Politische Parteien
Teil 1 - Träger politischer Ideen Schweizer Parteien
• Herausbildung der Schweizer Parteien
• Charakteristika des Parteiensystems im Vergleich - Entwicklungstendenzen
• Parteiorganisationen
Politische Parteien
Die Herausbildung der Schweizer Parteien
• Organisationen des wahl- und stimmberechtigten Volkes („Kinder der Volksrechte“)
• Initiierung:– Gruner (1977): Basismobilisierung beim Kampf
um direktdemokratische Mitwirkung– Jost (1986): Auslöser von oben: aus bereits
existierenden nicht-politischen Gesellschaften und den zahlreichen Zirkeln von Notabeln entstanden.
Politische Parteien
Vier klassische Konfliktlinien für die Schweiz (Fagagnini 1988: 124):
• der Verfassungskonflikt: liberale gegen konservative Staatsauffassungen;
• der Staat-Kirche-Konflikt, bei dem nochmals konservative, vor allem katholische Auffassungen im Kulturkampf auf liberale Opposition stiessen;
• der soziale Konflikt, der ein sozialistisches/sozialdemokratisches und ein bürgerliches Lager ausdifferenzierte;
• regionale (Stadt-Land) Konflikte, die insbesondere zur selbständigen Vertretung bäuerlicher Interessen führten.
Politische Parteien
Das Schweizer Parteiensystem
Zwei grundlegende Merkmale:
– Vielzahl politischer Parteien
– Grosse Stabilität
Politische Parteien
Vielzahl von Parteien
• Horizontale Fragmentierung (1999: FDP, CVP, SVP, SPS, LPS, CSP, GPS, GBS, LdU, EVP, PdA, EDU, SD und Lega)
• Vertikale Segmentierung (180 Kantonalparteien, 5000-6000 Lokalparteien)
Politische Parteien
Ursachen der Fragmentierung und Segmentierung des Parteiensystems
• strukturelle und kulturelle Charakteristiken des Landes sowie institutionelle Eigenheiten des politischen Systems:– Grosse sprachregionale und konfessionelle bzw.
allgemein soziale und kulturelle Heterogenität.– Staatliche Dezentralisierung, insbesondere der
Föderalismus und die Gemeindeautonomie. – Proporzwahlverfahren. – Direkte Demokratie.
Politische Parteien
Parteiensysteme im Vergleich:Zahl der Parteien
• Fragmentierung des Systems unter Einbezug der Bedeutung und Stärke der Parteien– Zahl der Parteien, die zählen (Sartori 1976)
• Aufnahme in Regierungskoalition• Vetoposition
– Problem CH: Direkte Demokratie, unter-schiedliche Parteistärken in den Kantonen
• Index „effective number of parties“ (Rae 1967): Grösse der Parteien wird einbezogen
Politische Parteien
Entwicklung der effektiven Zahl der Parteien seit 1919: Die Schweiz im europäischen Vergleich
0.0
1.0
2.0
3.0
4.0
5.0
6.0
7.0
8.0
1903
1911
1919
1927
1935
1943
1951
1959
1967
1975
1983
1991
1999
CH Nationale Ebene Durchschnitt Europa CH Kant. Durchschnitt
Politische Parteien
Parteiensysteme im Vergleich: Weitere Kriterien der Typologie von Sartori (1976)
• Ideologische Distanz zwischen den Parteien• Fragmentierung des Parteiensystems:
Zentrifugaler versus zentripetaler Wettbewerb (Richtung Extreme oder Mitte)
• CH: Moderater Pluralismus (national)• Kantone: Systeme variieren zwischen „Two-
partism“ (Innerschweiz) und „polarized multipartism“ (GE, ZH, BE, BS, BL, NE)
Politische Parteien
Verschiedene Versuche der Links-rechts-Verortung der Schweizer Parteien und ein internationaler Vergleich
Einschätzung durch: PdA SP GPS LdU EVP CSP CVP FDP SVP LPS SD FPSLokalparteipräsidenten 1)eigene Lokalpartei 1.4 3.3 3.3 4.8 5.5 5.6 6.3 6.9 7.0 8.0eigene Kantonalpartei 1.3 3.2 3.5 4.9 5.2 6.0 6.5 7.2 7.3 8.2eigene nationale Partei 1.4 3.2 3.7 4.4 5.3 6.2 6.4 7.5 7.2 8.3Kantonalparteipräsid. 2)eigene Kantonalpartei 1.0 2.6 2.3 4.6 4.7 5.4 6.8 7.3 6.8 7.8 8.4eigene nationale Partei 1.0 2.6 3.2 5.2 5.9 5.4 6.8 7.7 7.6 7.6 8.2mittlere Parteikader 3)eigene nationale Partei 2.9 3.8 5.7 6.4 6.5 7.7Wähler/AnhängerSchweiz 1995 4a) 3.8 3.4 5.8 6.1 6.8 7.1Schweiz 1999 4b) 3.1 5.7 6.1 6.7internat. Vergleich 5) 2.8 4.2 6.6 6.1 7.0WahlprogrammeSchweiz 6) 4.3 4.2 5.5 6.1 7.0internat. Vergleich 7) 3.3 4.0 4.8 5.4 5.9ExpertenSchweiz 8) 2.6 4.4 6.0 6.3 1) Lokalparteipräsidentenbefragung 1990 (vgl. Geser et al. 1994)2) Kantonalparteipräsidentenbefragung 1997 (NF-Projekt Ladner/Brändle)3) Untersuchung der mittleren Parteikader 1988 und 1989 (Sciarini et al. 1994: 110)4a) Analyse der Nationalratswahlen 1995, Klöti (1998)4b) Selects. Analyse der Nationalratswahlen 1999, Hirter (2000:23)5) Klingemann (1995: 194); Zeitraum: 1970er und 1980er Jahre6) Brändle (1997); Zeitraum: letzten 50 Jahre, eigene Berechnungen gemäss Klingemann (1995 Fn. 7)7) Klingemann (1995: 189)8) Huber/Inglehart (1995)
Politische Parteien
Polarisierung des Schweizer Parteiensystems
0.0
0.5
1.0
1.5
2.0
2.5
3.0
3.5
4.0
4.5
19
19
19
25
19
31
19
43
19
51
19
59
19
67
19
75
19
83
19
91
Basis LP
Basis H/I
Politische Parteien
Stabilität des Parteiensystems
• direkte Demokratie (konsensuale Konfliktlösungsmuster)
• Konkordanzprinzip (Beteiligung aller relevanten Kräfte, Zauberformel)
• Verankerung in den Gemeinden als Voraussetzung für die Etablierung einer Partei
Politische Parteien
Wählerstimmenanteile der Bundesratsparteien:
Nationalratswahlen 1919-1999
0
5
10
15
20
25
30
35
1919
1922
1925
1928
1931
1935
1943
1947
1951
1955
1959
1963
1967
1971
1975
1979
1983
1987
1991
1995
1999
FDP
CVP
SPS
SVP
Politische Parteien
Aggregierte Volatilität als Mass für die Stabilität: Die Schweiz im europäischen
Vergleich
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
19
20
-24
19
25
-29
19
30
-34
19
35
-39
19
40
-44
19
45
-49
19
50
-54
19
55
-59
19
60
-64
19
65
-69
19
70
-74
19
75
-79
19
80
-84
19
85
-89
19
90
-94
19
95
-99
Mittelwert L/E
CH
Politische Parteien
Parteiorganisationen• Indizien für die Schwäche der
Schweizer Parteiorganisationen– geringe Anerkennung durch den Staat (Art.
137 BV, seit 2000)– Benachteiligung gegenüber Interessen-
gruppen (und Bewegungen); Vernehm-lassungsverfahren, direkte Demokratie
– Schwache nationale Parteiorganisationen, wenig Ressourcen, kaum professionalisiert, geringe Homogenität
Politische Parteien
Ursachen der schwachen Schweizer Parteiorganisationen
• Kleinheit des Landes, soziale und kulturelle Heterogenität erschweren Rekrutierung (Milizsystem) und Integration der Interessen
• Föderalismus, Gemeindeautonomie, verunmöglichen zentralisierte Organisationen
• Direkte Demokratie: Parteien haben kein Monopol im Entscheidungsprozess
Politische Parteien
Parteiorganisationen: Merkmale
• Mitgliederzahl
• Gliederung (Zahl der kantonalen und lokalen Sektionen)
• Finanzielle Ressourcen
• Professionalisierung (Zahl der Stellen)
• Ideologische Verortung (Links-Rechts-Skala)
Politische Parteien
Mitgliederzahlen der Schweizer Parteienkorrigierte Zahlen "offizielle" Angaben*
FDP 87’000 150’000CVP 74’000 80’000SVP 59’000 80’000SPS 38’000 40’000
LdU 2'500 5’000Grüne 6’000 8'200EVP 3'500 4’000Liberale Partei 10’000 15’000Freiheitspartei 6'000 12’500SD 2’000 6’000Partei der Arbeit 2'000 4'000EDU 2000
Total Bundesratsparteien 258'000 350'000Total andere Part. 37'000 54'700
Total alle Parteien 295'000 404’700
Politische Parteien
Veränderung der Mitglieder in den letzten 10 Jahren
eher zugenommen
konstant eher abgenommen
eher zugenommen
konstant eher abgenommen
FDP 16.7 58.3 25 8.8 48.2 43CVP 21.7 39.1 39.1 5.7 26.6 67.7SVP 77.8 11.1 11.1 33.8 4.1 62.2SP 57.9 26.3 15.8 47 9.5 43.4
Total 47.8 27.9 24.3 21.9 27 51.1
Entwicklung Mitglieder gewichtet mit Anzahl Mitglieder
Politische Parteien
Untergliederung der Parteien
Kantonalparteien
Stadtkreis-/Quartierparteien(Zahl der Kantonalparteien mit Angaben)
Ortsparteien*(Zahl der Kantonalparteien mit Angaben)
Bezirks-/Kreis-parteien(Zahl der Kantonalparteien mit Angaben)
regionale Parteien(Zahl der Kantonalparteien mit Angaben)
Bundesratsparteien 143 (18) 3951 (80) 490 (50) 62 (12)
Nicht-Bundesratsparteien
47 (9) 383 (37) 185 (23) 11 (5)
Alle Parteien 190 (27) 4334 (117) 675 (73) 73 (17)
Schätzung 200 5000 700 80-90
* Ortsparteien der national organisierten Parteien. Nicht berücksichtigt sind unabhängige lokale Wählergruppen, deren Zahl Ende der 1980er Jahre rund 500 betrug (Geser et al. 1994: 11)
Politische Parteien
Finanzielle Ressourcen
Total (Mio. Fr.)
Ortsparteien 12
Kantonalparteien 18-20
Nicht-Wahljahr
Bundesparteien 10,5-12
Total 40,5-44
Ortsparteien 20-24
Kantonalparteien 30-34
Wahljahr
Bundesparteien 14,5-16
Total 64,5-74
Politische Parteien
Einnahmen der Kantonalparteien
FDP CVP SVP SP Mitgliederbeiträge 38 31 44 48Spenden 23 20 25 13Mandatsabgaben 16 32 25 34anderes 23 17 6 5
100 100 100 100N= 21 18 19 20
Politische Parteien
Einnahmen der Bundesparteien
FDP CVP SVP SP Mitgliederbeiträge 1 13 12 52Spenden 61 51 42 12Mandatsabgaben 2 4 7 7Fraktionsbeiträge 23 20 30 14anderes 13 12 9 10
100 100 100 100
Politische Parteien
Finanzielle Transfers: SP
Budget SP Schweiz Einnahmen von KP: 52 %
Mandatsabgaben: 24 Mitgliederbeiträge: 34 Spenden: 13 übrige Einnahmen: 14 Total: 85
Abgaben an BP: 16 %* Budget SP Kantonalpartei (KP) Einnahmen von LP: 15 %
Mandatsabgaben 15 Mitgliederbeiträge 70 Spenden 4 übrige Einnahmen 11 Total 100
Abgaben an KP 42 % Budget SP Lokalpartei (LP)
Mandatsabgaben: 7 Fraktionsbeiträge: 6 Spenden: 14 übrige Einnahmen 21 Total: 48
Finanztransfers Eigenfinanzierung
Politische Parteien
Finanzielle Transfers: FDP
Budget FDP Schweiz Einnahmen von KP: 1 %
Mandatsabgaben: 18 Mitgliederbeiträge: 25 Spenden: 9 übrige Einnahmen 19 Total: 71
Abgaben an BP: 2,6 % Budget FDP Kantonalpartei (KP) Einnahmen von LP: 29 %
Mandatsabgaben: 5 Mitgliederbeiträge: 78 Spenden 6 übrige Einnahmen 11 Total: 100
Abgaben an KP: 22 % Budget FDP Lokalpartei (LP)
Mandatsabgaben: 3 Fraktionsbeiträge: 28 Spenden: 56 übrige Einnahmen 12 Total: 99
Finanztransfers Eigenfinanzierung
Politische Parteien
Ideologische Verortung: Die Kantonalparteien auf der Links-rechts-Achse
Part
ei
FDP
CVP
SVP
SP
GPS
Links-rechts-Skala
10987654321
34
Politische Parteien
Einstellung zum EU-Beitritt (Mitglieder aus Sicht der kantonalen Partei-
präsidenten, Durchschnittswert; Anteil Kantonalparteien)
Pro EU-Beitritt
Prozentanteil Mitgl. im Durchschnitt
Anteil KP klar dagegen
Anteil KP unentschieden
Anteil KP klar dafür
FDP 58 22 39 39CVP 53 41 18 41SVP 14 94 6 0SP 82 0 4 96GPS 60 15 39 46
Politische Parteien
Einstellung zum Abbau der Sozialausgaben (Mitglieder aus Sicht der kantonalen
Parteipräsidenten, Durchschnittswert; Anteil Kantonalparteien)
Pro Abbau Sozialausgaben
Prozentanteil Mitgl. im Durchschnitt
Anteil KP klar dagegen
Anteil KP unentschieden
Anteil KP klar dafür
FDP 66 13 35 52CVP 32 68 27 5SVP 65 19 19 63SP 3 100 0 0GPS 6 100 0 0
Politische Parteien
Einstellung zur Mutterschaftsversicherung (Mitglieder aus Sicht der kantonalen
Parteipräsidenten, Durchschnittswert; Anteil Kantonalparteien)
Pro Mutterschaftsversicherung
Prozentanteil Mitgl. im Durchschnitt
Anteil KP klar dagegen
Anteil KP unentschieden
Anteil KP klar dafür
FDP 30 73 18 9CVP 61 27 27 46SVP 21 94 0 6SP 89 0 8 92GPS 91 0 8 92
Politische Parteien
Einstellung zur Heroinabgabe (Mitglieder aus Sicht der kantonalen Parteipräsidenten, Durchschnittswert; Anteil Kantonalparteien)
Pro kontrollierte Heroinabgabe
Prozentanteil Mitgl. im Durchschnitt
Anteil KP klar dagegen
Anteil KP unentschieden
Anteil KP klar dafür
FDP 57 17 44 39CVP 55 27 18 55SVP 18 83 17 0SP 80 4 9 86GPS 87 0 8 92
Politische Parteien
Einstellung zur Fristenlösung (Mitglieder aus Sicht der kantonalen Parteipräsidenten,
Durchschnittswert; Anteil Kantonalparteien)
Pro Fristenlösung
Prozentanteil Mitgl. im Durchschnitt
Anteil KP klar dagegen
Anteil KP unentschieden
Anteil KP klar dafür
FDP 69 5 29 67CVP 36 67 14 19SVP 31 67 33 0SP 84 0 0 100GPS 89 0 0 100
Politische Parteien
Zusammen-setzung
der Partei-wähler-schaft
SP CVP FDP SVPReligionprotestantisch 52 17 55 54katholisch 32 78 32 34
Bildungsgradtief 11 18 7 15mittel 38 57 50 62hoch 51 25 43 23
Haushaltseinkommenbis 3000 8 15 6 103000 bis 5000 20 31 21 315000 bis 9000 43 38 40 449000 und mehr 29 16 33 15
Sprachregiondeutsch 75 65 78 95französisch 20 29 15 4
Wohngegendgrosse Stadt 50 20 43 38mittlere Stadt 31 43 30 29Dorf 19 37 27 33
Alter n.S.Geschlecht n.S.
Quelle: Hans Hirter, Selects, Wahlen 1999, S. 21
Politische Parteien
Parteiorganisationen im Wandel
• Herausforderungen – Mitglieder – Wählerattraktivität– Professionalisierung - Milizprinzip– Finanzierung: Fundraising – Staat?– Ideologie – Issue-Orientierung
• Parteitypen?