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Monarchische Herrschaft in Aristoteles` Politik Entstehung, Erhalt und Untergang
Hauptseminar: Aristoteles Leitung: Dr. Johannes Schmidt
Autor: Daniel Schamburek
Politische Theorie
20. August 2008
Daniel Wolfgang Karl Schamburek, Ahornstr.1, 84066 Mallersdorf-Pfaffenberg
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Monarchische Herrschaft in Aristoteles` Politik
Hauptseminar. „Aristoteles“ Dozent: Dr. Johannes Schmidt
Autor: Daniel Schamburek
I Die Einführung II Die Einordnung in den Aufbau der Politik III Das Königtum IV Vom Königtum zur Tyrannis V Die Mischformen VI Die Tyrannis VII Von der Tyrannis zum Königtum? VIII Alleinherrschaft heute IX Quellenverzeichnis
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I Die Einführung
Aristoteles beschäftigt sich in der Politik mit unterschiedlichen Typen von
Verfassungen und begibt sich auf die Suche nach der besten ihrer Art. Das
Hauptaugenmerk dieser Arbeit richtet sich auf einen Spezialfall der
Staatsorganisation: die Monarchie. Obwohl Aristoteles den Begriff Verfassung
mehrmals in Zusammenhang mit dem Königtum und der Tyrannis gebraucht, tritt
aus dieser Schrift klar hervor, dass es sich – zumindest bei der Reinform der
Monarchie ‐ nicht um eine Verfassung im eigentlichen Sinne handelt. Für
Aristoteles bedeutet dieser Begriff die Umschreibung der festgelegten
Rahmenbedingungen, die Herrschaft regeln und institutionalisieren. In
Monarchien sind diese Angaben zu Herrschern und Beherrschten überflüssig.
Allenfalls könnte eine solche Verfassung folgend beschrieben werden: die
Herrschaft übt der Monarch (König oder Tyrann) aus, der alles darf und kann.
Aristoteles hat mit seinen Verweisen auf die Empirie deutlich gemacht, dass
Verfassungen in Reinform selten oder nicht existieren. Vielmehr handelt es sich
um Mischtypen, die außerdem ständigen Veränderungen ausgesetzt sind. So wie
sich der Verfasser der Politik ständig auf beweisbare Fälle stützt, müssen auch
Königtum und Tyrannis samt Mischtypen und Unterarten auf dieser Basis
beleuchtet werden.
In seiner Untersuchung kann sich Aristoteles auf Ereignisse beziehen, die zwar
einige Jahrzehnte oder wenige Jahrhunderte in der Vergangenheit liegen, aber
doch in den Köpfen der Menschen und in den damaligen Schriften präsenter
waren, als sie heute sind. Trotz dieses Faktums wird man nie wissen oder
beurteilen können, ob die Kriterien, die Aristoteles beispielweise an das Königtum
knüpft, wirklich wie beschrieben durch einige Herrscher erfüllt wurden. Es ist nicht
auszuschließen, dass die Beschreibungen eher nostalgischer Natur gewesen sind.
Was die Monarchie betrifft, wird man in der heutigen Zeit wohl kaum genug
Beispiele finden, die zur Untermauerung der Beschreibungen dienen können. Die
Befassung mit Entstehung, Stabilisierung und Untergang dieser Monarchien sollen
helfen, zu ergründen, wie sich Aristoteles Alleinherrschaft vorstellt und wie er in
diesem Rahmen Begriffe definiert. Diese sollen zur Klärung der Unterschiede
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zwischen Königtum und Tyrannis einen erheblichen Beitrag liefern. Zudem wird in
dieser Arbeit versucht, sich nicht nur auf die griechische Antike zu stützen,
sondern in einer Art Ausblick auch einige Beispiele der Neu‐ und Jetztzeit
heranzuziehen.
II Die Einordnung in den Aufbau der Politik
Zunächst ist eine kurze Betrachtung von Königtum und Tyrannis im Gesamtsystem
von Aristoteles` Verfassungslehre und eine entsprechende Abgrenzung von
anderen Arten der Herrschaftsorganisation nötig. Der griechische Philosoph
unterscheidet in zweierlei Hinsicht.
Die grundlegendste Unterscheidung (1) teilt die Verfassungstypen in drei Gruppen
auf. Sie bezieht sich auf die Frage, wie viele Menschen Herrschaft ausüben.
Herrschen viele oder „alle“, so spricht man von Demokratie oder Politie. Liegt die
Macht bei wenigen, so verwendet man die Begriffe Oligarchie und Aristokratie.
Die Herrschaft eines Einzelnen wird mit Königtum oder Tyrannis bezeichnet. Diese
Art der Unterteilung birgt eine gewisse Unschärfe in sich. Zum Einen sei an die
Mischtypen, zum anderen an die begrifflichen Unklarheiten erinnert.
Das Problem der Einordnung von Mischtypen kann durch eine ganz andere
Differenzierung beseitigt oder zumindest abgeschwächt werden. Dieser zweite
Ansatz (2) bezieht sich auf eine Art Ranking absteigend von der besten Verfassung
zur schlechtesten. Hier werden die in Unterscheidung 1 zusammengefassten in
Kategorien zusammengefassten Begriffe wieder getrennt:
Königtum
Aristokratie
Politie
Demokratie
Oligarchie
Tyrannis
Es fällt auf, dass sich in dieser Darstellung die vormals vereinten Begriffspaare
spiegelbildlich gegenüber stehen. Während das Königtum ganz oben im Ranking zu
finden ist, belegt die Tyrannis den letzten Platz. Analog verhält es sich mit den
Paaren Aristokratie‐Oligarchie und Politie‐Demokratie. Hier wird klar ersichtlich,
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dass Mischtypen in dieser ordinalen Liste besser abgebildet werden können. ‐ Auf
die Politie als „beste“ (Misch‐)Verfassung kann hier nicht eingegangen werden. ‐
Bei diesem 6‐Arten‐Modell lässt sich eine Klassifizierung erstellen, die voraussetzt,
dass eher Mischformen und Unterarten mit Tendenzen zu anderen
Verfassungstypen die Realität bestimmen. Diese Mischformen können, nach dem
was R. Kraut1 aus diesem Werk herausliest, als eigene und nicht unerheblich
kleine Gruppe, neben Königtum/Aristokratie (beste Verfassungen) und Tyrannis
(durch Einen, Wenige oder Viele), gesehen werden. Sowohl das allgemeine
Schema, als auch die Konstruktionen, welche eine detaillierte Gliederung in
diverse Unterarten anbieten2, trennen Königtum und Tyrannis in höchst
unterschiedliche Lager.
Um die dritte Unterscheidung (3) vorstellen zu können, muss vorher der Begriff
Monarchie genaustens gefasst werden. Wie auch bei anderen Wörtern (z.B.
Demokratie) haben Monarchie, Königtum und Tyrannis verschiedene
Bedeutungen im Sprachgebrauch. Die Monarchie wird im Folgenden als ein
Sammelbegriff für das Königtum und die Tyrannis gebraucht: die Herrschaft des
Einen (mono; kratein).
In Buch V wird nun zwischen Monarchie und allen anderen Verfassungen
unterschieden. Wie eingangs bereits erwähnt, stellt die Monarchie in ihrer
Reinform keine aristotelische Verfassung im eigentlichen Sinne dar. Es fehlt das
entscheidende Kriterium: die Regelung von Herrschaftsausübung. Dies ist eine
definitive Abgrenzung zu den Herrschaftsformen mit Verfassung und lässt nur eine
Ja‐oder‐Nein‐Dichotomie zu. Wir werden später sehen, dass die Unterscheidung
zwar begriffstechnisch richtig und sinnvoll ist, jedoch in der Realität für fast alle
beobachtbaren Fälle nicht zutrifft und daher hinfällig wird.
Da die beiden monarchischen Herrschaftsformen in einer Gruppe
zusammengefasst werden können und sogar von allen anderen Verfassungen
abgrenzbar sind, liegt es auf der Hand, dass es erhebliche Gemeinsamkeiten
1 Kraut 2002 S.412 2 Beispielsweise Graphik auf S.132 E. Schütrumpf 1996
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zwischen Königtum und Tyrannis geben muss. Die Tatsache aber, dass es ein
Modell gibt, welches die Entfernung dieser beiden Typen maximal werden lässt,
verlangt eine genaue Betrachtung der Unterschiede.
III Das Königtum
Ausgangspunkt der Diskussion ist der allmächtige, uneingeschränkte Fürst, der
pambasilein3. Aristoteles vergleicht den Monarchen mit einem Hausverwalter.
Obwohl berechtigte Zweifel über die Vergleichbarkeit aufkommen, die Nichols im
Statesmen anspricht, drängen sich doch einige Parallelen auf. So ist die
unumschränkte Herrschaft über seine Bürger in diesem Falle nicht mit der
Herrschaft des Hausverwalters über einen Sklaven vergleichbar. Denn in diesem
Bild verbleibend ist es äußerst schwierig, in einem gerechten Königtum die
Existenz von freien Bürgern zu erklären. Besser ist ein anderer Vergleich. So steht
bei Mulgan: „… rule of the king is a type of free rule, like that of a father over his
children“4. Zweifelsohne ist mit dem universellen Herrscher in der Politik kein
grausamer Despot gemeint. Das Königtum orientiert sich, – im Gegensatz zur
Tyrannis – zur Rechtfertigung der Herrschaftsform, am Staatszweck. Das gerechte
Königtum sieht für die Bürger die Ermöglichung eines guten Lebens im weitesten
Sinne als Aufgabe vor.
Ob diese Aufgabe von Einem besser gelöst werden kann als von Einigen oder
Vielen, ist hier nicht Gegenstand. Es sei jedoch darauf verwiesen, dass eine
Herrschaft nur königlich sein kann, wenn der König dem vollkommenen Menschen
nahe kommt und zumindest auf dem Gebiet der gerechten Herrschaft über ein
Volk alle Anderen überragt.
Was nicht klar aus diesem Werk hervorgeht ist, inwieweit man eine
Unterscheidung zu treffen hat, zwischen der Eigenschaft des Königs, besser als alle
anderen zu sein und seinen Verfehlungen. Ist es vorstellbar, dass jemand, der mit
reichlich Tugend und Würde ausgestattet ist, nicht im Stande ist Maß zu halten?
Wie kann Aristoteles jemanden als König bezeichnen, der später zum Tyrannen
3 Nichols 1992 S.74 4 Mulgan 1977 S.67
7
wird?
Außerdem wichtig für die empirische Untersuchung ist eine Frage, die sich aus
diesen Überlegungen ableitet: Existiert dieser eine Mensch, der alle anderen
überragt, wirklich, oder handelt es sich hierbei um die Beschreibung eines
Idealtypus? Wenn dieser wahrhaftige und unfehlbare König nicht wirklich existiert,
kann man dann überhaupt vom Königtum als beste Herrschaftsform sprechen?
Gibt es einen Toleranzbereich, der den Monarchen als König darstellt, obwohl er in
seinen Entscheidungen nicht den Anschein erweckt, alle zu überragen? Wenn ja,
wie groß ist dieser Bereich?
Aristoteles bleibt vage in seiner Antwort. Sein vordergründiges Hauptargument ist
wohl, dass die Staaten vor seiner Zeit sehr viel kleiner waren als zu seiner Zeit5.
Auch die Menge der potentiellen Herrscher war damals überschaubarer als zu
Aristoteles` Lebzeiten. Ungeachtet davon waren die damaligen Staaten auch zu
dieser Zeit nicht sonderlich groß, wenn man sie mit ähnlichen Gebilden der
heutigen Zeit vergleicht. Zu den tugendhaften Bürgern oder Hausverwaltern
gehörten manchmal nicht mehr als 50 oder 100 Personen. Es mag sich in deren
Geschichte nicht selten nur eine Person gefunden haben, von denen die Anderen
überzeugt waren, nur er allein könne regieren.
Dies ist auch die theoretische Grundform der Entstehung eines Königtums: in
einem Staat gibt es nur eine Person, die mit Zustimmung der Bürger herrscht,
aufgrund seiner überragenden Tüchtigkeit. Nicht zuletzt deshalb, weil „alle“
Staatsangehörigen mit dieser Herrschaftsform und diesem Herrscher
einverstanden sind6, ist diese Alleinherrschaft gerecht. Aristoteles merkt an, dass
ideale Königtümer auch schon zu seiner Zeit nicht mehr vorkommen7, schließt
jedoch nicht grundsätzlich ihre Existenz aus. Mit dem Fortlauf der Geschichte ist
also die Regentschaft durch einen König immer unwahrscheinlicher geworden.
Trotz allem: theoretisch gibt es verschiedene Wege, diesen Zustand zu erreichen.
Unüblich wäre die Möglichkeit, einen (verfassungsgebenden) Rat zu bilden, der
5 1286b Z 9 6 1313a Z 5 ff 7 1313a Z 3 ff
8
jenen Menschen bestimmt, welcher von da an, die Herrschaft ausüben soll.
Empirisch damals noch sehr unwahrscheinlich, hat dies – wenn auch in
abgewandelter Form – später des Öfteren stattgefunden. Von einer derartigen
Variante, die an Vertragstheorien späterer Philosophen erinnern würde, schreibt
Aristoteles nicht. Er fokussiert seine Untersuchungen auf real vorkommende
Entstehungsszenarien. So betrachtet, ist meist eine bestimmte Tat nötig, die auf
den besonderen Menschen aufmerksam macht.
Hier führt Aristoteles mehrere Möglichkeiten. Er nennt zuerst die Entstehung
eines Königtums, „um die Anständigen gegen das Volk zu schützen“8, was nichts
anderes heißt, als dass ein ganz bestimmter Jemand eine (schlechte Form der)
Demokratie verhindert hat und sich dadurch würdig erwiesen hat, auf den
Herrscherthron zu steigen. Weiterhin erklärt Aristoteles, dass es sich hierbei um
einen Angesehenen handeln muss. Die Begründung liegt klar auf der Hand: die
Volksführer stehen durch Definition auf Seiten des Volkes9. Außerdem kann ein
König nur aus den Reihen der Anständigen kommen, da nur diese mit großer
Tugendhaftigkeit ausgestattet sind. Deshalb ähnelt die tugendhafte
Alleinherrschaft der Aristokratie. Der König nimmt die Aufgaben alleine wahr, die
ansonsten ein Kollektiv von Hervorragenden erledigen würde.
Dass der König aus dem Kreise der Angesehenen kommt, heißt nicht, dass das
(niedere) Volk in Opposition zur Herrschaft stehen soll. Ganz im Gegenteil: der
König muss dafür sorgen, dass „das Volk nicht misshandelt werde“10.
Andere, besondere Verdienste stellen die Verhinderung oder Befreiung aus der
Knechtschaft dar. Abseits der Schilderungen in der Politik könnte man als Beispiel
den Auszug der Juden aus Ägypten mit ihrem „König“ Moses (und über ihm Gott)
anführen.
König zu sein setzt also voraus, die Machtfülle in den Dienst der Tugendhaftigkeit
8 1310 b Z 9 f 9 Dass auch Volksführer aus den Reihen der Oberschicht kommen können, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden. 10 1311a Z 1
9
zu stellen und den Ertrag daraus – nämlich die Ehre11 – zu suchen.
Hält sich der König uneingeschränkt an das Ziel Staatszweck und der damit
verbundenen Ehre und verhält sich nicht maßlos12, sinkt die Wahrscheinlichkeit,
dass ihm jemand ‐ zumindest nicht von innen – seine Regentschaft streitig macht.
Mit Maß halten ist etwa die Reduzierung seiner Macht auf bestimmte
Schlüsselbereiche des Lebens, die für eine stabile und sichere Herrschaft nötig
sind, gemeint.
Ungünstig für ein Königtum wirken sich zudem Streitereien und Uneinigkeit unter
den Gefolgsleuten des Monarchen und erbliche Thronfolge aus. Ersteres kann zu
Unsicherheit im Machtgefüge führen und einen Niedergang der Monarchie
bedeuten. Mit dem anderen Punkt weist Aristoteles auf den möglicherweise
verwöhnten, überheblichen oder verachtenden Thronfolger bei Erbmonarchien
hin, der das Königtum seines Vorgängers zerstört und damit eine Tyrannei
hervorrufen kann.
IV Vom Königtum zur Tyrannis
Ob nun der herrschende König (auch in der Annahme, dass er alle anderen
überragt) nicht Maß hält oder sein Nachfolger – letztendlich wird es zu einem
Verfassungswechsel kommen, der meist in eine Tyrannei führt. Dass sich auch
andere Systeme etablieren können, sei nur am Rande erwähnt, da auch bei einem
Umschwung in eine andere Verfassungsart zumindest eine kurze Phase der
Tyrannei vorgelagert sein muss, die einen Umsturz rechtfertigen würde.
Aristoteles zählt jene möglichen Verfehlungen auf, welche die königliche13
Regentschaft gefährden könnten. Dies muss in zweierlei Hinsicht betrachtet
werden. Zum Einen impliziert ein Übergang vom Königtum in eine Tyrannei, dass
sich der Herrschaftsstil gewandelt haben muss. Zum Anderen macht es deutlich,
dass dieser neue Stil Feinde und opponierende (soziale) Gruppen innerhalb des
11 1311a Z 5 12 1313 Z 19 f 13 An dieser Stelle muss betont werden, dass Aristoteles beide Formen der Monarchie in seine Überlegungen bezüglich dieser Frage einbezieht (siehe 1311 a Z 22 ff )
10
eigenen Volkes schafft, die dem nunmehr regierenden Tyrannen sogar nach dem
Leben trachten können. Es handelt sich um einen linearen Zusammenhang. Je
mehr Verfehlungen, desto tyrannischer, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass
der Herrscher gestürzt wird.
Es müssen also Gründe gefunden werden, die den König in den Augen seines
Volkes oder in (großen/wichtigen) Teilen des Volkes tyrannisch werden lassen.
Hierbei handelt es sich aber beispielsweise nicht um Verfehlungen auf
verschiedenen Politikfeldern oder falsche Handhabung von wirtschaftlichen
Steuerungswerkzeugen, die heutzutage Unmut unter den Bürgern hervorbringen
würden.
In der Politik werden Kränkung, Angst und Verachtung behandelt14. Zu den
Kränkungen gehören mündliche Beleidigungen und enttäuschte Liebschaften bis
hin zu körperlichen Demütigungen15. Gründe also, die meist Personen des
näheren Umfeldes betreffen und diese nach dem Leben des Monarchen trachten
lassen. Ebenfalls aus persönlichem Antrieb handeln diejenigen, die durch
körperliche Züchtigung16 erniedrigt wurden. Auch Mord als Präventivmaßnahme
aus Furcht vor (grausamer) Bestrafung und aus dem Gefühl des Ausgeliefertseins
heraus wird aufgeführt.
Anders verhält es sich, wenn die Beweggründe durch Verachtung begünstigt
werden17. Hier geht es nicht zwingend um Kränkungen und keinesfalls um Furcht.
Beispiele gibt es genügend: ein Herrscher gibt sich äußerst weiblich, ein Anderer
ist Alkoholiker und dergleichen mehr. Dieser Grund ist ‐ ebenso wie Kränkung und
Angst ‐ Bestandteil einer Art Katalog der Überschreitungsmöglichkeiten von
königlichem Handeln, die zum Sturz führen können.
Aristoteles erwähnt im gleichen Atemzug mit der Verachtung des Monarchen
wegen seiner Neigungen einen weiteren Punkt, der jedoch vom vorher
14 Bien stellt fest, dass andere empirische Wahrheiten (geographische oder andere machtpolitische Gründe) ausgeblendet wurden, um die sozialen Gründe in den Vordergrund zu stellen. (S.126/163) 15 1311a Z 34 ff 16 1311 b Z 23 ff 17 1312 a Z 1 ff
11
Ausgeführten unterschieden werden muss. Es handelt sich hierbei um die
Verachtung, die von seinen Vertrauten und Freunden entgegengebracht wird.
Diese verachten möglicherweise auch dessen Neigungen. Trotzdem muss es
gesondert betrachtet werden, wenn Vertraute Anschläge verüben, weil „die
Herrscher ihnen vertrauen“ und sie damit rechnen, „daß sie es nicht entdecken“18.
Eine weitere Differenzierung muss zwischen der Verachtung als Geringschätzung
von Neigungen bzw. der Ausnutzung des Vertrauens eines Monarchen und der
Verachtung der Gefahr stattfinden. Letztere muss nicht unbedingt mit dem
Charakter des Monarchen zusammenhängen. Es geht vielmehr um eine, statistisch
selten in der Bevölkerung auftretende, Person, deren Ehrgeiz überdurchschnittlich
hoch angesetzt ist19. Der ausgeprägte Hunger nach dem in Aussicht stehenden
Ruhm übersteigt dabei den Selbsterhaltungstrieb. Die Verachtung des eigenen
Lebens (in Relation zum Eintrag in die Geschichtsbücher) ist gesondert zu
betrachten. Wenn man nämlich der Argumentation des Aristoteles an früheren
Stellen in der Politik folgt, gibt es vorerst keinen Grund, einen gerechten König zu
ermorden. Dieser Absetzungsgrund ist also mit Vorsicht zu genießen, sobald er
nicht in Zusammenhang mit einem der anderen Punkte steht. Aristoteles betont,
dass es dem Umstürzler nicht um die Alleinherrschaft als Tyrann um jeden Preis
geht, sondern um Ruhm20. Darum steht bei einem gerechten König kein Umsturz
an der Tagesordnung. Allenfalls reden wir hier von Kampf gegen einen
Monarchen, der entweder schon immer Tyrann war, oder durch obig genannte
Gründe zum Tyrannen geworden ist.
Aus den genannten Punkten geht hervor, dass Aristoteles vormalig königliche
Monarchen, als spätere Tyrannen beschreibt. Dies liegt entweder daran, dass der
König die alles überragende (angeborene! oder anerzogene!) Würde und Tugend
plötzlich verliert, oder dass er nach wie vor besser ist als alle anderen zusammen
und trotzdem durch seine Person Verfehlungen möglich sind. Im zweiten Falle
würden wir von zwei, sich vielleicht beeinflussenden, aber unterschiedlichen
18 1312 a Z 6f 19 1312 a Z 9ff 20 1312 a Z 29
12
Variablen sprechen. Bei der Verfehlung der Ersten würde er gar nicht erst König
werden. Bei grober Verfehlung der Zweiten könnte er zwar König gewesen sein,
würde aber zum Tyrannen werden.
Es ist eine zweite Schlussfolgerung zu ziehen: und zwar, dass es sich nicht um zwei
eindeutige, unbewegliche Kategorien der Monarchie ‐ nämlich Königtum und
Tyrannis ‐ handelt. Diese beiden Herrschaftsformen befinden sich (wie alle
anderen Verfassungsarten über längere Zeit auch) im ständigen Wandel. Dieser
Bewegungsprozess, der sich meist auf der zweidimensionalen Achse zwischen den
Idealtypen Königtum und Tyrannis in verschiedener Intensivität abspielt, geht
nicht nur in eine Richtung (weg vom Königtum, wie eben dargestellt), sondern
kann auch durch den Tyrannen in gegensätzliche Richtung betrieben werden (wie
wir später noch sehen werden).
Dennoch würde man es sich zu einfach machen, wenn man nun die Konklusion
„alles ist im Fluss“ an diese Stelle setzen würde. Vor allem deshalb nicht, weil
Aristoteles 1. keine Anstalten macht, die Verfehlungen des Königs und die sich
daraus ergebenden Konsequenzen mit ähnlichen Schlussfolgerungen darzustellen;
2. eine Art Gegenmodell bereithält. Es handelt sich hierbei um eine Aufteilung in
Unterarten und Mischtypen der beiden monarchischen Herrschaftsformen.
V Die Mischformen
Eine Einordnung in Kategorien ist deshalb möglich, weil sich in den meisten Fällen
die Herrschaft nicht so weit ändert, dass man von einem nennenswerten Wechsel
sprechen kann. Die Fälle werden grob klassiert. Kleine Veränderungen, die an
anderer Stelle der Untersuchung wichtig sind, spielen hier nur eine
untergeordnete Rolle.
Aristoteles nennt fünf verschiedene Arten Königtümern, wobei bei einigen Formen
nur Teile königlich sind.
Zu Anfang nennt Aristoteles das Beispiel Sparta. Dort gibt es zwar einen König21,
wenngleich die Herrschaftsform keine Monarchie ist. Bei diesem Königtum handelt
es sich lediglich um ein Feldherrenamt mit Privilegien in der Kultverrichtung.
13
Befindet sich der Staat nicht im Krieg, so hat der König dort keine Macht. Im Falle
Spartas kann nicht von Alleinherrschaft gesprochen werden. Dieses und ähnliche
Beispiele sind von den nachfolgenden zu unterscheiden.
Denn dort heißt die Herrschaftsform Monarchie. Bis auf das bereits behandelte,
universale Königtum, sind die verbleibenden drei Arten an eine Konstitution
gebunden. Nicols weist darauf hin, dass es sich laut Aristoteles hier nicht um eine
Verfassung handeln kann, sondern nur um einen Teil einer Verfassung22. Dies ist
der Fall, sobald Einschränkungen vorhanden sind.
Bei den Barbaren handelt es sich dabei um eine erblich bedingte Thronfolge.
Obwohl die Herrschaft an sich gesetzesmäßig ist, wird sie von Aristoteles auch
wegen der despotischen Ausrichtung als teilweise tyrannisch bezeichnet. Eine
andere Konstellation wird bei den Aisymeten beobachtet. Dort ist die Herrschaft
zeitlich beschränkt – von einer nur kurzen Dauer bis höchstens auf Lebenszeit ist
alles möglich. Die Thronbesteigung setzt die Wahl des Anwärters voraus. Dieser
kann jedoch ohne weitere Restriktionen herrschen.
Der letzte Fall, der unterschieden wird, bezieht sich auf die Könige des
Heroenzeitalters. Die damaligen Herrscher regierten mit der Zustimmung des
Volkes, da sie große Taten vollbracht haben oder in der ersten Stunde (des Staates)
Großes geschaffen haben. Diese Alleinherrscher haben, sofern ihr Status als „alle
Überragende“ in Frage gestellt wurde, über die Jahre und Jahrzehnte hinweg an
Macht und Einfluss eingebüßt und bewegen sich Stück für Stück von der
monarchischen Herrschaft hin zu einem System, dass zwar Könige kennt, jedoch
ein anderes Herrschaftssystem hat, wie es in Sparta der Fall ist.
Sollte man also eine Abstufung formulieren, so fällt dies nicht schwer, wenn man
Sparta nicht inkludiert. In der Politik gibt es zudem Hinweise darauf, wie sich die
Kategorien ordinal ordnen lassen23.
21 genauer: es gibt zwei Königsfamilien 22 Nicols 1992 S.76 23 1286 a Z 34 ff
14
Es ist folgende Reihenfolge denkbar:
Universales Königtum
Königtum des Heroenzeitalters
Aisymeten << >> Barbaren
Tyrannis
Gerade bei der Differenzierung verschiedener Kriterien, durch welche die
Aufteilung von Barbaren und Aisymeten in verschiedene Mischformen erst
möglich wird (im Gegensatz zum zweidimensionalen Modell), wird die
Notwendigkeit dieser Kategorisierung deutlich. Außerdem hat Aristoteles im
selben Atemzug klar gemacht, dass Sparta nicht zu den anderen, monarchischen
Systemen zuordenbar ist.
Nun bleibt noch der Gegenpol des Königtums zu behandeln. „Irresponsibility,
selfishness, violence“24: die regellose Tyrannis.
VI Die Tyrannis
Was bei den Ausführungen zum pambasilein bereits anklang ist die
Vergleichbarkeit der Regentschaft mit der Verwaltung eines Haushalts. Während
die Herrschaft des gerechten Königs mehr das Verhältnis von Vater und Kindern
widerspiegelt, kann der Tyrann mit dem Herrn, der über Sklaven herrscht,
verglichen werden25. Der Vergleich lässt die Tatsache außer acht, dass Aristoteles
das Verhältnis von Herr und Sklave nicht als grausam und rücksichtslos beschreibt.
Diese Beziehung zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass der Sklave dem
Hausvorsteher als Werkzeug dienen kann. Der Bürger wäre in diesem Falle das
Werkzeug des Tyrannen. Bleibt dieser Vergleich allgemein gehalten, so ist er
zumindest in dieser Frage hilfreich. Doch noch ist die Rechtfertigung des Prädikats
„Tyrann“ nicht komplett.
Es sind immer noch einige Fragen zu klären: Ist der Alleinherrscher ein Tyrann, weil
er unqualifiziert ist (also nicht auch nur annähernd alle überragt), oder weil er
24 Mulgan 1977 S.69 25 Ebd.
15
grausam ist und nicht Maß halten kann?
Es scheint so, als könnte man durch verschiedene Umstände zum Tyrannen, aber
nur durch wenige Möglichkeiten König werden. Ein Tyrann (oder in der Mischform
tyrannenhaft) muss nämlich jeder Monarch per Definition sein, der nicht König ist.
Hierzu gehören die Unqualifizierten; jene die nicht zu den Tugendhaften gehören
und diejenigen, die nicht den Anschein erwecken, als könnten sie gerechte Könige
sein. Außerdem sind die Herrscher der Kategorie Tyrann zuzuordnen, die nicht
Maß halten – sei es von Anfang an oder dass sie vorher noch als Könige bezeichnet
werden konnten. Diese Art von Monarchen zeichnen sich nicht notwendigerweise
durch Unfähigkeit, aber meist durch unangebrachte Grausamkeit aus.
Klar ist die Rolle des Idealtypus Tyrann: dessen Ziel ist die Anhäufung von
Reichtum und „das Angenehme“26. Im Gegensatz zum König, der durch seine
eigenen Bürger beschützt wird (weil sie mit seiner Herrschaft einverstanden sind),
muss sich der Tyrann auf Söldner, meist aus dem Ausland stützen27. Beobachtbar
ist, dass Tyrannen deshalb bei der Besetzung von wichtigen Positionen meist auf
Menschen des eigenen Blutes zurückgreifen, von denen man erwartet, nicht gegen
die eigene Verwandtschaft zu intrigieren. Betrachtet man jedoch die griechische
Antike, so ist diese Zeit gespickt mit Beispielen, die beschreiben, dass Tyrannen
durch Andere ersetzt wurden, die Söhne, Brüder oder nähere Verwandte waren.
Trotz allem hat sich dieses Vorgehen wohl über die Jahrtausende bewährt, da
auch in unserer Zeit beispielsweise Diktatoren wie Saddam Hussein oder Fidel
Castro ihre engeren Führungskreise aus diesen Leuten rekrutiert hatten. Die
einfachen Kampftruppen bestehen zumeist aus bezahlten Männern aus anderen
Ländern. So ist das ethnische Zugehörigkeitsproblem zur eigenen Volksgruppe
neutralisiert, wenn es zu Auseinandersetzungen kommt. Außerdem wird sich für
diese Aufgabe aus dem Kreis der eigenen Untergebenen wohl kaum einer finden.
Denn Eigennutz schafft beim ausgebeuteten Volk keine Freunde, die obendrein
sein Leben vor Anderen beschützen würden. Für die Herrschaftssicherung und die
dadurch benötigten, ausländischen Wachmannschaften ist Geld nötig. Dies schürt
26 1311 a Z4 27 1311 a Z6f
16
zusätzlich die Ausbeutungsproblematik. Aristoteles bezeichnet diese
Notwendigkeit (wegen der Ausgaben für Militär) und den Willen dazu (wegen der
„Schwelgerei“28), Reichtum anzuhäufen, als oligarchisches Element der
Herrschaft29.
Als zweite, entartete Verfassungsform, aus der die Tyrannis zusammengesetzt ist,
nennt der Philosoph die Demokratie30. Das hat mit dem „Kampf gegen die
Angesehenen“31 zu tun, der dort durch den Pöbel betrieben wird. Auch der Tyrann
wird entsprechende Maßnahmen ergreifen, um sich seine Macht zu sichern. Die
Angesehenen sind Gelehrte, Tugendhafte und Philosophen oder reiche Menschen.
Die Reichen sind ihm ein Dorn im Auge, da diese die Mittel haben, selbst ihre
Macht auszubauen. Die gebildete, aristokratische Oberschicht wäre für politische
Herrschaft prädestiniert, wird aber nicht beteiligt. Dies löst Unmut bei den Leuten
aus und verursacht ein gesteigertes Bedürfnis danach, das Machtverhältnis zu
kippen. Meist fallen Reichtum, Geburt in den Adelsstand und Bildung zusammen.
Sind diese drei Punkte besonders ausgeprägt bei einem Menschen, so hat der
Tyrann großes Interesse daran, diesen zu beseitigen.
Dass die Tyrannis eine Mischung aus der schlechtesten Form der Demokratie und
schlechtesten Form der Oligarchie ist, kommt der Wahrheit nahe. Denn richtig ist,
dass sich in entarteten Oligarchien meist die Zahl der Wenigen, die herrschen,
immer weiter einschränkt. Dies geht so weit, bis schließlich nur noch einer alles
besitzt. Dass auch die Demokratie in ihrer schlechtesten Form ein
Alleinherrschersystem hervorbringt, bringt uns zum nächsten Punkt.
Aristoteles untersucht nämlich nicht nur wie im Allgemeinen eine Tyrannis
entsteht, sondern auch, welche Verfassung vor der Umwälzung vorherrschte. Hier
ist festzustellen, dass eine nicht unerhebliche Anzahl der Tyrannen durch den
demokratischen Pöbel aufs Schild gehoben wurde. Die sogenannten Volksführer
festigten ihren Status im gemeinen Volk durch den Kampf gegen die Angesehenen.
Nicht selten war die Macht der Anführer des Volkes aufgrund des Vorgehens
28 1311 a Z 11 29 1311 a 9f 30 1311 a Z 14 ff 31 Ebd.
17
gegen die Unterdrückung (beispielweise in einer Oligarchie) schon derart gefestigt,
dass es nur zum Anschein einen Umschwung in demokratische Verhältnisse gab.
Das Volk übereignete erstens von sich aus diese Macht an die neuen Tyrannen
aufgrund hervorragender Leistungen (gegen das Vorgängerregime). Dies kann
sogar durch Wahl über hohe Ämter bis hin zum Höchsten (der Alleinherrscher)
geschehen. Oder aber der Militärapparat des Volksführers war bereits derart
ausgebaut, dass das Volk, welches sich vielleicht auch gerne selbst regieren wollte,
vor vollendete Tatsachen gestellt wurde.
Man kann also drei Grundarten unterscheiden, aus denen heraus sich
Tyrannensysteme entwickeln können: aus dem König wird der Tyrann durch
Verfehlungen, in der Herrschaft der Wenigen kann ein Oligarch sämtliche Macht
auf sich vereinen oder aus dem Volke erwächst ein Führer, der den Pöbel
beeinflussen oder durch seine eigene Kraft unterdrücken kann.32
Das gerade Ausgeführte gibt auch Hinweise auf die soziale Herkunft der Tyrannen
selbst. Es kann sich um einen Aristokraten handeln, der tugendhaft sein mag, aber
nicht alle im Kollektiv überragt und dennoch die alleinige Macht für sich
beansprucht. Ob es möglich ist, dass ein Volksführer aus den unteren Schichten
des einfachen Volkes kommen kann, bleibt nach der Argumentation des
Aristoteles bezüglich einer gewissen, nötigen Grundkenntnis des Anwärters von
Herrschaft und Machtausübung fraglich. Volksführer müssen nicht aus dem
einfachen Volke rekrutiert werden. Historisch belegt sind Situationen, in denen
eben erwähnte Oligarchen sich das Volk zu Nutze machen, um an die Macht zu
kommen.
Deswegen kann man jedoch nicht ausschließen, dass sich vor allem Männer des
Volkes, beispielsweise aus der unteren Mittelschicht, zum Tyrannen aufschwingen
können. Ambitionierte Menschen, die Macht durch Tyrannei erhalten wollen,
können aus nahezu allen Bevölkerungsschichten kommen. Darüber hinaus ist
festzustellen, dass auch keine Verfassungsform gefeit ist vor einer Tyrannis –
wenngleich eine entartete Oligarchie oder Demokratie den kürzeren Weg dorthin
verspricht.
18
VII Von der Tyrannis zum Königtum?
Da nun klar geworden ist, wie eine Tyrannis entsteht, bietet sich an, Lösungswege
für die Erhaltung dieses Systems darzustellen.
In der Politik werden zwei Ansätze vorgestellt, die sich bei näherer Betrachtung als
entgegengesetzte Taktiken erweisen.
Die erste Möglichkeit wäre der Ausbau einer schlecht gesicherten Alleinherrschaft
zu einer Tyrannis, die alle Lebensbereiche der zu Untergebenen kontrolliert und
bestimmt. Schon damals also beschreibt Aristoteles so etwas Ähnliches wie eine
totalitäre Diktatur. Er nennt diesen Ansatz die überlieferte33Art der
Herrschaftssicherung. Dies hat damit zu tun, dass dieser Weg nicht nur heute,
sondern wohl auch vor und zu seiner Zeit Gang und Gäbe gewesen sein muss.
Folgende Mittel zur Machterhaltung zählt er auf: keine Syssitien
(gemeinsames/öffentliches Mal), keine Klubs (heute Parteien, Vereine), keinerlei
Erziehung, Überwachung der Privatsphäre (durch Verlagerung derselben vor das
Haus), Vermeidung von Zusammenkünften, Horcher bei öffentlichen Reden,
Aufhetzung von verschiedenen (Bevölkerungs‐) Gruppen gegeneinander,
Überbeschäftigung und Verarmung der Untertanen34. Eine wichtige Rolle nimmt
auch die, im vorhergehenden Abschnitt zur Tyrannis behandelte, Beseitigung der
politischen Konkurrenz, den Angesehenen, Stolzen und Überragenden, ein. Das
Ziel dieser Maßnahmen ist, Misstrauen zwischen den Untertanen zu schüren und
das Volk machtlos und unterwürfig zu halten35.
Diese Taktik ist jedoch sehr nachteilbehaftet. Tyrannen dieser Façon können sich
meist nicht sehr lange an der Macht halten und haben Mühe in derart viele
Lebensbereiche einzudringen und dort präsent zu sein. Für die beiden
Hauptaufgaben der Informationsbeschaffung und der polizeilich‐militärischen
Ordnungserhaltung sind nicht enden wollende Ressourcen nötig. Gemeint ist hier
nicht nur der finanzielle Aspekt, sondern auch der Personalaufwand, der betrieben
32 1310 b Z 12 ff 33 1313 a Z 35 34 1313 a Z 41; 1313 b Z 1 ff 35 1314 a Z 27 ff
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werden muss. Besonders im Hinblick auf die knappen Vorkommen von
vertrauenswürdigen Untergebenen sei hingewiesen. Aristoteles nennt an dieser
Stelle die Zusammenarbeit der Tyrannen mit den „schlechten Menschen“ und
Schmeichlern36, auf die der ungerechte Herrscher erstens bauen sollte, weil sie als
Werkzeuge seiner Herrschaft geeignet sind und auf die er zweitens bauen muss,
weil ihm wahre Freunde nicht in nötiger Anzahl zur Verfügung stehen.
Wir haben gesehen, dass dieser Weg äußerst beschwerlich sein kann. Die
Tyrannenherrschaft zerbricht wohl nicht selten daran, dass eine ständige
Fortentwicklung und Machtausdehnung nötig ist, um ein System dieser Art zu
erhalten. Die Informationsbeschaffung und die polizeilichen Aufgaben gestalten
sich immer schwieriger, je weiter man den eigenen Machtbereich ausdehnt.
Darum widmet sich Aristoteles im zweiten Ansatz einer anderen Theorie, die er
dem Tyrannen als bessere Idee ans Herz legt.
Es handelt sich dabei um eine Empfehlung an den Alleinherrscher, sich königlicher
zu verhalten oder sich zumindest so zu geben. Eine weitere Alternative gibt es
nicht, da alle anderen Strategien einen Verlust von Macht bedeuten würden. Die
Alleinherrschaft ginge dadurch zugrunde. So sollte der Tyrann, wenn er sich für
den „Königsweg“ entscheidet, das Gemeinwohl bedenken, Rechenschaft ablegen,
die Steuern im Sinne des Staatszwecks einziehen und sich vor allem mit
Ausschweifungen und Zügellosigkeit zurückhalten37. Insbesondere empfiehlt es
sich dabei, die in Kapitel IV angesprochenen, Verfehlungen tunlichst zu vermeiden.
„Im übrigen soll er von allem vorhin Aufgeführten (hier sind eben die Punkte in
Kap. IV gemeint) so ziemlich das Gegenteil tun“38.
Auffällig ist, dass für Aristoteles von Anfang an festzustehen scheint, dass die
tatsächliche Hinwendung zum Königtum nicht denkbar ist. Nicht weiter
verwunderlich ist deshalb auch, dass er fortwährend vom „Anschein erwecken“
spricht. Einmal Tyrann, immer Tyrann? Unmöglich ist die Transformation einer
Tyrannenherrschaft in ein Königtum nicht, wenn man geschickt auf den
36 1313 b Z 39 ff ; 1314 a Z 1 ff 37 1314 a Z 40 / 1314 b Z 1 ff 38 1314 b Z 36
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Grundlagen des bisher Gesagten auslegt ‐ vor allem wenn es sich um die Rückkehr
eines Königs mit temporären Verfehlungshandlungen handelt. Doch der Philosoph
gibt die Frage, warum eine Tyrannis entstanden ist, zu bedenken. Er geht davon
aus, dass ein Tyrann einerseits durch seine bisherigen Handlungen (die auch auf
seinen Charakter und seine Leidenschaften schließen lässt) und andererseits durch
mangelnde oder ungenügende Tugendhaftigkeit den Rang eines Königs nie
erlangen könnte. Die aristotelischen Empfehlungen an den Tyrannen haben auch
nicht die Absicht, aus ihm einen König zu machen, sondern dienen einzig und allein
zur Sicherung der Tyrannenherrschaft. Nichols weist auf die „machiavellistischen
Züge“39 hin, die die Ausführungen in der Politik aufweisen. Außerdem wird
angedeutet, dass Aristoteles die Despotie als Staatsherrschaftsform ablehnt40 und
dazu rät, konstitutionelle Elemente einzubauen41.
Die große Gefahr dabei ist, dass die Einführung von königlichen oder
demokratischen Elementen, wie es Aristoteles empfiehlt42, zu Machtverlust führt.
Dann wäre der Weg für die Beseitigung der Tyrannenherrschaft frei. Der
Alleinherrscher muss bei der Wahl seiner Maßnahmen, die seinem Tyrannentum
einen würdigen Anstrich verpassen sollen, äußerst vorsichtig vorgehen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass eine Tyrannenherrschaft nicht in ein
Königtum umgewandelt werden kann, wenngleich der Tyrann gut beraten ist,
königlicher zu handeln oder zu wirken. Waren die Verfehlungen eines Ex‐Königs
nicht in einem zu fortgeschrittenem Stadion, so scheint eine Rückkehr zur
ursprünglichen Herrschaftsform möglich.
Es gibt Kategorien, die eine grobe Einordnung der Arten von Alleinherrschaft
möglich machen. Trotzdem erscheint die Vergegenwärtigung der Gegensätze
Tyrannis und Königtum auf einer Skala sinnvoll. So kann man gegebenenfalls
Abstände besser bemessen und beurteilen, ob entweder eine Rückkehr zum
Königtum möglich ist oder andererseits, ob der König noch als solcher bezeichnet
39 Nichols 2002 S.100 40 Edb. 41 Höffe 2001 S.144 42 Nichols 2002 S.100 / Höffe 2001 S.144
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werden kann, wenn er tyrannische Elemente in seiner Herrschaft zulässt.
Der perfekte Mensch existiert anscheinend nicht in Reinform. Das Königtum kann
also nicht allein aufgrund dieser Vorstellung definiert werden. Da es aber
Individuen zu geben scheint, die den Beschreibungen eines hervorragenden
Menschen ziemlich nahe kommen, kann ein Königtum ‐ vor allem in sehr kleinen
Staaten ‐ existieren, wenn man den ein oder anderen Fehler des Monarchen
tolerieren kann. Diese Aufgabe fällt dem Volke zu. Dieses muss anhand der Skala,
anhand der man im Stande ist, nicht nur schwarz oder weiß zu unterscheiden,
entscheiden. Der geschickte Tyrann hat dabei die Möglichkeit, sein Volk durch
königliche Taten zu blenden. Der grausame Monarch kann aber nie wirklich König
werden. Gerade weil der Anspruch „beste Verfassung“ an das Königtum geknüpft
ist, sind Spielräume für den ehrgeizigen Tyrannen sehr eng.
VIII Alleinherrschaft heute
Um zu verdeutlichen, dass Aristoteles auf dem Gebiet der Monarchieforschung
nicht nur an der Legung der Grundsteine beteiligt war, wird in diesem, letzten
Kapitel nun das gleiche Maß an heutige Formen der Alleinherrschaft gelegt, dass
auch schon für Fälle zu Aristoteles` Zeiten gedient hatte.
Dass es auch heute noch Monarchen gibt ist klar. Unser Verständnis von
Monarchien hat sich gewandelt. Die offiziellen Zusätze konstitutionell oder
parlamentarisch zeigen diesen vollzogenen Wandel auf und weisen darauf hin,
dass es sich hierbei nicht mehr wirklich um Alleinherrschaftssysteme handelt.
Trotzdem existieren wahre Monarchien nach wie vor.
Die Einordnung von modernen Diktaturen wie Nordkorea, Iran (de‐facto), Hitler‐
Deutschland, die stalinistische Herrschaft und Mussolinis Italien fällt nicht schwer.
Es wird auch schnell klar, dass diese meist den Weg eingeschlagen haben (und
einschlagen), den Aristoteles als Herrschaftserhaltung nicht empfiehlt: die
Totalitarisierung.
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Doch gibt es heute noch Königtümer im Sinne des von Aristoteles` geschilderten,
gerechten Herrschers? Die Frage ist nicht grundsätzlich mit Nein zu beantworten.
Es gibt einige Beispiele, die zumindest einige Faktoren aufweisen, die auf ein
Königtum hindeuten.
Liechtenstein ist ein Paradebeispiel für ein modernes Fürstentum. Natürlich gibt es
dort längst ein Parlament. Doch die Herrschaftsform des Fürstentums ist trotz
Verfassung nicht das, was wir heute unter parlamentarisch verstehen. Der dortige
Fürst kann das Legislativorgan jederzeit auflösen. Der Regierungschef ist nur
aufgrund seiner Gunst handlungsfähig. Kein Gesetz kann ohne die Zustimmung des
Fürsten erlassen werden. Faktisch liegt die Macht in den Händen des Fürsten.
Außerdem heißt es in Art. 7 Abs. 2: „Die Person des Landesfürsten untersteht nicht
der Gerichtsbarkeit und ist rechtlich nicht verantwortlich.“43 Ein pambasilein?
Aristoteles stellt fest, dass reine Königtümer nur als solche zu bezeichnen sind,
wenn keine Regeln (keine Verfassung) vorhanden sind. Es ist aber auch sinnvoll,
sich durch Regeln zu verpflichten, selbst Maß zu halten in jeder Hinsicht der
Herrschaft. Dies vermeidet unter Umständen den Eindruck beim kritischen Volk,
dass eine Tyrannis entstehen könnte. Wenn diese Selbstbindung durch eine
geschriebene Verfassung festgelegt ist, erscheint eine Konstitution durchaus
sinnvoll.
Schiebt man neben diesen Überlegungen auch noch die oben erwähnte
Anforderung durch das Argument der faktischen Herrschaft beiseite, lässt sich
durchaus feststellen, dass ein Königtum (in dieser Größe!) möglich wäre. Dafür
spräche die Möglichkeit der Bürger, den Fürsten abzusetzen44, oder mit ihrer
Gemeinde aus der Monarchie auszutreten. Von dieser Möglichkeit hat das Volk
(dank überragender Herrschaftsausübung?) noch nicht Gebrauch gemacht. Der
Fürst handelt mit Zustimmung seiner Bürger. 45
43 Verfassung des Fürstentums Liechtenstein Art.7 Abs.2 44 Die Bürger können den Fürsten, nicht aber das Parlament absetzen. 45 Zu diesem Absatz: Belege siehe Verfassung des Fürstentums Liechtenstein
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In der islamischen Welt gibt es einige Beispiele, die noch eindeutiger sind. Die
Verfassung von Brunei existiert zwar, ist jedoch seit mehreren Jahrzehnten außer
Kraft. Hier regiert ein Sultan. Diese Alleinherrschaft trägt wenig grausame oder
ungerechte Züge. Ein anderes Beispiel führt uns in den Nahen Osten. Hier ist die
absolute Monarchie Katar zu nennen. Legislative, Exekutive und Judikative liegen
in der Hand des Emirs. Dieser sorgt für Wohlstand und Bildung. Er ist zugleich
betraut mit den Aufgaben der „Kultverrichtungen“ (in diesem Falle der Islam).
Alle drei Beispiele, möge man sie nun als wirkliche Monarchien bezeichnen oder
nicht – haben zwei zentrale Dinge gemeinsam: erstens herrschen die (mit großer
Machtfülle ausgestatten) Monarchen mit Zustimmung des Volkes und zweitens ist
das Herrschaftsgebiet nicht allzu groß. An dieser Stelle sei auf den Zusammenhang
von Staatsgröße und Königtümern angespielt, wenngleich diese Staaten
bevölkerungszahlenmäßig nicht mit den antiken Kleinstaaten zu vergleichen sind.
Auch kann man vom Wohlstand nicht auf das alleinige Verdienst des Herrschers
am Volke schließen. Öl und andere, günstige Rahmenbedingungen sind als Gründe
aufzuführen.
Öl hat auch der bei weitem größere Staat Jordanien. Hier regiert König Abdullah II.
Der arabische Staat ist eine konstitutionelle Monarchie mit Parlament. Durch die
eindeutige Mehrheit der königstreuen Stammesführer (vergleichbar mit den
Freunden des Königs bei Aristoteles) regiert faktisch der König alleine. Wichtig ist,
dass der König nicht auf die Gunst der Stammesführer angewiesen ist und nicht
auch nur ihretwegen regieren kann. Königstreu ist hier im Sinne von unterwürfig
zu verstehen.
Ein besonders markantes Zeichen der Macht des Königs ist die fortwährende
Neubesetzung der „Regierung“, die allein dem Monarchen zusteht. Auch in diesem
Land ist das Ziel des Königs die Förderung des angenehmen Lebens aller.
Traditionsgemäß empfängt er mehrmals im Jahr persönlich mehrere Tausend
Bittsteller aus seinem Volk in einem Beduinenzelt in der Wüste.
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Es zeigt sich also, dass bei der heutigen Größe der Staaten nicht behauptet werden
kann, dass genau der Eine regiert, der alle anderen miteinander überragt.
Vielmehr handelt es sich dort um Königtümer, wo zwar hohe Anforderungen an
eine qualifizierte Person existieren46, die Alleinherrschaft aber durch andere
Umstände einfacher (im Vergleich zu anderen Länder und deren Umständen) wird.
Die Könige erkennen den Staatszweck und wollen ihn umsetzen. Im Emirat Katar
werden beispielweise die finanziellen Erträge einer Ölquelle komplett in das
Bildungssystem investiert. Solche und weitere Beispiele führen dazu, dass die
Bürger das Königtum als Herrschaftsform anerkennen und dessen Erhalt (natürlich
immer mit einigen Ausnahmen) begrüßen.
46 Ungeachtet davon, dass es sich meist um Erbmonarchien handelt, haben die Herrscher meist eine fundierte, wissenschaftliche (Aus-)Bildung genossen.
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IX Quellenverzeichnis:
Primärliteratur Aristoteles: Politik, übersetzt und herausgegeben von O. Gigon. München. Auflage 8. 1998. Sekundärliteratur Aristoteles: Politik, übersetzt von E. Schütrumpf, erläutert von E. Schütrumpf und H.‐J. Gehrke. 4 Bände. Berlin 1996. O. Höffe: Aristoteles, Politik. Berlin 2001. G. Bien: Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles. Freiburg 1973. R. Kraut: Aristotle, Political Philosophie. Oxford 2002. M.P. Nichols: Citizens and Statesmen – A study of Aristotle’ “Politics”. Lanham 1992. R.G. Mulgan: Aristotle`s Political Theory. Oxford 1977. Verfassung des Fürstentums Liechtenstein. Stand 2003. Eigenständigkeitserklärung Diese Arbeit ist einzig und allein das Werk von mir, Daniel Wolfgang Karl Schamburek. Sie ist eigenständig abgefasst. Es wurden keine Quellen verwendet, die nicht im Quellenverzeichnis aufgelistet sind.