Mehr sehen im Kiefergelenk3-D-Diagnostik bei craniomandibulärer Dysfunktion
Ein Be i t rag von Dr. Jean-Marc Pho Duc, München
Craniomandibuläre Dysfunktionen (CMD) um- fassen eine sehr große Bandbreite an Erkrankun-gen im Kausystem. Im Rahmen der dreidimen-sionalen Diagnose bei CMD-Erkrankungen ist es einerseits möglich, die Bewegungsbahnen des Unterkiefers instrumentell zu untersuchen. Andererseits ist die Magnetresonanztomografie (MRT) im Vergleich der bildgebenden Verfahren die geeignetste Untersuchungsmethode, um alle wichtigen Strukturen der Kiefergelenke darzu-stellen [3,11,12].
Die Magnetresonanztomografie stellt in den ver-
fügbaren Leseprogrammen Schichtbilder in allen
drei Raumebenen zur Verfügung, ohne jedoch eine
dreidimensionale Rekonstruktion zu ermöglichen,
wie sie etwa bei der Computertomografie (CT) oder
der digitalen Volumentomografie (DVT) bekannt ist
(Abb. 1). Da sowohl das CT als auch das DVT keine
befriedigende Darstellung von Weichgewebe ermög-
lichen (Abb. 2), sind diese im Rahmen der CMD-Dia-
gnostik ausschließlich für spezifische Fragestellun-
gen im Hinblick auf knöcherne Veränderungen ge-
eignet [6]. Im Gegensatz zum MRT wird der Patient
in beiden Fällen einer nicht unerheblichen Belas-
tung an ionisierender Strahlung ausgesetzt. Sowohl
die instrumentelle Funktionsanalyse mit der Axio-
grafie als auch die Anordnung einer MRT-Aufnahme
setzen eine ausführliche klinische Funktionsanalyse
des Kausystems voraus. In vielen einfachen Fällen
reicht diese im Zusammenhang mit der Anamnese
aus, um eine entsprechende Therapie einzuleiten.
Wenn jedoch arthrogene Schmerzen und Funktions-
einschränkungen im Vordergrund stehen, liefert die
MRT-Untersuchung der Kiefergelenke oft wertvolle
Informationen [4]. Gleichzeitig dokumentiert sie
den Ist-Zustand der Gelenke im Hinblick auf ihre
Morphologie und stellt, wenn eine prothetische Ver-
sorgung nach Abschluss einer CMD-Therapie erfor-
derlich ist, aus formaljuristischen Grün den einen
wichtigen Dokumentationsschritt dar.
Der instrumentellen Untersuchung der Bewe-
gungsbahnen kommt im Vergleich zum MRT nur
eine untergeordnete Bedeutung in der Diagnostik
der Kiefer gelenks erkrankungen zu. Hier stellt die
MRT-Aufnahme von der Aussagekraft und Reliabili-
tät her nach wie vor den Goldstandard dar. Jedoch
liefert die instrumentelle Untersuchung besonders
im Hinblick auf therapeutische Maßnahmen zur
Einstellung der Okklusion mit Aufbissbehelfen oder
im Hinblick auf anstehende prothetische Maßnah-
men nach Schienentherapie und in Kombination
mit der Auswertung von MRT-Aufnahmen viele
zusätzliche Möglichkeiten [9]. Sie kann auch die
Diagnose einer rein muskulär bedingten Einschrän-
kung der Funktion stützen und so eine MRT-Auf-
nahme überflüssig machen.
MRT zeigt Kiefergelenk dreidimensional Das MRT stellt uns ein vollständiges Bild der Kiefer-
gelenke in allen drei Raumebenen zur Verfügung.
Die wichtigsten Aufnahmen stellen die mund-
geschlossene in habitueller Okklusion und die ge-
öffnete Aufnahme dar. Bei der mundgeschlossenen
Aufnahme ist es außerordentlich wichtig, dass der
Patient währenddessen seine habituelle maximale
Interkuspidationsstellung einnimmt, da diese Posi-
tion zum einen die Vermessung des funktionellen
Gelenkspielraums und zum anderen seinen Ver-
gleich mit Normwerten ermöglicht. Weiterhin er-
folgt aus dieser Position heraus die Einstufung von
Diskusverlagerungen [8]. Und schließlich kann nur
über diese Position, die der Patient auch bei einer
elektronischen Axiografie mit hoher Genauigkeit
reproduzieren kann, die Referenzposition zwischen
MRT und Axiografie gebildet werden.
Die geöffnete Aufnahme sollte in der maximalen
schmerzfreien Schneidekantendistanz (SKD) erfol-
gen, die der Patient auch über die Dauer der Auf-
nahme gut aushalten kann. Zur Stabilisierung die-
ser Aufnahme sollte dem Patienten ein individuell
angefertigter Bissschlüssel zum Beispiel aus Silikon
mitgegeben werden und die dabei gemessene SKD
als Referenz notiert werden. Bei Patienten, die ein
reziprokes Kiefergelenksknacken aufweisen, kann
auch die geöffnete Position vor dem Knackgeräusch
von Interesse sein. Diese Aufnahmeposition zeigt,
wie stark der posteriore Bandapparat bereits geschä-
digt ist. Zudem kann es ein Hinweis sein, ob eine
eventuelle Repositionierung des Diskus überhaupt
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möglich ist. Je weiter der posteriore Bandapparat in
dieser Position gestreckt wird, desto geringer sind
die Erfolgsaussichten einer auf Dauer rezidivfreien
Reposition des Diskus (Abb. 3 und 4). Gerade die kol-
lagenen unteren Bänder der bilaminären Zone sind
in diesem Fall zu sehr geschädigt. Die Daten werden
in der Regel auf einer CD einschließlich eines geeigne-
ten Programms, zum Beispiel einem Dicom-Viewer,
zur Verfügung gestellt. Es hat sich bewährt, jede
Schicht einzeln zu analysieren. Die übliche Schicht-
dicke bewegt sich zwischen 1 und 2 mm. Bei Schich-
ten unter 1 mm verschlechtert sich die Bildqualität.
Bewertung der AufnahmenEine erste Beurteilung der Aufnahmen erfolgt stets
durch den Radiologen. Hier werden allgemeine
morphologische Veränderungen, Entzündungsge-
schehen, degenerative Prozesse und Diskusdisloka-
tionen bewertet. Erste Anzeichen einer Verlagerung
der Gelenkzwischenscheibe zeigen sich häufig in
den lateralen Schichten außen am Gelenkkopf
(Abb. 5). Hier sind die ein wirkenden Belastungen
auf das Gelenk am höchs ten. Die mittleren und
inneren Schichten können dabei völlig unauffällig
sein (Abb. 6). Bereits in diesem Zustand können Pa-
tienten funktionelle Beschwerden bekommen und
ein leichtes reziprokes Knackgeräusch kann auf-
treten. Das Schließknacken ist dabei häufig nicht
wahrnehmbar. Viele Patienten berichten in diesem
Zustand über leichtes Kieferklemmen am Morgen
nach dem Aufstehen, das sie in der Regel durch
Ausweichbewegungen selbst beheben können.
Bei einer stärkeren Schädigung des posterioren
Bandapparats kommt es zu einer vollständigen an-
terioren Verlagerung der Gelenkzwischenscheibe in
der mundgeschlossenen Position (Abb. 7). Bei vie-
len Patienten zeigt die Überprüfung der koronalen
Schichten, dass die Gelenkzwischenscheibe nach
anteromedial disloziert wird (Abb. 8). Es sind aber
auch anterolaterale und rein anteriore Verlage-
rungen möglich. Häufig ist dabei eine Verengung
des kranialen und dorsalen Gelenkspalts sichtbar
(Abb. 9). In der geöffneten Aufnahme zeigt sich
dann wieder das Bild einer vollständigen Reposition,
das heißt, bis auf eventuell vorhandene degenera-
tive Veränderungen zeigt sich kein Unterschied in
der Lagebeziehung von Kondylus und Diskus im
Vergleich zu einem gesunden Gelenk (Abb. 10).
Abb. 1: 3-D-Rekonstruktion des Kiefergelenks
Abb. 2: CT-Aufnahme des Kiefer gelenks
Abb. 3: Anteriore Diskus-dislokation mit Reposition (ADDmR) mundgeschlossen. Die Gelenkscheibe befindet sich vor dem Kondylus.
Abb. 4: ADDmR unmittelbar vor der Reposition
Abb. 5: Partielle ADDmR laterale Ansicht. Die Verlage-rung des Diskus ist sichtbar.
Abb. 6: Partielle ADDmR mediale Ansicht. Die Verla-gerung ist in dieser Schicht nicht erkennbar.
Abb. 7: ADDmR mundge-schlossen. Die Gelenkscheibe liegt mit dem Hinterrand am Kondylus an.
Abb. 8: ADDmR. Die koro-nale Ansicht zeigt, dass der Diskus auch nach medial abgeglitten ist.
Abb. 9: ADDmR, dorsale Verengung des Gelenkspalts
Abb. 10: ADDmR, Zustand nach Öffnung und Reposi-tion des Diskus
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Die Erkrankung kann in jedem Stadium stagnie-
ren und Patienten, die bis auf die Knackgeräusche
keinerlei Beschwerden haben und bei denen keine
Tendenz zu Kieferklemmen erkennbar ist, benöti-
gen keine Therapie. Es kann jedoch die Progredienz
hemmen, bei diesen Patienten eine Aufbissschiene
mit guter gleichmäßiger Abstützung analog zu ei-
ner Michigan-Schiene einzugliedern [7]. Wichtig ist
es, in diesem Zusammenhang eine forcierte Position
nach dorsal unbedingt zu vermeiden, entsprechend
der Definition für die zentrische Position nach der
„cranioventralsten Position unter physiologischer
Belastung der beteiligten Gewebe“. In den Empfeh-
lungen der Deutschen Ge sell schaft für Funktions-
diagnostik und -therapie (DGFDT) werden entspre-
chende Hinweise zur CMD-Therapie gegeben.
Degenerative Veränderungen im KiefergelenkEin erheblicher Anteil der Patienten, die die Sprech-
stunde für CMD aufsuchen, klagt über akute Be-
schwerden und Schmerzen. Das visuelle Korrelat
zeigt sich meist deutlich im MRT in Form von dege-
nerativen Veränderungen im Kiefergelenk. Sobald
sich die vorverlagerte Gelenkzwischenscheibe bei
der Translation des Kondylus nicht mehr zwischen
Gelenkköpfchen und Eminentia articularis reponie-
ren kann, tritt im Anfangsstadium eine Kieferklem-
me auf. Die Mundöffnung ist eingeschränkt und
weicht zur betroffenen Seite ab. In diesen Fällen
wird der posteriore Bandapparat beim Versuch,
den Widerstand zu überwinden, massiv überdehnt
und es kann ein Gelenkerguss auftreten.
Dieser äußert sich in einer Kiefersperre, das heißt,
der Patient kann nicht mehr ganz in seine habitu-
elle Okklusion schließen (Abb. 11). Erst nach eini-
gen Tagen lässt bei entsprechender Schonung und
gegebenenfalls Unterstützung durch Entzündungs-
hemmer der Schmerz beim Mundschluss nach und
die Okklusion nähert sich wieder der maximalen
Interkuspidation an. Eine T2-Wichtung ist dabei
zur Darstellung eines Gelenkergusses besonders ge-
eignet und sollte gegebenenfalls mit dem Radiolo-
gen abgesprochen werden (Abb. 12). Chronisch an-
haltende Beschwerden und Schmerzen im Bereich
der Kiefergelenke, wie sie häufig bei Patienten mit
einer länger bestehenden anterioren Diskusdislo-
kation ohne Reposition anzutreffen sind, führen zu
einem destruktiven Umbau der Gelenkstrukturen,
Abb. 11: Gelenk bei Patient mit Kiefersperre, T1-Wich-tung
Abb. 12: Gelenk bei Patient mit Kiefersperre, T2- Wichtung, Entzündungen werden hervorgehoben
Abb. 13: Anteriore Diskusdislokation ohne Reposition (ADDoR), Gelenk mit degenerativer Abflachung am Kondylus und an der Temporalfläche im Sinne einer „Schleifarthrose“
Abb. 14: Kondylus mund- geschlossen mit subchon- draler Zyste
Abb. 15: Kondylus mund-geöffnet mit subchondraler Zyste. Der Diskus wird vor dem Kondylus zusammen-gefaltet.
Abb. 16: Oberer Kondylus-anteil resorbiert, starke Verengung des dorsalen Gelenkspalts
Abb. 17: Arthritis und Arthrose von Kondylus und Tuberculum articulare
Abb. 18: Zerklüftete Oberfläche bei aktiver Arthrose. Sie kann aufgrund von Gleithindernissen und Knackgeräuschen sowohl klinisch als auch bei der Axiografie als Verlagerung mit Reposition falsch interpretiert werden.
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die besonders deutlich im Bereich der Kondylen
sichtbar werden. Wenn auch die Temporalfläche
betroffen ist, entwickelt sich das Bild einer soge-
nannten Schleifarthrose (Abb. 13).
In der Ausprägung der degenerativen Verände-
rungen zeigen sich osteophytäre Anlagerungen in
Form von Randzackenbildung am Vorderrand des
Kondylus, Auflösung einer durchgehenden Korti-
kalisstruktur, subchondrale Zysten, die auf aktive
entzündliche Umbauvorgänge hindeuten, bis hin
zur massiven Reduktion und Degeneration der
Kondylen (Abb. 14 bis 18).
Im Hinblick auf die Klassifizierung der Erkrankung
stellen die von Dworkin und LeResche publizierten
Research Diagnostic Criteria die international be-
kannteste Einteilung der Erkrankungsbilder einer
CMD dar [1,10].
Scharnierachsenbewegungen und ihre BedeutungDie Untersuchung der Bewegungen der Scharnier-
achse in allen Raumebenen kann zusätzliche Infor-
mationen liefern und die Einstellung bestimmter
Positionen erleichtern (Abb. 19a und b). Heutzutage
ist eine Vielzahl an Systemen verfügbar, die sich
insbesondere im Hinblick auf das angewendete
Verfahren unterscheiden. Es gibt Systeme, die mit
Widerstandsplatten elektromechanisch arbeiten,
Systeme, die auf Ultraschall basieren, und optische
Systeme. Den für die Diagnostik bestimmten elek-
tronischen Systemen ist gemein, dass die Schar-
nierachsposition schnell ermittelt werden kann.
Darauf sollte man allerdings nicht ohne eine Ge-
genprobe vertrauen. Da die Systeme auch bei einer
nicht perfekt ausgeführten initialen Öffnungsbewe-
gung und trotz einer translatorischen Komponente
eine Scharnierachse errechnen, ergeben sich sonst
zwangsläufig falsche Messergebnisse.
Diagnostische Aussagen aus den Bewegungsspuren der Scharnierachse Sofern das System es zulässt, sollten die Translations-
und Rotationsbewegungen quantifiziert werden.
Gerade die Unterscheidung der reinen Translations-
gegenüber der Rotationsbewegung liefert einen dia-
gnostischen Hinweis, ob die Bewegung mehr durch
einen Widerstand im Gelenk – in diesem Fall würde
diese die Rotation überwiegen – oder stärker durch
die Muskulatur behindert wird. Leider wird diese
Option von den meisten Systemen nicht angeboten.
Bei der Reposition des Diskus kommt es zunächst
zu einem Abbremsen der Bewegung des Kondylus,
da der vorgeschädigte Bandapparat gedehnt wird.
Wenn der Diskus durch den zunehmenden Zug zwi-
schen Kondylus und Temporalfläche gezogen wird,
kommt es zu einer plötzlichen Beschleunigung des
Kondylus. Das Abbremsen ist als Verdichtung der
Punktespur zu sehen. Die Beschleunigung impo-
niert als plötzlich verringerte Anzahl an Punkten
auf der Spur. Der Beginn der Beschleunigung des
Kondylus bei der Reposition des Diskus sowie das
plötzliche Abbremsen der Bewegung innerhalb der
Bewegungsbahn kann vermessen werden und zur
Einstellung einer Repositionierungsschiene dienen
(s. Abb. 19a und b).
Messungen zwischen habitueller Okklusion und zen-
trischer Kieferrelation geben Auskunft über eventu-
ell vorhandene Zwangsbissführungen und können
nachfolgend zur Einstellung einer neuen Bisslage
Abb. 19a:Axiografiespur bei anteriorer Diskus dislokation mit Reposition (ADDmR). Gut erkennbar ist die plötzliche Beschleunigung der Spur im ersten Drittel der Öffnungs bewegung.
Abb. 19b: Optoelektronisches Registrier verfahren zur berührungs losen Vermessung der Gelenkbahnen
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mit einer Aufbissschiene herangezogen werden
(Abb. 20 bis 23). Ein weiterer wesentlicher Bestand-
teil der elektronischen Registrierverfahren ist die
Artikulatorprogrammierung. Durch die Analyse
der Bewegungsbahnen in allen drei Raum ebenen
lassen sich alle teil- und volljustierbaren Artikulato-
ren individuell an die Patientensituation anpassen.
Der Zeitaufwand einer solchen Messung ist dabei
besonders bei den ultraschallbasierten und den
optischen Geräten gegenüber älteren Verfahren
wesentlich geringer geworden.
In diagnostischer Hinsicht sollten aus der Analyse
der Bewegungsbahnen folgende Messungen he-
rausgegriffen werden:
· Länge der Öffnungs- und Protrusionsbahn im
Seiten vergleich
· Bahn des schwingenden Kondylus im Seiten-
vergleich
· Quantifizierung der Rotationsbewegung (falls
möglich)
· Untersuchung der habituellen Schließbewegung
auf Abgleitbewegungen
· Vergleich der habituellen Position mit einer zen-
trischen Position bei möglichst entspanntem
Muskel tonus
· Analyse der ungeführten Bahnen auf Beschleuni-
gungs- und Abbremsphänomene
· Analyse der Öffnungs- und Schließbahn auf Kreu-
zungsphänomene
Deutliche Seitenunterschiede bei der Länge der Be-
wegungsbahnen weisen auf eine einseitige Störung
hin, mit der kürzeren Spur auf der erkrankten Seite.
Eine deutlich verringerte Translationsbewegung bei
der Öffnungsspur im Vergleich zur Protrusionsspur
ist ein Indiz für eine Einschränkung myogenen Ur-
sprungs. Eine sowohl bei der Öffnung als auch bei
der Protrusion verringerte Translationsbewegung
mit nahezu normalem Rotationswinkel deutet auf
eine Einschränkung arthrogenen Ursprungs hin.
Eine kranial zur zentrischen Position liegende ha-
bituelle Scharnierachse weist auf eine Kompression
des Gelenks hin. Dies setzt in jedem Fall eine para-
okklusale Befestigung des Unterkieferbogens für die
Registrierung voraus (Abb. 24).
Die Definition des Begriffs Zentrik ist eindeutig.
Leider ist deren Umsetzung mit zentrischen Regist-
raten oder unter manueller Führung durch den Be-
handler sehr fehleranfällig und resultiert in einer
geringen Reproduzierbarkeit [5]. Die verlässlichste
Position ist die habituelle Kontaktposition, aus der
heraus präzise Veränderungen möglich sind, da
die Ausgangsposition reproduzierbar bekannt ist.
Deshalb ist es wichtig, bei einer MRT-Aufnahme in
jedem Fall eine mundgeschlossene Aufnahme in
habitueller maximaler Kontaktposition durchzu-
führen und sich zu vergewissern, dass der Patient
währenddessen in der Lage ist, diese einzuneh-
men. Manche Patienten neigen dazu, durch die
Abb. 23: Gefräste Schiene im Mund Abb. 24: Paraokklusale Befestigung des Unterkieferbogens
Abb. 20: Übertragung der Bisslage in die Konstruk-tionssoftware
Abb. 21: Auflagern der Schiene, Sicht von kaudal Abb. 22: Fertigstellung der Schienenkonstruktion, Sicht von lateral
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besondere Situation während einer MRT-Aufnahme
leicht protrudiert zu schließen, entgegen ihrer
maximalen Interkuspitation (IKP). Eine exakte
Gelenkspaltvermessung ist jedoch nur ausgehend
von dieser habituellen IKP möglich, die Aufschluss
über einen ausreichend funktionellen Gelenk-
spielraum im belasteten Zustand gibt. Sichtbar
wird auch, ob der funktionelle Gelenkspielraum
insbesondere im kranialen und/oder dorsalen An-
teil kritische Werte im Vergleich zu Normwerten
eines gesunden Probandenguts unterschreitet und
damit tatsächlich Veränderungen der Okklusion
indiziert sind. Allein aus den computergestützten
instrumentellen funktionsdiagnostischen Messun-
gen heraus die Indikation einer Okklusionsverän-
derung zu stellen, erfordert viel Erfahrung und ist
aus forensischer Sicht nicht belegbar.
Unterschiede der Exkursions- zur Inkursionsspur
bei der Öffnungsbewegung mit sich kreuzenden
Bahnen weisen auf eine Verlagerung der Gelenk-
zwischenscheibe mit Reposition hin (Abb. 25). Die
Interpretation der Bahnen erfordert eine gewisse
Einarbeitung. Es sollte stets bedacht werden, dass
die Bewegungsanalyse der Scharnierachse – mag
sie auch noch so genau erfolgt sein – nur eine ein-
geschränkte Reliabilität im Hinblick auf diagnos-
tische Schlussfolgerungen hat. Sie steigt erheblich
mit der Erfahrung des Behandlers. Der Vergleich
mit MRT-Aufnahmen zeigt, dass Bewegungsmuster,
die eigentlich für ein bestimmtes Erkrankungsbild
sprechen, manchmal eine andere Ursache haben
können. Insofern ist es korrekter, von Verdachtsdia-
gnosen zu sprechen, solange keine Gewissheit über
die Ursache vorliegt.
FazitDie Magnetresonanztomografie stellt nach wie vor
den Goldstandard zur Darstellung der Kiefergelenke
dar. Sie erfasst alle Gewebestrukturen und stellt
diese in Schichtbildern zur Verfügung. Bisher sind
keine Viewer verfügbar, die eine dreidimensionale
Darstellung am Bildschirm ermöglichen. Diese Op-
tion könnte in naher Zukunft realisiert werden, ist
jedoch für die Analyse der Aufnahmen von unterge-
ordneter Bedeutung. Sie würde jedoch helfen, sich
das Gelenk im Ganzen vorzustellen. Wichtiger ist
die Analyse aller Schichten in der Sagittalebene von
lateral nach medial und in der Koronalebene von
dorsal nach anterior [2]. Im Zweifel können noch
axiale Schichten hinzugezogen werden. Auf diese
Weise ist der morphologische Zustand des Gelenks
in allen Raumebenen bekannt.
Die instrumentelle Bewegungsanalyse der Unter-
kieferbewegungen und die Positionsanalyse der
Scharnierachse liefern eine dreidimensionale Sicht
der Funktion des Kiefers und unterstützen den
Zahnarzt bei der Therapie komplexer Fälle. Jede
Therapie sollte die Invasivität so gering wie möglich
halten. Die dreidimensionale Analyse hilft dieses
Ziel zu verwirklichen und reduziert sie auf die Fälle,
in denen ein invasives Vorgehen mit dauerhafter
Umstellung der Okklusion unumgänglich ist.
Korrespondenzadresse: Dr. Jean-Marc Pho Duc
Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik der LMU MünchenGoethestraße 70, 80336 München
Literatur beim Verfasser
Abb. 25:Starke Abweichung der Öffnungs- spur zur Schließspur bei ADDmR
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