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Psychologische Behandlung von (Kopf-)Schmerzpatienten
Mag. Birgit HoheiselKlinische und Gesundheitspsychologin
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Überblick
Klassifikation von SchmerzSchmerzanamneseSchmerzdiagnostik
■ Psychologische Methoden■ Physiologische Methoden
Schmerzbehandlung■ Psychologische Methoden■ Medikation
NEUROPSYCHOLOGISCHES SCHMERZMODELL
CHRONISCHERSCHMERZ
KOGNITIVEFUNKTIONSSTÖRUNG
GEISTIGEANFORDERUNG
ABNORMGESTEIGERTE
WACHHEIT/ERREGBARKEIT
PHY
SIO
LO
GIS
CH
EE
BE
NE
SKELETTMUSKELVERSPANNUNGEN
PSYCHOPHYSIOLOGISCHEREAKTION
STRESS-SYMPTOME
• SCHMERZFOKUSIERUNG
• GEISTIGE FEHLLEISTUNG
• VERHALTENSÄNDERUNGEN
• DEPRESSION
• ANGSTPSY
CH
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Kognitive Störungen bei Lösung komplexerAufgaben rufen physiologische Reaktionenhervor, die das Schmerzerleben verstärken.Psychologische Reaktionen sind die Folge.Schmerzbehandlung muß daher immer diekognitiven Störungen berücksichtigen, umdie Schmerzspirale zu durchbrechen.
J. Maly 1999
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Schmerz?
„Volkskrankheit“ Kopfschmerz■ Migräne■ Spannungskopfschmerz■ Medikamenteninduzierter
Kopfschmerz■ Cluster-Kopfschmerz
■ Schmerzstörung bedingt immerder ärztlichen Abklärung!!!
Weitere Schmerzerkrankungen
Rheumatische Erkrankungen■ Fibromyalgie■ Gicht■ Osteoporose■ Chronische Polyarthritis
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Klassifikation von SchmerzenBis heute existiert kein allgemein anerkanntes Klassifikationssystem von SchmerzsyndromenMultiaxiales System vorgeschlagen (MASK; Klinger et al., 1992)Beschreibung des Schmerzproblems auf■ Motorik und Verhalten■ Emotionen■ Kognitionen■ Stressoren (Belastungen)■ Personenmerkmale
Diagnose Migräne (nach IHS)
Mind. 5 Attacken zuvorAttackendauer unbehandelt 4-72 StundenSchmerz meist einseitig auftretend (okziptial oder frontal) Schmerzqualität ist pulsierend-pochendZunahme des Schmerzes mit körperlicher BetätigungBegleitsymptome
■ Übelkeit und/oder Erbrechen■ Licht-, Lärm- und
Geruchsempfindlichkeit
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Auslösefaktoren MigränePrädisposition
■ Genetik■ Dysfunktion serotonerges System
Triggerfaktoren■ Streß (Erwartungsangst, Entlastung nach
Stress)■ Hormone, v. a. Östradiol und Progesteron
• Perimenstruelle Migräne• Pille
■ Biorythmik■ bestimmte Nahrungsmittel (z.B. Käse), Wetter
Häufigkeit MigräneEpidemiologie
■ Lebenszeitprävalenz (Rasmussen et al., 1991)15-25% aller Frauen, 6-8% aller Männer
■ Höchste Inzidenz zw. 35. und 45. Lebensjahr Frauen 3x häufiger betroffen
■ Kinder/Jugendliche – 1-Jahres Inzidenz(Stewart et al., 1996)
0,1% bei männlichen Jugendlichen, 10-11a0,2% bei weiblichen Jugendlichen, 14-17a
■ Migränehäufigkeit weltweit nicht gleichverteilt Europäer und Nordamerikaner deutlich höhere Werte gegenüber Asiaten und Afrikanern
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Diagnose Spannungskopfschmerz (nach IHS)
Schmerz ist typischerweise■ meist beidseitig und holocephal (meist von
okzipital beginnend)■ Schmerzqualität ist dumpf-drückend, ziehend■ Schmerzintensität gering bis mäßig■ Keine Zunahme bei körperlicher Betätigung■ Übelkeit sowie Phono- und Photophobie
fehlen meist (Differentialdiagnostik Migräne!!)
Diagnose Spannungskopfschmerz II
Je nach Anzahl der Episoden ■ Unterteilung in
episodisch (< als 180 Tage/Jahr) oder chronisch (> als 180 Tage/Jahr) (nach IHS)
Dauer ■ 30 min bis 7 Tage ■ Dauerkopfschmerz
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Auslösefaktoren Spannungskopfschmerz
Stress■ Psychosozial ■ Muskulär erhöhte Sensivität der
peripheren Nozizeptoren empfindlicher auf Schmerzreize
Angst- oder affektive Störungen (meist Depression)
Auslösefaktoren Spannungskopfschmerz II
Analgetikaabusus (vor allem Frauen betroffen)Dysfunktion des serotonergenTransmittersystems bzw. Änderungen im endogenen Opioidsystem■ Ergebnisse aber widersprüchlich■ Frage ob Ätiologie oder Reaktion auf
Schmerzen
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Häufigkeit Spannungskopfschmerz
Epidemiologie■ Lebenszeitprävalenz
Chronischer Typ 3%Episodischer Typ 20-30%Prävalenz nimmt mit Alter zu
■ Verhältnis Frau:Mann = 1,5:1■ Beginn meist im 2. Lebensjahrzehnt
Somatoforme Schmerzstörung I(F 45.4, ICD-10)
Andauernde Schmerzen, die durch körperliche Störung nicht vollständig erklärt werden könnenChronisch (mehrjährige Dauer) mit vielfältigen, rezidivierenden und fluktuierenden körperlichen BeschwerdenMeist komplizierte medizinische Vorgeschichte mit vielen Diagnosen
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Somatoforme Schmerzstörung II
Der Schmerz tritt in Verbindung mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Problemen auf, die schwerwiegend genug sind, um als entscheidende ursächliche Einflüsse zu gelten.Durch die Schmerzsymptomatik erfolgt eine beträchtliche persönliche oder medizinische Betreuung oder Zuwendung.Die Diagnosestellung erfordert ein Bestehen der Beschwerden über mindestens sechs Monate.
Schmerzanamnese I
Aktuelle Beschwerden■ Schmerzqualität■ Lokalisation■ Häufigkeit und Dauer■ Intensität■ Beeinträchtigung in verschiedenen
Funktionsbereichen
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Schmerzanamnese II
Krankheitsentwicklung (Zeitachse)
■ Chronologie bisheriger Beschwerden
■ Krankheiten, Unfälle, Operationen■ Lebensbedingungen
Vor Beginn der BeschwerdenSeit Beginn der Beschwerden
Schmerzanamnese III
Einflussfaktoren und Bedingungen■ Verstärker■ Lindernde Faktoren■ Beeinträchtigung/Behinderung■ Reaktionen der Umwelt■ Bewältigungsversuche inkl. bisherige
Therapie (Einschätzung der Effektivität)
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Schmerzanamnese IV
Lebenssituation■ Beruf (Arbeitsstil, Ziele, Arbeitsklima)■ Familie/Partnerschaft
(Partnersituation, Sexualität, Wohnsituation, sozioökonomischer Status, Rollenfunktionen in Haushalt, Erziehung, ..)
■ Freizeitverhalten (Hobbies, Freunde)Veränderungen seit/durch die Beschwerden
Schmerzanamnese V
Familienanamnese/Biographie■ Familienstruktur■ Schmerz in der Familie■ Weltbild■ Erziehungsstil■ Konflikte■ Krankheiten und Todesfälle bei
Angehörigen (Zeitachse)
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Schmerzanamnese VI
Persönlichkeit■ Selbstbeschreibung■ Fremdbeurteilung■ Stressbewältigung■ Schulische/berufliche Entwicklung■ Freundschaften/Beziehungen
Veränderungen seit/durch Beschwerden
Schmerzanamnese VII
Subjektives Krankheitskonzept■ Subjektives Erklärungsmodell■ Interne vs. Externe
Kausalattributionen■ Interne vs. Externe
Kontrollattributionen■ Aktive vs. Passive
Veränderungserwartung
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Psychologische Diagnostik von Schmerzstörungen I
Neuropsychologischer StatusSchmerzskalen
■ Visuelle Analogskala, numerische Ratingskalen, Verhaltensratingskalen
Schmerztagebücher (Selbstbeobachtung)■ Stunden-, Tages- und Wochenprotokolle
Schmerzfragebögen■ Schmerzverhalten, Bewältigungsverhalten,
Einstellungen gegenüber Schmerz
Psychologische Diagnostik von Schmerzstörungen II
Psycho(patho)logische Fragebögen■ Angst, Depression, Suizidalität
Verhaltensbeobachtung (Fremdbeobachtung)
■ Kommunikation, Schmerzbewältigung, Lebensweise, Therapie, körperliche Aktivität
Psychophysiologische Methoden■ Muskelaktivität, Atemfrequenz
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Neuropsychologischer StatusBewusstseinslage
■ Wach, schläfrig, …
Orientierung■ Zeitlich, örtlich, zur Situation und zur Person
Sprache■ Verständlich, Wortfindung, Wortflüssigkeit
Wahrnehmung■ Gesichtsfeld, Hören,
Verhalten
Schmerzdiagnostik I
Erfassen von Schmerzerleben und –verhalten
■ Schmerztagebuch■ Numerische Ratingskala■ Schmerzempfindungsskala (SES)■ Tübinger Bogen zur Erfassung von
Schmerzverhalten (TBS)
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Schmerzdiagnostik IIErfassen von kognitiver Schmerzverarbeitung
■ Fragebogen zur Erfassung der Schmerzverarbeitung (FESV)■ Kognitive Schmerzbewältigung
■ Handlungskompetenzen■ Kogn. Umstrukturierung■ Kompetenzerleben
■ Behaviorale Schmerzbewältigung■ Mentale Ablenkung■ Entspannungstechniken■ Gegensteuernde Aktivitäten
■ Schmerzbedingte psychische Beeinträchtigungen■ Schmerzbedingte Hilflosigkeit und Depression■ Schmerzbedingte Angst■ Schmerzbedingter Ärger
Schmerzdiagnostik III
Erfassen von Schmerzbewältigungs-strategien (Coping)
■ Chronic Pain Coping Inventory(CPCI-42)
■ Heidelberger-Copingfragebogen-Schmerz (HCB-S)
■ Fragebogen zur Erfassung von Coping-Reaktionen in Schmerzsituationen (CRSS)
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Schmerzdiagnostik IV
Erfassen schmerzbezogener Beeinträchtigung/Behinderung
■ Pain Disability Index (PDI)■ Funktionsfragebogen Hannover
(FFbH)
Schmerzdiagnostik VErfassen schmerzassoziierter psychologischer Dimensionen
■ DepressionBeck Depressions Inventar (BDI)
■ AngstState Trait Anxiety Inventory (STAI)
■ BefindlichkeitSymptom Checkliste (SCL 90R)
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Psychophysiologischer Status
NeuromuskulärElektrodermalKardial (z. B. Pulsfrequenz)Respiratorisch (Atemfrequenz)Stressprofil
Welche Parameter steigen bei Stress?
SchmerzmessungAlgesimetrie
3 KomponentenSubjektives ErlebenBeobachtbares VerhaltenPhysiologische Prozesse
Neue Methode (PainMatcher®)WahrnehmungsschwelleSchmerzschwelle
Schmerz ist ein “subjektivesPhänomen”
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Hinweise auf eine somatoforme Schmerzstörung
Bestehen "typischer" Symptome: Rückenschmerzen, Gelenksschmerzen, (Kopfschmerzen)Beschwerdeschilderung affektiv wenig adäquat: Wortreich-klagsam oder wenig affektive Beteiligung Vorliegen "psychischer Randsymptome": Konzentrationsstörungen, Angst, Depressionen, Unruhe.Lange Anamnese und Krankengeschichte ("big chart") Häufiger Arztwechsel ("doctor shopping")
Hinweise auf somatoformeSchmerzstörung II
Multiple Beschwerden in unterschiedlichen OrgansystemenHäufiger Symptom – bzw. SyndromwandelÄhnliche Beschwerden bei näheren BezugspersonenAuffällige Diskrepanz zwischen objektiven Befunden und subjektiven Beschwerden
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Erklärungsversuche
SORCK-ModellSchmerzstörungsmodellStress
PsychosozialMuskulär
Neuronale Dysfunktionen (Serotonin)
Das SORCK-Modell
Theorie des operanten Lernens dient der Verhaltensanalyse
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Schmerzstörungsmodell
Kognitiv-verhaltenstherapeutisches Modell der Schmerzstörung
⇒ körperliche Schädigung
W ahrnehm ung
Auslöser
Aufm erksamkeits-fokusierung (checking behavior)
GedankenGefühle
Körperreaktion•Erhöhte E rregung•M uskelanspannung•Schonhaltung
•Bedrohung, Gefahr•Unerträglichkeit•Unkontrollierbarkeit
•Angst•Hilflosigkeit
⇒ psychosoziale Belastungen
Schm erz
•Depressivität•Aggressivität
Schmerzbehandlung
Psychologische Methoden■ Entspannung
Autogenes TrainingMuskuläre EntspannungBiofeedback
■ Schmerzbewältigungstraining■ Stressbewältigungstraining■ Kognitive Therapie
Medikamentöse Behandlung
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EntspannungAutogenes Training■ 4 Basisübungen
Ruheübung („Ich bin ganz ruhig“)Schwereübung („Beide Arme und Hände sind ganz schwer“)Wärmeübung („Beide Arme und Hände sind ganz warm“)Atemübung („Ich atme ruhig und gleichmäßig“)
■ Kopfübung („Die Stirn ist angenehm kühl“)Entspricht einer alternativen Methode, wonach das Aufbringen kühler Substanzen den Schmerz lindert
Muskuläre EntspannungProgressive Muskelentspannung (Jacobson)■ Entspannungsinduktion überwiegend
autosuggestiv und aktiv-übend■ Entspannungsreaktion vorwiegend im
muskulären Bereich■ „Muskelsinn“ Gefühl für entspannte und
angespannte Muskulatur zu bekommen■ Ziel: Patient kann auf Muskelverspannung
mit Entspannungsübungen reagieren
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Biofeedback
Apparative Erfassung eines physiologischen Prozesses und dessen ständige Rückmeldung an den PatientenRückmeldung von Vorgängen, ■ die nur unzureichend wahrgenommen
werden■ die sich der willkürlichen Kontrolle
weitgehend entziehen
Biofeedback
Verwendet operantes LernparadigmaTransfer in den Alltag mittels Üben der Entspannungsmethoden auch Zuhause, am Arbeitsplatz, … enorm wichtig!!
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Biofeedback IIIMigräne■ Vasokonstriktionstraining willkürliche
Verengung der Arteria temporalis superficialis■ Handerwärmung
Schmerzbewältigungstraining1. Schritt: von Schmerzen ablenken können■ Gesunde Teile herausarbeiten Ressourcen■ Konzentriert sich weg vom Schmerz, z. B. durch
Gedankenreise
2. Schritt: Schmerzen verarbeiten dürfen■ Sich selbst wichtig nehmen■ Besserer Umgang mit sich selbst■ Auf Bedürfnisse achten■ Diskrepanz in Wertvorstellung, z. B. Arbeit/Familie
3. Schritt: Schmerzen annehmen■ Transfer in den Alltag
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StressbewältigungstrainingPatient soll mittels Training interne und externe stressauslösende Bedingungen wahrnehmen Sowie darauf mit angepassten Verhaltensweisen reagieren könnenTrainingsschritte■ Stressanalyse■ Entspannungstechnik erlernen■ Gegenkonditionierung durch systematische
Stressinduktion■ Transfer in den Alltag
Kognitive TherapieGrundannahme■ Alle Schmerzen werden kognitiver
Bewertung unterzogen■ Patient erlebt sich hilflos■ Glaubt keine Kontrolle über Schmerzen zu
habenPrimäre Ziele: ■ Förderung der Selbstkontrolle ■ Aufbau von Kompetenzverhalten■ Unterstützung der Eigenverantwortung
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Kognitive Therapie IISchmerzwahrnehmung wird auf 3 Komponenten aufgeteilt■ Sensorisch■ Emotional■ Kognitiv
Individuelles Schmerzmodell hinterfragen und auf 3 Komponenten auflösenFunktionsniveau des Patienten soll verbessert, Bewältigungsstrategien vermittelt und Selbsteffizienz erhöht werden
Medikamentöse Behandlung der Migräne
Antiemetika■ Zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen
Analgetika■ Acetylsalicylsäure (z. B. Aspirin®)■ Paracetamol (z. B. Mexalen®)
Migränemittel■ Triptane = 5HT-Agonisten■ Vasokonstriktorisch, Hemmung von nozizeptiven
Afferenzen■ Zomig®, Eumitan®, Imigran®, Maxalt®
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Medikamentöse Therapie des Spannungskopfschmerzes
Analgetika■ Nur bei subjektiv unerträglichen KS einsetzten
Vorsicht: Medikamentenabususmedikamenteninduzierter KS!
Myotonolytika■ NW: Schwindel und Müdigkeit
Antidepressiva (bei chronischem Typ)■ Aktivierung endogener analgesierender Systeme
und Anhebung der Schmerzschwelle■ Saroten®, Efectin®
ProblemeStudien (Rasmussen et al., 1991) zeigten, dass Kopfschmerzpatienten keine effektive Therapie erwarten und daher gar nicht zum Arzt gingenMeistens wird trotz Schmerz weitergearbeitet, allerdings mit erheblichen Leistungseinbußen
Oft wird Schmerzpatienten nicht geglaubt bzw. ihre Schmerzen nicht ernst
genommen!
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ConclusioAusführliche Schmerzanamnese und Schmerzdiagnostik notwendigIndividuell Therapie abstimmen■ Migräne
Stress- und Schmerzbewältigung, Vasokonstriktion, Entspannung
■ SpannungskopfschmerzMuskuläre Entspannung, Stress- und Schmerzbewältigung
Schmerzpatienten ernst nehmen –empathisches Vorgehen!
Wohin kann man sich wenden?
Grundsätzlich kann niedergelassener Neurologe Kopfschmerzen gut diagnostizieren Überweisung zu PsychologenSpezialfälle (interdisziplinär)
Schmerzambulanz am AKH (Ebene 9)Kopfschmerzambulanz am AKH (Ebene 6)Kinderkopfschmerzambulanz am AKHSonderkrankenanstalt Baden (Rheumaklinik)