/ vermutlich (Modalwort) zur Schule. Aus diesem Grund
gibt es zweideutige Sätze wie Das Flugzeug ist sicher (=sicherlich/ risikolos) gelandet. Modalwörter
lassen sich erst durch Transformationen in einen übergeordneten Matrixsatz ermitteln, wobei der
abhängige Satz immer mit daß eingeleitet ist, während er bei modalen Adverbien mit wie beginnt.
Es ist sicher, daß das Flugzeug gelandet ist (Modalwort); Es ist sicher, wie das Flugzeug gelandet ist
(Adverb) (HB 501f). Modalwörter lassen sich – so Helbig/Buscha – auch stets mit einem
Schaltsatz paraphrasieren, Adverbien dagegen nicht: Er hat den Zug vermutlich nicht erreicht. Er hat
den Zug – so vermute ich – nicht erreicht (HB 502), weshalb man auch von "Schaltwörtern,
Einschubwörtern oder Parenthetika" spreche (HB 504). Helbig/Buscha nennen eine Reihe
weitere syntaktischer Eigenschaften von Modalwörtern, wobei nicht ganz klar wird, ob sie – wie
der Transformationstest – der Abgrenzung der Wortklasse selbst oder nur der Beschreibung
einer bereits hinreichend definierten Wortklasse dienen sollen. So wird darauf hingewiesen, daß
Modalwörter im Gegensatz zu Adverbien nicht negiert werden können (Er kommt vermutlich/
*pünktlich nicht. Aber: Er kommt nicht *vermutlich/ pünktlich.) und daß Modalwörter auf
Entscheidungsfragen antworten, Adverbien dagegen auf Ergänzungsfragen (HB 502). Damit
scheinen die "Modalwörter" (wenn man von den Adjektiv-Homonymen absieht) in die Nähe von
Engels "Modalpartikeln" zu rücken; allerdings zeigt sich, daß Helbig/Buscha Wörter wie gottlob,
wohl, womöglich, bedauerlicherweise, glücklicherweise, erstaunlicherweise als Modalwörter führen (HB 500),
während sie bei Engel als "Rangierpartikel" erscheinen (EN 763). Offenbar wird die Fähigkeit
solcher Wörter, allein auf Satzfragen zu antworten, ganz unterschiedlich eingeschätzt. Einerseits
29
belegt dies die oben erwähnte Schwierigkeit, Modal- und Rangierpartikeln voneinander
abzugrenzen, andererseits scheint mir, daß Wörter wie gottlob oder womöglich – ohne ein
zusätzliches "ja" – tatsächlich nicht als Antwort auf Ja-Nein-Fragen dienen können. Oder sollten
Helbig/Buscha das Merkmal "Antwort auf Entscheidungsfrage" nicht als zwingend für alle
Mitglieder der Wortklasse "Modalwörter" verstehen? Dagegen wiederum spricht, daß sie gerade
dieses Merkmal nutzen, um andere Engelsche Rangierpartikeln (jedenfalls, ohnehin, übrigens, vielmehr)
aus der Modalwort-Klasse auszuschließen (HB 510). Entscheidend für den Ausschluß dieser
Partikeln wie auch der "Negationswörter" keinesfalls, keineswegs, mitnichten (allesamt Modalpartikeln
bei Engel 762) ist vermutlich33, daß sie keine "Modalität", keine Einstellung des Sprechers
ausdrücken (HB 509, 510). Helbig/Buscha sehen das "Wesen der Modalwörter" (HB 503-506)
nämlich darin, daß sie syntaktisch "außerhalb des Satzzusammenhangs" stehen ("Schaltwörter")
und semantisch dementsprechend nichts zum propositionalen Gehalt beitragen, sondern als
"Einstellungsoperatoren" die "subjektiv-modale Einschätzung des Geschehenen durch den
Sprechenden aus(drücken)".34 Zusammenfassend können wir sagen, daß Helbig/Buscha
Modalwörter zwar prinzipiell distributionell definieren, vor allem durch Transformationstests von
Adverbien abgrenzen, mit dem Kriterium "Antwort auf Entscheidungsfrage" jedoch unsicheres
Terrain betreten (wobei der Status dieses Kriteriums bzw. Tests nicht deutlich wird) und
schließlich auch semantische Gründe gelten lassen, um bestimmte Lexeme von der Wortklasse
auszuschließen. Dadurch wird ihr Grundprinzip, Wortklassen zuerst distributionell-
transformationell zu definieren und danach semantisch zu beschreiben (vgl. HB 19), ansatzweise
in Frage gestellt.
3.3.3. Hentschel/Weydt
Hentschel/Weydt definieren Modalwörter semantisch: "Modalwörter wie vielleicht,
wahrscheinlich, eventuell, sicherlich usw. dienen dazu, den Wahrscheinlichkeitsgrad einer Äußerung
anzugeben, und graduieren den Bereich zwischen 'völlig sicher' und 'unmöglich'." (HW 279) Sie
gehören zur größeren Gruppe der Partikeln, d.h. es handelt sich um Wörter, die keine
kategorematische oder kategorielle, sondern nur eine synkategorematische Bedeutung haben
(HW 245-248; 20). Wie an den Beispielen zu erkennen, zählen Hentschel/Weydt auch solche
Wörter zu den Modalwörtern, die in attributiver Stellung flektiert sind (eine eventuelle Verspätung) 33 Diese Vermutung stützt sich darauf, daß Helbig/Buscha für den Ausschluß von keineswegs usw. überhaupt keine syntaktisch-distributionellen Anhaltspunkte nennen, vgl. HB 509. 34 Helbig/Buscha nehmen auch eine semantische Subklassifizierung der Modalwörter vor; dabei analysieren sie, ob das Modalwort a) die Faktizität des Geschehens voraussetzt (z.B. bedauerlicherweise) oder nicht (z.B. wahrscheinlich), b)
30
und dann als Adjektive gelten; die Autoren gehen zwar auf dieses Problem selbst nicht ein, aber
wir müssen annehmen, daß sie in solchen Fällen homonyme Lexeme ansetzen, die sich ggf. nur
in der syntaktischen Verwendbarkeit unterscheiden. Eine solche Doppelklassifizierung wirft
freilich ein Problem auf: Wie ist es möglich, daß sich die homonymen Adjektiv/ Modalwort-
Paare hinsichtlich ihres Bezugs zur außersprachlichen Wirklichkeit unterscheiden? Hat es Sinn zu
behaupten, daß z.B. das Adjektiv eventuell etwas aus der außersprachlichen Welt ausgliedert und
benennt, während das Modalwort (die Partikel) eventuell dies nicht tut, sondern aufgrund seiner
synkategorematischen Bedeutung nur Beziehungen zwischen Autosemantika herstellt (vgl. HW
20)? Bei der syntaktischen Beschreibung erwähnen Hentschel/Weydt, daß Modalwörter nicht auf
"Bestimmungsfragen" (Ergänzungsfragen), aber auf Entscheidungsfragen antworten, nicht
negiert werden können und vor allem in Aussagesätzen und Entscheidungsfragen vorkommen
(HW 279f.). Wörter mit ähnlichen syntaktischen Eigenschaften wie gern, leider, glücklicherweise
werden im Gegensatz zu anderen Autoren (z.B. Helbig/ Buscha) nicht zu den Modalwörtern
gerechnet, da sie nicht die Modalität, im Sinne des Wahrscheinlichkeitsgrades, betreffen, sondern
ein "bewertend-emotionales Urteil über den geäußerten Sachverhalt" wiedergeben (HW 280). Sie
sind wegen ihres Bezugs auf den ganzen Satz als "Satzadverbien" (HW 240f.) klassifiziert.
Satzadverbien sind bei Hentschel/ Weydt eine nach syntaktischen Kritieren gebildete Teilklasse
der Adverbien (HW 235ff.): "eine recht heterogene Gruppe von Adverbien und Partikeln, die
weder erfragt noch negiert werden können, die jedoch problemlos innerhalb negierter Sätze
stehen können, ohne selbst Träger der Negation zu sein" (HW 240). Als Beispiele werden die
"Konjunktionaladverbien" gleichwohl und trotzdem, die "modalen Satzadverbien" leider, glücklicher-
weise, womöglich, das temporale schon und die Partikeln immerhin, allerdings, jedenfalls genannt. Wegen
ihres Satzbezugs werden diese Wörter von Hentschel/Weydt "als Satzadverbien zusammengefaßt
(…), obwohl es sich größtenteils um Partikeln handelt." (HW 241). Wie schon bei den
"Adjektivadverbien" irritiert die Vermischung von Wortklassen, hier von Partikeln und
Adverbien, und zwar wiederum mit syntaktischer Begründung. Hentschel/ Weydt stellen ihre
"semantisch fundierte" Wortklasseneinteilung z.T. selbst in Frage und bilden syntaktisch
motivierte Mischklassen, was die Trennschärfe ihrer Wortart-Begrifflichkeit deutlich
beeinträchtigt. Denn "Satzadverbien" sind im semantischen Sinne überwiegend keine
"Adverbien": Wörter wie jedoch, immerhin und jedenfalls geben nämlich nicht die näheren Umstände
eines Vorgangs oder Geschehens an und haben weder kategorematische noch deiktische
Bedeutungen, sondern stellen Beziehungen zu vorangegangenen Äußerungen her; und leider oder
glücklicherweise drücken Bewertungen durch den Sprecher aus, liegen also ebenfalls nicht auf der sich auf den Sprecher und/oder auf das Subjekt bezieht und c) eine emotionale Bewertung einschließt oder nicht
31
Ebene der Proposition. Hentschel/Weydt weisen auf die Überschneidung ihrer Satzadverbien
mit Engels "Rangierpartikeln" hin. Deren Definition als vorfeldfähige Partikeln, die auf keinerlei
Fragen antworten, treffe – so die Autoren – auch auf sämtliche "Satzadverbien" zu. Abgesehen
davon, daß die jeweiligen syntaktischen Kriterien nicht ganz übereinstimmen35, lehnen Hent-
schel/Weydt die Kategorie der "Rangierpartikeln" sodann als zu "heterogen" ab (HW 241). Dies
erstaunt nicht nur angesichts der (zugegebenen) Heterogenität der "eigenen" Satzadverbien, auch
die angeführten Belege können nicht ganz überzeugen: Hentschel/Weydt monieren, daß die Liste
der Rangierpartikeln auch die Konjunktion/das Konjunktionaladverb jedoch und das Adjektiv/ die
Abtönungspartikel eigentlich enthalte. Nun kann jedoch bei Engel gar nicht als (Konjunktional)-
Adverb gelten, weil es nicht auf Sachfragen antwortet36; andererseits schließen die Satzadverbien
selbst "Konjunktionaladverbien" wie trotzdem und gleichwohl ein. Ob es gerechtfertigt ist, eine
Rangierpartikel eigentlich zu einem homonymen Adjektiv eigentlich anzusetzen, mag man tatsächlich
bezweifeln, aber daß dieses eigentlich (Eigentlich heißt er Friedrich, aber alle nennen ihn Freddy./ Sein
eigentlicher Name ist Friedrich) nicht mit der gleichlautenden Abtönungspartikel eigentlich (Wie spät ist
es eigentlich?) verwechselt werden darf, dürfte auf der Hand liegen.
3.3.4. Duden-Grammatik
Im Duden gelten Wörter wie zweifellos, sicherlich, bestimmt, vielleicht, kaum, möglicherweise, wohl,
vermutlich, schwerlich, leider, bedauerlicherweise, hoffentlich usw. als "Kommentaradverbien" bzw.
"Adverbien der Stellungnahme und Bewertung" (DU 364f.) und bilden eine von sechs
Teilklassen des Adverbs (DU 358). Der Name leitet sich von der semantischen Funktion dieser
Wörter ab, denn "mit den Kommentaradverbien kann der Sprecher/ Schreiber den Grad der
Gewißheit über die Geltung einer Aussage ausdrücken (…), seine gefühlsmäßige Einstellung
(Bedauern, Freude, Hoffnung o.ä.) zu einer Aussage bekunden oder zu einer Aussage, zu einem
Sachverhalt Stellung nehmen." (DU 364) Innerhalb der Klasse der Adverbien kommt den
Kommentaradverbien freilich eine "Sonderstellung" zu (DU 364), denn sie stehen "außerhalb des
Satzverbandes" und können deshalb in einen Satz (Schalt- oder übergeordneten Matrixsatz) über
eine Aussage umgeformt, aber anders als Adverbien nicht durch Ergänzungsfragen erfragt und
nicht verneint werden. Jedoch "können die Kommentaradverbien als Antwort auf eine
(HB 506-509). 35 Satzadverbien nach Hentschel/Weydt können u.U. als Antworten auf Entscheidungsfragen fungieren, Rangierpartikeln nach Engel dagegen nicht. Das Satzadverb leider wird von Engel (EN 762) z.B. nicht als Rangierpartikel, sondern als Modalpartikel klassifiziert. Auch hoffentlich dürfte von HW als Satzadverb klassifiziert werden, ist aber bei Engel ebenfalls Modalpartikel. 36 Als erststellenfähige, aber nicht erfragbare Partikel muß jedoch von Engel als Rangierpartikel klassifiziert werden. Was man kritisieren kann, ist (vgl. oben), daß Engel jedoch zusätzlich als Konjunktor einstuft.
32
Entscheidungsfrage (…) verwandt werden, so daß zwischen ja und nein eine breite Skala von
modifizierten Antworten besteht" (ebd.). Die angeführten Beispiele beziehen sich sämtlich auf
den Wahrscheinlichkeitsgrad eines Sachverhalts; es wird nicht deutlich, ob nach Einschätzung des
Dudens auch bewertende Kommentaradverbien (z.B. irrtümlicherweise, leider) auf Ja-Nein-Fragen
antworten können. Ebenso wie die "Modalwörter" von Helbig/Buscha schließen die
Kommentaradverbien offenbar auch solche Wörter ein, die Engel als "Rangierpartikeln" wertet,
da sie seiner Meinung nach auf gar keine Fragen antworten. Eine weitere Gemeinsamkeit mit
Helbig/Buscha ist die Tatsache, daß der Duden zu den Kommentaradverbien auch Wörter wie
bestimmt, vermutlich, wahrscheinlich, sicher u.a. zählt, die daneben als Adjektive verwendet werden. Zur
Rechtfertigung heißt es, daß sie "meist in anderer Bedeutung" (DU 364) als flektierbare Adjektive
auftreten. D.h. einerseits wird auf Bedeutungsunterschiede als allgemein anerkannte Grundlage
für Homonymie-Erscheinungen Bezug genommen; andererseits aber werden bestimmte Wörter
auch dann als Adjektive und Kommentaradverbien geführt, wenn Bedeutungsunterschiede
fehlen. In der Tat kann man verschiedene Bedeutungen z.B. in folgenden Verwendungen von
bestimmt ausmachen: Bestimmt (=sicherlich) kommt sie mit einem bestimmten (= nicht beliebigen) Anliegen zu
dir. Aber ebenso finden sich Beispiele, in denen eine semantische Differenz nicht auszumachen
ist, z.B.: der sichere Tod vs. er ist sicher tot. Für die Behauptung, daß sich "meist"
Bedeutungsunterschiede feststellen ließen, bleibt der Duden den Beweis schuldig. Damit stellt
sich die Frage, wieso der Duden sich einerseits so vehement für die Trennung von Adjektiv und
Adverb ausspricht (s.o. 3.2), andererseits bei einer Teilklasse der Adverbien Adjektiv-Homonyme
dann aber doch wieder zuläßt. Hier ist ein durchgängiges Prinzip nicht erkennbar. Weitergehend
läßt sich fragen, warum die "Kommentaradverbien" überhaupt als Teilklasse der Adverbien
gewertet werden. Wie dargestellt nutzt der Duden morphologische, syntaktisch-distributionelle
und semantische Kriterien bei der Abgrenzung der Wortarten. Morphologisch gesehen sind
Adverbien und Kommentaradverbien zwar beide nicht-flektierbar, aber diese Merkmal ist wenig
aussagekräftig, denn es gilt auch für andere Duden-Wortarten (z.B. "Partikel", vgl. DU 87f).
Syntaktisch gesehen bestehen, wie gesehen, große Unterschiede zwischen Adverbien und
"Kommentaradverbien". Auch semantisch gibt es eigentlich keine Gemeinsamkeit, denn anders
als Adverbien stehen Kommentaradverbien ja "außerhalb des Satzverbandes" (DU 364) und
beschreiben sicherlich nicht die "näheren Umstände" (DU 88). Vielmehr leisten sie genau jene
"Sprecherbewertung" (DU 88), die der Duden als Merkmal der "Partikeln" angibt. Warum – so
mag man sich fragen – werden die "Kommentaradverbien" nicht als Partikeln eingestuft? Ein
Anhaltspunkt ergibt sich aus der Abgrenzung der "Partikeln"; diesen ist gemeinsam – so der
Duden -, "daß sie – im Gegensatz zu den Wörtern der drei Hauptwortarten und den meisten
33
Adverbien – keine eigentliche ([nenn]lexikalische) Bedeutung haben oder jedenfalls
bedeutungsarm sind (…)" (DU 369). Man darf annehmen, daß der Duden die Partikeln also –
ähnlich wie Hentschel/ Weydt – dadurch gekennzeichnet sieht, daß sie synkategorematische
Bedeutung haben. Dann drängt sich allerdings die Frage auf, warum Hentschel/Weydt ihre
Modalwörter zu den Partikeln rechnen (vgl. oben) und der Duden seine Kommentaradverbien
von denselben ausschließt. Ein Blick auf die Partikeldefinition des Dudens (DU 87f) zeigt, daß
Duden-Partikeln (sehr, besonders, bloß, sogar) nur als Teile von Satzgliedern auftreten können. Da
dies für Kommentaradverbien nicht gilt, können sie im Duden nicht als Partikeln gewertet
werden. Andererseits teilen die Kommentaradverbien mit den Adverbien eine andere
syntaktische Eigenschaft, die im Duden nirgends erwähnt wird: die Fähigkeit, allein das Vorfeld
zu besetzen (welche die Duden-Partikeln gerade nicht haben).
4. Resümee
In diesem letzten Teil möchte ich – "quer" zur Gliederung des dritten Kapitels – die
Vorgehensweise der vier untersuchten Grammatiken bei der Definition von Wortarten bzw. -
klassen noch einmal zusammenfassen.
Mit seinem im weiten Sinne distributionellen Verfahren kommt Engel dem Ziel einer
distinktiven Klassenbildung am nächsten. Die Definitionen der Wortklassen sind zwar nicht so
trennscharf, daß ein Wort nicht mehreren Klassen zugewiesen werden könnte, aber da die
Wortarttests in fester Abfolge durchgeführt werden und ein einmal klassifiziertes Wort
"ausgesiebt" und keinen weiteren Tests unterzogen wird, können Doppelzuweisungen praktisch
vermieden werden. Determinative wie dieser, jeder, alle werden also nicht auch als Pronomen
gewertet, und Adjektive gelten nicht zusätzlich als Adverbien oder Modalpartikeln. Ausnahmen
von dieser Vorgehensweise sind eigentlich nur bei bedeutungsverschiedenen Homographen
vorgesehen, werden aber – wie gesehen – auch bei flexematischen Differenzen (z.B. ein =
Determinativ, einer = Pronomen) und mitunter sogar bei bedeutungsgleichen unflektierbaren
Wörtern (z.B. jedoch = Konjunktor/ Rangierpartikel) vorgenommen. Im Prinzip aber wendet
Engel sein Verfahren recht konsequent an; bei Wörtern, die mehrere syntaktische Funktionen
übernehmen können, wird daher eine von diesen der Klassifizierung zugrunde gelegt, während
die anderen ausgeblendet werden. Daß es sich dabei um die Hauptfunktion handelt, wird von
Engel zwar bei den Determinativen dieser, jeder, alle usw. (die auch "pronominal" auftreten)
34
behauptet, aber nicht näher erläutert und belegt. Während in anderen Grammatiken Adjektive
auch "als" Adverbien oder Modalpartikeln auftreten, weil sie im Satz ähnliche Funktionen
übernehmen können wie diese, erfaßt Engel solche Analogien in der syntaktischen Analyse (z.B.
bei den "Angaben" und ihrer semantischen Differenzierung), statt sie auf der Ebene der
Wortklassenzuordnung abzubilden. Engel gelingt es, Wortart- und Satzlehre weitgehend vonein-
ander zu trennen. Gegen Engels Vorgehen ließe sich einwenden, daß die Klassifizierung eines
Wortes u.U. nur unzureichend Auskunft gibt über seine (diversen) syntaktischen Verwendungs-
möglichkeiten. Den entsprechenden Informationsverlust wird man als unterschiedlich
schwerwiegend beurteilen: z.B. erscheint es unnötig, die Nominalisierungsmöglichkeit von
Infinitiven durch eine zusätzliche Erfassung als Nomen in der Wortklassenzuweisung zu
berücksichtigen37, gerade weil diese Möglichkeit universell besteht. Nicht zufällig verfahren auch
Wörterbücher (mit gewissen Ausnahmen, also "lexikalisierten" Nominalisierungen wie das Leben,
das Verhalten) so. Bei anderen, vereinzelten Fällen von syntaktischen Doppelfunktionen wie bei
doch, jedoch, vielmehr dagegen ist die Zusatzinformation nicht redundant und es erschien offenbar
auch Engel opportun, das nicht vorhersehbare syntaktische Verhalten durch Zuweisung zu einer
zweiten Wortklasse eigens zu dokumentieren. Zwischen diesen beiden Extremen stehen die
anderen hier diskutierten Fälle: Nicht alle Determinative können auch autonom auftreten (lauter,
kein, dein usw.) und nicht alle Adjektive (z.B. ärztlich, hiesig, damalig vgl. EN 558) lassen sich als
Satzangabe verwenden. Solche Unterschiede im syntaktischen Verhalten schlagen sich bei Engel
nicht in der Klassenzuweisung nieder, auch wenn sie in der Beschreibung der einzelnen Klassen
durchaus aufgeführt sind.
Das Vorgehen von Helbig/Buscha unterscheidet sich grundlegend von demjenigen Engels.
Die Differenzen liegen dabei weniger in der Art der eingesetzten Kriterien, die in beiden
Grammatiken distributioneller Natur sind. Vielmehr unterscheiden sich die beiden Ansätze im
Umgang mit dem Phänomen, daß zahlreiche Wörter unterschiedlichen distributionellen
Wortklassendefinitionen genügen. Während Engel durch sein gestuftes, operationelles
Klassifizierungsverfahren Mehrfachzuweisungen weitgehend ausschließt, lassen Helbig/Buscha
diese systematisch zu. Daher werden alle, dieser, manche u.a. einerseits als substantivische
Pronomina, andererseits als Artikelwörter bewertet; Adjektive haben gleichlautende Entsprechun-
gen bei den Adverbien (schön, fleißig) oder bei den Modalwörtern (sicher, bestimmt). Nach dem im 2.
Kapitel Gesagten, lassen sich solche Fälle von Homonymie auf zweierlei Art interpretieren:
37 Die Wertung des nominalisierten Infinitivs in Euer Reden stört als Verb gibt allerdings Anlaß zu der Frage, wie ein Verb zum Kern einer Nominalphrase (Euer Reden) werden kann.
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Entweder setzt man für jede Wortart ein eigenes Lexem an, das sich in Bezug auf seine
syntaktische Verwendungsfähigkeit von gleichlautenden Lexemen unterscheidet oder man verlegt
die syntaktischen Eigenschaften auf die Ebene von homonymen "syntaktischen Wörtern", die
sich zu einem einzigen Lexem zusammenfassen lassen. Da Helbig/Buscha in den untersuchten
Kapiteln ihrer Grammatik meist von "Wörtern" und nicht von "Lexemen" sprechen, ist schwer
entscheidbar, ob sie hinsichtlich dieser Alternative überhaupt Position beziehen. Der Einfachheit
halber habe ich davon gesprochen, daß sie homonyme "Lexeme" ansetzen. Auffällig ist jedoch,
daß Helbig/ Buscha in anderem Zusammenhang ("Homonymie bei Partikeln", HB 495ff) selbst
bei bedeutungsverschiedenen (und evtl. verschiedenen Wortklassen angehörenden) Homonymen
von einem einzigen bzw. demselben "Lexem" sprechen. Das könnte darauf hinweisen, daß ihr
Lexem-Begriff an der materiellen Seite des sprachlichen Zeichens (Wortform) orientiert ist oder
doch zumindest syntaktische Merkmale neutralisiert. Die Wortklassenzugehörigkeit wäre in dieser
Sicht kein Merkmal des Wortes/Lexems selbst, sondern im Grunde nur eine "zeitweilig"
ausgeübte syntaktische Funktion. Dasselbe Wort kann dann verschiedene syntaktische Rollen
übernehmen und demzufolge ebenso vielen Wortklassen angehören. Eine derartige Sichtweise
steht m.E. einem lexikographischen Ansatz nahe. "Wort" wäre in diesem Sinne das "Lemma": So
wie der entsprechende Wörterbuchartikel alle möglichen syntaktischen Funktionen des Lemmas,
inklusive der eventuellen Bedeutungsnuancen auflistet, so kann das Wort/Lexem diverse Rollen
im Satz übernehmen und jeweils anderen Wortklassen angehören.
Hentschel/Weydt erheben als einzige den Anspruch, ihre Wortklasseneinteilung semantisch
zu begründen. Wie schon in 2.3.3 angedeutet, bilden die von ihnen eingeführten
Bedeutungskategorien jedoch keine ausreichende, einheitliche Grundlage für die Definition aller
Wortarten, so daß fallweise weitere semantische Merkmale eingeführt werden: die
"Aktualisierung" bei den Artikeln, die "näheren Umständen der Handlung" bei den Adverbien,
der "Wahrscheinlichkeitsgrad" bei den Modalwörtern. Auch in dieser erweiterten Form kann die
"semantische Fundierung" allerdings nicht überzeugen: einerseits gewährleistet sie z.T. keine
Distinktivität der Klassendefinitionen, andererseits kommen unter der Hand syntaktische
Kriterien ins Spiel. Bei den Artikeln haben wir gezeigt, daß die "Aktualisierungs"funktion keine
eindeutige Abgrenzung erlaubt, wenn sie auch den "adjektivischen" Pronomina zuerkannt wird.
Adjektiv und Adverb sind zwar semantisch durch die Kriteren "Eigenschaft von Gegenständen"
(Adjektiv) bzw. "Umstand von Handlungen" (Adverb) differenziert, aber bei den
"Adjektivadverbien" verwischen die Grenzen: einerseits Adjektiv, andererseits "syntaktisch"
Adverb. Wir haben uns gefragt, warum Hentschel/Weydt nicht ähnlich wie Helbig/Buscha bei
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solchen Adjektiven gleichlautende Adverbien ansetzen. Das Problem ist, daß bei
Hentschel/Weydt die Zuordnung z.B. von fleißig zu den Wortarten Adjektiv und Adverb –
aufgrund der postulierten semantischen Fundierung der Wortarten – voraussetzen würde, daß
Bedeutungsunterschiede zwischen den Homonymen bestehen. Wie problematisch eine solche
Annahme ist, haben wir bei den homonymen Adjektiv/Modalwort-Paaren gesehen. Während in
anderen Grammatiken die Annahme bedeutungsgleicher Homonyme lediglich wenig "elegant"
ist, muß sie in einer semantisch fundierten Wortartenlehre zu unüberbrückbaren Widersprüchen
führen, denn wie kann bedeutungsgleich sein, was semantisch unterschiedenen Wortklassen
angehört? Besonders erstaunlich und widersprüchlich ist die Wortklasse der "Satzadverbien" bei
Hentschel/Weydt. Einerseits als Teilklasse der Adverbien konzipiert, enthält sie andererseits
neben "Adverbien" wie leider, trotzdem zahlreiche Partikeln wie jedenfalls, allerdings usw. Aber weder
die einen noch die anderen entsprechen der semantischen Definition der Adverbien. Es drängt
sich der Eindruck auf, daß syntaktische Kriterien nicht nur der Abgrenzung dieser Teilklasse
innerhalb der Adverbien zugrunde liegen, sondern auch ihrer Subsumierung unter die Adverbien
selbst (Fähigkeit, allein das Vorfeld zu besetzen?). Der semantische Ansatz von Hentschel/Weydt
eröffnet zwar einige interessante Einsichten, liefert aber keine Grundlage für eine in sich
schlüssige Wortartenkonzeption. Vielleicht konnte dies auch deshalb nicht gelingen, weil die
Autoren bewußt an die Begriffe der Schulgrammatik anknüpfen, die – wie Linke u.a. zeigen (vgl.
2.2) – auf einer unsystematischen Verknüpfung verschiedener Kriterien beruhen.
Im Duden werden der Wortartendefinition sowohl morphologische als auch syntaktisch-
distributionelle und semantische-pragmatische Kriterien zugrunde gelegt, wobei ein Leitkriterium
nicht erkennbar ist. Wechselnde Kriterien aber gefährden die Distinktivität und Exhaustivität der
Wortklasseneinteilung. Wenig distinktiv ist z.B. die Definition der Pronomina, wenn diese
gleichzeitig als Artikel (im weiteren Sinne) auftreten können. Wenig distinktiv sind auch die
Klassen Adjektiv und Adverb, jedenfalls in syntaktischer und semantischer Hinsicht. Bei den
Kommentaradverbien haben wir gesehen, daß sie – semantisch und syntaktisch – der
Adverbdefinition des Dudens eigentlich nicht genügen, andererseits auch nicht als Partikeln
gelten können, da sie ihnen zwar semantisch nahestehen (Sprecherbewertung), sich aber im
syntaktischen Verhalten davon unterscheiden (autonomer Gebrauch). Die wenig überzeugende
Einordnung der "Kommentaradverbien" als Adverbien wirft die Frage auf, ob das Klassifi-
kationsschema des Dudens wirklich exaustiv ist. Mit dem Problem, daß bestimmte Wörter
mehreren Wortartdefinitionen genügen, geht der Duden in unterschiedlicher Weise um. Daß
Pronomina auch attributiv auftreten können, veranlaßt den Duden, einerseits die Definition der
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Pronomina so zu erweitern, daß sie originäre Artikelfunktionen mit einschließt, andererseits (was
eigentlich nicht nötig wäre) den Begriff der "Artikel im weiteren Sinne" einzuführen. Daß
Adjektive ähnliche Funktionen wie Adverbien übernehmen können, führt dazu, daß die
semantische Definition von Adjektiven entsprechend erweitert wird ("Eigenschaft eines
Geschehens"). Aber Adjektive werden nicht zusätzlich z.B. als "Adverbien im weiteren Sinne"
klassifiziert. Zu beachten ist jedenfalls, daß der Duden keine (gleichbedeutenden) Homonymen-
Paare ansetzt: Pronomina wie dieser, jeder, alle übernehmen als Pronomina Artikelfunktionen (und
sind dann zusätzlich "Artikel im weiteren Sinne") ebenso wie Adjektive als solche adverbiale
Funktion übernehmen. Etwas anders liegt der Fall bei Adjektiven wie sicher, bestimmt, gewiß, die der
Duden in bestimmter Verwendung als "Kommentaradverbien" einstuft, denn hier werden –
allerdings auch nur zum Teil – Bedeutungsunterschiede als Rechtfertigung für eine doppelte
Klassifizierung ins Feld geführt. Eine eindeutige Ablehnung von Homonymen, die sich nicht
semantisch, sondern nur syntaktisch unterscheiden, läßt sich daraus freilich nicht ablesen, zumal
wenn man bedenkt, daß – aus der Sicht des Dudens – die verschiedensten Wortarten in die
Klasse der Substantive übertreten können (DU 87).
Die exemplarische Untersuchung der Wortartdefinition in den vier hier besprochenen
Grammatiken hat – so meine ich – gezeigt, daß die verschiedenen Ansätze zwar mehr oder
weniger schlüssig sind, aber daß keiner von ihnen imstande ist, sämtliche Anforderungen an eine
"ideale" Wortklassendefinition zu erfüllen. Vermutlich liegt dies in der Natur der Sache. Den
meisten Klassifizierungen liegen nicht zufällig syntaktisch-distributionelle Kriterien zugrunde;
denn Wortklassen sollen schließlich etwas über die syntaktische Verwendbarkeit ihrer Mitglieder
aussagen. Damit aber büßt die Wortklassendefinition ein Stück Autonomie gegenüber der Syntax
ein, und Wortklassen reduzieren sich im Extremfall – am stärksten etwa bei Helbig/Buscha – auf
syntaktische Funktionen. Die Wortart/klasse erscheint dann nicht mehr als Merkmal des Wortes
selbst, sondern als etwas ihm Äußerliches: als eine von mehreren Gebrauchsmöglichkeiten.
Kaschieren läßt sich dieser Autonomie-Verlust der Wortart- gegenüber der Satzlehre, wenn für
diverse syntaktische Funktionen je ein Homonym angesetzt wird. Diese Lösung aber ist wenig
elegant, denn verschiedene Wörter liegen nach traditionellem Verständnis von Homonymie nur
dann vor, wenn sie sich in der Bedeutung unterscheiden.38 Eine weitere mögliche Lösung ist die
38 Eine solche Lösung widerspricht auch einem vorwissenschaftlichen Wortbegriff. Nicht zuletzt deshalb ist es wohl auch so schwierig, über synonyme Homonyme zu schreiben, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln. Z.B. ist es eigentlich unsinnig zu sagen, das Pronomen dieser trete auch als Artikel auf (oder umgekehrt). Streng genommen ebenfalls widersinnig ist eine Formulierung wie: "dieser ist Pronomen und Artikel", denn das setzte ja voraus, daß es jenseits des Pronomens dieser einerseits und des Artikels dieser andererseits ein davon unabhängiges "Wort" dieser gibt. Von derartigen unpräzisen Formulierungen ist naturgemäß auch die vorliegende Arbeit nicht frei.
38
von Engel angewandte, durch operationelle Verfahren "mechanisch" die Zuweisung zu mehr als
einer Wortklasse zu verhindern. Das erweist sich aber dann als Nachteil, wenn die dabei
unterdrückte semantische Information nicht redundant, sondern wesentlich ist. In
Wörterbüchern wäre ein solches, theoretisch durch seine Stringenz überzeugendes Verfahren z.T.
wohl eher fragwürdig. Die Definition der Wortarten scheint sich in einem Dilemma zu bewegen.
Da kann es nicht verwundern, daß sich unterschiedliche Autoren für verschiedene "Übel" ent-
scheiden. Aber bei derart unterschiedlichen und z.T. einander widersprechenden Ansätzen kann
es auch nicht überraschen, daß sich in der Praxis des DaF-Unterrichts die traditionelle
Wortartlehre – als eine Art kleinster (auch international) gemeinsamer Nenner – bis heute
weitgehend hat behaupten können.
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Bibliographie
Drosdowski, Günther u.a. (Hrsg.)1995: Duden Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, Mannheim usw.: Dudenverlag (5. Auflage) (zitiert als DU)
Engel, Ulrich 1991: Deutsche Grammatik, Heidelberg: Groos (2. Auflage) (zitiert als EN)
Glück, Helmut (Hrsg.) 1993: Metzler Lexikon Sprache, Stuttgart/Weimar: Metzler
Grebe, Paul u.a. 1973: Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, Mannheim usw.: Bibliographisches Institut (3. Auflage)
Helbig, Gerhard/ Buscha, Joachim 1991: Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht, Berlin usw.: Langenscheidt/ Enzyklopädie (14. Auflage) (zitiert als HB)
Helbig, Gerhard/Buscha, Joachim 1981: Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig: VEB Verlag Enzyklopädie (7. Auflage)
Hentschel, Elke /Weydt, Harald 1994: Handbuch der dt. Grammatik, Berlin: de Gruyter (2. Auflage) (zitiert als HW)
Linke, Angelika/ Nussbaumer, Markus/ Portmann, Paul R. 1996: Studienbuch Linguistik, Tübingen: Niemeyer (3. Auflage)
Schwarze, Christoph 1995: Grammatik der italienischen Sprache, Tübingen: Niemeyer (2. Aufl.)
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