Test + Technik
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Winterreifen
Immer wieder quietschen die Reifen des Testzuges kurz auf, während das ABS wild regelt: Trotzdem ist der aus 50
km/h notgebremste Zug gut zwanzig Meter über die als Hindernis gedachte Wasser-fontäne hinausgeschossen. Ein normaler Bremsweg auf rutschigem Untergrund, aber kein Ruhmesblatt, wenn man sieht, was möglich ist, falls statt M+S-tauglichen Regionalreifen Winterreifen auf die Zug-maschine aufgezogen sind. Dann steht die Kombination immerhin schon innerhalb
der ersten Hälfte des Trailers, der jetzt üppig geduscht wird. Bereift man den auch noch auf Pneus der extra weichen und grif-figen „Skandinavia“-Mischung um, steht der 40-Tonner vor dem Hindernis. Ein ähnliches Ergebnis zeigt der Beschleuni-gungsversuch: Hier nimmt der winterbe-reifte Zug dem regionalbereiften ebenfalls fast eine Fahrzeuglänge ab. Viel Sicherheit also für verhältnismäßig wenig Geld: Immerhin kosten die Winter-reifen kaum mehr als Regionalreifen und
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Kurze Tage, lange Tests:
Die Winterreifen werden in
arktischen Regionen überprüft
Bessere Traktion: Der winterbereifte Zug (hinten) nimmt auf rutschigem Untergrund sichtbar schneller Fahrt auf
Grip, grip, hurra!Um wie viel echte LKW-Winter-reifen Traktion und Bremsver-
halten verbessern, zeigte Continental beispielhaft für die ganze Branche in einem ADAC-
Fahrsicherheitszentrum.
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VerkehrsRUNDSCHAU 38/2011 61
auch beim Verbrauch sind sie nur unwe-sentlich schlechter, da sich der Rollwider-stand unter ungünstigen Umständen we-niger stark bemerkbar macht. Lediglich beim Abrieb muss man wegen der wei-cheren Mischung deutliche Einbußen hin-nehmen, weshalb viele Unternehmer im Frühjahr wieder auf die Ganzjahres-M+S-Profile zurückwechseln. Hauptunter-schiede sind Profilierung und Mischung.
Warum große Flotten umrüsten
Udo Brandes, Pressesprecher für Nutzfahr-zeugreifen der Conti AG, geht da etwas weiter ins Detail: „Bei den Verbrauchs-werten unterscheiden sich die Reifenarten kaum. Bei den Fuhrparks mit Ganzjahres-reifen sehen wir, dass bei einigen Unterneh-men vor allem im Dienstleistungsbereich die Entscheidung für Ganzjahresreifen ge-troffen wurde. Mittlerweile ist wieder ein gegenläufiger Trend zu beobachten. Zu-meist große Flotten wollen bei winterlichen Straßenverhältnissen ihre Mobilität sicher-stellen und rüsten aufgrund der Sicher-heitsreserven von Winterreifen wieder saisonal auf Sommer-/Winterreifen um, auch zur Sicherheit der Fahrer.“Die Karkassen basieren alle auf dem glei-chen Goods Casting, die Unterschiede liegen hauptsächlich beim Profil. Hier sol-
len die Profilrillen einerseits Schnee auf-nehmen, denn nichts greift besser als Schnee auf Schnee. Andererseits soll der dann auch wieder ausgeworfen werden. Fragt man den Conti-Vertrieb zu den Rei-fenpreisen, äußert man sich zurückhal-tend. Allerdings sollten die Winterreifen mit maximal dreißig bis vierzig Euro (je nach Region und Reifenhändler) Mehr-preis gegenüber den Regionalreifen nicht viel teurer sein als diese. Ähnlich hat man das Programm bei Michelin gestaffelt, wo die „echten“ Winterreifen auf das Kürzel „(Ice) Grip“ hören. Eine Spezialität der Franzosen ist der X-One XDN2 Grip im Susi-Format 495/45 R 22,5. Bridgestone unterscheidet intern zwischen „modera-ten“ und skandinavischen Wintern, für die man die Lenkachsreifen W958 und An-triebsachsreifen W970 vorhält. Bei Letzte-rem sollen mikroskopisch kleine Poren in der Laufflächenmischung für mehr Trak-tion sorgen. Dazu kommen sogenannte „Anti-Slip-Blöcke“, die Stabilität und Handling verbessern sollen. Die Ausge-staltung dieser Blöcke ist die große Kunst für alle Reifenhersteller: Sind sie zu weich, reiben sie sich zu schnell ab. Fallen sie zu hart aus, bringen sie keinen Grip mehr. Entsprechend haben die meisten Reifen-hersteller dafür gesorgt, dass diese durch
Mit extrem vielen Klöt-
zen: Bridgestone W970
Für Transporter: Conti-
nental Vanco Winter
Z-Lamellen beim Lenk-
achspneu Dunlop SP 362
Dunlop SP 462 in vier
Formaten bis 8t Achslast
Steifere Blöcke beim
Aeolus HN 364
Bessere Verzögerung: Wo der komplett winterbereifte Zug steht, rauscht der regionalbereifte Lastzug noch gut 20 Meter weiter durch die Fontäne
Winterreifen
T I P P
Tipps für die Praxis � Bereits ab sechs Millimeter Profiltiefe lässt
die Traktion spürbar nach
� Achtung beim Abstellen auf Eis oder
Schnee: Der warme Reifen kann sich in
eine „Kuhle“ schmelzen, aus der man nur
schaukelnd wieder herauskommt
� Bei hoher Wahrscheinlichkeit von eis-
oder schneebedeckten Fahrbahnen loh-
nen sich echte Winterprofile immer, beim
Trailer erhöhen sie vor allem den Grip
beim Bremsen
� Beim Durchdrehen eines Antriebsrades
hilft die Differenzialsperre
� Bei Bergfahrt und bei festgefahrenen LKW
kann abgeschaltetes ASR helfen, den
Schwung zu halten
� Bei Talfahrt die Betriebsbremse nutzen,
die wirkt auf alle Achsen gleichmäßig
� Wenn der Trailer ausbrechen sollte, runter
von der Bremse und Zug strecken
� Schneeketten mitnehmen – in vielen
Ländern und auf einigen Strecken sind sie
Pflicht, im Zweifelsfall erhöhen sie die
Traktion
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Winterreifen
Wie definiert Goodyear den Winterreifen?
Henk van Tuyl: Ein Winterreifen ist nach
unserer Definition ein Reifen, der bei winter-
lichen Verhältnissen bessere Traktions- und
Gripeigenschaften besitzt als ein herkömm-licher Pneu. Nach heutigem Stand wird ein Win-terreifen im LKW-Segment mit der M+S-Ken-nung definiert und auch wir vermarkten diese Reifen als Winterreifen. Darüber hinaus gehend haben wir für extreme Winterbedingungen LKW-Reifen im Programm, die gegenüber den M+S-markierten Winterreifen mehr Traktion und Grip sowie kürzere Bremswege bieten. Unsere speziellen Winterreifen besitzen neben der M+S-Markierung als zusätzliche Kennung ein von uns entwickeltes Symbol mit einem halben Schneekristall und einem Bergmotiv.
Welche Unterschiede ergeben sich außer
im Profil in der Mischung und der Karkas-
se? Welche Komponenten sind „baugleich“
mit den Pneus mit M+S-Kennung?
Das Geheimnis der Wintereigenschaften von LKW-Reifen ist die Profilgestaltung und die Laufflächenmischung. Sie sind für die besseren Eigenschaften von speziellen LKW-Winterrei-fen in der kalten Jahreszeit verantwortlich.
Natürlich spielen auch andere Faktoren wie die Karkasskonstruktion und die verwendeten Materialien eine wichtige Rolle.
Welche Werte hat Goodyear intern ermit-
telt? Um wie viel erhöhen sich Brems- und
Traktionskraft und um wie viel erhöhen
sich Verbrauch und Abrieb?
Gegenüber herkömmlichen Fernverkehrsreifen können spezielle Winterreifen den Bremsweg um bis zu 40 Prozent verkürzen und die Traktion verbessert sich um rund 25 Prozent. Spezielle Winterreifen bieten mehr Sicherheit im Winter. Dieses enorme Plus beim Bremsen und der Trak-tion führt zu leichten Einbußen beim Rollwider-stand im Vergleich zu Standard-Fernverkehrs-reifen. Das Laufleistungspotenzial hingegen ist bei beiden Reifentypen nahezu identisch. Natürlich sind all diese Faktoren stark vom Wetter, den gefahrenen Strecken, dem Untergrund und vom Fahrzeug abhängig. Aber bei extremen winterlichen Bedin-gungen sind spezielle Winterprofile auf alle Fälle die bessere Wahl.
Wie hoch ist der Absatzanteil der Grip-Rei-
fen in den einzelnen Regionen? Gibt es für
Skandinavien extra weiche Mischungen?
Spezielle Winterreifen werden vor allem in den skandinavischen Ländern wie Finnland, Norwe-gen und Schweden eingesetzt. Aber auch in Deutschland ist der Anteil an speziellen Winter-reifen mit Winterprofil und Mischung in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Und dieser Trend setzt sich fort. Im Moment werden auf der Antriebsachse rund 94 Prozent Reifen mit M+S- Kennzeichnung und rund 6 Prozent spezielle Winterreifen mit M+S-Kennzeichnung und Win-tersymbol verkauft. Bei der Lenkachse ist das Verhältnis ähnlich. Unsere angebotenen Winter-
profile sind für extreme Winterverhält-nisse entwickelt worden und bieten
sowohl in Skandinavien wie auch in Österreich oder in der Schweiz bei diesen Konditionen mehr Trak-tion und Grip. Deswegen benöti-gen wir keine eigens für diese
Länder entwickelten Pro-dukte. gs
Der Anteil der „echten“ Winterreifen steigt kontinuierlich
emsen und der Trak-ßen beim Rollwider-
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profile l.
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Goodyear-Dunlop-NFZ-Reifen-Entwicklungsleiter Henk van Tuyl erklärt die Detailunterschiede zwischen M+S- und echten Nutzfahrzeugwinterreifen und warum Letztere immer häufiger geordert werden.
I N T ERV I EW
Henk van Tuyl
Goo
dyea
r
eine dreidimensionale Gestaltung Flexibi-lität mit Stabilität verbinden. Einen Schritt, den mittlerweile in Teilen auch günstige Anbieter wie Aeolus nachvollzogen haben.
China-Reifen werden weiter optimiert
Die Premiummarke unter den China-Reifen hat beim Winter-Antriebsachsrei-fen HN 364 zuletzt die Profilblöcke mit-einander verbunden, um mehr Stabilität zu bekommen. Das soll auch Komfort, Si-cherheit und Lebensdauer erhöhen. Wie
ernst man das Thema „echte“ Winterrei-fen nimmt, sieht man auch daran, dass Hersteller wie Yokohama mit dem Lenk-achsreifen 901ZS M+S und dem An-triebsachsreifen SY397 M+S das winter-liche Feld bestellen.
Ein weiteres Merkmal ist der gezielte Ab-rieb, bei dem sich die Lamellen verlieren, so dass der Pneu bis zum Frühjahr ein glatteres und spritsparenderes Ganzjahresprofil hat. Das bieten die M+S-Reifen dank hohem Kautschuk-Anteil ohnehin, doch wer im Falle eines Falles seinen Bremsweg verkür-zen und sicher ans Ziel kommen will, denkt vielleicht zumindest am LKW über „echte“ Winterreifen nach. ���
Gregor Soller
Goodyear Ultragrip WTD
mit verzahnten Blöcken
Goodyears Lenkachs-
reifen Utragrip WTS
Nur Michelin bietet den 495er-
Susi X One als Winterreifen an
Wenig Auswahl, günstige
Preise: Fulda Wintercontrol
Die Antriebsachse bereift
Fulda mit Wintercontrol
Winterbereifte Lenk- und
Trailerachsen verbessern
Spurhalten und Bremsen