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Fachbereich Gesellschaftswissenschaften
Institut für Soziologie
Lehrstuhl für empirische Sozialforschung
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Beobachtung – eine Umschreibung
Beobachtung ist wissenschaftlich, wenn sie ein strukturiertes,
kontrolliertes und systematisch ablaufendes Datenerhebungs-
verfahren darstellt:
• Forschungszweck muss klar definiert sein
• Bezug zur Theorie sollte vorhanden sein
• Es muss ein Kategoriensystem geben, mithilfe dessen ein
Beobachter systematisch Daten erhebt
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Unterscheidungskriterien von Beobachtungen
Offene vs. verdeckte Beobachtung:
• Offen: Personen wissen, dass sie beobachtet werden (reak-
tiv)
• Verdeckt: sie wissen es nicht (nicht-reaktiv)
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Teilnehmend vs. nicht-teilnehmend:
• Teilnehmend: Beobachter selbst ist Interaktionspartner der
beobachteten Personen (z.B. meldet sich der Beobachter bei
einem Tennisverein an und spielt mit, um etwas über die eli-
tären Hierarchien im Verein zu erfahren)
• Nicht teilnehmend: Beobachter protokolliert lediglich ablau-
fende Handlungen
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Direkte vs. indirekte Beobachtung:
• Direkt: Verhaltensbeobachtung im engeren Sinn
• Indirekt: bezieht sich nicht auf Verhalten selbst, sondern auf
dessen Spuren und Auswirkungen
Strukturierte vs. unstrukturierte Beobachtung:
• Strukturiert: Strukturierung der Beobachtung durch ein Be-
obachtungsschema (dies ist die wissenschaftlich akzeptierte
Form des Beobachtens – s.o.)
• Unstrukturiert: Nur grobe Vorgaben für den Beobachter
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Natürliche Umstände vs. Laborsituation:
• Analog zur Unterscheidung zwischen Feld- und Laborexperi-
ment
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Konstruktion eines Beobachtungsinstrumentes
Zeichen-Systeme:
• Selektives Aufzeichnen eines oder mehrerer Ereignisse (z.B.
ein Lachen)
• Was oder wie etwas aufgezeichnet werden muss (z.B. Dauer
von Verhaltensweisen), ist festgelegt
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Kategoriensysteme:
• Jede auftretende Handlung wird in eine vorher konzipierte
Kategorie eingeordnet
• Entwicklung eines Kategoriensystems ist die Hauptschwierig-
keit bei der Konzeption
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Schätzskalen (Rating-Verfahren):
• Beurteilung des Ausprägungsgrades eines beobachteten
Verhaltens (z.B. Ausmaß der Aggressivität des Verhaltens
von einzelnen, sich streitenden Jugendlichen)
• Relativ starke Belastung des Beobachters (da Ereignisse z.T.
innerhalb von wenigen Sekunden eingeordnet werden müs-
sen)
Anmerkung: Häufig stellen Beobachtungsinstrumente eine
Mischform aus den drei genannten Konstruktionsansätzen dar.
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Formale und inhaltliche Anforderungen an Kategorien und Ka-
tegoriensysteme
Ausschließlichkeit der Kategorien:
• Jedes beobachtete Ereignis darf nur einer Kategorie zu-
geordnet werden können (Überschneidungsfreiheit)
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Vollständigkeit der Kategorien:
• Kategorienschema muss so erschöpfend sein, dass alle mög-
lichen zum Forschungsgegenstand gehörenden Beobach-
tungen erfasst werden können
• Erschöpfend meint hier nicht eine „komplette Widerspiege-
lung der Welt“, sondern nur die Aufnahme aller im For-
schungskontext interessierenden Bedeutungsdimensionen
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Empirische Relation der Kategorien:
• Kategorien, insbesondere abstrakte theoretische Begriffe,
müssen beobachtbaren Sachverhalten zugeordnet werden
können
Begrenzung der Anzahl von Kategorien:
• Aufgrund der eingeschränkten Wahrnehmungsfähigkeit von
Beobachtern muss die Anzahl der Kategorien auf eine über-
schaubare Anzahl reduziert werden
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Auswahl möglicher Beobachterfehler
Beobachter werden stark gefordert, sie müssen i.d.R. sehr
schnell Daten (Verhaltensweisen, Ereignisse) wahrnehmen, ei-
nordnen bzw. kodieren und notieren
• Übersehen seltener Ereignisse
• Zentrale Tendenz (zu häufiges Vergeben von mittleren Kate-
gorien), zu mildes Urteilen
• Effekte zeitlicher Abfolge (wenn vorherige Ereignisse im Be-
obachtungsprozess den Beobachter beeinflussen – z.B. ent-
standene Vorurteile)
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• Effekte der Forschungsanliegens (wenn Beobachter dazu
neigt, die Ereignisse zwanghaft in das erwartete Schema zu
packen)
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Trainingsschritte zur Erhöhung der Intercoder-Reliabilität
Intercoder-Reliabilität: Ausmaß, in dem ein Beobachtungsin-
strument unabhängig von der beobachtenden Person verlässli-
che Ergebnisse liefert.
• Aufklärung der Beobachter über die Absicht der Studie
• Probebeobachtungen ohne endgültiges Beobachtungssche-
ma
• Information und Diskussion über die Items des Beobach-
tungsschemas
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• Anwendung des Beobachtungsschemas in einem Rollenspiel
• Diskussion der ersten Erfahrungen und ggs. die Revision des
Beobachtungsinstruments
• Pretest unter Ernstbedingungen
• Prüfung der Übereinstimmung der Beobachter
• Studien begleitende Nachschulung und Überwachung der
Beobachter
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Problematik der Bestimmung der Beobachtungseinheiten und
die Art ihrer Auswahl
Einführung von Zeiteinheiten ermöglicht zumindest eine zeitli-
che Randomisierung:
• Abwechselnde Beobachtungs- und Nicht-Beobachtungs-
Phasen erlauben eine Annäherung an das Stichprobenprin-
zips bei Beobachtungen (Multi-Moment-Verfahren)
• Die Auswahl der Beobachtungseinheiten liegt nicht mehr völ-
lig im Ermessen des Beobachters
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Vor der Beobachtung ist aber trotzdem keine Grundgesamtheit
bestimmbar, somit sind keine Auswahlwahrscheinlichkeiten für
die einzelnen Ereignisse angebbar und deshalb ist Vorsicht bei
Verallgemeinerungen geboten!
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Nicht-reaktive Verfahren
Untersuchungseinheit (bzw. Merkmalsträger) ist sich während
der Messung nicht bewusst, dass Daten erhoben werden
• Vorteil: Erhobene Daten bzw. Verhaltensakte von Personen
sind nicht beeinflusst durch Reaktionen auf die Datenerhe-
bung
• Nachteil: Schwierig in Hinblick auf Auswahlverfahren, da
nicht beeinflusst werden kann, welche Personen an der Un-
tersuchung „teilnehmen“
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Arten der nicht-reaktiven Verfahren
Physische Spuren:
Spuren vergangenen Verhaltens, vor allem: Abnutzungs- und
Ablagerungsspuren
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Beispiele:
• Im Wald weggeworfener Müll als Zeichen für mangelndes
Umweltbewusstsein
• Inhalte von Graffiti als Zeichen für die Einstellung Jugendli-
cher
• Abnutzung des Teppichs in einem Museum an einer be-
stimmten Stelle als Zeichen für die Beliebtheit des dortigen
Ausstellungsstücks
• Anzahl der Beiträge zu einem bestimmten Thema in einem
Online-Diskussionsforum als Indikator für die Beliebtheit des
Themas (elektronische Spuren)
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Nicht-reaktive Beobachtung:
• Gleichzusetzen mit verdeckter Beobachtung (s.o.)
• Sinnvoll bei gut sichtbaren Merkmalen (z.B. Beobachtung
des Eingangs eines Altersheims aus dem Hinterhalt und Zäh-
len der Besucher als Indikator für soziale Isolation der Heim-
bewohner)
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Nicht-reaktive Feldexperimente:
• Experimente, bei denen die Teilnahme den Versuchsperso-
nen verborgen bleibt
• Beispiel: „lost-letter“-Technik, oder auf der Straße liegen ge-
lassene Geldbörsen mit dem Ziel zu untersuchen, inwieweit
Personen bereit sind, diese an den Besitzer zurückzugeben
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Analyse laufender Berichte:
• Auswertung von Informationen aus dynamischen Datenban-
ken
• Beispiel: Analyse der Entwicklung von Ausleihquoten in Bü-
chereien
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Inhaltsanalyse
• Eigentlich auch unter „nicht-reaktive Verfahren“ zu subsu-
mieren; das Besondere ist, dass dieses Verfahren eine Misch-
form aus Analysetechnik und Datenerhebungsverfahren
darstellt
• Datenquellen: meist medial niedergelegte Verhaltensspuren
(genutzt in der Propaganda-Forschung – z.B. Untersuchung
der Presseartikel im 3. Reich)