Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013
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LIBYEN, IRAK, HAITI: BEWAFFNETE GEWALT UND IHRE FOLGEN FÜR DIE
ZIVILBEVÖLKERUNG DIE FAKTEN
Weltweit stirbt mehr als ein Mensch jede Minute durch bewaffnete Gewalt. Über 80 % der
Opfer von bewaffneter Gewalt, die von Handicap International befragt wurden, leiden als
Folge ihrer Verletzungen an einer Behinderung.
Handicap International ist seit 30 Jahren in zahlreichen Ländern aktiv, die von bewaffneten
Konflikten betroffen sind – und stellt jeden Tag die Folgen der Verbreitung von Klein- und
Leichtwaffen und explosiven Kriegsresten fest, die die Nachwirkungen eines Krieges und
damit die Risiken für Zivilisten auf unbestimmte Zeit verlängern.
Als Reaktion auf diese Realität entwickeln wir Projekte zur Eingrenzung der Gefahren von
Klein- und Leichtwaffen, in Ergänzung zu den Aktionsprogrammen gegen Minen und
explosive Kriegsreste.
Auch auf internationaler Ebene handelt Handicap International, damit die Staaten
Maßnahmen ergreifen, um die Auswirkungen von bewaffneter Gewalt für Zivilsten
einzugrenzen.
Libyen © Till Mayer / Handicap International
Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013
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BEWAFFNETE GEWALT
Bewaffnete Gewalt wird definiert als beabsichtigte Nutzung von Waffen zur Drohung oder zur
physischen Anwendung (in und außerhalb von bewaffneten Konflikten). Sie führt Tod,
Verletzungen, dauerhafte Schäden oder psychische Beeinträchtigungen herbei, die Sicherheit und
Entwicklung nachhaltig schädigen.
KLEINWAFFEN
Eine Kleinwaffe ist eine Feuerwaffe, die von einer Einzelperson getragen und verwendet werden
kann. Zu dieser Kategorie zählen vor allem Pistolen, Maschinenpistolen und Gewehre (Pump Guns,
Sturmgewehre, Präzisionsgewehre usw).
LEICHTWAFFEN
Eine Leichtwaffe ist eine Feuerwaffe, die von einer ein bis drei Personen getragen und verwendet
werden kann. Zu dieser Kategorie zählen vor allem Mörser, tragbare Raketenwerfer und schwere
Maschinengewehre.
INHALT 1 / Bewaffnete Gewalt: bedeutende Ursache für Behinderungen S. 3 2 / Die Eingrenzung von bewaffneter Gewalt zur Rettung von Leben S. 5 3 / Libyen: Allgegenwart von Klein- und Leichtwaffen S. 7 4 / Irak: Zivilisten als hauptsächliche Opfer des Konflikts S. 12 5 / Haiti: Gewalt von bewaffneten Gruppen breitet sich aus S. 18 6 / Bewaffnete Gewalt: auch politisch ein Kampf S. 20
Angola, von Einschüssen durchsiebtes Haus. © S. Bonnet / Handicap International
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Afghanistan © J-P. Porcher / Handicap International
1/ BEWAFFNETE GEWALT:
Mehr als 80 % der befragten Überlebenden haben eine Behinderung
Bewaffnete Gewalt
und Behinderung:
eine erste Studie zur
Thematik.
Im November 2012
hat Handicap
International die
Ergebnisse aus einem
Jahr Recherche über
die Zusammenhänge
von bewaffneter
Gewalt und
Behinderung
veröffentlicht:
„Armed Violence and
Disability: the Untold
Story“ 1. Diese Studie stützt sich vor allem auf Datensammlung bei Polizeikräften und in
Krankenhäusern sowie auf eine Umfrage, die zwischen Mai 2011 und April 2012 in vier Städten oder
Provinzen von besonders schlimm betroffenen Ländern durchgeführt wurde: Medellin (Kolumbien),
Port-au-Prince (Haiti), Karamoja (Uganda) und Peshawar (Pakistan). Zu den Recherchen gehören eine
Umfrage unter mehr als 700 Überlebenden von bewaffneter Gewalt, Gespräche mit den wichtigsten
Informationsstellen (Sicherheitskräfte, Vertreter von Regierungen, Vertreter von Medien, Mitglieder
der Zivilbevölkerung) und Gespräche mit Familienangehörigen von getöteten oder verletzten
Menschen. Vorher existierte keine präzise Studie, die die Langzeitfolgen von bewaffneter Gewalt
evaluierte, vor allem die Entstehung von Behinderung. Diese Studie von Handicap International ist
demnach die erste in diesem Bereich, die versucht, den Zusammenhang zwischen bewaffneter
Gewalt und Behinderung aufzuzeigen.
Über zwei Millionen Menschen auf der Welt leben mit bleibenden Folgen durch ihre Verletzung
Diese Studie hebt hervor, dass bewaffnete Gewalt das Leben von Millionen Menschen bedroht, vor
allem in Entwicklungsländern, und dass sie verantwortlich ist für langwierige körperliche und
psychologische Behinderungen. Acht von zehn befragten Überlebenden leben heute mit einer
schweren Behinderung, die ihr alltägliches Leben betrifft (Lähmungen, Amputationen eines
Gliedmaßes, Verletzungen des Rückenmarks etc.). Diese Opfer werden mit neuen Herausforderungen
konfrontiert, indem sie sich an eine Umgebung anpassen müssen, die sowieso schon prekär ist. Ihre
Behinderung hat außerdem direkte Auswirkungen auf ihre wirtschaftliche Lage und die ihrer
Familien. In Folge des Unfalls können viele Opfer nicht mehr arbeiten und die Kosten der Behandlung
werden zu einer wahren finanziellen Belastung für sie.
1 Die Ergebnisse beruhen auf Daten von Krankenhäusern, Polizeikräften und einer Umfrage unter mehr als 700 Überlebenden bewaffneter Gewalt in Medellin (Kolumbien), Port-au-Prince (Haiti), Karamoja (Uganda) und in der Region Peshawar (Pakistan). http://www.handicap-international.fr/fileadmin/documents/web_ArmedViolenceReport2012.pdf
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Menschen mit Behinderung in Entwicklungsländern tragen ein höheres Risiko, zu Opfern bewaffneter
Gewalt zu werden auf Grund ihrer Ausgrenzung aus der Gesellschaft, ihrem beschränkten Zugang zu
Präventionsmaßnahmen sowie ihrer größeren Schutzbedürftigkeit in Gefahrensituationen. Der
begrenzte Zugang zu medizinischer Versorgung bedeutet Ausgrenzung auch im Falle von
Verletzungen.
DATEN UND FAKTEN
- Bewaffnete Gewalt ist jedes Jahr für 740.000 Todesfälle verantwortlich. Das macht mehr als ein
Opfer pro Minute. 2
- Laut dem Sekretariat der Genfer Erklärung über Bewaffnete Gewalt und Entwicklung (2010) ergibt
sich die große Mehrzahl der Getöteten in Ländern, die nicht von einem bewaffneten Konflikt
betroffen sind und über schwache oder mittlere Einkommensniveaus verfügen3.
- Es gibt ca. 875 Mio. Klein- und Leichtwaffen weltweit, drei Viertel davon in den Händen von
Zivilisten und nicht-staatlichen Gruppierungen4. 60% der Menschenrechtsverletzungen schließen
den Gebrauch von Klein- und Leichtwaffen ein. 5
- Schätzungsweise mindestens zwei Millionen Menschen auf der Welt leben in Folge des Einsatzes
von Feuerwaffen außerhalb von Konflikten mit den Folgen von Verletzungen, die Behandlung und
Rehabilitation erforderlich machten sowie oftmals zu Einkommensverlust geführt haben6.
- Heute wird die Anzahl der Überlebenden eines Unfalls mit einer Mine oder explosiven
Kriegsresten auf 500.000 Menschen geschätzt, die oftmals ihr Leben lang Unterstützung brauchen.
Handicap International ist für diese Opfer in 39 Ländern und Gegenden der Welt aktiv7. Vor Ort
sammelt die Organisation darüber hinaus Daten über die Problematik von Klein- und Leichtwaffen in
Partnerschaft mit der Organisation Small Arms Survey8.
2 Leitfaden zur Programmplanung der OECD über bewaffnete Gewalt, 2011. 3 www.genevadeclaration.org/fileadmin/docs/MDG_Process/MoreViolenceLessDevelopment.pdf 4 IANSA, « Gun Violence : The Global Crisis », www.iansa.org 5 Amnesty International Mai 2010 6 The Graduate Institute of International and Development Studies, Small Arms Survey (2012), Authorised Small Arms Trade Revised up to USD 8.5 Billion per year: More than double previous estimate, Genf. 7 Afghanistan, Algerien, Albanien, Angola, Äthiopien, Bangladesch, Burundi, Demokratische Republik Kongo, Indien, Irak, Jordanien, Kambodscha, Kenia, Kirgisistan, Kolumbien, Laos, Libanon, Libyen, Liberia, Mali, Mosambik, Nepal, Niger, Pakistan, Palästinensische Gebiete, Philippinen, Ruanda, Senegal, Serbien, Sierra Leone, Somaliland, Sri Lanka, Südsudan, Syrien, Tadschikistan, Tschad, Thailand, Uganda, Vietnam. 8 www.smallarmssurvey.org
Kolumbien. Rosa war fünf Jahre alt,
als ihre Familie zum Ziel eines
Angriffs einer paramilitärischen
Gruppe in der Region El Copey
wurde. Sie wurde von einer Kugel
verletzt und musste amputiert
werden.
© Gaël Turine / VU - Colombia
2008
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2/ Verringerung bewaffneter Gewalt: „Leben retten“
Sylvie Bouko, bei Handicap International für die Programme zur „Verringerung bewaffneter Gewalt“ zuständig
Weshalb wurden Aktionen zur Verringerung bewaffneter Gewalt in
Libyen initiiert?
Noch nie zuvor waren in Libyen so viele Waffen im Umlauf. Bis zum
Aufstand vor zwei Jahren wurde Libyen von einem autoritären
Regime regiert und der Umlauf von Waffen wurde streng
kontrolliert. Die Situation hier unterscheidet sich stark von der in
Somalia oder Afghanistan. In diesen beiden Ländern waren die Leute
Waffenbesitz gewöhnt. Für Libyer hingegen war es nicht normal,
eine Waffe zu besitzen. Die Tatsache, dass Waffen jetzt massenhaft
im Umlauf sind, die dazugehörige Munition leicht erhältlich ist und
sich beides zudem in den Händen der Zivilbevölkerung befindet,
stellt ein großes Unfallpotenzial dar.
Welche Maßnahmen schlagen Sie gegen die Bedrohung durch bewaffnete Gewalt vor?
Unsere Intervention zielt darauf ab, die Risiken zu verringern, die von der Verbreitung von Waffen,
dem Zugang zu ihnen und ihrem unsachgemäßen Gebrauch ausgehen. Unsere Aufgabe ist es, Unfälle
zu verhindern. Bei all unseren Maßnahmen geht es darum, die grundlegenden Sicherheitsregeln zu
erklären und Medienkampagnen zu initiieren (Warnhinweis im landesweiten Rundfunk),
bewusstseinsbildende Maßnahmen, Fortbildung von Lehrerpersonal, Schulung von Mitgliedern der
Zivilgesellschaft und auch der örtlichen Behörden. Wir möchten weitere Tragödien, die auf
Fahrlässigkeit oder riskanten Umgang mit Waffen zurückgehen, verhindern. Die Erfahrungen, die wir
dabei in Libyen machten, sind ausschlaggebend: Wir registrierten Unfälle, die sich auf Feiern
ereigneten, als Leute in die Luft schossen und dabei andere aus Versehen verletzten. Wir geben ganz
deutliche Sicherheitshinweise aus: Waffen und Munition sind voneinander getrennt und sicher
aufzubewahren etc. Unsere Aktionen beziehen sich auch auf Waffen wie Geschosse und Raketen.
Auch diese können in besiedelten Gebieten in die Hände von Zivilisten gelangen – auch in die von
Kindern. Sie können sich vorstellen, welche Folge ein unvorsichtiger Umgang mit ihnen hat.
Und explosive Kriegsreste?
Was explosive Kriegsreste anbelangt erinnern wir die Leute an einfache Vorsichtsmaßnahmen: Keine
verdächtigen Gegenstände berühren, Abstand halten, die Lage des Gegenstands markieren und die
zuständigen Behörden informieren, damit er entfernt und vernichtet werden kann. Neben der
Sensibilisierung für Risiken sammeln wir auch Daten, damit Art und Auswirkungen der Kontamination
ermittelt und die Bedrohung eingeschätzt werden können. Das ermöglicht es uns, durch die
Sicherung von Waffenlagern und Verstecken adäquat zu reagieren. Unser nächster Schritt geht dann
in Richtung Waffenvernichtung, um deren weitere Verbreitung einzudämmen.
Fallen diese Maßnahmen nicht in den Zuständigkeitsbereich der Behörden?
Wir wollen die zuständigen Behörden nicht ersetzen, wir greifen vielmehr in Ländern ein, in denen
der Staat schwach ist oder sich im Wiederaufbau befindet. Unsere Aufgabe besteht darin, nichts
Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013
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unversucht zu lassen, was Menschenleben retten kann. Das kann ganz einfach in der
Bewusstseinsbildung auf lokaler und nationaler Ebene geschehen, das heißt durch Treffen mit
Vertretern der Gemeinschaften, gewählten Vertretern und nationalen Behörden, damit diese sich
des Themas leichte Waffen annehmen und nach Lösungen suchen. Ganz konkret kann das bedeuten,
Dorfvorsteher aufzufordern, gefährliche Waffenlager zu sichern oder zu bewachen, damit nicht jeder
auf sie zugreifen kann. Es bedeutet, dass die Leute auf allen Ebenen Verantwortung übernehmen.
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„Ich bin Libyer und gegen Waffen" Kampagne zur Bewusstseinsbildung und Prävention
© Handicap International
LIBYEN: Allgegenwart von Klein- und Leichtwaffen
Der Volksaufstand, der am 17. Februar 2011 in
Libyen begann, führte zu äußerst gewaltsamen
Auseinandersetzungen, Tausende wurden
verwundet oder getötet. In dem Konflikt wurden
Landminen (sowohl Anti-Personen- als auch
Anti-Fahrzeug-Minen) und Streumunition
eingesetzt und dadurch die Sicherheit der
Zivilbevölkerung langfristig bedroht. Zwei Jahre
nach Beginn der Aufstände mögen zwar das
Regime von Oberst Gaddafi gestürzt und die
Kampfhandlungen beendet sein, doch die
Gefahr ist noch eine immer allgegenwärtig.
Nicht nur die Landminen und explosiven
Kriegsreste stellen Bedrohung dar, sondern
auch leichte Waffen aller Art. Diese sind leicht
erhältlich und befinden sich jetzt in der Hand
von Zivilisten, die nicht mit ihnen umgehen
können.
Handicap International nahm die Arbeit zur
Verhütung bzw. Verringerung von Unfällen
aufgrund von explosiven Kriegsresten und der
unsachgemäßen Verwendung von Klein- und
Leichtwaffen in Libyen im März 2011 auf.
Die meisten Familien besitzen eine Waffe
Mit dem Vorrücken der Opposition wurden auch die Lager von Gaddafis bewaffneten Kräften geöffnet.
Dies führte zusammen mit Waffenlieferungen von verschiedenen Staaten vor und während des
Konflikts zu einer weitreichenden Verbreitung von leichten Waffen. Die meisten Familien haben
zumindest eine Schusswaffe zuhause. Die Verbreitung aller Arten leichter Waffen in der
Zivilbevölkerung führt zu Unfällen, die mit spezifischen Präventionsmaßnahmen leicht vermieden
werden könnten. Diese Waffen werden regelmäßig bei Konflikten, häuslichen Auseinandersetzungen,
Straßenprotesten oder Festivals eingesetzt, nicht zuletzt sogar auf Hochzeiten, bei denen die Gäste
vor Freude in die Luft schießen.
Handicap International will auf diese Bedrohung der Zivilbevölkerung umgehend eine Antwort finden.
Die Organisation arbeitet daran, die Bevölkerung für die Gefahren zu sensibilisieren, die von einem
Umgang mit Waffen ausgehen können und gibt Sicherheitshinweise aus, um die Zahl der Unfälle zu
beschränken (Lassen Sie Kinder keine Waffen tragen, Schießen Sie bei Demonstrationen oder
Festivals nicht in die Luft, Verwahren Sie die Waffen sicher, wenn sie nicht in Gebrauch sind.). Die
Organisation hat mehr als 200 Lehrerinnen und Lehrer darin unterrichtet, ihren Schülern und deren
Eltern ein sicheres Verhalten gegenüber Waffen zu vermitteln. Handicap International hat auch
mehrere örtliche Organisationen in Bengasi, Brega, Sirte und Misrata für das Thema sensibilisiert,
damit sie ihrerseits Netzwerke bilden und diese Kampagne weitertragen können.
Die Organisation ergriff direkte Maßnahmen in Schulen zur Sensibilisierung von Teenagern, die
besonders zu einem unvorsichtigen Umgang mit Waffen neigen. Zwischen März und Dezember 2012
haben die Teams in Libyen mehr als 1.000 Schulungen zur Bewusstseinsbildung in Schulen,
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Maßnahmen zur Sensibilisierung für die Risiken von leichten Waffen in Tripolis ©
Umar Khan
Moscheen und an öffentlichen Orten veranstaltet, um vor den von leichten Waffen und explosiven
Kriegsresten ausgehenden Gefahren zu warnen. Die Organisation hat ebenfalls der
Bewusstseinsbildung dienende Sets in Schulen verteilt: Dabei wurden über 36.000 Broschüren und
fast 3.000 Poster an die Risikogruppen verteilt.
Seit Februar verteilt die Organisation ein mit der Unterstützung des Unterrichtsministeriums und von
Unicef geschaffenes „Lehrer-Paket“ verteilen. Es richtet sich an Lehrer und enthält Empfehlungen, wie
sie die Präventionshinweise am besten weitergeben. Es wird auch eine fünftägige Schulung
angeboten, damit die Vermeidung bewaffneter Gewalt auch Teil des Lehrplans wird. Fünfundsechzig
riesige Plakattafeln wurden an strategisch wichtigen Stellen mit hohem Verkehrsaufkommen in
Bengasi, Sirte, Misrata und Tripolis aufgestellt.
Zahlreiche Schulungen wurden für Organisationen der Zivilgesellschaft abgehalten, ungefähr fünfzehn
Schulungen für Lehrkräfte, und ungefähr dreißig Sicherheitsschulungen für Mitarbeiter des
Gesundheitswesens, der Presse und internationaler Organisationen, die möglicherweise auf ihrem
Weg zur Arbeit den von diesen Waffen ausgehenden Gefahren ausgesetzt sind.
„Ich bin Libyer und gegen Waffen“
Am Donnerstag, dem 9.
August 2012, an dem sich
die Befreiung der
Hauptstadt zum ersten Mal
jährte, organisierte
Handicap International eine
Veranstaltung auf dem Platz
der Märtyrer in Tripolis und
verteilte Hunderte von
Broschüren und Poster zur
Bewusstseinsbildung sowie
T-Shirts mit dem Slogan
„Ich bin Libyer und gegen
Waffen". Zur selben Zeit
führten Spannungen
zwischen ungefähr vierzig
bewaffneten Rebellen auf
dem Platz zu einem
Handgemenge. Die Milizen
schwangen ihre Waffen und
richteten sie auf ihre Gegner.
Die anwesenden Zivilisten ergriffen die Flucht, da sie eine Schießerei fürchteten. Die freiwilligen Helfer
am Stand von Handicap International stellten sich den Aufständischen entgegen, verurteilten ihr
Verhalten und forderten Respekt für die Empfehlungen der Organisation. „Die Tatsache, dass die
Zivilisten, die einschritten, unsere Nachricht beherzigten, zeigt uns, dass unsere Aktion direkt als
Unfallprävention wirkt,“ erläutert Sylvie Bouko, bei Handicap International für die Verringerung
bewaffneter Gewalt zuständig. Als die Lage sich wieder beruhigt hatte, konnte das Team von
Handicap International den Milizen erklären, welche potenziell katastrophalen Folgen diese Art von
Abrechnung haben kann. Es wurden keine Schüsse abgegeben und das Schlimmste dank des
engagierten Einschreitens von Zivilisten verhindert.
Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013
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SCHLÜSSELZAHLEN
2012 wurden in Tripolis über 1.600 Opfer von Klein- und Leichtwaffen gezählt, im
Durchschnitt vier Opfer pro Tag. Diese Zahlen, die in gerade mal zwei Krankenhäusern der
Hauptstadt erfasst wurden, verdeutlichen die Lage im Land auf alarmierende Weise
Besonders beunruhigend ist der extrem hohe Anteil von Kindern und jungen Erwachsenen
unter den Opfern. Seit Juni 2012 sind über drei Viertel der in den Krankenhäusern von Tripolis
erfassten Patienten unter 25 und 15 % sind jünger als 16 Jahre.
Explosive Kriegsreste in Kinderschlafzimmern
Nach Ende der Kampfhandlungen in Libyen kehrten Hunderttausende Vertriebene zwar in ihre Häuser
zurück, doch in der Zwischenzeit waren ihre Wohngebiete bombardiert oder durch Minen verseucht
worden. Familien finden explosive Kriegsreste in ihren Häusern, Gärten, Wohnzimmern,
Kinderschlafzimmern und auch an ihrem Arbeitsplatz vor. Handicap International hat in Tripolis,
Misrata und Sirte Minenräumungsteams9 eingesetzt, damit diese die nicht explodierten Geschosse
entfernen.
Die Aktionen von Handicap International trugen bereits Früchte. Von April 2011 bis Januar 2013
wurde eine Fläche von 23 km² geräumt und mehr als 35.000 explosive Kriegsreste vernichtet. Zwei
Schulen, ein öffentlicher Garten und 27 Farmen wurden geräumt und sind jetzt wieder für die breite
Öffentlichkeit zugänglich. Eine Telefonhotline zur Ermittlung kontaminierter Bereiche wurde in Misrata
eingerichtet, bei der die Einwohner anrufen und die Hilfe eines Experten anfordern können. Der
9 Räumung beinhaltet die Beseitigung und Vernichtung von explosiven Kriegsresten
Libyen, Misrata. © J-J.Bernard / Handicap International
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Experte kommt dann vor Ort, um den fraglichen Gegenstand zu identifizieren und, falls erforderlich,
einen Sicherheitsstreifen einzurichten und das Objekt zu vernichten. Die Teams von Handicap
International nehmen monatlich bis zu hundert Anrufe aus der Bevölkerung entgegen (und werden in
Häusern, auf Farmen oder in Gärten tätig).
Zwei Teams von Handicap International
sind mit der Räumung eines Waffen- und
Munitionslagers in Misrata beschäftigt,
das aus 43 Bunkern besteht, die von der
NATO bombardiert worden waren und
jetzt teilweise vernichtet werden.
Tausende Stück Munition und Geschosse
waren bei der Bombardierung in die Luft
gegangen und liegen jetzt über eine
Fläche von ungefähr 1,5 km² verstreut,
was eine Bedrohung der Anwohner
darstellt. Es gibt praktisch keine
Sicherheitszone und die Zivilbevölkerung
kann sich zu dem Lager leicht Zugang
verschaffen.
Viele Menschen machen sie sich kaum
Gedanken beim Betreten der Bunker,
wenn sie dort Messing und Kupfer aus
den Waffen holen, denn diese
Legierungen bringen auf dem Metallmarkt
viel ein oder dienen für den Einsatz von
Sprengstoffen zum Fischen. Bei diesen
extrem gefährlichen Praktiken werden die
explosiven Kriegsreste mit einem
Hammer oder Meißel bearbeitet, wobei
Erstere jederzeit explodieren können. Es
wurden bereits zahlreiche Tote
verzeichnet, wobei ihre genaue Anzahl
noch nicht bekannt ist.
Handicap International will durch die Beseitigung von auf der Erde zurückgelassener oder unter dem
Schutt der Bunker vergrabener Munition diese Unfälle eindämmen. Die Organisation rechnet damit,
dass die Räumung der Lager in diesem Gebiet noch zwei Jahre dauern wird.
Neben diesen Räumungsarbeiten werden Kampagnen zur Sensibilisierung für die Risiken
durchgeführt, die von Waffen und nicht explodierter Munition ausgehen. Seit Beginn seines Einsatzes
hat Handicap International ungefähr 300 libysche Multiplikatoren darin geschult, das Bewusstsein der
von Minen und anderen nicht explodierten Geschossen bedrohten Bevölkerung zu schärfen.
Ali Abdel Moneim Al Zayani, 21 Jahre alt, von Handicap International ausgebildeter Pfadfinder: „Das
Risiko für die Bevölkerung ist riesig, da ihr nicht bewusst ist, wie gefährlich die Waffen sein können.
Die Leute heben nicht explodierte Geschosse auf und behalten sie als Andenken an die Front, die
Kinder spielen damit, manche organisieren Waffenschauen auf der Straße oder in Schulen. Andere
wiederum versuchen, ihr Stück Land mit einem Rechen oder nur von Hand zu räumen. Um die Leute
für diese Gefahren zu sensibilisieren, ist sehr viel Arbeit erforderlich, und sie ist dringend nötig."
Handicap International ist auch direkt in Schulen, Unternehmen und Moscheen tätig und arbeitet mit
den Behörden und örtlichen Vereinigungen zusammen, damit die Hinweise zur Prävention
weitergetragen werden. Insgesamt hat die Organisation bereits mehr als 300.000 Broschüren zur
Libyen, Poster zur Bewusstseinsbildung © Handicap International
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Libyen, Mohamed © Giovanni Diffidenti / Handicap International
Bewusstseinsbildung verteilt. Bis heute nahmen fast 85.000 Personen an Schulungen teil, die meisten
von ihnen Kinder, die diesen Waffen am häufigsten zum Opfer fallen. 2011 waren in über 60 % der
Fälle Kinder die Opfer von explosiven Kriegsresten.
Die Sensibilisierungsmaßnahmen werden durch gemeinschaftliche Verbindungsaktivitäten
[Community Liaison] ergänzt, damit auf diese Weise die Bedeutung einer eindeutigen
Kennzeichnung von riskanten Gebieten (in denen explosive Kriegsreste vermutet oder bereits
vorgefunden wurden) hervorgehoben und die Räumungsmaßnahmen erklärt werden und auf
die Notwendigkeit hingewiesen wird, Waffenlager zu sichern etc.
Mohamed, Opfer seiner natürlichen Neugier
Mohamed ist ein
dreizehnjähriger Teenager, der
mit seinem Bruder und seinen
drei Schwestern in Bengasi
lebt. Am 21. März 2012 spielte
er gerade mit seinen Freunden
vor seinem Haus Fußball, als er
auf einen glänzenden
Gegenstand aufmerksam
wurde, der bei einem Baum lag.
Mohamed hob ihn aus
Neugierde auf und wollte ihn
mit nach Hause nehmen. Auf
dem Rückweg warf er ihn
gegen eine Wand.
Bei dem merkwürdigen
Gegenstand handelte es sich
um eine Submunition, die explodierte, nachdem sie ein paar Mal gegen die Wand geworfen worden
war. Teile von ihr flogen einige Meter weit durch die Luft und trafen den Jungen im Gesicht und an der
Hand, wodurch er mehrere Finger verlor. Nur weil er seiner kindlichen, unschuldigen Neugier folgte,
hat Mohamed für den Rest seines Lebens unter den physischen und psychischen Folgen dieses
Unfalls zu leiden.
Er ist gerade wegen seiner Hand in physiotherapeutischer Behandlung. Da ihm diese Tragödie schwer
zu schaffen macht, wird er auch psychologisch betreut und beginnt erst langsam wieder, die Freude
am Leben zurückzugewinnen.
Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013
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IRAK: Zivilisten als hauptsächliche Opfer des Konflikts
Seit 1979 und der Machtübernahme von Saddam Hussein musste der Irak drei todbringende Kriege,
blutige Unterdrückung, einschließlich der kurdischen und schiitische Bevölkerung des Landes, sowie
ein über zehn Jahre dauerndes Handelsembargo durchleiden. Am 20. März 2003 startete eine
Koalition von britischen und amerikanischen Truppen eine militärische Operation im Irak. Saddam
Husseins Regime wurde drei Wochen nachdem die Truppen das Land betraten gestürzt. Dieser dritte
Golfkrieg endete offiziell am 1. Mai 2003. Nach einer Mission, die fast neun Jahre dauerte, verließen
am 18. Dezember 2011 die letzten amerikanischen Soldaten den Irak. Der Krieg hatte dramatische
Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, wie Zahlen, die im Iraqi Body Count veröffentlicht wurden,
offenbaren:
Mindestens 250.000 Zivilisten wurden zwischen März 2003 und Januar 2012 getötet oder
verletzt.
Während desselben Zeitraums wurden von IBC 162.000 Todesopfer erfasst, 79% davon
Zivilisten.
Die Situation hat sich durch den Rückzug der amerikanischen Truppen nicht stabilisiert und
bewaffnete Gewalt ist weiterhin ein großes Problem:
Mit einer Zahl von 6.640 erfassten zivilen Todesopfern zwischen Januar und November 2012 ist
der Irak nach Syrien für die Zivilbevölkerung das zweitgefährlichste Land der Erde.
Die Verbreitung von Kleinwaffen10 unter der Zivilbevölkerung
stellt eine erhebliche Gefahr für die irakische Bevölkerung
dar. 56% der zivilen Todesfälle oder Verletzungen seit 2003
wurden durch Kleinwaffen verursacht. Laut Amnesty
International waren vor 2003 15 Millionen Kleinwaffen und
leichte Waffen im Irak im Umlauf (bei einer geschätzten
Bevölkerung von 25 Millionen). Im Jahr 2008 offenbarte ein
Bericht von Amnesty International, dass seit 200311 Verträge
für die Übertragung und Bestellung von mehr als einer Million
Kleinwaffen abgeschlossen wurden. Beamte des Pentagon
räumten ein, dass ein großer Teil dieser Waffen in die Hände
von Einzelpersonen, Milizen oder bewaffneten Gruppen
gefallen sein könnte. Sie gaben auch zu, dass 54% der Waffen
(190.000 Waffen), die 2004 und 2005 in den Irak geliefert
wurden und für die Polizei oder die Streitkräfte bestimmt
waren, nicht dort ankamen und dass deren Spur nicht
weiterverfolgt werden konnte12.
Irak: In einem von Handicap International in Souleymaniah, im irakischen Kurdistan errichteten Orthopädiezentrum wartet
ein Mann auf eine neue Prothese. Sein Bein wurde vor zehn Jahren amputiert, nachdem er während eines Picknicks in
einem öffentlichen Park von einer verirrten Kugel verletzt wurde. © C. Bourgois/Handicap International
10 Eine Kleinwaffe ist eine Schusswaffe, die von einem einzigen Individuum tranpsortiert und verwendet werden kann. Dazu gehören Pistolen, Automatische Pistolen, Gewehre 11 Blood at the crossroads, Amnesty International, 17 September 2008 12 http://www.gao.gov/assets/270/264918.pdf
Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013
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Kugel traf in der Nähe des Herzens
Herr Fakhir Madhi ist 58. Er ist Vater von 7 Kindern. Er lebt in
Al-Amarah in der Nähe von Missan. Vor seinem Unfall im
Jahre 2011 arbeitete Fakhir als Arzt. Bei einem Fußballspiel,
das von der irakischen Mannschaft gewonnen wurde, wurde
er von einer aus Freude abgefeuerten Kugel getroffen. Die
Kugel konnte nicht entfernt werden, weil sie ihn zu nah am
Herzen getroffen hatte. Die schrecklichen Schmerzen, unter
denen er täglich leidet, halten ihn davon ab, die Arbeit
auszuführen, die er liebt. Seine Ärzte haben ihm gesagt, dass
sein Leben ständig in Gefahr ist, weil die Kugel bei einer
falschen Bewegung in sein Herz gelangen könnte. Das
Schießen in die Luft bei Festen oder Protesten, das im Irak
sehr verbreitet ist, verursacht leider zahlreiche Unfälle.
Minen und explosive Kriegsüberreste: eine massive Bedrohung im Irak
Laut dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) ist der Irak nach Jahrzehnten von
Krieg und Konflikt nun das Land der Welt, das am stärksten mit Minen und explosiven
Kriegsüberresten verseucht ist13. Diese Waffen wurden in inneren Konflikten, dem iranisch-
irakischen Krieg (1980-1988), dem Golfkrieg (1991) und der anglo-amerikanischen Militärintervention
im Jahr 2003 massiv eingesetzt. Laut UNICEF ist der Irak, der eine Bevölkerung von 31 Millionen
Menschen hat, von 25 Millionen Anti-Personen-Minen und Anti-Panzer-Minen verunreinigt.14 Die
Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien haben im Jahr 1991 außerdem fast 20 Millionen
Streubomben auf den Irak und Kuweit abgeworfen. Im Jahr 2003 haben die Vereinigten Staaten und
das Vereinigte Königreich zwischen 1,8 und 2 Millionen Streubomben eingesetzt.
Mindestens 1700 km² Land sind von Minen und explosiven Kriegsüberresten verunreinigt.
Mindestens 1,6 Millionen Menschen leben unter der Bedrohung durch diese Waffen.
Zwischen 2001 und 2011 wurden über 20.000 Menschen Opfer von Minen und explosiven
Kriegsüberresten.
2011 waren 85% der registrierten Opfer Zivilisten und 40% davon waren Kinder15.
Das Vorhandensein von Minen, Streubomben und explosiven Kriegsüberresten hatte unmittelbare
Folgen für die Entwicklung des Landes. 80% der betroffenen Gebiete im Süden Iraks bestehen aus
landwirtschaftlicher Nutzfläche, die häufig der ärmsten Bevölkerung des Landes gehört. Diese hat oft
keine andere Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen16, und setzt um zu Überleben ihr
Leben aufs Spiel, indem sie diese Gebiete betritt. Der Irak hat 2007 die Ottawa-Konvention zum
Verbot von Minen und 2009 die Oslo-Konvention über Streubomben unterzeichnet.
13
Die Bezeichnung „explosive Kriegsüberreste“ bezieht sich auf verschiedene Arten nichtexplodierter Elemente wie zum
Beispiel Granaten, Raketen oder Streubomben, die nach Ende eines bewaffneten Konflikts aktiv und gefährlich bleiben können. Die Zivilbevölkerung ist das Hauptopfer dieser Art von Waffen. 14
UNICEF Besprechungsnotiz im Irak, Januar 2011 15
Quelle: Landmine Monitor 2012 16 GICHD, Iraq mine action strategy 2010-2012,
Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013
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Ein unschuldiges Opfer von Streubomben
Wahid war 12 als er seinen Unfall hatte. Am 29. Juni 2003 lief Wahid
zusammen mit seinem Bruder durch seine Wohngegend Kerbala im
Südwesten Bagdads als ein ungewöhnliches Metallteil sein Interesse
weckte.
Wahid hob es auf und es explodierte. Das Gebiet war mit Streubomben
bombardiert worden. Wahid hatte viele schwere Verletzungen. Seine
rechte Hand wurde abgerissen und drei Finger seiner linken Hand
mussten amputiert werden. Sein Körper war von Granatsplittern
übersät, auch sein Oberkörper, sein Schädel, seine Knöchel und sein
Knie. Er hatte vier Operationen und wird sein Leben lang an den Folgen
seines Unfalls leiden. Seine Eltern mussten den Großteil ihres Besitzes
verkaufen, um seine Arztkosten bezahlen zu können.17
Wenn Minen zum Kinderspielzeug werden
Das kleine Dorf Sharkan in der Region Chorman im Norden von Mosul
befindet sich in einem Tal, das von Hügeln und schneebedeckten
Bergen begrenzt wird. Schüchtern und Augenkontakt vermeidend
bringt Rabin Ibrahim Tee und beginnt, seine Geschichte zu erzählen:
„Ich erinnere mich kaum, denn ich wurde ohnmächtig als die Mine
explodierte. Erst später erfuhr ich, dass mein älterer Bruder und mein
Cousin tot waren. Anfangs, als wir sie unter einem Stein fanden,
wollten wir nur damit spielen, vor allem mit den Bleikugeln darin. Also
versuchte mein Bruder, sie mit einem Metallstab zu öffnen und danach
kann ich mich an nichts mehr erinnern. Das ist gerade zehn Jahre her,
es war in der Nähe des Hauses, in einem Feld mit hohen Gräsern, wo ich mit einem Bruder immer
gespielt habe.“
Rabin zieht sein Hosenbein hoch und zeigt die Narben, die seine Beine bedecken – die
unauslöschlichen Zeichen eines Kinderspiels, das in diesem Teil der Welt bei Weitem nicht selten ist.
Nasrin, Rabin Ibrahims Mutter spricht mit lauter und selbstbewusster Stimme. So wie Saddam
Husseins Armee ihr ihren Mann bei einer örtlichen Revolte weggenommen hat, nahm sie auch ihrem
Sohn und ihrem Neffen zehn Jahre später das Leben. Nasrin will nicht zulassen, dass die Geschichte
sich wiederholt. Sie erklärt, warum sie die Arbeit von Handicap International Arbeit unterstützt.
„Nach dem Tod meines ältesten Sohnes war ich entschlossen, eine weitere Tragödie zu verhindern,
also helfe ich dabei, Kleinbauern und Kinder mit Informationen über Minen zu versorgen. Wir
erklären ihnen die Gefahren und zeigen ihnen, wie das Warnsystem funktioniert.“ Sie besucht
Häuser, Moscheen und Schulen im umliegenden Gebiet um all diejenigen zu sensibilisieren, die
täglich Minen ausgesetzt sind.18
17 Das Interview führte Sylvain Ogier, 2007 18 Das Interview führte Xavier Bourgois, 2011
Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013
15
© Alexandre Carle / Handicap International
Seit über 20 Jahre engagiert sich Handicap International im Irak
Im Jahr 1991 setzte sich die Organisation erstmals im Irak für die Opfer des Golfkrieges ein.
Seit April 2013 versucht Handicap International neben der Aufklärung über die Risiken von
Minen und explosiven Kriegsresten auch das Bewusstsein für die Gefahren von
unsachgemäßem Gebrauch von Kleinwaffen zu steigern. Über unser Engagement im Feld
hinaus, hoffen wir auf eine Regulierung des Handels mit Kleinwaffen durch die politischen
Entscheidungsträger. Die Organisation unterstützt auch weiter hin das orthopädische Zentrum
KORD, das während des ersten Einsatzes im Irak gegründet wurde.
Räumung und Aufklärung über die Risiken von Minen und explosive Kriegsresten
Nach dem Sturz Saddam Husseins
2003 startete Handicap International
umgehend eine Reihe von Projekten,
um die tägliche Bedrohung der
Bevölkerung durch Minen und
explosive Überreste zu reduzieren.
Die Projekte umfassten die Räumung
der Gebiete, Aufklärungsarbeit sowie
orthopädische Hilfe für die Opfer. Ein
Team von zehn
RäumungsexpertInnen arbeitet
derzeit in den Vororten Bagdads.
Dazu gehört auch das Training für
irakische Räumungsexperten, die
nun in diesem Bereich tätig sind und
deren Einsatz wohl für die
kommenden Jahrzehnte benötigt
werden wird.
Handicap International führt darüber
hinaus eine Kampagne zur Bewusstseinsbildung durch. Dabei wurden zunächst 50.000 Poster in
Krankenhäusern, Moscheen und an Mauern in Bagdad plakatiert sowie 200.000 Aufklärungsflyer
verteilt. Außerdem wurden Informationstreffen mit Imamen und Ärzten organisiert, die als
Multiplikatoren das Wissen über Prävention an die restliche Bevölkerung weitergeben.
Um der extreme instabilen Sicherheitslage im Irak zu begegnen, ist Handicap International heute
bestrebt, weiterhin durch irakische Partner in den Anti-Minen-Aktionszentren das öffentliche
Bewusstsein für die Risiken zu verbessern. Im Jahre 2012 wurden MitarbeiterInnen in 35 solcher
Zentren im Norden und Süden des Landes geschult, um Risikoaufklärung über die explosiven
Kriegsreste anzubieten. Diese konnten dann 8.500 IrakerInnen mit ihrer Kampagne zur
Bewusstseinsbildung erreichen, davon waren die Hälfte Kinder. Zu ihrer Unterstützung produziert
Handicap International Material wie Handbücher, Informationstafeln und Flyer.
Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013
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Eine Kampagne zur Verminderung der Risiken von Kleinwaffen
Handicap International ist auch besorgt über die Risiken, die von Kleinwaffen ausgehen. Die
Organisation betreibt bereits eine Präventionskampagne in Libyen und beabsichtigt Projekte
durchzuführen, um die von Kleinwaffen ausgehende Gefahren einzudämmen. Zunächst wird
Handicap International die gefährlichsten Gegenden im Irak identifizieren, um eine
Aufklärungskampagne angepasst an die Bedürfnisse der Bevölkerung zu erstellen.
Diese Informationen sind entscheidend, um die Anzahl der Unfälle mit Kleinwaffen zu reduzieren, die
bereits für 140.000 verletzte oder getötete Zivilisten seit 2003, das entspricht ca. 40 Zivilisten pro Tag
über die letzten zehn Jahre, verantwortlich sind,.
Orthopädische Hilfsmittel in irakisch Kurdistan
1991 startete Handicap International erste Projekte in irakisch Kurdistan, um den Opfern des
Golfkrieges sowie Opfern von Minen und anderen explosiven Kriegsresten zu helfen. Diese ersten
Projekte umfassten Angebote zur Anpassung orthopädischer Hilfsmittel und
Rehabilitationsmaßnahmen wie das orthopädische Zentrum (KORD19
) in Soulaymaniah.
Im Jahre 2003 wurde dieses Engagement durch zwei Rehabilitationszentren und drei mobile
Einheiten, die in abgelegenen Gegenden und gelegentlich auch in Kriegsgebieten operierten,
umgesetzt. Daneben stellte Handicap International dem Institute of Medical Technology in Bagdad,
das währen des Konfliktes geplündert worden war, Physiotherapie-Ausrüstung und Prothesen zur
Verfügung. Dies ermöglichte es dem Institut, seine Arbeit im Bereich der Anpassung von
orthopädischen Hilfsmitteln fortzusetzen und bisher 300 Menschen nach einer Amputation zu
behandeln.
In den Jahren 2008 und 2009 unterstützte Handicap International Ärzte ohne Grenzen im Bereich
wiederherstellende Chirurgie für Menschen, die während des Krieges verletzt worden waren.
Handicap International unterstützt auch weiterhin KORD mit praktischem Training und technischer
Hilfe für irakische Fachkräfte der Physiotherapie und Orthopädietechnik.
19 Kurdistan Organization for Rehabilitation of the Disabled
Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013
17
Berichte von Betroffenen
Muhammad Ali : Die Mine, durch die er sein Bein verloren hat, kostet nicht mehr als 5 Dollar
Muhammad Ali sagt, dass er Glück hatte, er „verlor nur ein Bein,
andere kriechen auf allen Vieren wie Kinder“. Muhammad Ali
versuchte gerade sein eigenes Feld zu entminen, als er 1992 auf
eine Valmara, eine italienische Antipersonenmine, trat, die sein
Bein abriss. Die Valmara ist eine Mine mit ausgefallener Form, sie
hat kleine Zacken die oft die Aufmerksamkeit von Kindern auf sich
ziehen. Die Mine explodiert in einer tödlichen Höhe von 45cm und
in einem Radius von 20m. Muhammed sagt, er hatte Glück, da er
weiß, was ihm passieren hätte können. Er ist jetzt 60 Jahre alt und
besucht KORD seit 20 Jahren, um seine Prothese zu tauschen
oder anzupassen, Die Mine, durch die er sein Bein verloren hat,
kostete nicht mehr als 5 Dollar in der Produktion, aber wie alle
explosiven Kriegsreste hat sie das Leben von tausenden
Menschen zerstört.
Interview Xavier Bourgois, 2011.
© X.Bourgois/Handicap International
Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013
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Haiti, 2010, Flüchtlingslager in Port-au-Prince.
© W. Daniels / Handicap International
HAITI: Gewalt von bewaffneten Gruppen breitet sich aus
Haiti ist eines der ärmsten Länder der Welt (Rang
158 im Human Development Index) und geprägt von
chronischen Krisen wie Klimakatastrophen und
Erdbeben. In der Hauptstadt Port-au-Prince ist die
Not immens: Arbeitslosigkeit, von der besonders
Jugendliche betroffen sind, die Inflation der Preise
für grundlegende Nahrungsmittel, die instabile
Sicherheitslage, der schwierige Zugang zu Wasser
seit dem Ende der Verteilungen von Hilfsgütern und
der beschränkte Zugang zu Bildung sind so viele
Faktoren, die ein Umfeld von Unsicherheit bedingen.
Die politischen Krisen häufen sich seit mehr als 50
Jahren und begünstigen so den Anstieg der Gewalt
und vor allem von bewaffneten Banden, die in dem
Land ihr Unwesen treiben.
Etwa 200.000 Leichtwaffen zirkulieren in den
Händen von Zivilisten – und das in einem Land, das
nur ca. 10 Millionen Einwohner zählt. Noch
erschreckender wirkt die Zahl, wenn man bedenkt,
dass laut Schätzungen nur 11 % der Waffen aktuell
bei den Behörden registriert sind. Handicap
International recherchierte in einem der größten
Viertel von Port-au-Prince, Bel-Air, in dem 135.000
Menschen leben. Die Mordrate in diesem Viertel ist eine der höchsten der Welt: im Jahr 2010
erreichte sie 49 von 100.000 Einwohnern; im Vergleich zu 16 von 100.000 Einwohnern im Jahr 2009.
Zum Vergleich: Das Sekretariat der Genfer Erklärung über Bewaffnete Gewalt und Entwicklung
spricht von einer niedrigen Rate bei unter 7,24 von 100.000 Einwohnern, einer erhöhten Rate bei
mehr als 7,24 pro 100.000 Einwohnern und einer sehr hohen Rate bei mehr als 18 pro 100.000
Einwohnern.
Die Teams von Handicap International vor Ort in Haiti arbeiten tagtäglich mit den Opfern von
Leichtwaffen. Da wir bereits seit 2008 in Haiti aktiv sind, konnten wir nach dem Erdbeben vom
Januar 2010 wichtige Unterstützung bei der Versorgung der Erdbebenopfer leisten. Auch heute, drei
Jahre später, sind wir im Bereich der Rehabilitation und der Ausbildung von lokalem
Rehabilitationspersonal im Einsatz, weiterhin in Projekten zur wirtschaftlichen Integration von
schutzbedürftigen Menschen und bei der Einrichtung von schnellen Reaktionsmechanismen in
Notfällen.
Unter den Begünstigten durch diese Projekte sind viele Opfer von bewaffneter Gewalt, von denen die
Mehrheit durch verirrte Kugeln in Auseinandersetzungen zwischen Banden verletzt wurde oder
während Kämpfen zwischen Banden und der Polizei.
Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013
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Berichte von Betroffenen
Querschnittsgelähmt durch den Schuss einer Feuerwaffe
Mireille ist 38 Jahre alt. Sie lebt in Port-au-Prince mit
ihren Söhnen Franztoo (13 Jahre) und Danilo (12 Jahre).
Seit dem Tod ihres Mannes vor zehn Jahren ist sie
Witwe.
2008 brechen eines Nachts fünf maskierte und mit
Säbeln und Revolvern bewaffnete Männer in ihr Haus
ein. Sie versuchen, Mireille zu vergewaltigen, doch sie
wehrt sich. Daraufhin eröffnen sie das Feuer auf sie und
schießen ihr zwei Kugeln in den Rücken. Über drei
Stunden lang bleibt sie ohne Bewusstsein auf dem
Boden liegen. Ihr Sohn Danilo denkt, seine Mutter sei tot
und fleht sie an, zurückzukommen. Nachdem sie ins
Krankenhaus von Port-au-Prince gebracht wurde, erfährt
sie, dass sie für immer querschnittsgelähmt bleiben wird.
Sie liegt ein Jahr lang im Krankenhaus, bevor sie von
Handicap International entdeckt und durch
Rehabilitationseinheiten und psychologische
Unterstützung versorgt wird. „Die Gespräche mit der
Psychologin waren für mich sehr wichtig. Ich habe
gelernt, wieder zu lachen. Sie hat mich überzeugt, dass
ich fähig bin zu leben, zu arbeiten, mich um mich selbst und meine Familie zu kümmern. Ich habe
mich viel mit anderen behinderten Menschen ausgetauscht und das hat mir sehr geholfen.“
Handicap International kümmert sich ebenfalls darum, dass Mireilles Zuhause barrierefrei gemacht
wird, vor allem durch das Anbringen einer Rampe für die Küche und neue Sanitäranlagen. Darüber
hinaus wurde das Haus ringsum mit Gitterzäunen versehen, sodass sich die Familie sicherer fühlt.
Mireille befand sich als gelähmte und alleinerziehende Mutter zweier Kinder in einer ökonomischen
sehr schwierigen Lage. Deswegen hat Handicap International auch ihr berufliches Vorhaben
unterstützt, indem ihr die nötigen Gegenstände für die Eröffnung eines Lebensmittelladens
bereitgestellt wurden und das Geschäft angepasst und barrierefrei gestaltet wurde. Die Teams der
Organisation haben ihr Ratschläge und Unterstützung gegeben, um ihr Geschäft zum Laufen zu
bringen. Heute ermöglicht ihr dieser Laden, dass sie ihre Kinder ernähren und zur Schule schicken
kann. Mireille ist immer noch auf finanzielle Unterstützung ihrer Familie angewiesen, doch ihr Leben
nimmt Schritt für Schritt seinen Lauf. Franztoo, ihr älterer Sohn, möchte später Polizist werden und die
Angreifer seiner Mutter finden, die nach dem Einbruch nie gefasst wurden. Mireille versucht, ihn zu
beruhigen. Sie erklärt ihm, dass dies zu nichts führen würde: „Man kann nur für sie beten und hoffen,
dass sie verstehen, was sie getan haben, und dass sie es nie wieder tun werden.“
Mireille ist leider kein Einzelfall in Haiti. 91 % der Opfer von bewaffneter Gewalt, die von Handicap
International befragt wurden, leben heute mit einer schweren Behinderung.
Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013
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Eine politische Kampagne gegen bewaffnete Gewalt
Handicap International ist vor Ort tätig, um die bewaffnete Gewalt einzudämmen, agiert aber auch auf
internationaler Ebene.
Internationale Verträge für das Verbot von Landminen und Streumunition
Seit 30 Jahren ist das Engagement gegen die Folgen von bewaffneter Gewalt das wichtigste Ziel von
Handicap International. Der Kampf gegen Ungerechtigkeit und die inakzeptablen Auswirkungen, die
Waffen auf die Zivilbevölkerung haben, ist einer der Schwerpunkte der Aktionen von Handicap
International. Die Organisation gehört zu den sechs Gründern der International Campaign to Ban
Landmines20
(ICBL), deren Einsatz im Jahr 1997 zur Unterzeichnung der Ottawa-Konvention führte.
Dafür erhielt Handicap International 1997 gemeinsam mit den anderen Mitgliedsorganisationen von
ICBL den Friedensnobelpreis.
Seit 2003 engagiert sich Handicap International auch im Kampf gegen Streumunition als eine der
Gründungsmitglieder der Cluster Munition Coalition (CMC) – die maßgeblich an der Ausarbeitung der
Konvention gegen Streubomben 2008 in Oslo beteiligt war. Nach wie vor gehört es zur täglichen
Arbeit der Organisation, darauf zu achten, dass sich die Regierungen an die Übereinkünfte dieser
beiden Verträge, besonders hinsichtlich der Opferhilfe, halten. Die Teams von Handicap International
engagieren sich auch dafür, die Nicht-Mitgliedstaaten, wie beispielsweise die USA, China, Russland
oder Israel, zu drängen, endlich die Verträge zu unterzeichnen. Aus der Erfahrung in den Projekten
und der Notwendigkeit heraus, Leben zu retten, wurde die Prävention von Unfällen durch
Leichtwaffen, die in Ländern wie Libyen oder Mali eine ernsthafte Gefahr darstellen, zu einem neuen
Schwerpunkt der Arbeit von Handicap International.
Der Kampf gegen illegalen Waffenhandel
Bei der UN-Generalversammlung am 2. April 2013 wurde ein Waffenhandelsvertrag (ATT21
)
beschlossen, der ab 3. Juni zur Unterschrift offen ist. „Ziel des Vertrages ist es, den konventionellen
Waffenhandel zu regulieren (biologische, chemische und atomare Waffen ausgenommen), um
unverantwortliche Transaktionen zu verhindern (beispielsweise mit Regierungen mit einer schlechten
Menschenrechtsbilanz) und um illegalem Handel vorzubeugen und diesen zu unterbinden“, erklärt
Marion Libertucci, Lobby-Managerin von Handicap International. Dieser Vertrag wurde von
zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen gefordert, die von vielen Staaten besonders in
Europa und Afrika unterstützt werden.
Handicap International hofft, dass der ATT, wenn er in Kraft treten wird, einen positiven Einfluss auf
die Eindämmung der bewaffneten Gewalt in den betroffenen Ländern hat. Es ist das erste
Kontrollinstrument für den internationalen Waffenhandel überhaupt. Handicap International ist oft
unmittelbar Zeuge von den Schäden, die durch unverantwortlichen Waffenhandel für die
Zivilbevölkerung entstehen.
20 Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen 21 Arms Trade Treaty
Handicap International – Pressemappe: Bewaffnete Gewalt – 2013
21
Kongo - Buramba. Francine, Opfer eines bewaffneten Überfalls ©
Martina Bacigalupo - Vu' / Handicap International
Im März 2007 waren die damals
vierjährige Francine und ihre
beiden älteren Schwestern alleine
zu Hause, als bewaffnete Männer
ihr Dorf, Buramba, stürmten.
Francines Schwestern wurden
erschossen. Francine wurde
verletzt.
„Der Rest der Familie und ich
haben Angst, ins Dorf
zurückzukehren", sagt ihr Vater,
der bei ihr im Zentrum für
Menschen mit Behinderung Shirika
la Umoja in Goma geblieben ist.
Vor Kurzem wurde Francine von
Handicap International in das
Zentrum gebracht, weil sie
Schwierigkeiten beim Gehen hatte.
Während des Überfalls wurde sie
ins Knie geschlagen und ihr Bein
ist daraufhin schief
zusammengewachsen. Handicap
International war in der Lage, das
Problem mittels eines
Gipsverbandes und Physiotherapie
zu korrigieren. Francine erhielt eine
orthopädische Schiene, die ihr Bein
langfristig korrigiert und es ihr
erlaubt, wieder normal gehen zu
können.
Internationale Zusammenarbeit zur Verbesserung
der Vorgehensweise
Handicap International war daran beteiligt, ein Bündnis von
Organisationen gegen bewaffnete Gewalt (The Global
Alliance on Armed Violence22
) zu schaffen. Es zielt darauf ab,
den Austausch von bewährten Vorgehensweisen unter den
Organisationen23
, die vor Ort mit Projekten zur Prävention und
Eindämmung von bewaffneter Gewalt tätig sind, zu erleichtern
und den Dialog mit anderen Mitwirkenden im Kampf gegen
bewaffnete Gewalt zu fördern. Felddaten, Veröffentlichungen
von jeder Organisation und Ratschläge zur erfolgreichen
Durchführung eines Projekts werden für die Organisationen im
Bündnis, die nicht immer die Mittel haben, ihre eigenen
Ressourcen zu schaffen, zugänglich gemacht.
Sogenannte explosive Waffen - eine weitere Seite
der bewaffneten Gewalt
Handicap International ist auch ein Gründungsmitglied eines
Zusammenschlusses von Nicht-Regierungs-Organisationen,
der sich dafür einsetzt, dass explosive Waffen in bewohnten
Gebieten nicht verwendet werden dürfen (International
Network on Armed Violence - Internationales Netzwerk gegen
bewaffnete Gewalt, AOAV)24
. Laut AOAV gab es 2012
aufgrund von explosiven Waffen mindestens 25.000 Opfer
weltweit25
. Die Bombardements sowohl auf syrische Städte
als auch auf den Gazastreifen in den letzten Monaten zeigten
wieder deutlich, dass die Zivilbevölkerung in solchen Fällen
die ersten Opfer sind - schätzungsweise 80 bis 90% der Opfer
von explosiven Waffen sind zivile Opfer26
– und die Folgen für
die lebensnotwendige zivile Infrastruktur (wie beispielsweise
Krankenhäuser, sauberes Wasser oder Sanitäranlagen) sind
oft sehr schwerwiegend. Deshalb fordert Handicap
International alle Staaten dazu auf, anzuerkennen, dass die
Verwendung von explosiven Waffen in dicht besiedelten
Gebieten inakzeptable Schäden für die Bevölkerung vor Ort
hervorruft, und solchen Aktionen ein Ende zu bereiten.
22 Globale Allianz gegen bewaffnete Gewalt 23 Non-Governmental Organisations - Nichtregierungsorganisation 24 Explosive Waffen beinhalten Blindgänger wie beispielsweise Minenwerfer, Raketen, Granaten oder Fliegerbomben, aber auch improvisierte explosive Geräte. 25 Action on Armed Violence - Aktion gegen bewaffnete Gewalt (AOAV) Explosive Violence Monitoring Project - Projekt zur Überwachung
von explosiver Gewalt (EVMP): www.aoav.org.uk 26 Action on Armed Violence - Aktion gegen bewaffnete Gewalt (AOAV) Explosive Violence Monitoring Project - Projekt zur Überwachung
von explosiver Gewalt (EVMP): www.aoav.org.uk