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22.9.2011
Philipp Bohnacker
LEO TOLSTOI: HADSCHI MURAT
EINE CHANCE FÜR ERFOLGREICHEN
FÄCHERÜBERGREIFENDEN GESCHICHTSUNTERRICHT?
2
Inhalt 1. Einleitung ............................................................................................................................ 3
2. Sachanalyse ........................................................................................................................ 4
2.1. Leo Tolstoi – Hadschi Murat ........................................................................................ 4
2.1.1. Inhalt..................................................................................................................... 4
2.1.2. Auswahlkriterien .................................................................................................. 6
2.2. Geschichtliche Hintergründe ....................................................................................... 7
2.2.1. Ausbreitung des Christentums und des Islams im Kaukasus ............................... 7
2.2.2. Vorgeschichte : Konkurrenz der Großmächte – Zarenreich Russland,
Osmanisches Reich & Perser ................................................................................ 7
2.2.3. Kampf um den Kaukasus ...................................................................................... 9
2.2.4. Nachgeschichte .................................................................................................. 11
2.3. Literatur für den Geschichtsunterricht ...................................................................... 12
3. Didaktische Analyse .......................................................................................................... 13
3.1. Bedeutung des Inhalts ............................................................................................... 13
3.2. Bezug zum Bildungsplan ........................................................................................... 15
3.2.1. Bildungsplanbezug – Deutsch ............................................................................ 15
3.2.2. Bildungsplanbezug – WZG .................................................................................. 16
4. Literaturverzeichnis .......................................................................................................... 17
Einleitung 3
1. Einleitung
Meine erste Begegnung mit Leo Tolstoi war zu Beginn meines Studiums auf der Straße vor
meiner Wohnung. Ein Antiquitätenhändler hatte die Angewohnheit alte Bücher, für welche
keine Verwendung mehr gefunden wurde, den Menschen kostenlos in einer Kiste
anzubieten. Da ich vom Namen des Autors schon einmal positiv gehört hatte griff ich zu. Es
handelte sich um das Werk „Die Kosaken“.
Ganz unvoreingenommen ging ich an das Werk heran und war begeistert. Seine klare
Sprache, der Einblick in das Leben der Menschen in dieser fremden Kultur, zugleich
spannend erzählt wie auch authentisch wirkend, war es für mich eine interessantes
Bindeglied zwischen Geschichte und Literatur.
Als ich mich im Rahmen des Seminars „Die Geschichte des Imperialismus“ mit dem Thema
Russland auseinandersetzte, begegnete mir Tolstoi – inzwischen wieder vergessen – ein
zweites Mal beim stöbern im Bahnhofskiosk. Es handelte sich um das hier behandelte Werk
„Hadschi Murat“. Ich kaufte das Buch und las es. Zunehmend drängte sich mir die
Überlegung auf, ob eine Verwendung des Werkes im Unterricht die Chance eines
erfolgreichen fächerübergreifenden Unterrichts beinhaltet. Meine Überlegungen hierzu
möchte ich in dieser Arbeit vorstellen.
Zuerst will ich durch Angabe des Inhalts das Buch vorstellen. Es folgt eine kurze Analyse
desselben, in der die Eignung für die Verwendung im Unterricht untersucht werden soll.
Danach werde ich den geschichtlichen Kontext darstellen, was einerseits das Werk in
selbigen einbetten und andererseits das Werk legitimieren soll, indem der historische
Wahrheitsgehalt dadurch zum Vorschein kommt.
Im letzten Teil der Arbeit werde ich nach Begründungen suchen, die die Herangehensweise
didaktisch legitimieren, indem die Bedeutung des Themas für die Schülerinnen und Schüler,
sowie für die Gesellschaft herausgehoben wird.
Auf eine Konkretisierung der Unterrichtseinheit habe ich aufgrund ihrer Abhängigkeit von
diversen Variablen verzichtet. Letztendlich wäre diese Konkretisierung rein hypothetisch und
hätte mit einer späteren, tatsächlichen Umsetzung wenig zu tun, da die hypothetische
Konkretisierung auf willkürliche Annahmen über Klassenzusammensetzung, Schulprofil,
Stundenverteilung und Interessen/Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler angewiesen
wäre.
Sachanalyse 4
2. Sachanalyse
2.1. Leo Tolstoi – Hadschi Murat
2.1.1. Inhalt
Das Werk „Hadschi Murat“ von Leo Tolstoi erschien 1912, also 2 Jahre nach dessen Tod. Es
Erzählt die Geschichte des Awaren Hadschi Murrat, der seinen Widerstand gegen die
russische Besatzung aufgibt und auf deren Seite wechselt um mit der Hilfe der Russen seine
Familie zu befreien. Wie viele andere Werke von Tolstoi beruht auch „Hadschi Murat“ auf
wahren Begebenheiten.
Die Geschichte beginnt im Jahr 1951, also zu der Zeit, als das russische Zarenreich bestrebt
war, den Nordkaukasus einzunehmen. Der Aware Hadschi Murat, Nahib1 des Imam Schamil
ist auf der Flucht, denn nach einem Streit mit Schamil befahl dieser, sich Hadschi Murat, ob
tot oder lebendig, zu bemächtigen.
Im Tschetschenendorf Machket findet Hadschi Murat mit seinen Muriden Unterschlupf und
nimmt von dort mittels Boten Kontakt zu zur russischen Besatzung, namentlich zu
Woronzow, auf. Sein Ziel ist es auf die Seite der Besatzer überzulaufen und mit deren Hilfe
seine Familie, welche von Schamil gefangen gehalten werden, zu befreien. Jedoch muss
Hadschi Murat schon wenige Stunden nach seiner Ankunft Machket verlassen, da er bei
seiner Ankunft von einer Frau, die auf einem Dach wache gestanden hatte, entdeckt wurde.
In einer wilden Verfolgungsjagt entkommt Hadschi Murat den Bergbewohnern nur knapp.
Am nächsten Morgen trifft sich Hadschi Murat mit Woronzow auf einer Waldlichtung und
folgt diesem anschließend zu dessen Haus. Der General Möller-Sakomelskij erfährt von
Hadschi Murats Ankunft und befiehlt Woronzow Hadschi Murat zu ihm zu bringen.
Woronzow und Möller-Skomelskij führen eine hitzige Unterhaltung, die nur durch
Anwesenheit der Frauen beider Männer noch gebremst werden kann. Am Ende steht die
Entscheidung Hadschi Murat unter Obhut des Fürsten zu stellen.
Woronzows Vater, Fürst Michail-Semjonowitsch Woronzow, bekommt in Tiflis Meldung vom
Übertreten Hadschi Murats zu den Russen. Beim Diner gibt der Fürst die Neuigkeiten an die
geladenen Gäste weiter.
Am folgenden Tag trifft Hadschi Murat beim Fürsten ein und trägt diesem seinen Plan zur
Unterwerfung Schamils vor. Dieser ist dergestalt, dass er den Fürsten bittet ihm genügend
1 Nahib meint hier Distriktschef.
Sachanalyse 5
Männer mitgebe um den Imam zu überfallen, ihm aber, solange seine Familie sich in den
Händen Schamils befinde, die Hände gebunden seien.
In den folgenden Tagen seines Aufenthalts in Tiflis gewinnt Hadschi Murat vertrauen zum
Adjutanten des Fürsten, Loris-Melikow und ist bereit ihm seine Geschichte zu erzählen. In
einem Brief schreibt Fürst Woronzow dem Kriegsminister Tschenyschew, dass er Hadschi
Murat zwar nicht in vollem Maße vertraue, es jedoch nicht für Klug hält diesen einzusperren,
da dies diejenigen entmutigen würde, die mehr oder weniger gegen Schamil Partei zu
nehmen bereit sind. Hadschi Murat wird davon unterrichtet, dass er ohne Erlaubnis des
General Koslowski nichts unternehmen und sich nirgends hinbegeben darf.
Tschenyschew übergibt sodann den Brief dem Zaren. Die Antwort an Woronzow beinhaltet
die Anweisung im Kaukasus weiterhin die Wälder zu roden, die Bevölkerung auszuhungern
und durch kurze Überfälle zu zermürben. Ferner ist der Zar mit der von Woronzow
vorgeschlagenen, Hadschi Murat betreffenden, Vorgehensweise einverstanden.
Als Reaktion auf die Antwort des Grafen findet sodann ein Kriegszug statt bei der unter
anderem Machket und das Haus Sados, bei dem Hadschi Murat Unterschlupf gefunden hatte
zerstört werden und der Sohn Sados getötet wird.
Am Tag nach dem Überfall trifft Hadschi Murat in der Grenzfestung der daran beteiligten
Kompanie ein. Der Offizier der Haschi Murat begleitet hat überbringt dem Major den Befehl
Hadschi Murat zwar zu erlaube, über Sendboten Kontakt zu den Bergvölkern aufzunehmen,
ihn jedoch nicht ohne die Begleitung von Kosaken aus der Festung herauszulassen.
Ein weiterer erfolgloser Aufenthalt in Tiflis folgt. Danach wird Hadschi Murat in der Stadt
Nucha einquartiert. Nachdem Hadschi Murat vergebens auf eine Antwort, bezüglich der
Unterstützung zur Befreiung seiner Familie waten musste, begeht dieser bei einem Ausritt
einen Ausbruchsversuch um in Eigenregie seine Familie zu retten. Er tötet dabei zusammen
mit seinen Muriden die ihn begleitenden Kosaken. Bei der Flucht in die Berge wird ihm
jedoch ein überflutetes Reisfeld zum Verhängnis. Die geflohenen suchen unterschlupf im
Dickicht, werden jedoch bald von den Verfolgern entdeckt. Hadschi Murat leistet zwar
zusammen mit seinen Muriden bis zur letzen Kugel wiederstand, kommt aber in dieser
Schlacht um. Er stirbt am 5. Mai 1852.
Sachanalyse 6
2.1.2. Auswahlkriterien
Stilistische Komplexität und erzählzechnische Gestaltung:
Die Gestaltung auf sprachlicher Ebene ist insofern von Bedeutung, dass sie Anreize für
Lernfortschritte auf stilistischer Ebene bereithalten, gleichsam jedoch auch der Grund für
eine Überforderung der Schüler und Schülerinnen sein können.2
Wir erfahren die Geschichte durch einen auktorialen Erzähler, der sowohl außen- als auch
innensicht besitzt. Über weite Strecken des Werkes verzichtet dieser Erzähler jedoch auf die
Wiedergabe der Innensicht der Figuren. Der Leser nimmt hier also eher die Rolle eines
Beobachters ein und bekommt nur das erzählt was äußerlich hörbar und sehbar ist. Im
selteneren Fall der Innensicht bekommt der Leser Informationen über die Gefühls- und
Gedankenwelt der Figuren. Dies ist beispielsweise bei der Charakterisierung des Zaren
Nikolaus I. der Fall ist.
Die Sprache Tolstois ist sehr ‚anschaulich‘ und vom heutigen Sprachgebrauch nicht allzu
weit entfernt. Widerstandspotenziale finden sich aber darin, dass die Titel von Berg-
bewohnern und Russen eventuell gesondert erläutert werden müssen und grobe
geographische Kenntnisse der Region zur Einordnung des Geschehens schon voran gehen
müssten.
Der Satzbau ist einigermaßen Komplex, bietet aber keine unüberwindbaren Hürden. Er ist
zwar häufig hypotaktisch organisiert, zeichnet sich dafür aber in recht klarer Wortwahl aus.
Schüler und Schülerinnen der 9. und 10. Klasse der Haupt- und Werkrealschule sollten dem
Werk gewachsen sein. Eine Einschätzung der Lesekompetenz der Klasse sollte jedoch voran
gehen.
Jugendspezifische Themen:
Ob das Werk in der Klasse gelesen werden sollte hängt auch stark von den Interessen der
Jugendlichen ab. Es besteht die Möglichkeit, dass vor dem Hintergrund von Anschlägen in
Russland, das Interesse zur Auseinandersetzung mit dem Thema angeregt und durch die
fächerübergreifende Behandlung auch erhalten werden kann. An sich ist das Thema jedoch
keines, das das typische Interessensgebiet von 15 – 17 Jährigen abdeckt.
2 Pfäfflin, Sabine,2007: Auswahlkriterien für Gegenwartsliteratur im Deutschunterricht.
Baltmannsweiler: Schneider, S. 24
Sachanalyse 7
2.2. Geschichtliche Hintergründe
Leo Tolstoi hält sich mit seinem Werk sehr genau auf die zugrunde liegenden geschichtlichen
Hintergründe. Ermöglicht wird dies vor allem dadurch, dass Tolstoi einige Zeit bei den
Truppen im Kaukasus verbracht hat. Die Kenntnis dieser geschichtlichen Hintergründe kann
das Verständnis von Tolstois Werk also erheblich fördern. Daher will ich diese in folgendem
Teil der Arbeit darlegen.
2.2.1. Ausbreitung des Christentums und des Islams im Kaukasus
Als erste Weltreligion kam mit dem römischen Reich im 2. Jahrhundert n. Chr. das
Christentum in die Kaukasusregion.3 Trotz der Eroberung weiter Teile der Kaukasusregion
durch das Osmanische Reich im 16. Jahrhundert, hielten die Länder Georgien und Armenien
am christlichen Glauben fest. Insgesamt wurde jedoch mit der Eroberung durch das
Osmanische Reich der Islam zur vorherrschenden Religion im Kaukasus.4 Obwohl hier nur
oberflächlich abgehandelt, erklärt dies schon im Ansatz, warum sich die nordkaukasischen
Völker, geführt von ihren religiösen Führern, den Imamen, im Heiligen Krieg gegen die
russische Besatzungsmacht befanden. Diesen Aspekt will ich jedoch erst später präzisieren
und zunächst auf die Mächtekonstellation zur Zeit, in der das Werk handelt, eingehen.
2.2.2. Vorgeschichte : Konkurrenz der Großmächte – Zarenreich Russland,
Osmanisches Reich & Perser
Im Gebiet des Kaukasus bildete sich mit der Expansion des Zarenreichs und des Osmanischen
Reiches zunehmend eine Konkurrenzstellung der beiden Großmächte heraus.
Das osmanischen Reich kam mit der Besetzung der Krim-Stadt Kaffa, dem wichtigsten
Handelshafen am Schwarzen Meer, und der Eingliederung des Westkaukasus zum
osmanischen Staatsgebiet, seinem Ziel, das Schwarze Meer zu seinem Hausmeer zu machen,
erheblich näher.5 Im Osten trat das osmanische Reich in Konkurrenz zu den Persern, da es
mit der Eroberung Georgiens und des Aserbaidschan hier ebenfalls Gebietsgewinne
verzeichnen konnten.
3 Vgl. De Libero, Loretana, 2008: Der Kaukasus in der Antike. In: Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008: Wegweiser zur
Geschichte. Kaukasus. Paderborn/München/Wien/Zürich: Schöningh. S.21 4 Vgl. Quiring, Manfred, 2009: Pulverfass Kaukasus. Konflikte am Rande des russischen Imperiums. Berlin: Ch.
Links Verlag. S. 13 5 Vgl. Aydin, Mustafa, 2008:Türkischer Einfluss und das Reich der Osmanen. In: Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008:
Wegweiser zur Geschichte. Kaukasus. Paderborn/München/Wien/Zürich: Schöningh. S. 24
Sachanalyse 8
Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008: Wegweiser zur
Geschichte. Kaukasus. Paderborn/München/
Wien/Zürich: Schöningh. S. 26
Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008: Wegweiser zur
Geschichte. Kaukasus. Paderborn/München/
Wien/Zürich: Schöningh. S. 39
(Datum der Annexion von Jerewan berichtigt)
Diese Gebietsgewinne waren unter anderem
auch eine Antwort auf die Expansionspolitik der
Russen unter Zar Iwan IV., der mit der Eroberung
von Kasan (1552) und Astrachan (1556) eben-
falls in Richtung Kaukasus vorrückte.6 Das Ge-
biet des Aserbeidschan konnten die Perser 1639
jedoch zurück erobern. Mit der Eroberung von
Asow brachen die Russen die Alleinherrschaft der
Osmanen am Schwarzen Meer. Hier zeichnet sich
das Bestreben ab, eisfreie Häfen für den Zugang
zu den Weltmeeren zu be-sitzen.7 1722 rückten
die Russen weiter in die Region vor. Die mittler-
weile unter Druck geratenen Osmanen versuch-
ten in mehreren Kriegen gegen das Zarenreich
einem weiteren Vorrücken desselben Einhalt zu
gebieten. Diese Versuche blieben jedoch
erfolglos, sodass das Zarenreich unter Katharina
II. weitere Gebiete unter seine Kontrolle bringen
konnte. Zwar konnten sich die Tschetschenen
heldenhaft gegen das russische Vordringen
wehren, jedoch konnte unter Alexander I.
Georgien annektiert werden.8 Mit Nikolaus I.,
dem Nachfolger Alexanders I., verschärfte sich
der Kaukasus Konflikt und die Haltung gegenüber
dem Osmanischen Reich erneut. Bis 1829 konnte
das Zarenreich seine Einflusssphäre im Kaukasus
stärken und im Osten bis an die Donaumündung
ausdehnen. Die Gebietsgewinne wurden im Frieden von Adrianopel 1829 festgeschrieben.
6 Vgl. Aydin, Mustafa, 2008:Türkischer Einfluss und das Reich der Osmanen. In: Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008:
Wegweiser zur Geschichte. Kaukasus. Paderborn/München/Wien/Zürich: Schöningh. S. 27 f 7 Vgl. Lerch, Wolfgang Günther, 2000: Der Kaukasus. Nationalitäten, Religionen und Großmächte im
Widerstreit. Hamburg/Wien: Europa Verlag. S.46 8 Vgl. Aydin, Mustafa, 2008:Türkischer Einfluss und das Reich der Osmanen. In: Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008:
Wegweiser zur Geschichte. Kaukasus. Paderborn/München/Wien/Zürich: Schöningh. S.30
Sachanalyse 9
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/
commons/7/75/Imam_Schamil.png
2.2.3. Kampf um den Kaukasus
Nach dem Friedensvertrag von Adrianopel forcierte die Russische Kaukasuspolitik die
vollständige Eroberung der Kaukasusregion um die Grenzen zum osmanischen Reich und
Persien zu stärken. Die Erfüllung dieses Ziels erwies sich jedoch als außerordentlich schwer.
Das Zarenreich geriet in einen überaus blutigen und zähen Krieg, der sich über mehrere
Jahrzehnte bis 1878 hinzog. „Die Unterwerfung des Kaukasus war ein Prozess, der vom Krieg
provoziert und mit der Idee der zivilisatorischen Mission gerechtfertigt wurde“9
Zunächst hatte das Zarenreich versucht im Kaukasus eine indirekte Herrschaft zu errichten,
also vorhandene Institutionen und Eliten zur Verwaltung der Gebiete heranzuziehen. Dies
funktionierte vor allem im südlichen Kaukasus (Transkaukasien). In den 1830er Jahren kam
jedoch der Gedanke in der russischen Führung auf diese Gebiete in die russische
Rechtsordnung und Verwaltung einzugliedern.10 Zudem stießen im nördlichen Kaukasus die
Interessen der Bergbewohner mit denen der russischen Siedler
zusammen, da die Bergbewohner zur Versorgung ihres Viehs
die nun besetzten Steppenregionen nördlich des Gebirges
benötigten. So kam es „dass in den 40er Jahren des 19.
Jahrhunderts überall im Kaukasus Aufstände
ausbrachen, die sich in Dagestan, bei den
Tschetschenen und Tscherkessen in eine blutige
Rebellion gegen die Russischen Eroberer
verwandelte.“11 Unterstützt durch das
gemeinsame Feindbild, den Russen gelang es dem
Imam Schamil die Bergvölker des Nordkaukasus,
insbesondere die der Tschetschnja und Dagestan,
gegen die Russen zu verbünden. Zum
gemeinsamen Feindbild kam jedoch noch die
gemeinsame Ideologie des Islams, Schamil war
also als Imam sowohl geistlicher als auch
weltlicher Führer. Um seinen „heiligen Krieg“ zu
9 Baberowski, Jörg, 2008: Der hundertjährige Krieg 1774-1878: Russische Expansion und zarische Herrschaft.
In: Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008: Wegweiser zur Geschichte. Kaukasus. Paderborn/München/Wien/Zürich: Schöningh. S. 37 10
Vgl. Ebd. S. 40 11
Ebd. S. 40
Sachanalyse 10
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/3f/Sturm
_aul_Gimry_1891.jpg
führen baute Schamil bis zu seiner Gefangennahme 1856 ein funktionierendes Staatswesen
auf, deren Oberhaupt er selbst war. Er war beraten durch den Geheimen Rat (Diwan) und
vertreten durch seine Stellvertreter, die Nahiben (zu denen auch Hadschi Murat vor seinem
Übertritt zu den Russen gehörte), welche die Macht in den Aulen (Dörfer) ausübten.12 Das
Gesetz war die Scharia, welche er mit Härte durchzusetzen wusste.13
Neben der Vereinigung der Bergvölker unter Schamil war es wohl vor allem auch der
Heimvorteil der Bergvölker, den diese im Guerillakrieg gegen die besser ausgebildete und
ausgestattete Russischen Armee auszuspielen wussten und der diesen Konflikt so drastisch
in die Länge zog. Die Ähnlichkeiten zu der Situation, wie sie sich der Sowjetunion über 100
Jahre später am Hindukusch darstellen sollten, sind frappierend.
Das Zarenreich hingegen verfolgte, wie dies unter anderem auch in Tolstois Werk zu
entnehmen ist, eine äußerst brutale Strategie im Kampf gegen die Bergvölker. Sie versuchten
„die Lebensgrundlage der Bergvölker zu zerstören, indem sie ihr Vieh töteten, Dörfer nieder-
brannten und Brunnen vergifteten.“14 Dies erzeugte natürlich wiederum Hass und Unver-
ständnis bei den Bergvölkern und stiftete diese dazu an noch fester an ihrem Widerstand
festzuhalten. Tolstoi versteht es, dieses Gefühl der Bergbewohner angemessen in Worte zu
fassen:
„Kein Wort des Hasses gegen die Russen
wurde laut. Das Gefühl, das alle Tschetsche-
nen vom jüngsten bis zum ältesten, diesem
Feind gegenüber hegten war stärker als der
Hass. Sie sagten sich, dass diese Russischen
Hunde keine Menschen seien, und ein sol-
cher Abscheu und Ekel, ein solches Erstau-
nen über die sinnlose Grausamkeit dieser
Kreaturen ergriff sie, dass der Wunsch, sie
auszutilgen, wie man Wölfe, Ratten und
giftige Spinnen austilgt, ebenso natürlich
erschien wie der Trieb der Selbsterhaltung.“15
12
Vgl. Quiring, Manfred, 2009: Pulverfass Kaukasus. Konflikte am Rande des russischen Imperiums. Berlin: Ch. Links Verlag. S. 22 13
Vgl. Lerch, Wolfgang Günther, 2000: Der Kaukasus. Nationalitäten, Religionen und Großmächte im Widerstreit. Hamburg/Wien: Europa Verlag. S.138 14
Baberowski, Jörg, 2008: Der hundertjährige Krieg 1774-1878: Russische Expansion und zarische Herrschaft. In: Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008: Wegweiser zur Geschichte. Kaukasus. Paderborn/München/Wien/Zürich: Schöningh. S. 41 15
Tolstoi, Leo, 2011: Hadschi Murat. Köln: Anaconda Verlag GmbH, Köln. S. 110 f
Sachanalyse 11
Nikolaus I. sollte den russischen Sieg im Nordkaukasus nicht mehr erleben. Mit seinem Tod
im Jahre 1855 bestieg Alexander II. den russischen Thron. Dessen deutlich Liberalere Politik
verfolgte eine Strategie, welche rasch den erhofften Erfolg im Kaukasus brachte. „Sie paarte
entschiedenes Verwaltungshandeln und militärische Offensiven mit Großzügigkeit und
Milde. […] Aul um Aul [lief] zu den Russen über. Der Kaukasus war erschöpft. Der Kaukasus
war ausgeblutet. […] Schamil kapitulierte im Sommer 1859 in Wedeno.“16
2.2.4. Nachgeschichte
Nach Schamils Aufgabe blieben die Aufstände, wenngleich auch in abgeschwächter Form
bestehen. Zudem wanderten viele Muslime in die Türkei aus. Genährt wurden diese
Tendenzen dadurch, dass die Kosaken zunehmend das Land, das den Tschetschenen gehörte
zugesprochen oder einfach nur in Anspruch genommen wurde.17 Unter Loris-Melikov,
welcher von Adjutanten wie in „Hadschi Murat“ genannt zum Gouverneur aufgestiegen war,
deportierte ganze Stämme in das Osmanische Reich.18 Das dies bei den Bergvölkern auf
Widerstand stieß leuchtet ein.
Diese Politik wurde jedoch mit Stalin fortgeführt. Auch er ließ die im Nordkaukasus
heimischen Menschen im großen Stil nach Mittelasien, Sibirien und in den Nahen Osten
deportieren.19 Unter ihnen war auch Dschochar Dudajew, der am 1.November 1991 die
Unabhängigkeit Tschetscheniens proklamieren sollte. Doch zunächst arbeitete sich dieser im
sowjetischen Militärapparat nach oben. Als mit Gorbatschow der Sozialismus reformiert
werden sollte und letztlich die Sowjetunion 1991 unmittelbar vor ihrem Zusammenbruch
stand fanden Ende Oktober in Tschetschenien Wahlen statt, bei denen Dudajew als klarer
Sieger hervorging.20
Weder Gorbatschow noch der folgende russische Präsident, Boris Jelzin, erkannte jedoch
weder die Wahlen noch die Unabhängigkeit an. Es folgten 2 Tschetschenienkriege (94-96 &
99 – 09) welche jedoch keineswegs zu einer Lösung führten. Stattdessen ging die Terrorserie
bis zum heutigen Tage fort. Einerseits halten wirken noch immer religiöse Extremisten im
Nordkaukasus. Sie verüben Anschläge in Russland –vorzugsweise Moskau- und rechtfertigen
16
Lerch, Wolfgang Günther, 2000: Der Kaukasus. Nationalitäten, Religionen und Großmächte im Widerstreit. Hamburg/Wien: Europa Verlag. S. 142 17
Vgl. Ebd. S. 144 18
Vgl. Ebd. S. 145 19
Vgl. Quiring, Manfred, 2009: Pulverfass Kaukasus. Konflikte am Rande des russischen Imperiums. Berlin: Ch. Links Verlag. S. 99 20
Vgl. Ebd. S. 131
Sachanalyse 12
dies damit, dass ihnen die Bildung eines unabhängigen Gottesstaates vorenthalten bleibt.
Die andere Seite jedoch ist viel dramatischer und gefährlicher, da sie den Treibstoff für die
Fanatisierung von vor allem auch jungen Leuten liefert. Denn die Kaukasusregion ist die
ärmste Russlands. Die Arbeitslosenquote ist bei ca. 80% der Arbeitsfähigen21 und die
wirtschaftlichen Aussichten schlecht. In einem Bericht der Sendung Weltspiegel (ARD)
berichtet die russische Journalistin Olga Allenowa: „Keiner nimmt eine Waffe oder sprengt
sich in die Luft wenn er eine Zukunft hat und eine Chance auf ein gutes Leben.“22 Die
russische Regierung erwidert die Gewalt jedoch mit Gegengewalt – mit fragwürdigen
Aussichten auf Erfolg.
2.3. Literatur für den Geschichtsunterricht
Vor dem Hintergrund der Geschichtsschreibung kann Tolstois Werk eine herausragende
Genauigkeit attestiert werden. Dies geht wohl vor allem auf Tolstois Zeit bei den russischen
Truppen im Kaukasus zurück.
Sicherlich würden sich Ungereimtheiten oder „Hinzugedichtetes“ auf der Ebene der Details
bei der peniblen Untersuchung des Werkes finden lassen, da ein solches Werk ja auch
literarisch-ästhetischen Gesichtspunkten gerecht werden muss.23 Eine allzu penible
Untersuchung jedoch würde der Leistung Tolstois nicht gerecht und würde zudem das Werk
zerstören. Eine Trennung in Buchlektüre im Deutschunterricht und geschichtlicher
Abhandlung des Themas im Geschichtsunterricht würde sich einerseits durch die begrenzte
Verfügbarkeit von Unterrichtszeit anbieten,24 würde jedoch auch die Trennung in Literatur
und Geschichtswissenschaft verdeutlichen. Fakt ist jedoch, dass die wichtigen Figuren des
Werkes die gleichnamigen, echten Personen, verglichen mit der wissenschaftlichen Literatur,
angemessen repräsentieren und der Gang der Geschichte weitestgehend unverfälscht
wiedergegeben wird.
So bietet das Werk eine seltene Gelegenheit. Es ermöglicht dem Leser das eintauchen in
vergangene Geschehnisse. Es erleichtert den Perspektivwechsel und befördert das
Verstehen historischer Tatsachen. Wissenschaftliche Literatur leistet was dies betrifft
21
UNDP, 2007: National Human Development Report. Russian Federation 2006/2007. S. 64 http://hdr.undp.org/en/reports/national/europethecis/russia/RUSSIAN_FEDERATION_2007_en.pdf 22
http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=6470412 23
Vgl. Gies, Horst, 2004: Geschichtsunterricht. Ein Handbuch für die Unterrichtsplanung. Köln: Böhlau Verlag GmbH & Cie. S. 233 24
Vgl. Gies, Horst, 2004: Geschichtsunterricht. Ein Handbuch für die Unterrichtsplanung. Köln: Böhlau Verlag GmbH & Cie. S. 233
Didaktische Analyse 13
weitaus mehr Widerstand, zwar hat sie den Vorteil, dass ihr das Streben nach Objektivität
bei der Rekonstruktion und Diskussion des Vergangenen sowie die Nachvollziehbarkeit durch
Angabe von Quellen zu Grunde liegt. Dem Leser jedoch verlangt sie deutlich mehr kognitive
Leistung für das durchdringen ihres Inhalts ab.
Die Sprachgestaltung von „Hadschi Murat“ legt eine Beschäftigung in der 9. Oder 10. Klasse
der Haupt- oder Werkrealschule nahe. Wobei dies stark von der Lesekompetenz der Klasse
abhängt. Man darf hier jedoch nicht vernachlässigen, dass die gleichzeitige Beschäftigung
mit den historischen Informationen zusätzlich das Verständnis des Werks unterstützen kann.
Aber warum sollte man das hier bediente Thema überhaupt im Geschichtsunterricht
anbieten? Argumente dafür und dagegen werde ich im folgenden Teil der Arbeit explizieren.
3. Didaktische Analyse
3.1. Bedeutung des Inhalts
Laut Klafki soll Bildung „einen verbindlichen Kern des Gemeinsamen haben“.25 Jener
verbindliche Kern umfasst in erster Linie gegenwärtige und zukünftige Aufgaben, Probleme
und Gefahren26 welche er unter dem Wort „Schlüsselprobleme“ zusammenfasst.
Unter den Schlüsselproblemen der Gegenwart finden sich auch die Themen
Fundamentalismus/Extremismus, Terror und Verteilungsungerechtigkeit. Vor allem im
Hinblick auf den alltäglichen Umgang mit Muslimen ist, vor dem Hintergrund einer
Medienbestattung die den islamischen Terror fast allgegenwärtig erscheinen lässt , eine
differenzierte Meinungsbildung von außerordentlicher Wichtigkeit. Schülerinnen und
Schüler müssen wissen, dass jene Strömungen des Islams die den „Heiligen Krieg“ führen
keineswegs die Allgemeinheit der Muslime darstellen.
Grundsätzlich lässt sich das Thema im Hinblick auf die anhaltende Terrorgefahr, die von
Tschetschenien ausgeht und vor allem auch auf die russische Hauptstadt Moskau ausstrahlt
begründen. Besonders im Falle einer zukünftig möglichen Terrorwelle würde sich das Thema
anbieten. Dabei würde die Frage nach der Geschichte des Nordkaukasus im Imperialismus
ihren Teil zur Erklärung der derzeitigen Umstände abliefern. Unverzichtbar wäre jedoch auch
25
Klafki, Wolfgang, 1990: Abschied von der Aufklärung? Grundzüge eines bildungstheoretischen Gegenentwurfs. In: Baumgart, Franzjörg (Hrsg.), 2001
2: Erziehungs- und Bildungstheorien. Erläuterungen,
Texte, Arbeitsaufgaben. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt. S.271 26
Vgl. Ebd. S.271
Didaktische Analyse 14
die eher politikwissenschaftlich geprägte Perspektive, die aktuelle politische und
wirtschaftliche Lage im Nordkaukasus zu beleuchten.
Im Falle einer Behandlung des Themas im Unterricht würde dieses exemplarisch für das
Themengebiet des Extremismus (hier im Islam), für die Auswirkungen von Verteilungs-
ungerechtigkeit auf die Sicherheitslage27 und für die heute noch wahrnehmbaren Folgen des
Imperialismus stehen.
Die Gegenwartsbedeutung für die Schülerinnen und Schüler fände sich darin wieder, dass
diese am Beispiel des Nordkaukasus nachvollziehen könnten, wie sich aktuelle Konflikt-
situationen aus dem geschichtlichen Kontext heraus entwickeln und durch gegenwärtige
Probleme erhalten oder wieder verstärken können. Dies würde zu einer differenzierteren
Sichtweise auf die Bedingungen und Ausprägungen von Bürgerkriegen und/oder religiösem
Fundamentalismus beitragen.
Die Zukunftsbedeutung fände sich darin wieder, dass aus diesem Verstehen heraus die
Meinungsbildung der Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf eben genannte
Themengebiete gestärkt und auf eine solidere Basis gestellt werden könnten. Wird dies
erreicht, besteht die Chance somit auch zu einem differenzierteren Gesellschaftlichen
Diskurs im Umgang mit diesen Themen beizutragen, Lösungen zu diskutieren und unter
Heranziehung geschichtlicher Entwicklungen zu begründen oder zu verwerfen.
Die Bearbeitung dieses Themenkomplexes wäre am besten durch ein Ineinandergreifen der
Fächer Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde zu bewältigen, wobei letztere in
Baden-Württemberg von sich aus unter dem Fächerverbund WZG zusammengefasst sind.
Zur Abhandlung dieser Themenfelder wären jedoch auch andere Beispiele von Interesse,
welchen vielleicht sogar der Vortritt gelassen werden sollte. So wäre beispielsweise
Afghanistan, angesichts der deutschen Beteiligung an dem schon im 10. Jahr befindlichen
Krieg, in dem gegenwärtig noch kein (zufriedenstellendes) Ende in Sicht ist, eine mehr als
einleuchtende alternative.
Letztendlich würde die hier vorgestellte Herangehensweise an das Thema jedoch mit der
Prüfung der vorhandenen Unterrichtszeit im Hinblick auf andere Themen und der in der 9.
oder 10. Klasse anstehenden Haupt- oder Realschulprüfung sowie der Einschätzung der
Lesekompetenz der Schüler stehen und fallen.
27
Der Friedensforscher Dieter Sengahaas, erwähnt in seinem Modell des zivilisatorischen Hexagons unter anderem Die Bedeutung von Verteilungsgerechtigkeit im Streben nach dauerhafter Stabilität und Frieden. (Senghaas, Dieter, 2004: Zum irdischen Frieden. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 34)
Didaktische Analyse 15
3.2. Bezug zum Bildungsplan
Inwieweit lässt sich aber die Abhandlung des Themas aus dem Bildungsplan für die Haupt-
und Werkrealschule heraus Begründen? Dieser Frage nachgehend will ich zunächst die
Unterscheidung in die Fachbereiche Deutsch und WZG treffen.
3.2.1. Bildungsplanbezug – Deutsch
In den Leitgedanken zum Kompetenzerwerb wird heraus gestellt, dass es Literatur
ermöglicht, den Schülerinnen und Schülern fremde Welten zu erschließen und Brücken zu
fremden Kulturen zu bauen.28 In der Tat liegt hier bei der Verwendung von Tolstois „Hadschi
Murat“ die größte Chance. Denn es ermöglicht, wie oben schon erwähnt, das Eintauchen des
Lesers in die fremde und ferne Welt. Der Leser nimmt als Beobachter am historischen
Geschehen teil. Er fiebert mit dem Helden, er erfährt die Grausamkeit des Krieges,
empfindet Mitleid mit den Menschen, die mit der Verwüstung ihres Dorfes ihre
Lebensgrundlage verloren haben. Er distanziert sich von den Ansichten des Imams oder des
Zaren. Die Literatur ermöglicht also eine intensive Auseinandersetzung und das Einfühlen
des Lesers in die historischen Geschehnisse.
Im Kompetenzfeld Lesen werden die Kompetenzen gefördert, Personen und Handlungen
eines Textes zu erkennen und zu bewerten.29 Dies wird unter anderem durch die parallele
Beschäftigung mit den historischen Hintergründen im Geschichtsunterricht gefördert. Zudem
wird intensiv die Kompetenz gefördert, Zusammenhänge zwischen Text, Entstehungszeit und
Leben des Autors herstellen zu können,30 da der Text selbst und die Art der Beschäftigung
damit die Zusammenhänge mehr als deutlich heraus hebt. Zudem wird damit ein
bedeutender Autor der Weltliteratur und dessen Werk in die Zeitgeschichte eingeordnet und
in der Bedeutung beschrieben.31
28
Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2004: Bildungsplan Hauptschule und Werkrealschule. Bildungsstandards Deutsch. S. 54 29
Vgl. Ebd. S. 63 30
Vgl. Ebd. 31
Vgl. Ebd.
Didaktische Analyse 16
3.2.2. Bildungsplanbezug – WZG
In den Leitgedanken zum Kompetenzerwerb des Fächerverbundes WZG steht geschrieben:
„Ein grundlegendes Geschichtsbewusstsein soll aufgebaut werden, das Gesellschaften als historisch
gewachsen betrachtet. Die Kenntnis und das Verständnis vergangener Epochen fördert die Orientierung im
gegenwärtigen und zukünftigen gesellschaftlichen Leben.32
Die Auswirkungen der Eroberung des Kaukasus, die sich bis heute auf die konfliktreiche Lage
und den Terror in Russland auswirken kommt der Forderung nach, Gesellschaften als
historisch gewachsen darzustellen und Erklärungen für die aktuelle Situation zu liefern.
Gleichzeitig wird mit dem hier vorgestellten Zugang der Forderung nachgegangen, Literatur
mit in den Unterricht einzubeziehen.33
Im Kompetenzfeld Macht und Herrschaft finden wir folgende Kompetenzen ausgewiesen:
„Die Schülerinnen und Schüler beurteilen einen aktuellen Konfliktherd anhand historischer, wirtschaftlicher,
geographischer und politischer Gegebenheiten; können wesentliche Ursachen und Auswirkungen von
Kriegen aufzeigen und diskutieren friedenssichernde Maßnahmen; wissen um die Bedrohung des Friedens
durch Terrorismus“34
Wir haben hier also die Forderungen nach Kompetenzen die in hohem Maße mit der hier
vorgestellten Herangehensweise erreicht werden können. Dies bedeutet dass die Wahl des
Themas und die Kombination mit Literatur als fächerübergreifender Zugang aus dem
Bildungsplan ausreichende Legitimation erfährt um tatsächlich im Unterricht umgesetzt zu
werden.
32
Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2004: Bildungsplan Hauptschule und Werkrealschule. Bildungsstandards WZG. S. 134 33
Vgl. Ebd. S.135 34
Ebd. 139
Literaturverzeichnis 17
4. Literaturverzeichnis
Chiari, Bernhardt (Hrsg.), 2008: Wegweiser zur Geschichte. Kaukasus.
Paderborn/München/Wien/Zürich: Schöningh.
Gies, Horst, 2004: Geschichtsunterricht. Ein Handbuch für die Unterrichtsplanung.
Köln: Böhlau Verlag GmbH & Cie.
Klafki, Wolfgang, 1990: Abschied von der Aufklärung? Grundzüge eines
bildungstheoretischen Gegenentwurfs. In: Baumgart, Franzjörg (Hrsg.), 20012:
Erziehungs- und Bildungstheorien. Erläuterungen, Texte, Arbeitsaufgaben. Bad
Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt
Lerch, Wolfgang Günther, 2000: Der Kaukasus. Nationalitäten, Religionen und
Großmächte im Widerstreit. Hamburg/Wien: Europa Verlag.
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2004: Bildungsplan
Hauptschule und Werkrealschule. Bildungsstandards Deutsch.
Pfäfflin, Sabine,2007: Auswahlkriterien für Gegenwartsliteratur im Deutschunterricht.
Baltmannsweiler: Schneider.
Quiring, Manfred, 2009: Pulverfass Kaukasus. Konflikte am Rande des russischen
Imperiums. Berlin: Ch. Links Verlag.
Senghaas, Dieter, 2004: Zum irdischen Frieden. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Tolstoi, Leo, 2011: Hadschi Murat. Köln: Anaconda Verlag GmbH, Köln.
UNDP, 2007: National Human Development Report. Russian Federation 2006/2007.
http://hdr.undp.org/en/reports/national/europethecis/russia/
RUSSIAN_FEDERATION_2007_en.pdf (zuletzt eingesehen am 22.09.2011)
Weltspiegel (ARD) http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/
3517136?documentId=6470412 (zuletzt eingesehen am 22.09.2011)