Referat
Handlungstheoretische Ansätze der kulturhistorischen Schule
Kulturhistorische Schule„Die Kulturhistorische Schule benennt eine Arbeitsgruppe von sowjetischen Psychologen, die in ihren Schriften die Marxsche Auffassung, nach der es einen Zusammenhang zwischen menschlicher Tätigkeit und Menschlichen Bewusstsein gibt, aufgegriffen und versuchten, diese Annahme durch ihre Arbeiten zu untermauern. Hauptschwerpunkt der Forschung war die Beweisführung,dass äußere bzw. gegenständliche Tätigkeiten schrittweisein innere psychische Strukturen umgewandelt werden.Entwicklung stellt nach Ansicht der kulturhistorischenSchule immer einen dialektischen Prozess zwischenErziehung und Abneigung sowie persönlicher Sinnbildungund gesellschaftlicher Bedeutung dar.“ (Vgl.: FIEN / KOCH / SCHWOHL 1994)“
Kulturhistorische Schule„Wir, die Mitarbeiter des Instituts, fuhren zum II. Psychoneurologischen Kongress nach Leningrad 1924,und dort sah ich zum ersten Mal Lew Semjonowitsch WYGOTSKI.Ans Rednerpult ging ein junger Mann, dessen Vortragsowohl inhaltlich als auch der Form nach in Erstaunen versetze“ (LURIJA 1988, 165).
Kulturhistorische Schule Lurijas erste Begegnung mit WYGOTSKI
Mann „von kleinem Wuchs, gut rasiert, mit schwarzen Haaren, einem schönen Gesicht und einem kleinen Zettel in der Hand“ (LURIJA 1988, 167),
Beeindruckende Rhetorik
Klare Gedankengänge
Kulturhistorische Schule WYGOTSKI Vortrag von Wygotski mit dem Titel „Das Bewusstsein
als Gegenstand der Psychologie“ Wygotski sah menschliches Verhalten als eine
Aneinanderreihung von Reflexen an. Leiter des Psychologischen Institut in Moskau bot
Wygotski eine Stelle an. Wygotski bildete mit Leontjew und Lurija die
Arbeitsgemeinschaft „Troijka“ Hauptaufgabe der „Troijka“: den Gegenstand der
Psychologie neu zu definieren Neubestimmung des Bewusstseins- oder Subjektbegriffs
und die damit verbundene zentrale Bedeutung der Sprache als kulturell vermitteltes Werkzeug stand.
Kulturhistorische Schule Untersuchung: Zusammenhang zwischen menschlicher
Tätigkeit und dem menschlichen Bewusstsein
Annahme: äußere Tätigkeit Gegenstände hervorzubringen, die schrittweise in innere (d. h. psychische) Strukturen umgewandelt werden
Lernen und Entwicklung: bezieht sich auf historischer
Gewohnheiten und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung
Kulturhistorische Schule• Bedarf: Der Bedarf ist ein physiologischer
Mangelzustand.
• Bedürfnis: Das Bedürfnis ist die emotional erlebte vorgreifende Widerspiegelung des Prozesses der Bedarfsdeckung, es ist abhängig von allen bisherigen emotionalen Bewertungen, insofern ist die Bedürfnisentwicklung ein fortwährender Prozess.
• Motiv: Das Motiv ist die gegenständliche Grundlage der Tätigkeit; das, worin sich das Bedürfnis vergegenständlicht/ worauf es sich richtet; das, wodurch das Bedürfnis befriedigt werden kann
Kulturhistorische Schule• Tätigkeit: dialogischer und kooperativer Zugang auf die
Welt; mit dem Begriff Tätigkeit sind Aktivitätsformen gemeint, die der Bedürfnisbefriedigung und damit der Bedarfsdeckung durch Motivverwirklichung dienen. Tätigkeiten sind immer auf einen nützlichen Endeffekt ausgerichtet, ihre Grundlage ist gegenständlich und ihre Funktion liegt in der Beziehungsherstellung. Sie setzen sich aus Handlungen und Operationen zusammen.
• Handlung: Der Begriff Handlung bezieht sich auf Teilaspekte von Tätigkeit, Handlungen sind auf Teilziele gerichtet, deren erreichen ist notwendig, führt aber selbst nicht zur Bedürfnisbefriedigung.
• Operation: Bei Operationen handelt es sich Aktivitäten, die früher als Tätigkeiten gelernt wurden, dann als Handlungen im Dienste von Tätigkeiten standen und mittlerweile aber automatisiert zur Verfügung stehen.
Lew Semjonowitsch Wygotski
• 1896 – 1934• Ausgezeichnete Erziehung• Jurastudium in Moskau• Interesse an Literatur, Linguistik, Kunst, Philosophie, Sozial- Wissenschaften und Psychologe, insbes. kognitive Entwicklung• 1924 Psychologisches Institut Moskau
Entwicklung als Enkulturation
• Lern- und darauf aufbauende Entwicklungsprozesse sind immer in soziale Aktivitäten eingebunden
• Lernen und Entwicklung bestehen im Hineinwachsen des Individuums in eine bestimmte Kultur mit ihren bestimmten Praktiken, Kommunikationsformen, Sichtweisen usw.
• Ist insofern als Enkulturationsprozess anzusehen
Interiorisierungskonzept
• Nicht reine Anpassung an die Umwelt
• Aneignung spezifischer, menschlicher, gesellschaftlich-historischer Erfahrungen
> durch aktive Tätigkeit
> mit Hilfe spezifischer Werkzeuge
• Wichtigstes Werkzeug: Die Sprache
• Vollständiger Kreis der kulturhistorischen Entwicklung einer psychischen Funktion
Zone der nächsten Entwicklung
• „Das Gebiet der noch nicht ausgereiften, jedoch reifenden Prozesse ist die Zone der nächsten Entwicklung…“
• „… wenn man untersucht, wozu jemand selbständig fähig ist, untersucht man den gestrigen Tag. Erkundet man, was jemand in Zusammenarbeit zu leisten vermag, ermittelt man seine morgige Entwicklung…“
Zone der nächsten Entwicklung
potentieller Entwicklungsstand
aktueller Entwicklungsstand
Zone
Proximaler
Entwicklung
Anleitung durch
Eine kompetente
Person
Denken und Sprechen
• Untrennbar miteinander verknüpft• Kind kann nur zum denkenden Wesen
werden, wenn es sich in der Interaktion mit kompetenteren Personen die Sprache und andere „Werkzeuge“ des Denkens aneignet. (Kenntnisse, Zahlen, Symbole, Schemata, Problemlösungsstrategien)
• So bilden sich kognitive Strukturen und Prozesse aus
Wygotski: Theorie der Entwicklung der Wortbedeutungen
Säuglingsalter: natürliches primitives Stadium• Denken und Sprechen noch vollkommen
unverbunden• Vorintellektuelle Lallsprache• Vorsprachliche, ausschließlich praktische
Intelligenz
Das Kind erfasst Wortbedeutungen nicht in einem nennenswerten Maße
Wygotski: Theorie der Entwicklung der Wortbedeutungen
Kleinkindalter: Stadium der naiven Psychologie• Sprache begleitet Handlung als emotionale
Begleitmusik• Sprache ausschließlich Sprache für sich selbst
(Bsp. Kind spricht mit Gegenständen)
Kind ordnet Wörtern willkürlich Merkmale zu, die nicht in logischer Beziehung zueinander stehen müssen
Wygotski: Theorie der Entwicklung der Wortbedeutungen
Vorschulalter: Stadium der äußeren Operationen und der egozentrischen Sprache
• Sprache beginnt sich aufzuspalten• Denken und Sprechen verbinden sich• Sprache erfüllt zunehmend Denkfunktionen, wird
dennoch vokalisiert und begleitet Handlungen
Wörtern werden Merkmale zugeordnet, das Kind bildet keine Oberbegriffe, alle Wörter sind auf einer Ebene angesiedelt
Wygotski: Theorie der Entwicklung der Wortbedeutungen
Schulalter: Stadium des Hineinwachsens in die innere Operation
• Die egozentrische Sprache wächst zunehmend nach innen und wandelt sich bis zum Jugendalter zur inneren Sprache, die still das Denken steuert.
Wörtern werden nur wenige Merkmale zugeordnet, Handlungserfahrungen spielen noch eine große Rolle, es ist z.B. am wichtigsten, was man mit einem Gegenstand machen kann
Wygotski: Theorie der Entwicklung der Wortbedeutungen
Jugendalter: Stadium der inneren Operation• Beruht auf den Gebrauch innerer Zeichen, das
Denken ist sprachlich geworden und die Sprache ist intellektuell
Echte und eindeutige Begriffe sind dadurch gekennzeichnet, dass ihre Merkmale nach einem einzigen Kriterium logisch und hierarchisch miteinander verknüpft sind
Galperin: Modell der etappenweisen Ausbildung
geistiger Handlungen
• Denken entsteht aus materieller Tätigkeit
• Die Interiorisation der gegenständlichen Tätigkeit lässt Denkprozesse entstehen
• Zur vollständigen Ausbildung der Denkprozesse muss die Interiorisation geplant und gelenkt werden
Galperin: Modell der etappenweisen Ausbildung
geistiger Handlungen
Tätigkeiten
Handlung
Orientierungsteil Ausführungsteil
Steuerung
Regulation
Arbeitshandlung
Handlung Handlung
Galperin: Ebenen des Interiorisationsprozesses
• Ebene der materiellen oder materialisierten Handlung
• Ebene der äußeren Sprache
• Ebene der äußeren Sprache für sich
• Ebene der inneren Sprache bzw. geistigen Handlung
Leontjew
• Seit 30.000 Jahren gibt es kaum Ver- änderungen der Hirnstruktur des Menschen
• Fähigkeiten werden nicht durch Vererbung weitergegeben
• Das menschliche Gehirn ermöglicht durch Lernen die Herausbildung von neuronalen Regulationssystemen für den Vollzug best. situations- und anforderungsspezifischer Handlungen
Tätigkeitstheorie, Leontjew
• Verallgem. des Interiorisierungskonzeptes
• Gegenständlich zielgerichtete Tätigkeit
• Das Subjekt erfasst die gegenständliche Wirklichkeit und gestaltet sie subjektiv um
• Psychische Prozesse entstehen durch Umwandlung der äußeren materiellen Tätigkeit
Konzeptuelle Einheiten der Tätigkeit
• Einzelne Tätigkeiten , initiiert durch Motive
• Handlungen, die bewussten Zielen untergeordnet sind
• Operationen, durch die eine Handlung verwirklicht werden
Kulturhistorische Schulez.B. Tätigkeit: Lesen eines Buches über Vogelhaltung
Bedarf Wissensdurst
Bedürfnis Interesse am Inhalt
Motiv Fachliche Informationen; mit anderen Menschen in Beziehung treten
Handlung Auswahl der Literatur
Operation Das Lesen selbst
Kulturhistorische Schule
Handlungstheoretische Ansätze in der Berufsbildung:
• Einführung des dualen Berufsbildungssystems
• Theoretische Grundlagen in der Schule
• Praktische Verinnerlichung im Ausbildungsbetrieb
• Problem: Umsetzung vom Abstraktem zum Konkreten
• erhoffte Problemlösung: Einführung von Lernfeldern in den Berufschulunterricht, um so die Kluft zwischen Theorie und Praxis zu verringern.
Kulturhistorische Schule
Die Notwendigkeit von der Umwandlung von Tätigkeiten in psychische Strukturen am Beispiel Autofahren:
• Theoretische Erklärung vom Zusammenspiel zwischen Kupplungs- und Gaspedal, Verkehrsregeln
• erste Versuche im Strassenverkehr
• längere Praxis immer mehr Sicherheit Verinnerlichung des Zusammenspiels
• Folge: Konzentration auf den Verkehr und nicht auf das Bedienen des Fahrzeugs
Kulturhistorische Schule
Ein weiteres Beispiel Rettungssanitäter:
• Theoretische Darstellung einer Reanimation
• erster realer Einsatz, Ablenkung durch Stressfaktor, Unsicherheit, Zwischenrufe, Angehörige, etc.
• längere Praxis Verinnerlichung der Abläufe, mehr Sicherheit, geringe Ablenkung durch
äußere Einflüsse
Kulturhistorische Schule
Negative Aspekte der Verinnerlichung von Tätigkeiten:
• im Betriebsleben: Betriebsblindheit, Bereichsegoismus
• im Arbeitsleben: Lehrer verinnerlicht Frontalunter- richt Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Lernfelder
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