Deutsche Bank_r e s u l t s
Jan Isenhöfer hat viel vor. Erweiterung des türki-
schen Tochterunternehmens und Umzug in eine
neue Produktionsstätte. 50 Prozent Wachstum
in den nächsten fünf Jahren. Entwicklung neuer Ab-
satzmärkte, Vorstoß in eine neue Branche – und das
alles so schnell wie möglich. Für den Geschäftsfüh-
rer der mittelständischen Hans Berg GmbH & Co. KG
ist klar: Die Zeichen stehen auf Expansion. Jedenfalls
am Firmenstandort in Dilovası, einem attraktiven
Industriegebiet nahe Istanbul.
Dabei ist Isenhöfer ein bodenständiger Unter-
nehmer in einer konservativen Branche. Das von
seinem Großvater gegründete und von seinem
Vater auf Expansionskurs gelenkte Unternehmen
im oberbergischen Reichshof ist auf die Kalt-
umformung von Metallteilen spezialisiert. Bei der
Herstellung von Anschlusstechnik für Heizkörper,
Radiatoren und Konvektoren ist es in Europa markt-
führend. Als zweites Standbein hat sich die Firma
als Zulieferer der Automobilindustrie positioniert.
Der Schritt in die Türkei ist die logische Antwort
auf sich verlagernde Märkte. „Wir versprechen uns
viel vom Standort“, sagt Isenhöfer.
Der türkische Markt für Heiz- und Klimatechnik
ist der drittgrößte Europas. Dank staatlicher Groß-
bauprojekte, und weil viele Gebäude nachgerüstet
werden, ist er zudem einer der wachstumsstärksten.
„Auf dem türkischen Heizungsmarkt haben wir uns
bereits etabliert und profi tieren vom dynamischen
Wachstum dieses Landes, aber auch von den Export-
chancen, die der Standortvorteil bietet“, sagt der Un-
ternehmer. „Künftig wollen wir nun mit einem fast
doppelt so großen Produktionsstandort und mehr
Personal auch die türkische Automobilindustrie von
Verbindung zwischen Abend- und Morgenland: Die neue Moschee in Istanbul mit den höchsten Minaretten der Welt soll gleichermaßen für Tradition und Fortschritt der Türkei stehen
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Märkte_Länderreport Türkei 33
Die Bosporus-Connection Die traumhaften Steigerungsraten sind erst einmal Vergangenheit. Doch deutschen Unternehmen bietet die Türkei Wachstumschancen. Daran hat auch die Parlamentswahl nichts geändert
Partei HDP ins Parlament, die bei der Wahl im Juni
erstmals die Zehn-Prozent-Hürde übersprang, haben
sie aber einem anderen Projekt des Präsidenten eine
Absage erteilt: Recep Tayyip Erdogan wollte die Türkei
in eine zentralistisch vom Präsidenten geführte Nati-
on umwandeln, sollte die AKP bei der Wahl eine Zwei-
drittelmehrheit erreichen. Stattdessen muss sich die
AKP nun von der alleinigen Herrschaft verabschieden
und lernen, Kompromisse einzugehen.
Dämpfer für Erdogan
„Viele Unternehmer und ausländische Investoren
hätten sich sicherlich gewünscht, dass die AKP
zwar keine Zweidrittelmehrheit gewinnt, aber ihre
absolute Mehrheit behält“, analysiert Jan Nöther, Ge-
schäftsführer der Deutsch-Türkischen Industrie- und
Handelskammer (AHK) in Istanbul. „Denn die Türkei
steht vor der Herausforderung, mit strukturellen
Wirtschaftsreformen das Wachstum wieder stärker
anzukurbeln.“ Die Turbulenzen rund um die Koali-
tionsverhandlungen verzögern diese Reformen nun.
Denn die Türkei braucht dynamisches Wachs-
tum, um der jungen Bevölkerung Jobs und Zukunfts-
perspektiven zu bieten. Die derzeitigen Wachstums-
raten von rund drei Prozent reichen dazu nicht
aus. Die Arbeitslosenquote liegt bei 10,8 Prozent,
die Jugendarbeitslosigkeit ist mit fast 20 Prozent
noch deutlich höher. Zahlreiche staatliche Inves-
titionsprogramme, Wohnungsbau- und Infrastruk-
turprojekte, Bildungsprogramme und staatlich ge-
förderte Außenwirtschaftszonen sollen jetzt
uns überzeugen.“ Isenhöfer geht davon aus, dass
nach der Parlamentswahl, bei der die regierende Par-
tei AKP Anfang Juni ihre absolute Mehrheit einbüßte,
das Umfeld weiter wirtschaftsfreundlich bleibt.
Denn in der Türkei ist Wachstum Ehrensache:
Mehr als 40 Prozent der wahlberechtigten 57 Milli-
onen Türken wählten wieder die islamisch-konserva-
tive Partei AKP – vor allem wegen deren Versprechen,
das Wirtschaftswachstum weiter voranzutreiben.
Bis 2023, so das Ziel, soll die Türkei zur zehntgrößten
Volkswirtschaft weltweit aufsteigen.
Den Traum vom Wandel des einstigen Agrarlands
zur modernen Wirtschaftsmacht unterstützt die
Mehrheit der Türken noch immer, auch wenn das
Wachstum inzwischen nicht mehr bei durchschnitt-
lich neun, sondern nur noch bei drei Prozent pro Jahr
liegt. Mit dem Einzug der prokurdischen liberalen
ThesenGang runter: Die hohen Wachstums-
raten der letzten Jahre sind Vergangen-
heit. Doch auch mit etwas ruhigerem
Tempo bleibt die Türkei ein dynami-
scher europäischer Markt.
Gelassenheit: Die Parlamentswahl
hat der Regierungspartei von Präsident
Erdogan einen Dämpfer verpasst.
Doch deutsche Unternehmen vor Ort
sehen den Wahlausgang gelassen –
das Land bleibt auf wirtschaftsfreund-
lichem Kurs.
Grund für Optimismus: Niedriges
Lohnniveau, ein starker Binnen-
markt, Steuer vorteile – international
agie rende Mittelständler loben den
Standort. Doch es gibt auch Risiken:
Besonders die Währung wird volatiler.
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4,6 %
4,4 %
5,8 %
7,9 %
9,0 %
Export
68,3 %
Import 5,1 %
5,0 %
9,6 %
9,8 %
10,0 %
60,5 %
Sonstige
Sonstige
USA
China
Deutsch- land
Iran
Groß-britannien
Russland
Russland
Italien
Italien
Deutschland
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QUELLE: TURKISH STATISTICAL INSTITUTE / STATISTA STAND: 2013
Enge VerbindungPlatz 1 bei Exporten, Platz 3 bei
Importen: Deutschland ist für die
Türkei insgesamt der wichtigste
Handelspartner.
daher nun gespannt das Verhalten der neuen
Führungsriege, konstatiert Markus Jäger, Türkei-
Experte bei Deutsche Bank Research, „die neu-
en Machtverhältnisse werden sich erst einmal
einspielen müssen“. Neben den politischen Un-
sicherheiten müssen deutsche Unternehmen in
nächster Zeit auch mit stärkeren Währungsrisi-
ken rechnen, mahnt der Deutsche Bank Experte.
Das zeigte sich bereits nach Bekanntwerden des
Wahlergebnisses: Die türkische Lira brach um
fünf Prozent ein.
Auf Subventionen verzichtet
Doch solche Schwankungen am Währungsmarkt
seien beherrschbar, betont Jäger. Die Vorteile des
Standorts wögen die Risiken auf: Unternehmen
profi tieren vom niedrigen Lohnniveau, von der
günstigen Lage in der europäisch-asiatischen Grenz-
region und von Zollabkommen mit der EU und den
USA. Technologieunternehmen werden vom Staat
gezielt gefördert, spezielle Freihandelszonen ver-
sprechen produzierenden Unternehmen nicht nur
eine hundertprozentige Befreiung von türkischen
Zöllen, sondern auch von der Körperschaftsteuer,
Mehrwertsteuer und Einkommensteuer.
Für Unternehmer Isenhöfer brauchte es solche
Fördermittel nicht als zusätzlichen Anreiz. Der
wachsende Binnenmarkt allein macht den Stand-
ort für ihn interessant. „Wir ziehen diesen Sommer
mit unserem Werk um, aus gemieteten Räumen in
unser eigenes, neu errichtetes Gebäude“, berichtet
Isenhöfer. „Den Umzug hätten wir natürlich auch
nutzen können, um in eine der zollfreien Zonen zu
ziehen.“ Dennoch entschied sich der Unternehmer,
lieber in der Nähe des ursprünglichen Standorts in
einem der Haupt-Industriezentren nahe Istanbul
zu bleiben: „Wir haben hier viel in unsere Beleg-
schaft investiert.“ Da es in der Türkei kein duales
Ausbildungssystem gibt, müssen Unternehmer
ihre Angestellten „on the job“ aus- und weiterbil-
den. „Wir wollten daher unbedingt vermeiden, dass
uns die qualifi zierten Mitarbeiter bei einem Umzug
verlassen“, erklärt Isenhöfer.
für Dynamik sorgen. „Ausländische Investitio-
nen spielen für das Wachstum der Türkei eine große
Rolle“, erklärt der AHK-Chef. „Die Regierung weiß,
dass das Land Know-how und Geld aus dem Ausland
braucht, auch um künftig innovative Branchen als
neue Wachstumstreiber zu etablieren.“ Die Türkei
stehe damit vor einer ähnlichen Herausforderung
wie das größere Schwellenland China, mit dem es
deshalb oft verglichen werde: „Die Türkei muss den
Wandel zum Innovationsstandort schaffen.“
Wie Unternehmer Isenhöfer wollen viele deut-
sche Unternehmer an diesem Wandel teilhaben.
Die Deutschen sind bereits heute die mit Abstand
wichtigsten ausländischen Investoren in der Tür-
kei, ihr Anteil an den Neuinvestitionen lag zuletzt
bei 18 Prozent.
Beim Deutsch-Türkischen Wirtschaftsforum,
das die Deutsche Bank im März in Frankfurt für
120 mittelständische Unternehmer ausrichtete,
betonte der damalige türkische Wirtschafts-
minister Nihat Zeybekçi die guten Beziehungen:
„Deutschland gehört zu den Ländern, mit denen
wir die engsten Wirtschaftskontakte pfl egen.“
Das bilaterale Handelsvolumen betrug 2013 rund
34 Milliarden Euro. „Diese Handels- und Investi-
tionswerte wollen wir weiter erhöhen, dafür en-
gagieren wir uns in Politik und Bürokratie.“ Diese
Investi tions freundlichkeit ist es, wegen der Wirt-
schaftsminister der AKP nicht nur in Deutschland
bislang einen Ruf als pragmatische, kompetente
Politiker genossen. Viele Investoren beobachten
Hans Berg: Mutige InvestitionDie Hans Berg GmbH & Co. KG ist ein international tätiger Produzent von Tiefziehteilen
und metallischen Rohrkomponenten für so unterschiedliche Industriezweige wie die
Heiztechnik-Industrie und die Automobilbranche. Die Unternehmensgruppe mit Sitz im
oberbergischen Reichshof beschäftigt rund 400 Mitarbeiter, rund 100 davon am türkischen
Standort. Seit 2006 positioniert sich das Unternehmen dort als Zulieferer für die türkische
Heiztechnik-Industrie. Aktuell investiert das in dritter Generation von Geschäftsführer
Jan Isenhöfer geführte Unternehmen in einen doppelt so großen Produktionsstandort in
der Türkei und will nun auch Kunden in der türkischen Automobilindustrie gewinnen.
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Märkte_Länderreport Türkei 35Deutsche Bank_r e s u l t s
Das Ausbildungsniveau in der Türkei steigt, das
türkische Lohnniveau ist derweil im europäischen
Vergleich sehr niedrig. Doch der Druck auf die neue
Regierung, die Löhne hochzusetzen, ist groß: Wegen
der hohen Infl ation im Land kam es in jüngster Zeit
erstmals seit den 1990er-Jahren wieder zu größeren
Streiks, zum Beispiel in der Automobilindustrie. „Man
darf sich die Türkei generell nicht als unreguliertes
Billiglohnland vorstellen“, sagt Timm Reichold, Ge-
schäftsführer der Reichold Feinkost GmbH – besser
bekannt als Feinkost Dittmann.
Das Familienunternehmen ist bereits seit 1997
in der Türkei aktiv, baute in der Region Izmir eine
eigene Produktion für Kapern, Paprika, Pfeffe ronen
und Weinblätter auf und ging Partnerschaften mit
lokalen Bauern ein. Heute verarbeitet das Unter-
nehmen die Ware direkt vor Ort, vom Feld bis ins
Feinkostglas für den Vertrieb an europäische und
bald auch US-amerikanische Supermärkte. „Die
Löhne sind für uns immer noch einer der wichtigs-
ten Standortvorteile“, sagt Reichold. „Die Türkei ist
zudem ein recht unkomplizierter Markt, die Büro-
kratie hält sich in Grenzen.“
Stabile Arbeitskultur ist ein Plus
Wichtig für Arbeitgeber: In der Türkei sind hohe
Sozialstandards für die Arbeitsbedingungen vor-
geschrieben. „Wir müssen zum Beispiel Busse
bereitstellen, mit denen unsere Arbeiter in die
Fabrik kommen. Und wir müssen eine Kantine
anbieten“, berichtet Reichold. „Es gibt hier auch
keine Hire-and-fi re-Mentalität. Die Arbeitsbezie-
hungen sind langfristig angelegt.“ Reichold sieht
das als Standortvorteil: „Ebenso wichtig wie nied-
rige Löhne ist für uns eine stabile Arbeitskultur.
Wir betreiben auch die Qualitätssicherung und
ein Labor direkt vor Ort.“
Die Türkei sei heute schon ein in vieler Hinsicht
modernes Land, urteilt Reichold. „Als ich in den
1970er-Jahren herkam, wurde man als Ausländer
angestarrt wie ein Außerirdischer.“ Damals noch
unvorstellbar: Bis vor Kurzem leitete eine türkische
Geschäftsführerin das Unternehmen. Die Mana-
gerin, die fl ießend Deutsch und Türkisch spricht,
wechselte kürzlich in leitender Position in die deut-
sche Zentrale des Feinkostherstellers.
Seit der Gründung der ersten türkischen Nie-
derlassung ist viel passiert. „Natürlich haben wir
in den vergangenen Jahren viel Auf und Ab mitge-
macht“, berichtet Reichold: die Wirtschafts krise
um den Jahrtausendwechsel, den Boom nach
2003, den Einbruch mit der Finanzkrise, jetzt die
Turbulenzen rund um die Wahlen. Ein EU-Beitritt
der Türkei oder gar ein Beitritt zur Eurozone
scheint derzeit in weite Ferne gerückt. „Aber wir
halten uns da an das alte Motto meines Vaters,
des Seniorchefs: Immer mit dem Markt gehen“,
konstatiert Reichold.
Wer am türkischen Markt erfolgreich sein wolle,
müsse eben fl exibel sein. Die Wandlungsfähigkeit
der Türkei beeindruckt Reichold bei Besuchen
in der türkischen Niederlassung immer wieder.
„Wenn ich mir ansehe, wie schnell sich die Gesell-
schaft und die Wirtschaft entwickeln, dann bin ich
optimistisch, was die weitere Entwicklung der Tür-
kei angeht. Ich bin froh, dass wir dabei sind.“
SARAH SOMMER
WEITERE INFORMATIONEN
Kontakt: Feyza Aktas, Deutsche Bank Istanbul
E-Mail [email protected]
Daten und aktuelle Infos: Deutsch-Türkische
Industrie- und Handelskammer www.dtr-ihk.de
Reichold Feinkost: Türkei-PionierDas traditionsreiche Familienunternehmen Feinkost Dittmann (Reichold Feinkost GmbH)
eroberte mit mediterraner Feinkost nicht nur deutsche Supermärkte, ist aktuell auf
über 30 europäischen und internationalen Märkten aktiv. Produziert wird im hessischen
Taunusstein, in Südeuropa und der Türkei. Das türkische Werk Burakcan in Manisa (Region
Izmir) verarbeitet die in Partnerschaft mit lokalen Bauern angebaute Rohware direkt vor
Ort und exportiert von dort aus direkt in die europäischen Supermärkte. In Zukunft
will Geschäftsführer Timm Reichold auch US-Supermärkte direkt aus der Türkei beliefern.
Zollabkommen zwischen der Türkei und den USA machen das besonders interessant.
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