Vorlesungsskript
Verwaltungs- und Sozialrecht
Ein Studienbuch für Bachelorstudierende
der Sozialen Arbeit
verfasst von
Prof. Dr. iur. Christof Stock
Für das Sommersemester 2013 und das Wintersemester 2013/14
Stand: 2. April 2013
VORWORT
Für viele angehende Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagoginnen1 ist das Fach Recht, insbesondere
das Verwaltungs- und Sozialrecht eines der schwersten. Zu „abstrakt“, zu „trocken“ - dies sind noch
die harmloseren Bewertungen, die wir von unseren Studierenden zu hören bekommen.
Und es stimmt ja: das Recht bedient sich einer eigenen, abstrakten Sprache, die man erst einmal
erlernen muss. Wir, die Lehrenden dieses Faches an der Katholischen Hochschule Nordrhein-
Westfalen, verstehen uns da als Dolmetscher und Fremdsprachenlehrer.
„Kann nun das Jugendamt in die elterliche Sorge eingreifen? Muss das Sozialamt zahlen? Wie können
wir die Rehabilitation des Unfallopfers fördern? Muss ein Ausländer das Land verlassen?“ - Wenn es
konkret wird, ist im Verwaltungs- und Sozialrecht häufig die menschliche Existenz unmittelbar
betroffen und nicht nur der Bürger in seinen rein finanziellen Angelegenheiten. Das bedeutet für
Sozialarbeiter gleichermaßen wie für Juristen einen höchst verantwortungsvollen Umgang mit den
Rechten und Pflichten des Bürgers gegenüber dem Staat, also mit dem Verwaltungsrecht.
Mit diesem Vorlesungsskript2 gebe ich einen Teil meines juristischen Handwerkszeuges weiter. Ich
hoffe, indem Sie den Vorlesungsstoff „in die Hand nehmen können“, hilft dies Ihnen, mit der Materie
des Rechts umzugehen.
Das Modul 12 im Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit ist in der Abteilung Aachen wie folgt gegliedert.
Sommersemester Wintersemester
SWS Kontakt
Selbst-studium
SWS
Kontakt Selbst-studium
Doz 1 Vorlesung BGB 1 18 27 FamR 1 18 27
Übung (Klausuren)
BGB 1 18 4,5 FamR 1 18 4,5
Vorlesung KiJu-Hilfe 1 18 27
Doz 2 Vorlesung VerwR AT
1 18 27 VerwR BT 1 18 27
Übung (Klausuren)
VerwR AT
1 18 4,5 VerwR BT 1 18 4,5
1 Zu Beginn muss einmal festgestellt werden, dass es mehr Frauen als Männer in unserem Studiengang gibt, und daran könnte sich die Rechtswissenschaft einmal ein Beispiel nehmen! Im Übrigen sind in diesem Skript Substantive in der männlichen Form geschlechtsneutral zu verstehen, und die Bezeichnung Sozialarbeiter / Sozialpädagoge wird synonym verwendet.
2 Aktualität und Haftung: Das Skript gibt den rechtlichen Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Weil die Aussagen nicht zwingend aktuell und auf Einzelfälle übertragbar sind, übernehme ich keine Haftung.
Doz + Lehr-auftr.
Übung Wahlpflichtfach
1 18 27
Pro Semester 4 72 63 6 108 117
Insgesamt 10 180 180
Die Vorlesung Verwaltungs- und Sozialrecht ist für ein Jahr konzipiert und wird von Übungen
begleitet, in denen die Studierenden das Gelernte in Kleingruppen und Fallarbeiten nachvollziehen
können. Die Übungen enthalten zugleich den Vorbereitungskurs auf die Klausuren, welche am Ende
des Winter- bzw. Sommersemesters angeboten werden.
Während des Wintersemesters wählen die Studierenden zusätzlich ein Wahlpflichtfach, das von den
Hauptberuflichen und den Lehrbeauftragten gelehrt wird. Die Übung im Wahlpflichtfach und der
Klausurenkurs werden zeitlich unmittelbar hintereinander gelegt werden.
Die Gliederung des Vorlesungsskriptes weicht aus didaktischen Gründen vom Verlauf der Vorlesung
ab. Geplant ist in etwa der folgende Verlauf der Vorlesung:
Vorlesungsplan Verwaltungsrecht
Sommersemester
1 Einführung Soziale Arbeit und Recht:
2 Die Rechtsordnung Natürliche und Juristische Personen; Personen des Zivilrechts, Behörden des Verwaltungsrechts, Rechtsverbindlichkeit durch Vertrag oder Bescheid
3 Staatsrecht und die Rechtsquellen des Öffentlichen Rechts
• Grundgesetz • Gesetzgebung, Rechtsprechung, Verwaltung • Föderalismus: Bund und Länder
4 Die Rechtsquellen des Sozialrechts
5 Eingriffs- und Leistungsverwaltung
• Art. 1 GG als Basisnorm für das Verhältnis Bürger < > Staat
• Exkurs: Beratungs- und Prozesskostenhilfe 6 Grundlagen der
Leistungsverwaltung Die 3 Säulen der Existenzsicherung
1. Private Eigenhilfe 2. Staatliche Leistungsverwaltung 3. Leistungen der Sozialversicherungsträger
7 Private Eigenhilfe
• Prinzip der Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit
• Begriff des Einkommens und Vermögens • Zivilrechtlicher Unterhalt
8 Staatliche Leistungsverwaltung
• Leistungsverwaltung durch Sach- und Geldleistung • Sachleistungserbringung durch staatliche, kirchliche
und freie Träger • Überblick über die Arten steuerfinanzierter
Geldleistungen • Überblick über die zuständigen Behörden
9 Leistungen der 5 Sozialversicherungsträger
• Träger der Sozialversicherung • Pflichtmitgliedschaft • Finanzierung • Leistungen im Überblick
10 Existenzsichernde Leistungen • Zuständige Behörden • Bedarfs- und Bedürftigkeitsprüfung • Die Erwerbsfähigkeit als Differenzierungskriterium
zwischen SGB II und XII
11 • Anspruchsgrundlagen und –voraussetzungen gem. SGB II und XII
13 Die Träger der öffentlichen Verwaltung
• Unmittelbare und mittelbare Bundes- und Landesverwaltung
• Körperschaften, Anstalten, Stiftungen • Die Gemeinde als Gebietskörperschaft
Die Träger der freien Wohlfahrtspflege
• Rechtsbeziehungen zwischen kirchlichen und freien Trägern bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben
14 Verwaltungshandeln und Verwaltungsakt
• Privates und hoheitliches Handeln • Definition des Verwaltungsaktes • Bedeutung und Funktion des Verwaltungsaktes
15 Die Grundzüge des Verwaltungsverfahrens
16 Entscheidungsspielräume bei der Rechtsanwendung
17 Der Sozial- und Verwaltungsgerichtsprozess
• Die 5 Gerichtszweige • Grundzüge des Hauptsacheverfahrens • Der Ablauf des Verwaltungsprozesses
18 Gerichtliche Eilverfahren • Einstweilige Anordnung (zum Bezug existenzsichernder Leistungen)
• Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage
Wintersemester
19 Das Recht der Profession Soziale Arbeit
• Rechtsberatung • Heilkundliche Tätigkeit • Berufsnormen einzelner Tätigkeitsgebiete oder
Handlungsfelder 20 Schweigepflicht und Aussageverweigerungsrecht
21 Staatliche Eingriffsverwaltung
Prüfschema (für Klausuren)
– Ermächtigungsgrundlage – Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt? – Verhältnismäßigkeit – Ermessen – Übereinstimmung mit Grundrechten
22 Polizei- und Ordnungsrecht
23 Ausländerrecht
24 Strafrecht und Strafvollzug
25 Betreuungsrecht
26 Unterbringungsrecht
27 Leistungsverwaltung der Sozialversicherungsträger
Krankenversicherung
28 Pflegeversicherung
29 Arbeitslosenversicherung
30 Unfallversicherung
31 Rehabilitation
32 Besondere staatliche Leistungsverwaltung
Wohngeld und Kindergeld
34 Elternzeit und Elterngeld
35 Kindesunterhalt nach dem Unterhaltsvorschussgesetz
36 Opferentschädigung
Während das Skript erst das allgemeine und später das spezielle Recht behandelt, bespreche ich in
der Vorlesung schon von Beginn an möglichst konkrete Fälle besprochen. Das Studium des Skriptes
kann also nicht den Besuch der Vorlesung ersetzen. Ein Schelm ist, wer zur Vorlesung nicht rechtzeitig
aus dem Bett kommt und das Skript mit dem Kopfkissen zerquetscht!
Ihr Christof Stock
Ein Jurist,
der nur ein Jurist ist,
ist ein arm` Ding.
Martin Luther
Inhaltsverzeichnis
7
Vorwort ................................................................................................................................................. 2
Literaturverzeichnis ..................................................................................................................... 12
Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................................... 14
Einführung: Soziale Arbeit und Recht ................................................................................... 17
Soziale Arbeit ist ohne Soziales Recht nicht denkbar ............................................................................................ 17
Soziales Recht ist ohne Soziale Arbeit nicht denkbar ............................................................................................ 18
Praktische Tipps ............................................................................................................................. 20
Wo finde ich ein Gesetz? .................................................................................................................................................... 20
Wie lese ich ein Gesetz? ...................................................................................................................................................... 20
Wie zitiere ich ein Gesetz? ................................................................................................................................................ 21
Gesetzessammlung, Kommentar, Lehrbuch .............................................................................................................. 21
Wie finde und zitiere ich Urteile? ................................................................................................................................... 22
Was ist ein Leitsatz? ............................................................................................................................................................ 22
Allgemeines Verwaltungs- und Sozialrecht ........................................................................ 24
Die Rechtsordnung ............................................................................................................................................................... 24
Schema: Rechtsordnung ............................................................................................................................................... 27
Die Rechtsquellen des Öffentlichen Rechtes ............................................................................................................. 28
Schema: Rechtsquellen des Öffentlichen Rechts ................................................................................................ 28
Schema: Öffentliches Recht ......................................................................................................................................... 31
Europarecht ....................................................................................................................................................................... 32
Verfassungsrecht ............................................................................................................................................................. 33
Allgemeines Verwaltungsrecht: Der Ablauf des Verwaltungsverfahrens ................................................ 33
Besonderes Verwaltungsrecht ................................................................................................................................... 35
Das Verwaltungsprozessrecht ................................................................................................................................... 35
Die Rechtsquellen des Sozialrechts ............................................................................................................................... 36
Das Sozialgesetzbuch ..................................................................................................................................................... 36
Schema: Sozialrecht ........................................................................................................................................................ 38
Das Verfahrensrecht des Sozialrechts .................................................................................................................... 39
Die Grundprinzipien des Sozialrechts .................................................................................................................... 40
Inhaltsverzeichnis
8
Die Sozialhilfe und ALG II als Auffangtatbestand ............................................................................................... 42
Schema: Sozialrecht ........................................................................................................................................................ 43
Grundzüge der Staatlichen Leistungs- und Eingriffsverwaltung ...................................................................... 44
Sachleistungen .................................................................................................................................................................. 44
Beratungshilfe ................................................................................................................................................................... 44
Prozesskostenhilfe .......................................................................................................................................................... 45
Existenzsicherung durch Geldleistungen .............................................................................................................. 45
Prüfschema existenzsichernde Leistungen .......................................................................................................... 46
Eingriffsverwaltung ........................................................................................................................................................ 47
Die Rechtsanwendung aus der Perspektive von Institutionen und Personen ............................................ 48
Schema: Rechtsanwendung ......................................................................................................................................... 49
Die Rechtsanwendung in einer öffentlichen Institution ................................................................................. 49
Die Rechtsanwendung durch eine private Person ............................................................................................ 50
Schema: Suchvorgang bei Rechtsanwendung durch Privatpersonen ....................................................... 52
Die grundgesetzlichen Rahmenbedingungen des Verwaltungshandelns .................................................... 53
Art. 1 GG: Schutz der Menschenwürde ................................................................................................................... 54
Art. 2 GG: Freiheitsrechte ............................................................................................................................................. 55
Art. 3 GG: Gleichheitsrechte ........................................................................................................................................ 59
Art. 6 GG: Schutz der Ehe und Familie .................................................................................................................... 60
Art. 13 GG: Unverletzlichkeit der Wohnung ......................................................................................................... 62
Art. 2 GG in Verbindung mit Artikel 1 GG: Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes ............ 63
Art. 20 GG: Das Rechtsstaatsprinzip ........................................................................................................................ 65
Art. 20 GG: Das Sozialstaatsprinzip .......................................................................................................................... 67
Die Träger der öffentlichen Verwaltung ..................................................................................................................... 71
Unmittelbare und mittelbare Bundes- und Landesverwaltung ................................................................... 71
Die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen .................................................................................................... 72
Die Gemeinde als Gebietskörperschaft ................................................................................................................... 74
Die Träger der Freien Wohlfahrtspflege ..................................................................................................................... 80
Verwaltungshandeln und Verwaltungsakt................................................................................................................. 83
Privates und hoheitliches Handeln .......................................................................................................................... 83
Inhaltsverzeichnis
9
Definition des Verwaltungsakts ................................................................................................................................ 85
Bedeutung und Funktion des Verwaltungsaktes ............................................................................................... 90
Die Grundzüge des (Sozial-)verwaltungsverfahrens ............................................................................................. 91
Aspekte des Verwaltungsverfahrens im Sozialrecht ........................................................................................ 92
Zuständigkeit der Behörde .......................................................................................................................................... 92
Start des Verwaltungsverfahrens ............................................................................................................................. 94
Die Antragstellung .......................................................................................................................................................... 95
Die Sachverhaltsermittlung ......................................................................................................................................... 97
Anhörung der Beteiligten ............................................................................................................................................. 98
Zeugenvernehmung und Sachverständige ............................................................................................................ 99
Inaugenscheinnahme ................................................................................................................................................... 100
Urkunden .......................................................................................................................................................................... 101
Folgen der lückenhaften Sachverhaltsaufklärung ........................................................................................... 102
Glaubhaftmachung ........................................................................................................................................................ 103
Verfahrensleitlinien zum Schutze des Bürgers ................................................................................................. 103
Verfahrensrechte des Bürgers ................................................................................................................................. 105
Fristen! ............................................................................................................................................................................... 107
Entscheidungsspielräume der Verwaltung bei der Rechtsanwendung ....................................................... 109
Tatbestand und Rechtsfolge...................................................................................................................................... 110
Fehlender Handlungsspielraum .............................................................................................................................. 110
Bestehender Handlungsspielraum:........................................................................................................................ 111
Vorliegen des Beurteilungsspielraums ................................................................................................................ 111
Ermessensentscheidungen ........................................................................................................................................ 114
Subjektiv-öffentliches Recht des Bürgers............................................................................................................ 117
Der Sozial- und Verwaltungsgerichtsprozess ......................................................................................................... 120
Grundzüge des Hauptsacheverfahrens ................................................................................................................ 120
Der Ablauf des Verwaltungsprozesses ................................................................................................................. 121
Gerichtliche Eilverfahren................................................................................................................................................. 122
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs ......................................................... 122
Schema: Der Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung ......................................................... 124
Inhaltsverzeichnis
10
Die einstweilige Anordnung ...................................................................................................................................... 125
Schema: Die einstweilige Anordnung ................................................................................................................... 126
Prüfschemata (Für Klausuren)...................................................................................................................................... 127
Rechtmässigkeitsprüfung eines Verwaltungsaktes ........................................................................................ 127
Rechtmässigkeitsprüfung eines Widerspruchsbescheides .......................................................................... 128
Recht der sozialarbeiterischen Profession ....................................................................... 129
Schweigepflicht ................................................................................................................................................................... 129
Rechtsberatung .................................................................................................................................................................... 132
Heilkundliche Tätigkeit .................................................................................................................................................... 134
Übersicht: Rechtsgrundlagen spezieller sozialarbeiterischer Berufe........................................................... 137
Staatliche Eingriffsverwaltung .............................................................................................. 140
Polizeirecht............................................................................................................................................................................ 140
Ordnungsrecht ..................................................................................................................................................................... 145
Ausländerrecht .................................................................................................................................................................... 149
Kinder- und Jugendhilferecht ........................................................................................................................................ 154
Betreuungsrecht .................................................................................................................................................................. 154
Recht der Unterbringung ................................................................................................................................................. 160
Leistungsverwaltung der Sozialversicherungsträger .................................................. 164
Krankenversicherung ....................................................................................................................................................... 164
Übersicht: Leistungen der Krankenversicherung ............................................................................................ 165
Pflegeversicherung ............................................................................................................................................................ 170
Übersicht: Leistungen der Pflegeversicherung ................................................................................................. 171
Übersicht: Geldleistungen der Pflegeversicherung ab 01.01.2012........................................................... 174
Rentenversicherung .......................................................................................................................................................... 177
Übersicht: Leistungen der Rentenversicherung ............................................................................................... 177
Arbeitslosenversicherung ............................................................................................................................................... 180
Übersicht: Leistungen der Arbeitslosenversicherung .................................................................................... 181
Unfallversicherung ............................................................................................................................................................. 190
Übersicht: Leistungen der Unfallversicherung ................................................................................................. 190
Inhaltsverzeichnis
11
Rehabilitation ....................................................................................................................................................................... 191
Übersicht: Leistungen zur Teilhabe ....................................................................................................................... 192
Übersicht: Das Netz der Teilhabeleistungen ...................................................................................................... 195
Finanzielle staatliche Leistungsverwaltung .................................................................... 198
BAFÖG...................................................................................................................................................................................... 198
Wohngeld ............................................................................................................................................................................... 198
Elternzeit und Elterngeld ................................................................................................................................................ 200
Kindesunterhalt nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ..................................................................................... 204
Kindergeld und Kinderzuschlag ................................................................................................................................... 208
Entschädigungsrecht (Opferentschädigung, Kriegsopfer u.a.) ........................................................................ 212
Existenzsichernde Leistungen ............................................................................................... 213
Arbeitslosengeld II und Sozialgeld .............................................................................................................................. 213
Übersicht: Regelbedarfsstufen nach SGB II und XII ........................................................................................ 216
Tabelle zur Bedarfsberechnung .............................................................................................................................. 219
Bildungs- und Teilhabepaket ......................................................................................................................................... 221
Grundsicherung im Alter und übrige Sozialhilfe ................................................................................................... 223
Asylbewerberleistungen .................................................................................................................................................. 224
Stichwortverzeichnis ................................................................................................................. 225
Literaturverzeichnis
12
LITERATURVERZEICHNIS
Von den Gesetzessammlungen empfehle ich: Nomos Gesetze für die Soziale Arbeit, Ausgabe 2011/12;
Stand: 25.08.2011, 19,90 €. Dort sind auch die für die Zivilrechtsvorlesungen notwendigen Gesetze
abgedruckt.
Im Litertaturverzeichnis angegeben sind nur allgemeine Einführungen in das Recht (der Sozialen Arbeit)
sowie Bücher, die z.B. für Klausuren empfehlenswerte Arbeitshilfen sind.. In den einzelnen Kapiteln
finden sich weiterführende Hinweise auf die Rechtsprechung und Literatur.
Dillmann, Franz, Allgemeines Sozialverwaltungsrecht und Grundzüge des sozialgerichtlichen Verfahrens, Stuttgart: 2008.
Gastiger / Oberloskamp / Winkler, Recht Konkret- Teilband I: Betreuung, Familien- und Jugendhilfe; 18 Fälle aus der sozialen Arbeitverlag für das Studium der Sozialen Arbeit, 2007.
Gastiger, Siegmund und Bitz, Hedwig, Recht der Familienhilfe- Studienbuch für die Soziale Arbeit, Freiburg im Breisgau: Lambertus, 2010.
Greß, Jürgen, Recht und Förderung für mein behindertes Kind- Elternratgeber für alle Lebensphasen - alles zu Sozialleistungen, Betreuung und Behindertentestament, München: Dt. Taschenbuch-Verl, 2009.
Griep, Heinrich und Renn, Heribert, Das Recht der Freien Wohlfahrtspflege- Grundlagen und Perspektiven, Freiburg im Breisgau: Lambertus, 2011.
Großkopf, Volker, Praxiswissen Krankenpflegerecht, München: Beck, 2010.
Grühn, Corinna, Einführung in das Sozialrecht- mit Beispielen für den leichten Einstieg, Altenberge: Niederle Media, 2008.
Heine, Melanie, Standardfälle Familien- und Erbrecht, Altenberge, Westf: Niederle Media, 2007.
Hell, Corinna, Betreuung- Rechte, Pflichten, Aufgaben, Planegg: Haufe, 2009.
Hofmann, Rainer M. / Hoffmann, Holger, Ausländerrecht- Handkommentar, Nomos, 2008.
Hüttenbrink, Jost, Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II, dtv, 2009.
Jox, Rolf, Fälle zum Familien- und Jugendrecht, Barbara Budrich, 2008.
Kämpfer, Horst-Dieter, Recht und Verwaltung- ein Lehr- und Arbeitsbuch für die Fachschule für Sozialpädagogik, Köln / München: Stam, 1996.
Kievel - Knösel - Marx, Einführung in das Recht für soziale Berufe, Luchterhand, 2009.
Literaturverzeichnis
13
Lange, Pia und Matheus, Christian, Standardfälle Verwaltungsrecht AT, Altenberge: Niederle-Media, 2008.
Lorenz, Annegret, Zivil- und familienrechtliche Grundlagen der Sozialen Arbeit- ein Studienbuch, Baden-Baden: Nomos, 2011.
Oberloskamp, Helga / Brosch, Dieter, Jugendhilferechtliche Fälle für Studium und PraxisLuchterhand, 2007.
Obermaier, Sebastian E., Arbeitslosengeld II in Frage und Antwort- Bedürftigkeit, Leistung, Rückforderung, Rechtsschutz, München: Dt. Taschenbuch Verl, 2009.
Papenheim / Baltes, Verwaltungsrecht für die soziale Praxis- [email protected], Frechen: Recht für die soziale Praxis, 2009.
Richter, Ronald und Doering-Striening, Gudrun, Grundlagen des Sozialrechts- Leistungsrecht, Leistungserbringungsrecht, Verwaltungsverfahren, Versicherungsrecht, Baden-Baden: Nomos, 2009.
Scheibe, Birgit, Ansprüche im Sozialrecht für Mütter und Kinder- ein Leitfaden für die Beratungspraxis, Baden-Baden: Nomos, 2007.
Trenczek, Thomas, Tammen, Britta und Behlert, Wolfgang, Grundzüge des Rechts- Studienbuch für soziale Berufe, München [u.a.]: Reinhardt, 2008.
Wabnitz, Reinhard, Grundkurs Recht für die soziale Arbeit- mit 97 Übersichten und Falllösungen, UTB, 2010.
Wabnitz, Reinhard Joachim, Grundkurs Familienrecht für die soziale Arbeit, UTB, 2006.
Wabnitz, Reinhard Joachim, Grundkurs Kinder- und Jugendhilferecht für die soziale Arbeit, UTB, 2009.
Abkürzungsverzeichnis
14
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
a.A. anderer Ansicht a.a.O. am angegebenen Ort a.F. alte Fassung ABM Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Abs. Absatz AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz ALG Arbeitslosengeld Alt. Alternative Anm. Anmerkung AO Abgabenordnung AP Arbeitsrechtliche Praxis; Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts ArbG Arbeitsgericht ArbGG Arbeitsgerichtsgesetz ArchsozArb Archiv für Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit ARGE Arbeitsgemeinschaft Art. Artikel ASD Allgemeiner Sozialdienst AsylbLG Asylbewerberleistungsgesetz AsylVfG Asylverfahrensgesetz AufenthG Aufenthaltsgesetz, ersetzt das Ausländergesetz AuslG Ausländergesetz, ist jetzt ersetzt von AufenthG BA Bundesagentur für Arbeit BAFÖG Bundesausbildungsförderungsgesetz BAG Bundesarbeitsgericht BAT Bundesangestelltentarifvertrag, wurde ersetzt durch TVöD BBiG Berufsbildungsgesetz BDO Bundesdisziplinarordnung BErzGG Bundeserziehungsgeldgesetz, wurde ersetzt durch BEEG BEEG Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz vom 05.12.2006, BGBl. I, S. 2748 ff. BerHG Beratungshilfegesetz Beschl. Beschluss BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BFH Bundesfinanzhof BGH Bundesgerichtshof BGHST Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen BGHZ Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen BKKG Bundeskindergeldgesetz BR-Drs. Bundesrats-Drucksache BT-Drs. Bundestags-Drucksache BRRG Beamtenrechtsrahmengesetz BSG Bundessozialgericht BSGE Entscheidungssammlung des Bundessozialgerichts BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGG Bundesverfassungsgerichtsgesetz BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts BVG Bundesversorgungsgesetz DÖV Zeitschrift Die öffentliche Verwaltung DVO Durchführungsverordnung EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Abkürzungsverzeichnis
15
EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EMRK Europäische Konvention zum Schutz der Menschrechte und Grundfreiheiten EStG Einkommenssteuergesetz EU Europäische Union EUGH Europäischer Gerichtshof e.V. eingetragener Verein f. folgende ff. fortfolgende FG Finanzgericht FGG Gesetz über die Freiwillige Gerichtsbarkeit FGO Finanzgerichtsordnung FreihEntzG Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen FreizügigkeitsG/EU Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten der
Europäischen Union GdB Grad der Behinderung GG Grundgesetz GKG Gerichtskostengesetz GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GO Gemeindeordnung GVBl. Gesetz- und Verordnungsblatt GVG Gerichtsverfassungsgesetz h.M. herrschende Meinung HeimG Heimgesetz Hrsg./hrsg. Herausgeber / herausgegeben ICD International Classification of Diseases i.d.F.v. in der Fassung vom IDAS Informationsdienst für ambulante Sozialarbeit IFG Informationsfreiheitsgesetz Info-also Zeitschrift: Informationen zum Arbeitslosen- und Sozialhilferecht JGG Jugendgerichtsgesetz JWG Jugendwohlfahrtsgesetz JÖSchG Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit JuS Juristische Schulung KGSt Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung KJHG Kinder- und Jugendhilfegesetz, wurde ersetzt durch SGB VIII LAG Landesarbeitsgericht LBG Landesbeamtengesetz LG Landgericht LSG Landessozialgericht LVA Landesversicherungsanstalt, jetzt: Deutsche Rente MBl. Ministerialblatt MedR Zeitschrift für Medizinrecht m.w.N. Mit weiteren Nachweisen MuSchG Mutterschutzgesetz NDV Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge n.F. Neue Fassung NJW(-RR) Neue Juristische Wochenschrift (Beiheft: Rechtsprechungs-Report) NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NRW / NW Nordrhein-Westfalen NVwZ (-RR) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Beiheft: Rechtsprechungs-Report) NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht OBG Ordnungsbehördengesetz OLG Oberlandesgericht OVG Oberverwaltungsgericht
Abkürzungsverzeichnis
16
OWiG Gesetz über Ordnungswidrigkeiten PolG Polizeigesetz PsychKG Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke des Landes NRW PsychThG Gesetz über die Berufe des Psychologischen und des Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten RdA Zeitschrift Recht der Arbeit Rdnr. Randnummer Recht-info Recht-Informationsdienst der Zeitschrift „Caritas in NRW“ RVG Rechtsanwaltsvergütungsgesetz S. Satz; Seite s. siehe SA/SP SozialarbeiterIn / SozialpädagogIn SG Sozialgericht SGB I - XII Sozialgesetzbuch, erstes bis zwölftes Buch SGb Entscheidungssammlung Sozialgerichtsbarkeit SGG Sozialgerichtsgesetz SozR Sozialrecht, Rechtsprechung und Schrifttum, bearbeitet von den Richtern des BSG StGB Strafgesetzbuch STPO Strafprozessordnung TdL Tarifgemeinschaft deutscher Länder TVG Tarifvertragsgesetz TVöD Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst VA Verwaltungsakt VereinsG Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts VersR Zeitschrift: Versicherungsrecht VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof VKA Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände VwGO Verwaltungsgerichtsordnung VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Verwaltungsvollstreckungsgesetz VwZG Verwaltungszustellungsgesetz WoGG Wohngeldgesetz ZAR Zeitschrift für Ausländerrecht ZfSH Zeitschrift für Sozialhilfe ZPO Zivilprozessordnung ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik
Soziale Arbeit und Recht
17
EINFÜHRUNG: SOZIALE ARBEIT UND RECHT
In der Praxis ist die Bedeutung des Rechts für die Soziale Arbeit und damit auch für die Ausbildung in der
Sozialen Arbeit unbestritten. Zu Beginn – und vielleicht auch noch einmal am Ende der Vorlesung – sollte
gleichwohl das anscheinend Selbstverständliche reflektiert werden. Dies kann anhand von 2 Thesen
geschehen:
SOZIALE ARBEIT IST OHNE SOZIALES RECHT NICHT DENKBAR
„Soziale Arbeit als Beruf fördert den sozialen Wandel und die Lösung von Problemen in
zwischenmenschlichen Beziehungen, und sie befähigt Menschen, in freier Entscheidung ihr Leben besser
zu gestalten … Grundlage der Sozialen Arbeit sind die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen
Gerechtigkeit.“3
Nach dieser Kernaussage über Soziale Arbeit begegnet diese dem Recht in drei Dimensionen:
Wenn es um individuelle Unterstützung geht, sind die Kenntnisse der rechtlichen Rahmenbedingungen
bis hin zu persönlichen Ansprüchen der Klienten mehr als hilfreich. Zwischenmenschliche Beziehungen
ebenso wie die Beziehungen zwischen Bürger und Staat haben eben auch eine rechtliche Dimension, die
zuweilen existenziell ist. Als Beispiele können genannt werden:
- Sorgerechtsentscheidungen, die gleichermaßen in die Rechte der Kinder und der Eltern eingreifen,
- Aufenthaltsbestimmungen von Migrantinnen und Migranten, die das Recht betreffen, in Deutschland
eine soziale und wirtschaftliche Existenz zu führen,
- Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe sollen das wirtschaftliche Existenzminimum sichern.
Somit dürfte auf der Hand liegen, dass die Kenntnis rechtlicher Gegebenheiten und Ansprüche dazu
beitragen kann, Menschen zu selbstbestimmten Handlungsweisen zu befähigen.
Gesellschaftlicher Wandel als zweite Dimension der Begegnung von Sozialer Arbeit und Recht vollzieht
sich, indem Normen – dies können ethische oder rechtliche sein – von einer Gruppe oder auch der
gesellschaftlichen Mehrheit als nicht mehr zeitgemäß angesehen werden. Als positives Beispiel kann z.B.
die Forderung nach Verbesserung des Rechts von Migrantinnen und Migranten mit den Stichworten
Integration – Inklusion genannt werden. Als noch nicht gelöste gesellschaftliche Probleme, die ebenso der
3 International Federation of Social Workers - IFSW
Soziale Arbeit und Recht
18
rechtlichen Klärung bedürfen, seien hier die Armut in der Bundesrepublik Deutschland, die Lösung der
Flüchtlingsfrage und die Veränderungen der Sozialsysteme aufgrund des demografischen Wandels
genannt.
Will Soziale Arbeit hier mitreden – und nach der Definition des IFSW gehört die politische Arbeit zur
Profession dazu – dann muss sie das Recht kennen. Überlässt sie das Recht den Juristen, hat sie die
Profession verfehlt.
Als dritte Dimension ist festzustellen, dass Soziale Arbeit selbst sich in rechtlichen Rahmenbedingungen
bewegt. Hier ist zuerst die Selbstbestimmung als zentraler Menschenrechtsgedanke zu nennen.
Empowerment - Selbstbefähigung – ist vielleicht nur eine andere Vokabel für diesen Grundsatz. Im
Schnittpunkt zwischen Sozialer Arbeit und Recht steht die Erkenntnis: Die Würde des Menschen ist
unantastbar. Der Respekt vor dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist für beide Professionen
die Verpflichtung.
Eine Persönlichkeit kann sich erst dann frei entwickeln, wenn ihre Intimsphäre gewahrt wird, wenn
Vertrauliches vertraulich bleibt. Soziale Arbeit genießt dieses Vertrauen. Das Recht hat dafür den Rahmen
gesteckt: Sozialarbeiter – auch solche in der Ausbildung – sind zur Verschwiegenheit über alle
Geheimnisse verpflichtet, die ihnen die Klienten anvertraut haben.
SOZIALES RECHT IST OHNE SOZIALE ARBEIT NICHT DENKBAR
Für viele Juristinnen und Juristen dürfte diese These eine Provokation sein.
Recht steht jedoch niemals für sich selbst. Stets geht es um widerstreitende Interessen – private oder
staatliche, existenzielle oder weniger bedeutende.
Sie müssen erst einmal von den Rechtssuchenden artikuliert werden. Gerade denjenigen, die zur
Artikulation oder Durchsetzung von Recht weniger fähig sind, hilft die Soziale Arbeit. Sie hat also ein
anwaltliches Mandat, aber nicht nur das. Sie schätzt eben auch – z.B. im Rahmen einer Stellungnahme der
Jugendhilfe zur elterlichen Sorge – die psychosoziale Lage der Beteiligten ein, und dient somit denjenigen,
die Recht sprechen, als Entscheidungsgrundlage.
In beiden Fällen werden zu Recht hohe Erwartungen an die Profession der Sozialen Arbeit gestellt.
Soziale Arbeit und Recht
19
Um Recht darf – muss – gestritten werden. Recht schafft nicht immer Gerechtigkeit. Und Recht ist - nicht
allein wegen der abstrakten Sprache - oftmals schwer verständlich.
Auch insoweit kommt das Soziale Recht nicht ohne die Soziale Arbeit aus. Denn hier braucht es kluge und
professionelle Übersetzer. Menschen, die gleichermaßen Nähe und Distanz aufbringen,
Einfühlungsvermögen in die individuelle Betroffenheit der Beteiligten sowie professionellen Umgang mit
rechtlichen Vorgängen.
Es deutet sich hier auch ein Konfliktfeld an. Recht kann geradezu in Streit mit der Sozialen Arbeit geraten,
wenn z.B. der Bewährungshelfer anderer Auffassung ist, als der Richter des Strafvollzugs, der Vertreter
des Jugendamtes dem Familiengericht widerspricht oder der Betreuer die Kompetenzen des Betreuten
anders einschätzt als das Vormundschaftsgericht. Die Soziale Arbeit steht hier häufig im näheren Kontakt
zur Klientel, hat aber vermeintlich weniger zu sagen.
Und dennoch: Soziales Recht kommt ohne die Soziale Arbeit nicht aus.
„Wie nun also soll es aussehen, dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel ‚unser Land‘ sagen? Es
soll unser Land sein, weil unser Land soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Aufstiegschancen verbindet. Der
Weg dazu ist nicht der einer paternalistischen Fürsorgepolitik, sondern ein Sozialstaat, der vorsorgt und
ermächtigt.
Wir dürfen nicht dulden, dass Kinder ihre Talente nicht entfalten können, weil keine Chancengleichheit
existiert. Wir dürfen nicht dulden, dass Menschen den Eindruck haben, Leistung lohne sich für sie nicht
mehr, und der Aufstieg sei ihnen selbst dann verwehrt, wenn sie sich nach Kräften bemühen. Wir dürfen
nicht dulden, dass Menschen den Eindruck haben, sie seien nicht Teil unserer Gesellschaft, weil sie arm
oder alt oder behindert sind.“
Bundespräsident Joachim Gauck, 23.03.2012
Praktische Tipps
20
PRAKTISCHE TIPPS
WO FINDE ICH EIN GESETZ?
Sie können im Internet danach suchen, in dem Sie einfach den Namen (Bürgerliches
Gesetzbuch) oder die Abkürzung des Gesetzes (BGB) eingeben.
Wenn Sie es lieber schwarz auf weiß haben, suchen Sie einfach nach einer Gesetzessammlung.
Das sind Bücher, in denen nur der Gesetzestext abgedruckt ist. Meistens werden hier einige
Gesetze zusammengefasst. Als praktisch haben sich die Beck-Texte im dtv, die
Gesetzessammlung „Gesetze für die Soziale Arbeit“ aus dem Nomos-Verlag 4 oder die
Sammlungen des Walhalla-Verlages5 erwiesen..
WICHTIG! Die Gesetze werden ständig geändert. Sie müssen also darauf achten, dass Sie die
jeweils neueste Fassung anwenden. Zu Beginn ist das nicht so entscheidend, aber wenn es
darauf ankommt, schon!
Für das praktische Lernen im 2. und 3. Fachsemester benötigen Sie eine Textausgabe. Bei der
Klausur geben Sie einfach an, mit welcher Ausgabe des Gesetzestextes Sie arbeiten (z.B.
Ausgabe 2009). Die „Beschriftung“ dieses Textes mit Ihren Anmerkungen ist unzulässig, wenn
Sie den Text in der Klausur verwenden wollen. …
WIE LESE ICH EIN GESETZ?
Am einfachsten schauen Sie in das Inhaltsverzeichnis des Gesetzes. Orientieren Sie sich an den
Überschriften. Gesetze sind meistens so strukturiert, dass das Allgemeine vorne und das
Spezielle hinten stehen. Probieren Sie einmal aus, ob Sie die Antwort auf eine spezielle Frage in
Ihrem Gesetztestext wieder finden!
Eine zweite Möglichkeit ist, nach dem Schlagwortverzeichnis vorzugehen, das den meisten
Gesetzessammlungen angefügt ist. Die Arbeit mit den Stichworten setzt voraus, dass Sie die
Struktur eines Gesetzes verstanden haben.
4 Nomos Gesetze für die Soziale Arbeit, Ausgabe 2011/12; Stand: 25.08.2011
5 Reidel, Rechtsgrundlagen Sozialwesen, walhalla Fachverlag, Stand: 01.08.2010
Praktische Tipps
21
WIE ZITIERE ICH EIN GESETZ?
Gesetze sind meistens gegliedert nach Paragrafen, dann Absätze, dann Sätze, dann Nummern.
Beispiel: Der Anspruch eines Ausländers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ist
geregelt in Paragraf 9 Absatz 2 Satz 1 Nummern 1 bis 9 des Aufenthaltsgesetzes. Es haben sich
zwei Schreibweisen eingebürgert:
- § 9 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1-9 AufenthG oder
- § 9 II 1 Nrn. 1-9 AufenthG
§ 9 AufenthG Niederlassungserlaubnis
(1) 1 Die Niederlassungserlaubnis ist ein unbefristeter Aufenthaltstitel. 2 Sie berechtigt zur Ausübung
einer Erwerbstätigkeit, ist zeitlich und räumlich unbeschränkt und darf nicht mit einer
Nebenbestimmung versehen werden.
(2) 1 Einem Ausländer ist die Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn
1. er seit fünf Jahren die Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2. sein Lebensunterhalt gesichert ist,
3. er mindestens 60 Monate Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet hat ...
4. er in den letzten drei Jahren nicht ... straffällig geworden ist
5. ihm die Beschäftigung erlaubt ist, sofern er Arbeitnehmer ist,
6. er im Besitz der sonstigen für eine dauernde Ausübung einer Erwerbstätigkeit erforderlichen Erlaubnisse ist,
7. er überausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
8. er über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt und
9. er überausreichenden Wohnraum für sich und seine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen verfügt.
GESETZESSAMMLUNG, KOMMENTAR, LEHRBUCH
Juristen gehen, na klar, vom Gesetzestext aus. Den finden sie in Gesetzessammlungen. Daneben
gibt es noch die folgenden juristischen Bücher:
Praktische Tipps
22
- Ein Kommentar gibt nicht nur den Text eines Gesetzes wieder, sondern erläutert jeden
einzelnen Paragrafen. Dort finden Sie zum Beispiel die zu der jeweiligen Vorschrift
ergangene Rechtsprechung oder auch Literaturmeinung.
- Ein Lehrbuch hingegen stellt ein ganzes Rechtsgebiet dar, z.B. das Ausländerrecht mit
seinen verschiedenen Gesetzen.
- Entscheidungssammlungen hingegen dokumentieren die Rechtsprechung. Die wichtigsten
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht dieses Gericht z.B. in der
BVerfGE.
WIE FINDE UND ZITIERE ICH URTEILE?
Nahezu alle Gerichte verfügen heute über eine Internetseite. Von dort können Sie deren Urteile
herunterladen. Voraussetzung ist, dass Sie das Datum der Entscheidung oder das Aktenzeichen
kennen. Damit andere es finden, sollten Sie darüber hinaus auch eine Fundstelle angeben. Im
nachfolgenden Beispiel sind die für Juristen gängigsten drei Fundstellen angegeben
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 09.02.2010, Aktenzeichen: 1 BvL 1/09,
Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Band 125, Seite 175; Neue Juristische
Wochenschrift 2010, Seite 505 ff.
BVerfG, Beschl.v. 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 – BVerfGE 125, 175 ff.; NJW 2010, 505 ff.
WAS IST EIN LEITSATZ?
Die höchsten deutschen Gerichte stellen ihren Entscheidungen einen Merksatz voran, die den
Inhalt der Entscheidung im Kern wiedergeben. In der oben angegebenen Entscheidung ging es
um die Verfassungsmäßigkeit der „Hartz-IV“- Regesätze6. Die Leitsätze des Gerichts lauten:
1. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1
GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen
diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß
an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.
6 Vgl. hierzu Kapitel 7
Praktische Tipps
23
2. Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20
Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes
Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst
werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die
zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den
bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu.
3. Zur Ermittlung des Anspruchumfangs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen
in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der
Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen.
4. Der Gesetzgeber kann den typischen Bedarf zur Sicherung des menschenwürdigen
Existenzminimums durch einen monatlichen Festbetrag decken, muss aber für einen darüber
hinausgehenden unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf einen
zusätzlichen Leistungsanspruch einräumen.
Die Rechtsordnung
24
ALLGEMEINES VERWALTUNGS- UND SOZIALRECHT7
Im ersten Kapitel werden wir uns einen Überblick über die Rechtsordnung verschaffen, im zweiten geht es um die verschiedenen Ebenen der Rechtsquellen des Verwaltungsrechts. Im dritten Kapitel befassen wir uns mit dem Recht der Sozialleistungen. Sie werden wir später noch konkreter kennen lernen. Vorher müssen wir uns noch mit den verschiedenen Perspektiven der Rechtsanwendung, den Grundrechten und mit der Frage beschäftigen, welche Institutionen überhaupt den Staat repräsentieren und wie sie funktionieren. Einen Vorteil hat dieses abstrakte Recht: der Ablauf und die Grundprinzipien, die wir hier lernen, sind für alle speziellen Gebiete des Verwaltungs- und Sozialrechts gleich. Dies gilt auch für die Gerichtsverfahren. Wer also diesen Abschnitt durchgearbeitet hat, verfügt über die Werkzeugkiste zum Umgang mit den speziellen Rechtsgebieten.
DIE RECHTSORDNUNG
Die Rechtsordnung als Inbegriff aller rechtlich relevanten, von den Bürgern eines Staates zu
beachtenden Rechtsnormen kann in die drei Bereiche des Privatrechtes, des Strafrechtes und
des Öffentlichen Rechtes unterteilt werden.
Das Strafrecht hat die Funktion, ein bestimmtes gemeinschaftswidriges Verhalten zu
sanktionieren. Es dokumentiert somit den Strafanspruch und das Gewaltmonopol des Staates
gegenüber seinen Bürgern. Die wesentlichen Gesetze des Strafrechtes sind das Strafgesetzbuch
(StGB), das Jugendgerichtsgesetz (JGG) und die Strafprozessordnung (StPO). Im Strafgesetzbuch
sind Straftatbestände aufgeführt, deren Erfüllung eine bestimmte Sanktion zur Folge haben. So
bestimmt § 212 StGB, dass derjenige, der einen Menschen tötet, mit Freiheitsstrafe nicht unter
fünf Jahren bestraft wird. Die Strafprozessordnung hingegen beinhaltet das Verfahrensrecht,
z.B. den Ablauf des Strafverfahrens, Aussageverweigerungsrechte von Zeugen und Rechtsmittel.
Das JGG beinhaltet Erziehungs- und Strafmaßnahmen gegenüber Jugendlichen und
Heranwachsenden.
Das Privatrecht regelt das Verhalten von Akteuren, die auf einer Stufe der rechtlichen
Gleichrangigkeit gegenübertreten. Gemeint ist in erster Linie das Recht der Bürger
untereinander; das Privatrecht heißt deshalb auch Bürgerliches Recht oder Zivilrecht.
Kennzeichen des Privatrechtes ist, dass grundsätzlich die beteiligten Akteure ihre
Angelegenheiten in Konsensform regeln müssen. Keiner kann von einer anderen etwas kraft
Gewalt verlangen. Erforderlich ist eine Einigung in Form eines Vertrages.
7 Grühn, Corinna, Einführung in das Sozialrecht- mit Beispielen für den leichten Einstieg, Altenberge: Niederle Media, 2008.
Die Rechtsordnung
25
Beispiel: Jemand möchte von seinem Nachbarn einen Pkw erwerben. Er kann sich den Pkw nicht einfach
wegnehmen, sondern muss mit seinem Nachbarn einen Kaufvertrag schließen. Typisch für das
Privatrecht ist also, dass keiner einem anderen etwas befehlen kann.
Die wichtigsten rechtlichen Grundlagen des Privatrechtes sind das Bürgerliche Gesetzbuch
(BGB) und das Handelsgesetzbuch (HGB). Das Verfahrensrecht ist in der Zivilprozessordnung
(ZPO) niedergelegt. Die ZPO enthält Vorschriften, auf welche Weise eine Person ihre
Rechtsansprüche durchsetzen kann (Gerichtsverfahren, Zwangsvollstreckung).
Den dritten Bereich der Rechtsordnung stellt das Öffentliche Recht dar. Das Öffentliche Recht
ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Verhältnis von rechtlicher Über- und Unterordnung
vorliegt. Dies bedeutet, dass ein Akteur (staatliche Institutionen) einem anderen, nämlich dem
Bürger, kraft eines einseitigen Befehls eine Anweisung erteilen kann. Der Bürger ist dann
grundsätzlich verpflichtet, sie auszuführen. Diese Abgrenzung des Privatrechtes von dem
Öffentlichen Recht durch das Merkmal der Über-/Unterordnung (daher heißt diese Theorie
auch Unterwerfungs- bzw. Subordinationstheorie) funktioniert dort, wo der Staat belastende
Maßnahmen für den Bürger realisiert (Polizeirecht, Ausländerrecht etc.). Dem gegenüber ist
das heutige Öffentliche Recht auch dadurch gekennzeichnet, dass der Staat als Dienstleister
auftritt. Auch deshalb wird das Öffentliche Recht auch Verwaltungsrecht genannt. In diesem
Bereich wird die Zuordnung zum Öffentlichen Recht damit begründet, dass durch die
Rechtsnormen ausschließlich die Träger der hoheitlichen Gewalt berechtigt oder verpflichtet
werden (so genannte Sonderrechtstheorie). Im juristischen Schrifttum wird sehr viel Zeit
darauf verwandt, eine Theorie zur Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht zu
entwickeln. Dies hat zu einer Vielzahl von unterschiedlichen Theorieansätzen geführt, die hier
im Einzelnen nicht dargestellt werden sollen. Mit den beiden oben aufgeführten Ansätzen
kommt in der Regel eine zutreffende Zuordnung zum privaten oder zum öffentlichen Recht
zustande.
Dass im juristischen Schrifttum soviel Energie für die Zuordnung zum Öffentlichen oder
privaten Recht verwandt wird, hat ihren Grund darin, dass die korrekte Zuordnung dafür
relevant ist, welche Rechtsvorschriften angewandt werden und welcher Rechtsweg (Zivilgericht
oder Verwaltungsgericht) beschritten werden kann.
Die Rechtsbeziehung im öffentlichen Recht wird durch eine Vielfalt von unterschiedlichen
Gesetzen geprägt. An erster Stelle steht das Grundgesetz, welches die prägenden
Wertentscheidungen beinhaltet. So sind die Grundrechte sowie die Verfassungsprinzipien
Die Rechtsordnung
26
(Rechtsstaatsprinzip, Sozialstaatsprinzip) von den hoheitlichen Akteuren zu beachten. Daneben
existiert eine Vielzahl von Fachgesetzen (Aufenthaltsgesetz für Ausänder, Baugesetzbuch,
Sozialgesetzbücher). Wie im Strafrecht und im Zivilrecht gibt es neben diesen Gesetzen, die die
Inhalte regeln (Materielles Recht) auch solche, die das Verfahren regeln (Formelles Recht): die
Verwaltungsverfahrensgesetze (VwVfG) betreffen das außergerichtliche, die
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) das gerichtliche Verfahren.
Übungsfälle: Differenzieren Sie nach Rechtsgebiet: Öffentliches oder Privates Recht?
1. Die Studentin Katja wurde auf der Adalbertstrasse in Aachen von 2 netten jungen Herren
(Fußgängerzone) angesprochen und hat, ohne es eigentlich so richtig mitzubekommen, einen
Handyvertrag unterschrieben. Davon will sie sich lösen, denn sie hat ja schon ein Handy…
2. Der Student Kasimir hat zwar rechtzeitig vor Studienbeginn einen BAFÖG-Antrag eingereicht. Jetzt
ist er schon im zweiten Semester und hat immer noch nicht sein Geld. Langsam wird es knapp….
3. Wilhelm hat am Wochenende zu einer Spritztour das Fahrzeug seines Vaters ausgeliehen. Nach der
Party überfuhr er eine Ampel, die nach seiner Erinnerung grün war. Für die Polizeibeamten
allerdings zeigte sie auf rot, und das Röhrchen bewies: zu viel Alkohol im Blut!
4. Was, wenn im Fall 3 Wilhelm bei der Trunkenheitsfahrt auch noch das Auto des Nachbarn beschädigt
hätte?
Lösungen:
1. Vertragsrecht ist Zivilrecht. Hier sind die Vertragsparteien grundsätzlich sehr frei. Katja hilft das
Haustürwiderrufsgesetz.
2. Öffentliches Recht: Beim BAFÖG unterstützt der Staat die Ausbildung. Kasimir kann Klagen, wenn
ohne Grund über einen Antrag nicht binnen 3 Monaten entschieden ist.
3. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn beschreibt das Zivilrecht; Trunkenheitsfahrten gefährden
die Allgemeinheit, und deshalb übt der Staat sein Sanktionsrecht aus. Er zieht u.a. die von ihm erteilte
Fahrerlaubnis ein.
4. Zivilrecht: Schadensersatzansprüche zwischen Bürgern entstehen nicht nur aufgrund vertraglicher
Haftung, sondern auch bei Verletzung von absoluten Rechtsgütern, wie z.B. das Eigentum, § 823 Abs.
1 BGB.
Die Rechtsordnung
27
SCHEMA: RECHTSORDNUNG
Ein besonderes Teilgebiet des Öffentlichen Rechts ist das Sozialrecht. Dazu gehören alle
staatlichen Sozialleistungen (BAFÖG, Wohngeld, Sozialhilfe usw.) und solche der fünf
Sozialleistungsträger (Renten-, Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung). Weil
auch das Sozialrecht schon für sich genommen ein großes Rechtsgebiet umfasst, hat es ein
eigenes Verfahrensrecht und eine eigene Gerichtsordnung. In dieser Vorlesung beschäftigen wir
uns nur mit den Grundzügen des Verwaltungs- und Sozialrechts. Weil das Sozialrecht ein
Teilgebiet des Öffentlichen Rechts ist, stimmen die Verfahrensvorschriften in weiten Teilen
überein. Deshalb behandeln wir sie im Folgenden gemeinsam.
Wiederholungsfrage: Warum ist das Strafrecht ein Teilgebiet des Öffentlichen Rechts?
Strafrecht
Privatrecht
Öffentliches Recht
StGB
BGB
GG
STPO HGB AufenthG
JGG ZPO BauGB
VwVfG
VwGO
Arbeitsrecht Sozialrecht
MuSchG SGB I – XII
KSchG SGG
Die Rechtsquellen
28
DIE RECHTSQUELLEN DES ÖFFENTLICHEN RECHTES
Im öffentlichen Recht kann zwischen insgesamt sieben Rechtsquellen unterschieden werden. Diese
stehen in einem Rang- oder Hierarchieverhältnis. Die niedrigere Rechtsquelle darf nicht gegen das
Recht der höherrangigen Rechtsquelle verstoßen.
SCHEMA: RECHTSQUELLEN DES ÖFFENTLICHEN RECHTS
Europarecht Regelungen von europäischen Institutionen
Verfassungsrecht Grundgesetz der BRD und Länderverfassungen
Gesetze Bundesgesetze und Ländergesetze
Rechtsverordnungen Regelungen von Verwaltungsinstitutionen
Satzungen Regelungen von Selbstverwaltungsträgern
Gewohnheitsrecht Nicht fixierte Regelungen, die aufgrund lang andauernder Übung entstanden sind.
Verwaltungsvorschriften Rein interne Regelungen der Verwaltung zur Durchführung ihrer Aufgaben
Das Europarecht steht an der obersten Stelle der Normenhierarchie der Rechtsquellen. Es hat damit
sogar Vorrang vor dem deutschen Verfassungsrecht. Von Bedeutung für das Sozialrecht sind vor
allem die im Europarecht enthaltenen Antidiskriminierungsregelungen. In Zukunft ist davon
auszugehen, dass das Europarecht aufgrund des Zusammenwachsens der europäischen Systeme
eine immer größere Bedeutung haben wird.
Das Verfassungsrecht in Deutschland wird geprägt durch das Grundgesetz und die jeweiligen
Länderverfassungen, die gegen das Grundgesetz nicht verstoßen dürfen. Im Grundgesetz sind die
prägenden Wertentscheidungen enthalten. Dazu gehören die Grundrechte (Art. 1 - 20 GG) sowie die
im Artikel 20 GG enthaltenen Prinzipien unseres Staates (Rechtsstaatsprinzip, Sozialstaatsprinzip).
Auf der dritten Stufe stehen die Bundes- und Ländergesetze. Diese dürfen gegen die Vorgaben des
Europarechtes und des Verfassungsrechtes nicht verstoßen. Im sozialen Bereich besteht ein Primat
Die Rechtsquellen
29
der Bundesgesetze. Dieses ergibt sich aus Art. 74 Nr. 7 GG. Danach gehört zur konkurrierenden
Gesetzgebung das Gebiet der öffentlichen Fürsorge. Gemeint ist damit der gesamte Bereich des
Sozialrechtes.
Konkurrierende Gesetzgebung bedeutet, dass die Länder nur dann die Befugnis zur Gesetzgebung
haben, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat
(vgl. Art. 72 GG). Um eine Vereinheitlichung der Lebensbedingungen in Deutschland zu erreichen,
hat der Bund als Gesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz in einem umfangreichen Maße
Gebrauch gemacht. Die prägenden Sozialgesetze (SGB I - SGB XII) sind Bundesgesetze. Der
Landesgesetzgeber hat vielmehr Begleitgesetze erlassen, die zu einer Ergänzung der
Sozialleistungen führen. Dazu gehört beispielsweise das Pflegewohngeld. Hierbei handelt es sich um
eine finanzielle Maßnahme für Personen, die in Pflegeheimen leben und die Kosten der
Unterbringung nicht selbständig leisten können.
Die Gesetze werden vielfach ergänzt durch die Rechtsverordnungen. Bei den so genannten
Rechtsverordnungen (RV) handelt es sich um Rechtsnormen, die von Verwaltungsinstitutionen
(Regierung, Ministerien) erlassen werden. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer
Rechtsverordnung ist eine entsprechende Ermächtigung in einem Gesetz. Mit der Rechtsverordnung
können Tatbestände geregelt werden, die einer schnellen Änderung unterliegen. In diesen Fällen
muss nicht das komplexe Gesetzgebungsverfahren durchlaufen werden. Insofern kann im
Verhältnis zu den Gesetzen bei den Rechtsverordnungen von ergänzenden Rechtsnormen
gesprochen werden. So existieren auch im Sozialrecht verschiedene Rechtsverordnungen. Typisch
dafür sind Rechtsverordnungen, die beispielsweise das Sozialhilferecht ergänzen. Die
Rechtsverordnung zu § 28 Abs. 2 SGB XII legt jährlich (zum 01. Juli) den monatlichen Barbetrag fest,
den ein Hilfebezieher erhält. Die jeweilige Regierung eines Bundeslandes kann den entsprechenden
Euro-Betrag festsetzen. Hierdurch wird eine rasche Reaktion auf Veränderungen der
Lebenshaltungskosten gewährleistet.
Bei den Satzungen handelt es sich um Regelungen, mit denen Selbstverwaltungsträger ihre
Angelegenheiten organisieren. Typisch dafür sind die Satzungen von Gemeinden oder Satzungen
der Landkreise.
Ergänzt wird das oben beschriebene niedergelegte Recht durch das so genannte Gewohnheitsrecht.
Dabei handelt es sich um nicht fixierte Regelungen, die aufgrund einer langandauernden Übung
entstanden sind. Unter Zuhilfenahme auf das Gewohnheitsrecht sollen Regelungslücken der
Die Rechtsquellen
30
Rechtsordnung geschlossen werden. Aufgrund der hohen Regelungsdichte im Sozialrecht, findet
sich kein Anwendungsgebiet für das Gewohnheitsrecht mehr.
Zu erwähnen sind schließlich noch die so genannten Verwaltungsvorschriften. Dabei handelt es sich
um Binnenregelungen der Verwaltung zur Durchführung der Verwaltungsaufgaben.
Verwaltungsvorschriften entwickeln grundsätzlich keine Rechtswirkung gegenüber
außenstehenden Personen. Verwaltungsvorschriften werden erlassen, um beispielsweise den
Verfahrensablauf innerhalb einer Behörde zu organisieren oder aber zu einer einheitlichen
Anwendung von Rechtsvorschriften zu gelangen. So hat sich für den Bereich der Sozialhilfe ein
umfassender Katalog von Verwaltungsvorschriften herausgebildet, der eine einheitliche Regelung
bei der Anwendung des SGB XII durch die Träger der Sozialhilfeleistungen sicherstellt.
Fall:
Herr M. ist nigerianischer Staatsangehöriger, der vor einem halben Jahr von seiner deutschen Ehefrau
geschieden wurde. Das Sorgerecht über die gemeinsame, vierjährige Tochter wurde zwar ausschließlich der
Mutter übertragen, aber Vater und Tochter haben regelmäßig Besuchskontakte. Nehmen Sie an, das AufenthG
erlaubt dem Vater den weiteren Aufenthalt in der BRD nicht mehr. Worauf könnte dieser sich berufen?
Lösung:
Das AufenthG ist ein Bundesgesetz, steht also im Rang unter dem Grundgesetz und dem Europarecht. Der
Vater könnte sich auf Art. 6 GG berufen (Schutz der Familie). Darüber hinaus könnte er sich u.U. auch auf die
EG-Richtlinie über langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige berufen8.
Nachdem wir nun die Rangverhältnisse der Rechtsquellen untereinander kennen gelernt haben,
müssen wir noch festhalten, dass die Normen miteinander vernetzt sind. Es gilt also nicht nur ein
streng hierarchisches Prinzip. Bei der Lösung eines Falles aus dem Bereich des öffentlichen Rechtes
ist sogar zunächst zu prüfen, in welchem Bereich der Schwerpunkt der Problematik liegt.
Beispiel: Bei dem Anspruch auf Krankengeld wird man zunächst danach fragen, ob der Klient einen Anspruch
auf die Zahlung hat. Die dafür notwendige Anspruchsgrundlage findet sich in dem Besonderen
Verwaltungsrecht, hier dem Recht der Krankenversicherung, SGB V. Wohnt der Klient beispielsweise in den
Niederlanden, arbeitet aber in Deutschland, stellt sich die Frage, ob nun eine deutsche oder eine
8 Richtlinie 2004/38 vom 29.04.2004, Abl. der EU CL 229 S. 35
Die Rechtsquellen
31
niederländische Krankenkasse zuständig ist, oder ob der Patient zwischen einer deutschen oder
niederländischen Krankenkasse oder zwischen der Behandlung bei einem deutschen oder niederländischen
Arzt wählen kann. Das sind nicht nur europarechtliche Fragen, sondern vielleicht auch grundrechtliche, wenn
der Klient kein Krankengeld mehr bekäme, andere Versicherte der gleichen Krankenkasse jedoch schon (z.B.
nur, weil sie in Deutschland wohnen, Gleichbehandlungsgrundsatz?). Wie das Verfahren der Bewilligung
eines Anspruchs abläuft, regelt das allgemeine Verwaltungsrecht, wie man nötigenfalls vor Gericht gehen
kann, die den Rechtsschutz betreffenden Gesetze. Kompliziert, oder?
SCHEMA: ÖFFENTLICHES RECHT
Europarecht Verfassungsrecht
EU-Vertrag Grundgesetz: Grundrechte, Staatsprinzipien
Verordnungen
Richtlinien Landesverfassungen
Allgemeines Verwaltungsrecht
Verwaltungsverfahrensgesetz
SGB I, IV und X
Abgabenordnung
Besonderes Verwaltungsrecht
Rechtsschutz
Polizei- und Ordnungsrecht Verwaltungsgerichtsordnung
Ausländerrecht Sozialgerichtsgesetz
Beamtenrecht Bundesverfassungsgerichtsgesetz
Steuerrecht
Sozialrecht (SGB V bis IX, XI und XII)
Die Rechtsquellen
32
EUROPARECHT
Der Vertrag über die Europäische Union (EUV) und der Vertrag über die Arbeitsweise der
Europäischen Union (AEUV) bilden die rechtliche Grundlage der EU.
Gemäß Artikel 24 GG hat Deutschland teilweise Hoheitsrechte auf die Organe der Europäischen
Union übertragen. Damit besteht die Möglichkeit, dass diese Institutionen Rechtsnormen setzen, die
entweder unmittelbar für die deutschen Behörden zu beachten sind oder eine mittelbare
Auswirkung haben. Eine mittelbare Auswirkung liegt vor, wenn erst der deutsche Staat bestimmte
Vorgaben in nationale Gesetze umsetzen muss. Dies ist bei den so genannten Richtlinien (vgl. Artikel
288 Abs. 3 AEUV) der Fall. Demgegenüber gilt eine EU-Verordnung direkt und bedarf keiner
weiteren Umsetzung (Art. 288 Abs. 2 AEUV).
Grundlegend sind die bereits in den Verträgen niedergelegten Bestimmungen der
Nichtdiskriminierung und der Unionsbürgerschaft mit den daraus resultierenden Rechten der
Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (Art. 18 ff. AEUV). Das bedeutet konkret: alle
Unionsbürger haben das Recht, sich innerhalb der EU aufzuhalten, dort zu leben und zu arbeiten.
Wie dies nun genau aussieht – z.B. auch für Familienangehörige, die keine EU-Bürger und damit
Drittstaatsangehörige sind – regelt die sog. Unionsbürgerrichtlinie mit der Bezeichnung
2004/38/EG. Nach dieser Richtlinie waren die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, die getroffenen
Regelungen bis zum 30.04.2006 einzuführen. Das ist in Deutschland mit dem FreizügG/EU vom
30.07.2004 geschehen.
Im gerade geschilderten Fall des nigerianischen Staatsangehörigen ergibt sich sein Daueraufenthaltsrecht aus
diesem Gesetz (§ 4a FreizügG/EU). Erst die Umsetzung einer EU-Richtlinie verschafft den Rechtsanspruch.
Nur ausnahmsweise kann man unmittelbar aus einer Richtlinie Ansprüche herleiten, wenn diese z.B. nicht
rechtzeitig oder vollständig umgesetzt wäre.
Nach diesen grundlegenden Rechten definieren die Verträge verschiedene Politiken, für die die EU
und nur nachrangig die Mitgliedstaaten zuständig sind. Dies betrifft u.a. die Sozial9- und die
Gesundheitspolitik10.
9 Art. 151 ff. AEUV
Die Rechtsquellen
33
VERFASSUNGSRECHT
Das Verfassungsrecht beinhaltet einmal das Grundgesetz des Bundes und darüber hinaus auch die
einzelnen Länderverfassungen. Beide sind bei der Lösung eines Problems mit heranzuziehen. Große
inhaltliche Unterschiede existieren aber nicht, da sich alle Länderverfassungen an den
Grundaussagen des Grundgesetzes orientieren. Insbesondere hat der öffentliche Träger die
Grundrechte sowie die tragenden Staatsprinzipien (Sozialstaatsprinzip, Rechtsstaatsprinzip) bei
seinen Entscheidungen zu beachten. Dies gilt für die Verwaltung (Exekutive) bei der Durchführung
von Gesetzen. Darüber hinaus muss auch der Gesetzgeber bei der Verabschiedung von Gesetzen, die
die Grundrechte einschränken, die Wertaussage der Grundrechte berücksichtigen. Insofern sind die
Grundrechte auch Prüfungsmaßstab für die Frage, ob ein Gesetz verfassungsmäßig ist.
Das Grundgesetz unterteilt sich in die Grundrechte und Regeln über das Verhältnis des Bundes zu
den Ländern. Dort sind auch die Staatsprinzipien festgelegt. Sodann folgen Kapitel zu den drei
Staatsgewalten, d.h. der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung.
ALLGEMEINES VERWALTUNGSRECHT: DER ABLAUF DES VERWALTUNGSVERFAHRENS
Das allgemeine Verwaltungsrecht beschreibt die wesentlichen Grundbegriffe des Verwaltungsrechts
(Definition des Verwaltungsaktes, öffentlich-rechtlicher Vertrag, Fragen des Ermessens).
Für das Verwaltungshandeln typisch ist der Erlass eines Bescheides (Verwaltungsaktes). Anders als
im Zivilrecht, wo typischerweise der Vertrag die Rechtsbeziehungen zwischen den Bürgern regelt,
agiert das Öffentliche Recht einseitig: der Steuerbescheid, der BAFÖG-Bescheid sind hier nur einige
Beispiele. Das staatliche Handeln ist grundsätzlich in allen Rechtsgebieten des öffentlichen Rechts
gleich, darum eben heißt es allgemeines Verwaltungsrecht.
Hier im Allgemeinen Verwaltungsrecht werden auch der Ablauf eines Verwaltungsverfahrens
(Einleitung, Sachverhaltsermittlung, Beendigung) sowie die Verfahrensrechte der Beteiligten
(Akteneinsichtsrecht, Datenschutz) festgeschrieben.
Es ergibt sich der stets gleiche Ablauf des Verwaltungsverfahrens:
10 Art. 168 ff. AEUV; Frenz, Walter, Götzkes, Vera: Europäische Gesundheitspolitik nach Lissabon; MedR 2010, (9), 613
Die Rechtsquellen
34
Antrag Wer eine staatliche Leistung beansprucht, muss rechtzeitig
einen Antrag stellen. Rückwirkend, d.h. für einen Zeitraum vor
Antragstellung, werden Leistungen in der Regel nicht bewilligt.
Behörden werden auch ohne Antrag aktiv, wenn sie in die
Rechte des Bürgers eingreifen.
Anhörung Vor einem Eingriff in die Rechte des Bürgers oder vor
Ablehnung eines Antrags muss die Behörde den Bürger zur
Stellungnahme auffordern.
Bescheid Dies ist die verbindliche Festlegung der Behörde durch einen
Verwaltungsakt.
Widerspruch Gegen einen mit Rechtsmittelbelehrung versehenen Bescheid
kann der Bürger innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Schriftstückes Widerspruch einlegen.
In einigen besonderen Rechtsgebieten ist das
Widerspruchsverfahren in Nordrhein-Westfalen abgeschafft.
Widerspruchsbescheid Der Widerspruchsbescheid ist die endgültige Festlegung der
Behörde.
Gegen einen mit Rechtsmittelbelehrung versehenen
Widerspruchsbescheid besteht die Möglichkeit der Klage. Die
Klage muss innerhalb eines Monats bei dem zuständigen
Gericht eingereicht sein.
Welches Verfahrensgesetz Anwendung findet, hängt von der jeweiligen Regelungsmaterie des
besonderen Verwaltungsrechtes ab:
Die Rechtsquellen
35
- So gilt die Abgabenordnung (AO) für alle Verwaltungsverfahren, die sich mit dem Steuerrecht
befassen. Betroffen davon ist einmal das Verwaltungshandeln des Finanzamtes oder das der
örtlichen Kommune bezüglich der kommunalen Steuern.
- Im Bereich des Sozialrechtes wurde ein eigenes Verfahrensrecht im SGB X geschaffen, um eine
größere Bürgerorientierung zu erreichen. Da es sich im Sozialrecht vielfach um Fragen von
existentieller Bedeutung handelt, wird die Servicefunktion des Staates intensiviert. So bestehen
umfangreiche Beratungs- und Unterstützungspflichten. Im Sozialverwaltungsverfahren besitzt
der Bürger eine entsprechend bessere Rechtsposition.
- Für die übrigen Bereiche des Verwaltungshandelns (Polizei- und Ordnungsrecht, Beamtenrecht,
Baurecht etc.) gilt das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG).
BESONDERES VERWALTUNGSRECHT
Das besondere Verwaltungsrecht umfasst die jeweiligen Spezialbereiche des Verwaltungsrechts.
Dazu gehören neben dem Sozialrecht primär das Ordnungsrecht (Polizei- und Ordnungsrecht), das
Ausländerrecht, das Beamtenrecht, das Steuerrecht und das Kommunalrecht.
Für die einzelnen Bereiche des Sozialrechts besteht eine Vielzahl von Spezialgesetzen. Deshalb wird
diese Materie unter dem Begriff „Besonderes Sozialrecht“ noch einmal zusammengefasst.
DAS VERWALTUNGSPROZESSRECHT
Die öffentlich-rechtliche Rechtsordnung beinhaltet auch ein umfangreiches System von
Rechtsschutzoptionen, die der Bürger zur Überprüfung des staatlichen Handelns ausschöpfen kann.
So hat der Bürger die Möglichkeit den Bescheid (=Verwaltungsakt) einer Behörde in zweierlei
Hinsicht überprüfen zu lassen. Er kann zunächst gegen den Verwaltungsakt Widerspruch einlegen.
Insofern erfolgt dann eine behördeninterne Rechtmäßigkeitsprüfung. Hilft die Behörde dem
Widerspruch nicht ab, besteht die Möglichkeit, die entsprechenden Gerichte anzurufen. Das
Sozialgericht ist zuständig für alle Rechtsstreitigkeiten aus diesem Gebiet; das Verwaltungsgericht
ist für das Verwaltungsrecht zuständig.
Darüber hinaus hat jeder Bürger das Recht, die Verletzung seiner Grundrechte durch einen
staatlichen Hoheitsträger mit der Verfassungsbeschwerde zu rügen (Artikel 93 GG). Das Verfahren
ist in dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) geregelt. Gemäß § 90 Abs. 2 BVerfG) ist die
Verfassungsbeschwerde erst nach Ausschöpfung des gesamten Rechtsweges möglich. Dies bedeutet
Die Rechtsquellen
36
konkret, dass ein Verwaltungsakt, der ein Grundrecht verletzt, nicht direkt mit der
Verfassungsbeschwerde überprüft werden kann. Vielmehr muss der Bürger erst den
Verwaltungsrechtsweg (Verwaltungsgericht > Oberverwaltungsgericht >
Bundesverwaltungsgericht) ausschöpfen.
DIE RECHTSQUELLEN DES SOZIALRECHTS
DAS SOZIALGESETZBUCH
Wir hatten gesehen, dass das Sozialrecht ein besonderes Teilgebiet des Öffentlichen Rechts ist.
Früher war dieses in unterschiedlichen Fachgesetzen geregelt. Um das Rechtsgebiet übersichtlicher
und einheitlicher zu gestalten, hat man Mitte der 1970er Jahre damit begonnen, alle Gesetze in
einem gemeinsamen Buch, dem Sozialgesetzbuch – SGB - zu vereinen. Dieser Vorgang ist noch nicht
abgeschlossen. So wurde das Recht der Sozialhilfe, das früher in dem Bundessozialhilfegesetz
(BSHG) geregelt war, erst zum 01.01.2005 als SGB XII in das Sozialgesetzbuch aufgenommen. Zur
gleichen Zeit entstand das SGB II – das sog. Harzt IV – Gesetz.
Dieses Sozialgesetzbuch enthält sowohl reines Verfahrensrecht in den Büchern SGB I, IV und X.
Darüber hinaus sind die einzelnen Fachgebiete wie folgt aufgenommen:
SGB I: Allgemeiner Teil
SGB II: Grundsicherung für Arbeitssuchende (tritt zum 1.1.2005 in Kraft)
SGB III: Arbeitsförderung
SGB IV: Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung
SGB V: Gesetzliche Krankenversicherung
SGB VI: Gesetzliche Rentenversicherung
SGB VII: Gesetzliche Unfallversicherung
SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe
SGB IX: Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen
SGB X: Verwaltungsverfahren
Die Rechtsquellen
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SGB XI: Soziale Pflegeversicherung
SGB XII: Sozialhilfe (tritt am 1.1.2005 in Kraft)
Bislang noch nicht in das Sozialgesetzbuch aufgenommen wurden folgende Gebiete des Sozialrechts:
Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAFÖG)
Wohngeldgesetz
Versorgungsrecht (Versorgung der Kriegsopfer des Krieges, Opferentschädigungsgesetz
usw.)
Versicherung der Selbstständigen (z.B. Alterssicherung der Landwirte,
Künstlersozialversicherung)
Gerichtliche Verfahren: Gerichtsverfassungsgesetz, VwGO, Sozialgerichtsgesetz
Die meisten Sozialgesetze finden wir zusammengefasst in dem Sozialgesetzbuch (SGB). Das erste,
vierte und zehnte Sozialgesetzbuch betrifft Verfahrensrecht; die anderen materielles Recht. Das
Verfahrensrecht für die Sozialgerichte ist gesondert geregelt in dem Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Rechtsquellen
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SCHEMA: SOZIALRECHT
Verfahrensrecht / Prozeßrecht
Im SGB geregeltes materielles Recht Nicht im SGB geregeltes materielles Recht
SGB I SGB II: Grundsicherung für Arbeitssuchende
BEEG: Elternzeit und Elterngeld
SGB IV SGB III: Arbeitsförderung WoGG: Wohngeldrecht
SGB X SGB V: Gesetzliche Krankenversicherung
Kriegsopfer-Versorgungsrecht
SGB VI: Gesetzliche Rentenversicherung
OEG: Opferentschädigungsgesetz
SGG: Sozialgerichts-gesetz
SGB VII: Gesetzliche Unfallversicherung
BAFÖG
SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe
SGB XI: Behindertenrecht und Rehabilitation
SGB XII: Sozialhilfe
Die einzelnen Leistungen des Sozialrechts sind in §§ 18 ff. SGB I aufgelistet. Es handelt sich im
Wesentlichen um:
§ 18: Leistungen der Ausbildungsförderung
§ 19: Leistungen der Arbeitsförderung
§ 19a: Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende
§ 21: Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung
§ 21a: Leistungen der sozialen Pflegeversicherung
Die Rechtsquellen
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§ 22: Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung
§ 23: Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung
§ 24: Versorgungsleistungen bei Gesundheitsschäden
§ 25: Kindergeld und Erziehungsgeld
§ 26: Wohngeld
§ 27: Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe
§ 28: Leistungen der Sozialhilfe
§ 29: Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen
Fall: Der Mann von Frau Meier ist soeben aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und hat sie und die drei
Kinder finanziell völlig im Stich gelassen. Überlegen Sie, welche Unterstützung Frau Meier erhalten könnte,
und welche dieser Unterstützungsleistungen im Sozialrecht geregelt ist.
Lösung:
1. Die Rechtsbeziehung zu ihrem Mann betrifft das Familienrecht als Teil des Zivilrechts. Dazu gehört
insbesondere der Unterhaltsanspruch der Ehefrau und der Kinder im Falle des Getrenntlebens. Dies wird
hier ausgeblendet.
2. Die meisten staatlichen Leistungen sind im Sozialrecht geregelt. Bestimmte Leistungen stehen Frau Meier
ohne weiteres zu, z.B. das Kindergeld. Andere sind einkommensabhängig, wie z.B. das Wohngeld. Wieder
andere Leistungen sind nachrangig, wie vor allem die Leistungen der Grundsicherung. Als nicht
sozialrechtlich geregelte Leistung ist der Unterhaltsvorschuss zu nennen: bei unter 12-jährigen Kinder
übernimmt der Staat die Unterhaltsleistung (des Vaters) und setzt den eigentlich bestehenden
Unterhaltsanspruch gegen den Unterhaltsverpflichteten (später) durch. (s. i.e. das
Unterhaltsvorschussgesetz).
DAS VERFAHRENSRECHT DES SOZIALRECHTS
Die Struktur und die Organisation des Verwaltungsverfahrens sind in den folgenden Gesetzen
geregelt. Die Verfahrensstruktur ist im Wesentlichen im SGB X in Verbindung mit Elementen des
SGB I normiert. Dort werden die wesentlichen Elemente eines rechtmäßigen
Sozialverwaltungsverfahrens fixiert. Hieran knüpfen dann die jeweiligen spezifischen Gesetze an.
Jedoch ist diesbezüglich zu beachten, dass in Spezialgesetzen eine Abweichung von dem
Die Rechtsquellen
40
allgemeinen Sozialverwaltungsverfahren enthalten sein kann. Insofern ist immer bei der richtigen
Rechtsanwendung darauf zu achten, ob von den allgemeinen Strukturen des SGB X in den
Fachgesetzen abgewichen wird.
Ein wesentlicher Aspekt ist der Sozialdatenschutz, der im SGB I (§ 35) und dem SGB X normiert ist.
Damit wird der Schutz von vertraulichen Informationen sichergestellt. Eine Ergänzung erfährt der
Sozialdatenschutz im Sinne einer Verschärfung im SGB VIII.
Die Rechtsschutzmöglichkeiten des Bürgers gegen staatliche Maßnahmen im
Sozialverwaltungsrecht sind in der VwGO und im SGG niedergelegt. Von Bedeutung sind dabei
primär das Widerspruchsverfahren und die anschließenden Klageoptionen des Bürgers gegen eine
Maßnahme einer Behörde.
Eine weitere wichtige Stufe des Verwaltungsverfahrens stellt die Vollstreckung von Urteilen bzw.
Verwaltungsakten einer Behörde dar. Die Voraussetzung für eine Vollstreckungsmaßnahme ist im
Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) geregelt. Die Behörde erhält hierdurch die Möglichkeit,
eigene Entscheidungen schnell mit Zwangsmaßnahmen gegen den Bürger durchzusetzen.
DIE GRUNDPRINZIPIEN DES SOZIALRECHTS
Das Sozialrecht hat übergeordnete Prinzipien, die bei einer Falllösung das raschere Auffinden des
einschlägigen Gesetzes ermöglichen.
VORSORGEPRINZIP
Unter dem Vorsorgeprinzip können all diejenigen sozialrechtlichen Leistungen subsumiert werden,
die ein bestehendes Versicherungsverhältnis zwischen Anspruchsteller und Leistungserbringer
beinhalten. Hierzu zählen Leistungen
1. der Krankenversicherung,
2. der Rentenversicherung,
3. der Arbeitsförderung,
4. der Pflegeversicherung
5. der Unfallversicherung.
Die Rechtsquellen
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Das Vorsorgeprinzip ist damit auf fünf Säulen aufgebaut. Kennzeichnend für das Vorsorgeprinzip ist
die Erbringung von Beiträgen durch den Anspruchsteller. Lediglich im Bereich der gesetzlichen
Unfallversicherung erfolgt eine Übernahme der Beiträge beispielsweise durch den Arbeitgeber im
Arbeitsverhältnis. Diesbezüglich ist aber anzumerken, dass auch Schüler und Studenten der
gesetzlichen Unfallversicherung unterliegen.
Das Problem des Vorsorgeprinzips ist die primäre Fokussierung auf eine Erwerbstätigkeit.
Krankenversicherung, Rentenversicherung sowie die Arbeitsförderung und die Pflegeversicherung
knüpfen regelmäßig an ein bestehendes Arbeitsverhältnis an. Arbeitnehmer wie Arbeitgeber
erbringen dann Leistungen. Aus dem Vorsorgeprinzip fallen also all diejenigen Personen heraus, die
aufgrund ihrer Biographie nicht erwerbstätig sind. Sollen also für einen Klienten oder einer Klientin
die zutreffenden Sozialleistungen ermittelt werden, so entfallen in der Regel Leistungen nach dem
Vorsorgeprinzip, wenn Beitragszahlungen nicht erfolgt sind.
FÖRDERUNGSPRINZIP
Das Förderungsprinzip hat die Funktion, soziale Ungleichheiten zu kompensieren, indem konkrete
Fördermaßnahmen ausgekehrt werden. Maßnahmen nach diesem Prinzip sind also da zu prüfen,
wo finanzielle Engpässe ausgeglichen werden sollen.
• Typisch dafür ist das BAföG für Schüler und Studenten.
• Für Personen, die über ein geringes Einkommen verfügen, gibt es die Möglichkeit zum Bezug von
Wohngeld.
• Maßnahmen des Familienleistungsausgleiches sind das Elterngeld sowie das Kindergeld. Daneben besteht
die Möglichkeit nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) Leistungen zu erhalten, wenn eine Person
allein erziehend ist.
• Von besonderer Bedeutung sind auch Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII. Zu
nennen sind dort vor allen Dingen die Maßnahmen nach § 27 SGB VIII, die Erziehungsdefizite
kompensieren sollen.
Die Rechtsquellen
42
ENTSCHÄDIGUNGSPRINZIP
Das Entschädigungsprinzip basiert auf dem Gedanken einer Kompensation für erlittene Schäden,
die eine Person unverschuldet erlitten hat. Von Bedeutung sind insofern die im
Bundesversorgungsgesetz (BVG) normierte Kriegsopferversorgung, die Übernahme von
Impfschäden nach dem Bundesinfektionsschutzgesetz und die Opferentschädigung nach dem
Opferentschädigungsgesetz (OEG). Personen, die das Opfer einer vorsätzlichen Straftat geworden
sind, erhalten nach diesem Gesetz einen Ausgleich für die erlittenen Schäden
(Rehabilitationsmaßnahmen, Übernahme der Krankenhausbehandlung, Rente).
DIE SOZIALHILFE UND ALG II ALS AUFFANGTATBESTAND
Ist für eine Person eine Notlage eingetreten, die weder durch das Vorsorgeprinzip, noch durch das
Förderungs- und Entschädigungsprinzip kompensiert und ausgeglichen werden kann, kommt als
letzte Anspruchsgrundlage die Sozialhilfe, die im SGB XII geregelt ist, in Betracht. Das SGB XII hat ab
dem 01.01.2005 das frühere Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ersetzt.
Voraussetzung für die Gewährung von Sozialhilfe ist eine Notlage dergestalt, dass eine Person die
Bedürftigkeit weder durch den Arbeitseinsatz noch durch den Vermögenseinsatz ausgleichen kann.
Wenn bei der Bearbeitung eines Falles eine finanzielle Notlage einer Person beseitigt werden soll
und hierfür die zutreffende Anspruchsgrundlage gesucht wird, darf auf das SGB XII erst
zurückgegriffen werden, wenn die sonstigen Sozialgesetze keine Anspruchsgrundlage beinhalten.
Für diese Situation der Existenzsicherung ist seit dem 01.01.2005 das SGB II, die Grundsicherung
für Arbeitssuchende, hinzugekommen. Sie ersetzt die Sozialhilfe weitgehend, denn nach diesem
Gesetz erhalten nicht nur die Erwerbsfähigen ihr Geld (ALG II, früher auch Hartz IV genannt),
sondern auch deren Familienangehörige (Sozialgeld).
Die Rechtsquellen
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SCHEMA: SOZIALRECHT
Ablauf des Verwaltungsverfahrens
Vorsorgeprinzip Förderungsprinzip Entschädigungsprinzip
Verfahrensstruktur,
SGB X
Arbeitslosenversicherung, SGB III
Ausbildung, u.a. BAFÖG
Opferentschädigung, OEG
Datenschutz,
SGB I, X
Krankenversicherung,
SGB V
Wohngeld,
WogG
Kriegsopferversorgung, BVG
Rechtsschutz:
SGG, VwGO
Rentenversicherung,
SGB VI
Elterngeld,
BEEG
Impfschäden,
BSeuchG
Vollstreckung:
VwVG
Unfallversicherung,
SGB VIII
Unterhaltsvorschuss, UhVorschußG
Pflegeversicherung,
SGB XI
Kinder- und Jugendhilfe,
SGB VIII
Kindergeld,
BKGG, EStG
Auffangtatbestand: Grundsicherung, SGB II bzw. XII
Leistungs- und Eingriffsverwaltung
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GRUNDZÜGE DER STAATLICHEN LEISTUNGS- UND EINGRIFFSVERWALTUNG
Für die praktische Soziale Arbeit notwendig ist die Unterscheidung zwischen Leistungs- und
Eingriffsverwaltung des Staates.
Unter Leistungsverwaltung wird die Unterstützung des Bürgers durch den Staat verstanden. Die
soeben beschriebenen Prinzipien des Sozialrechts werden durch Leistungen des Staates
verwirklicht. Diese können wir in Sachleistungen und Geldleistungen unterscheiden.
SACHLEISTUNGEN
Sachleistungen erbringt der Staat u.a. in den elementaren Bereichen der Wasser- und
Energieversorgung, dem Straßenbau und nicht zuletzt der Bildung, indem er für den jeweiligen
Zweck Einrichtungen (Schulen usw.) unterhält. Auch die Beratung durch einen Sozialarbeiter ist,
wenn dieser im staatlichen Auftrag arbeitet, eine Sachleistung. Ebenso ist die Beratungshilfe und die
Prozesskostenhilfe eine Sachleistung.
BERATUNGSHILFE
Durch die Beratungshilfe soll es Bürgern mit geringem Einkommen ermöglicht werden, sich beraten
und außergerichtlich vertreten zu lassen. Die Beratungshilfe ist also Hilfe außerhalb eines
gerichtlichen Verfahrens.
Die Beratungshilfe wird von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten durchgeführt. Der
Rechtssuchende leistet einen Eigenbeitrag von 10 €; die übrigen Gebühren werden von der
Staatskasse übernommen. Jeder Rechtsanwalt ist dazu verpflichtet, die in dem Beratungshilfegesetz
vorgesehene Beratungshilfe durchzuführen11. Er kann dies nur bei Vorliegen von zwingenden
Gründen ablehnen.
Die Beratungshilfe erhält, wer nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht
dazu in der Lage ist, die für die Beratung oder Vertretung erforderlichen Geldmittel selbst
aufzubringen. Das ist der Fall bei Bezug von Sozialhilfe oder ALG II oder einer vergleichbaren
wirtschaftlichen Situation.
11 § 49 a Abs. 1 BRAO
Leistungs- und Eingriffsverwaltung
45
Die Bewilligung von Beratungshilfe erfolgt durch die Rechtsantragstelle des Amtsgerichts. Dazu ist
ein Antragsformular auszufüllen. Die Berechtigten erhalten einen Berechtigungsschein, die sie dem
Rechtsanwalt vorlegen.
PROZESSKOSTENHILFE
Die Prozesskostenhilfe (PKH) deckt die Gerichtskosten und die Kosten des eigenen Rechtsanwalts
ab. Damit wird – ähnlich wie bei der außergerichtlichen Beratungshilfe – Bedürftigen die
Möglichkeit gegeben, ihr Recht einzuklagen oder sich gegen rechtswidrige Eingriffe in das eigene
Recht zu wehren.
Ein Anspruch auf PKH besteht also auch hier für diejenigen, die nach ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen nicht dazu in der Lage sind, für die Kosten des Prozesses
aufzukommen. Im Vergleich zur Beratungshilfe allerdings sind die wirtschaftlichen
Voraussetzungen nicht so streng: wer ein Einkommen oberhalb des Niveaus existenzsichernder
Leistungen hat, erhält die Prozesskostenhilfe dadurch, dass auf die anfallenden Kosten Raten
gezahlt werden können. So erklärt sich, dass eine Vielzahl von Familiengerichtsverfahren über die
Prozesskostenhilfe finanziert wird.
Prozesskostenhilfe wird jedoch nur bewilligt, wenn die Klage Aussicht auf Erfolg bietet. Verlangt ein
Beklagter PKH, dann wird geprüft, ob seine Verteidigung voraussichtlich erfolgreich verlaufen
könnte.
Prozesskostenhilfe wird bei dem Gericht des Klageverfahrens mit Hilfe eines Vordrucks beantragt
und von diesem durch einen Beschluss bewilligt. Dieselben Richter, die später die mündliche
Verhandlung führen und entscheiden, prüfen also schon einmal vorab die Erfolgsaussicht.
Nach der Bewilligung der Prozesskostenhilfe verbleibt jedoch ein Kostenrisiko: sie erstreckt sich
nicht auf die Kosten des gegnerischen Anwalts. Wer also am Ende den Prozess verliert und die
Kosten der Gegenseite übernehmen muss, kann diese nicht von der Staatskasse ersetzt verlangen.
EXISTENZSICHERUNG DURCH GELDLEISTUNGEN
Geldleistungen werden von allen fünf genannten Sozialversicherungen erbracht. Aber auch
steuerfinanzierte Leistungen, mit denen das Förder- oder das Entschädigungsprinzip verwirklicht
werden, erfolgen durch Barzahlung oder Überweisung.
Leistungs- und Eingriffsverwaltung
46
In der Sozialen Arbeit entsteht häufig das Problem, die wirtschaftliche Existenz zu sichern.
Einprägsam dürfte das folgende Schema sein:
PRÜFSCHEMA EXISTENZSICHERNDE LEISTUNGEN
Private Sicherung Steuerfinanzierte
Geldleistungen
Geldleistungen der
Sozialversicherungsträger
Eigene Sicherung
• Einkommen
• Vermögen
Unterhaltsansprüche
• Eltern
• Kinder
• Kindergeld
• Elterngeld
• Wohngeld
• BAFÖG
• Unterhaltsvorschuss
• Krankenversicherung
• Pflegeversicherung
• Arbeitslosenversicherung
• Rentenversicherung
• Unfallversicherung
Existenzsichernde Leistungen nach SGB II oder XII
Mit diesem Schema kann ein Sozialarbeiter mögliche finanzielle Ansprüche auf Existenzsicherung
prüfen:
Auszugehen ist zunächst von dem Prinzip der Selbstbestimmtheit und Eigenverantwortlichkeit. Wer
sich in einer wirtschaftlichen Notlage befindet, muss zunächst einmal selbst für sich sorgen. Er muss
also primär sein eigenes Einkommen und Vermögen zur Überwindung der Notlage einsetzen. Unter
dem Einkommen versteht man die monatlichen Einnahmen; Vermögen hingegen ist das im Laufe
der Zeit gebildete Kapital (Haus, Bank- und Sparguthaben, Lebensversicherungen usw.)
Kinder haben Unterhaltsansprüche gegenüber ihren Eltern, sind aber diesen gegenüber im Notfall
auch selbst zum Unterhalt verpflichtet. Am Beispiel BAFÖG wird deutlich, dass staatliche Leistungen
grundsätzlich gegenüber derartigen Ansprüchen nachrangig sind. Wie hoch die
Unterhaltsansprüche sind, ist eine Einzelfallentscheidung. Die Oberlandesgerichte haben Kriterien
entwickelt, mit deren Hilfe der Unterhaltsbedarf ermittelt werden kann (Sog. Düsseldorfer Tabelle).
Leistungs- und Eingriffsverwaltung
47
Nicht jede steuerfinanzierte staatliche Leistung ist allerdings gegenüber eigenem Einkommen,
Vermögen oder bestehenden Unterhaltsansprüchen nachrangig. Insbesondere das Kindergeld wird
den Eltern unabhängig von ihrer finanziellen Situation bewilligt.
Wer über finanzielle Hilfen beraten will, muss die möglichen Geldleistungen der 5
Sozialversicherungen kennen. Dies wir in einem eigenen Kapitel behandelt.
Schließlich kann das System existenzsichernder Leistungen als Netz mit doppeltem Boden
bezeichnet werden: wer nicht ausreichend Unterstützung durch eigene, staatliche oder Leistungen
der Sozialversicherungen erhält, kann Leistungen der Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II erwarten.
„Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums … sichert jedem
Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und
für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben
unerlässlich sind.“ 12
Weil sich eben hier Soziales Recht verwirklichen soll13, ist für die Soziale Arbeit die genaue
Kenntnis der Zuständigkeiten, Verfahrensabläufe, Anspruchsvoraussetzungen bis hin zur Höhe der
zu erwartenden Zahlungen (Regelsätze) unerlässlich.
EINGRIFFSVERWALTUNG
Im Unterschied zur Leistungsverwaltung werden die Rechte der Beteiligten bei der
Eingriffsverwaltung nicht erweitert, sondern eingeschränkt.
Mit der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, der Ausweisung eines Ausländers aus der
Bundesrepublik, der Inobhutnahme eines Kindes durch das Jugendamt wird sogar massiv und in
Grundrechte eingegriffen.
Damit dies nicht willkürlich geschieht, muss jeder Eingriff auf der Basis einer gesetzlichen
Grundlage erfolgen. Diese Ermächtigungsgrundlage findet sich in Spezialgesetzen, wie z.B. dem
Strafrecht, dem Ausländerrecht oder dem Kinder- und Jugendhilferecht. Jeder Eingriff muss darüber
hinaus verhältnismäßig sein, d.h. er darf nur so weit gehen, wie er zum Schutz anderer Bürger oder
des Rechtssystems erforderlich ist
12 BVerfG, Urt. v. 09.02.2010 – 1 BvR 1/09 -
13 s. Einführung
Die Rechtsanwendung
48
DIE RECHTSANWENDUNG AUS DER PERSPEKTIVE VON INSTITUTIONEN UND
PERSONEN
Auch wenn die relevanten Rechtsnormen bekannt sind, so ist doch die korrekte Rechtsanwendung
mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten verbunden14. Bei der Lösung eines Falles in der Klausur
oder eines Problems in der Praxis ist danach zu differenzieren, ob der Bearbeiter oder die
Bearbeiterin Rechte für eine Privatperson geltend macht oder aber eine öffentliche Institution
vertritt.
Das ist vielleicht etwas überraschend. Vielleicht denken Sie, hier würde mit zweierlei Maß
gemessen, also dasselbe Recht einmal zugunsten der Behörde und einmal zugunsten der
Privatperson ausgelegt. Dies ist jedoch nicht unser Ansatz. Das Gesetz, das wir anwenden, ist immer
dasselbe und muss, auch um gerecht zu sein, zu demselben Ergebnis kommen. Unser Ansatz ist die
unterschiedliche Perspektive, aus der die Behörde bzw. der Bürger das Recht anwenden. Diese
Perspektive müssen Sie später im Berufsleben und deshalb auch in einer Klausur parat haben: Dem
Bürger kommt es entweder darauf an, eine bestimmte Sozialleistung zu erhalten oder eine
Inanspruchnahme der Behörde (z.B. auf Erstattung von Sozialleistungen) abzuwehren. Die Behörde
hingegen hat stärker die Rechtmäßigkeit ihres Handelns im Auge, also ihre Zuständigkeit und die
Gleichbehandlung aller Bürger.
14 Vgl. das Beispiel vor Abschnitt 2.2.1
Die Rechtsanwendung
49
SCHEMA: RECHTSANWENDUNG
Öffentliche Institution Privatperson
Verwaltungshandeln darf nicht gegen die Rechtsordnung verstoßen
Anspruchsgrundlage für Ansprüche des Bürgers Anspruchssituation: Prüfung, ob die Rechtsordnung ein subjektives Recht auf eine bestimmte Leistung beinhaltet
Ermächtigungsgrundlage für Ansprüche gegen den Bürger
Eingriffssituation: Prüfung, ob der staatliche Belastungsakt rechtmäßig dem durch Art. 2 Grundgesetz geschützten Freiheitsbereich beschränkt (Ermächtigungsgrundlage)
Maßstab ist die Einhaltung objektiven Rechts Maßstab für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit ist die Verletzung eines subjektiven Rechts
Die in Anspruchs- oder Ermächtigungsgrundlage genannten Voraussetzungen müssen vorliegen
Beachtung sämtlicher anderer Vorschriften
Kontrolle durch Aufsichtsinstanzen
Gerichtliche Kontrolle
DIE RECHTSANWENDUNG IN EINER ÖFFENTLICHEN INSTITUTION
Das Verwaltungshandeln darf nicht gegen die Rechtsordnung verstoßen. Dies bedeutet, dass bei der
Sachbearbeitung sämtliche Vorschriften zu beachten sind. Zu den Vorschriften gehören einmal die
Verfahrensvorschriften wie sie in den Verfahrensgesetzen (z.B. SGB X) niedergelegt sind. Zu diesen
formellen Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit gehören insbesondere Fragen der Zuständigkeit
einer Institution, die Gewährung der Akteneinsicht durch beteiligte Personen, die ordnungsgemäße
Sachverhaltsermittlung etc.
Neben diesen formellen Rechtsmäßigkeitskriterien sind aber auch die so genannten materiellen
Kriterien der Rechtmäßigkeit zu beachten. Die Behörde muss somit anknüpfend an die relevanten
Fachgesetze eine inhaltliche (= materielle) Legitimation für ihr Handeln finden. Es ist also zu prüfen,
ob es beispielsweise für die Gewährung einer Sozialleistung eine entsprechende rechtliche
Anspruchsgrundlage gibt und ob diese auch erfüllt ist. Will der örtliche Träger der Sozialhilfe einer
Die Rechtsanwendung
50
Person nach § 19 SGB XII Hilfe zum Lebensunterhalt gewähren, so muss geprüft werden, ob die
besonderen Voraussetzungen (vor allem Bedürftigkeit und das Nichtvorliegen anderweitiger
Leistungsverpflichteter) vorliegen.
Ob die öffentliche Institution sämtliche Rechtsvorschriften zutreffend beachtet hat, unterliegt einer
Kontrolle durch die Aufsichtsinstanzen (Fachaufsicht, Rechtsaufsicht).
Darüber hinaus kann ein betroffener Bürger sich gegen die falsche Anwendung von Rechtsnormen
durch die Anrufung des zuständigen Gerichtes (Verwaltungsgericht, Sozialgericht) wenden und
damit eine Überprüfung des Behördenverhaltens erreichen.
DIE RECHTSANWENDUNG DURCH EINE PRIVATE PERSON
Aus Sicht einer Privatperson ist danach zu unterscheiden, ob eine Leistung geltend gemacht wird
(Anspruchssituation) oder ob eine belastende Maßnahme der Behörde angegriffen, angefochten
werden soll (Anfechtungssituation).
Wird eine Leistung geltend gemacht, so besteht das Hauptaugenmerk der Rechtsanwendung darin,
die zutreffende Anspruchsgrundlage zu ermitteln. Es muss also geprüft werden, ob die
Rechtsordnung ein subjektives Recht des Bürgers auf eine bestimmte Leistung beinhaltet
(Leistungsanspruch).
So existieren zwar gerade im Sozialrecht viele Vorschriften, jedoch beinhaltet nicht jede Vorschrift
ein subjektives Recht. So enthält beispielsweise das SGB VIII im zweiten Kapitel (Leistungen der
Jugendhilfe) verschiedene Angebote. Dazu gehören gemäß § 11 SGB VIII die Jugendarbeit, gemäß §
12 SGB VIII die Förderung von Jugendverbänden und gemäß § 13 SGB VIII die Jugendsozialarbeit.
Ferner beinhaltet § 16 SGB VIII eine allgemeine Förderung und Erziehung in der Familie durch die
Träger der Jugendhilfe. Auf diese Maßnahmen kann der einzelne Bürger keinen Leistungsanspruch
ableiten, da diese Vorschriften kein subjektives Recht (= Anspruch) begründen. Ein subjektives
Recht beinhaltet der § 27 SGB VIII. Danach hat ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung
eines Kindes einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist und
die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Hier wird schon aus dem Wortlaut des §
27 SGB VIII deutlich, dass ein Anspruch besteht. Insofern ist also immer sorgfältig zu prüfen, ob für
eine bestimmte Leistung ein subjektives Recht, eine Anspruchsgrundlage, besteht.
Anders verhält es sich bei der Prüfung, ob eine staatliche belastende Maßnahme rechtmäßig ist.
Auch hier muss zunächst ermittelt werden, welches subjektive Recht des Bürgers beeinträchtigt ist.
Die Rechtsanwendung
51
Als subjektives Recht kommt Artikel 2 Abs. 1 GG in Betracht. Nach Art. 2 Abs. 1 GG hat jeder das
Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und
nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Aus diesem Grundsatz
wird abgeleitet, dass eine Person in ihrer persönlichen Freiheitsentfaltung nur durch rechtmäßige
Akte (verfassungsmäßige Ordnung) beeinträchtigt werden darf. Eine rechtswidrige behördliche
Maßnahme verletzt somit immer Art. 2 Abs. 1 GG und damit ein subjektives Recht des Bürgers.
Bei der Überprüfung, ob ein Bürger gegen eine staatliche Maßnahme einen Abwehranspruch hat,
muss zunächst die einschlägige Rechtsnorm ermittelt werden, die eine Rechtfertigungsgrundlage (=
Ermächtigungs-, Eingriffsgrundlage, Legitimation) für eine bestimmte Belastung erhält.
Beispiel: Ein Bezieher von Sozialhilfe ist der schriftlichen Aufforderung des örtlichen Sozialhilfeträgers zur
Übernahme gemeinnütziger Arbeit nicht nachgekommen. Er wurde schriftlich belehrt, dass die fehlende
Mitwirkung zu einer Kürzung der Sozialhilfeleistung führen kann. Kommt der Bezieher von Sozialhilfe der
Aufforderung nicht nach, so kann ihm gemäß § 25 SGB XII die Sozialhilfe gekürzt werden. Diese Kürzung
verletzt aber das subjektive Recht des Bürgers nach Art. 2 Abs. 1 GG dann, wenn diese Maßnahme
rechtswidrig ist. Denn wie bereits erwähnt, erlaubt Art. 2 Abs. 1 GG nur eine Belastung, wenn diese
rechtmäßig ist. Daher muss zunächst geprüft werden, ob die Voraussetzungen der Eingriffsgrundlage (§ 25
SGB XII) vollständig erfüllt sind.
Des Weiteren sind bei einer Überprüfung auch höherrangige Rechtsquellen (Grundgesetz)
einzubeziehen. So verstößt beispielsweise die Versagung der Sozialhilfe gegen den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wenn die Erfolglosigkeit der Reduzierung von Sozialhilfe zur
Förderung der Arbeitsbereitschaft von vornherein erkennbar war. Dann ist die Kürzung der
Sozialhilfe kein geeignetes Mittel die Motivation zu beschleunigen.
Darüber hinaus müssen aber auch sämtliche formale Kriterien (Verwaltungsvorschriften), die den
Schutz des Bürgers bezwecken, eingehalten werden. Dazu gehört, dass bei belastenden
Maßnahmen, die in Folge fehlender Mitwirkung von der Behörde angeordnet werden, negativen
Folge der Mitwirkungsversagung dem Leistungsberechtigten schriftlich mitgeteilt wird (vgl. § 66
Abs. 3 SGB I).
Dies hat also zur Konsequenz, dass das Handeln des Staates sowohl formellen Vorschriften als auch
die materiellen Vorschriften (= Legitimationsgrundlage) beachten muss, damit eine belastende
Maßnahme rechtmäßig ist.
Die Rechtsanwendung
52
SCHEMA: SUCHVORGANG BEI RECHTSANWENDUNG DURCH PRIVATPERSONEN
Anspruchssituation
1. Stufe Ermittlung der einschlägigen Rechtsquelle
Grobstruktur: Sozialrecht
Feinstruktur: SGB VIII
2. Stufe Ermittlung der einschlägigen Rechtsnorm (Anspruchsgrundlage), die ein subjektives Recht (Anspruch) auf die angestrebte Leistung enthält.
3. Stufe Prüfung, ob die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, z.B.
Antrag der Sorgeberechtigten
Beeinträchtigung des Kindeswohles
Rechtsfolge Die in der Anspruchsgrundlage genannte Rechtsfolge tritt ein, z.B.: geeignete und angemessene Hilfen zur Erziehung eines Kindes werden gewährt.
Anfechtungssituation (Abwehranspruch)
1. Stufe Ermittlung der einschlägigen Rechtsquellen
Grobstruktur: Sozialrecht
Feinstruktur: SGB XII
2. Stufe Ermittlung der einschlägigen Rechtsnorm,
die eine Legitimation (Ermächtigungsgrundlage) für eine bestimmte Belastung enthält, § 25 SGB XII
3. Stufe Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen
Beachtung höherrangige Rechtsquellen (Grundgesetz)
Einhaltung formaler Kriterien (Verfahrensvorschriften), die den Schutz des Bürgers bezwecken
Rechtsfolge Das Handeln des Staates muss sowohl formellen Vorschriften (Verfahren) als auch materielle Vorschriften (Ermächtigungsgrundlage) beachten.
Ist dies der Fall, liegt eine ausreichende Grundlage für den Eingriff in die Rechte des Bürgers vor. Ist dies nicht der Fall, ist die Maßnahme rechtswidrig und verletzt den Bürger in seinen Rechten.
Grundrechte und Grundgesetz
53
DIE GRUNDGESETZLICHEN RAHMENBEDINGUNGEN DES
VERWALTUNGSHANDELNS
Maßnahmen von öffentlichen Institutionen sind nur dann rechtmäßig, wenn sie im Einklang mit der
Rechtsordnung stehen. Dies bedeutet einmal die Einhaltung der jeweiligen spezifischen Fachgesetze
und darüber hinaus auch die Einhaltung der grundgesetzlichen Vorgaben.
Das Grundgesetz enthält verbindliche Wertentscheidungen, die von allen staatlichen Institutionen
beachtet werden müssen. So beinhalten nach dem traditionellen Grundrechtsverständnis die
Grundrechte Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat. Die Grundrechte haben somit
zunächst die Funktion der Freiheitssicherung15.
Neben diesem liberalen Grundrechtsverständnis existiert aber auch eine darüber hinausgehende
Interpretationsweise. Diese sieht in den Grundrechten nicht nur Abwehrrechte sondern darüber
hinaus auch Leistungsrechte des Bürgers gegenüber dem Staat.
Entgegen der landläufigen Vorstellung gelten die Grundrechte nur im Verhältnis zwischen dem
Stadt und dem Bürger, also nicht zwischen den Bürgern untereinander. Das ergibt sich
insbesondere aus Art. 1 Abs. 3 GG, wonach das Grundgesetz die drei Staatsgewalten, also die
Legislative, Exekutive und Jurisdiktion bindet.
Beispiel: Nach dem Grundgesetz sollen die Bürger gleichbehandelt werden. Dies verbietet einem
privaten Arbeitgeber jedoch nicht, nur Deutsche einzustellen (auch wenn dies diskriminiert nur
Frauen oder nur Männer einzustellen.
Der grundrechtliche Schutz wird ergänzt durch das Sozialstaatsprinzip und durch das
Rechtsstaatsprinzip. Beide sind in Art. 20 GG normiert.
Im Folgenden sollen die Kernaussagen des Grundgesetzes, soweit sie für die soziale Praxis von
besonderer Bedeutung sind, dargestellt und analysiert werden. Vorrangig von Relevanz sind dabei
15 BVerwG, Urt.v. 29.04.09 - 6 C 16/08 -, Erhebung von allgemeinen Studienbeiträgen in NRW rechtens, NVwZ 2009, 1562. BayVerfGH, Entsch.v. 28.05.09 - Vf. 4-VII-07 -, Die Erhebung allgemeiner Studienbeiträge ist mit der bayerischen Landesverfassung vereinbar, NVwZ 2009, 1036
Grundrechte und Grundgesetz
54
Art. 1 GG, Art. 2 GG, Art. 3 GG, Art. 6 GG, Artikel 13 GG sowie die Vorgaben des Sozialstaatsprinzips
und des Rechtsstaatsprinzips16.
ART. 1 GG: SCHUTZ DER MENSCHENWÜRDE
Gemäß Art. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Damit wird eine Schutzpflicht des Staates
hinsichtlich der Würde eines jeden Menschen normiert. Menschenwürde bedeutet, dass jedem
Menschen kraft seiner Existenz ein ganz spezifischer Eigenwert zukommt. Der Mensch darf also
nicht auf den Objektstatus reduziert werden17. Insofern ist Art. 1 GG ein Leitgrundsatz, der für die
gesamte Rechtsordnung, insbesondere auch für die Auslegung der weiteren Grundrechte von
entscheidender Relevanz ist.
Art. 1 GG vereinigt gewissermaßen alle Grundrechte in sich. In der Rechtspraxis führt dies dazu,
dass die Gerichte sehr häufig auf diese Grundrechte verweisen, ohne Art. 1 GG ausdrücklich zu
erwähnen.
Die Bedeutung des Art. 1 GG für die soziale Arbeit ist unter folgenden Aspekten zu beachten:
So ist hinsichtlich der Gewährung von Sozialleistungen darauf zu achten, dass die Subjektstellung
der betroffenen Bürger geachtet wird, diese also nicht bloß zum Objekt staatlichen Handelns
werden.
Beispiel: Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn ohne ersichtlichen Grund
Sozialhilfeleistungen nicht mehr in Geld, sondern in Naturalien ausgezahlt werden. Dies käme
teilweise einer Entmündigung der Leistungsbezieher gleich und dürfte daher gegen Art. 1 GG
verstoßen. Eine derartige Maßnahme wäre also rechtswidrig und hätte bei einer gerichtlichen
Überprüfung keinen Bestand. Anders ist die Situation, wenn die betroffene Person die
Sozialhilfeleistungen aufgrund einer Suchterkrankung die erhaltenen Beträge ausschließlich für den
Alkoholkonsum einsetzt. In diesem Fall wäre eine Umstellung von einer Geld- in eine Sachleistung
gerechtfertigt.
16 Zur Religionsfreiheit: EGMR, Urt.v. 15.09.09 Staatlicher Eingriff in die Autonomie einer Religionsgemeinschaft durch Anerkennung einer anderen (alt orthodoxe Kirche), NVwZ 2010, 1541 Finke: Warum das Burkaverbot gegen die EMRK verstößt; NVwZ 2010, (18), 1127
17 Hofmann, Rainer: Schändlicher Umgang mit Flüchtlingskind: Zwei Entscheidungen zu unbegleiteten Minderjährigen; ANA-ZAR 2010, (4), 32
Grundrechte und Grundgesetz
55
Zur Würde eines jeden Menschen gehört, eigenverantwortlich über sein Leben zu entscheiden.
Beratungsangebote im sozialen Bereich dürfen daher nicht zu einer Entmündigung des Einzelnen
führen.
Beispiel: In Ihre Beratung kommt ein zunächst sehr ruhiger Mann, der aber im Laufe des Gesprächs
immer unverständlicher und auch verbal aggressiver wird. Sie haben den Eindruck, er müsse sich in
ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung begeben. Auch wenn es für ihn sicherlich
vorteilhaft wäre, dies zu tun, gebietet es die Menschenwürde, ihn nicht dazu zu zwingen. (Eine
Ausnahme bildet die zwangsweise Unterbringung durch einen Facharzt zum Schutz vor akuter
Selbst- oder Fremdgefährdung)
Auch Personen, die kraft Gesetzes (§ 1896 ff. BGB) unter Betreuung gestellt wurden, haben das
Recht zu einer autonomen Lebensführung. Dies bedeutet, dass sie auch objektiv unvernünftige
Entscheidungen treffen dürfen, soweit nicht der Tatbestand einer Selbstgefährdung erfüllt ist.
Staatliche Institutionen oder der eingesetzte Betreuer müssen die individuell getroffenen
Entscheidungen respektieren.
Beispiel: Ein Betreuungsklient, der über ein großes Vermögen verfügt, gibt 100,00 € für sinnlose
Sachen aus. Kommt es nicht zu einer Vermögensgefährdung, so hat der Betreuer dies zu
akzeptieren. Auch dürfen hinsichtlich der allgemeinen Lebensführung bezüglich der Ordnung und
Sauberkeit nicht die individuellen Kriterien des Betreuers zugrunde gelegt werden, sondern es
muss auf die individuelle Lebensführung des Betroffenen abgestellt werden.
ART. 2 GG: FREIHEITSRECHTE
Der Schutz des Artikels 2 GG umfasst drei Freiheitsbereiche, nämlich die freie Entfaltung der
Persönlichkeit, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie die Freiheit der Person.
Nach Artikel 2 Abs. 1 GG hat jede Person das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung. Begrenzt
wird diese durch die Rechte Dritter sowie die durch die verfassungsmäßige Ordnung oder das
Sittengesetz. Das Sittengesetz als Inbegriff objektiver moralischer Vorstellung hat keine Bedeutung
mehr für die Begrenzung der individuellen Freiheit, da die prägenden Wertentscheidungen in die
Gesetze sowie in das Grundgesetz eingeflossen sind.
Grundrechte und Grundgesetz
56
Unproblematisch ist, dass die Grenze der eigenen Freiheit die Freiheits- bzw. Eigentumsrechte
Dritter sind. So kann beispielsweise die individuelle Freiheitsgewährung nicht bedeuten, dass
Rechtsgüter dritter Personen beschädigt werden.
Problematischer hingegen ist die Frage, inwieweit die Freiheitsrechte durch die verfassungsmäßige
Ordnung beschränkt werden. Unter dem Begriff verfassungsmäßige Ordnung werden sämtliche
Rechtsnormen (Grundgesetz, Gesetze, Rechtsverordnung) verstanden. Insofern wird also das
Freiheitsrecht durch die Rechtsordnung begrenzt. Allerdings besteht dabei die Gefahr einer
zunehmenden Reduzierung der individuellen Freiheit durch eine immer dichter werdende
rechtliche Normierung. Insofern stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Rechtsordnung zu
dem individuellen Freiheitsrecht.
Damit die Persönlichkeitsentfaltung nicht durch eine permanente Gesetzgebung reduziert wird,
muss jedes Gesetz selbst wiederum an Art. 2 GG gemessen werden. Dies führt im Ergebnis zu einer
Überprüfung, inwieweit eine Einschränkung des Freiheitsrechtes zu Recht erfolgt ist. Das
einschränkende Gesetz bedarf insofern einer Legitimation für die restriktiven Maßnahmen
gegenüber dem Individuum.
Ein Prüfungsaspekt ist dabei der aus Art. 20 GG abzuleitende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. So
muss jede Rechtsnorm sowie jede staatliche Maßnahme, durch die die individuellen Freiheitsrechte
des Art. 2 Abs. 1 GG eingeschränkt werden, einer Überprüfung anhand des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes standhalten. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besagt, dass der
Staat zur Erreichung eines bestimmten Zwecks diejenige Maßnahme ergreifen muss, die am
geringsten in die Rechtssphäre der betroffenen Bürger eingreift. Daher muss bei Gesetzen, die die
Freiheitssphäre beschränken, genau geprüft werden, inwieweit die mit dem Gesetz verbundenen
Einschränkungen zur Erreichung der Gesetzesintention überhaupt geeignet und notwendig sind.
Darüber hinaus ist zu fragen, ob die mit dem Gesetz verbundenen Nachteile für das Individuum
größer sind als der allgemeine Nutzen. Insofern darf ein Gesetz nicht mehr schaden als nützen.
Insofern ist immer eine Abwägungsentscheidung erforderlich.
Beispiel: Das Bundesland A möchte für jeden Studierenden der Sozialarbeit und Sozialpädagogik,
der sein Anerkennungsjahr beginnen möchte, die ärztliche Bescheinigung darüber, dass ein
durchgeführter HIV-Test negativ ist. Ansonsten wird kein Vertrag über die Absolvierung des
Anerkennungsjahres geschlossen.
Eine derartige Rechtsnorm würde in den Freiheitsbereich des Artikel 2 Abs. 1 GG eingreifen.
Grundrechte und Grundgesetz
57
Um eine Aushöhlung des Art. 2 Abs. 1 GG zu vermeiden muss also geprüft werden, inwieweit diese
Maßnahme verhältnismäßig ist. Hiergegen bestehen aber erhebliche Zweifel, da allein der Umstand
einer HIV-Infektion kein Risiko im sozialen Kontakt darstellt.
Daher wäre das Vorhandensein eines Negativattestes diesbezüglich unangemessen, da hierdurch
eine bestimmte Bevölkerungsgruppe von vornherein ausgegrenzt und diskriminiert wird. Daher ist
eine derartige Maßnahme unverhältnismäßig.
Eine derartige Rechtsnorm ist somit wegen des Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip
rechtswidrig und stellt damit keine verfassungsmäßige Ordnung dar. Damit verstößt diese
Maßnahme gegen Artikel 2 GG. Die betroffenen Personen werden in ihren subjektiven Rechten aus
Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.
Artikel 2 Abs. 1 GG ist auch Prüfungsmaßstab wenn eine behördliche Maßnahme unverhältnismäßig
ist.
Beispiel: In einer lauen Sommernacht veranstalten Studierende des Fachbereiches Sozialwesen eine
große Überraschungsparty. Nachdem der Lärmpegel um 23:15 Uhr erheblich angestiegen ist, haben
Nachbarn die Polizei alarmiert. Polizeihauptmeister Müller, der selbst letzte Nacht Opfer
ruhestörenden Lärmes geworden ist, verbietet die gesamte Party und fordert die Personen auf, nach
Hause zu gehen.
Dieser polizeiliche Verwaltungsakt ist unverhältnismäßig und verstößt gegen Artikel 2 Abs. 1 GG,
wenn es ausreichen würde, lediglich das Hören der Musik zu beschränken. In diesem Fall hätte
angeordnet werden können, dass die Musik leise oder ganz ausgestellt wird und sich die
Versammlung der Studierenden leiser verhält.
Die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Sozialrecht hat primär seine Bedeutung in
der Überprüfung von belastenden Maßnahmen gegenüber den betroffenen Bürgern. Dies ist der
Fall, wenn beispielsweise aufgrund fehlender Mitwirkungsmaßnahmen Sanktionen angedroht und
realisiert werden (z.B. Kürzung von Sozialleistungen). In diesen Fällen ist immer sorgfältig zu
prüfen, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet worden ist.
Artikel 2 Abs. 2 S.1 GG schützt das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Damit wird also
die körperliche Integrität des Bürgers gegenüber staatlichen Maßnahmen geschützt. Allerdings
enthält Art. 2 Abs. 1 GG auch die Einschränkung, dass in diese Rechte aufgrund eines Gesetzes
eingegriffen werden kann. Gesetze, die die körperliche Integrität beeinträchtigen, stellen vor allem
ärztliche Zwangsuntersuchungen dar, zu der bestimmte Personen verpflichtet sind. Auch hier gilt es,
Grundrechte und Grundgesetz
58
den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. So besteht die Verpflichtung von Personen an
Untersuchungsmaßnahmen teilzunehmen, die eine Abwendung von Gesundheitsgefahren für die
Allgemeinheit von Bedeutung haben.
Beispiel: Ist beispielsweise in einer Institution der Fall einer offenen Tuberkulose (TBC)
aufgetreten, so sind nach dem Bundesinfektionsgesetz alle Beschäftigten und Nutzer dieser
Institution verpflichtet, sich ärztlich untersuchen zu lassen.
Darüber hinaus schützt Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG die Freiheit der Person. Jede Person hat damit
grundsätzliche das Recht, sich frei zu bewegen. Einschränkungen der Bewegungsfreiheit können
aufgrund eines Gesetzes erfolgen. Auch hierbei ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
Gesetze die eine Freiheitsentziehung zum Inhalt haben, sind die Strafgesetze (Gefängnisstrafe,
Untersuchungshaft). Hier spielt neben Art. 2 GG Art. 104 GG eine wichtige Rolle. So führt Art. 104
Abs. 2 GG aus, dass über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung ein Richter zu
entscheiden hat. Gleichzeitig wird festgehalten, dass Polizeibehörden eine Person nie länger als bis
zum Ende des Tages nach dem Ergreifen festhalten dürfen. Vielmehr ist in diesen Fällen spätestens
am Tage nach der Festnahme eine richterliche Entscheidung herbeizuführen.
Beispiele: Freiheitsentziehende Maßnahmen spielen im sozialen Bereich eine Rolle bei der
Unterbringung von betreuten Personen, bei der unfreiwilligen Unterbringung von psychisch
erkrankten Personen und bei der geschlossenen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen.
Derartige Maßnahmen sind nur zulässig, wenn insoweit eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage
besteht, die konkrete Maßnahme verhältnismäßig ist und ein entsprechender richterlicher
Beschluss zur Unterbringung vorliegt.
Eine Unterbringung nach dem Gesetz über psychische Krankenhäuser (PsychKG) kann eine
zwangsweise Unterbringung von Personen in ein psychisches Krankenhaus verfolgen, wenn der
Tatbestand der Fremdgefährdung vorliegt. Wenn also Personen aufgrund einer Störung ihrer
geistigen Funktionen gewalttätig werden und andere verletzen oder eine Verletzung anderer droht,
ist eine Unterbringung durch die Ordnungsbehörden möglich.
In diesem Fall muss umgehend ein richterlicher Beschluss, der diese Unterbringung genehmigt,
nachgeholt werden, wenn dieser nicht bereits vorher erlassen worden ist. Ebenfalls ist eine
Unterbringung nach dem PsychKG möglich, wenn der Tatbestand der Selbstgefährdung (z.B.
Suizidversuch oder drohender Suizid) gegeben ist.
Grundrechte und Grundgesetz
59
Die Unterbringung eines Kindes oder eines Jugendlichen ist gemäß § 1631 b BGB möglich. Auch hier
wird normiert, dass eine entsprechende richterliche Genehmigung vorliegen muss. Nur bei einer
Gefährdungssituation ist eine Unterbringung ohne Genehmigung des Gerichtes möglich. Die
Genehmigung ist dann aber unverzüglich nachzuholen. Voraussetzung für die geschlossene
Unterbringung ist aber, dass ansonsten eine Kindeswohlgefährdung gegeben ist.
Die Rechtsgrundlage für die Unterbringung einer betreuten Person stellt § 1906 BGB dar. Danach ist
die mit der Unterbringung verbundene Freiheitsentziehung zulässig, wenn sie zum Wohle des
Betroffenen erforderlich ist (Abwehr einer Selbstgefährdung, Unterbringung zur Untersuchung oder
zur Durchführung einer Heilbehandlung). Auch hier ist eine Genehmigung des
Vormundschaftsgerichtes erforderlich (§ 1906 Abs. 2 BGB).
Der Schutz der persönlichen Freiheit eines Menschen macht also deutlich, dass freiheitsentziehende
Maßnahmen, auch wenn sie zu seinem Wohl erforderlich sind, immer einer bestimmten
rechtsstaatlichen Vorgehensweise bedürfen. Neben dem Auffinden der Ermächtigungsgrundlage,
die den Grund der Unterbringung definiert, ist immer eine richterliche Genehmigung
herbeizuführen. Damit wird sichergestellt, dass keine Person gegen ihren Willen und ohne effiziente
Kontrolle durch den Rechtsstaat geschlossen untergebracht wird. Für die soziale Praxis hat dies die
Konsequenz, die entsprechenden Verfahrensvorgaben genau einzuhalten damit der grundrechtliche
Schutz gewährleistet bleibt.
ART. 3 GG: GLEICHHEITSRECHTE
Artikel 3 GG verpflichtet den Staat, zu einer allgemeinen Gleichbehandlung
(Gleichbehandlungsgrundsatz) und verbietet damit die Diskriminierung. Dieses allgemeine
Diskriminierungsverbot ist in Art. 3 Abs. 1 GG niedergelegt.
Der Staat darf also ohne sachlichen Grund vergleichbare Tatbestände nicht ungleich behandeln.
Das Diskriminierungsverbot spielt auch im sozialen Bereich dort eine entscheidende Rolle, wo die
Behörde einen größeren Handlungsspielraum (= Ermessen) hat. In dieser Entscheidungssituation
muss die Behörde alle beteiligten Bürger gleich behandeln, soweit für die Ungleichbehandlung kein
sachlicher Grund besteht.
Beispiel: Erhalten beispielsweise alle Bezieher von Sozialhilfeleistungen zu Weihnachten eine
Sonderzahlung von 30,00 €, so darf einer bedürftigen Person nicht nur 25,00 € ausgezahlt werden,
Grundrechte und Grundgesetz
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bloß weil diese des Öfteren im Sozialamt lautstark gegen die Verwaltungspraxis protestiert hat. Ein
sachlicher Differenzierungsgrund muss sich immer aus der entsprechenden Rechtsmaterie ergeben.
Artikel 3 Abs. 2 GG enthält den Gleichberechtigungsgrundsatz. Alle staatlichen Institutionen sind
daher verpflichtet, die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen durchzusetzen und zu
fördern. Dies bedeutet konkret, dass der Staat als Arbeitgeber Frauen nicht schlechter bezahlen darf
als Männer, wenn beide eine vergleichbare Tätigkeit durchführen. Die Förderung der
Gleichberechtigung ist in vielen Ländergesetzen enthalten, die eine spezifische Förderung enthalten.
Gleichstellungsgesetze schreiben vor, dass bei Einstellungen aber auch Beförderungen eine in etwa
gleiche Zahl von Männern wie Frauen berücksichtigt werden.
Intendiert wird dabei eine hälftige Besetzung der Positionen mit Männern und Frauen. Diese
Förderung gilt aber nur für den öffentlichen Arbeitgeber, nicht jedoch für die privaten Arbeitgeber.
Es wurde bereits erwähnt, dass die Grundrechte, also auch Art. 3 GG, grundsätzlich nur im
Verhältnis zwischen dem Staat und dem Bürger relevant sind.
Die Förderung der Gleichberechtigung wird durch so genannte Quotenregelungen realisiert. Danach
können Personen, deren Geschlecht bei der Einstellung oder in dem Beförderungsamt
unterrepräsentiert ist, gegenüber Mitbewerbern, die eine vergleichbare Qualifikation aufweisen,
bevorzugt werden. Allerdings darf sich dabei kein Automatismus herausbilden, der lediglich auf die
Durchsetzung der Quote abzielt. So ist es durchaus möglich dennoch andere Bewerber vorzuziehen,
wenn bei diesen eine spezifische soziale Situation (z.B. allein erziehender Vater) vorliegt. Dies
macht deutlich, dass sich bei der Anwendung des Gleichberechtigungsgrundsatzes jegliche
schematische Anwendungsweise verbietet.
Artikel 3 Abs. 3 GG schließt kategorisch jede Benachteiligung aus religiösen, politischen und
ethnischen Gründen aus. Gleichzeitig wird das Verbot zur Benachteiligung Behinderter normiert.
Damit ist die Verpflichtung des Gesetzgebers verbunden, eine gleichberechtigte Teilhabe
Behinderter am sozialen Leben zu realisieren. Damit wird erstmalig eine ausdrückliche Präferierung
von Behinderten gegenüber anderen Personen normiert. Zur Umsetzung in die Rechtspraxis hat der
Gesetzgeber das Behindertenrecht novelliert und das SGB IX verabschiedet.
ART. 6 GG: SCHUTZ DER EHE UND FAMILIE
Durch Art. 6 wird die Ehe und Familie geschützt. So enthält Art. 6 Abs. 1 GG eine so genannte
Institutsgarantie. Dort heißt es, dass Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen
Grundrechte und Grundgesetz
61
Ordnung stehen. Der Staat ist damit verpflichtet, auch in Zukunft die Institutionen Ehe und Familie
zu sichern und zu fördern.
In der rechtspolitischen Diskussion wird kontrovers diskutiert, ob durch die parallele Anerkennung
von nichtehelicher gleichgeschlechtlicher Partnerschaft diese Institutionsgarantie relativiert wird.
Der Schutz der Ehe ist auch bei sämtlichen Verwaltungsentscheidungen mit zu berücksichtigen.
Beispiel: So ist beispielsweise bei der Entscheidung über die Abschiebung eines Ausländers in sein
Heimatland mit in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, dass eine Ehe besteht. Hieraus kann
sich unter Umständen ein Abschiebungshindernis ergeben.
Art. 6 Abs. 2 GG bestimmt, dass Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht und die Pflicht
der Eltern sind. Damit wird gleichzeitig eine Institutsgarantie für das Elternrecht ausgesprochen.
Allerdings normiert Art. 6 Abs. 2 GG auch das staatliche Wächteramt. In Art. 6 Abs. 2 S.2 GG heißt es,
dass der Staat über die Betätigung der Elternrechte wacht. Hieraus resultiert die Verpflichtung des
Staates zum Eingreifen, wenn die Eltern gegen ihre Rechte und Pflichten verstoßen. Insofern
normiert Artikel 6 GG grundsätzlich ein Spannungsverhältnis dergestalt, dass die Eltern zwar einen
Freiraum gegenüber dem Staat bei der Erziehung ihrer Kinder haben, der Staat jedoch eingreifen
muss, wenn eine Gefährdung der Kinderinteressen vorliegt. In diesem Spannungsverhältnis bewegt
sich der Sozialarbeiter oder Sozialpädagoge beim Jugendamt. Grundsätzlich haben die Eltern einen
großen Autonomiebereich bei der Festlegung der Erziehungsziele und der Durchführung. Der Staat
kann daher die Eltern nicht zu einer optimalen Erziehung verpflichten und muss Defizite
akzeptieren.
Erst wenn eine Gefährdung des Kindeswohles vorliegt, wenn also nachhaltige Entwicklungsdefizite
zu befürchten oder diese bereits eingetreten sind, hat der Staat die Möglichkeit zur Intervention. Es
besteht dann die Möglichkeit der Inobhutnahme der Kinder und Jugendlichen gemäß § 43 SGB VIII
oder schließlich die Entziehung oder die Beschränkung der elterlichen Sorge. Rechtsgrundlage
hierfür sind die §§ 1666, 1666a BGB. Dies macht in letzter Konsequenz deutlich, dass staatliche
Interventionen gegen den Elternwillen erst möglich sind, wenn ein Gefährdungstatbestand gegeben
ist.
Insofern hat der Staat lediglich Möglichkeiten im Rahmen von freiwilligen Leistungen in
Zusammenarbeit mit den Eltern Erziehungsdefizite abzubauen. Insofern ist das SGB VIII ein
Leistungsgesetz, da hier den Eltern der Rechtsanspruch auf eine Hilfe zur Erziehung gemäß § 27
SGB VIII angeboten wird.
Grundrechte und Grundgesetz
62
Nach Art. 6 Abs. 4 GG hat jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
Der Staat hat also die Verpflichtung zu Schutz und Fürsorge der Mutter. So gibt es eine
umfangreiche Gesetzgebung, die den Mutterschutz im Arbeitsrecht realisiert (Mutterschutzgesetz,
Kündigungsschutz).
Art. 6 Abs. 5 GG normiert ein spezifisches Gleichheitsrecht der so genannten unehelichen Kinder.
Insofern besteht ein bindender Verfassungsauftrag, Diskriminierungen abzubauen. Im
Familienrecht, wie es im BGB normiert ist, wird nunmehr eine Unterscheidung zwischen
unehelichen und ehelichen Kindern nicht mehr getroffen.
ART. 13 GG: UNVERLETZLICHKEIT DER WOHNUNG
Durch Art. 13 GG, der die Unverletzlichkeit der Wohnung betrifft, wird die Privatsphäre des Bürgers
vor Zugriffen des Staates geschützt. Damit wird schließlich die räumliche Freiheitssphäre vor
Zugriffen staatlicher Institutionen abgesichert. Unter der Absicherung des Art. 13 fallen auch
Geschäftsräume und die Räume von sozialen Beratungsstellen (Erziehungsberatung,
Drogenberatung).
Der Staat braucht daher eine besondere Legitimation, wenn er in den Schutzbereich des Art. 13
eingreifen will. So bedarf jede Durchsuchung eines entsprechenden richterlichen Beschlusses.
Beispiel: Wenn beispielsweise der Gerichtsvollzieher eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme
durchführen will und öffnet der Schuldner nicht freiwillig die Tür, muss zunächst ein
entsprechender richterlicher Beschluss zur Durchsuchung der Wohnung herbeigeführt werden. Erst
wenn dieser erlassen ist, kann der Gerichtsvollzieher gegen den Willen des Schuldners dessen
Wohnung betreten und durchsuchen.
Auch der örtliche Träger der Sozialhilfe kann nicht ohne weiteres den Zutritt zu einer Wohnung
eines Leistungsempfängers begehren. Grundsätzlich dürfen daher dem Leistungsempfänger keine
negativen Folgen entstehen, wenn er einen überraschenden Hausbesuch durch Mitarbeiter des
Sozialhilfeträgers ablehnt. Derartige Kontrollbesuche sind im Sozialhilferecht nicht vorgesehen.
Allerdings können mittelbar negative Folgen eintreten. Dies ist der Fall, wenn beispielsweise ein
Sozialhilfebezieher eine einmalige Leistung (z.B. Renovierung der Wohnung) beantragt. In diesem
Fall muss er nämlich beweisen, dass diesbezüglich eine entsprechende Notwendigkeit gegeben ist.
Lässt er sich daher nicht auf einen Hausbesuch ein, so kann das Sozialamt die Leistung ablehnen,
weil eine entsprechende Notwendigkeit dieser Leistung nicht ermittelt werden konnte.
Grundrechte und Grundgesetz
63
Artikel 13 Absatz 3 GG erlaubt darüber hinaus Eingriffe und Beschränkungen zur Abwehr einer
allgemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, wenn dies zur Verhinderung
dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist. Notwendig ist
hierfür auch eine gesetzliche Ermächtigung.
ART. 2 GG IN VERBINDUNG MIT ARTIKEL 1 GG: SCHUTZ DES ALLGEMEINEN
PERSÖNLICHKEITSRECHTES
Ein wichtiges Grundrecht stellt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR). Da dieses wichtige
Grundrecht nicht ausdrücklich im Grundgesetz normiert worden ist, wird es aus den Artikeln 1 und
2 GG abgeleitet. Damit ist eine Lücke im Grundrechtsschutz geschlossen worden. Das APR hat die
Funktion, die engere persönliche Lebenssphäre zu schützen und zu garantieren. Schutzbereich sind
daher die Individualsphäre, die Privatsphäre und die Intimsphäre. Durch dieses Grundrecht soll ein
maximaler Grad an Selbstbestimmungsautonomie gewährleistet werden.
Ein wichtiges Element des APR ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht
hat das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Beurteilung der Volkszählung
ausdrücklich normiert (vgl. BVerfG NJW 1984, Seite 419). Dieses Recht auf informationelle
Selbstbestimmung besagt, dass der Bürger grundsätzlich ein Selbstbestimmungsrecht bezüglich der
Verwendung seiner persönlichen Daten hat. Betroffene Bürger sollen konkret darüber informiert
sein, wer welche Daten und zu welchem Zweck erhoben und gespeichert hat. Damit soll der gläserne
Bürger, der durch staatliche Institutionen ausgeforscht wird, verhindert werden. Der Staat, der für
seine Planung Daten benötigt, darf diese nur insofern erheben, wie das APR nicht verletzt wird.
Konkret bedeutet dies die Notwendigkeit des Vorliegens einer spezifischen
Ermächtigungsgrundlage für die Datenerhebung. Damit die Daten nicht in unbefugte Hände
gelangen, muss der Staat ein sicheres Verfahren installieren, dass die Datensicherheit garantiert.
Erforderlich ist dabei die Beteiligung eines unabhängigen Datenschutzbeauftragten. Darüber hinaus
muss der Staat bei der Datenerhebung auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bewahren. Es
dürfen also nur Daten erhoben werden, soweit das für Durchführung einer staatlichen Aufgabe die
unabdingbare Erforderlichkeit gegeben ist.
Für die soziale Arbeit bedeutet dies einen verantwortungsvollen Umgang mit den erhobenen
Sozialdaten. In der Praxis ist daher wie folgt zu verfahren:
Zunächst muss bei der Datenerhebung immer geprüft werden, ob die gesammelten Daten wirklich
benötigt werden. Hinsichtlich der Verarbeitung der Daten muss sichergestellt werden, dass diese
Grundrechte und Grundgesetz
64
nicht zu unbefugten dritten Personen gelangen. Auch behördenintern ist daher für eine Absicherung
der Daten zu sorgen (Firewall-Prinzip). Konkret gehört dazu nicht nur die Sicherung des PC mit
einem Codewort, sondern auch ein Verschluss der Klientendaten in einem abschließbaren Schrank.
Konkretisiert wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und des damit einhergehenden
Datenschutzes auch durch die spezifischen Datenschutzregelungen im SGB und KJHG. Diese sind
Ausfluss des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Nachdem das Bundesverfassungsgericht
dieses Recht ausdrücklich festgestellt hat, wurden dementsprechend auch die
Datenschutzregelungen im Verwaltungsrecht zum Schutze des Bürgers verstärkt.
Das APR hat auch die rechtliche Strukturierung vieler Rechtsgebiete entscheidend beeinflusst und
entsprechende Veränderungen möglich gemacht. Für das Familienrecht ist zu erwähnen, dass das
APR das Recht des Jugendlichen auf schuldenfreien Eintritt in die Volljährigkeit begründet hat. Nach
der früheren Rechtslage war es durchaus möglich, dass zum Zeitpunkt der Volljährigkeit ein hoher
Schuldenbetrag bestanden hat. Der nunmehr volljährig gewordene Jugendliche war deshalb
verpflichtet, diesen zu tilgen. Er war somit verantwortlich für das ökonomische Verhalten seiner
gesetzlichen Vertreter. Nunmehr besteht die Möglichkeit, dass eine Haftung lediglich auf das zum
Zeitpunkt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen reduziert wird. Auch garantiert das APR die
Kenntnis der eigenen Abstammung. So hat jedes Kind das Recht, von einem Elternteil den Namen
des anderen Elternteils zu erfahren. So ist beispielsweise eine Mutter ihrer Tochter darüber
auskunftspflichtig, wer der Vater ist.
Des Weiteren sichert das APR auch einen Ehrschutz gegenüber Dritten. Es beinhaltet zum einen das
Recht, Beleidigungen seitens Dritter abzuwehren und entsprechenden Schadensersatz zu verlangen.
Beispiel: Enthält beispielsweise ein Zeitungstitel unwahre Tatsachenbehauptungen über eine
Person, so hat diese das Recht, nicht nur die Unterlassung und den Widerruf dieser Äußerungen zu
verlangen, sondern kann darüber hinaus auch noch einen Anspruch auf Schmerzensgeld geltend
machen.
Ferner ist anzumerken, dass das APR des Bürgers uneingeschränkt im Bereich der Intimsphäre
gesichert ist. Die Intimsphäre umfasst den unantastbaren Bereich der Persönlichkeit eines
Menschen, beispielsweise seine Vorstellungen und die Gedankenwelt. Diese Ebene ist dem Zugriff
staatlicher Gewalt vollständig entzogen.
In den Bereich der Privatsphäre, also dem engeren persönlichen Lebensbereich, ist ein Zugriff nur
möglich, bei überwiegendem Interesse der Allgemeinheit. Die Individualsphäre umfasst das
Grundrechte und Grundgesetz
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Ansehen des Einzelnen in der Öffentlichkeit. Hier kann das APR unter Beachtung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingeschränkt werden.
ART. 20 GG: DAS RECHTSSTAATSPRINZIP
In Artikel 20 GG heißt es, dass die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, die
vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sind (sog.
Rechtsstaatsprinzip).
Das Rechtsstaatsprinzip hat die Funktion, Willkürmaßnahmen des Staates durch die Rechtsbindung
auszuschließen und darüber hinaus den Bürger mit eigenen Rechten auszustatten. Ziel ist daher die
Garantie einer Rechtssicherheit und einer Überprüfung des Staates durch neutrale Instanzen
(Rechtsprechung). Insofern ist ein weiteres wichtiges Element des Rechtsstaates die
Grundrechtsgewährung, also die Sicherstellung der Grundrechte des Bürgers. Sämtliche staatliche
Handlungsebenen sind daher verpflichtet, die Grundrechte bei ihren Entscheidungen anzuwenden
und zu beachten.
Ein wichtiges Element des Rechtsstaates ist die Gewaltenteilung, um Machtmonopole zu verhindern.
Grundlage ist dabei die klassische Aufteilung nach Exekutive (Verwaltung), Judikative
(Rechtsprechung) und Legislative (Gesetzgebung). Alle Gewalten in einem Staat sollen sich
gegenseitig kontrollieren und begrenzen.
Eine andere Komponente des Rechtsstaatsprinzips, welches zu einer Stabilisierung der
Rechtssicherheit führt, ist das so genannte Rückwirkungsverbot. Dies verhindert die rückwirkende
Geltung von Gesetzen auf einen Tatbestand, der vollständig in der Vergangenheit abgeschlossen
worden ist. Der Bürger soll sein Verhalten an die geltenden Gesetze ausrichten und daran seine
Entscheidungen orientieren können. Dies kann aber nur gelingen, wenn der Bürger vollständig
Kenntnis von den bestehenden rechtlichen Grundlagen erhält.
Beispiel: Wird beispielsweise ein Altenheim entsprechend der Richtlinien des Landes erbaut und
besteht daher ein gesetzlicher Anspruch auf Fördermittel, so dürfen die rechtlichen Grundlagen
später nicht mit Wirkung für die Vergangenheit abgeändert werden mit der Folge, dass die
Subventionen nicht mehr gewährt werden.
Ein weiteres wichtiges Element des Rechtsstaatsprinzips stellt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
dar. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Staat bei der Durchführung seiner Aufgaben
Grundrechte und Grundgesetz
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möglichst gering in den Freiheitsbereich des Bürgers eingreift. Bei der Überprüfung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sind folgende Teilaspekte zu beachten:
� So muss bei einer staatlichen Maßnahme zunächst deren Geeignetheit überprüft werden.
Danach sind nur diejenigen Maßnahmen erlaubt, die überhaupt tauglich sind, das mit der
Maßnahme angestrebte Ziel zu erreichen.
� Des Weiteren ist als nächstes die Erforderlichkeit zu prüfen. Die Erforderlichkeit ist nicht
gegeben, wenn ein vergleichbar geeignetes, aber weniger belastendes Mittel für die
Zweckerreichung zur Verfügung steht. Die Behörde hat also dasjenige Mittel auszuwählen,
welches die geringste Belastung für den Bürger beinhaltet. Die Erforderlichkeitsprüfung ist
also nur dann von Relevanz, wenn die Behörde die Möglichkeit hat, unter verschiedenen
Maßnahmen zu wählen.
� Schließlich ist die Angemessenheit zu prüfen. Hierbei muss geprüft werden, ob nicht ein
Missverhältnis zwischen dem Eingriff in die Rechtssphäre des Bürgers und dem
angestrebten Ziel steht. Es findet also eine Abwägung zwischen den Folgen des staatlichen
Handelns und dem verfolgten Zweck dar.
Beispiel: So hat beispielsweise das Bundesverwaltungsgericht (NJW 1992, Seite 1842) die
Angemessenheit abgelehnt, wenn ein Unternehmen die öffentlich-rechtliche Verpflichtung erhält,
zur Anfertigung einer allgemeinen Statistik eine Vielzahl von Fragen zu beantworten, wobei hierfür
länger andauernde und kostspielige Ermittlungsmaßnahmen im Unternehmen erforderlich sind.
Das Rechtsstaatsprinzip beinhaltet ferner den so genannten Bestimmtheitsgrundsatz. Danach
müssen Anordnungen oder Verfügungen von Behörden sowie Gesetze eindeutig erkennen lassen,
welches Verhalten von einem Bürger verlangt wird. Ein Verwaltungsakt, der nicht eindeutig
erkennen lässt, welches Verhalten er von einer Person fordert, ist damit rechtswidrig.
Beispiel: Wird beispielsweise ein Personalkostenzuschuss für ein freies Jugendzentrum davon
abhängig gemacht, dass fachkundiges Personal eingestellt wird, so wird nicht deutlich, welche
Qualifikation die Behörde verlangt. Fachkundiges Personal können Sozialpädagogen, Erzieher oder
aber Personen mit einer großen praktischen Erfahrung sein. Eine derartige Regelung würde daher
gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstoßen.
Schließlich gehört die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes zum Rechtsstaatsprinzip. Der
Rechtsstaat ist verpflichtet, ein effizientes System des Rechtsschutzes aufzubauen, um einmal eine
Überprüfung staatlichen Handelns zu gewährleisten. So heißt es auch in Art. 19 Abs. 4 GG, das jeder
Grundrechte und Grundgesetz
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Person, die durch die öffentliche Gewalt in ihren Rechten verletzt ist, der Rechtsweg offen stehen
muss. Hieraus hat sich in Deutschland ein dreistufiger Rechtsweg herausgebildet. Eingangsgericht
für eine gerichtliche Überprüfung ist das Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht kann
angerufen werden, ohne dass ein Rechtsanwalt eingeschaltet werden muss. Die nächste Stufe stellt
das Oberverwaltungsgericht dar, welches die Berufungsinstanz ist. Schließlich hat der Bürger die
Möglichkeit der Revision. Die Revision wird beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt. In der
Revisionsinstanz wird überprüft, ob das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Rechtsfehler enthält.
Der Instanzenzug bei den Sozialgerichten ist entsprechend aufgebaut (Sozialgericht,
Landessozialgericht, Bundessozialgericht).
Ergänzt wird der Rechtsschutz auch dadurch, dass jedermann einen Anspruch auf rechtliches Gehör
hat. Jede Person vor Gericht muss also die Möglichkeit zur Äußerung haben. Die Gewährung des
rechtlichen Gehörs gilt auch im Verwaltungsverfahren (vgl. § 24 SGB X).
Ein weiteres selbstverständliches Element des Rechtsstaatsprinzips ist der Grundsatz vom
Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes. Gesetzesvorrang bedeutet, dass die Verwaltung sämtliche
Rechtsnormen zu beachten hat. Sie darf also nicht gegen die Rechtsordnung verstoßen. Es müssen
also sämtliche Verfahrensvorschriften (= formelle Normen) als auch die jeweiligen inhaltlichen
Bestimmungen (materielle Normen) beachtet werden.
Gesetzesvorbehalt bedeutet, dass die Verwaltung für belastende Maßnahmen immer eine rechtliche
Eingriffsgrundlage haben muss. Sie darf also in die Rechtssphäre des Bürgers nur dann eingreifen,
wenn eine entsprechende Legitimation gegeben ist. Darüber hinaus müssen aber auch alle
Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung, die also eine große Ausstrahlungswirkung haben, auf
einer gesetzlichen Grundlage beruhen.
Beispiel: Wenn beispielsweise eine Kommune Subventionen zur Förderung von
Jugendeinrichtungen gewähren will, die von freien Trägern betrieben werden, so bedarf es dafür
eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage. Hier wird zwar nicht in die Rechte von Bürgern
eingegriffen, jedoch kann die Gewährung von Subventionen zu einer Wettbewerbsverzerrung
führen. Dies ist der Fall, wenn bestimmte freie Träger nicht berücksichtigt werden. Insofern bedarf
es also einer Legitimation. Die Legitimation kann beispielsweise auf der kommunalen Ebene in der
Verabschiedung des Haushaltsplanes durch den Rat der Stadt liegen.
ART. 20 GG: DAS SOZIALSTAATSPRINZIP
Grundrechte und Grundgesetz
68
Gemäß Artikel 20 Abs. 1 GG ist die Bundesrepublik Deutschland ein sozialer Bundesstaat. Nach
diesem so genannten Sozialstaatsprinzip ist die gesamte staatliche Gewalt auf die Herstellung und
Erhaltung sozialer Gerechtigkeit verpflichtet. Hierbei handelt es sich um eine Staatszielbestimmung,
d.h. alle staatlichen Organe sind daran gebunden und müssen auf eine Verwirklichung des
Sozialstaatsprinzips hinwirken. Die Besonderheit der Staatszielbestimmung ist die Verpflichtung
der Exekutive, der Legislative und der Judikative. So hat der Staat entsprechend der vorhandenen
Geldmittel konkrete Leistungsgesetze zu schaffen, die zu einer sozialen Sicherung führen. Bei einer
Beurteilung des staatlichen Handelns müssen Gerichte auch das Sozialstaatsprinzip ergänzend
hinzuziehen. Schließlich ist das Sozialstaatsprinzip auch von der Verwaltung bei einer
Einzelfallentscheidung zu beachten.
Die Besonderheit der Staatszielbestimmung ist darin zu sehen, dass sie selbst keine eigenständige
Anspruchsgrundlage für die Bürger beinhaltet. Kein Bürger hat somit die Möglichkeit eine
bestimmte Sozialleistung abzurufen und dies mit dem Sozialstaatsprinzip zu begründen. Eine
Ausnahme besteht aber dann, wenn der Bürger das Existenzminimum einfordert und hierfür keine
rechtliche Grundlage besteht. Angesichts der umfassenden Sozialgesetzgebung besteht daher für die
Anwendung des Sozialstaatsprinzips als Legitimationsgrundlage für das Abrufen einer sozialen
Leistung nur noch ein geringer Spielraum.
Beispiel: Eine sechsköpfige Familie mit drei Kleinkindern wurde zur Beseitigung von
Obdachlosigkeit in eine Notunterkunft eingewiesen. Diese Notunterkunft hatte werden elektrisches
Licht noch fließendes Wasser. Da durch die öffentlich-rechtliche Maßnahme kein Mietvertrag
begründet worden ist, bestehen keine entsprechenden privatrechtlichen Ansprüche auf eine
adäquate Ausstattung der Unterkunft. Ein Leistungsgesetz, welches die Ausstattung einer
Notunterkunft definiert, existiert ebenfalls nicht. Da aber fließendes Wasser sowie die
Elektrifizierung einer Wohnung zum Mindeststandard, also zum Existenzminimum gehört, kann ein
entsprechender Anspruch mangels anderer gesetzlicher Grundlage auf das Sozialstaatsprinzip
gestützt werden.
In inhaltlicher Hinsicht beinhaltet das Sozialstaatsprinzip die Herstellung sozialer Gerechtigkeit und
die Herstellung sozialer Sicherheit. Konkret beinhaltet das Sozialstaatsprinzip folgende einzelne
Elemente:
Die staatlichen Institutionen, vor allem der Gesetzgeber, haben die Verpflichtung, die Basis für ein
menschenwürdiges Dasein zu schaffen. Dies bedeutet zum Beispiel die Absicherung von Risiken
Grundrechte und Grundgesetz
69
durch das so genannte Pflichtversicherungsprinzip (Krankenversicherung, Rentenversicherung,
Unfallversicherung, Pflegeversicherung, Arbeitslosenversicherung). Hierdurch wird ein Risiko, das
alle Menschen treffen kann, solidarisch auf eine größere Gruppe verteilt.
Zum menschenwürdigen Dasein gehört aber auch, dass keine soziale Bevormundung bei der
Gewährung von Leistungen besteht. Insofern kann aus dem Sozialstaatsprinzip auch der Respekt
vor der Autonomiesphäre der beteiligten Personen abgeleitet werden. Das Sozialstaatsprinzip
unterstützt somit auch den Grundsatz des Artikels 1 GG.
Ein weiteres Element des Sozialstaatsprinzips ist, wie schon erwähnt, die Sicherung des
Existenzminimums. Dies bedeutet, dass der Staat beispielsweise durch staatliche Transferleistungen
(Sozialhilfe) die Basisgrundlage gewähren muss. Allerdings gilt hierbei auch das
Subsidiaritätsprinzip. Eine Verpflichtung zur Durchführung staatlicher Transferzahlungen besteht
daher nur dann, wenn die betroffenen Personen sich nicht aus eigener Kraft helfen können
(Krankheit, Alter etc.).
Beispiel: Wenn eine Person beispielsweise lediglich 5000 € im Jahr verdient, so verstößt es gegen das
Sozialstaatsprinzip, wenn dieses Existenzminimum auch noch versteuert werden muss. In diesem Fall würde
eine Situation der Bedürftigkeit eintreten. Insofern hat das Sozialstaatsprinzip auch eine Ausstrahlung auf das
Steuerrecht.
Ein Aspekt des Sozialstaatsprinzips, der von zentraler Bedeutung ist, ist die Herstellung sozialer
Gerechtigkeit. Dies bedeutet einmal die Kompensation von Defiziten durch spezifische
Förderungsmaßnahmen (z.B. Wohngeld, Sparförderung oder BAföG).
Darüber hinaus muss auch zwischen den Bürgern eine Kompensation in Form der Einschränkung
von sozialen Machtpositionen eintreten. Dies hat dazu geführt, dass Strukturdefizite durch eine
entsprechende Schutzgesetzgebung ausgeglichen werden.
Beispiele: Typisch dafür ist das Mietrecht, wo der Mieter einen besonderen Kündigungsschutz erhält. Die
Kompensation und Beseitigung von Machtdisparitäten findet sich auch im Arbeitsrecht wieder. Dort ist die
typische Situation dadurch charakterisiert, dass der Arbeitgeber ein größeres Übergewicht gegenüber dem
Arbeitnehmer hat. Der Arbeitgeber kann daher leichter seine Interessen realisieren als der Arbeitnehmer, der
zudem der Gefahr einer Kündigung ausgesetzt ist. Daher hat das Arbeitsrecht zunehmend den
Kündigungsschutz intensiviert und Arbeitsgesetze implementiert, die den Schutz des Arbeitnehmers
bezwecken.
Aus dem Sozialstaatsprinzip kann ferner das umfangreiche Hilfsangebot bei materiellen,
gesundheitlichen oder psychosozialen Problemen abgeleitet werden. Der Staat ist verpflichtet ein
Grundrechte und Grundgesetz
70
Angebot an den entsprechenden Einrichtungen zu entwickeln, die den Betroffenen qualifizierte
Unterstützungsleistungen bieten. Dazu gehört auch die Förderung der sozialen Dienste und
Einrichtungen freier Träger.
Ein Element des Sozialstaatsprinzips ist ferner die Gewährung von Hilfe bei der Wahrnehmung von
Rechten durch die betroffenen Bürger. Der Staat hat ein Informations- und Beratungsangebot
aufrecht zu erhalten, um eine effiziente Unterstützung sicherzustellen. Dazu gehören auch einfache,
also verständliche Sozialgesetze, die von den Bürgern ohne Inanspruchnahme professioneller Hilfe
verstanden werden können. Dies war auch das Ziel bei der Verabschiedung des SGB. Jedoch hat die
Praxis gezeigt, dass dieses Ziel nicht vollständig verwirklicht werden konnte, weil sich einzelne
Regelungen zum Teil – diplomatisch formuliert – ziemlich schwierig erschließen lassen.
Darüber hinaus verpflichtet das Sozialstaatsprinzip den Staat dazu, dass alle Bürger unabhängig von
ihrem Einkommen ihre Ansprüche und Forderungen gerichtlich durchsetzen können. Mangelnde
finanzielle Ressourcen dürfen also kein Hindernis für die Beschreitung des Rechtsweges sein.
Insofern unterstützt das Sozialstaatsprinzip auch das Rechtsstaatsprinzip. Umgesetzt wird dieses
Ziel durch die Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe18.
18 S.o.; Entsprechende Formulare finden Sie im Downloadbereich.
Die Träger der öffentlichen Verwaltung
71
DIE TRÄGER DER ÖFFENTLICHEN VERWALTUNG
Die öffentliche Verwaltung ist die Durchführung von Verwaltungsaufgaben durch den Staat oder
durch die Kommunen. Zur Verwaltung gehören all diejenigen Aufgabenbereiche, die weder der
Judikative noch der Legislative zuzuordnen sind. Insofern findet bei der Definition der Verwaltung
eine Negativabgrenzung zu anderen Staatstätigkeiten statt.
Das Hauptdefinitionskriterium der öffentlichen Verwaltung ist das Handeln im öffentlichen
Interesse. Das heißt, Verwaltung muss der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe dienen. Hierzu
gehört der Vollzug der Gesetze, aber auch die Betreibung und Unterhaltung von Einrichtungen der
Daseinsvorsorge (soziale Institutionen, Sportstätten, Müllentsorgung etc.).
UNMITTELBARE UND MITTELBARE BUNDES- UND LANDESVERWALTUNG
Hinsichtlich der Frage, wer Träger der öffentlichen Verwaltung ist, ist wie folgt zu unterscheiden:
Der Schwerpunkt liegt bei den Trägern auf den juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Hier
wird differenziert zwischen der unmittelbaren und der mittelbaren Verwaltung.
Die unmittelbare Verwaltung wird durch den Bund oder durch die Länder wahrgenommen. Das
Aufgabengebiet der unmittelbaren Bundesverwaltung ist durch die Artikel 87 ff. GG begrenzt.
Typische Bundesbehörden sind das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für den Zivildienst oder die
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften.
Der Schwerpunkt der gesamten Verwaltungsleistung und insbesondere auch der unmittelbaren
Verwaltung liegt auf der Länderebene (vgl. Art. 83 GG). In diesem Fall hat die Bundesregierung
gemäß Artikel 84 Abs. 3 GG ein Aufsichtsrecht darüber, dass die Länder die Bundesgesetze
ausführen. Während also bei der Gesetzgebung das Primat des Bundes besteht (vgl. die
Sozialgesetze), liegt das Primat bei der Durchführung auf der Länderebene. Hier hat der Bund
lediglich die Möglichkeit zur Rechtsaufsicht.
Die unmittelbare Landesverwaltung ist durch ein dreistufiges Ablaufsystem geprägt, wobei die
Stufen in einem hierarchischen Zusammenhang stehen. An erster Stelle stehen die obersten bzw.
oberen Landesbehörden. Die obersten Landesbehörden sind die Ministerien, während die oberen
Landesbehörden diejenigen Verwaltungseinheiten sind, die der obersten Landesbehörde
unmittelbar unterstehen (z.B. Landesversorgungsamt).
Die Träger der öffentlichen Verwaltung
72
Die so genannten Landesmittelbehörden nehmen eine Zwischenstufe ein. Das Regierungspräsidium
übernimmt als Querschnittsfunktion sämtliche Aufgaben der Landesverwaltung. Es existieren
unterschiedliche Fachbereiche, die dem jeweiligen besonderen Verwaltungsrecht entsprechen. Dazu
gehört ein Fachbereich Polizei, Schulwesen, Soziales, Wirtschaft, Kommunalaufsicht. Die
Kommunalaufsicht kontrolliert das Verwaltungshandeln der Gemeinden und der Kreise. Auf der
letzten Stufe stehen die so genannten unteren Landesbehörden, die für einen bestimmten
regionalen Bereich eine konkrete Aufgabe wahrnehmen. Dazu gehören das Versorgungsamt, das
Schulamt oder das Amt für Arbeitsschutz.
Daneben werden besondere Aufgaben des Staates durch die Landkreise und kreisfreien Städte
wahrgenommen. So ist der Landrat bzw. Oberbürgermeister beispielsweise die untere
Polizeibehörde für das Gebiet des Landkreises bzw. der kreisfreien Stadt. Beide haben dann eine
Doppelfunktion. Sie sind Organ der unmittelbaren Landesverwaltung und darüber hinaus
hinsichtlich der Selbstverwaltungsangelegenheiten ein Organ des Kreises bzw. der kreisfreien
Stadt.
DIE KÖRPERSCHAFTEN, ANSTALTEN UND STIFTUNGEN
Neben dieser unmittelbaren Verwaltung gibt es die mittelbare Verwaltung durch Stiftungen,
Anstalten und Körperschaften. Gemeinsames Merkmal dieser drei juristischen Personen des
öffentlichen Rechtes ist die Abtrennung aus der unmittelbaren Verwaltung. Sie stellen selbständige
juristische Personen des öffentlichen Rechts dar.
Bei der Stiftung des öffentlichen Rechtes handelt es sich um eine juristische Person, die zur
Erfüllung eines im öffentlichen Interesse liegenden Zwecks ein vorhandenes oder ihr zufließendes
Vermögen verwendet (z.B. Bundesstiftung, „Mutter und Kind“).
Die Anstalt des öffentlichen Rechts ist eine Verwaltungseinrichtung mit eigener Organisation, die
eine begrenzte hoheitliche Aufgabe wahrnimmt und zu diesem Zweck über finanzielle und
personelle Ressourcen verfügt (z.B.: Landesbanken, Rundfunkanstalten).
Die Körperschaft des öffentlichen Rechtes ist hingegen eine mitgliedschaftlich organisierte
Verwaltungseinheit. Bei der Körperschaft findet die Willensbildung durch die Mitglieder statt.
Angesichts der Verbreitung kann festgestellt werden, dass die Körperschaft der prägendste Träger
der öffentlichen Verwaltung ist. Die Körperschaften werden danach unterschieden, ob es sich um
eine Gebietskörperschaft oder Personalkörperschaft handelt. Personalkörperschaften sind
Die Träger der öffentlichen Verwaltung
73
beispielsweise die Allgemeinen Ortskrankenkasse, die Anwaltskammern, Handwerkskammern oder
die Hochschulen in öffentlicher Trägerschaft.
Die Gebietskörperschaften definieren sich einmal durch die Mitglieder, aber auch durch den
räumlichen Wirkungsbereich. Gebietskörperschaften sind die Gemeinden oder Landkreise19.
Neben den juristischen Personen des öffentlichen Rechts können aber auch Personen des
Privatrechts als Beliehene oder Verwaltungshelfer öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnehmen. Die
Beleihung bedeutet inhaltlich, dass einer Person öffentlich-rechtliche Befugnisse übertragen
werden.
Beispiel und Gegenbeispiel: Derartige Hoheitsbefugnisse haben z.B. die Notare oder aber auch der
Prüfungsausschuss einer Hochschule, die sich in privater Trägerschaft befindet oder technische
Überwachungsvereine (TÜV).
An dem typischen Merkmal der Verleihung von Hoheitsrechten fehlt es aber, wenn freie Träger im
sozialen Bereich bei der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe eingeschaltet werden. So werden viele
Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe durch freie Träger ausgeführt (z.B. die sozialpädagogische
Familienhilfe, Erziehungsberatung, Adoptionswesen). Die freien Träger werden mangels Beleihung
also nicht Teil der öffentlichen Verwaltung, sondern handeln weiterhin selbständig als
privatrechtliche Vereinigungen.
Werden keine hoheitlichen Maßnahmen sondern lediglich tatsächliche Verwaltungstätigkeiten
durch Personen des Privatrechts durchgeführt, handelt es sich um so genannte Verwaltungshelfer.
Verwaltungshelfer sind beispielsweise Schülerlotsen, private Müllentsorger. Wenn ein Träger der
Verwaltung Verwaltungshelfer einsetzt, haftet er für Pflichtverletzungen des Verwaltungshelfers
gegenüber dritten Personen auf Schadensersatz. Dasselbe gilt, wenn Verwaltungshelfer nicht
genügend beaufsichtigt werden oder aber eine nicht sorgfältige Auswahl des Verwaltungshelfers
vorgenommen worden ist. Auch in diesem Fall trifft den öffentlichen Träger der Verwaltung das
Haftungsrisiko.
Die vorstehenden Ausführungen zeigen, welche Komplexität der Vernetzung innerhalb der
Verwaltung besteht. Insofern stellt sich die Frage, welche Weisungsbefugnisse innerhalb der
Verwaltungsträger und zwischen zwei selbständigen Verwaltungsträgern bestehen. Die
19 Aachen-Gesetz, Gesetz zur Bildung der Städteregion Aachen vom 26.02.20082008.
Die Träger der öffentlichen Verwaltung
74
unmittelbare Verwaltung ist dadurch gekennzeichnet, dass jeder Träger eine umfassende
Fachaufsicht ausübt. Die Fachaufsicht erstreckt sich auf die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit
(z.B. Effizienz) des Verwaltungshandelns. Daneben existiert die so genannte Dienstaufsicht. Diese
hat das Organisationsmanagement und die Personalverwaltung zum Inhalt. Insofern besteht eine
durchgängig hierarchische Beziehung innerhalb der unmittelbaren Verwaltung zwischen den
einzelnen Ebenen.
Demgegenüber sind die staatlichen Aufsichtsrechte gegenüber der mittelbaren Verwaltung
begrenzt. Körperschaften, Stiftungen und Anstalten unterliegen primär der Rechtsaufsicht. Die
staatliche Kontrolle beschränkt sich somit darauf, ob die Verwaltung rechtskonform durchgeführt
wird. Gegenüber der Gemeinde als Gebietskörperschaft wird die Kontrolle durch die
Kommunalaufsicht gewährleistet. Soweit aber den Gemeinden oder Kreisen staatliche Aufgaben zur
Wahrnehmung übertragen sind, besteht die Möglichkeit zur Weisungserteilung.
DIE GEMEINDE ALS GEBIETSKÖRPERSCHAFT
In der Praxis nimmt die Gemeinde oder der Landkreis eine entscheidende Funktion als
Verwaltungsträger wahr. Aufgrund der unmittelbaren Nähe zum Bürger sind Gemeinde und
Landkreis der unmittelbare Ansprechpartner und damit der Garant für eine effiziente
Verwaltungstätigkeit. So ist in Art. 28 Abs. 2 GG ausdrücklich die Gemeindeautonomie garantiert.
Den Gemeinden muss damit das Recht gewährleistet werden, alle Angelegenheiten der örtlichen
Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln. Dies bedeutet eine Sicherstellung der Gemeinde
als Verwaltungsträger um die örtlichen Verwaltungsaufgaben zu regeln. Damit ist ein direkter und
unmittelbarer Kontakt zu den Bürgern garantiert.
Hinsichtlich der Strukturierung der Gemeinde als Gebietskörperschaft kann differenziert werden
zwischen dem Aufbau der gesetzlichen Organe, dem verwaltungsinternen Organisationsaufbau, den
sich daraus ergebenden Weisungsebenen in der Verwaltung und der Struktur der Gemeinde nach
ihren Aufgabenkompetenzen.
Die Gemeinden sind die kleinste Einheit der Gebietskörperschaften. Kleine und mittlere Gemeinden
sind zu Kreisen zusammengefasst. Diese sind ähnlich strukturiert, wie die kreisangehörigen
Gemeinden, haben also ebenfalls ein politisches Gremium (Kreistag), dem verschiedene Ausschüsse
zuarbeiten, und eine Verwaltungsspitze (Landrat), die zugleich Vorsitzende des politischen
Gremiums ist.
Die Träger der öffentlichen Verwaltung
75
Zentrales Organ der Gemeinden ist der Rat (vgl. § 40 GO NW). Der Rat besteht aus von Bürgern
gewählten Vertretern und dem Bürgermeister, der im Rat ein Stimmrecht hat. § 41 GO NW
bestimmt, dass der Rat für alle Angelegenheiten der Gemeindeverwaltung zuständig ist, soweit sich
aus der Gemeindeordnung nichts anderes ergibt. Damit ist also der Rat das wichtigste
Entscheidungsgremium in der Gemeinde. So übt der Rat auch die Kontrolle über die Verwaltung aus
(§ 55 GO NW). So muss der Bürgermeister nämlich den Rat über alle wichtigen Angelegenheiten
unterrichten.
Der verwaltungsinterne Organisationsaufbau ist durch ein streng hierarchisches Weisungssystem
gekennzeichnet:
An oberster Stelle steht der Bürgermeister, dem die Leitung der Verwaltung obliegt. Er wird in
Nordrhein-Westfalen direkt von den Bürgern der Gemeinde gewählt. Gemäß § 62 GO NW ist der
Bürgermeister verantwortlich für die Leitung und Beaufsichtigung des Geschäftsgangs in der
gesamten Verwaltung. Dem Bürgermeister zur Seite stehen die so genannten Beigeordneten. Sie
vertreten den Bürgermeister in ihrem jeweiligen Arbeitsgebiet (§ 68 GO NW). Sie sind somit
verantwortlich für bestimmte Aufgabengebiete (z.B. Kultur, Soziales oder technische
Angelegenheiten).
Auf der nächsten Ebene handeln die Amtsleiter. Amtsleiter sind verantwortlich für die
Angelegenheiten in ihren Ämtern (Sozialamt, Jugendamt, Kulturamt). Auf der untersten Ebene ist
der Sachbearbeiter angesiedelt. Er führt im Rahmen seiner Aufgaben die Verwaltungstätigkeiten
durch. Insofern ist der Sachbearbeiter an die Weisungen des Amtsleiters, des Beigeordneten oder
des Bürgermeisters als Hauptverwaltungsbeamten gebunden.
In größeren Ämtern ist zwischen dem Amtsleiter und dem Sachbearbeiter noch ein Abteilungsleiter
zwischengeschaltet.
Die Konsequenz einer hierarchischen Ablauforganisation ist, dass die höhere Ebene Anweisungen
geben kann und darüber hinaus auch bestimmte Entscheidungen an sich ziehen darf. Des Weiteren
können die Dienstvorgesetzten jederzeit Auskunft über die konkret bearbeiteten Vorgänge
einfordern.
Gegenbeispiel: Dieses umfassende Weisungs- und Kontrollrecht ist aber im sozialen Bereich
eingeschränkt. Deutlich wird das an den gesetzlichen Vorgaben des § 72 KJHG und des § 102 BSHG.
Beide Normen verlangen, dass die Fachentscheidungen durch Personen getroffen werden, die über
eine entsprechende Ausbildung und Erfahrung in der sozialen Arbeit verfügen. Daher ist bei der
Die Träger der öffentlichen Verwaltung
76
Organisation der Aufgabenverteilung darauf zu achten, dass die Entscheidungen auch von
entsprechenden Fachkräften getroffen werden. Konkret kann dies dazu führen, dass der Amtsleiter,
der beispielsweise nicht über eine sozialarbeiterische oder sozialpädagogische Ausbildung verfügt,
dem Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen keine Weisungen hinsichtlich der Fallbearbeitung im
Bereich der Kinder- und Jugendhilfe geben darf. Ansonsten würde das Prinzip der Fachlichkeit
verletzt. Darüber hinaus wird das Kontrollrecht auch durch die Wahrung des Sozialgeheimnisses
eingeschränkt. So darf ein Sozialarbeiter oder Sozialpädagoge ihm anvertraute Geheimnisse nicht an
Dritte weitergeben (§ 203 StGB). Ansonsten tritt eine strafrechtliche Haftung ein. § 203 StGB
verbietet auch die Weitergabe von anvertrauten Daten innerhalb der Verwaltung. Des Weiteren ist §
35 SGB I zu beachten, der den Sozialdatenschutz gewährleistet. Danach müssen Sozialdaten auf die
kleinstmögliche Verwaltungseinheit beschränkt bleiben (Sachbearbeiter, Verwaltungsmitarbeiter
und Amtsleiter).
Hinsichtlich der verwaltungsinternen Organisation der Kommune ist die traditionelle Aufteilung
dadurch gekennzeichnet, dass für die verschiedenen Aufgaben Ämter gebildet werden. Diese
gebildeten Ämter können nach übergeordneten Gesichtspunkten wiederum zusammengefasst
werden. So bildet das Rechnungsprüfungsamt, das Personalamt und das Hauptamt die allgemeine
Verwaltung. Das Sozialamt, Jugendamt und Gesundheitsamt können unter dem Begriff Sozial- und
Gesundheitsverwaltung zusammengefasst werden.
Diese übergeordneten Gesichtspunkte strukturieren dann das Aufgabengebiet der entsprechenden
Beigeordneten.
Dieses traditionelle Verwaltungsschema befindet sich aber vielfach in einem Auflösungsprozess. So
zeigen sich in vielen Verwaltungseinrichtungen die Tendenzen zu einer Umorganisation. An die
Stelle der Dezernate treten die so genannten Fachbereiche, die eine Zusammenfassung der
unterschiedlichen Verwaltungsaufgaben darstellen. Diese Fachbereiche selbst haben wiederum
unterschiedliche Abteilungen, die die Verwaltungsaufgaben erledigen. So weist beispielsweise der
Fachbereich Familie und Wohnen in der Kommunalverwaltung die Abteilungen Soziales, Kinder-
und Jugendförderung, Soziale Dienste und Wohnen auf.
Ausgelöst wurde die Reorganisation von Verwaltungseinrichtungen durch eine Vielzahl von
Empfehlungen der kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt).
Intention der Umstrukturierungsempfehlungen ist die Effizienzsteigerung bei der öffentlichen
Verwaltung gewesen. Das von der KGSt empfohlene Neue Steuerungsmodell soll zu einer größeren
Bürgerorientierung und einer sparsamen Verwendung der finanziellen wie personellen Ressourcen
Die Träger der öffentlichen Verwaltung
77
beitragen. Der Aspekt ist dabei eine Mentalitätsverschiebung dergestalt, dass der Bürger nicht nur
als „Bittsteller“ sondern als Kunde angesehen wird, der einen Anspruch auf eine bestimmte
Dienstleistung hat. Insofern soll also ein Servicebewusstsein geschaffen werden: Die Verwaltung als
Dienstleister erbringt nach dem neuen Steuerungsmodell gegenüber dem Kunden eine konkrete
Dienstleistung, die als Produkt bezeichnet wird. Um einen effektiven wie effizienten
Leistungsprozess zu implementieren wird in Abkehr von dem hierarchischen Prinzip die
Gestaltungsautonomie der einzelnen Verwaltungsbereiche und der Mitarbeiter erhöht. Dies
geschieht, indem den einzelnen Fachbereichen finanzielle Mittel zugewiesen werden
(Budgetierung), die sie dann eigenverantwortlich für ihre Aufgabenerfüllung nutzen können. Der
Erfolg der Leistungserbringung wird dadurch gesteuert und strukturiert, indem vorab konkrete
Zielvereinbarungen mit dem Verwaltungsmanagement (Landrat, Bürgermeister) getroffen werden
und mittels eines Controlling-Verfahrens eine Steuerung dahingehend erfolgt, dass die vorab
definierten Ziele auch realisiert werden können.
Die Gemeinde selbst ist als Gebietskörperschaft eine juristische Person des öffentlichen Rechts. Sie
handelt daher durch ihre Organe. Das Organ, welches gegenüber dem Bürger eine
Verwaltungstätigkeit wahrnimmt, ist die Behörde. Gemäß § 1 Abs. 4 VwVfG ist die Behörde jede
Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. So erlässt der Rat einer Kommune
nicht selbst die Bescheide, sondern Aussteller derselben ist die Kommune als Behörde. Daher lautet
beispielsweise die Behördenkennzeichnung auf einem schriftlichen Verwaltungsakt: „Stadt
Paderborn - Der Bürgermeister“. Damit wird auch deutlich, dass nicht das einzelne Amt (Jugendamt,
Kulturamt, Ordnungsamt) einen Bescheid erlässt, sondern die Stadt selbst als Behörde.
Demgegenüber ist das Amt die kleinste Verwaltungseinheit und damit der Teil einer Behörde. Das
Amt hat rein exekutive Funktion.
Eine Ausnahme bildet das Jugendamt. Dieses hat aufgrund der gesetzlichen Vorgaben (SGB VIII und
die Ausführungsgesetze der einzelnen Bundesländer) eine besondere Stellung. So bestimmt § 69
Abs. 3 SGB VIII, dass die örtlichen Träger der Jugendhilfe ein Jugendamt zu errichten haben. Die
Aufgaben des Jugendamtes werden durch den Jugendhilfeausschuss und durch die Verwaltung
wahrgenommen.
Konkretisiert werden diese Regelungen des SGB VIII durch die Ausführungsgesetze der jeweiligen
Bundesländer. Für das Bundesland NRW bestimmt das Ausführungsgesetz zum SGB VIII in den §§ 1-
7 die Organisation des Jugendamtes. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Zusammensetzung der
Mitglieder des Jugendhilfeausschusses.
Die Träger der öffentlichen Verwaltung
78
Damit ist das Jugendamt aus den traditionellen Verwaltungsabläufen herausgelöst. Anstelle des
Rates besteht folglich die Entscheidungskompetenz des Jugendhilfeausschusses.
Der Jugendhilfeausschuss besteht aus stimmberechtigten Mitgliedern und aus beratenden
Mitgliedern. Damit soll sichergestellt werden, dass ein großes Meinungsspektrum und
Erfahrungswissen für eine produktive Jugendarbeit Anwendung finden kann.
Gemäß § 71 SGB VIII setzen sich die stimmberechtigten Mitglieder des Jugendhilfeausschusses zu
3/5 aus Mitgliedern der Vertretungskörperschaft oder von ihr gewählten Männer und Frauen
zusammen. 2/5 der stimmberechtigten Mitglieder werden von der Vertretungskörperschaft auf
Vorschlag der im örtlichen Bereich tätigen anerkannten Träger der freien Jugendhilfe von der
Vertretungskörperschaft gewählt. Gemäß § 71 Abs. 2, Abs. 3 SGB VIII ist der Jugendhilfeausschuss
für die Beschlussfassung über alle Angelegenheiten der Jugendhilfe, für die Jugendhilfe und für die
Entwicklungsplanung zuständig.
Die Verwaltung des Jugendamtes wird gebildet aus dem Amtsleiter bzw. Fachbereichsleiter sowie
den Mitarbeitern (Sozialarbeiter, Verwaltungsmitarbeiter). Die Funktion der Verwaltung besteht
zunächst in der Ausführung von Beschlüssen des Jugendhilfeausschusses.
Zudem werden sämtliche Geschäfte der laufenden Verwaltung (Vormundschaften, Hilfen zur
Erziehung, Pflegekinderwesen) durchgeführt. Insofern wird deutlich, dass die Verwaltung des
Jugendamtes primär dem Jugendhilfeausschuss berichtspflichtig ist.
Die Struktur der von der Gemeinde wahrzunehmenden Aufgaben kann unterteilt werden in
Selbstverwaltungsaufgaben, Pflichtaufgaben nach Weisung und so genannten
Auftragsangelegenheiten. Die Selbstverwaltungsaufgaben umfassen freiwillige
Selbstverwaltungsaufgaben und Pflichtaufgaben.
Bei den so genannten freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben existieren keine staatlichen
Normierungen, an die die Gemeinde gebunden ist. Die Gemeinde ist somit frei darüber zu
entscheiden, ob und wie sie die freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe durchführen will.
Freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben ist beispielsweise der Betrieb von öffentlichen
Einrichtungen (Theater, Freizeitstätten). Auch die Durchführung einer selbständigen Energie- und
Wasserversorgung gehören zu den freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben. Bezüglich dieser
Selbstverwaltungsaufgaben besteht nur eine staatliche Rechtsaufsicht (Kommunalaufsicht). Es wird
geprüft, ob die Gemeinde sich innerhalb der allgemeinen staatlichen Vorgaben (Vorrang und
Vorbehalt des Gesetzes) hält.
Die Träger der öffentlichen Verwaltung
79
Die so genannten pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben werden durch die Landesgesetze den
Gemeinden übertragen. Dies bedeutet eine Ausführungsverpflichtung. Allerdings besteht eine
Gemeindeautonomie dergestalt, dass die Gemeinde über die konkrete Umsetzung selbst
entscheiden kann. So kann gemäß § 4 die GO NW den kreisangehörigen Gemeinden, differenziert
nach der Einwohnerzahl (z.B. 25.000 bzw. 60.000) zusätzliche Aufgaben durch Gesetz oder
Rechtsverordnung übertragen werden. Zu diesen pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben gehört
beispielsweise die Verpflichtung zur Errichtung von Schulen, der Durchführung einer
Abwasserbeseitigung oder aber die Errichtung eines eigenen Jugendamtes.
Auch bei diesen Selbstverwaltungsaufgaben besteht lediglich nur eine Rechtsaufsicht. Von den
Selbstverwaltungsaufgaben sind die so genannten Pflichtaufgaben nach Weisung zu unterscheiden.
Bei diesen Aufgaben werden die Gemeinden als Verwaltungsträger wegen ihrer örtlichen Nähe zum
Bürger durch den Staat eingebunden, wobei aber der Staat die Möglichkeit hat, zur Strukturierung
der Durchführung Weisungen zu erteilen.
Pflichtaufgaben nach Weisung sind beispielsweise Angelegenheiten der Sozialhilfe, der Feuerwehr
oder aber der Gefahrenabwehr. Die Gefahrenabwehr wird durch die Ordnungsbehörden
wahrgenommen. Geregelt ist diese Sachmaterie im Ordnungsbehördengesetz des Landes
Nordrhein-Westfalen (OBG). § 3 OBG bestimmt, dass Aufgaben der örtlichen Ordnungsbehörden
durch die Gemeinden wahrgenommen werden. Gemäß § 9 OBG hat aber die Aufsichtsbehörde ein
Weisungsrecht gegenüber der örtlichen Ordnungsbehörde. So besteht die Möglichkeit allgemeine
Weisungen zur gleichmäßigen Durchführung der Aufgaben zu erteilen. Dies geschieht durch den
Erlass von Verwaltungsvorschriften, die alle Gemeinden des Landes bindet. Darüber hinaus können
aber auch besondere Weisungen erteilt werden, wenn im Einzelfall das Verhalten der zuständigen
Ordnungsbehörde ungeeignet ist oder überörtliche Interessen gefährdet.
Insofern besteht also neben der Rechtsaufsicht ein konkret gesetzlich normiertes Weisungsrecht.
Trotz der Weisungsbeziehung behalten die Gemeinden noch eine hohe Durchführungsautonomie.
Eine dritte Form der Gemeindeaufgaben stellen die so genannten Auftragsangelegenheiten dar.
Hierbei handelt es sich um staatliche Aufgaben, die aus Zweckmäßigkeitsgründen den örtlichen
Gemeinden übertragen worden sind. Dazu gehören Ausbildungsangelegenheiten nach dem BAföG,
Aufgaben der Standesämter, die Aufgaben der Wehrerfassung.
Die Träger der öffentlichen Verwaltung
80
Hier hat der Staat neben der Rechtsaufsicht auch eine Fachaufsicht. Im Gegensatz zu den
Pflichtaufgaben nach Weisung können hier auch Einzelweisungen ohne weiteres gegeben werden,
um die Zweckmäßigkeit des Handelns sicherzustellen.
DIE TRÄGER DER FREIEN WOHLFAHRTSPFLEGE
Für die Soziale Arbeit bedeutsame Aufgaben übernehmen häufig die Verbände der Freien
Wohlfahrtspflege. Dabei handelt es sich nicht um Träger der öffentlichen Verwaltung, sondern um
zivilrechtlich organisierte Vereine, die vor allem soziale und caritative Aufgaben wahrnehmen.
Amtlich anerkannte Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sind:
1. Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V.,
2. Deutscher Caritasverband e.V.,
3. Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e.V.,
4. Deutsches Rotes Kreuz e.V.,
5. Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V.,
6. Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V.,
7. Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.,
8. Bund der Kriegsblinden Deutschlands e.V.,
9. Verband deutscher Wohltätigkeitsstiftungen e.V.,
10. Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer
Erkrankung und ihren Angehörigen e.V.,
11. Sozialverband VdK Deutschland e.V..20
Die hier aufgelisteten Verbände sind sowohl als Bundesverband, als auch als Landesverband und
häufig auch als Regionalverband organisiert. Sie sind sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene
zur Bundes- bzw. Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossen.
20 Griep/Renn, Das Recht der Freien Wohlfahrtspflege, S. 44.
Das Verwaltungsverfahren
81
Die Verbände gründen sich auf verschiedene Traditionen und Überzeugungen. Während bei Caritas,
Diakonie und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden religiöse Motivationen von grundlegender
Bedeutung sind, entstammt die Arbeiterwohlfahrt aus der Tradition der Arbeiterbewegung und das
Deutsche Rote Kreuz aus der internationalen Rot-Kreuz-Organisation.
Wohlfahrtspflege ist die planmäßige, zum Wohl der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen
ausgeübte Sorge für Not leidende oder gefährdete Mitmenschen. Prägend ist also, dass – im
Gegensatz zu rein privaten Trägern – die freie Wohlfahrtspflege nicht mit
Gewinnmaximierungsabsicht arbeitet.
Grundlegend für die Freie Wohlfahrtspflege ist die Idee, dass die kleinere, ortsnähere und von freien
gesellschaftlichen Kräften getragene Einheit Vorrang hat vor staatlicher Intervention. Es gilt das
Subsidiaritätsprinzip: Wird die Leistung im Einzelfall durch die Freie Wohlfahrtspflege erbracht,
sollen die Träger der Sozialhilfe von der Durchführung eigener Maßnahmen absehen, § 5 Abs. 4 S. 1
SGB XII.
In nahezu allen Bereichen der Sozialen Arbeit bedeutet dies, dass die eigentliche Arbeit häufig durch
Träger erbracht wird, die in den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege organisiert sind. Die
Finanzierung hingegen erfolgt in der Regel durch die gesetzlichen Sozialversicherungen oder die
Sozialhilfe. Egal, ob wir es mit Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, der Sozialhilfe, der
Pflegeversicherung oder der Rehabilitation zu tun haben, in der Regel entsteht das folgende
Dreiecksverhältnis:
Leistungserbringer Finanzieller Träger
(Freie Wohlfahrtspflege) (Sozialversicherung oder sozialstaatliche Leistungen)
Leistungsempfänger
(Klient/Patient)
Das Rechtsverhältnis zwischen dem Klienten und dem finanziellen Träger ist öffentlich-rechtlich
ausgestaltet: Per Bescheid bekommt zum Beispiel ein Klient, der an einer Suchterkrankung leidet,
Das Verwaltungsverfahren
82
von der Rentenversicherung eine Kur bewilligt. Ein anderer Klient, der Schüler einer
Behindertenschule ist, erhält die Bewilligung eines Schulbegleiters durch das Jugendamt. Die
Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen: Das Arbeitsamt bewilligt eine Umschulungsmaßnahme
usw.
Das Verhältnis zwischen dem Klienten und dem Leistungserbringer (Träger der Freien
Wohlfahrtspflege) ist zivilrechtlich geregelt: z.B. Vertrag über die stationäre Aufnahme in einer
Rehabilitationseinrichtung; Vertrag über die Durchführung einer Umschulungsmaßnahme.
Das Rechtsverhältnis zwischen dem Leistungserbringer und dem finanziellen Träger ist häufig
öffentlich-rechtlich geregelt. Eine Jugendhilfeeinrichtung, ein Pflegeheim oder eine andere
Einrichtung der Wohlfahrtspflege verfügt regelmäßig über einen öffentlich-rechtlichen Bescheid, in
dem die Einrichtung als solche zugelassen wird.
In finanzieller Hinsicht erhalten die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege besondere Bedeutung,
denn stellvertretend für die einzelnen Träger handeln die Landesverbände sowohl die zu
erbringenden Leistungen als auch die Personalausstattung und insbesondere die Vergütung der
Leistungen durch öffentlich-rechtliche Rahmenverträge aus.
Ein Pflegeheim verfügt also nicht nur über den Bewilligungsbescheid des Heimes an sich, sondern
auch über Verträge, die den Personalschlüssel, die Qualitätsanforderungen und die sachliche
Ausstattung des Heimes betreffen. Zudem wurde der Pflegesatz von den Landesverbänden der
Freien Wohlfahrtspflege mit den Landesverbänden der Pflegekassen und den Sozialhilfeträgern
ausgehandelt.
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege erfüllen eine individuelle und auch eine sozialpolitische
Anwaltsfunktion.21 Ihre Aufgabe ist es, hilfebedürftige Menschen in konkreten Einzelfällen zu
beraten und zu unterstützen. Die sozialpolitische Anwaltsfunktion besteht darin, die Interessen der
hilfebedürftigen Menschen in der Öffentlichkeit und gegenüber dem Staat zu vertreten, soziale
Notlagen aufzuzeigen und Perspektiven für deren Bewältigung vorzugeben. Ohne die Verbände der
Freien Wohlfahrtspflege ist eine flächendeckende Grundversorgung in allen Bereichen der sozialen
Sicherung nicht denkbar. Die These22, dass Soziales recht nicht ohne Soziale Arbeit auskommt, ist
somit belegt.
21 Griep/Renn, S. 47.
22 s. Einführung
Das Verwaltungsverfahren
83
VERWALTUNGSHANDELN UND VERWALTUNGSAKT
PRIVATES UND HOHEITLICHES HANDELN
Die Verwaltungsträger der unmittelbaren oder mittelbaren Verwaltung können je nach der
konkreten Tätigkeit entweder privatrechtlich oder hoheitlich handeln. Das Abgrenzungskriterium
hierbei ist, wie schon bei der Differenzierung zwischen dem öffentlichen und privaten Recht
ausgeführt, das Bestehen einer Über-/Unterordnungsbeziehung bzw. wer der Adressat der
zugrunde liegenden Rechtsnorm ist. So wird von einem hoheitlichen, also öffentlich-rechtlichen
Handeln ausgegangen, wenn zwischen den Beteiligten ein Über-/Unterordnungsverhältnis besteht
kraft derer ein Akteur ein bestimmtes Handeln durchsetzen kann. Hoheitliches Handeln liegt auch
vor, wenn die zugrunde liegende Rechtsnorm ausschließlich einen öffentlichen Träger als
Adressaten anspricht (z.B. Leistungsgesetze im sozialen Bereich).
Die Relevanz der Abgrenzung zwischen privatrechtlichem und hoheitlichem Handeln ergibt sich
daraus, dass diese Einordnung für die anzuwendenden Gesetze, für die Gestaltungsmittel und den
Rechtsweg von Bedeutung sind.
So kann im hoheitlichen Bereich eine Behörde durch eine Anordnung in Form eines
Verwaltungsaktes (Bescheid) den betroffenen Bürger zu einem bestimmten Verhalten auffordern.
Im Privatrecht hingegen werden die Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten auf der Ebene der
Gleichordnung durch eine entsprechende vertragliche Vereinbarung geregelt. Im öffentlichen Recht
stellt der Vertrag eher die Ausnahme dar. Für das hoheitliche Handeln der Behörde gilt primär das
Verwaltungsrecht und nicht das Zivilrecht. Liegt hoheitliches Handeln vor, ist der Rechtsweg zu dem
Verwaltungsgericht oder gegebenenfalls zum Sozialgericht eröffnet. Privatrechtliche Streitigkeiten
werden vor den ordentlichen Gerichten (Amtsgericht, Landgericht) ausgetragen.
Während der Bürger primär privatrechtlich handelt (Ausnahme: die beliehene Person) besteht auf
Seiten des Verwaltungsträgers ein Dualismus. Er kann nämlich sowohl hoheitlich als auch
privatrechtlich handeln, je nachdem welche Tätigkeit durchgeführt wird.
Das hoheitliche Handeln kann unterschieden werden in Handeln mit Gestaltungsfunktion und dem
schlichten Handeln. Ersteres ist gegeben, wenn das Handeln des Staates mit einer Rechtsfolge für
den betroffenen Bürger verbunden ist. Dies ist der Fall, wenn ein Antrag auf eine bestimmte
Leistung abgelehnt bzw. diesem entsprochen worden ist oder kraft Verwaltungsakt dem Bürger
Das Verwaltungsverfahren
84
eine bestimmte Handlungspflicht auferlegt wird (z.B. Abriss eines sog. Schwarzbaus). Das Handeln
mit Gestaltungsfunktionen ist also immer auf eine Rechtsfolge gerichtet.
Davon unterscheidet sich das schlichte hoheitliche Handeln. Dies umfasst rein tatsächliche
Tätigkeiten (z.B. Entsorgungsleistungen, Informationsleistungen, Beratungsleistungen). Eine
Veränderung der Rechtsverhältnisse zum Bürger wird damit also gerade nicht durchgeführt. Für
das gesamte hoheitliche Handeln finden die allgemeinen wie die besonderen Verwaltungsgesetze
Anwendung.
Neben dem hoheitlichen Handeln kann aber eine Behörde als Verwaltungsträger auch
privatrechtlich tätig werden. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Verwaltungsträger Tätigkeiten
durchführt, die in der gleichen Weise auch von den Bürgern realisiert werden können. Typisch für
privatrechtliches Handeln sind die Beschaffungsgeschäfte der Verwaltung, die primär
Logistikaufgaben umfassen (Einkauf von Büromaterialien, Installation einer EDV-Anlage, Abschluss
von Arbeitsverträgen mit Angestellten und Arbeitern). Neben diesen unterstützenden Tätigkeiten
ist ein weiterer Teilbereich des privatrechtlichen Handelns die erwerbswirtschaftliche Betätigung
der Verwaltung. Typisch dafür sind Miet- und Pachtgeschäfte (Vermietung von Räumen, Gründung
einer Wirtschaftsförderungsgesellschaft in Form der GmbH). Für die Beschaffungsgeschäfte wie für
die erwerbswirtschaftliche Betätigung findet nach allgemeiner Auffassung ausschließlich das
Privatrecht Anwendung.
Zum privatrechtlichen Handeln zählt auch das so genannte Verwaltungsprivatrecht. Hierbei handelt
es sich um einen Bereich, in dem primäre Verwaltungsaufgaben durch den Träger in privater Form
durchgeführt werden. Typisch hierfür ist der Bereich der Versorgungs- und Entsorgungsbetriebe. So
kann beispielsweise die Gemeinde eine GmbH oder AG gründen, die die Versorgung der Bürger mit
Strom, Gas und Elektrizität realisiert. Auch können die städtischen Müllbetriebe in Form einer
GmbH ausgegliedert werden. Durch die Gründung von juristischen Personen des Privatrechts
(GmbH, AG, Stiftungen) kann also der Verwaltungsträger öffentliche Aufgaben in privater Form
realisieren. Damit besteht aber die Gefahr, dass die Verwaltung sich sukzessive den öffentlich-
rechtlichen Vorschriften entzieht, so dass mittelbar das Rechtsstaatsprinzip relativiert werden
kann.
Beispiel: Wenn beispielsweise eine Gemeinde die Gas- und Wasserversorgung im Rahmen eines
städtischen Eigenbetriebes durchführt, so gelten nicht nur die verwaltungsrechtlichen Vorgaben,
sondern darüber hinaus auch das Grundgesetz (insbesondere Artikel 3 GG). Dies bedeutet, dass alle
Kunden gleich behandelt werden müssen und Diskriminierungen nicht erlaubt sind. Wechselt die
Das Verwaltungsverfahren
85
Gemeinde die Rechtsform und gründet eine GmbH, so findet damit zunächst ausschließlich das
Privatrecht Anwendung, obwohl sich hinsichtlich der Diskriminierungsgefahr nichts geändert hat.
Denn grundsätzlich gilt dieses Diskriminierungsverbot im Zivilrecht nicht. Die Gemeinde könnte
dann also bestimmte Unternehmen oder einzelne Bürger bevorzugen.
Um diese Gefahr zu reduzieren, werden im Bereich des Verwaltungsprivatrechts die zivilrechtlichen
Normen durch die öffentlich-rechtlichen Normen zum Schutz des Bürgers ergänzt. So unterliegen
die juristischen Personen des Privatrechts, die die Verwaltung gegründet hat, von vornherein den
grundrechtlichen Normen. Artikel 2 GG, Artikel 3 GG sowie das Rechtsstaatsprinzip (Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit) finden unmittelbar Anwendung.
Darüber hinaus finden auch verfahrensrechtliche Vorschriften, wie der Anspruch auf rechtliches
Gehör oder das Akteneinsichtsrecht Anwendung. Hierdurch soll die Transparenz des Verfahrens für
die betroffenen Bürger gewährleistet werden.
Beispiel: Wenn die Kommune eine Stadthallen-GmbH gegründet hat, so wäre sie als privater
Vermieter grundsätzlich frei in der Auswahl der Mieter. Da es sich bei der Vermietung um eine
Maßnahme des Verwaltungsprivatrechtes handelt, gilt Artikel 3 GG, der eine Ungleichbehandlung
ohne sachlichen Grund (Diskriminierung) verbietet. Ohne einen entsprechenden sachlichen Grund,
darf dann die Vermietung nicht abgelehnt werden.
DEFINITION DES VERWALTUNGSAKTS
Wie sich aus Artikel 20 GG ergibt, hat die Verwaltung die Aufgabe, die bestehenden Gesetze zu
vollziehen, d.h. umzusetzen. Typisch für das Verwaltungshandeln ist damit die Anwendung der
abstrakten Regelung auf den Einzelfall. Diese Rechtskonkretisierung beinhaltet eine Prüfung, ob im
Hinblick auf eine durchzuführende Entscheidung die Voraussetzungen der Rechtsnorm erfüllt sind.
Das Ergebnis dieses Prüfungsvorganges, also die Entscheidung gegenüber dem Bürger, wird in
einem spezifischen rechtstechnischen Gestaltungsmittel, nämlich dem Verwaltungsakt,
dokumentiert. Der Verwaltungsakt, im Sozialrecht auch Bescheid genannt, ist das typische
Handlungsinstrument der Verwaltung zur individuellen Regelung von Sachverhalten.
Der Verwaltungsakt transformiert die allgemeine Rechtslage in eine unmittelbare Rechtsfolge für
den betroffenen Bürger. Er legt damit fest, ob den Bürger eine bestimmte Handlungspflicht trifft
oder ob der Bürger einen Anspruch auf eine bestimmte Leistung (z.B. Sozialhilfe) hat. Der
Verwaltungsakt regelt und konstruiert damit die Beziehung zwischen dem Bürger und dem Staat.
Das Verwaltungsverfahren
86
Ist der Bürger mit dem Inhalt eines Verwaltungsaktes nicht einverstanden, so muss er die im
Verwaltungsakt enthaltene Regelung angreifen. Dies geschieht, wie noch ausgeführt wird, durch den
Widerspruch oder durch das daran anschließende Klageverfahren.
Wegen der vorstehend beschriebenen Bedeutung des Verwaltungsaktes für die Beziehung des
Bürgers zum Staat, muss das Handlungsinstrument des Verwaltungsaktes von anderen
Handlungsformen der Verwaltung abgegrenzt werden. So enthält § 31 SGB X für das
Sozialverwaltungsrecht die Definition des Verwaltungsaktes. Diese ist identisch mit dem Begriff des
Verwaltungsaktes im Sinne des § 35 VwVfG. Im Folgenden sollen daher die in der Legaldefinition
des § 31 SGB X enthaltenen Merkmale des Verwaltungsaktes näher dargestellt werden. § 31 SGB X
lautet wie folgt:
Verwaltungsakt ist
� jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahmen,
� die eine Behörde
� zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft
� und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.
Zu den einzelnen Begriffsmerkmalen:
HOHEITLICHE MASSNAHME
Unter einer Maßnahme kann jedes Handeln einer Behörde verstanden werden, durch das ein
bestimmter Zweck erreicht werden soll. § 31 SGB X führt exemplarisch die Verfügung und
Entscheidung an. Die durchgeführte Maßnahme muss auf dem Gebiet des öffentlichen Rechtes, also
hoheitlich, erfolgen. Die hoheitliche Maßnahme ist von dem fiskalischen Handeln der Behörde (z.B.
Beschaffungsgeschäfte, wie der Einkauf von Bürobedarf, Erwerb von EDV-Anlagen) abzugrenzen.
Hier handelt die Behörde dann wie eine Privatperson, so dass Ansprüche nicht durch einen
Verwaltungsakt durchgesetzt werden können. Sie muss sich folglich des rechtlichen
Gestaltungsmittels des Privatrechtes, nämlich des Vertrages, bedienen.
Die Frage, nach welchen Kriterien hoheitliches Handeln zu definieren ist, wird unterschiedlich
beantwortet. So wird nach der so genannten Subjektions- oder Subordinationstheorie von einem
hoheitlichen Handeln ausgegangen, wenn zwischen dem Staat und dem Adressaten des staatlichen
Handelns ein Über- und Unterordnungsverhältnis besteht. Dies ist gegeben, wenn der Staat kraft
Das Verwaltungsverfahren
87
einseitigen Normbefehls verbindliche Regelungen treffen kann. Dieses Über- und
Unterordnungsverhältnis besteht vorwiegend im Polizei- und Ordnungsrecht. Dort kann zur
Beseitigung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung die Ordnungs- oder
Polizeibehörde Verhaltensanordnungen treffen.
Beispiel: Zur Vermeidung ruhestörenden Nachtlärmes wird eine Person aufgefordert, die
Stereoanlage abzuschalten.
Die Subjektions- oder Subordinationstheorie versagt aber dort, wo der Staat als Leistungsträger
tätig wird. Diese Situation ist im Sozialrecht gegeben. Hier findet die so genannte modifizierte
Subjektstheorie Anwendung. Danach liegt ein hoheitliches Handeln vor, wenn die Behörde aufgrund
einer Rechtsgrundlage handelt, die ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt berechtigt oder
verpflichtet. Diese Situation ist typisch für das Sozialrecht (Sozialhilferecht, Pflegeversicherung,
Arbeitslosenrecht etc., da hier der Staat als Träger der Leistungserbringung angesprochen wird.
BEHÖRDE ALS AUSSTELLER
Unproblematisch ist der Begriff der Behörde. Unter Behörde ist jede Stelle zu verstehen, die
Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrnimmt (Stadt, Landkreis). Privatpersonen, wie z.B. die AG als
juristische Person, sind, auch wenn die Aktien zu 100% einer Kommune oder dem Staat gehören,
keine Behörde. Sie müssen also zur Regelung ihrer Angelegenheiten die Vertragsform wählen.
DER REGELUNGSCHARAKTER EINER HOHEITLICHEN MASSNAHME
Die hoheitliche Maßnahme einer Behörde muss ferner zur Regelung eines Einzelfalles erfolgen. Als
Regelung ist jede Maßnahme anzusehen, die auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist.
Eine Regelung ist daher jede Begründung, Aufhebung, Änderung oder bindende Feststellung eines
subjektiven Rechts oder einer Verpflichtung des beteiligten Bürgers.
Beispiel: Dies ist der Fall, wenn Ansprüche des Bürgers bejaht oder abgelehnt werden, wie z.B. die
Leistung bzw. Versagung von Sozialhilfe, oder die Gewährung von Hilfen zur Erziehung gemäß § 27
SGB VIII.
Ein Verwaltungsakt liegt ferner vor, wenn ein bestimmter Grad der Behinderung (GdB) durch das
Versorgungsamt festgestellt wird.
Eine Regelung mit Rechtsfolgencharakter enthalten die Maßnahmen nicht, die als
schlichthoheitliches Handeln zu charakterisieren sind. Dazu gehören die Aufklärung, Auskunft oder
Beratung (§§ 4, 13 ff. SGB I). Die Aufklärung oder Beratung als solche ist damit kein Verwaltungsakt.
Das Verwaltungsverfahren
88
Hingegen ist die Entscheidung darüber, ob im konkreten Einzelfall eine Beratung gewährt wird, ein
Verwaltungsakt. Die Verweigerung einer Beratungsdienstleistung einer Behörde stellt somit einen
ablehnenden Verwaltungsakt dar. Auch Rentenauskünfte, die nach dem SGB XI gewährt werden
(vgl. § 109 SGB XI) werden nicht als Regelung im Sinne des § 31 SGB X verstanden. Auch
Maßnahmen, die lediglich eine Entscheidung vorbereiten sollen, haben keinen
Verwaltungsaktcharakter.
So ist zum Beispiel die Anhörung des betroffenen Bürgers nach § 24 SGB I nicht mit einer
Rechtsfolge behaftet. Es liegt somit kein Verwaltungsakt vor.
Auch ein tatsächliches Verhalten, wie beispielsweise die Erstattung eines Gutachtens im Rahmen
eines familienrechtlichen Verfahrens durch das Jugendamt ist kein Verwaltungsakt.
EINZELFALLBEZUG
Eine weitere Voraussetzung für das Vorliegen eines Verwaltungsaktes ist die Regelung eines
Einzelfalles. Insofern unterscheidet sich der Verwaltungsakt von einer gesetzlichen Norm, die eine
generelle und abstrakte Regelung enthält. Das Gesetz enthält eine allgemeine Regelung über die
Voraussetzungen, die zum Eintreten einer bestimmten Rechtsfolge führen. So beschreibt das BSHG
die allgemeinen Voraussetzungen (Bedürftigkeit, keine anderweitigen vorrangigen Hilfsoptionen),
die vorliegen müssen, damit die Rechtsfolge (Leistung von Sozialhilfe) eintritt. Der zuständige
Träger der Sozialhilfe wendet diese allgemeine Regelungen an und prüft, ob sie im Einzelfall
zutreffen. Die Entscheidung ergeht in Form des Verwaltungsaktes, der damit konkret und
individuell ist (Rechtskonkretisierung im Einzelfall).
Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass es auch Verwaltungsakte in Form der
Allgemeinverfügung gibt. Diese enthalten eine konkret generelle Regelung. Sie beziehen sich
insofern auf einen bestimmten Sachverhalt (daher konkret), jedoch sind mehrere Personen von dem
Verwaltungsakt betroffen (daher generell).
Beispiel: Typisch sind hierfür die Verwaltungsakte, die von der Ordnungs- oder Polizeibehörde
erlassen worden sind: Die Polizei löst eine verbotene Demonstration auf und fordert die Teilnehmer
auf, den öffentlichen Platz zu verlassen. Hier liegt ein konkreter Sachverhalt vor, wobei mehrere
Personen Adressaten der Polizeiverfügung sind. Im Sozialrecht hat die Allgemeinverfügung keine
besondere Relevanz.
Das Verwaltungsverfahren
89
UNMITTELBARE AUSSENORIENTIERUNG
Der Begriff des Verwaltungsaktes setzt ferner die unmittelbare Rechtswirkung nach außen voraus.
Dies bedeutet, dass eine Rechtsfolge außerhalb der Verwaltung bezweckt wird. Demnach sind
verwaltungsinterne Entscheidungen und Anweisungen keine Verwaltungsakte. Eine rein
innerbehördliche Maßnahme, wie die Anweisung an einen Sachbearbeiter das SGB XII in einer ganz
bestimmten Weise anzuwenden, stellt somit keinen Verwaltungsakt dar.
Ein Verwaltungsakt liegt hingegen vor, wenn ein Beamter versetzt oder mit einer
Disziplinarmaßnahme sanktioniert wird. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen, die in ein
subjektiv öffentliches Recht des Beamten eingreifen. Daher wird der interne Bereich der Verwaltung
verlassen, so dass ein Verwaltungsakt vorliegt.
Problematisch ist die Außenwirkung bei Maßnahmen, die in einem sog. Sonderrechtsverhältnis
vollzogen werden. Ein Sonderrechtsverhältnis liegt vor, wenn zwischen Behörde und dem
betroffenen Bürger ein spezifisches Rechtsverhältnis gegeben ist (Sonderstatusverhältnis). Dieses
wird bejaht bei Beziehungen zwischen Staat und Soldaten bzw. Ersatzdienstleistenden, zwischen
Schülern, Studenten und den staatlichen Organisationen sowie bei Strafgefangenen und
Untersuchungsgefangenen. Auch bei der Inanspruchnahme einer Obdachlosenunterkunft wird von
einem Sonderstatusverhältnis gesprochen. Ob eine spezifische Maßnahme des Staates ein
Verwaltungsakt darstellt, hängt davon ab, ob diese Maßnahme das Grundverhältnis zwischen
Bürger und Staat oder lediglich das Betriebsverhältnis berührt. Zum Grundverhältnis zwischen
Staat und Bürger gehören die subjektiv öffentlichen Rechte und Pflichten des betroffenen Bürgers.
Werden diese berührt, so liegt ein Verwaltungsakt vor.
Beispiele: Personen in einer Obdachlosenunterkunft wird generell verboten, Besuch zu empfangen.
Dies greift massiv in das Freiheitsrecht der betroffenen Menschen ein, so dass eine Außenwirkung
gegeben ist. Schulstrafen oder die Nichtversetzung in eine höhere Klasse stellen einen
Verwaltungsakt dar. Wird einem Benutzer einer Obdachlosenunterkunft verboten Gäste zu
empfangen, wird sein subjektiv-öffentliches Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit berührt.
Regelungen, die lediglich das Betriebsverhältnis betreffen, also eine organisatorische Komponente
aufweisen, sind kein Verwaltungsakt. So sind einzelne Schulnoten in Klassenarbeiten kein
Verwaltungsakt. Auch wenn einem Obdachlosen andere Räumlichkeiten in derselben Unterkunft
zugewiesen werden, handelt es sich lediglich um eine Maßnahme im Betriebsverhältnis. Ein
Verwaltungsakt liegt nicht vor.
Das Verwaltungsverfahren
90
BEDEUTUNG UND FUNKTION DES VERWALTUNGSAKTES
Die vorstehend dargestellten Begriffsmerkmale des Verwaltungsaktes gelten für sämtliche Bereiche
des Verwaltungsrechtes (allgemeines Verwaltungsrecht, Sozialverfahren). Das entscheidende
Kriterium bei der Definition des Verwaltungsaktes ist dessen Wirkung, nämlich die Herbeiführung
einer unmittelbaren Rechtsfolge gegenüber dem Bürger. Diese normative Geltung des
Verwaltungsaktes gegenüber dem betroffenen Bürger bedingt, dass bereits durch den Erlass des
Verwaltungsaktes eine rechtliche Veränderung eingetreten ist. Der Verwaltungsakt ist somit eine
wichtige Zäsur im Rahmen des Verwaltungsverfahrens.
Er wird dadurch auch zum Bezugspunkt einer Rechtmäßigkeitsprüfung des Behördenhandelns.
Soweit der Verwaltungsakt mit der Rechtsordnung übereinstimmt wird er als rechtmäßiger
Verwaltungsakt bezeichnet. Verstößt die Behörde gegen Rechtsnormen, so liegt ein rechtswidriger
Verwaltungsakt vor.
Der rechtswidrige Verwaltungsakt kann, wenn er für den Bürger eine belastende Wirkung entfaltet,
von diesem angegriffen werden. So kann im Rahmen des vorgerichtlichen Widerspruchsverfahrens
eine Aufhebung des Verwaltungsaktes erreicht werden. Andernfalls besteht die Möglichkeit im
Rahmen eines Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungsgericht oder Sozialgericht eine Aufhebung
des Verwaltungsaktes zu erreichen.
Gegen einen belastenden Verwaltungsakt muss die Anfechtungsklage erhoben werden. Diese zielt
darauf ab, den Verwaltungsakt durch das Gericht aufheben zu lassen. Wurde hingegen eine begehrte
Leistung (z.B. Rente) abgelehnt, so muss die Behörde im Rahmen der Verpflichtungsklage verurteilt
werden, den entsprechenden Verwaltungsakt zu erlassen.
Beide Klagen sind erst zulässig, wenn das Widerspruchsverfahren durchgeführt worden ist. Der
betroffene Bürger muss sich also konsequent gegen einen Verwaltungsakt wenden, wenn dieser
rechtswidrig ist. Das Nicht-Geltendmachen der Rechtswidrigkeit führt letztlich dazu, dass der
rechtswidrige Verwaltungsakt die in ihm enthaltene Rechtsfolge entfaltet. Auch der rechtswidrige
Verwaltungsakt führt aufgrund der normierten Rechtsfolge zu einer Gestaltung der
Rechtsbeziehung des Bürgers zum Staat (Bestandskraft).
Die besondere Rechtsqualität des Verwaltungsaktes wird ferner auch durch seine Funktion als
Vollstreckungstitel gekennzeichnet. Der durch die Behörde erlassene Verwaltungsakt, der eine
Verpflichtung für den Bürger enthält (z.B. Rückzahlung von erhaltenen Geldleistungen), kann von
Das Verwaltungsverfahren
91
der Behörde selbst im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung durchgeführt werden. Insofern ist die
Behörde privilegiert, weil sie anders als im Zivilrecht kein gerichtliches Urteil, welches als
Vollstreckungstitel zu qualifizieren ist, benötigt. Die Existenz des Verwaltungsaktes ist somit
ausreichend für die Durchführung von Zwangsmaßnahmen gegenüber dem Bürger.
Zusammenfassend können also der Inhalt und die Funktion des Verwaltungsaktes wie folg
bestimmt werden:
1. Der Verwaltungsakt ist das wichtigste Handlungsinstrument der Behörde, um ein Verwaltungsverfahren zum Abschluss zu bringen (Beendigungsfunktion).
2. Durch den Verwaltungsakt wird eine gesetzliche Vorgabe für den Einzelfall konkretisiert (Konkretisierungsfunktion).
3. Prozessrechtlich bedingt der Verwaltungsakt besondere Rechtsschutzoptionen (Widerspruch, Anfechtungsklage, Verpflichtungsklage). Auch ein Verwaltungsakt, der mit der Rechtsordnung nicht übereinstimmt und daher rechtswidrig ist, muss zur Beseitigung von dessen rechtlicher Wirkung (Bestandskraftfunktion) mit dem Widerspruch bzw. im Klageverfahren angegriffen werden.
4. Der Verwaltungsakt ist ein Vollstreckungstitel, aus dem die Verwaltung Zwangsmaßnahmen gegenüber dem Bürger ableiten kann (Titelfunktion).
DIE GRUNDZÜGE DES (SOZIAL-)VERWALTUNGSVERFAHRENS
Das Verwaltungsverfahren im Sozialrecht ist im SGB X und ergänzend im SGB I geregelt.
Voraussetzung für die Anwendung des SGB ist, dass es sich um Verwaltungsverfahren im
Sozialbereich handelt. Ansonsten finden die übrigen, bereits dargestellten Verfahrensgesetze
(VwVfG und AO) Anwendung. Es muss also zunächst immer eine Vorprüfung darüber stattfinden,
welches Verfahrensgesetz des öffentlichen Rechtes nun Anwendung findet.
Zur Vertiefung soll nochmals darauf hingewiesen werden, dass die Verfahrensgesetz generell nur
bei hoheitlichen Maßnahmen zur Anwendung gelangen. Bei privatrechtlichen oder dem so
genannten fiskalischen Handeln des Verwaltungsträgers finden sie gerade keine Anwendung
(Ausnahme: Verwaltungsprivatrecht).
Auch wenn ein hoheitliches Handeln im Sozialrecht gegeben ist, so führt dies nicht unmittelbar zu
einer Anwendung des SGB X. Gemäß § 8 SGB X findet das SGB X nur auf Handlungen einer Behörde
Anwendung, die auf den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-
rechtlichen Vertrages gerichtet sind. Allgemein ausgedrückt bedeutet dies eine Anwendung des SGB
Das Verwaltungsverfahren
92
X auf Handlungen der Behörde, die unmittelbar gegenüber dem Bürger auf die Herbeiführung einer
Rechtsfolge gerichtet ist.
Bloße tatsächliche Tätigkeiten (schlicht hoheitliches Handeln) wie die Durchführung von
Informationstätigkeiten oder Beratungstätigkeiten, fallen somit nicht in den Anwendungsbereich
des SGB X. Primär gelten insoweit die Regelungen des SGB I.
Es ist also zunächst zu prüfen, ob ein öffentlich-rechtliches Verwaltungshandeln gegeben ist. Falls
dies bejaht wird, ist als nächstes zu prüfen, welches Verfahrensgesetz Anwendung findet. Handelt es
sich um Verwaltungshandeln im Sozialbereich, findet das SGB X Anwendung, soweit das
Verwaltungsverfahren auf den Erlass eines Verwaltungsaktes oder den Abschluss eines öffentlich-
rechtlichen Vertrages gerichtet ist.
ASPEKTE DES VERWALTUNGSVERFAHRENS IM SOZIALRECHT
Das Verwaltungsverfahren dient zur Umsetzung und Realisierung des materiellen Rechts. Denn die
Aufgabe der Verwaltung ist die Anwendung des Rechtes und die Konkretisierung der allgemeinen
Rechtsnormen auf einen spezifischen Fall. Die rechtliche Strukturierung durch das SGB X soll eine
transparente also nachvollziehbare und richtige Anwendung des Rechtes gewährleisten. Darüber
hinaus enthält das SGB auch Verfahrensrechte der betroffenen Bürger. Damit wird sichergestellt,
dass sie nicht nur bloße Objekte staatlichen Handelns sind, vielmehr erhalten sie
Partizipationsrechte. Im Folgenden sollen nun die wichtigsten Elemente und Aspekte des
Sozialverwaltungsverfahrens herausgestellt werden.
ZUSTÄNDIGKEIT DER BEHÖRDE
Bevor eine Behörde tätig wird, muss sie als erstes prüfen, ob überhaupt die Zuständigkeit gegeben
ist. Grundsätzlich führt nämlich eine Verwaltungsentscheidung einer unzuständigen Behörde dazu,
dass die Entscheidung rechtswidrig und damit anfechtbar ist.
In diesem Zusammenhang ist zwischen der sachlichen, örtlichen und instanziellen Zuständigkeit zu
unterscheiden.
� Die sachliche Zuständigkeit bedeutet, dass eine Behörde für die Regelung der Sachmaterie
(Sozialhilfe, Jugendhilfeangelegenheiten, Arbeitsförderung) inhaltlich zuständig ist. Um
festzustellen, wer sachlich zuständig ist, muss das jeweilige Fachgesetz einbezogen werden, das
Das Verwaltungsverfahren
93
eine Regelung der sachlichen Zuständigkeit enthält (vgl. für die Kinder- und Jugendhilfe § 85
KJHG, für Sozialhilfeangelegenheiten § 99 ff. BSHG).
� Die örtliche Zuständigkeit regelt die regionale Zuordnung von Sachfragen bei den Behörden. Die
örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus den jeweiligen Fachgesetzen, wie dem KJHG, dem BSHG
oder dem SGB III. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich in der Regel nach dem Wohnort oder
nach dem tatsächlichen Aufenthaltsort des beteiligten Bürgers. So bestimmt § 97 BSHG, dass für
die Sozialhilfe derjenige Träger örtlich zuständig ist, in dessen Bereich sich der Hilfeempfänger
tatsächlich aufhält.
� Die instanzielle Zuständigkeit bezieht sich auf die Kompetenzverantwortlichkeit zwischen
verschiedenen Verwaltungsträgern innerhalb eines bestimmten Bereiches. Für das BSHG ist die
Differenzierung zwischen den Zuständigkeiten des örtlichen und des überörtlichen Trägers von
entscheidender Bedeutung. Die konkrete Aufteilung erfolgt in § 100 BSHG. So ist z.B. der
überörtliche Träger gerade für Hilfen in besonderen Lebenslagen zuständig.
Zum Schutze der betroffenen Bürger enthält § 2 SGB X eine Regelung bei Überschneidungen in
örtlichen Zuständigkeitsfragen. Sind mehrere Behörden zuständig, so führt die Behörde, die zuerst
mit der Sache befasst worden ist, das Verfahren weiter fort. Eine Ausnahme gilt dann, wenn die
gemeinsame Aufsichtsbehörde etwas anderes bestimmt. Die Aufsichtsbehörde entscheidet ferner
bei unterschiedlichen Auffassungen von Behörden über ihre örtliche Zuständigkeit. Örtliche
Kompetenz - und Kollisionsregelungen sind somit im § 2 SGB I abschließend geregelt.
Eine weitere wichtige Vorschrift enthält § 43 SGB I, der sich mit der Gewährung von vorläufigen
Leistungen beschäftigt. Besteht ein Anspruch auf eine Sozialleistung und ist dabei zwischen
mehreren Leistungsträgern streitig, wer zur Leistung verpflichtet (d.h. sachlich zuständig) ist, kann
der zuerst angegangene Leistungsträger die Leistung vorläufig erbringen. Hierbei handelt es sich
um eine Ermessensentscheidung. Er hat diese Leistungen zu erbringen, wenn der Berechtigte dies
beantragt.
Beispiel: Diese Situation ist gegeben, wenn eine Person sich im Krankenhaus befindet und die Ärzte
eine unverzüglich zu beginnende Rehabilitationsmaßnahme in einer Reha- Einrichtung vorschlagen.
Da das Genehmigungsverfahren bei der Rentenversicherung einen gewissen Zeitraum in Anspruch
nimmt und hierdurch gegebenenfalls die Heilungschancen des Patienten reduziert werden, kann
beispielsweise die gesetzliche Krankenversicherung, die eigentlich unzuständig ist, die
Rehabilitationsmaßnahme als vorläufige Leistung erbringen und anschließend die Aufwendungen
vom Rentenversicherer erstattet verlangen.
Das Verwaltungsverfahren
94
Eine soziale Absicherung des Bürgers in verfahrensrechtlicher Hinsicht bezweckt auch § 16 SGB I. §
16 Abs. 1 Satz 1 SGB I normiert den allgemeinen Grundsatz, dass Anträge auf Sozialleistungen beim
zuständigen Leistungsträger zu stellen sind. Nach Satz 2 können derartige Anträge aber von allen
Leistungsträgern entgegengenommen werden. Sie müssen dann an den zuständigen Leistungsträger
weitergeleitet werden. Gegebenenfalls einzuhaltende Fristen sind damit auch gewahrt.
Vertiefendes Beispiel: Ein besonderes Problem stellt der Aspekt dar, ob dieser Grundsatz auch für
Sozialleistungen gilt, die unabhängig von einem Antrag sind. Typisch dafür sind
Sozialhilfeleistungen. Gemäß § 5 BSHG besteht nämlich ein Anspruch auf Sozialhilfe, wenn der
Träger der Sozialhilfe Kenntnis von der Bedürftigkeit erlangt hat. Dieses Problem kann bei Fragen
der Heimunterbringung auftreten, wenn beispielsweise eine pflegebedürftige Person die
Kostenübernahme bei einem örtlich unzuständigen Sozialhilfeträger beantragt hat. Bei dieser
Konstellation ist der örtlich zuständige Sozialhilfeträger gemäß § 5 BSHG gerade nicht informiert, so
dass nach dem Gesetzeswortlaut des BSHG eine Kostenübernahme erst zu dem Zeitpunkt
stattfinden kann, in dem der örtlich zuständige Träger Kenntnis von der Bedürftigkeit hat. § 5 Abs. 2
BSHG enthält aber auch eine Ausnahme dahingehend, dass es für das Einsetzen der Sozialhilfe auf
die Kenntnis der nichtzuständigen Stelle ankommt.
Damit ist eine kontinuierliche Grundabsicherung im sozialen Bereich gewährleistet, weil Lücken, die
aufgrund des Angehens eines unzuständigen Trägers entstehen, vermieden werden.
START DES VERWALTUNGSVERFAHRENS
Eine Regelung bezüglich des Beginns des Verwaltungsverfahrens enthält § 18 SGB X.
Nach § 18 SGB X entscheidet die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und wann sie ein
Verwaltungsverfahren einleitet und durchführt. Dieser Grundsatz wird Opportunitätsprinzip
genannt, weil die Entscheidung ob ausschließlich der Behörde vorbehalten ist.
Das Opportunitätsprinzip findet im Sozialhilferecht und im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe
Anwendung. Existieren Indizien für eine Bedürftigkeit (Informationen von Nachbarn etc.). kann die
Behörde Ermittlungen aufnehmen, ob die Voraussetzung für die Leistungsgewährung nach dem
BSHG vorliegen. Auch hat das Jugendamt einen Entscheidungsrahmen dahingehend, ob ein
Verwaltungsverfahren bezüglich von freiwilligen Maßnahmen (Hilfe zur Erziehung) oder
Zwangsmaßnahmen (Einleitung des Sorgerechtsentzuges) initiiert wird. Die Behörde hat somit
einen Handlungsspielraum und kann nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden. Je stärker aber
Das Verwaltungsverfahren
95
die Indizienlage für eine Bedürftigkeit oder für eine Gefährdung des Kindeswohls gegeben ist, desto
mehr schrumpft der Ermessensspielraum auf ein Tätigwerden.
Das Opportunitätsprinzip wird durch das Antragsprinzip ergänzt. Nach dem Antragsprinzip kann
ein Verwaltungsverfahren nur auf Antrag eines Bürgers eingeleitet werden. Typisch dafür sind die
Antragsleistungen wie Kindergeld (§ 9 BKGG) Wohngeld (§ 1 WoGG), Arbeitslosengeld (§ 117 SGB
III) und bei der Beantragung von Renten gemäß dem SGB VI (vgl. § 115 SGB VI).
Vom Antragsprinzip und vom Opportunitätsprinzip ist das so genannte Legalitätsprinzip zu
unterscheiden. Nach dem Legalitätsprinzip besteht eine Verpflichtung der Behörde, ein
Verwaltungsverfahren einzuleiten. Dieses Tätigwerden von Amts wegen besteht im Sozialhilferecht.
Nach § 5 BSHG setzt die Sozialhilfe ein, wenn der zuständige Träger Kenntnis von der Bedürftigkeit
hat.
Beispiel: Wurde beispielsweise der Gemeinde mitgeteilt, dass eine Person diese
Bedürftigkeitsvoraussetzung erfüllt, so muss von Amts wegen das Verwaltungsverfahren initiiert
werden. Das bedeutet, dass bei Kenntnis von der Bedürftigkeit gilt das Legalitätsprinzip.
Wird hingegen erst im Vorfeld die Bedürftigkeit geprüft, weil lediglich Indizien darauf hindeuten,
gilt das Opportunitätsprinzip. Der örtliche Träger der Sozialhilfe hat dann einen
Ermessensspielraum ob er ein Überprüfungsverfahren diesbezüglich einleitet.
Das Legalitätsprinzip gilt auch im Bereich des SGB IV. So bestimmt § 19 SGB IV, dass Leistungen in
der gesetzlichen Unfallversicherung von Amts wegen erbracht werden.
Insgesamt ist aber festzuhalten, dass das Legalitätsprinzip im Bereich des Sozialrechtes eher eine
untergeordnete Rolle spielt.
DIE ANTRAGSTELLUNG
Aspekte der Antragstellung sind in § 16 SGB I normiert. § 16 SGB I hat die Funktion, eine
größtmögliche Bürgerorientierung zu erreichen. Dazu gehört auch, dass Anträge, die bei einem
unzuständigen Leistungsträger eingereicht worden sind, von diesem weitergeleitet werden müssen.
Gemäß § 16 Abs. 3 SGB I sind die Leistungsträger verpflichtet, den Bürger bei der Stellung von
klaren und sachdienlichen Anträgen zu unterstützen. Insofern besteht eine Beratungspflicht, damit
der Antragsteller die ihm zustehenden sozialen Leistungen auch vollständig erhalten kann. Der
Leistungsträger würde also rechtsfehlerhaft handeln, wenn er unvollständige Anträge
entgegennimmt und diese dann später ablehnt.
Das Verwaltungsverfahren
96
Insofern verstärkt § 16 Abs. 3 SGB I die Aufklärungspflicht gemäß § 13 SGB I sowie die
Beratungspflicht gemäß § 14 SGB I.
Nach § 19 SGB X ist die Amtssprache Deutsch. Jedoch kann gemäß § 19 Abs. 2 SGB X ein Antrag auch
in einer fremden Sprache eingelegt werden. Die Behörde soll dann aber unverzüglich die Vorlage
einer Übersetzung verlangen. Wird durch einen Antrag eine Frist in Lauf gesetzt oder ein Anspruch
geltend gemacht, so genügt der in einer ausländischen Sprache eingelegte Antrag, wenn innerhalb
einer gesetzlichen Frist die Übersetzung vorgelegt wird. (§ 19 Abs. 3 und 4 SGB X).
Eine Besonderheit enthält § 28 SGB X mit der so genannten wiederholten Antragstellung. Der Text
dieser Vorschrift ist sehr komplex und kaum nachvollziehbar. Er widerspricht somit dem aus dem
Sozialstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatz, dass Sozialgesetze klar und eindeutig zu verstehen seien
sollen. § 28 SGB X beschäftigt sich mit dem Tatbestand, in dem es eine Person von der Stellung eines
Antrages auf eine soziale Leistung abgesehen hat, weil sie eine andere Sozialleistung geltend
gemacht hat. Ist nunmehr dieser Antrag abgelehnt worden, so bietet ihm das Gesetz die Möglichkeit,
den Antrag, den er ursprünglich nicht gestellt wurde, nachzuholen.
Beispiel: Eine Person stellt einen Antrag auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Dieser Antrag wird
abgelehnt, weil eine Erwerbsunfähigkeit nicht gegeben ist. Wohl kann aber von einer
Berufsunfähigkeit ausgegangen werden. Nunmehr hat die betroffene Person die Möglichkeit, den
Antrag auf die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente zu stellen.
Dieser nachgeholte Antrag wirkt bis zu einem Jahr zurück. Er muss aber innerhalb einer Frist von
sechs Monaten gestellt werden, nachdem der ursprüngliche Antrag (im Beispiel
Erwerbsunfähigkeitsrente) abgelehnt worden ist.
Dieser Grundsatz der wiederholten Antragstellung gilt auch dann, wenn eine andere Leistung
aufgrund der Unkenntnis auf deren Anspruchsvoraussetzungen nicht geltend gemacht worden ist.
Beispiel: Diese Situation ist gegeben, wenn eine Person mit geringem Einkommen zunächst
ergänzende Sozialhilfe begehrte, dies jedoch abgelehnt worden ist. Hierbei hat aber der Träger der
Sozialhilfe übersehen, dass auch die Voraussetzungen für Wohngeld gegeben sind. In diesem Fall
besteht folglich die Möglichkeit, den Antrag auf Wohngeldgewährung nachzuholen. Er entfaltet dann
ebenfalls seine Rückwirkung bis zu einem Jahr.
Ein Verfahrensfehler kann aber vorliegen, wenn die Behörde eine Leistung erbringt, ohne dass ein
entsprechender Antrag vorgelegen hat. Wie sich aus § 41 Abs. 1 Nr. 1 SGB X ergibt, ist davon
auszugehen, dass derartige Bescheide, die ohne den erforderlichen Antrag ergangen sind, zunächst
Das Verwaltungsverfahren
97
rechtswidrig sind. Allerdings erlaubt § 41 Abs. 1 Nr. 1 SGB X, dass der Antrag nachträglich gestellt,
also nachgeholt wird. Insofern ist dieser Verfahrensfehler heilbar.
DIE SACHVERHALTSERMITTLUNG
Die primäre Funktion des Verwaltungsverfahrens liegt darin, eine Entscheidungsfindung
vorzubereiten und abzuschließen. So wird das Verwaltungsverfahren durch den Verwaltungsakt
oder durch den öffentlich-rechtlichen Vertrag beendet. Für eine Entscheidungsfindung ist die
umfassende und zutreffende Aufklärung des zugrunde liegenden Sachverhaltes erforderlich. Daher
bestimmt § 20 SGB X den so genannten Untersuchungsgrundsatz. Die Behörde ist von Amts wegen
verpflichtet, den Sachverhalt, der einer Entscheidung zugrunde liegt, zu ermitteln. Dabei muss die
Behörde von allen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch machen, die vernünftigerweise zur
Verfügung stehen. Insofern muss die Behörde über das tatsächliche Vorbringen der Beteiligten
hinaus eigene Feststellungen treffen.
Nach § 21 SGB X stehen der Behörde folgende Beweismittel zur Verfügung:
� Auskünfte
� Anhörung der Beteiligten
� Zeugenvernehmung
� Sachverständigengutachten
� Inaugenscheinnahme
� Urkundsbeweis
Die ermittelnde Behörde kann also gemäß § 21 SGB X Auskünfte jeglicher Art einholen. In der Praxis
sind dies regelmäßig Auskunftsgesuche an andere Behörden, die im Rahmen der Amtshilfe erbeten
werden (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Auch kann die Behörde Auskünfte bei privaten Personen
einholen. So sind beispielsweise gemäß § 116 BSHG unterhaltspflichtige Personen aber auch
Arbeitgeber zur Auskunft verpflichtet. Darüber hinaus bestehen Auskunftspflichten des Arztes
gemäß § 100 SGB X. Des Weiteren existiert die Amtshilfeverpflichtung anderer Sozialleistungsträger
gemäß § 3 SGB X. Von Bedeutung ist auch die Auskunftspflicht der Finanzbehörden gemäß § 21 Abs.
4 SGB X. Allerdings ist zu erwähnen, dass bei der Auskunftsverpflichtung, die an einen anderen
Verwaltungsträger, der im Rahmen des SGB X tätig wird, dadurch eingeschränkt, dass dieser an den
Sozialdatenschutz gemäß § 35 SGB I gebunden ist. Danach bestehen nur begrenzte
Übermittlungsverpflichtungen gemäß den §§ 67 ff. SGB X. Insofern sind also die Sozialbehörden
Das Verwaltungsverfahren
98
verpflichtet, sorgfältig abzuwägen, inwieweit sie Informationen weitergeben dürfen. Zu beachten ist
der Sozialdatenschutz, der sich aus dem informationellen Selbstbestimmungsrecht ableitet.
ANHÖRUNG DER BETEILIGTEN
Ein weiteres Beweismittel stellt die Anhörung der Beteiligten dar. Für die Aufklärung eines
Sachverhaltes ist es vielfach erforderlich, gerade die beteiligten Personen in die Ermittlung mit
einzubeziehen, da sie, gerade wenn es um persönliche Angelegenheiten geht, die umfangreichste
Tatsachenkenntnis besitzen. § 21 Abs. 2 SGB X besagt, dass eine Verpflichtung zur Aussage nur dann
besteht, wenn durch eine spezielle Rechtsvorschrift besonders vorgesehen ist. Von Relevanz sind in
diesem Kontext die Mitwirkungspflichten der §§ 60 ff. SGB I. Danach sind alle Tatsachen anzugeben,
die für die Leistung von Bedeutung sind. Darüber hinaus besteht die Verpflichtung, die Zustimmung
darüber zu erklären, dass Dritte die erforderlichen Auskünfte erteilen. Konkret heißt dies, dass die
Banken vom Bankgeheimnis und die Ärzte von der Schweigepflicht entbunden werden. Auch sind
jegliche Änderungen (z.B. Einkommenssituation, Vermögenssituation) mitzuteilen. Ferner besteht
die Verpflichtung persönlich zu erscheinen, soweit dies für die Aufklärung des Sachverhaltes
unabdingbar ist. Des Weiteren besteht eine Duldungspflicht bezüglich ärztlicher und
psychologischer Untersuchungen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Rentenleistungen beantragt
werden z.B. wegen Berufsunfähigkeit (Erwerbsunfähigkeit) oder bei einer Eingruppierung in eine
Pflegestufe durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen.
Weitere Mitwirkungspflichten beziehen sich auf die Duldung von Heilbehandlungen oder auf die
Teilnahme an berufsfördernden Maßnahmen.
Durch die §§ 60 ff. SBG I werden umfangreiche Mitwirkungspflichten normiert. Allerdings werden
die Mitwirkungspflichten begrenzt durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der explizit in §
65 SGB I normiert ist. Die Mitwirkungshandlungen müssen daher geeignet, erforderlich und
angemessen sein. Die Geeignetheit besteht immer dann, wenn die Angabe von bestimmten
Tatsachen notwendig ist, um zu prüfen, ob eine Rechtsanspruchsgrundlage erfüllt ist oder nicht.
Nicht einschlägige Tatsachen brauchen daher nicht angegeben zu werden.
Nur erforderliche Tatsachen müssen mitgeteilt werden. Erforderlich sind aber nur diejenigen
Tatsachen und Aussagen, die im konkreten Fall benötigt werden. Insbesondere sind folglich Blanko-
Erklärungen für Bankauskünfte oder Arztauskünfte von vornherein nicht erforderlich. Auch besteht
keine Mitwirkungsverpflichtung, wenn die Behörde die Information mit weitaus geringerem
Das Verwaltungsverfahren
99
Aufwand bei einer anderen Behörde im Wege der Amtshilfe sich beschaffen kann (vgl. § 75 Abs. 1
Nr. 3 SGB X).
Schließlich ist bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung immer die Angemessenheit zu prüfen. Die
Angemessenheit ist gegeben, wenn die Belastung des betroffenen Bürgers nicht in einem
Missverhältnis zum angestrebten Ziel der Tatsachenermittlung steht. Dies beinhaltet in der Regel
eine Interessenabwägung zwischen dem Informationsbedürfnis der Behörde und den Interessen
der beteiligten Bürger. Hierbei handelt es sich auch um das Kriterium der Zumutbarkeit, welches in
§ 65 SGB X nochmals ausdrücklich erwähnt wird.
Ein Beispiel ist dafür die Frage, ob beispielsweise die Mutter eines Kindes gegenüber dem
Sozialhilfeträger den Namen des Vaters angeben muss. Nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung ist dies zumutbar. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die Mutter ein
Grundrecht auf Schutz ihrer Intimsphäre hat. Insofern müsste das Interesse des Staates gegenüber
dem Geheimhaltungsinteresse bzw. Schutzinteresse abgewogen werden. Wird nun beispielsweise
Sozialhilfe oder ein Unterhaltsvorschuss für das Kind verlangt, muss nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichtes die Mutter den Namen des Vaters nennen. Tut sie dies nicht, so kann
dies grundsätzlich nicht zu Lasten des Kindes erfolgen. Das Kind erhält weiterhin Sozialhilfe bzw.
Unterhaltsvorschuss. Allerdings kann die Mutter zum Ersatz der Kosten für die Zukunft verurteilt
werden, weil sie durch ihr Verhalten die Sozialhilfebedürftigkeit des Kindes vorsätzlich
herbeigeführt hat (vgl. § 92a BSHG).
ZEUGENVERNEHMUNG UND SACHVERSTÄNDIGE
Eine weitere Möglichkeit der Sachverhaltsaufklärung stellt die Zeugenvernehmung und das
Sachverständigengutachten dar. Das Sachverständigengutachten wird eingeholt, wenn die
Sachkunde der Behörde zur Entscheidungsfindung nicht ausreicht. Dies ist vor allem der Fall bei
Fragen der Erwerbsunfähigkeit, der Berufsunfähigkeit oder bei der Feststellung des Grades der
Behinderung. Hierfür sind fachärztliche Gutachten erforderlich.
Der Zeuge hingegen wird über von ihm wahrgenommene Tatsachen befragt. Die Befragung von
Zeugen kommt beispielsweise in Betracht im Bereich der Unfallversicherung, wenn das zugrunde
liegende Unfallgeschehen rekonstruiert werden soll. Im Gegensatz zu Zeugenaussagen nach dem
VwVfG besteht gemäß § 21 Abs. 3 SGB X eine Aussageverpflichtung, wenn die Aussage für eine
Entscheidung über die Gewährung oder Nichtgewährung einer Sozialleistung bzw. deren
Rückforderung entscheidend ist.
Das Verwaltungsverfahren
100
Dies bedeutet, dass ohne die Zeugenaussage der Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt werden
kann. So darf beispielsweise die Behörde, wenn sie den Verdacht hat, dass ein Bezieher von
Arbeitslosengeld, noch zusätzlich arbeitet, den infrage kommenden Arbeitgeber als Zeugen laden.
Dieser muss aussagen, ob die betreffende Person tatsächlich dort arbeitet.
Die Zeugen haben die Möglichkeit, die Aussage zu verweigern, wenn ihnen ein
Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Insofern verweist § 22 Abs. 1 SGB X auf die entsprechenden
Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO). So besteht ein Zeugnisverweigerungsrecht bei
Verlobten, Eheleuten und nahen Verwandten.
Gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dürfen auch Personen die Aussage verweigern, denen aus beruflichen
Gründen Tatsachen anvertraut worden sind und deren Geheimhaltung ihnen durch eine
gesetzlichen Vorschrift vorgegeben ist. Diese Verschwiegenheitsverpflichtung haben auch
Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen. Gemäß § 203 StGB dürfen sie anvertraute Geheimnisse nicht
weitergeben. Dies begründet ein Aussageverweigerungsrecht sowohl im Zivilverfahren als auch vor
den Verwaltungs- und Sozialgerichten. Auch im Verwaltungsverfahren nach dem SGB X darf also die
Aussage verweigert werden.
Verweigert ein Zeuge ohne das Vorhandensein eines entsprechenden Verweigerungsrechtes die
Aussage, so kann die betreffende Behörde das örtlich zuständige Sozial- oder Verwaltungsgericht
mit der Vernehmung ersuchen. Dieses kann dann die entsprechenden Zwangsmittel (Ordnungsgeld
oder Ordnungshaft) festsetzen.
INAUGENSCHEINNAHME
Ein weiteres Beweismittel zur Sachverhaltsaufklärung stellt die so genannte Inaugenscheinnahme
dar. Inaugenscheinnahme bedeutet, die unmittelbare Wahrnehmung von Tatsachen durch die
Behörde. So kann die Behörde einen so genannten Ortstermin vereinbaren, wenn sie den Hergang
eines Arbeitsunfalls rekonstruieren will. Von Bedeutung im Bereich der Sozialhilfe ist dabei der
Hausbesuch. Durch den Hausbesuch kann sich der örtliche Träger der Sozialhilfe ein Bild darüber
machen, ob die Angaben des Bürgers mit der Realität übereinstimmen. Hausbesuche werden
beispielsweise durchgeführt, um festzustellen, ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft besteht,
die Renovierungsbedürftigkeit einer Wohnung gegeben ist oder bestimmte Möbel angeschafft
werden müssen. Da der Hausbesuch als solches nicht in den §§ 60 ff. SGB I niedergelegt ist, ist es
umstritten, ob der Bürger den Hausbesuch grundsätzlich überhaupt dulden muss. Nach der
Das Verwaltungsverfahren
101
Rechtsprechung ist der Hausbesuch zulässig, wenn ohne diesen die Voraussetzung für die
Gewährleistung von Sozialhilfe nicht aufgeklärt werden können.
Beispiel: Typischer Anwendungsfall ist, ob die Behörde die Vornahme von Renovierungs- oder
Reparaturkosten übernehmen muss. Im Rahmen eines Hausbesuchs kann dann festgestellt werden,
ob tatsächlich ein entsprechender Bedarf besteht.
Bezweifelt hingegen die Behörde, ob ein Hilfesuchender in der angegebenen Wohnung lebt, so ist
nach der Rechtsprechung ein Hausbesuch nicht erforderlich, wenn zum Beweis der Mietvertrag
oder die Anmeldebescheinigung des Einwohnermeldeamtes vorgelegt werden kann. Darüber hinaus
dürfte es auch nicht möglich sein, durch einen Hausbesuch das Bestehen einer eheähnlichen
Gemeinschaft festzustellen.
Ob ein Hausbesuch erforderlich ist, ist somit immer eine Abwägung zwischen dem
Behördeninteresse auf Sachverhaltsermittlung und dem Recht des Bürgers auf den Schutz seiner
Wohnung gemäß § 13 GG. Auch wenn ein Hausbesuch zulässig ist, so muss die Behörde diesen zuvor
anmelden. Überraschende Hausbesuche dürfen daher zurückgewiesen werden.
URKUNDEN
Ein weiteres Beweismittel stellt der Urkundsbeweis dar. Urkunden sind beispielsweise
Geschäftsunterlagen von Arbeitgebern, die Auskunft über geleistete Zahlungen beinhalten.
Auch Krankendokumente stellen Urkunden dar. Werden sie von der Behörde beigezogen, so bedarf
es hierzu der Einwilligung des betroffenen Bürgers, da ansonsten die ärztliche Schweigepflicht gilt.
Insgesamt kann also festgestellt werden, dass die Behörde umfangreiche Möglichkeiten zur
Sachverhaltsermittlung hat, die diese auch ausschöpfen kann. Zum Schutz der beteiligten Personen
muss die ermittelnde Behörde aber in erster Linie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten. Bei
der Einschaltung anderer Behörden, gilt ferner auch der Sozialdatenschutz.
Typisch für die Sozialverwaltung ist auch die enge Einbindung der beteiligten Bürger. Diese haben,
wie dargestellt, umfangreiche Mitwirkungspflichten. Kommen sie diesen nicht nach, so besteht
gemäß § 66 SGB I die Möglichkeit, die Leistung ganz oder zum Teil zu versagen oder zu entziehen.
Die Behörde ist insbesondere nicht verpflichtet, weitere Ermittlungen durchzuführen. Allerdings
tritt diese Folge nur dann ein, wenn die Behörde hierauf schriftlich hingewiesen hat und eine
angemessene Frist zur Nachholung der Mitwirkungsverpflichtung gesetzt hat.
Das Verwaltungsverfahren
102
FOLGEN DER LÜCKENHAFTEN SACHVERHALTSAUFKLÄRUNG
Von dem Ergebnis der Sachverhaltsermittlung hängt es entscheidend ab, welchen Inhalt der zu
erlassene Verwaltungsakt am Ende des Verwaltungsverfahrens hat. Konnte eindeutig festgestellt
werden, dass ein Bürger tatsächlich Anspruch auf eine bestimmte Sozialleistung hat, so ist diese ihm
zu gewähren. Konnte die eindeutige Feststellung getroffen werden, dass ein Anspruch nicht besteht,
so wird der betreffende Bürger einen ablehnenden Verwaltungsakt erhalten.
Problematisch ist aber, wenn die Sachverhaltsaufklärung fragmentarisch ist, also eine eindeutige
Feststellung der Tatsachen gerade nicht erreicht werden konnte. Hinsichtlich der Folgen ist wie
folgt zu differenzieren:
Handelt es sich über eine Tatsache, die zur Erfüllung einer Anspruchsgrundlage (z.B.
Erwerbsunfähigkeitsrente) vorliegen muss, so geht dies zu Lasten des antragstellenden Bürgers. Die
Voraussetzungen für den Anspruch sind nicht bewiesen. Daher wird der Verwaltungsakt abgelehnt.
Anders sieht es aus, wenn es sich um Sachverhaltselemente handelt, die einem möglichen Anspruch
des Bürgers entgegenstehen.
Beispiel: Das Sozialamt vermutet, dass ein Sozialhilfebezieher noch zusätzliches
Erwerbseinkommen hat.
Kann diese Tatsache nicht bewiesen werden, so geht dies zu Lasten der Behörde. Sie muss also die
Leistung unverkürzt weiter erbringen. Beachtet die Behörde die obigen Gesichtspunkte nicht, und
erlässt sie daraufhin eine Entscheidung, so ist dieser Verwaltungsakt rechtswidrig. Die
Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes ist auch dann gegeben, wenn die Behörde einen
Sachverhalt nur bruchstückartig ermittelt oder die ermittelten Tatsachen falsch gewürdigt hat.
HEILUNG FEHLERHAFTER SACHVERHALTSAUFKLÄRUNG ODER ÜBERTRIEBENER MITWIRKUNGSGEBOTE
Darüber hinaus sind Verwaltungsakte dann rechtswidrig, wenn ein Bürger seine Mitwirkung
abgelehnt hat, weil diese zu Recht unverhältnismäßig ist, und daher die Behörde eine Leistung nicht
zugesprochen bzw. eine bestehende Leistung entzogen hat. Allerdings ist in diesem Zusammenhang
die Möglichkeit einer Heilung nach § 42 SGB X zu beachten. Danach kann die Aufhebung eines
Verwaltungsaktes, der nicht nichtig ist, nicht allein wegen eines Verfahrensfehlers beansprucht
werden, wenn in der Sache eine andere Entscheidung nicht hätte getroffen werden können. So ist
z.B. eine ungenügende Sachaufklärung kein Grund, den rechtswidrigen Verwaltungsakt aufzuheben,
wenn er inhaltlich eine richtige Entscheidung enthält. Dies hat letztlich zur Konsequenz, dass eine
Das Verwaltungsverfahren
103
Behörde vielfach nicht sanktioniert wird, wenn sie bei dem Erlass von Verwaltungsakten bestimmte
Verfahrensvorschriften nicht einhält.
GLAUBHAFTMACHUNG
Grundsätzlich müssen, wie vorstehend ausgeführt, die einzelnen Tatsachen, die einem Anspruch
zugrunde liegen, zweifelsfrei bewiesen werden. Anstelle von Beweisen ist es aber auch möglich, die
Tatsachen durch eidesstattliche Versicherungen oder Glaubhaftmachungen zu belegen. Gemäß § 23
SGB X ist Voraussetzung, dass eine Vorschrift dies zulässt. Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht,
wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, als überwiegend wahrscheinlich gilt.
So besteht die Möglichkeit Beitragszahlungen in die Sozialversicherung gemäß § 286a SGB VI durch
eine eidesstattliche Versicherung glaubhaft zu machen. Eine Glaubhaftmachung ist auch gemäß § 49
SGB VI möglich, wenn eine Rente wegen Todes im Falle der Verschollenheit beantragt werden soll.
VERFAHRENSLEITLINIEN ZUM SCHUTZE DES BÜRGERS
Darüber hinaus hat das SGB X weitere Verfahrensleitlinien zum Schutze des Bürgers normiert, die
die Verwaltung bei der Vorbereitung der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen hat. Diese sollen
im Folgenden besprochen werden:
AUSGESCHLOSSENE PERSONEN
Um einen objektiven Entscheidungsprozeß zu finden, sind bestimmte Personen für ein Tätigwerden
bei der Behörde ausgeschlossen. Ausgeschlossene sind gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB X Personen, die
selbst Beteiligte des Verwaltungsverfahrens sind (z.B. Antragsteller oder Antragsgegner).
Ausgeschlossen sind ferner die Angehörigen eines Beteiligten (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 SGB X). Angehörige
sind gemäß § 16 Abs. 5 SGB X Verlobte, Ehegatten, Verwandte und Verschwägerte in gerader Linie,
wie auch die Geschwister.
Ausgeschlossen ist auch, wer bei einem Beteiligten gegen Entgelt beschäftigt ist oder bei ihm als
Mitglied des Vorstandes oder eines gleichartigen Organs tätig ist (§ 16 Abs. 1 Nr. 5 SGB X).
Beispiel: Diese Situation ist beispielsweise gegeben, wenn ein Vorstandsmitglied eines freien
Trägers diesem Träger in Eigenschaft als zuständiger Sachbearbeiter eine Subvention bewilligt.
Einem Beteiligten steht gleich, wer durch die Tätigkeit oder durch die Entscheidung selbst einen
unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen kann (§ 16 Abs. 2 SGB X).
Das Verwaltungsverfahren
104
Die Mitwirkung eines Beteiligten an dem Erlass eines Verwaltungsaktes führt zur Nichtigkeit des
Verwaltungsaktes. Dies ergibt der Umkehrschluss aus § 40 Abs. 3 Nr. 2 SGB X. Die Mitwirkung von §
16 Abs. 1 Nr. 2 - 6 ausgeschlossenen Personen führt zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes,
wenn sie an dessen Erlas mitgewirkt haben.
BESORGNIS DER BEFANGENHEIT
Gemäß § 17 SGB X führt die Besorgnis der Befangenheit ebenfalls zum Ausschluss derjenigen
Person, die für die Behörde tätig wird. Der Mitarbeiter muss von sich aus seinen Dienstvorgesetzten
mitteilen, wenn er Gründe für die Besorgnis der Befangenheit sieht. Dies bedeutet nicht, dass er
tatsächlich befangen ist. Es genügt, dass der Anschein einer möglichen Parteilichkeit gegeben ist.
Diese kann darauf beruhen, dass eine freundschaftliche oder gegnerische Beziehung zum Bürger
besteht. Die Besorgnis der Befangenheit besteht auch, wenn aus einer Amtshandlung die
finanziellen oder persönlichen Belange eines Mitarbeiters einer Behörde tangiert werden. Die
Mitwirkung einer befangenen Person führt zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes.
GRUNDSATZ DER NICHTFÖRMLICHKEIT
Der Grundsatz der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens besagt, dass das
Verwaltungsverfahren an bestimmte Formen nicht gebunden ist. Eine Ausnahme liegt dann vor,
wenn Rechtsvorschriften eine bestimmte Form vorschreiben. Damit soll ein bürgerorientiertes und
flexibles Verfahren durchgeführt werden.
Handlungen der Beteiligten sowie der Behörde können also schriftlich, mündlich oder in anderer
Weise vorgenommen werden. Letztlich hat dies auch zur Folge, dass die Behörde den Bürger nicht
zwingen darf, bestimmte Formblätter oder Vordrucke zu verwenden. Dieses ist aber vielfach aus
Gründen der Verwaltungspraktikabilität sinnvoll. Jedoch darf bei Nichtbeachtung dieser Form keine
nachhaltigen Folgen für den Bürger entstehen.
GRUNDSATZ DER VERFAHRENSBESCHLEUNIGUNG
Der Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung ist in § 17 SGB I niedergelegt. So normiert § 17 Abs. 1
Nr. 1 SGB I, dass der Leistungsträger daraufhin zu wirken hat, dass Sozialleistungen in zeitgemäßer
Weise, umfassend und schnell erbracht werden. Insofern besteht die Verpflichtung der Behörde,
eine entsprechende flexible Verwaltung zu installieren.
Daher hat die Behörde, wenn sie einen Sachverhalt nicht in der gebotenen Schnelle bearbeiten kann,
gegebenenfalls den Bürger einen Vorschuss gemäß § 42 SGB I oder ein Darlehen zu gewähren. Der
Das Verwaltungsverfahren
105
Bürger kann sich gegen Verzögerungen durch eine zu langsame Bearbeitung mit einer einstweiligen
Anordnung, die er beim Verwaltungsgericht bzw. Sozialgericht beantragen kann, wenden.
VERFAHRENSRECHTE DES BÜRGERS
Zur Absicherung der individuellen Rechtsposition stehen den Beteiligten am Verwaltungsverfahren
bestimmte Verfahrensrechte zu, die im Folgenden dargestellt werden.
BENENNUNG VON BEVOLLMÄCHTIGTEN UND BEISTÄNDEN
Grundsätzlich ist das Verwaltungsverfahren nicht öffentlich. Dies dient dem Sozialdatenschutz und
dem Schutz der Privatsphäre der beteiligten Personen.
Gemäß § 12 SGB X sind Beteiligte eines Verwaltungsverfahrens, der Antragsteller und
Antragsgegner oder diejenigen, an die die Behörde den Verwaltungsakt richten will bzw. gerichtet
hat. Auch Personen, mit denen die Behörde einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen will, sind
Beteiligte. Gemäß § 12 Abs. 2 SGB X kann die Behörde auch Personen beiziehen, wenn deren
rechtliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können.
Zum Schutz der Beteiligten besteht die Möglichkeit, dass sie sich durch einen Bevollmächtigten
vertreten lassen (§ 13 Abs. 1 SGB X). Der Bevollmächtigte kann sämtliche Verfahrenshandlungen
mit Wirkung für die betreffende Person durchführen. Bevollmächtigter in vielen
Verwaltungsverfahren ist beispielsweise ein Rechtsanwalt.
Gemäß § 13 Abs. 4 SGB X kann ein Beteiligter zu seinem Schutz auch mit einem Beistand erscheinen.
Der Beistand hat primär eine Unterstützungsfunktion. Im Gegensatz zum Bevollmächtigten ist er
aber nicht befugt, anstelle des Beteiligten Verfahrenshandlungen durchzuführen. Jedoch bestimmt §
13 Abs. 4 SGB X, dass das von dem Beistand Vorgetragene dem Beteiligten insofern zugeordnet
wird, wenn dieser nicht unverzüglich widerspricht.
Beispiel: So kann beispielsweise ein Sozialarbeiter oder eine Sozialpädagogin als Beistand für eine
Person im Sozialverwaltungsverfahren auftreten.
AKTENEINSICHT
Ein weiteres wichtiges Verfahrensrecht ist das Akteneinsichtsrecht durch den Beteiligten. Gemäß §
25 SGB X muss die Behörde die Akteneinsicht gestatten, soweit dies zur Wahrung der rechtlichen
Interessen des Beteiligten erforderlich ist. Bei der Frage, ob Akteneinsicht zu gewähren ist, muss
aber die Behörde gemäß § 25 Abs. 2 SGB X zunächst prüfen, ob die Akteneinsicht bei dem
Beteiligten dazu führt, dass er ein so genannten unverhältnismäßigen Nachteil (insbesondere
Das Verwaltungsverfahren
106
Gesundheitsschaden) erleidet. In diesen Fällen soll der Inhalt der Akte durch einen Arzt vermittelt
werden. Dieser Aspekt ist von Bedeutung, wenn beispielsweise die Akte Gutachten über die
psychische Erkrankung des beteiligten Bürgers, der Akteneinsicht begehrt, beinhaltet.
Ferner besteht keine Verpflichtung die Akteneinsicht zu gewähren, wenn aufgrund der berechtigten
Interessen anderer Personen die Geheimhaltung vorrangig vor dem Recht auf Akteneinsicht ist.
Insofern muss die Behörde eine Güterabwägung treffen. Berechtigte Interessen Dritter können sich
aus dem Datenschutz ergeben. Daneben besteht auch die Verpflichtung der Behörde, anvertraute
Geheimnisse im Sinne des § 203 StGB nicht weiter zu geben.
Beispiel: Wenn beispielsweise das Jugendamt Aussagen von Lehrern oder Nachbarn bezüglich einer
Kindeswohlgefährdung erhält und daraufhin die Vorprüfung bezüglich der Gewährung von
erzieherischen Hilfen stattfindet, dürfen diese Aussagen von dritten Personen nicht ohne weiteres
an die Eltern weitergegeben werden. Insofern wird deren Akteneinsichtsrecht auf Teile der Akte
beschränkt.
Die Akteneinsicht ist grundsätzlich nur im Rahmen des Verwaltungsverfahrens gemäß § 8 SGB X zu
gewähren. Daher haben Eltern im Rahmen eines familienrechtlichen Sorgerechtsverfahrens keinen
Anspruch auf Einsicht in die Jugendhilfeakte. Zwar stellt die Ablehnung der Akteneinsicht durch die
Behörde einen Verwaltungsakt dar.
Jedoch kann dieser Verwaltungsakt nicht selbständig angegriffen werden, da es sich um eine
Verfahrenshandlung gemäß § 44 a Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) handelt.
Konkret kann also die Versagung der Akteneinsicht nur mit der später erlassenen
Hauptentscheidung (z.B. Ablehnung einer Hilfe zur Erziehung, Ablehnung von Sozialhilfeleistung)
angefochten werden.
ANHÖRUNGSRECHT
§ 24 SGB X räumt allen Beteiligten die Gelegenheit zur Äußerung bei beabsichtigten Eingriffen in
deren Rechtsposition ein. Es ist damit das wohl wichtigste Beteiligungsrecht im
Verwaltungsverfahren. Voraussetzung für die Durchführung der Anhörung ist, dass ein
Verwaltungsakt erlassen werden soll, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift (z.B. Entziehung
einer Leistung, Rückforderung von überzahlten Sozialleistungen).
Das Verwaltungsverfahren
107
Gemäß § 24 Abs. 2 SGB X kann von einer Anhörung aber bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen
abgesehen werden. Eine Anhörung ist nicht erforderlich, wenn eine sofortige Entscheidung wegen
Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig ist.
Beispiel: Diese Situation ist beispielsweise bei einer vorläufigen Wegnahme eines Pflegekindes aus
der Pflegefamilie gemäß § 43 KJHG gegeben.
Auch bei Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung braucht keine vorherige Anhörung erfolgen (§
24 Abs. 2 Nr. 6 SGB X). Eine Anhörung könnte dann zu einer Erschwerung der schnellen
Vollstreckung führen. Es besteht dann die Gefahr einer Vermögensverschiebung.
Die unterbliebene Anhörung führt zur Rechtswidrigkeit des später erlassenen Verwaltungsaktes.
Dies dokumentiert die Wichtigkeit dieses Verfahrensrechtes des Bürgers. Allerdings besteht die
Möglichkeit einer Nachholung der Anhörung. Ist dies im eigentlichen Verwaltungsverfahren nicht
erfolgt, so kann sie im anschließenden Widerspruchsverfahren (der Bürger hat ein Widerspruch
gegen den Verwaltungsakt eingelegt) nachgeholt werden.
Diese Nachholung kann sowohl von der Ausgangsbehörde als auch von der Widerspruchsbehörde
vorgenommen werden.
FRISTEN!
Wie wir gesehen haben, hat der Verwaltungsakt den Zweck, ein Verwaltungsverfahren zum
Abschluss zu bringen (Beendigungsfunktion). Durch die Entscheidung der Behörde soll Klarheit
geschaffen und Rechtsfrieden herbeigeführt werden.
Diese Funktion u.a. erfüllen auch gesetzliche oder behördliche Fristen. Innerhalb eines bestimmten
Zeitrahmens sollen bestimmte Handlungen vorgenommen werden. Geschieht dies oder geschieht
dies nicht, treten bestimmte Rechtsfolgen ein.
Die für das Verwaltungsverfahren wichtigste Frist ist die Widerspruchsfrist. Sie beginnt mit der
Bekanntgabe eines mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Verwaltungsaktes und endet nach
genau 1 Monat (§ 84 SGG). D. h.: der Empfänger des Verwaltungsaktes hat einen Monat Zeit, gegen
den Verwaltungsakt Widerspruch einzulegen. Lässt er diese Frist verstreichen, erlangt der
Verwaltungsakt Bestandskraft, und die Angelegenheit ist endgültig geklärt.
Eine entsprechende Frist gibt es für die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens nach Erlass eines
Widerspruchsbescheides: Nur innerhalb eines Monats kann die Klage zum Verwaltungs- oder
Das Verwaltungsverfahren
108
Sozialgericht erhoben werden (§ 87 SGG). Ist die Frist abgelaufen, kann nur versucht werden, über
den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand das Fristversäumnis nachzuholen (siehe
nächstes Kapitel).
Das Sozialrecht macht es dem Bürger leicht, diese Fristen einzuhalten: so kann der Widerspruch
sogar bei einer Behörde eingelegt werden, die für die Sache gar nicht zuständig ist (§ 84 Abs. 2 SGG);
und auch die Klageerhebung bei einem unzuständigen Gericht wahrt die Klagefrist (§ 91 SGG).
Wichtig ist nur, dass der Widerspruch oder die Klage auch tatsächlich am Tage des Fristablaufs bis
24 Uhr schriftlich eingereicht oder mündlich zu Protokoll erklärt worden ist. Die Einreichung per
Telefax genügt, wenn der Absender eindeutig erkennbar ist.
Bei manchen Schriftstücken ist für den Laien gar nicht erkennbar, dass es sich um einen
Verwaltungsakt handelt, gegen den er Widerspruch einlegen kann. In einem solchen Fall hilft der
Gesetzgeber ebenso: wenn das Schreiben/der Verwaltungsakt keine Rechtsmittelbelehrung enthält,
wird die Frist zur Einlegung des Widerspruchs beziehungsweise Einreichung der Klage nicht in
Gang gesetzt, und die hierfür eigentlich einzuhaltenden Fristen laufen erst nach einem Jahr ab (§ 66
Abs. 2 SGG).
Beispiel: Die Pflegekasse schreibt einer Klientin auf ihren Antrag zur Eingruppierung in die
Pflegeversicherung, der Medizinische Dienst der Krankenkassen habe die Pflegestufe I festgestellt.
Ein weitergehender Anspruch bestehe nicht. Es könne bislang nicht festgestellt werden, ob eine im
Moment zweifellos vorhandene, darüber hinausgehende Pflegebedürftigkeit auch langfristig
gegeben sei. Der MDK werde nach sechs Monaten eine Nachuntersuchung vornehmen. Diesem Brief
war keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt.
WIEDEREINSETZUNG IN DEN VORIGEN STAND
Gemäß § 27 SGB X besteht die Möglichkeit, dass bei einer unverschuldeten Fristversäumnis die sog.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird. Hierfür ist ein Antrag erforderlich. Konkret
bedeutet dies, dass die versäumte Handlung dann nachgeholt werden kann.
Über den Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet die Behörde, die über die versäumte Handlung
zu befinden hat. Dadurch wird es dem beteiligten Bürger möglich, unverschuldete
Fristversäumnisse zu korrigieren.
DAS ENDE DES VERWALTUNGSVERFAHRENS
Das Verwaltungsverfahren
109
Das Verwaltungsverfahren wird durch eine Entscheidung der Behörde beendet. Diese kann in Form
eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gemäß § 53 SGB X (zum Beispiel Subventionsvertrag für einen
freien Träger) oder aber in Form eines Verwaltungsaktes gemäß § 31 SG X (Leistungsbescheid,
ablehnender Bescheid) ergehen. Im Sozialverwaltungsverfahren ist das typische
Entscheidungsinstrument der Verwaltungsakt.
Der Verwaltungsakt dokumentiert das Resultat des vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens,
welches sich, wie dargestellt mit der Konkretisierung des abstrakten Gesetzes auf einen Einzelfall
beschäftigt. Der Verwaltungsakt spiegelt demnach die Gesetzteskonkretisierung für den beteiligten
Bürger dar.
Ist der beteiligte Bürger mit der Entscheidung der Verwaltung einverstanden, weil beispielsweise
sein Interesse voll erfüllt ist oder weil die Ablehnung bzw. Belastung akzeptiert wird, ist das
Verwaltungsverfahren in dieser Angelegenheit beendet.
Das Verwaltungsverfahren findet jedoch seine Fortsetzung, wenn der Bürger sich gegen die
Entscheidung der Behörde wendet. In diesem Fall wird das Widerspruchsverfahren durch die
fristgerechte Einlegung des Widerspruchs eröffnet.
Darüber hinaus bestehen auf Seiten der Behörde Möglichkeiten, das Verwaltungsverfahren weiter
fortzusetzen, indem ein ursprünglicher Verwaltungsakt aufgehoben (Rücknahme, Widerruf) wird.
Eine Fortführung des Verwaltungsverfahrens findet auch statt, wenn der Bürger eine Verpflichtung
nicht erbringt, obwohl ein entsprechender Verwaltungsakt oder ein entsprechendes Urteil vorliegt.
Bei dieser Konstellation kommt es zur Anwendung von Zwangsmaßnahmen durch die Behörde im
Rahmen der so genannten Verwaltungsvollstreckung.
ENTSCHEIDUNGSSPIELRÄUME DER VERWALTUNG BEI DER
RECHTSANWENDUNG
Die Hauptaufgabe der Verwaltung besteht im Verwaltungsverfahren darin, die gesetzlichen
Vorgaben (Rechtsnorm) auf einen Einzelfall korrekt anzuwenden. Ist nun für eine Entscheidung die
einschlägige Rechtsnorm aufgefunden worden, muss geprüft werden, ob sie auf den zu
beurteilenden Sachverhalt Anwendung findet. Erst wenn die Anspruchsvoraussetzungen der
jeweiligen gesetzlichen Grundlage erfüllt sind, tritt die dort normierte Rechtsfolge (z.B.
Rentengewährung, Leistungen nach dem BSHG) ein.
Verwaltungsentscheidungen
110
TATBESTAND UND RECHTSFOLGE
Tatbestand (Wenn) Rechtsfolge (Dann)
Tatbestandsvoraussetzungen Beispiel
am Wortlaut
eines Gesetzes
Rechtsfolgen Beispiel
am Wortlaut
eines Gesetzes
1. (zwingender Rechtsbegriff) Zwingend „muss“, „ist“,
„soll“
2. (zwingender Rechtsbegriff) „18. Lebensjahr
vollendet“;
„Bedürftigkeit“
3.(Unbestimmter Rechtsbegriff) „Kindeswohl“,
„unzumutbare
Härte“
Ermessen „kann“
FEHLENDER HANDLUNGSSPIELRAUM
Unproblematisch ist die Rechtsanwendung, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen eindeutig
begrifflich erfasst sind und auch auf der Rechtsfolgenseite eine konkrete, zwingende Option
definiert wird. �muss Norm
Beispiel 1: So bestimmen die §§ 2 ff. SGB XII, dass Sozialhilfe bei Bedürftigkeit zu gewähren ist.
Damit wird eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass die wesentliche Voraussetzung für die
Sozialhilfegewährung die Bedürftigkeit ist. Wann die Bedürftigkeit gegeben ist, kann jeder
Sachbearbeiter anhand der konkreten Einkommens- und Vermögenssituationen des betroffenen
Bürgers ermitteln. Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Gewährung der Sozialhilfe können
somit eindeutig ermittelt werden. Auch auf der Rechtsfolgenseite hat die Behörde nur eine
Handlungsoption, nämlich die Gewährung von Sozialhilfe. Entscheidungsalternativen bestehen
nicht.
Verwaltungsentscheidungen
111
Beispiel 2: Entsprechendes gilt auch für die Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem SGB III.
Voraussetzung für die Gewährung von Arbeitslosengeld ist ein entsprechender Antrag einer Person,
die arbeitslos ist und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Darüber hinaus muss die
Anwartschaftszeit (ein Jahr versicherungspflichtige Beschäftigung) erfüllt sein. Sind diese
Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, wird Arbeitslosengeld gezahlt. Die Ermittlung dieser
Tatbestandsvoraussetzungen ist unproblematisch möglich. Jeder Sachbearbeiter kommt zu dem
gleichen Ergebnis. Auch besteht auf der Rechtsfolgenseite nur eine Handlungsoption, nämlich
Gewährung von Arbeitslosengeld.
BESTEHENDER HANDLUNGSSPIELRAUM:
Allerdings sind nicht alle Rechtsnormen so eindeutig aufgebaut. Dies führt vielfach zu einer
Erschwerung der Entscheidungsfindung durch die Behörde. Darüber hinaus stellt sich insoweit
auch die Frage, in welchem Umfang die Entscheidung der Behörde später durch die Gerichte
überprüft werden kann. Entsprechende Probleme bestehen einmal auf der Tatbestandsseite der
Rechtsnorm, also bei den Voraussetzungen. Dann handelt es sich um Fragen des unbestimmten
Rechtsbegriffes mit Beurteilungsspielraum. Probleme bei der Rechtsanwendung entstehen aber
auch auf der Rechtsfolgenseite, wenn die Behörde die Möglichkeit hat mehrere Handlungsoptionen
anzuwenden. Hier spricht man dann von Ermessensentscheidungen.
VORLIEGEN DES BEURTEILUNGSSPIELRAUMS
Der Beurteilungsspielraum ist bei den so genannten unbestimmten Rechtsbegriffen von Bedeutung.
So gibt es in den einzelnen Gesetzen Begriffe von zunehmender oder abnehmender inhaltlicher
Fixierbarkeit. Damit eröffnen sich für die Verwaltung einen gewissen Bewertungsrahmen, da diese
Begriffe nicht von vornherein eindeutig definierbar sind. Zu diesen unbestimmten Rechtsbegriffen
können Begriffe gezählt werden, wie „öffentliches Interesse“, „Gemeinwohl“,
„Kindeswohlgefährdung“, „besondere Härte“. Die Behörde muss also bei diesen Begriffen im
Rahmen der Tatbestandsermittlung vielfach werten und auch eine Prognose für die Zukunft stellen.
Insofern befindet sich die Behörde in einer ganz konkreten Entscheidungssituation, die von sehr
vielen Variablen abhängt. Vielfach stellt sich die Frage, in welchem Umfang später die
Verwaltungsgerichte oder Sozialgerichte berechtigt sind, eine Entscheidung der Behörde, die im
Zusammenhang mit einem so genannten unbestimmten Rechtsbegriff ergangen ist, zu überprüfen
und durch eine eigene Entscheidung zu ersetzen.
Verwaltungsentscheidungen
112
Für eine beschränkte gerichtliche Überprüfung spricht, dass die Verwaltungsentscheidung durch
ausgebildete Fachkräfte des jeweiligen Gebietes getroffen worden ist und das eine ganz konkrete
Situation vorgelegen hat, in der eine wertende Entscheidung getroffen werden musste. Aufgrund
dieser spezifischen Entscheidungslage stellt sich die Frage, ob ein Verwaltungsgericht oder ein
Sozialgericht zu einer angemessenen Überprüfung überhaupt in der Lage ist.
Auf der anderen Seite würde aber eine Relativierung der gerichtlichen Überprüfung von
Verwaltungsentscheidungen zu einer Reduzierung der Rechte des Bürgers führen. Angesichts dieser
Problematik findet nach Auffassung der Rechtsprechung eine eingeschränkte
Überprüfungsmöglichkeit nur bei unbestimmten Rechtsbegriffen mit einem Beurteilungsspielraum
statt. Ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum wird bejaht, wenn die Behörde
durch das jeweilige Gesetz zu einer abschließenden Beurteilung ermächtigt wird und für die
reduzierte gerichtliche Kontrolle ein sachlicher Grund besteht.
Beispiele: Der Beurteilungsspielraum wird bejaht bei Prüfungsentscheidungen, beamtenrechtlichen
Beurteilungen oder Entscheidungen wertender Art durch ein Kollektivgremium. Letzteres ist
beispielsweise gegeben bei der Überprüfung der Jugendgefährdung von Büchern, Zeitschriften oder
Videospielen. Bei Prüfungsentscheidungen liegt der sachliche Grund für eine reduzierte gerichtliche
Kontrolle darin, dass bei den Prüfungen auch die Einschätzungen und Erfahrungen aus
vergleichbaren Prüfungen seitens der Prüfer Beachtung finden. Nur auf diese Weise ist die
Feststellung über die konkrete Bewertung der Leistung möglich.
Auch die beamtenrechtlichen Beurteilungen verlangen eine Prognose und zudem einen Vergleich
mit anderen Bewerbern. Sie ist also situationsspezifisch. Eine nachträgliche gerichtliche
Rekonstruktion ist daher gar nicht möglich.
Eine vergleichbare Situation besteht auch bei Kollektiventscheidungen. Diese aufgrund ihrer
pluralistischen Zusammensetzung eine wertende Entscheidung treffen. Daher verbietet sich eine
vollinhaltliche Überprüfung durch eine gerichtliche Instanz.
Bei unbestimmten Rechtsbegriffen mit Beurteilungsspielraum können die Gerichte folgende
Aspekte überprüfen:
� Einhalten von Verfahrensvorschriften
� vollständige Sachverhaltsermittlung
� Einhaltung allgemeingültiger Bewertungsmaßstäbe
� Gleichbehandlungsgrundsatz und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Verwaltungsentscheidungen
113
� Ausschluss sachfremder Erwägungen
Auch wenn die Behörde einen Beurteilungsspielraum hat, kann dennoch überprüft werden, ob die
spezifischen Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind. Dazu gehören im weitesten Sinne die
gesetzlichen Vorgaben bezüglich des Verfahrens. Darüber hinaus muss auch der eigentliche
Verfahrensablauf ordnungsgemäß sein.
Beispiel: Ist beispielsweise bei einer schriftlichen Prüfung der Lärmpegel aufgrund von Bauarbeiten
so hoch, dass ein konzentriertes Arbeiten nicht möglich ist, so liegt hierin ein Verfahrensverstoß.
Denn Prüfungen müssen so organisiert sein, dass derartige Störungen nicht vorliegen. Aus diesem
Grund würde dann eine Bewertung der Prüfung rechtswidrig sein.
Ferner kann das Gericht überprüfen, ob bei der Anwendung des Beurteilungsspielraumes von
einem vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen worden ist.
Beispiel: Diese Situation ist nicht gegeben, wenn bei einer beamtenrechtlichen Beurteilung durch
ein Versehen nicht alle Qualifikationen des Bewerbers beachtet worden sind.
Trotz Bestehens eines Beurteilungsspielraumes müssen die allgemeingültigen
Bewertungsmaßstäbe beachtet werden.
Beispiel: So hat bei einer Prüfung der Prüfling die Möglichkeit geltend zu machen, dass seine als
falsch beurteilten Ansichten richtig oder zumindest aber vertretbar seien. Diesen Aspekt haben die
Prüfer zu beachten.
Die Nichteinhaltung allgemeingültiger Bewertungsmaßstäbe ist auch insofern gegeben, wenn die
Behörde außerhalb von Prüfungsentscheidungen einen gewissen Prognosespielraum hat
(Bedürftigkeitsprüfung z.B. bei der Vergabe von Taxigenehmigungen). Hier ist die Rechtswidrigkeit
gegeben, die vom Gericht auch überprüft werden kann, wenn die Entwicklung offensichtlich
fehlerhaft eingeschätzt wurde. Insofern kann das Gericht die Offensichtlichkeit von Fehlern
überprüfen.
Bei allen Entscheidungen muss auch im Rahmen des Beurteilungsspielraumes der
Gleichbehandlungsgrundsatz und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Überall
dort, wo die Verwaltung einen Entscheidungsspielraum hat, darf sie gegen diese Grundsätze nicht
verstoßen. Insoweit besteht eine gerichtliche Überprüfbarkeit des Verwaltungshandelns.
Beispiel: Gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung wird beispielsweise verstoßen, wenn bei einer
beamtenrechtlichen Beurteilung ohne sachlichen Grund eine Bevorzugung eines Kandidaten erfolgt.
Verwaltungsentscheidungen
114
Darüber hinaus kann gerichtlich überprüft werden, inwieweit die Entscheidungsträger sich von
sachfremden Erwägungen haben beeinflussen lassen. Sachfremde Erwägungen sind beispielsweise
erkennbar zum Ausdruck gekommene Vorteile oder Diskriminierungen.
Die vorstehenden Überprüfungsmöglichkeiten zeigen, welche reduzierte Kontrolle seitens der
Gerichte besteht. Insofern findet lediglich eine Kontrolle der rechtlichen Rahmenbedingungen statt.
Die eigentliche Kernentscheidung selbst wird nicht durch das Gericht überprüft. Auf diese Weise
wird einerseits die Entscheidungsautonomie der Behörde sichergestellt und andererseits die
Übereinstimmung mit der Rechtsordnung kontrolliert.
Problemfall: psychosoziale Diagnosen
Von Bedeutung für die soziale Arbeit ist die Frage, ob unbestimmte Rechtsbegriffe wie Kindeswohl
oder die Gefährdung des Kindeswohls ebenfalls einer reduzierten Überprüfung der Gerichte
unterliegen. So wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass für derartig psychosoziale Diagnosen
ebenfalls ein Beurteilungsspielraum zuerkannt werden müsste. Begründet wird dies damit, dass die
Entscheidung auf sozialarbeiterischen Fachkenntnissen beruht. Dem kann aber entgegengehalten
werden, dass die entsprechenden Gerichte sich des sozialpädagogischen Sachverstandes in Form
von Gutachten bedienen können. Eine Zuerkennung des Beurteilungsspielraums würde für die
Beteiligten zu einer Reduzierung des Rechtsschutzes und damit ihrer Rechte führen.
ERMESSENSENTSCHEIDUNGEN
Soweit eine Rechtsnorm der Behörde ein Ermessen einräumt, hat diese die Möglichkeit aus
mehreren Handlungsoptionen die zweckmäßigste zu wählen.
Bei den Arten des Ermessens wird differenziert zwischen dem Entschließungsermessen und dem
Auswahlermessen.
Das Entschließungsermessen bezieht sich darauf, ob ein Verwaltungsverfahren überhaupt
eingeleitet werden soll. Die Behörde hat somit einen Entscheidungsspielraum über das Einleiten
eines Verwaltungsverfahrens.
Beim Auswahlermessen kann die Behörde entscheiden, welche von mehreren Rechtsfolgen
eintreten sollen.
Verwaltungsentscheidungen
115
Ob eine Rechtsnorm der Behörde einen Ermessensspielraum einräumt, kann anhand von
Ausdrücken wie „kann“, „darf“ und „soll“ abgelesen werden. Hierbei handelt es sich um Hinweise für
einen eingeräumten Ermessensspielraum.
Beispiele: So besteht nach § 34 SGB XII die Möglichkeit, dass der Träger der Sozialhilfe Mietschulden
für die Vergangenheit übernimmt. Gemäß § 27 SGB VIII besteht beim Jugendamt ein
Ermessensspielraum dahingehend, welche konkrete Erziehungshilfe erbracht wird.
Bei den Ermessensentscheidungen können verschiedene Abstufungen festgestellt werden. So gibt es
das freie und das gebundene Ermessen sowie die Situation der Ermessensreduzierung auf Null.
Das freie Ermessen liegt vor, wenn die Rechtsnorm keinerlei Einschränkungen der
Ermessensentscheidung der Behörde beinhaltet. Dies ist typisch bei Formulierungen wie „kann“
und „darf“.
Daneben gibt es das gebundene Ermessen, welches in den Rechtsnormen durch die Bezeichnung
„soll“ ausgedrückt wird. Damit ist die Entscheidungsrichtung der Behörde vorgegeben. Sie darf
lediglich ausnahmsweise eine abweichende Entscheidung treffen.
Beispiel: So heißt es in § 34 Abs. 1 S. 2 SGB XII bezüglich der Übernahme von Mietschulden: “Sie soll
gewährt werden, wenn sie gerechtfertigt und notwendig ist und ohne sie Wohnungslosigkeit
einzutreten droht“.
Bei der Ermessensreduzierung auf Null ist eine Situation eingetreten, in der die Behörde rechtmäßig
nur eine ganz konkrete Entscheidung treffen kann. Alle anderen theoretisch zur Disposition
stehenden Optionen finden dann keine Anwendung.
Beispiel: Eine derartige Ermessensreduzierung auf Null liegt beispielsweise im Fall des § 27 SGB
VIII vor, wenn die einzig mögliche Handlungsalternative die Unterbringung des Kindes in einem
Heim ist.
Bei Ermessensentscheidungen besteht ebenfalls ein erheblicher Entscheidungsspielraum der
Behörde, der nur reduziert überprüfbar ist. Die Verwaltungsbehörde selbst kann entscheiden,
welche Maßnahme am zweckmäßigsten ist. Das Gericht kann lediglich überprüfen, ob bei einer
Ermessensentscheidung das Ermessen fehlerhaft ausgeübt worden ist (Ermessensfehler).
Bei den Ermessensfehlern wird differenziert zwischen der Ermessensunterschreitung, der
Ermessensüberschreitung und dem so genannten Ermessensfehlgebrauch.
Verwaltungsentscheidungen
116
Eine Ermessensunterschreitung liegt vor, wenn die Behörde die Existenz eines
Ermessensspielraumes nicht erkannt hat bzw. nicht danach gehandelt hat.
Beispiel: Diese Situation ist beispielsweise gegeben, wenn der zuständige Sachbearbeiter des
Sozialamtes nicht erkennt, dass § 15 a BSHG einen Ermessensspielraum beinhaltet und daher einen
entsprechenden Antrag einer betroffenen Familie kategorisch ablehnt.
Eine Ermessensüberschreitung ist gegeben, wenn sich die Behörde bei einer konkreten
Entscheidung außerhalb des Handlungsspielraumes befindet. Sie trifft dann eine Entscheidung, die
von der gesetzlichen Grundlage nicht mehr gedeckt ist.
Beispiel: Eine Behörde verlangt eine Bearbeitungsgebühr von 80,00 €, obwohl nach der konkreten
Gebührenordnung nur eine Gebühr zwischen 30,00 € und 60,00 € verlangt werden darf.
Der Ermessensfehlgebrauch ist gegeben, wenn das Ermessen nicht entsprechend dem Zweck der
gesetzlichen Regelungsgrundlage angewandt wird. So heißt es in § 39 SGB I ausdrücklich, dass die
Leistungsträger auch verpflichtet sind, das Ermessen entsprechend des Zwecks der
Ermächtigungsgrundlage auszuüben.
Beispiel: Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die Behörde bei der Entscheidung durch unsachliche
Motive beeinflusst worden ist. Unsachliche Motive sind beispielsweise bei Vorurteilen die
gegenüber dem Antragsteller zu sehen.
Ein weiterer Aspekt ist die unzureichende Sachverhaltsaufklärung. So muss die Behörde den
Sachverhalt, der der Entscheidung zugrunde liegt, genau ermitteln und aufklären. Defizite in diesem
Bereich führen automatisch zum Ermessensfehlgebrauch. So muss das Jugendamt bei der Hilfe zur
Erziehung gemäß § 27 konkret das Erziehungsdefizit und die Beeinträchtigung des Kindeswohles
aufklären.
Des Weiteren ist die Behörde verpflichtet, bei ihrer Entscheidung auch Wertentscheidungen der
Verfassung zu berücksichtigen. Dazu gehören die Grundrechte, insbesondere der
Gleichheitsgrundsatz, sowie vor allem auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Beispiel: Wenn beispielsweise das Sozialamt für bestimmte Personen eine Übernahme der
Mietschulden akzeptiert, so muss bei vergleichbaren Lebenssituationen sie dies ebenfalls
durchführen. Sie kann nicht die Verwaltungspraxis ändern. Dies verstößt gegen den
Gleichheitsgrundsatz. Auch einmalige Hilfen im Bereich des Sozialhilferechtes müssen im
Verwaltungsentscheidungen
117
vergleichbaren Umfang gewährt werden. Differenzierungen sind nur möglich, wenn ein
entsprechender sachlicher Grund besteht.
Bei Maßnahmen, die in die Rechte der beteiligten Bürger eingreifen, spielt der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Rolle. Die Behörde muss dann die Handlungsoption ergreifen,
die die geringste Beeinträchtigung für den Bürger beinhaltet, wenn mit dieser Maßnahme das
angestrebte Ziel auch erreicht werden kann.
Beispiele: Wenn Hilfen zur Erziehung gemäß § 27 SGB VIII gewährt werden sollen, ist zu überlegen,
ob anstelle der Fremdunterbringung des Kindes außerhalb der Familie nicht eine
sozialpädagogische Familienhilfe sinnvoller ist. Diese würde nämlich einen geringeren Eingriff in
die Lebenswelt der Familie darstellen.
Gemäß § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII kann die Sozialhilfe bei unwirtschaftlichem Verhalten trotz
Belehrung gekürzt werden. Problematisch ist, wenn in einem ersten Durchgang die Hilfe gleich um
70% gekürzt wird. Denn die Motivation zu wirtschaftlichem Verhalten dürfte auch erreicht werden,
wenn der geringe Regelsatz in der ersten Stufe erst um 30% reduziert wird23.
Bei Ermessensleistungen hat der Bürger lediglich einen Anspruch darauf, dass das Ermessen
pflichtgemäß ausgeübt wird. Dies bedeutet, dass kein Fall der Ermessensunterschreitung, der
Ermessensüberschreitung oder des Ermessensfehlgebrauches vorliegt. Ausschließlich diese
Aspekte kann der Bürger gerichtlich überprüfen lassen. Dies macht deutlich, welchen
Entscheidungsspielraum die Behörde bei der Ermessensentscheidung hat.
Nur bei einer Ermessensreduzierung auf Null hat der Bürger einen Anspruch auf eine Leistung.
Ansonsten verbleibt es bei dem Anspruch darauf, dass die Behörde das Ermessen pflichtgemäß
ausübt. Nur diese pflichtgemäße Entscheidung des Ermessens kann der Bürger vor Gericht
einklagen. Insofern ist ein subjektives Recht gegenüber der Behörde reduziert.
SUBJEKTIV-ÖFFENTLICHES RECHT DES BÜRGERS
Die Beziehung des Bürgers zur Verwaltung wird dadurch geprägt, welche Leistungsrechte oder
Abwehrrechte dem Bürger gegenüber staatlichen Institutionen zustehen. Diese Rechte werden als
so genannte subjektive öffentliche Rechte bezeichnet. Sie begründen eine konkrete Rechtsposition
des Bürgers.
23 Vgl. § 31 SGB II in ähnlichen Fällen; was meinen Sie: handelt es sich dort um Ermessensvorschriften?
Verwaltungsentscheidungen
118
Typische subjektive öffentliche Rechte sind beispielsweise die Grundrechte. Sie beinhalten einen
Abwehranspruch des Bürgers gegenüber einer belastenden staatlichen Maßnahme.
Die praktische Konsequenz der Grundrechte ist darin zu sehen, dass Eingriffe in
Grundrechtspositionen einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfen
(Gesetzesvorbehalt) und zudem auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen müssen.
Beispiel: Deutlich wird dies z.B. an dem in Art. 6 GG normierten Elternrecht. Maßnahmen des
Staates, die das Elternrecht beeinträchtigen, müssen aufgrund einer konkret normierten
gesetzlichen Grundlage erfolgen (z.B. § 1666, 1666 a BGB bei einer Kindeswohlgefährdung) und
zudem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen müssen. Das angestrebte Ziel muss mit
einer Maßnahme erreicht werden, welche am geringsten in die Rechtsposition der Eltern eingreift.
Artikel 2 Abs. 1 GG schützt die allgemeine Handlungsfreiheit. Diese ist durch die allgemeine
Rechtsordnung eingeschränkt. Jedoch hat dies zur Konsequenz, dass die Einschränkung durch die
Rechtsordnung selbst rechtmäßig sein muss. Insoweit normiert Artikel 2 Absatz 1 GG ein
subjektives öffentliches Recht des Bürgers dahingehend, nur durch rechtmäßige Maßnahmen
belastet zu werden.
Neben den Grundrechten sind auch auf der einfach gesetzlichen Ebene subjektive öffentliche Rechte
des Bürgers normiert. So hat gemäß § 25 SGB X der Bürger im Verwaltungsverfahren das Recht auf
Akteneinsicht.
Weitere subjektive öffentliche Rechte beinhalten die Sozialleistungsgesetze, wie beispielsweise SGB
II, XII und SGB VIII.
Beispiele: So beinhaltet § 17 SGB XII einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. § 27 SGB VIII
begründet einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung. § 1 BAföG begründet einen Anspruch auf
Ausbildungsförderung.
Die Feststellung, ob eine Rechtsnorm ein subjektiv-öffentliches Recht enthält, ist nicht immer
eindeutig und muss durch eine entsprechende Auslegung der Rechtsnorm ermittelt werden. So
bestimmt beispielsweise § 1 SGB VIII, dass jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner
Entwicklung hat. Hierbei handelt es sich lediglich um einen allgemeinen Programmsatz, der dem
SGB VIII vorangestellt ist und nicht um ein subjektiv-öffentliches Recht. Insofern trifft den
zuständigen öffentlichen Träger der Jugendhilfe eine Handlungsverpflichtung, jedoch kann diese
von dem Bürger nicht eingefordert, also auch nicht eingeklagt, werden.
Verwaltungsentscheidungen
119
Ein Hauptproblem in der Rechtsanwendung besteht also in der Prüfung, ob eine Rechtsnorm
tatsächlich auch ein subjektiv-öffentliches Recht beinhaltet. Die Rechtsnorm muss eine
individualschützende Zweckrichtung aufweisen. Dies ist gegeben, wenn die Rechtsnorm zunächst
die Verwaltung zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet. Darüber hinaus muss feststellbar sein,
dass sie auch dem Schutz der Interessen des einzelnen Bürgers dient.
Diese Individualschutzfunktion ist bei § 1 SGB VIII nicht gegeben, weil es sich um einen allgemeinen
Programmsatz handelt, der gerade nicht den Schutz des Individualinteresses bezweckt.
Eine Besonderheit besteht bei Ermessensentscheidungen. Hier hat der Bürger nicht den Anspruch
auf eine bestimmte Leistung bzw. auf eine bestimmte Regelung. Vielmehr hat der Bürger
entsprechend des Schutzzweckes einer Ermessensnorm lediglich ein subjektives Recht auf eine
fehlerfreie Ermessensentscheidung. Die Behörde ist also verpflichtet, ermessensfehlerfrei zu
entscheiden. Bei einer späteren gerichtlichen Prüfung der Verwaltungsentscheidung wird dann
auch nur geprüft, ob Ermessensfehler vorliegen.
Eine Ausnahme besteht bei der so genannten Ermessensreduzierung auf Null. Hier ist eine Situation
gegeben, in der die Behörde, will sie ermessensfehlerfrei entscheiden, nur eine konkrete
Handlungsoption hat.
Beispiel: Eine derartige Situation ist beispielsweise gegeben, wenn im Rahmen des § 27 KJHG
festgestellt wird, dass die einzig sinnvolle pädagogische Maßnahme eine Heimunterbringung ist. In
diesem Fall besteht dann eine Ermessensreduzierung auf 0 dahingehend, dass der öffentliche
Träger der Jugendhilfe diese Maßnahme gewährt und auch die Kosten hierfür übernimmt.
Gerichtsverfahren
120
DER SOZIAL- UND VERWALTUNGSGERICHTSPROZESS
GRUNDZÜGE DES HAUPTSACHEVERFAHRENS
Nach Erlass eines Widerspruchsbescheides ist dem Bürger der Weg zu den Verwaltungs- bzw.
Sozialgerichten eröffnet. Nach Ablauf der Klagefrist allerdings wird der Widerspruchsbescheid
bestandskräftig, d. h. die Anrufung der Gerichte ist ausgeschlossen. Deshalb ist es für jeden Bürger, der eine
Klage einreichen will, zwingend notwendig, die Frist zur Einreichung der Klage zu wahren (siehe Kapitel
Fristen).
Vor den Verwaltungs- und Sozialgerichten besteht in den ersten beiden Instanzen kein Anwaltszwang. Erst
vor dem Bundessozial- bzw. Bundesverwaltungsgericht muss sich jeder Beteiligte von einem Juristen
vertreten lassen.
Die Beauftragung eines Rechtsanwalts ist jedoch in jedem Gerichtsprozess ratsam. Für Personen mit
geringem Einkommen besteht die Möglichkeit der Beantragung von Prozesskostenhilfe (§ 114 ZPO).
Nach Einreichung der Klageschrift erhält die Klägerseite zunächst eine Eingangsbestätigung mit dem
gerichtlichen Aktenzeichen. Der beklagten Behörde wird die Klageschrift zugestellt, und sie wird
aufgefordert, die Verwaltungsvorgänge dem Gericht vorzulegen.
Nachdem das Gericht die Klägerseite aufgefordert hat, die Klage zu begründen, und die Beklagtenseite
Gelegenheit hatte, auf die Klageschrift zu erwidern, bestimmt das Gericht einen Termin zur mündlichen
Verhandlung. In der Regel wird die Sache nach dieser ersten mündlichen Verhandlung bereits entschieden.
Gerichtsverfahren
121
DER ABLAUF DES VERWALTUNGSPROZESSES
Behörde Bürger FRISTEN ! / Anwaltszwang?
Antrag
Anhörung
Bescheid
Widerspruch 1 Monat ab Zustellung
Widerspruchsbescheid
Klage 1 Monat ab Zustellung
Sozial-/ Verwaltungsgericht
Mündliche Verhandlung
Urteil
Antrag auf Zulassung der Berufung
1 Monat ab Zustellung des Urteils
Landessozialgericht / Oberverwaltungsgericht
vor dem OVG besteht Anwaltszwang
Zulassung der Berufung Einlegung der Berufung 1 Monat ab Zustellung des Beschlusses über die Zulassung
Berufungsbegründung 1 weiterer Monat
Mündliche Verhandlung
Berufungsurteil
Antrag auf Zulassung der Revision
1 Monat ab Zustellung des Berufungsurteils
Bundessozialgericht / Bundesverwaltungsgericht
Vor den Bundesgerichten besteht Anwaltszwang
Zulassung der Revision Einlegung der Revision 1 Monat ab Zustellung des Beschlusses über die Zulassung
Begründung der Revision 1 weiterer Monat
Mündliche Verhandlung
Revisionsurteil
Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde kein Anwaltszwang
1 Monat ab Zustellung des Revisionsurteils
Gerichtsverfahren
122
Sozial- und besonders verwaltungsgerichtliche Verfahren dauern oft wegen der Arbeitsbelastung der
Gerichte sehr lange. Häufig ist ein Jahr verstrichen, bis der Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt
wird.
Das Urteil wird nach der Verhandlung schriftlich abgefasst und den Parteien zugestellt.
Das Gericht erster Instanz entscheidet auch, ob gegen das Urteil die Berufung zulässig ist. Mit der
Zustellung läuft die Frist, binnen eines Monats die Berufung einzulegen, den Antrag auf Zulassung der
Berufung zu stellen (§ 124a VwGO) oder die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung
einzulegen (§ 145 SGG).
GERICHTLICHE EILVERFAHREN
DIE ANORDNUNG DER AUFSCHIEBENDEN WIRKUNG EINES WIDERSPRUCHS
Wie wir gesehen haben, hat die Einlegung eines Widerspruchs oder auch die Einreichung einer Klage
aufschiebende Wirkung. Das bedeutet: der Vollzug des Verwaltungsaktes ist bis zur Entscheidung über den
Widerspruch ausgesetzt.
In der Anfechtungssituation wird in die Rechte des Bürgers eingegriffen. Dieser Eingriff kann aber erst
vollzogen werden, wenn entweder kein Widerspruch vorliegt (dann ist der Verwaltungsakt
bestandskräftig) oder über den Widerspruch bereits rechtskräftig entschieden ist, Widerspruch und Klage
also erfolglos waren.
Zwar ist der Bürger durch den Erlass eines belastenden Bescheides insoweit betroffen, als er nun dagegen
Widerspruch einlegen muss. Die eigentliche Wirkung des Bescheides - z. B. die Zahlungsverpflichtung - ist
jedoch ausgesetzt, bis über den Widerspruch entschieden wird. Deshalb ist es von immenser Wichtigkeit,
die aufschiebende Wirkung eines Verwaltungsaktes zu kennen.
Fall 1: (Anfechtungssituation; Regelfall)
Das Arbeitsamt fordert per Bescheid zu viel gezahltes Unterhaltsgeld zurück. Die Betroffene legt dagegen
Widerspruch ein. Dieser Widerspruch hat aufschiebende Wirkung. Das bedeutet: die Betroffene muss
solange nicht zahlen, bis über den Widerspruch entschieden ist.
In vielen Fällen gibt es die Ausnahmesituation, dass ein Widerspruch keine aufschiebende Wirkung
entfaltet. Zum einen ist das dann der Fall, wenn der Gesetzgeber dies angeordnet hat. Zum anderen haben
auch die Behörden die Möglichkeit, den sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes anzuordnen. Auch dann
entfällt die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs.
Gerichtsverfahren
123
Fall 2: (Anfechtungssituation; Ausnahmefall)
Die Einkommensteuer wird per Bescheid festgestellt. Hiergegen Widerspruch einzulegen, verhindert die
sofortige Zahlungsverpflichtung nicht. Anders als bei der Rückforderung zu viel gezahlter Leistungen hat
der Gesetzgeber angeordnet, dass bei öffentlichen Abgaben die aufschiebende Wirkung entfällt.
Fall 3: (Anfechtungssituation; Ausnahmefall)
Einem Ausländer wird per Bescheid mitgeteilt, dass sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis
abgelehnt wird. Er wird aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb von drei Monaten zu verlassen, und es
wird ihm die Abschiebung angedroht. Auch in diesen Fällen hat der Gesetzgeber angeordnet, dass die
aufschiebende Wirkung entfällt (§ 84 AufenthG).
In derartigen Fällen besteht die Möglichkeit, sowohl bei dem Gericht als auch bei den Behörden den Antrag
zu stellen, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs herzustellen. Das gerichtliche Eilverfahren ist
nicht davon abhängig, dass man zuvor einen Antrag bei der Behörde gestellt hat.
Dieses Eilverfahren verläuft in der Folgezeit parallel zu dem so genannten Hauptsacheverfahren, also dem
Widerspruchs- oder dem Klageverfahren.
Gerichtsverfahren
124
SCHEMA: DER ANTRAG AUF HERSTELLUNG DER AUFSCHIEBENDEN WIRKUNG
Hauptsacheverfahren Eilverfahren
Behörde Bürger Bürger Verwaltungs- / Sozialgericht
Bescheid Widerspruch Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung
Widerspruchsbescheid Klage Ziel: Anfechtungssituation.
Die belastende Wirkung eines Verwaltungsaktes bis zur Entscheidung über die Hauptsache aufschieben.
Darlegen: Eilbedürftigkeit
Beschluss ohne mündliche Verhandlung
Beschwerde gegen einen ablehnenden Beschluss innerhalb eines Monats
OVG / LSG
Danach keine weitere Beschwerde möglich
Das gerichtliche Eilverfahren wird in der Regel ohne mündliche Verhandlung entschieden. Deshalb ist es
wichtig, dem Gericht schriftsätzlich genau mitzuteilen, warum einerseits die Hauptsache begründet ist und
andererseits das rechtliche Bedürfnis besteht, die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
Im Fall des Ausländers ist die Durchführung eines solchen gerichtlichen Eilverfahrens in der Regel geboten,
denn sonst leitet das Ausländeramt - unabhängig von der Einlegung des Widerspruchs! -
aufenthaltsbeendende Maßnahmen ein. Hier muss man dem Gericht darlegen, warum ein Anspruch auf
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis besteht. Zum Zweiten muss dargelegt werden, dass eine zumindest
vorläufige Entscheidung durch das Gericht geboten ist, um die Abschiebung zu verhindern.
Gerichtsverfahren
125
DIE EINSTWEILIGE ANORDNUNG
Auch in der Verpflichtungssituation kann es notwendig seien, das Gericht anzurufen, bevor die Behörde
endgültig entschieden hat.
Fall 4: (Verpflichtungssituation)
Das Sozialamt hat die Übernahme der Mietkosten abgelehnt, weil die Wohnung des Sozialhilfeempfängers
angeblich zu groß und zu teuer sei. Dagegen hat er rechtzeitig Widerspruch eingelegt. Vorläufig wurde
darüber bislang nicht entschieden. Nun gerät der Sozialhilfeempfänger in Mietrückstand. Der Vermieter hat
das Recht zur Kündigung, wenn der Mieter mit drei Monatsmieten in Verzug gerät. Die Widerspruchsstelle
signalisiert, dass sie frühestens in drei Monaten über den Widerspruch entscheiden werde.
Auch über dieses gerichtliche Eilverfahren wird in der Regel ohne mündliche Verhandlung entschieden.
Ebenso wie im Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist es deshalb wichtig, dem Gericht
gegenüber nicht nur darzulegen, dass der Widerspruch begründet ist. Zugleich muss das Gericht von der
Notwendigkeit überzeugt werden, jetzt schon zu entscheiden, obwohl die Behörden noch keine endgültige
Entscheidung getroffen haben. Die Gerichte dürfen nämlich die Hauptsache nicht vorwegnehmen.
Gerichtsverfahren
126
SCHEMA: DIE EINSTWEILIGE ANORDNUNG
Hauptsacheverfahren Eilverfahren
Behörde Bürger Bürger Verwaltungs- / Sozialgericht
Bescheid Widerspruch Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
Widerspruchsbescheid Klage Ziel: Verpflichtungssituation.
Das Gericht soll schon vor dem Ende des Hauptsacheverfahrens und bis dahin einstweilen über den Anspruch entscheiden
Darlegen: Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit)
Anordnungsanspruch (Anspruch auf positiven Entscheid der Hauptsache)
Beschluss ohne mündliche Verhandlung
Beschwerde gegen einen ablehnenden Beschluss innerhalb eines Monats
OVG / LSG
Danach keine weitere Beschwerde möglich
Die Gerichte ordnen in den beiden oben beschriebenen gerichtlichen Eilverfahren nur vorläufige
Regelungen bis zur Entscheidung über die Hauptsache, d. h. den Widerspruch bzw. die Klage, an.
So könnte im Falle der Mietrückstände angeordnet werden, dass die Miete vorläufig für die Dauer von drei
Monaten - d. h. bis zur Entscheidung über den Widerspruch - in voller Höhe durch das Sozialamt
übernommen wird. Damit ist die drohende Kündigung durch den Vermieter erst einmal abgewehrt.
Gerichtsverfahren
127
Das Bedürfnis, schon vor Erlass des Widerspruchsbescheides eine gerichtliche Entscheidung
herbeizuführen, muss eingehend begründet werden. Es ist immer dann gegeben, wenn dem Antragsteller
bis zur Entscheidung des Widerspruchs rechtserhebliche Nachteile drohen, die es rechtfertigen, eine
vorläufige Entscheidung zu seinen Gunsten zu treffen.
PRÜFSCHEMATA (FÜR KLAUSUREN)
RECHTMÄSSIGKEITSPRÜFUNG EINES VERWALTUNGSAKTES
A. Formelle Rechtmäßigkeit
I. Zuständigkeit
II. Verfahren
III. Form
B. Materielle Rechtmäßigkeit
I. Verpflichtungssituation
1. Anspruchsgrundlage
2. Anspruchsvoraussetzungen erfüllt?
II. Anfechtungssituation
1. Ermächtigungsgrundlage
2. Tatbestandsvoraussetzungen des Ermächtigungsgrundlage erfüllt?
3. Rechtsfolgenseite:
a. Zwingende Rechtsfolge oder Ermessen?
b. Ermessensgesichtspunkte
4. Verhältnismäßigkeit
5. Übereinstimmung mit den Grundrechten
Klausuraufbau
128
RECHTMÄSSIGKEITSPRÜFUNG EINES WIDERSPRUCHSBESCHEIDES
A. Formelle Rechtmäßigkeit des Widerspruchsbescheides
I. Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde
II. Rechtzeitigkeit des Widerspruchs
III. Widerspruchsbefugnis (Geltend machen der Verletzung in eigenen subjektiven Rechten)
IV. Widerspruchsverfahren (Anhörung)
V. Form des Widerspruchsbescheides
B. Materielle Rechtmäßigkeit des Widerspruchsbescheides
Siehe Schema zur Rechtmäßigkeitsprüfung eines Verwaltungsaktes
C. Kostenentscheidung
Recht der sozialarbeiterischen Profession
129
RECHT DER SOZIALARBEITERISCHEN PROFESSION
In diesem Kapitel geht es um das Recht der sozialarbeiterischen Berufe. Wir wollen zunächst die
allgemeinen Rechte und Pflichten des Sozialpädagogen/Sozialarbeiters betrachten. Dazu zählen die
Verpflichtung zur Verschwiegenheit, die Kenntnis der Grenzen zwischen Beratung und Therapie sowie der
Grenzen einer Rechtsberatung.
In einem zweiten Schritt wollen wir die rechtlichen Grundlagen spezieller beruflicher Tätigkeit von
Sozialpädagogen/Sozialarbeitern betrachten. In den letzten Jahren entwickeln sich spezielle Berufsbilder,
die nur mehr oder weniger rechtlich geregelt sind. Hier wollen wir uns einen Überblick verschaffen.
Das Berufsrecht zu kennen, ist für jeden Sozialarbeiter/Sozialpädagogen Grundlage seiner beruflichen
Tätigkeit. Für ihn maßgeblich ist natürlich zunächst sein eigener Arbeitsvertrag. Darüber hinaus gibt es
jedoch Nebenpflichten, die sich auf das Verhältnis zu den Klienten auswirken, z. B. die Verpflichtung zum
Datenschutz. Sie bestehen, selbst wenn sich nicht im Arbeitsvertrag festgehalten sind. Dazu gehört z.B. auch
die Verpflichtung, nicht gegen Rechtsnormen wie z. B. das Rechtsberatungsgesetz oder die strafrechtliche
sanktionierte Schweigepflicht zu verstoßen.
SCHWEIGEPFLICHT 24
Fallbeispiel: In der Beratungsstelle, in der Sie arbeiten, meldet sich eine Frau mit drei Kindern, die sich
soeben von ihrem Ehemann getrennt hat. Sie legt Ihnen Einzelheiten der familiären Beziehungen dar. Einen
Monat später ruft Sie der Rechtsanwalt des Ehemannes an und will sich danach erkundigen, ob die Frau bei
Ihnen vorgesprochen hat und das Besuchsrecht betreffend die Kinder erörtert wurde. Sie haben den
Eindruck, er will sie für die Position des Mannes gewinnen, indem er Sie in ein Gespräch verwickelt...
Der Gesetzgeber hat dem Sozialarbeiter/Sozialpädagogen als Berater in psychosozialen Schwierigkeiten
genauso wie dem Arzt als Berater in Fragen der Gesundheit, dem Rechtsanwalt als Rechtsberater und dem
Psychologen als Berater in psychischen Schwierigkeiten durch § 203 Abs. 1 StGB eine persönliche
Schweigepflicht auferlegt. Ihm ist es verboten, fremde Geheimnisse, die ihm anvertraut sind, zu offenbaren.
24 www.schweigepflicht-online.de; Klein, Hubert: Schweigepflicht versus Offenbarungspflicht; RDG 2010, (4), 172 ff.; LAG Hessen, Urt.v. 31.08.2001 - 17/3 Sa 361/01 - : Umsetzung einer Erzieherin aufgrund des Abschlussberichts der Supervision, BeckRS 2001, 330451252
Schweigepflicht
130
Der Begriff des Geheimnisses ist dabei weit gefasst. Es sind alle Informationen, die dem Adressaten noch
nicht bekannt und ihm nicht ohne weiteres zugänglich sind. Schon die Tatsache, dass jemand eine
Beratungsstelle aufgesucht hat, ist also ein Geheimnis.
Anvertraut ist ein Geheimnis, wenn die Information ausschließlich auf eine persönliche Hilfe des
Sozialarbeiters/Sozialpädagogen gerichtet ist, für die absolute Verschwiegenheit methodische
Voraussetzung der Arbeit ist. Hier muss im Zweifelsfall der Sozialarbeiter/Sozialpädagogen zunächst seine
eigene Rolle überprüfen und deutlich machen. Den Klienten ist es nämlich häufig nicht ganz klar, ob z.B. der
Mitarbeiter im Jugendamt als persönlicher Berater oder als ermittelnder und kontrollierender
Behördenvertreter eingesetzt ist. Ist nicht offenkundig, ob eine mitgeteilte Tatsache als Geheimnis
anvertraut ist, muss der Sozialarbeiter/Sozialpädagoge den Betroffenen fragen, ob und in welchem Umfang
er Kollegen, Vorgesetzte, dritten Personen Informationen erteilen kann.
Die strafrechtliche Schweigepflicht gilt auch für Geheimnisse, die anders als durch eine bewusste
Mitteilung, aber im beruflichen Zusammenhang bekannt werden. So bezieht sich die Schweigepflicht einer
Familienhelferin auf alles, was sie in der Familie sieht, hört, vermutet, diagnostiziert!25
Keine Verletzung der Schweigepflicht besteht dann, wenn der Betroffene in die Weitergabe der Information
einwilligt, d.h. vorher zustimmt.
Besondere Schwierigkeiten in Bezug auf die Schweigepflicht bestehen im Verhältnis zu den Eltern bei der
Beratung von Jugendlichen. Einerseits müssen Mitarbeiterinnen öffentlicher Träger gem. Art. 6 Abs. 2 GG,
§§ 1 Abs. 2 und 9 SGB VIII das Erziehungsrecht der Eltern beachten, so dass hier eine weit gehende
Informationspflicht gegenüber den Eltern besteht. In der Praxis der Jugendhilfe wird jedoch immer wieder
festgestellt, dass jede Hilfe durch Beratung für Jugendliche aus Problemfamilien unmöglich ist, wenn die
Beraterinnen ohne Einwilligung des Jugendlichen die Eltern informieren. Bei einem Konflikt zwischen
Elternrecht und Kindeswohl hat das Wohl des Kindes Vorrang. Deshalb darf eine Information der Eltern
unterbleiben, wenn dadurch der Beratungszweck vereitelt würde, § 8 Abs. 3 SGB VIII.
Ein weiteres besonders Problemfeld besteht im Falle der Kindeswohlgefährdung. Hier sind
Sozialarbeiterinnen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe arbeiten, dazu verpflichtet, das Jugendamt
einzuschalten und insofern die Schweigepflicht zu brechen, wenn angebotene Hilfen nicht angenommen
werden oder diese Hilfen nicht ausreichen, um die Gefährdung abzuwenden, § 8a Abs. 2 S. 2 SGB VIII26.
25 BayObLG, Beschl.v. 08.11.1994 - 2 StRR 157/94 - : Auch die Offenbarung eines Geheimnisses gegenüber einem selbst Schweigepflichtigen erfüllt den Tatbestand des § 203 Abs. 1 Nr. 2 StGB, NJW 1995, 1623
26 Stock in: Rechtliche Bezüge und Herausforderungen von Beratung / Therapie. Beitrag zur Fachtagung der Masterstudiengänge Ehe-, Familien-, Lebensberatung der Katholischen Bistümer Freiburg und Münster am 14.02.2009; in: Sanders, Rudolf / Klann, Notker; Beratung aktuell, Zeitschrift für Theorie und Praxis der Beratung,
Schweigepflicht
131
Der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entspricht das Recht zur Zeugnisverweigerung in den allermeisten
Gerichtsverfahren27. Das Recht zur Zeugnisverweigerung ist in § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO geregelt und gilt auch
für alle anderen Gerichtsverfahren mit Ausnahme des Strafverfahrens. Deshalb sind Sozialarbeiterinnen im
Frauenhaus, Eheberater, Erziehungsberater, Sozialarbeiter in Einrichtungen der Jugendhilfe usw. nicht zur
Aussage über anvertraute Geheimnisse verpflichtet.
Eine Ausnahme hiervon bildet bislang noch das Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren.
Sozialpädagogen und Sozialarbeiter sind in der dort maßgeblichen Bestimmung der §§ 53, 54 StPO nur
teilweise genannt. Lediglich die Mitarbeiterinnen in anerkannten
Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen und Berater für Betäubungsmittelabhängigkeit in anerkannten
Beratungsstellen haben ein Zeugnisverweigerungsrecht. Daraus hat das Bundesverfassungsgericht
abgeleitet, dass Sozialarbeiter/Sozialpädagogen im Dienst freier Träger grundsätzlich kein
Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren haben28. Gegen diese, etwa 30 Jahre alte Rechtsprechung
bestehen starke verfassungsrechtliche Bedenken, so dass sie hoffentlich bald überholt sein wird.
Sonderausgabe 2009 „Beratung auf dem Weg zur Akademisierung“, www.active-books.de/beratung-aktuell.html November 2009
27 BVerfG, Beschl.v. 24.05.1977 - 2 BvR 988/75 -, Beschlagnahme der Klientenakten in Drogenberatungsstelle verfassungswidrig, BVerfGE 44, 353 ff.
28 BVerfG, Beschl.v. 19.07.1972 Kein generelles Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter, BVerfGE 33, 367 ff.
Rechtsberatung
132
RECHTSBERATUNG
Fallbeispiel
Nach einer Trennung verfügt eine Mutter von 2 Kindern weder über ausreichende Einkünfte noch ist sie
sich sicher, dass sie die eheliche Wohnung behalten kann. Sie merken sehr bald, dass helfende Gespräche
solange keinen Sinn haben, wie nicht bestimmte Rechtsfragen geklärt sind. Nun überlegen Sie, ob Sie eine
Rechtsberatung erteilen dürfen.
Einführung in das Rechtsgebiet29
Im Jahre 2008 ist das neue Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) in Kraft getreten. Es erlaubt
Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern eine Rechtsberatung in gewissem Umfang:
Eine Rechtsdienstleistung ist eine Tätigkeit in einer konkreten fremden Angelegenheit, sobald sie eine
rechtliche Prüfung des Einzelfalles voraussetzt. Eine allgemeine Beratung, z.B. über eine Trennung und
deren rechtliche Folgen ist also keine Rechtsdienstleistung, die konkrete Berechnung des Anspruchs auf
den Kindesunterhalt aber sicher. In den Beratungssituationen gibt es fast schon naturgemäß dazwischen
liegende Abgrenzungsschwierigkeiten – etwa wenn ein Bescheid über die SGB II Leistungen erläutert
werden soll. Eine konkrete Beurteilung der Situation in Bezug auf die rechtliche Situation und z.B. der
Frage, ob Widerspruch einzulegen ist, dürfte eine Rechtsdienstleistung sein.
Erlaubt sind Rechtsdienstleistungen in Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit, wenn sie als
Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsfeld gehören. Ob eine solche vorliegt, ist nach ihrem Inhalt,
Umfang und sachlichen Zusammenhang mit der Haupttätigkeit unter Berücksichtigung der
Rechtskenntnisse zu beurteilen, die für die Haupttätigkeit erforderlich ist. Wer z.B. im Sozialdienst eines
Krankenhauses beschäftigt ist und ständig mit der Einstufung in Pflegestufen zu tun hat, wird im Rahmen
des Entlassungsmanagements Hinweise zur richtigen Pflegestufe geben können. Ein Migrationsdienst muss
wissen, dass ausländerrechtliche Ordnungsverfügungen keine aufschiebende Wirkung haben usw. .
Erlaubt sind Rechtsdienstleitungen darüber hinaus, wenn sie von Berufs- und Interessenvereinigungen,
aber auch öffentlichen und öffentlich anerkannten Stellen angeboten werden. Dazu gehören u.a. auch die
Verbraucherzentralen (sie führen z.B. Pflegeberatung durch) und Träger der freien Jugendhilfe. Damit ein
Sozialarbeiter diese Rechtsdienstleistung erbringen darf, ist erforderlich, dass die jeweilige Institution u.a.
29 Mausehund, Thorsten, "Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen als Sozialanwälte," Sozialmagazin, 2009, 24-35. Weber, Thomas: Die Entnazifizierung des Rechtsberatungsmissbrauchsgesetzes; AnwBl 2010, (12), 809
Rechtsberatung
133
die Anleitung durch eine Person gewährleistet, der die Rechtsdienstleitung erlaubt ist (Anleitung durch
Richter oder Rechtsanwälte)30 .
Nicht erlaubt ist die selbständige professionelle Rechtsberatung eines einzelnen Sozialarbeiters – auch
wenn er über spezielle Rechtskenntnisse auf seinem Fachgebiet verfügt. Diese nicht bloß nebenberufliche
Rechtsdienstleistung ist den Rechtsanwälten vorbehalten.
30 Im Einzelnen: § 6 Abs. 2 S. 2 RDG, auf den auch §§ 7 und 8 RDG verweisen.
Ausübung von Heilkunde
134
HEILKUNDLICHE TÄTIGKEIT31
Fallbeispiel
Nach dem erfolgreichen Abschluss Ihres Studiums der Sozialpädagogik haben sie sich Grundkenntnisse in
der Gesprächstherapie erworben. Daraufhin wurden sie als Eheberaterin eingestellt. Einer ihrer Klienten
überträgt seine Frustrationen auf sie, bricht die Beratung ab und beschwert sich über sie bei dem
Gesundheitsamt. Durch ihre „psychologische Kriegsführung“, hätten Sie seine Ehe zerstört. Sie verfügen
über keine Heilkundeerlaubnis.
HPG Heilpraktikergesetz
§ 1
(1) Wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will, bedarf dazu der Erlaubnis.
(2) Ausübung der Heilkunde i. S. des Gesetzes ist jede berufsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden beim Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird.
§ 5
Wer, ohne zur Ausübung des ärztlichen Berufes berechtigt zu sein und ohne eine Erlaubnis nach § 1 zu besitzen, die Heilkunde ausgeübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
SA/SP müssen sich in der Praxis häufig mit psychisch kranken oder belasteten Menschen befassen. Sie
werden in Krisensituationen angesprochen. In Beratungsstellen werden verschiedene Therapieformen wie
etwa die Familientherapie, Gesprächs- oder Gestalttherapie angewendet, die zugleich auch bei der
Behandlung durch Ärzte oder Psychotherapeuten eingesetzt werden32. Deshalb stellt sich die Frage, ob die
Mitarbeiter derartiger Stellen einer heilkundlichen Tätigkeit nachgehen. Heilkundliche Tätigkeit ist nach §
1 Heilpraktikergesetz erlaubnispflichtig. Wer sie ohne eine solche Erlaubnis ausübt, macht sich strafbar.
Das gilt auch und insbesondere für die Durchführung von Psychotherapie als besonderer Form der
31 Gerlach, Hartmut in: Behnsen, Erika, Bell, Karin, Best, Dieter und Gerlach, Hartmut, Heilpraktikerrecht und Psychotherapie- Beitrag Nr. 1090 in: Management Handbuch für die psychotherapeutische Praxis - MHP. 38. Aktualisierung 2009Psychotherapeutenverlag, 2009.
32 bke - Bundeskonferenz für Erziehungsberatung und Bundespsychotherapeutenkammer, "Gemeinsame Stellungnahme Psychotherapeutische Kompetenz in der Erziehungs- und Lebensberatung," 2008, Stock, Christof, "Rechtliche Bezüge und Herausforderungen von Beratung und Therapie," Beratung aktuell, Zeitschrift für Theorie und Praxis der Beratung, Sonderausgabe 2009 „Beratung auf dem Weg zur Akademisierung“, www.active-books.de/beratung-aktuell.html, 2009,.
Ausübung von Heilkunde
135
Heilkunde. Es ist also nach den Grenzen von Beratung einerseits und heilkundlicher Psychotherapie33
andererseits zu fragen34.
Das 1999 in Kraft getretene PsychThG schafft zwei eigenständige, den Ärzten gleichgestellte Berufsbilder,
den Psychologischen Psychotherapeuten und den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Diplom-
Sozialpädagogen können nach einer entsprechenden Ausbildung Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeut werden. Danach dürfen sie Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis
zum 21. Lebensjahr psychotherapeutisch behandeln.
Das neue Gesetz definiert den Begriff der Psychotherapie nur sehr schwammig. Zum einen ist diese Art der
Psychotherapie durch die Anwendung wissenschaftlich anerkannter Verfahren gekennzeichnet. Dazu
gehören derzeit nur vier Verfahren, u.a. die Gesprächstherapie, nicht aber die vielen anderen
psychotherapeutischen Methoden wie etwa die Familien-, Musik-, Kunst-, Gestalttherapie, Psychodrama
usw.. Zum anderen wird Psychotherapie nach dem Zweck definiert, der verfolgt wird: als Psychotherapie
im Sinne des Psychotherapeutengesetzes gilt die nach anerkannten wissenschaftlichen Verfahren
durchgeführte Feststellung, Heilung oder Linderung von psychischen Störungen mit Krankheitswert, bei
denen Psychotherapie indiziert ist.
Zur Ausübung der Psychotherapie gehören nicht psychologische Tätigkeiten, die die Aufarbeitung und
Überwindung sozialer Konflikte und sonstiger Zwecke außerhalb der Heilkunde zum Gegenstand haben.
Wie aber soll man dies unterscheiden, wenn man einen in seelische Not geratenen Menschen vor sich
sitzen hat?
Der Begriff der heilkundlichen Psychotherapie geht über den des Psychotherapeutengesetzes hinaus, denn
er umfasst eben gerade auch Verfahren, die zwar weit verbreitet, wissenschaftlich aber noch nicht
vollständig anerkannt sind. So gibt es praktisch zwei Klassen von Psychotherapeuten: die nach dem
Psychotherapeutengesetz approbierten Psychologischen bzw. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
und die nicht approbierten Psychotherapeuten mit Heilpraktikererlaubnis.
Sowohl in der Behandlung wie auch in der Beratung kann es darum gehen, Verhaltensstörungen oder
Leidenszustände im Konsens zwischen Therapeut/Berater und Patient/Klient mit psychologischen Mitteln
zu beeinflussen. In der Regel ist dazu eine tragfähige emotionale Bindung und ein professionelles Können
und Wissen des Therapeuten/Beraters notwendig.
33 BVerfG, Beschl. v. 10.05.1988 - 1 BvR 482/84 u.a., Die Durchführung von Psychotherapie ist Heilkunde. Akademiker mit Psychotherapieausbildung sind nicht dazu verpflichtet, die Bezeichnung ''Heilpraktiker'' zu führen, BVerfGE 78,179 ff.; NJW 1988, 2290 ff. ; Stock, Christof, "Die Situation der Psychotherapeuten ohne Psychologiediplom," MedR, 2003, 554 ff.
34 Zwicker-Pelzer. Renate, "Beratung auf dem Weg der Professionalisierung," ZSTB, 2008, 221-225.
Ausübung von Heilkunde
136
Wenn in einer Beratungsstelle ein derartiger interaktioneller Prozess stattfindet oder angeboten wird, ist
dies heilkundliche Psychotherapie. Es werden heilkundliche Fachkenntnisse vorausgesetzt, die das Leiden
bzw. die Störung beheben sollen. Heilkunde ist eben jede Tätigkeit, die ärztliche oder heilkundliche
Fachkenntnisse voraussetzt, sei es im Hinblick auf das Ziel, die Art oder die Methode der Tätigkeit oder für
die Feststellung (Diagnose), ob im Einzelfall mit der Behandlung begonnen werden darf.
Soweit also in Beratungsstellen eine Krisenintervention angeboten wird, ist diese Art der Tätigkeit
erlaubnispflichtig. Für die Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen versteht sich das beinahe von
selbst.
Zuständige Behörden und Gerichte
Verstöße gegen die hier zitierten Vorschriften des Strafgesetzbuches oder des HPG werden durch die
Staatsanwaltschaft verfolgt. Es kann zur Anklage vor den Strafgerichten kommen.
Die Heilpraktikererlaubnis wird durch die Gesundheitsämter erteilt; Approbationen nach dem
Psychotherapeutengesetz durch das Landesamt für Heilberufe.
Stand der Normierung spezieller Berufsbilder in der Sozialen Arbeit
137
ÜBERSICHT: RECHTSGRUNDLAGEN SPEZIELLER SOZIALARBEITERISCHER BERUFE
Berufsbezeichnung Tätigkeitsfeld Zugangsvoraussetzung §§ und Internetkontakt
Psychologischer Psychotherapeut35
Psychotherapie in wissenschaftlich anerkannten Verfahren; als Selbständiger Psychotherapeut dem Kassenarzt gleichgestellt.
Psychologie-Diplom erforderlich !
PsychThG
Abschluss einer dreijährigen Vollzeit- oder fünfjährigen Teilzeitausbildung
http://www.psychotherapeutenkammer-nrw.de/
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut
Bedarf vorhanden! Psychotherapie in wissenschaftlich anerkannten Verfahren; als Selbständiger Psychotherapeut dem Kassenarzt gleichgestellt.
Diplom in Sozialpädagogik, Pädagogik oder Psychologie;
PsychThG
Abschluss einer dreijährigen Vollzeit- oder fünfjährigen Teilzeitausbildung
http://www.psychotherapeutenkammer-nrw.de/
Fachverbände für die 5 bislang anerkannten Verfahren: Psychoanalyse, Verhaltens-, Gesprächs- Systemische und tiefenpsychologische fundierte Psychotherapie
Heilpraktischer Psychotherapeut
Psychotherapie in derzeit nicht anerkannten Verfahren; Anerkennung nur bei bestimmten privaten Krankenversicherungen
Studium nicht erforderlich;
Heilpraktikergesetz
Ausbildung ist je nach Therapieverfahren durch Berufsverband zertifiziert.
Fachverbände für Systemische, Gestalt-, Kunst-, Musik-, Familien-, Körpertherapie, Psychodrama, usw.
Erleichterte Heilpraktikerprüfung nach Diplom in Sozialpädagogik
35 Strauß, Bernhard u.a., Forschungsgutachten zur Ausbildung von Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten- Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit, April2009.
Stand der Normierung spezieller Berufsbilder in der Sozialen Arbeit
138
Suchttherapeut Behandlung von Abhängigkeitskranken in stationären oder ambulanten Einrichtungen
Diplom-Sozialpädagogik mit tätigkeitsfeldspezifischer Suchttherapieausbildung
„Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen“ der Renten- und Krankenversicherungen mit den Einrichtungsträgern.
HPG Erlaubnis erforderlich
http://www.sucht.org/
http://www.katho-nrw.de/koeln/fortbildung/
Supervisor Reflexion des (Berufs)alltags der Supervisanden durch erfahrene Praktiker
Zugangsqualifikation, hängt von Tätigkeitsfeld ab; mehrjährige Ausbildung z.B. bei der Deutschen Gesellschaft für Supervision e.V.
§ 4 Abs. 3 PsychTh-AusbildungsVO für die Ausbildung von Psychotherapeuten, sonst keine rechtlichen Vorgaben
http://www.dgsv.de/
Mediator Mediation ist ein freiwilliges Verfahren, in dem die Konfliktpartner mit Hilfe einer neutralen Person im direkten Gespräch miteinander eigene Entscheidungen entwickeln und verbindlich beschließen
Je nach Ausbildungsinstitut;
Am 10.02.2012 hat der Bundesrat den Entwurf eines Mediationsgesetzes in den Vermittlungsausschuss verwiesen.
in der Regel werden psychosoziale oder juristische Studienabschlüsse verlangt.
http://www.bafm-mediation.de/
Musiktherapeut36
Kunsttherapeut
Soziotherapeut Versicherten, die wegen schwerer psychischer Erkrankungen nicht in der Lage sind, ärztliche oder ärztlich verordnete Leistungen selbständig in Anspruch zu nehmen, soll
Dipl. Sozialarbeiter/ §§ 37a, 132b SGB V und Richtlinien über die Durchführung der Soziotherapie
Sozialpädagoge oder Fachkrankenschwester/
http://www.dbsh.de/html/aktuelles13.html
36 Christoph Wagner, Freiberufliche ambulante Musiktherapie- Rechtsgrundlage und Berufspraxis2003.
Stand der Normierung spezieller Berufsbilder in der Sozialen Arbeit
139
durch besondere Maßnahmen entsprechende Hilfestellung gegeben werden.
Fachkrankenpfleger für Psychiatrie; mindestens dreijährige Erfahrung in einem psychiatrischen Krankenhaus; insgesamt große politische Widerstände gegen die Einführung des im Jahr 2000 rechtlich normierten Berufes
Fachsozialarbeiter für klinische Sozialarbeit
Klinische Sozialarbeit ist eine gesundheitsspezifische Fachsozialarbeit. Ihr generelles Ziel ist die Einbeziehung der sozialen und psycho-sozialen Aspekte in die Beratung, (sozio-) therapeutische Behandlung und psycho-pädagogische Unterstützung von gesundheitlich gefährdeten, erkrankten und (vorübergehend oder dauerhaft) behinderten Menschen.
Masterstudiengang in Berlin und Coburg;
Bislang keine rechtliche Verankerung
Zertifikat der Zentralstelle für Klinische Sozialarbeit
http://www.klinische-sozialarbeit.de/
Ehe-/Erziehungs-Familien-, Lebensberatung
Erziehungsberatungsstellen und andere Beratungsdienste und -einrichtungen sollen Kinder, Jugendliche, Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Klärung und Bewältigung individueller und familienbezogener Probleme und der zugrunde liegenden Faktoren, bei der Lösung von Erziehungsfragen sowie bei Trennung und Scheidung unterstützen.
Bislang keine rechtlichen Ausbildungsvorgaben;
§ 28 SGB VIII;
Anerkannt ist das Weiterbildungskonzept zum Erziehungs- und Familienberater der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung bke. Es sieht 13 sechstägige Kurse in 3 Jahren vor.
HPG Erlaubnis erforderlich: Erlass des NRW- Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales von 3.12.1986
http://www.bke.de/
Coaching Siehe Supervisor
Staatliche Eingriffsverwaltung
140
STAATLICHE EINGRIFFSVERWALTUNG
POLIZEIRECHT
Typischer Fall aus dem Polizeirecht
Als Sozialarbeiter sind Sie in einer Einrichtung angestellt, die Jugendliche betreut. Sie organisieren unter
anderem Jugendtreffs und Discoabende. Bei einer solchen Veranstaltung ruft nachts um 24 Uhr der
Nachbar die Polizei. Anstatt dass - wie Sie erwarten - die Anordnung ergeht, die Fenster geschlossen zu
halten und die Musik leiser zu drehen, erklärt der Polizeibeamte die Disco für beendet und fordert Sie auf,
die Jugendlichen nach Hause zu schicken. Ist diese Maßnahme rechtmäßig?
Einführung in das präventive Polizeirecht
Die Polizei ist nicht nur als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft bei der Verbrechensbekämpfung (als
Kriminalpolizei) eingesetzt. Sie hat auf Grund der Ländergesetze auch die Aufgabe, präventiv zur Abwehr
von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung tätig zu sein. Dazu gehören die Unterweisung der
Grundschüler in den Straßenverkehr, Informationsveranstaltungen über Drogengefahren an den
weiterführenden Schulen oder über Sicherheitsmaßnahmen vor Einbruchsdiebstählen.
Neben diesen generellen Aufgabenwahrnehmungen gehören die Einzelfallentscheidungen zu den täglichen
Aufgaben der Polizei. Bei den Polizeiverfügungen handelt es sich um Verwaltungsakte, die einer oder
mehreren Personen ein Ge- oder Verbot im Rahmen der Gefahrenabwehr auferlegen. Solche Verfügungen
sind insofern besonders einschneidend, als sie regelmäßig in Grundrechte eingreifen.
Standort des Sozialpädagogen/des Sozialarbeiters
Der Sozialarbeiter/Sozialpädagoge steht häufig als Berater oder Betreuer auf der Seite derjenigen, in
dessen Rechte eingegriffen werden soll. Will er zwischen der Polizei und den Betroffenen vermitteln, ist es
gut, die Rechtslage zu kennen.
Gesetze und Rechtsnormen
Maßgeblich sind das Polizeiorganisationsgesetz und vor allem das Polizeigesetz des jeweiligen
Bundeslandes.
Zuständige Behörden und Gerichte
Zuständig sind die Polizeibehörden der Kreise und kreisfreien Städte.
Polizeirecht
141
Aufsichtsbehörde sind die Bezirksregierungen und das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen.
Zuständiges Gericht ist das Verwaltungsgericht.
Ermächtigungs-/Eingriffsgrundlage des Polizeirechts
Spezielle Ermächtigungsgrundlagen sind in dem Polizeigesetz genannt, zum Beispiel § 34 PolG. Sie gehen
der Generalklausel vor, weil sie die Voraussetzungen für einen bestimmten Eingriff klarer und genauer
formulieren.
Die polizeiliche Generalklausel ist § 8 PolG. Aus der Formulierung „soweit nicht...“ geht hervor, dass diese
Vorschrift gegenüber den speziellen Ermächtigungsgrundlagen subsidiär ist.
Auszug aus dem Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen
§ 1 Aufgaben der Polizei
(1) Die Polizei hat die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwehren (Gefahrenabwehr). Sie hat im Rahmen dieser Aufgabe Straftaten zu verhüten sowie für die Verfolgung künftiger Straftaten vorzusorgen (vorbeugende Bekämpfung von Straftaten) und die erforderlichen Vorbereitungen für die Hilfeleistung und das Handeln in Gefahrenfällen zu treffen. Sind außer in den Fällen des Satzes 2 neben der Polizei andere Behörden für die Gefahrenabwehr zuständig, hat die Polizei in eigener Zuständigkeit tätig zu werden, soweit ein Handeln der anderen Behörden nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint. Die Polizei hat die zuständigen Behörden, insbesondere die Ordnungsbehörden, unverzüglich von allen Vorgängen zu unterrichten, die deren Eingreifen erfordern.
(2) Der Schutz privater Rechte obliegt der Polizei nach diesem Gesetz nur dann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden wird.
(5) Maßnahmen, die in Rechte einer Person eingreifen, darf die Polizei nur treffen, wenn dies auf Grund dieses Gesetzes oder anderer Rechtsvorschriften zulässig ist.
§ 2 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
(1) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat die Polizei diejenige zu treffen, die den einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt.
(2) Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht.
(3) Eine Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann.
§ 3 Ermessen, Wahl der Mittel
(1) Die Polizei trifft ihre Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen.
(2) Kommen zur Abwehr einer Gefahr mehrere Mittel in Betracht, so genügt es, wenn eines davon bestimmt wird.
§ 4 Verantwortlichkeit für das Verhalten von Personen
(1) Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen diese Person zu richten.
Polizeirecht
142
(2)
§ 5 Verantwortlichkeit für den Zustand von Sachen
(1) Geht von einer Sache oder einem Tier eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten.
(2) Maßnahmen können auch gegen den Eigentümer oder einen anderen Berechtigten gerichtet werden.
§ 6 Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen
(1) Die Polizei kann Maßnahmen gegen andere Personen als die nach den §§ 4 oder 5 Verantwortlichen richten, wenn eine gegenwärtige erhebliche Gefahr abzuwehren ist, Maßnahmen gegen die nach den §§ 4 oder 5 Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen, die Polizei die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abwehren kann und die Personen ohne erhebliche eigene Gefährdung und ohne Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden können.
§ 7 Einschränkung von Grundrechten
Durch dieses Gesetz werden die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes), Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes), Freizügigkeit (Art. 11 des Grundgesetzes) und Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 des Grundgesetzes) eingeschränkt.
§ 8 Allgemeine Befugnisse
(1) Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende, konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit (Gefahr) abzuwehren, so weit nicht die §§ 9 bis 46 die Befugnisse der Polizei besonders regeln.
§ 34 Platzverweisung
(1) Die Polizei kann zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten.
§ 35 Gewahrsam
(1) Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn das zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilflose Lage befindet, das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern, das unerlässlich ist, um eine Platzverweisung nach § 34 durchzusetzen,
...,
(2) Die Polizei kann Minderjährige, die sich der Obhut der Sorgeberechtigten entzogen haben, in Gewahrsam nehmen, um sie den Sorgeberechtigten oder dem Jugendamt zuzuführen.
Vertiefende Hinweise zum Rechtsgebiet
Das präventive Polizeirecht ist neben dem Ordnungsbehördenrecht (s. nachfolgendes Kapitel) das
klassische Instrument staatlicher Eingriffsverwaltung. Bei unseren Überlegungen steht häufig die
Rechtmäßigkeit des Eingriffs der Polizeibehörde in die Rechte von Bürgern in Frage: Die materielle
Polizeirecht
143
Rechtmäßigkeit richtet sich danach, ob der Eingriff von einer Ermächtigungsgrundlage gedeckt und die
Maßnahme verhältnismäßig ist. Die Verletzung von Grundrechten ist stets unverhältnismäßig.
Die polizeiliche Generalklausel kommt als Ermächtigungsgrundlage in Betracht, wenn spezielle
Ermächtigungsgrundlagen nicht greifen.
Die Voraussetzungen für einen Eingriff auf Grund der polizeilichen Generalklausel sind gegeben, wenn eine
konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt. Das ist die in § 8 PolG formulierte Voraussetzung.
Wir müssen nun lernen, was darunter zu verstehen ist:
Unter der öffentlichen Sicherheit wird im Allgemeinen der im öffentlichen Interesse gebotene
� Schutz privater und individueller Rechte (wie z. B. Leben, Gesundheit, ihre, Freiheit und Vermögen),
� der Bestand und das ungehinderte Funktionieren des Staates und seiner Einrichtungen,
� der Schutz so genannter kollektiver Rechtsgüter - wie z. B. die öffentliche Wasserversorgung und
die Volksgesundheit - sowie
� der Schutz der normierten Rechtsordnung als Ganzes verstanden.
Diese 4 Voraussetzungen können kumulativ vorliegen. Vergiftet jemand zum Beispiel ein Gewässer, in dem
er große Mengen Öl ablässt, verletzt er die privaten Rechte des Gewässereigentümers. Zugleich gefährdet
er die öffentliche Wasserversorgung und die Volksgesundheit, denn das Öl kann in das Grundwasser
durchsickern. Er verstößt zugleich gegen Rechtsnormen wie zum Beispiel das Landeswassergesetz und das
Abfallgesetz.
Droht dem Einzelnen oder der Allgemeinheit eine Gefahr oder ist bereits eine Störung der öffentlichen
Sicherheit eingetreten, so ist die Polizei berechtigt und verpflichtet, Maßnahmen zu deren Abwehr
einzuleiten. Die Störungsbeseitigung ist in der polizeilichen Generalklausel nicht gesondert erwähnt, weil
sie begrifflich unter die Gefahrenabwehr fällt. Jede eingetretene Störung bedingt weitere Gefahren, die es
zu verhindern gilt.
Unter einer Gefahr wird eine Sachlage oder ein Verhalten verstanden, die/dass bei ungehindertem Ablauf
mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird.
Eine Störung ist gegeben, wenn sich die Gefahr verwirklicht hat und der Schaden eingetreten ist. Es handelt
sich hierbei um unbestimmte Rechtsbegriffe, deren Vorliegen im konkreten Fall der vollen gerichtlichen
Kontrolle unterliegt.
Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn sich aus einem greifbaren, nach Ort und Zeit bestimmten oder
bestimmbaren Sachverhalt eine Gefahrenlage ableiten lässt.
Polizeirecht
144
Für das Polizeirecht ist darüber hinaus der Begriff der Gefahr im Verzug zu definieren. Dabei ist die
Ersatzzuständigkeit der Polizei gemeint. Die Polizei ist nur zuständig, wenn die speziellen oder allgemeinen
Ordnungsbehörden nicht eingreifen können. Hier ist die Polizei darauf beschränkt, die notwendigen,
unaufschiebbaren Maßnahmen bis zum Tätigwerden dieser Behörden zu treffen, um das Eintreten weiterer
Schäden oder irreparabler Rechtsverluste zu verhindern.
Schließlich müssen wir noch überlegen, gegenüber welchen Personen die Polizei überhaupt tätig werden
darf. Dies sind die so genannten Adressaten einer Polizeiverfügung.
Besteht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, kann die Polizei die zur Gefahrenabwehr notwendigen
Maßnahmen grundsätzlich gegen den oder die für die Gefahr oder Störung verantwortlichen Personen
anordnen.
Verhaltensstörer ist derjenige, der durch sein eigenes Verhalten die Gefahr verursacht hat.
Neben dem Verhaltensstörer gibt es den so genannten Zustandsstörer. Das ist derjenige, der der Inhaber
der tatsächlichen Gewalt einer Gefahren verursachenden Sache ist. Es ist aber auch derjenige, der ein Recht
an dieser Sache besitzt, so z. B. der Eigentümer, der Vermieter.
Schließlich kann die Polizei sogar Maßnahmen gegenüber unbeteiligten Dritten zur Gefahrenbeseitigung
ergreifen. Diesen Personenkreis der Nichtstörer kann die Polizei jedoch nur in Anspruch nehmen, wenn
Verhaltensstörer oder Zustandsstörer nicht greifbar sind oder durch ein Eingreifen gegenüber ihnen die
Gefahr nicht beseitigt werden kann. Die Heranziehung eines Nichtstörers stellt für die Polizei darüber
hinaus immer die letzte Möglichkeit dar, wie sich aus den einzelnen Voraussetzungen der jeweiligen
Vorschrift ablesen lässt.37
Lösungsschema für den geschilderten Fall Polizeirecht
Spezielle Ermächtigungsgrundlage: Platzverweis, § 34 PolG?
Daran könnte man denken, weil die Polizei dem Sozialarbeiter sagt, er solle die Jugendlichen nach Hause schicken. Die polizeiliche Verfügung richtet sich jedoch nicht unmittelbar an die Jugendlichen. Auch der Sozialarbeiter wird nicht aufgefordert, die Räume der Diskothek zu verlassen.
Allgemeine Ermächtigungsgrundlage: Polizeiliche Generalklausel ?
Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Nach dem Immissionsschutzgesetz des Landes NRW ist nach 22 Uhr die Nachtruhe einzuhalten38. Damit liegt ein Gesetzesverstoß vor.
Störung oder Gefahr im Verzug? Es liegt bereits eine Störung vor. Das an sich zuständige Ordnungsamt steht für die Maßnahme wegen der Nachtzeit nicht zur Verfügung.
37 Lösungsschema Fall Polizeirecht siehe Anhang
38 § 9 ff. LImSchG NRW
Polizeirecht
145
Störer? Die Polizei nimmt den Verhaltensstörer in Anspruch; das ist der Veranstalter der Jugenddisco.
Prüfung der Verhältnismäßigkeit
Geeignetheit: die Diskothek zu schließen, ist sicher ein taugliches Mittel, den Lärm einzustellen.
Erforderlich ist diese Maßnahme jedoch nicht, denn es gibt noch andere Mittel, die für die Jugendlichen weniger einschneidend sind: sie müssten nur die Fenster schließen und die Musik leiser drehen. Deshalb ist die Ansage des Polizeibeamten, die Disko für beendet zu erklären und die Aufforderung an den Sozialarbeiter, die Jugendlichen nach Hause zu schicken, unverhältnismäßig.
Grundrechtsprüfung
Sowohl der Nachbar als auch der Veranstalter und die Jugendlichen sind Träger von Grundrechten. Bei den Jugendlichen werden das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Freizügigkeitsrecht (sich an jedem Ort aufzuhalten) verletzt, ohne dass es dafür eine Rechtfertigung gibt. Der Polizeibeamte könnte, um das Grundrecht des Nachbarn zu schützen, andere Mittel wählen, ohne so stark in die Grundrechte der Jugendlichen einzugreifen. Deshalb verstößt die Maßnahme auch gegen die Grundrechte der Jugendlichen.
Ergebnis: Die Maßnahme ist rechtswidrig.
ORDNUNGSRECHT
Typischer Fall
Sie sind als Streetworker für Drogenabhängige eingesetzt. Auf der Straße treffen sie Mitarbeiter des
Ordnungsamtes an, die einen ihrer Betreuten von einem Geschäft wegen Randalierens wegzerren wollen.
Die Mitarbeiter sagen, er habe Einkäufer bedroht und den Obsttisch umgeworfen. Sie überlegen, ob diese
Maßnahme rechtmäßig ist.
Einführung in das Rechtsgebiet
Die Gefahrenabwehr ist in Nordrhein-Westfalen nicht nur Sache der Polizei, sondern auch der
Ordnungsbehörden. Ihre Kompetenz ist aus zweierlei Gründen weit reichender als die der Polizeibehörden:
zum einen ist ihre Zuständigkeit nicht nur in dem allgemeinen Ordnungsbehördengesetz geregelt, sondern
darüber hinaus in einer Reihe von Spezialgesetzen. Dort finden sich spezielle Ermächtigungsgrundlagen.
Zum Zweiten ist die Tätigkeit der Polizei auf die Situation einer Gefahr im Verzug beschränkt, also
insbesondere erst dann gegeben, wenn die Ordnungsbehörden nicht erreichbar ist.
Standort des Sozialarbeiters/Sozialpädagogen
Ebenso wie im Polizeirecht steht der Sozialarbeiter/Sozialpädagogen häufig als Berater oder Betreuer auf
der Seite desjenigen, in dessen Rechte eingegriffen werden soll.
Ordnungsrecht
146
Umgekehrt kann es aber auch zu Situationen kommen, in denen der Sozialarbeiter/Sozialpädagogen die
Ordnungsbehörden zum Schutze der Betroffenen oder Dritter rufen muss. Das ist z. B. der Fall, wenn ein
Drogenabhängiger in ein Entgiftungskrankenhaus gebracht werden sollte.
Zuständige Behörden und Gerichte
Spezielle Behörden der Gefahrenabwehr sind z. B. das Gewerbeamt, das Ausländeramt, das Amt der
Berufsfeuerwehr
Für das Ordnungsrecht generell zuständig ist das Ordnungsamt der Kreise und kreisfreien Städte
Aufsichtsbehörde dieser Ämter sind die Bezirksregierungen und das Innenministerium
Das zuständige Gericht ist das Verwaltungsgericht.
Gesetze und Rechtsnormen
Spezialgesetze: Gewerbeordnung, Gaststättengesetz, AufenthG, PsychKG, Bauordnung Nordrhein-Westfalen
Allgemeines Gesetz: Ordnungsbehördengesetz des Landes NRW
Auszug aus dem Ordnungsbehördengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen
NRW OBG § 14 Voraussetzungen des Eingreifens
(1) Die Ordnungsbehörden können die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren.
(2) ... NRW OBG § 15 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (1) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen haben die Ordnungsbehörden diejenige zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. (2) Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. (3) Eine Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. NRW OBG § 16 Ermessen Die Ordnungsbehörden treffen ihre Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen.
NRW OBG § 17 Verantwortlichkeit für das Verhalten von Personen (1) Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen diese Person zu richten. (2) 1 Ist die Person noch nicht 14 Jahre alt oder ist für sie zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten ein Betreuer bestellt, können Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die zur Aufsicht über sie verpflichtet ist. 2 Dies gilt auch, wenn der Aufgabenkreis des Betreuers die in § 1896 Abs. 4 und § 1905 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Angelegenheiten nicht erfasst. .....
NRW OBG § 18 Verantwortlichkeit für den Zustand von Sachen (1) 1 Geht von einer Sache oder einem Tier eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen den Eigentümer zu richten. 2 Soweit nichts anderes bestimmt ist, sind die nachfolgenden Vorschriften entsprechend auf Tiere anzuwenden. (2) 1 Die Ordnungsbehörde kann ihre Maßnahmen auch gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt richten.
Ordnungsrecht
147
2 Sie muss ihre Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt richten, wenn er diese gegen den Willen des Eigentümers oder eines anderen Verfügungsberechtigten ausübt oder auf einem im Einverständnis mit dem Eigentümer schriftlich oder protokollarisch gestellten Antrag von der zuständigen Ordnungsbehörde als allein verantwortlich
NRW OBG § 19 Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen
(1) Die Ordnungsbehörde kann Maßnahmen gegen andere Personen als die nach den §§ 17 oder 18 Verantwortlichen richten, wenn 1. eine gegenwärtige erhebliche Gefahr abzuwehren ist, 2. Maßnahmen gegen die nach den §§ 17 oder 18 Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen, 3. die Ordnungsbehörde die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abwehren kann und 4. die Personen ohne erhebliche eigene Gefährdung und ohne Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden können.
(2) Die Maßnahmen nach Absatz 1 dürfen nur aufrechterhalten werden, solange die Abwehr der Gefahr nicht auf andere Weise möglich ist.
(3) § 17 Abs. 4 gilt entsprechend.
Vertiefende Hinweise zu dem Rechtsgebiet
Die Voraussetzungen für das Eingreifen der Ordnungsbehörden sind - das ergibt schon ein Vergleich der
Formulierungen der Gesetze - sehr ähnlich.
Neben einer Störung oder Gefahr für die öffentliche Sicherheit kann auch eine Störung oder Gefahr der
öffentlichen Ordnung das Einschreiten der Ordnungsbehörden veranlassen. Unter öffentlicher Ordnung
versteht man die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der
Öffentlichkeit. Da wir in Deutschland jedoch schon seit langem dazu neigen, alles zu regeln, liegt häufig
bereits ein Gesetzesverstoß oder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor.
Ebenso wie die Polizei treffen die Ordnungsbehörden ihre Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen.
Liegen die tatbestandlicher Voraussetzungen für ein ordnungsbehördliches Einschreiten vor, so muss die
Behörde prüfen, ob und mit welchen Mitteln eingegriffen werden soll. Das der Ordnungsbehörde
eingeräumte Ermessen besteht folglich in zweierlei Hinsicht:
� dem Entschließungsermessen, ob eingegriffen wird und
� dem Auswahlermessen, wie eingegriffen wird.
Für den Rechtsschutz gelten im Prinzip keine Besonderheiten, d.h. grundsätzlich sind Widerspruch und
Anfechtungsklage gegen polizei- und ordnungsbehördliche Maßnahmen zulässig. Sowohl im Polizeirecht
als auch im Ordnungsrecht ist die Situation meistens jedoch schon abgeschlossen, bevor überhaupt
Rechtsmittel eingelegt werden können. Ein Widerspruch gegen die Maßnahme einer Polizei- oder
Ordnungsrecht
148
Ordnungsbehörde ist daher häufig schon erledigt, weil die Maßnahme abgeschlossen ist. Dann kann man
im Nachhinein nicht mehr (durch Widerspruch) von der Behörde verlangen, dass sie die Rechtmäßigkeit
ihres Verwaltungshandelns überprüft. Vielmehr ist dies der klassische Fall einer
Fortsetzungsfeststellungsklage: wenn der Bürger ein rechtliches Interesse an der Feststellung der
Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandeln hat, kann er das Verwaltungsgericht anrufen und die Sache noch
einmal überprüfen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn er befürchten muss, dass sich die Situation
wiederholen wird. Darüber hinaus hat er ein rechtliches Interesse, wenn er Schadensersatzansprüche
geltend machen könnte oder besonders intensiv in seine Grundrechte eingegriffen wurde.39
Lösungsschema Ordnungsrecht
Eingriffsgrundlage für die Mitarbeiter des Ordnungsamtes ist § 14 Ordnungsbehördengesetz.
Es liegt eine Störung der öffentlichen Sicherheit vor, weil der Betreffende bei seinem Randalieren Sachen beschädigt und Personen bedroht hat. Wenn der Betroffene unter Drogen steht, liegt eventuell auch ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz vor. Schließlich werden Sie als Streetworker überlegen, ob auch eine Gefahr für den Drogenabhängigen selbst besteht, es also auch für ihn besser wäre, eine Entgiftung zu veranlassen.
Die Maßnahme wird gegen den Verhaltensstörer ergriffen.
Sie ist geeignet, denn der Drogenabhängige wird am Ende weder den Obsttisch noch einmal umwerfen noch Einkäufer belästigen können.
Die Maßnahme ist erforderlich, wenn kein anderes, weniger einschneidendes Mittel zur Verfügung steht. Sie sollten vorschlagen, noch einmal mit dem Drogenabhängigen zu reden. Sie selbst könnten sich dazu bereit erklären, weil sie ihn kennen und als Streetworker für diese spezielle Klientel ausgebildet sind.
Die Maßnahme ist angemessen, wenn sie zu dem angestrebten Erfolg nicht außer Verhältnis steht. Indem die Mitarbeiter des Ordnungsamtes den Drogenabhängigen wegzerren, wenden sie bereits unmittelbare körperliche Gewalt an. Das ist aus der Sicht des Betroffenen schon ein sehr einschneidendes Mittel. Er wird einwenden, er habe den Obsttisch versehentlich umgestoßen, und sei vielleicht nur ein wenig laut geworden. Letztlich steht sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gegen das Grundrecht des Ladenbesitzers auf Eigentum und das Grundrecht der Einkäufer auf Freizügigkeit. Hier haben die Mitarbeiter besonders intensiv abzuwägen, ob sie im Rahmen des Auswahlermessens auch unmittelbaren Zwang anwenden müssen.
39 Lösungsschema ordnungsrecht siehe Anhang
Betreuungsrecht
149
AUSLÄNDERRECHT
Typischer Fall: Familiennachzug
Sie sind Mitarbeiterin in einer Ehe- und Familienberatungsstelle. Es sucht sie eine junge Tunesierin auf, die
vor einem Jahr nach Deutschland verheiratet wurde. Sie erzählt, dass sie es bei ihrem Mann einfach nicht
mehr ausgehalten habe. Er, ein Marokkaner, sei ihr gegenüber mehrfach gewalttätig geworden und habe
damit gedroht, sie nach Tunesien zurückzuschicken. Nach dort könne sie jedoch nicht zurück, weil sie dann
von der eigenen Familie verstoßen werde und auch die Rache der Familie ihres Mannes zu befürchten
habe. Sie meint, trotz der Bedrohung müsse sie zu ihrem Mann in die eheliche Wohnung zurückkehren,
damit das Ausländeramt sie nicht abschiebe. Sie überlegen, ob und wie sie mit ganz einfachen Mitteln die
ausländerrechtliche Situation klären können.
Einführung in das Rechtsgebiet40
Mit dem Ausländerrecht betreten wir erstmals ein ganz spezielles Rechtsgebiet, das sowohl Teile der
staatlichen Eingriffsverwaltung wie auch der Leistungsverwaltung enthält.
Um einen klassischen Fall der Eingriffsverwaltung handelt es sich, wenn ein Ausländer abgeschoben
werden soll41.
Um Leistungsverwaltung handelt es sich immer dann, wenn ein Ausländer einen Anspruch auf Erteilung
eines Visums, einer Aufenthaltserlaubnis oder einer Niederlassungserlaubnis erhebt42.
In beiden Fällen geht es häufig um die Lebensgrundlage der ausländischen Mitbürger. Wenn es um die
Existenz geht, sollten Sozialarbeiter die Grundlagen kennen – und einen Spezialisten empfehlen können.
Standort des Sozialpädagogen / Sozialarbeiters in diesem Rechtsgebiet
Probleme ausländischer Mitbürger begegnen den Sozialarbeitern und Sozialpädagogen auf Schritt und
Tritt. Deshalb empfehle ich, sich auch mit ihrer rechtlichen Situation während des Studiums
auseinanderzusetzen.
Gesetze und andere Rechtsnormen
40 Hofmann, Rainer M. / Hoffmann, Holger, Ausländerrecht- Handkommentar, Nomos, 2008. Sieveking, Klaus, Meine Rechte als Ausländerdtv, 2007.
41 Die Ermächtigungsgrundlage hierfür ist § 58 AufenthG.
42 Vgl. §§ 5 bis 10 AufenthG
Betreuungsrecht
150
AufenthG, Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern, AsylVfG,
Staatsangehörigkeitsgesetz
Untergesetzliche Normen43 sind im Ausländerrecht besonders wichtig, weil sie die Bestimmungen für die
Ausländerämter präzisieren.
Auszug aus dem Aufenthaltsgesetz
§ 2 AufenthG: Definition Ausländer
Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist
§ 4 AufenthG: Aufenthaltstitel
Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist
§ 5 AufenthG: Allgemeine Voraussetzungen
Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass
1. die Passpflicht erfüllt wird und
2. der Lebensunterhalt gesichert ist,
3. die Identität und ...die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
4. kein Ausweisungsgrund vorliegt und
5. soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet.
§ 7 AufenthG: Aufenthaltserlaubnis
Die Aufenthaltserlaubnis ist ein befristeter Aufenthaltstitel. Sie wird zu den in den nachfolgenden Abschnitten genannten Aufenthaltszwecken erteilt.
Die Aufenthaltserlaubnis ist unter Berücksichtigung des beabsichtigten Aufenthaltszwecks zu befristen.
§ 9 AufenthG Niederlassungserlaubnis
(1) Die Niederlassungserlaubnis ist ein unbefristeter Aufenthaltstitel. Sie berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, ist zeitlich und räumlich unbeschränkt und darf nicht mit einer Nebenbestimmung versehen werden.
(2) Einem Ausländer ist die Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn
1. er seit fünf Jahren die Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2. sein Lebensunterhalt gesichert ist,
3. er mindestens 60 Monate Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet hat ...
43 AufenthG, Vorläufige Anwendungshinweise des BMI vom 22.12.20042004.
Betreuungsrecht
151
4. er in den letzten drei Jahren nicht ... straffällig geworden ist
5. ihm die Beschäftigung erlaubt ist, sofern er Arbeitnehmer ist,
6. er im Besitz der sonstigen für eine dauernde Ausübung einer Erwerbstätigkeit erforderlichen Erlaubnisse ist,
7. er überausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
8. er über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt und
9. er überausreichenden Wohnraum für sich und seine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen verfügt.
§ 31 AufenthG: Eigenständiges Aufenthaltsrecht der Ehegatten
(1) Die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten wird im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzuges unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn
1. die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat oder
2. der Ausländer gestorben ist, während die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet bestand
und der Ausländer bis dahin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis war....
(2) Von der Voraussetzung des zweijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet ist abzusehen, soweit es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, dem Ehegatten den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen. Eine besondere Härte liegt insbesondere vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist; zu den schutzwürdigen Belangen zählt auch das sowohl eines mit dem Ehegatten in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Kindes....
§ 58 AufenthG Abschiebung
(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint.
(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer
1. unerlaubt eingereist ist,
2. noch nicht die erstmalige Erteilung der erforderlichen Aufenthaltstitels .... beantragt hat
3. ...
4. und eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist. Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.
(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer
1. sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigen öffentlichen Gewahrsam befindet,
Betreuungsrecht
152
2. innerhalb der ihm gesetzten Ausreisepflicht nicht ausgereist ist,
3. ...
4. mittellos ist,
5. keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6. gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7. zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.
§ 84 AufenthG: Wirkungen von Widerspruch und Klage
Widerspruch und Klage gegen die Ablehnung eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels, …haben keine aufschiebende Wirkung.
Zuständige Behörden und Gerichte
Zuständig sind die Ausländerämter der Kreise und kreisfreien Städte; für die Einbürgerung von Ausländern
gibt es dort meistens spezielle Abteilungen.
Aufsichtsbehörden sind die Bezirksregierungen und das Innenministerium von NRW.
Gerichtlich zuständig ist das Verwaltungsgericht.
Ermächtigungs-/Anspruchsgrundlagen
Das für nicht aus EU-Staaten stammende Ausländer geltende AufenthG kennt verschiedene
Anspruchsnormen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Generelle Anspruchsnorm für die Erteilung
einer Niederlassungserlaubnis ist § 9 AufenthG.
Ermächtigung für eine Abschiebung ist § 58 Abs. 1 AufenthG.
Die Anspruchsnorm für die Einbürgerung eines Ausländers ist z.B. § 10 STAG.
Vertiefende Hinweise zum Rechtsgebiet
Grundsätzlich gilt das AufenthG nur, so weit nicht Spezialgesetze greifen. So regelt beispielsweise das
AsylVfG den Schutz vor politischer Verfolgung44. Für Ausländer, die aus der Europäischen Union stammen,
gilt das AufenthG nicht, sondern das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern. Hier ist
geregelt, dass Mitglieder der Europäischen Union grundsätzlich keiner Aufenthaltsgenehmigung mehr
44 Bank, Roland Das Elgafaji-Urteil des EUGH und der Schutz von Personen, die vor bewaffneten Konflikten fliehen, NVwZ 2009, 695 ff.; Hailbronner, Kay, "Das Grundrecht auf Asyl - unverzichtbarer Bestandteil der grundgesetzlichen Wertordnung, historisches Relikt oder gemeinschaftswidrig?" ZAR, 2009, 369 ff.
Betreuungsrecht
153
bedürfen, sondern das Freizügigkeitsrecht genießen. In anderen Bereichen des Europarechts ist geregelt,
dass sie auch nicht benachteiligt werden dürfen, also z. B. den gleichen Anspruch auf einen Arbeitsplatz
oder auf staatliche Leistungen wie Deutsche haben. Besonderheiten gelten auch für Ausländer aus der
Türkei, denn hier gilt das Recht der Assoziation zwischen der Europäischen Union und der Türkei45. Die
Türkei ist derzeit noch nicht Mitglied in der Europäischen Union.
Ausländer aus Staaten außerhalb der Europäischen Union dürfen überhaupt nur einreisen, wenn sie vom
Ausland aus ein Visum oder - für einen längeren Aufenthalt - eine Aufenthaltserlaubnis beantragt haben.
Die Aufenthaltserlaubnis definiert zugleich den Aufenthaltszweck und ist in der Regel befristet. Dem steht
die Niederlassungserlaubnis gegenüber, die unbefristet erteilt wird und zugleich auch unbeschränkt die
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erlaubt.
Ziel des neuen Zuwanderungsrechtes ist es, die Integration hier lebender Ausländer zu fördern, gleichzeitig
jedoch die Möglichkeiten der Zuwanderung einzuschränken. Um die Integration zu fördern, wurden die
Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erleichtert, gleichzeitig jedoch die
Absolvierung von Integrations- und Sprachkursen verlangt.
Das Verfassungsgebot des Schutzes der Ehe und Familie in Art. 6 GG führt dazu, dass einem ausländischen
Familienangehörigen zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft grundsätzlich
ebenfalls eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen ist46. Das Gesetz hält differenzierte, am jeweiligen
Aufenthaltszweck orientierte Regelungen bereit47.
Internet:
http://www.integrationsbeauftragte.de/
http://www.aufenthaltstitel.de/
http://www.ecoi.net/index.php?iflang=de&country=IQ
Lösungsschema für den geschilderten Fall (Ausländerrecht)
Zur Klärung der ausländerrechtlichen Situation genügt häufig der Blick in den Reisepass der Betroffenen, denn hier wird die Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis eingestempelt. Im vorliegenden Fall ist eine Aufenthaltserlaubnis zwecks Familienzusammenführung erteilt worden. Sowohl deren Bestand als auch
45 ARB 1/80, Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation1980; ARB 3/80, Beschluss des Assoziationsrates EWG/Türkei Nr. 3/80 vom 19.09.1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige1980.
46 BVerfG, Beschl.v. 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -, Aufenthaltsrechtliche Schutzwirkung des Art. 6 GG bei Besuchsrecht,.
47 BVerwG, Urt. v. 26.08.2008 - 1 C 32.07 -, Kein Kindernachzug bei Anspruch auf Arbeitslosengeld II, 54/2008,.
Betreuungsrecht
154
deren Verlängerung setzen grundsätzlich voraus, dass die eheliche Lebensgemeinschaft in der ehelichen Wohnung fortbesteht.
Ihr zweiter Blick sollte in das Aufenthaltsgesetz fallen. § 31 AufenthG schafft ein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Sie müssen die Vorschrift ganz lesen! Die 2-Jahres-Frist ist offensichtlich noch nicht abgelaufen. Es kann jedoch ein Fall besonderer Härte angenommen werden, wenn die an sich bestehende Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung der Belange der Frau bedeuten würde. Dafür spricht, dass sie von ihrer eigenen Familie verstoßen würde. Die Klientin kann also erst einmal beruhigt werden, sollte jedoch professionellen (anwaltlichen) Rat einholen und bei ihrem ausländerrechtlichen Problem weiter unterstützt werden, denn sie wird ihre besondere familiäre Situation gegenüber dem Ausländeramt offen legen müssen.
KINDER- UND JUGENDHILFERECHT48
Dieses Rechtsgebiet wird von dem familienrechtlich tätigen Kollegen vertreten.
BETREUUNGSRECHT
Typischer Fall des Betreuungsrechts
Frau Schmitz leidet an einer Demenz vom Alzheimer Typ. Sie wird immer vergesslicher, kann in ihrer
Wohnung kaum noch Ordnung halten, vergisst Rechnungen zu begleichen und findet auch nicht mehr den
Weg zum Arzt. Verwandte stehen nicht zur Verfügung. Die Nachbarn sprechen die Sozialstation an, in der
Sie arbeiten. Die Nachbarn meinen, Frau Schmitz gehöre in ein Pflegeheim. Was raten Sie?
Einführung in das Rechtsgebiet49
Die Eingeweihten mag es verwundern, dass in einem Skript über Verwaltungsrecht und staatliche
Eingriffsverwaltung das Thema Betreuungsrecht aufgegriffen wird.
Früher konnte man bei den Rechtsinstituten der Vormundschaft und der Pflegschaft von staatlicher
Eingriffsverwaltung insoweit sprechen, als insbesondere die Einrichtung einer Vormundschaft mit
48 Gastiger / Winkler, Recht der Familienhilfe, Lambertus, 2008.; Jox, Rolf, Fälle zum Familien- und JugendrechtBarbara Budrich, 2008.; Oberloskamp, Helga / Brosch, Dieter, Jugendhilferechtliche Fälle für Studium und PraxisLuchterhand, 2007.Wabnitz, Reinhard Joachim, Grundkurs Kinder- und Jugendhilferecht für die soziale ArbeitUTB, 2009.
49 Gastiger / Oberloskamp / Winkler, Recht Konkret- Teilband I: Betreuung, Familien- und Jugendhilfe; 18 Fälle aus der sozialen Arbeitverlag für das Studium der Sozialen Arbeit, 2007.; Betreuungsrechts-Lexikon bei www.wiki.btprax.de ; Marschner, Rolf, Rechtliche Grundlagen für die Arbeit in psychiatrischen Einrichtungen, Psychiatrie Verlag, 2009.
Betreuungsrecht
155
weitgehenden Rechtsverlusten für die Betroffenen verbunden war: dem Verlust der Geschäftsfähigkeit, des
Wahlrechts, der Testierfähigkeit usw..
Inzwischen soll das neue Betreuungsrecht ein Umdenken in der Gesellschaft auslösen und eine
Leitbildfunktion für den Umgang mit psychisch und geistig behinderten Menschen übernehmen, d. h. mehr
Toleranz für Menschen, die „anders“ sind, mehr Solidarität in der Unterstützung hilfeabhängiger und
behinderter Menschen bewirken und ihre Rechte auf Selbstbestimmung und Selbsterfüllung im Alltag
wahren. Das ist geschehen und gut so! 50
Gleichwohl dürfen wir nicht verkennen, dass ein gerichtlich bestellter Betreuer nicht lediglich unterstützt,
sondern eben auch für den Betreuten entscheiden kann. Das ist beinah zwangsläufig mit einem Eingriff in
seine Rechte verbunden.
Es hat mehr historische als systematische Gründe, wenn das Betreuungsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch
geregelt und von den Amtsgerichten entschieden wird. Sein Vorgänger, das Vormundschafts- und
Pflegschaftsrecht, stammt noch aus dem 19. Jahrhundert, in dem es die Materie des Verwaltungsrechts so
noch nicht gab.
Standort des Sozialpädagogen / Sozialarbeiters in diesem Rechtsgebiet
Der Beruf des Betreuers ist für Sozialpädagogen und Sozialarbeiter ein klassisches Betätigungsfeld.
Selbständige Betreuer werden von den Gerichten gesucht! Ich empfehle, sich zunächst durch ein Praktikum
bei einem Betreuer einzuarbeiten. Eine andere Möglichkeit besteht darin, sich dem Amtsgericht als
Verfahrenspfleger zur Verfügung zu stellen, um so in die Aufgabenbereiche hineinzuwachsen.
Zuständige Behörden und Gerichte
Betreuungsangelegenheiten werden durch das Amtsgericht entschieden. Innerhalb des Amtsgerichts
entscheidet häufig ein Rechtspfleger, wenn die Entscheidung nicht einem Richter vorbehalten ist.
Ermächtigungs-/Anspruchsgrundlagen
Erwachsene Menschen, die auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder
seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr besorgen können, können
einen Betreuer erhalten, den das Vormundschaftsgericht für sie bestellt, § 1896 BGB.
Vertiefende Hinweise zum Rechtsgebiet
Ein Betreuer darf dann nicht bestellt werden, wenn die Angelegenheiten des Betroffenen durch
Bevollmächtigte oder andere Hilfen ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können, § 1896
50 Hell, Corinna, Betreuung- Rechte, Pflichten, Aufgaben, Planegg: Haufe, 2009.
Betreuungsrecht
156
Abs. 2 BGB. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass Menschen, die zwar nicht mehr allein
zurechtkommen, aber ausreichend versorgt und in ihren Rechten geschützt sind, nicht noch zusätzlich
durch ein gerichtliches Verfahren belastet werden. Sobald aber gegen den Willen des Betroffenen
entschieden werden soll oder Zwang ausgeübt wird, ist die Bestellung eines Betreuers erforderlich.
Ein Betreuer wird nur für die Aufgabenkreise bestellt, in denen die Betreuung erforderlich ist.
Die Aufgabenkreise des Betreuers sind:
1. Vermögensverwaltung
2. Aufenthaltsbestimmung (zur Auswahl und Bestimmung des Aufenthaltsortes, etwa eines Heimes)
3. Gesundheitsfürsorge (Entscheidung in Fragen der ärztlichen Heilbehandlung)
4. Wohnung (zur Beschaffung und Erhaltung einer Wohnung)
5. Pflege (zur Sicherstellung ausreichende tatsächliche Betreuung, Verpflichtung einer ambulanten
Pflegeeinrichtung).
Die Wahrnehmung dieser Aufgaben entspricht eher einer rechtlichen Betreuung. Zur tatsächlichen
Betreuung und Pflege, etwa Haushaltsführung, Treppenreinigung oder Körperpflege, ist der Betreuer nicht
verpflichtet.
Allein durch die Bestellung eines Betreuers verliert der Betroffene weder seine Geschäftsfähigkeit noch das
Wahlrecht oder andere ihm bei der Entmündigung nach altem Recht entzogene Kompetenzen. Besteht
jedoch die erhebliche Gefahr, dass der Betroffene sich durch Willenserklärungen selbst oder seinem
Vermögen erheblichen Schaden zufügt, etwa durch unkontrollierte Geldausgaben, ordnet das
Vormundschaftsgericht einen Einwilligungsvorbehalt an. Willenserklärungen des Betroffenen stehen dann
unter dem Vorbehalt der Einwilligung des Betreuers. Nur wenn der Betreuer einwilligt, ist die
Willenserklärung rechtswirksam.
Der Betreuer wird auf Antrag des Betroffenen oder von Amts wegen bestellt. Letzteres geschieht, in dem
Nachbarn, behandelnde Ärzte, Verwandte oder andere mit dem Betroffenen befasste Personen dem
Vormundschaftsgericht mitteilen, dass die betreffende Person sich selbst nicht mehr helfen kann. In diesem
Fall muss das zuständige Vormundschaftsgericht tätig werden und von Amts wegen in der Sache ermitteln.
Vorgeschrieben ist die Anhörung des Betroffenen. Darüber hinaus ist grundsätzlich die Einholung eines
Sachverständigengutachtens über die Notwendigkeit der Betreuung erforderlich.
Den nahen Angehörigen ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben.
Betreuungsrecht
157
Das Vormundschaftsgericht bestellt für den Betroffenen einen Verfahrenspfleger als eine Art
Rechtsbeistand. Der Verfahrenspfleger unterstützt den Betroffenen durch Befragung des Sachverständigen,
eigene Anträge usw.. Er vertritt also die Interessen des Betroffenen. Das Gericht ist dazu verpflichtet, einen
Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn eine Betreuung sich auf die Besorgung aller Angelegenheiten des
Betroffenen erstrecken soll.
Die Entscheidung über die Bestellung eines Betreuers ist dem Betroffenen bekannt zu geben und zu
begründen. Das Gericht hat in der Entscheidung über die Bestellung eines Betreuers festzulegen, wann es
über die Aufhebung oder die Verlängerung der Betreuung zu entscheiden hat. Die Betreuung ist maximal
auf sieben Jahre befristet (Gesetzesänderung seit 01.07.2005).
Gegen die Entscheidung des Gerichts steht dem Betroffenen ebenso wie dem Verfahrenspfleger das Recht
zur Beschwerde zu. Dann entscheidet das Landgericht51.
Zum Betreuer bestellt werden kann jede natürliche Personen, die geeignet ist, die Angelegenheiten des
Betreuten in dem vom Gericht bestimmten Aufgabenkreis zu besorgen. An der Eignung fehlt es, wenn
erhebliche Interessenswidersprüche oder -konflikte zwischen Betreuer und Betreutem bestehen. Das ist
auch bei der Bestellung vom Angehörigen zu beachten. Das Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass Mitarbeiter
von Einrichtungen nicht zur Betreuung von Heimbewohnern bestellt werden dürfen, weil hier eine
Interessenkollision unterstellt wird.
Bei der Auswahl von Betreuern hat das Vormundschaftsgericht Vorschlägen des Betroffenen zu
entsprechen. In einem so genannten Betreuungstestament kann jeder vor Eintritt einer Behinderung oder
Krankheit festlegen, wer Betreuer für ihn werden soll und was bei Erfüllung der Betreuung besonders zu
beachten ist. Wer im Besitz eines solchen Betreuungstestaments ist, hat es bei laufendem
Betreuungsverfahren unverzüglich dem Vormundschaftsgericht auszuhändigen.
Das Gesetz sieht vor, dass vorrangig natürliche Personen als Betreuer eingesetzt werden. Stehen
Vermögensfragen im Vordergrund, sind dies häufig Rechtsanwälte oder Steuerberater; bei schwierigen
sozialen Fragestellungen nimmt das Gericht gerne Sozialarbeiter.
Nur wenn eine natürliche Person nicht vorhanden ist oder zur Betreuung nicht ausreicht, kann das Gericht
einen Verein (z.B. den Sozialdienst Katholischer Männer) auf Zeit zum Betreuer bestellen.
Die Betreuer erhalten einen Ausweis, in dem die Aufgabenkreise festgehalten sind. Darüber hinaus kann
dem Betreuerausweis z.B. entnommen werden, ob ein Einwilligungsvorbehalt besteht.
51 LG Frankenthal, Beschluss vom 6.1.2010 - 1 T 2/10 - : Beschwerderecht der Angehörigen im Betreuungsverfahren nur nach förmlicher Beteiligung; LG Stuttgart, Beschl. vom 15.12.2010 - 10 T 356/10 - : Beschwerderecht der Angehörigen in Betreuungssachen ist auf Entscheidungen nach § 303 Abs. 1 FamFG beschränkt; BGH, Beschluss vom 5. 1. 2011 - XII ZB 152/10 - : Beschwerderecht der Angehörigen zum BGH nur nach Zulassung,
Betreuungsrecht
158
Die Betreuer haben die Angelegenheiten des Betroffenen so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht.
Dazu gehört die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz, ausreichende pflegerische und ärztliche
Betreuung unter Berücksichtigung der bisherigen Lebensgewohnheiten. Der Betreuer hat nicht seine
eigenen Wert- und Normvorstellungen gegenüber dem Betroffenen durchzusetzen, sondern sich nach
dessen Wünschen zu richten. Eine Patientenverfügung ist von ihm zu beachten52.
In einzelnen Fragen können die Betreuer nicht selbst entscheiden, sondern müssen eine Genehmigung des
Vormundschaftsgerichts einholen53. Das gilt z. B. für die Entscheidung über eine ärztliche Heilbehandlung,
wenn diese erhebliche Gesundheitsrisiken für den Betroffenen mit sich bringt54. Auch das Recht, für den
Betreuten die Post zu öffnen oder anzuhalten, bedarf der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung
ebenso, wie die Kündigung der Mietwohnung des Betroffenen.
Das Vormundschaftsgericht und hier die Rechtspfleger üben die Aufsicht über die Betreuer aus. Ihnen
gegenüber ist regelmäßig auch in finanzieller Hinsicht Rechenschaft abzulegen. Das bedeutet die Vorlage
eines Vermögensverzeichnisses des Betreuten und die Anfertigung einer Übersicht über die Einnahmen
und Ausgaben nebst Vorlage jeglicher Belege.
Verfahrenskosten sind grundsätzlich vom Betroffenen zu tragen, können jedoch vom Gericht der
Staatskasse auferlegt werden. Aufwendungen des Betreuers (Fahrtkosten, Kopien usw.) sind grundsätzlich
vom Betroffenen aus seinem Vermögen zu zahlen. Wird eine Betreuung berufsmäßig ausgeübt, so haben
die jeweiligen Betreuer Anspruch auf eine Vergütung. Deren Höhe richtet sich nach dem Gesetz über die
Betreuervergütungen.
Hinweise in das Internet:
http://www.ruhr-uni-bochum.de/zme/Lexikon/
http://www.betreuungsrecht.org/
http://www.betreuung-online.de/
Lösungsschema für den geschilderten Fall Betreuungsrecht
Die Nachbarn oder die Sozialstation sollten bei dem Vormundschaftsgericht einen Antrag auf Einrichtung einer Betreuung stellen und die Tatsachen schildern, die diesen Antrag begründen können.
52 Beckmann, R.: Patientenverfügungen: Entscheidungswege nach der gesetzlichen Regelung; MedR 2009, 582
53 AG Siegen, Beschl.v. 28.09.07 - 33 XVII B 710 -, Ermittlung des tatsächlichen oder mutmaßlichen Willens eines an Demenz erkrankten Betreuten, GesR 2008, 247 f.
54 LG Kleve, Beschluss vom 31.5.2010 - 4 T 77/10 - : Negativattest des Gerichts bei einvernehmlichem Abbruch der künstlichen Ernährung, NJW 2010, 2666
Betreuungsrecht
159
Wegen der u.U. langen Verfahrensdauer sollte bei dem Gericht angeregt werden, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, falls welche notwendig sind. Auch danach sollten Sie die Nachbarn befragen und dies ggf. dem Gericht schildern. Das Vormundschaftsgericht kann derartige Maßnahmen entweder selbst sofort anordnen, oder einen Betreuer vorläufig bestellen, damit dieser die unaufschiebbaren Maßnahmen ergreifen kann.
Unterbringung
160
RECHT DER UNTERBRINGUNG
Typischer Fall aus dem Unterbringungsrecht
Frau Müller lebt allein in ihrer kleinen Wohnung. Ihre Tochter wurde zu ihrer Betreuerin bestellt, als sie
mit ihren finanziellen Angelegenheiten nicht mehr zu Recht kam. Täglich schaut die Sozialstation vorbei,
dies allerdings nur für insgesamt etwa eine Stunde. Nun hat die Mutter nachts mehrfach bei den Nachbarn
geschellt. Die Tochter befürchtet, die Mutter könnte einmal vergessen, die Herdplatte auszustellen. Sie will
auch nicht mehr den Beschwerden der Nachbarn ausgesetzt sein und die Unterbringung in einem
geschlossenen Heim veranlassen. Ist sie dazu berechtigt?
Einführung in das Rechtsgebiet55
Von Freiheitsentziehung wird gesprochen, wenn etwa Heimbewohner dauernd oder regelmäßig auf einem
bestimmten, beschränkten Raum fest gehalten werden, ihr Aufenthalt ständig überwacht und die
Aufnahme von Kontakten mit Personen außerhalb des Raumes durch Sicherheitsmaßnahmen verhindert
wird.
Dementsprechend liegen in einem Pflegeheim Freiheitsentziehungen gegenüber Bewohnern vor, wenn
diese
� zu ihrem Schutz in ihrem Zimmer eingesperrt werden,
� sich nur innerhalb eines Gebäudeteils frei bewegen können,
� nur mit Zustimmung der Heimleitung das Heim verlassen dürfen,
� Bewohner regelmäßig fixiert werden,
� regelmäßig gegen den Willen Bettgitter aufgestellt werden.
Nicht nur die geschlossene, sondern auch die so genannte halbgeschlossene Unterbringung (Ausgang zu
bestimmten Zeiten) auf einer „geschützten Station“ ist demnach als Freiheitsentziehung zu werten.
Träger dieses Freiheitsrechts ist jeder Mensch, ohne Rücksicht darauf, ob er geschäftsfähig ist oder nicht,
oder ob er überhaupt noch die natürliche Fähigkeit zu einer selbstständigen Willensbetätigung hat.
Personen, die ständig bettlägerig und auf Grund körperlicher Gebrechen daran gehindert sind, sich frei zu
bewegen, kann begrifflich schon die Bewegungsfreiheit nicht mehr entzogen werden. Wird etwa ein
55 Marschner, Rolf, Rechtliche Grundlagen für die Arbeit in der Psychiatrie, Bonn: Psychiatrie-Verlag, 2009.
Unterbringung
161
Bettgitter aufgestellt, um den Betroffenen vor einem unwillkürlichen Herausfallen aus dem Bett zu
schützen, so liegt keine Freiheitsentziehung vor. Anderen Personen, die sich (relativ) frei bewegen können,
aber auf Grund psychischer Störungen zu gefährlichen Ausflügen neigen, kann sehr wohl die Freiheit
entzogen werden. Rechtlich wird die Freiheit auch dann unter besonderen Schutz gestellt, wenn der
Betroffene sie subjektiv auch gar nicht als solche erlebt. So kann ein „verwirrter“ Heimbewohner sehr unter
seinem Umherirren und seiner „Verwirrtheit“ leiden. Dann braucht er Hilfen, die aber im Einzelfall
rechtlich legitimiert werden müssen.
Standort des Sozialpädagogen / Sozialarbeiters in diesem Rechtsgebiet
Die im Beispielsfall geschilderten Beobachtungen können Sie als Mitarbeiter von Sozialstationen häufig
machen. Aber auch wenn Sie etwa in einem Alten- und Pflegeheim arbeiten, sollten Sie die Grenzen der
Freiheitsentziehung kennen!
Gesetze und andere Rechtsnormen
Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten des Landes Nordrhein-Westfalen (PsychKG)
§ 11 PsychKG NW
(1) Die Unterbringung Betroffener ist nur zulässig, wenn und solange durch deren krankheitsbedingtes Verhalten gegenwärtig eine erhebliche Selbstgefährdung oder eine erhebliche Gefährdung bedeutende Rechtsgüter anderer besteht, die nicht anders abgewendet werden kann. Die fehlende Bereitschaft, sich behandeln zulassen, rechtfertigt allein keine Unterbringung.
(2) Von einer gegenwärtigen Gefahr im Sinne von Abs. 1 ist dann auszugehen, wenn ein schadenstiftendes Ereignis unmittelbar bevorstehende oder sein Eintritt zwar unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit zu erwarten ist.
§ 14 PsychKG NW Sofortige Unterbringung
Ist bei Gefahr im Verzug eine sofortige Unterbringung notwendig, kann die örtliche Ordnungsbehörde die sofortige Unterbringung ohne vorherige gerichtliche Entscheidung vornehmen, wenn ein ärztliches Zeugnis über einen entsprechenden Befund vorliegt, der nicht älter als vom Vortag ist. Zeugnisse sind grundsätzlich von Ärztinnen unter Ärzten auszustellen, die im Gebiet der Psychiatrie und Psychotherapie weitergebildet oder auf dem Gebiet der Psychiatrie erfahren sind.
Zuständige Behörden und Gerichte
Die familienrechtliche Unterbringung wird von dem Betreuer beantragt und von dem
Vormundschaftsgericht genehmigt.
Die Unterbringung nach dem Landesgesetz wird von dem Ordnungsamt beantragt und ebenso von dem
Vormundschaftsgericht genehmigt.
Unterbringung
162
Ermächtigungs-/Anspruchsgrundlagen
§ 1906 BGB oder §§ 11, 14 PsychKG
Vertiefende Hinweise zum Rechtsgebiet
Die Voraussetzungen einer familienrechtlichen Unterbringung für Betreute sind in § 1906 BGB geregelt.
Danach muss die geschlossene Unterbringung für das Wohl des Betroffenen erforderlich sein, weil die
Gefahr der Selbsttötung oder anderer erheblicher gesundheitlicher Schädigungen besteht.
Parallel zu der familienrechtlichen Unterbringung durch die Betreuer besitzt jedes Bundesland ein Gesetz,
dass die Unterbringung von psychisch Erkrankten ermöglicht, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit
und Ordnung darstellen, weil sie andere (z.B. unkontrollierte Aggressivität eines psychotischen Patienten)
oder sich selbst in erheblichem Maße (Suizidalität) gefährden.
In beiden Fällen entscheidet das Vormundschaftsgericht. Nur bei Gefahr im Verzug, d. h. wenn die sofortige
Unterbringung erforderlich ist, kann die Genehmigung im Nachhinein - spätestens zum Ablauf des auf den
Beginn der sofortigen Unterbringung folgenden Tages - eingeholt werden, § 14 Abs. 2 PsychKG.
Im Einzelfall kann das Gericht eine vorläufige Unterbringung durch einstweilige Anordnung für sechs
Wochen genehmigen. Dies wird dann der Fall sein, wenn ein ärztliches Gutachten noch nicht erstellt ist, die
Notwendigkeit der geschlossenen Unterbringung aber schon besteht.
Vor einer endgültigen Entscheidung ist ein Sachverständigengutachten einzuholen, dass die
Erforderlichkeit der geschlossenen Unterbringung darlegen muss. Ist der Betroffene mit dem Gutachter
nicht einverstanden, kann er bei Gericht die Bestellung eines anderen Sachverständigen beantragen.
Grundsätzlich muss der Betroffene vor einer richterlichen Entscheidung angehört werden. Die Anhörung
wird in aller Regel im Heim durchzuführen sein. Bei der Anhörung kann der Betroffene eine Person seines
Vertrauens hinzuziehen. Nur wenn der Gesundheitszustand des Betroffenen es absolut nicht zulässt oder
eine Verständigung nicht möglich ist, kann auf eine Anhörung verzichtet werden.
Soweit für eine Interessenwahrung erforderlich, ist ein Verfahrenspfleger zu bestellen.
Bei der familienrechtlichen Unterbringung darf diese nur für ein Jahr, bei voraussichtlich langandauernder
Geisteskrankheit maximal für zwei Jahre angeordnet werden. Danach muss der Richter erneut entscheiden.
Gegen Entscheidungen des Gerichts ist innerhalb von 14 Tagen die Beschwerde möglich. Dann entscheidet
das Landgericht.
Der Betreuer kann jederzeit, ohne das Gericht zu fragen, die geschlossene Unterbringung beenden. Die
Unterbringung nach dem PsychKG endet mit Ablauf der Frist des richterlichen Beschlusses oder durch
Unterbringung
163
Beschluss des Gerichts, wenn die Unterbringung nicht mehr erforderlich ist. Der Betroffene kann jederzeit
eine Aufhebung beantragen.
Lösungsschema für den geschilderten Fall
Eine familienrechtliche Unterbringung kann die Betreuerin selbst nicht herbeiführen. Sie bedarf dafür der
Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht. Die Voraussetzungen des § 1906 BGB liegen nicht vor: die
Tatsache, dass die Mutter mehrfach bei den Nachbarn geschellt hat, spricht eher dafür, dass sie sich doch
noch selbst helfen kann. Eine erhebliche Selbstgefährdung ist wohl noch nicht gegeben. Allein die
Befürchtung, sie könnte ja einmal die Herdplatte angeschaltet lassen, reicht dafür nicht aus. Ein Fall der
sofortigen Entscheidung ohne vorherige Antragstellung bei Gericht liegt keinesfalls vor, ebenso wenig
liegen die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach dem PsychKG vor.
Vielleicht wird man Frau Müller in Zukunft nicht mehr alleine wohnen lassen können. Wenn sich niemand
für sie findet, muss sie vielleicht in ein Pflegeheim umziehen. Aber die Unterbringung auf einer
geschlossenen Station würde in ihrer jetzigen Situation zu weit gehen.
Krankenversicherung
164
LEISTUNGSVERWALTUNG DER SOZIALVERSICHERUNGSTRÄGER56
KRANKENVERSICHERUNG
Typischer Fall
Sie sind im Sozialdienst eines Krankenhauses angestellt. Nach der Erstbehandlung eines leichten
Schlaganfalls möchte ein 76-jähriger Patient so schnell wie möglich in seine Wohnung zurück, obwohl die
Ärzte sein weiteres Verbleiben im Krankenhaus für erforderlich halten und ihm den Einzug in ein
Pflegeheim nahe legen. Mit Ihrer Hilfe wird häusliche Krankenpflege beantragt. Der Patient erhält einen
Bescheid, wonach die Krankenkasse nur die Behandlungspflege für die Dauer von 2 Wochen bewilligt. Ist
das rechtens?
Einführung in das Rechtsgebiet
Die soziale (= gesetzliche) Krankenversicherung schützt den Versicherten und seine mitversicherten
Familienangehörigen bei Krankheit und Mutterschaft. Heute sind ca. 90 Prozent der bundesdeutschen
Bevölkerung in einer gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Die übrigen Bundesbürger sind
entweder privat krankenversichert oder durch die beamtenrechtliche Beihilfe versorgt. Beamte erhalten
70 Prozent der Leistungen bei Krankheit von den so genannten Beihilfestellen und haben sich i. d. R. in
Bezug auf die restlichen 30 Prozent bei privaten Zusatzkrankenversicherungen abgesichert.
In diesen und dem folgenden Kapitel (Pflegeversicherung) geht es ausschließlich um die Leistungen durch
die gesetzlichen Sozialversicherungsträger.
56 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Übersicht über das Sozialrecht- www.bmas.de/portal/10028/uebersicht__ueber__das__sozialrecht.html BW Bildung und Wissen Verlag und Software GmbH, 2009.
Krankenversicherung
165
ÜBERSICHT: LEISTUNGEN DER KRANKENVERSICHERUNG
Versicherungsrisiko Leistung Leistungserbringer §§
Krankenversicherung Gesetzliche Krankenkassen SGB V
Mutterschaft Mutterschaftshilfe § 195 ff. RVO, MUSchG
Mutterschaftsgeld Geldleistung § 200 RVO, MUSchG
Krankheit Ärztliche und zahnärztliche Behandlung
Kassen(zahn)arzt 28 SGB V
Psychotherapeutische Behandlung
Ärztlicher, Psychologischer oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut
28 Abs. 3 SGB V
Soziotherapie Soziotherapeut 37a SGB V
Häusliche Krankenpflege
Ambulanter Pflegedienst 37 SGB V
Haushaltshilfe 38 SGB V
Krankenhauspflege Kassenkrankenhaus 39 SGB V
Kuren Reha-Klinik 40 SGB V
Arzneimittel Sachleistung; Kassenarzt; Apotheker
31 SGB V Arzneimittelrichtlinie
Heilmittel (ambulante Reha)
Zugelassene Physio-, Ergotherapeuten, Logopäden
32 SGB V Heilmittelrichtlinien
Hilfsmittel Sach-/ Geldleistung 33 SGB V
Hilfsmittelrichtlinien
Zahnersatz 55 SGB V
Arbeitsunfähigkeit Krankengeld Lohnersatz 44 SGB V
(Tod) (Sterbegeld) entfallen
Krankenversicherung
166
Standort des Sozialpädagogen / Sozialarbeiters in diesem Rechtsgebiet
Das Krankenversicherungsrecht begegnet dem Sozialpädagogen nicht nur bei einer Beschäftigung in einer
Klinik oder bei einem ambulanten Kranken- und Pflegedienst, sondern stets, wenn ihm kranke Klienten
begegnen.
Gesetze und andere Rechtsnormen
Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist hauptsächlich im Sozialgesetzbuch V geregelt. Im
Übrigen gelten zahlreiche Vereinbarungen zwischen den Krankenkassen einerseits und den
Leistungserbringern (Ärzte, Wohlfahrtsverbände) andererseits.
Zuständige Behörden und Gerichte
Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sind etwa 150 unterschiedliche Versicherungen. Zu
unterscheiden sind im Wesentlichen folgende Krankenkassenarten:
• Allgemeine Ortskrankenkassen (AOK)
• Betriebskrankenkassen (BKK); (jeder Unternehmer kann für seinen Betrieb eine
Betriebskrankenkasse errichten, wenn er dort mindestens 450 Versicherungspflichtige
beschäftigt).
• Innungskrankenkassen (IKK), für die handwerklichen Innungen angehörenden Berufsgruppen
• Ersatzkassen (BEK), ursprünglich zuständig für Angestellte
• Bundesknappschaft, ursprünglich zuständig für die im Bergbau Beschäftigten,
• Landwirtschaftliche Krankenkassen.
Inzwischen ist es jedem Pflichtversicherten möglich, die gesetzliche Krankenkasse zu wechseln. Dadurch
sind die ursprünglichen Zuständigkeiten aufgehoben. Die gesetzlichen Krankenkassen verwalten sich
selbst (Sozialwahlen); sie legen u. a. die Beitragshöhe fest.
Entscheidungen über das Recht der Krankenversicherungen treffen die Sozialgerichte.
Ermächtigungs-/Anspruchsgrundlagen
Siehe die vorstehende Tabelle!
Vertiefende Hinweise zum Rechtsgebiet
Mitgliedschaft
Es gibt zwei Arten der Mitgliedschaft. Man kann der gesetzlichen Krankenversicherung als Pflichtmitglied
(Pflichtversicherter) oder als freiwilliges Mitglied (freiwillig Versicherter) angehören.
Krankenversicherung
167
Die Pflichtversicherten werden durch Gesetz zur Mitgliedschaft in der Krankenkasse gezwungen.
Pflichtmitglieder sind im Wesentlichen:
Arbeiter und Angestellte bis zu einem bestimmten Jahreseinkommen (Jahresarbeitsentgeltgrenze, sie lag
im Jahr 2004 bei 46.150 € Jahreseinkommen).
• Rentner
• Auszubildende
• Arbeitslose
• Studierende bis zum 30. Lebensjahr
• Landwirte
• einige Selbstständige (z.B. Hebammen, selbständige Pflegekräfte)
Geringfügige Beschäftigungen sind für die Arbeitnehmer sozialversicherungsfrei, § 7 SGB V.
Angestellte, die die Einkommensgrenze überschreiten, versichern sich häufig bei ihrer bisherigen
gesetzlichen Versicherung freiwillig weiter. Ein freiwilliges Versicherungsverhältnis ist - im Gegensatz zur
Pflichtversicherung - weit gehend vom Willen des Einzelnen abhängig, d.h. der Versicherte kann wählen, ob
er z.B. nur die gesetzlichen oder zusätzliche Leistungen (z.B. Einbettzimmer im Krankenhaus) versichern
will..
In der Regel sind der Ehegatte, der Lebenspartner und die Kinder von Pflichtmitgliedern über diese
mitversichert, § 10 SGB V. Diese Familienversicherung ist ein entscheidender sozialer Vorteil gesetzlicher
Krankenkassen, der diese allerdings auch viel Geld kostet.
Das Sachleistungsprinzip
Die Krankenkassen gewähren Regel- und Mehrleistungen. Die vom Gesetz vorgeschriebenen Leistungen
werden Regelleistungen genannt. Das sind die Mindestleistungen, die von allen gesetzlichen
Krankenkassen im gleichen Umfang, in gleicher Höhe und unter den gleichen Bedingungen bewilligt
werden müssen. Daneben können die Krankenkassen im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften weitere
Leistungen gewähren, so genannte Mehrleistungen. Hierfür ist erforderlich, dass diese in die Satzung der
jeweiligen Krankenkasse aufgenommen sind.
Das Krankenkassenrecht ist vom Sachleistungsprinzip gekennzeichnet. Es bedeutet, dass die
Krankenkassen im Verhältnis zum Versicherten nicht etwa Geldleistungen erbringen (z.B. die Arztkosten
erstatten, die der Patient vorher verauslagt hat), sondern ihre Leistungen unmittelbar durch
Vertragspartner ausführen lassen. Nicht jeder Arzt und jede Pflegekraft kann Krankenkassenleistungen
erbringen, sondern nur derjenige, der entsprechende Verträge mit den Krankenkassen abgeschlossen hat.
Krankenversicherung
168
Der Vertragsarzt oder –psychotherapeut muss daher eine Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung
haben (man nennt ihn dann auch Kassenarzt bzw. -psychotherapeut), das Krankenhaus muss ebenso
zugelassen sein. Der Logopäde, Physiotherapeut, häusliche Krankenpflegedienst usw. muss einen
Krankenkassenvertrag geschlossen haben.
Nun wäre es zu mühselig, in jedem einzelnen Vertrag z.B. die beruflichen Anforderungen an die
Leistungserbringer zu definieren oder die Vergütung zu regeln. Deshalb existieren übergeordnete Verträge,
manchmal auch Richtlinien genannt, die diese grundsätzlichen Bedingungen der Leistungserbringung
regeln. Derartige Verträge werden zum Beispiel zwischen den Landeskrankenkassen und der
kassenärztlichen Vereinigung als Vertreter aller Kassenärzte ausgehandelt.
Die Leistungen der Krankenversicherung beschränken sich nicht nur auf die Behandlung von Krankheiten.
So erbringen die Krankenkassen auch Sachleistungen im Zusammenhang mit der Gesundheitsförderung
(Kurse zur Raucherentwöhnung oder Ernährungsberatung), der Verhütung von Krankheiten
(Zahnuntersuchungen) oder der Vorbeugung von Krankheiten (Krebsvorsorgeuntersuchung). Bei
Schwangerschaft und Mutterschaft wird von den Krankenkassen neben den Hilfen bei der Entbindung und
der häuslichen Pflege das Mutterschaftsgeld geleistet.
Die verschiedenen Leistungen der Krankenkassen im Falle der Erkrankung sind oben in der Tabelle
aufgeführt. Für Sozialpädagogen/Sozialarbeit praxisrelevant dürfte vor allem die
Häusliche Krankenpflege
sein. Die häusliche Krankenpflege wird von den Krankenkassen sowie ggf. von Unfallversicherung,
Versorgungsamt, Beihilfe und Sozialhilfe (bei nicht Krankenversicherten) gewährt. Für die gesetzlichen
Krankenkassen findet sich ihre Rechtsgrundlage in § 37 SGB V.
Unabdingbare Voraussetzung und zugleich Merkmal der häuslichen Krankenpflege ist, dass sie neben der
ärztlichen Behandlung im eigenen Haushalt oder innerhalb der Familie erbracht wird. Der Grundgedanke
dieser Kassenleistung ist, dass die erforderlichen Maßnahmen, z. B. Injektionen, Dekubitusversorgung,
Waschungen, Nachtwachen usw. im vertrauten häuslichen Bereich durchgeführt werden sollen. Das hat
zum einen sehr humanitären Aspekt, zum anderen entlastet die häusliche Krankenpflege die sonst
erforderliche und sehr teure Krankenhauspflege sowie die ärztliche Konsultation.
In jedem Fall kann die häusliche Krankenpflege nur im Zusammenhang mit ambulanter ärztlicher
Behandlung gewährt werden. Sind allein pflegerische Maßnahmen notwendig, ohne dass zugleich ärztliche
Behandlung erforderlich ist, so besteht kein Anspruch nach § 37 SGB V; dies ist in der Regel der Fall, wenn
nur Maßnahmen der Grundpflege benötigt werden.
Es muss sich weiterhin um Pflege im Haushalt des Versicherten oder seiner Familie handeln. Im Pflegeheim
kann häusliche Krankenpflege grundsätzlich nicht gewährt werden, wohl aber in einer Altenwohnung oder
Krankenversicherung
169
einem Altenwohnheim, weil diese Einrichtungen die hauswirtschaftliche Versorgung ihren Bewohnern
überlassen.
Häusliche Krankenpflege wird gewährt, wenn Krankenhauspflege geboten ist, durch diese Maßnahme
jedoch der Aufenthalt im Krankenhaus vermieden werden kann. In einem solchen Fall spricht man von
Vermeidungspflege.
Von Sicherungspflege spricht man, wenn das Ziel einer ärztlichen Behandlung abgesichert werden soll.
Hier delegiert der Arzt durch Verordnung der häuslichen Krankenpflege einen Teil der erforderlichen, von
ihm zu erbringenden Leistungen. Hierunter fallen: Injektionen, Medikamentengabe, Verbände, Packungen,
Übungsbehandlungen, Katheterwechsel, Dekubitusbehandlung.
In der häuslichen Krankenpflege unterscheiden wir
1. Die Grundpflege: Waschen, Toilettengang, Betten
2. Die Behandlungspflege: medizinische Hilfeleistungen, die ansonsten von dem Arzt durchgeführt
werden müssten.
3. Die hauswirtschaftliche Versorgung: Einkaufen und Kochen
Im Rahmen der Vermeidungspflege werden alle drei Leistungsarten gewährt; dies allerdings nur für die
Dauer von maximal 4 Wochen.
Im Rahmen der Sicherungspflege wird nur die Behandlungspflege übernommen; dies jedoch unbefristet.
Die Vergütung der häuslichen Krankenpflege durch die Krankenkassen an Pflegedienste ist von Bundesland
zu Bundesland recht unterschiedlich. Sie wird in Versorgungsverträgen zwischen Krankenkassen und
ambulanten Diensten bzw. Wohlfahrtsverbänden oder selbstständigen Pflegekräften ausgehandelt, § 132
SGB V.
Lösungsschema für den geschilderten Fall
Ein Widerspruch des Patienten könnte Aussicht auf Erfolg haben.
Anspruchsgrundlage ist § 37 SGB V.
Es handelt sich um Vermeidungspflege. Deshalb können über die Behandlungspflege hinaus auch die
Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung bewilligt werden. Der Widerspruch wäre also schon
insoweit erfolgreich.
Auch der Zeitraum der Bewilligung ist zu knapp bemessen. Die Vermeidungspflege kann für die Dauer von
4 Wochen bewilligt werden.
Pflegeversicherung
170
PFLEGEVERSICHERUNG
Der Pflegefall
Im Rahmen der Gemeindearbeit haben Sie einen Besuchsdienst eingerichtet. Sie betreuen eine ältere Dame,
die sich in rührender Weise um ihren pflegebedürftigen Mann kümmert. Nach einiger Zeit merken Sie, dass
die Frau mit ihrer Aufgabe überfordert ist, andererseits aber auch nicht die Pflege aus der Hand geben will.
Sie erkundigen sich bei einem ambulanten Pflegedienst. Seine Inanspruchnahme würde monatlich 250
Euro kosten. Welcher Anspruch besteht gegen die Pflegeversicherung?
Einführung in das Rechtsgebiet
Erst im April 1994 wurde die Pflegeversicherung als fünfte Säule der gesetzlichen Sozialversicherung
eingeführt57. Sie soll den Pflegebedürftigen helfen, trotz ihres Hilfebedarfs ein möglichst selbstständiges
und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde der Menschen entspricht. Die Hilfen sind darauf
auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte des Pflegebedürftigen wiederzugewinnen
und/oder zu erhalten.
Die soziale Pflegeversicherung ist stark eingebunden in das gesamte System der Sozialleistungen. So ist
einerseits festgelegt, dass Leistungen der medizinischen Rehabilitation gegenüber Pflegeleistungen
Vorrang haben. Andererseits reichen die Leistungen der Pflegeversicherung grundsätzlich nicht aus, all das
zu gewährleisten, was ein Pflegebedürftiger braucht, um fachlich und menschlich ausreichend versorgt zu
sein. Der Beitrag der Pflegeversicherung entlastet vor allem die Sozialhilfeträger; die Finanzierung der
Pflegeversicherung selbst ist allerdings nicht gesichert.
Für denjenigen, der in diesem Gebiet tätig ist, gehören Kenntnisse des Sozialhilferechts, der Förderung
durch Landesmittel (Pflegewohngeld) und der Unterhaltsverpflichtung von Kindern gegenüber ihren
Eltern einfach dazu.
Standort des Sozialpädagogen
Sozialpädagogen/Sozialarbeiter haben häufig mit alten und kranken Menschen zu tun, die manchmal ihre
Rechte weder kennen noch ausschöpfen wollen. Es ist ihnen peinlich, zum Sozialamt zu gehen, und sie
haben Sorge, dass ihre Kinder in Anspruch genommen werden, wenn sie bei einem Sozialleistungsträger
einen Anspruch stellen. Die Pflegeversicherung unterstützt pflegebedürftige Menschen, ohne dass
Unterhaltsverpflichtete herangezogen werden!
57 Klie, Thomas und Krahmer, Utz, Soziale Pflegeversicherung- Lehr- und Praxiskommentar (LPK - SGB XI) ; [mit Kommentierung der wichtigsten Regelungen des BSHG, SGB IX. SGB V und PflegeVG sowie Anhang Verfahren und Rechtsschutz], Baden-Baden: Nomos-Verl.-Ges, 2003.; Marburger, Horst, Die Pflegeversicherung- Versicherungspflicht, Beitragspflicht, Leistungen, Stuttgart [u.a.]: Boorberg, 2008.
Pflegeversicherung
171
ÜBERSICHT: LEISTUNGEN DER PFLEGEVERSICHERUNG
Versicherungsrisiko Leistung Leistungserbringer §§
Gesetzliche Pflegekassen SGB XI
Pflegebedürftigkeit (Stufe I-III)
14 SGB XI, Pflegebedürftigkeits-
Richtlinien
Pflegegeld Geldleistung 37 SGB XI
Pflegesachleistung Ambulanter Pflegedienst 36 SGB XI
Pflegehilfsmittel 40 SGB XI,
VO über Pflegehilfsmittel und technische Hilfen
Tages-/Nachtpflege 41 SGB XI
Kurzzeitpflege 42 SGB XI
Heimpflege Pflegeheim 43 SGB XI
Pflege durch Pflegeperson
Pflegekurse 45 SGB XI
Renten-, Unfallversicherung
44 SGB XI
Personen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf
Betreuungsleistungen 45 a bis d SGB XI
Gesetze und andere Rechtsnormen
Neben dem Sozialgesetzbuch XI finden sich wichtige Detailregelungen zur Pflegeversicherung in
Rechtsverordnungen und Richtlinien, etwa den Pflegebedürftigkeitsrichtlinien zu § 17 SGB XI sowie
Rahmenvereinbarungen, z. B. zur Qualität und Qualitätssicherung, vgl. § 75 und 80 SGB XI.
Zuständige Behörden und Gerichte
Die Pflegekassen sind selbstständige öffentlich-rechtliche Körperschaften, die bei den gesetzlichen
Krankenkassen angesiedelt sind.
Pflegeversicherung
172
Zur Entscheidung über Pflegeversicherungsrecht sind die Sozialgerichte befugt.
Ermächtigungs-/Anspruchsgrundlagen
Siehe die obige Tabelle
Vertiefende Hinweise zum Rechtsgebiet
In den Schutz der sozialen Pflegeversicherung sind kraft Gesetzes alle einbezogen, die in der gesetzlichen
Krankenversicherungen versichert sind. Wer gegen Krankheit bei einem privaten
Krankenversicherungsunternehmen versichert ist, muss auch eine private Pflegeversicherung abschließen.
In den folgenden Hinweisen werden lediglich die Bestimmungen der gesetzlichen Pflichtversicherung
wiedergegeben:
Der Pflegebedürftigkeitsbegriff
Pflegebedürftig sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder
Behinderung für die gewöhnlichen oder regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des
täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem
Maß der Hilfe bedürfen, § 14 SGB XI.
Die Definition der Pflegebedürftigkeit geht von der Hilflosigkeit des Pflegebedürftigen für die gewöhnlichen
oder regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens aus. Dies sind die Körperpflege,
Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftliche Versorgung.
Die Stufen der Pflegebedürftigkeit
Die Leistungen der Pflegeversicherung hängen von dem Grad der Pflegebedürftigkeit ab.
Pflegeversicherung
173
Stufe Definition Pflegebedürftigkeit
Stufe 0 Einfach Pflegebedürftige Keine Leistungen nach SGB XI, ggf. aber nach SGB XII
Stufe 1 Erheblich Pflegebedürftige Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung. Im Schnitt 90 Minuten Pflegebedarf täglich.
Stufe 2 Schwerpflegebedürftige Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung. Im Schnitt 3 Stunden Pflegebedarf täglich.
Stufe 3 Schwerstpflegebedürftige Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung. Im Schnitt 5 Stunden Pflegebedarf täglich
Die Leistungsarten
Der Vorrang der häuslichen Pflege gegenüber der stationären ist gesetzlich verankert. Deshalb sind alle
Möglichkeiten ambulanter Versorgung auszuschöpfen, bevor eine Heimunterbringung erwogen wird.
Der Pflegebedürftige kann grundsätzlich wählen, ob er Pflegesachleistungen oder Geldleistungen in
Anspruch nimmt. Im Falle der Pflegesachleistung erfolgt die Pflege durch eine Sozialstation oder einen
ambulanten Dienst; die Geldleistung wird zur Gratifikation pflegender Angehöriger oder selbst beschaffter
Pflegekräfte eingesetzt.
Pflegeversicherung
174
ÜBERSICHT: GELDLEISTUNGEN DER PFLEGEVERSICHERUNG AB 01.01.2012
Leistungsarten (Zahlen in Euro monatlich) Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3
Pflegesachleistungen monatlich (in besonderen Härtefällen)
450 1100 1550
Pflegegeld monatlich 235 440 700
Tages- und Nachtpflege in einer teilstationären Einrichtung, monatlich
Wie Pflegesachleistungen
Kurzzeitpflege in einer vollstationären Einrichtung; Urlaubs- und Verhinderungspflege jeweils für bis zu vier Wochen im Jahr
Maximal 1550 €
Vollstationäre Pflege (subsidiär) 1023 1279 1550
Die in der vorstehenden Tabelle aufgeführten Beträge der Pflegesachleistung sind diejenigen, mit denen
sich die Pflegeversicherung an den tatsächlichen Kosten der Pflegekräfte beteiligt. Hiervon werden die
Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung finanziert; die Behandlungspflege kann als
Sicherungspflege von den Krankenversicherungen übernommen werden.
Im SGB XI ist genau festgelegt, welche Hilfeleistungen durchgeführt werden dürfen:
• im Bereich der Körperpflege: das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, das
Rasieren, die Darm- und Blasenentleerung,
• im Bereich der Ernährung: das mundgerechte Zubereiten oder die Hilfe bei der Aufnahme der
Nahrung,
• im Bereich der Mobilität: das selbstständige Aufstehen und zu Bett gehen, An- und Auskleiden,
Gehen, Stehen, Treppensteigen und das Verlassen oder Wiederaufsuchen der Wohnung,
• im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung: das Einkaufen, Kochen, Reinigen der
Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung.
Das Pflegegeld ist nicht dazu gedacht, Angehörige oder andere pflegende Personen zu bezahlen. Es steht
grundsätzlich dem Pflegebedürftigen zu. Er soll in den Stand versetzt werden, seinen Angehörigen oder
sonstigen Pflegepersonen eine materielle Anerkennung für die von ihnen sichergestellte Pflege zukommen
zu lassen.
Der Pflegebedürftige kann Geld- und Sachleistungen auch miteinander kombinieren. Nimmt er die
Sachleistungen nur teilweise in Anspruch, erhält er also daneben ein anteiliges Pflegegeld (sog.
Kombinationsleistung).
Pflegeversicherung
175
Ist der pflegende Angehörige selbst erkrankt oder einmal in Urlaub, hat der Pflegebedürftige Anspruch auf
häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson. Hier übernimmt die Pflegekasse maximal 1432 € für
einen Zeitraum von vier Wochen im Kalenderjahr. Ähnlich wie im Krankenversicherungsrecht übernimmt
die Pflegeversicherung auch Hilfsmittel wie zum Beispiel Gehhilfen, Einmalhandschuhe,
Körperpflegeartikel. Zusätzlich zu den Pflegehilfsmitteln werden technische Hilfsmittel gewährt. Hierzu
gehören z.B. Pflegebetten, Badewannenlifter, Schieberollstühle.
Unberührt bleibt die Leistungspflicht der Krankenkassen für die Hilfsmittel i. S. des § 33 SGB V.
Krankenfahrstühle, Krankenunterlagen usw. sind also weiterhin von den Krankenkassen zu zahlen.
Reicht die ambulante oder teilstationäre Pflege nicht mehr aus, so hat der Pflegebedürftige Anspruch auf
vollstationäre Pflege in einem Pflegeheim. Ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind, prüft die
Pflegekasse mit Hilfe des medizinischen Dienstes der Krankenkassen.
Grundsätzlich unterteilen sich die Heimkosten in
• den pflegebedingten Aufwand,
• die Kosten für die Unterkunft und Verpflegung (so genannten Hotelkosten)
• und die Investitionskosten, d.h. die Gebäudekosten des Heimträgers.
Die Pflegekasse übernimmt nicht die gesamten Heimkosten, sondern nur den so genannten
pflegebedingten Aufwand entsprechend der Pflegestufe. Regelmäßig besteht ein höherer Pflegebedarf als
über das Pflegeversicherungsgesetz zu finanzieren ist. Dann muss der Pflegebedürftige diesen selbst
finanzieren oder ergänzend auf Sozialhilfe zurückgreifen58.
Die Investitionskosten können teilweise über die Investitionskostenförderung der Länder finanziert
werden. In Nordrhein-Westfalen bestimmt das Landespflegegesetz, dass den Heimen für bedürftige
Heimbewohner (deren Einkommen in etwa demjenigen von Sozialhilfeempfängern entspricht) so
genanntes Pflegewohngeld gezahlt wird. Für diese Leistungen sind in Nordrhein-Westfalen die Kreise und
kreisfreien Städte zuständig. Im Unterschied etwa zur Sozialhilfe werden die ansonsten
unterhaltspflichtigen Kinder bei einem Antrag auf Pflegewohngeld nicht in Anspruch genommen.
Pflegeeinrichtungen und -dienste
Durch die Einführung der Pflegeversicherung ist ein regelrechter Wettbewerb auf dem Pflegemarkt der
stationären und ambulanten Einrichtungen entstanden. Das ist erfreulich, denn auf diese Weise wird für
die ausreichende Pflege der Pflegebedürftigen gesorgt.
58 BSG, Urt.v. 21.01.09 - B 3 P 6/08 R -, Zur leistungsgerechten Höhe von Pflegesätzen in Pflegeheimen, GesR 2009, 491 ff.
Pflegeversicherung
176
Pflegeeinrichtungen und -dienste müssen gem. § 71 SGB XI folgende Voraussetzungen erfüllen:
• sie müssen selbstständig wirtschaftende Einrichtungen sein,
• sie müssen unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft stehen und
• sie müssen
• im ambulanten Bereich Pflegebedürftige in ihrer Wohnung pflegen und hauswirtschaftlich
versorgen,
• im stationären Bereich ganztägig Unterbringung und Verpflegung anbieten (teilstationäre
Einrichtungen tagsüber oder nur nachts).
Ein Pflegedienst kann nur dann zugelassen werden, wenn er nachweist, dass die ständige Verantwortung
einer ausgebildeten Pflegefachkraft sichergestellt ist. Dies bedeutet nicht, dass eine Pflegefachkraft die
Leitung einer Sozialstation oder eines Dienstes innehaben muss. Nur die Verantwortung für das
Pflegekonzept, für die Pflegeanamnese, Pflegeplanung und Pflegekontrolle sowie die Anleitung von nicht
ausgebildeten Pflegehilfskräften muss in der Hand einer Pflegefachkraft liegen. Als Pflegefachkraft, die
diese Funktionen wahrnehmen können, gelten Altenpflegerinnen, Krankenschwestern und Krankenpfleger.
Die Vergütung für Pflegedienste und Pflegeeinrichtungen wird weitgehend auf Landesebene in den
Rahmenvereinbarungen festgelegt, die zwischen den Landesverbänden der Pflegekassen und den
Verbänden der Einrichtungsträger abgeschlossen werden. Die Vergütungssätze müssen leistungsgerecht
sein und Pflegediensten generell ermöglichen, die vorausgesetzten Qualitätsstandards auch einzuhalten.
Auf Bundesebene wurden Qualitätsstandards für die Pflegeleistungen festgelegt, an die sich alle
Pflegeeinrichtungen und -dienste zu halten haben, § 80 SGB XI. Hierzu gehört u. a., dass
die Leitung sichergestellt und die ständige Verantwortung durch eine Pflegekraft gewährleistet ist,
eine Pflegeanamnese und Pflegeprozessplanung für und mit jedem einzelnen Pflegebedürftigen
durchgeführt wird, Pflegeergebnis kontrolliert und die Zufriedenheit des Bewohners erfragt wird.
Seit dem 1. Januar 2013 ist das neue Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz PNG in Kraft getreten.59 Dieses neue
Gesetz ist in SoSe 2013 nicht Klausurrelevant.
Lösung für den geschilderten Fall
Um die Dame zu entlasten und sie von der Tatsache zu überzeugen, dass ambulante Pflege sie unterstützen
kann, schlagen Sie eine Kombinationsleistung vor. Ihr Ehemann wird voraussichtlich in die Pflegestufe 1
eingestuft. Dann könnte er monatliche Sachleistungen in Höhe von maximal 384 € in Anspruch nehmen.
59 Näheres dazu: http://www.bmg.bund.de/ministerium/presse/pressemitteilungen/2012-01/kabinett-beschliesst-pflegeversicherung.html
Pflegeversicherung
177
Der Pflegedienst kostet aber nur 250 €. Damit sind nur ca. 2/3 der Sachleistungen ausgeschöpft. Die
Eheleute können deshalb noch ein Drittel des dem Mann zustehenden Pflegegeldes, also immerhin 68 €
monatlich zusätzlich, verlangen.
RENTENVERSICHERUNG
Typischer Fall
Sie betreuen eine Familie mit sechs Kindern. Der Vater ist Gerüstbauer und hatte nach erheblichen
Alkoholproblemen zwei Herzinfarkte. Die Mutter berichtet Ihnen, dass er im nächsten Monat ausgesteuert
werde (d. h., dass er kein Krankengeld mehr bezieht), und sie nicht wissen, wovon sie danach leben sollen.
Arbeiten könne ihr Mann, der zwanzig Jahre „eingezahlt „ habe, sicherlich nicht mehr.
Einführung in das Rechtsgebiet
Die gesetzliche Rentenversicherung schützt die Versicherten vor dem Risiko eines vorzeitigen,
krankheitsbedingten Verlustes oder einer wesentlichen Beeinträchtigung ihrer Erwerbsfähigkeit und
sichert ihnen ein Einkommen im Alter. Das Todesfallrisiko des Erwerbstätigen übernimmt die
Rentenversicherung zusätzlich dadurch, dass es den Hinterbliebenen (Witwen, Waisen und Geschiedenen)
nach dem Tod des Versicherten eine Rente zahlt. In allen Fällen müssen bestimmte Wartezeiten erfüllt sein.
Auf Grund der Bevölkerungsentwicklung wird die gesetzliche Rentenversicherung in Zukunft nicht mehr
zur Versorgung im Alter ausreichen. Deshalb fördert der Staat private Anstrengungen zur Altersvorsorge
(Riester-Rente). Sie sind nicht Gegenstand der hiesigen Erörterung.
Standort des Sozialpädagogen
Sie werden in Ihrer Arbeit ganz häufig mit Menschen zu tun haben, die an der Schwelle zum Erwerbsleben
stehen. Deshalb sollten Sie sich mit den Hilfen und Möglichkeiten auskennen, diese Personen wieder in das
Erwerbsleben zu integrieren und, falls das nicht möglich ist, über finanzielle Hilfen informiert sein
Gesetze und andere Rechtsnormen
Das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung ist im Sozialgesetzbuch VI geregelt. Neben einer Reihe von
Spezialgesetzen, z.B. über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer des Nationalsozialismus
oder politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet, gibt es eine Vielzahl von Verordnungen,
Ausführungsbestimmungen der Rentengesetze enthalten.
ÜBERSICHT: LEISTUNGEN DER RENTENVERSICHERUNG
Rentenversicherung
178
Versicherungsrisiko Leistung Leistungserbringer §§
DEUTSCHE RENTENVERSICHERUNG
Medizinische Reha und zur Teilhabe am Arbeitsleben
Medizinische Reha § 15 SGB VI
Berufsförderung § 16 SGB VI
Übergangsgeld Geldleistung § 20 SGB VI
Berufsunfähigkeit Berufsunfähigkeitsrente Geldleistung § 240 SGB VI
Erwerbsunfähigkeit Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung
Geldleistung § 43 SGB VI
Erreichen der Altersgrenze Altersrente Geldleistung § 35 SGB VI
Tod Hinterbliebenenrente (Witwen-, Waisenrente)
Geldleistung § 46 SGB VI
Zuständige Behörden und Gerichte
Im Jahr 2005 wurden die früheren Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer einzigen
Körperschaft öffentlichen Rechts zusammen geschlossen, der „Deutschen Rentenversicherung“. Die
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und die Rentenversicherung der Arbeiter
(Landesversicherungsanstalten), die Knappschaftsversicherung für die Beschäftigten des Bergbaus, die
Handwerkerversicherung für alle selbstständigen Handwerker und die Altershilfe für Landwirte gibt es
also so nicht mehr.
Bestimmte Gruppen freier Berufe wie Ärzte, Rechtsanwälte, Psychotherapeuten, Architekten haben
eigene Versorgungswerke gegründet, die ähnliche Leistungen wie die Rentenversicherung
übernehmen.
Zuständig für Entscheidungen über das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung sind die
Sozialgerichte. Für die Kontrolle von Entscheidungen der Versorgungswerke sind die
Verwaltungsgerichte zuständig.
Ermächtigungs-/Anspruchsgrundlagen
Siehe vorstehende Tabelle!
Vertiefende Hinweise zum Rechtsgebiet
Rentenversicherung
179
Pflichtversichert in der gesetzlichen Rentenversicherung sind die Arbeiter und Angestellten bis zur
Jahresarbeitsentgeltgrenze sowie andere Personengruppen ähnlich wie in der
Krankenversicherungen60. Geringfügig Beschäftigte sind ausgenommen.
Ebenso wie die Kranken- und Unfallversicherung ist auch die Rentenversicherung verpflichtet, ihren
Versicherten Rehabilitationsleistungen zu gewähren. Dabei handelt es sich sowohl um medizinische als
auch um berufsfördernde Maßnahmen.
Die Rentenversicherung sichert die Beschäftigten auch in Bezug auf das vorzeitige (teilweise)
Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ab.
Eine so genannte Berufsunfähigkeitsrente erhält der Versicherte, der nur noch weniger als 6 Stunden in
seinem Beruf tätig sein kann und vor dem 02.01.1961 geboren ist. Voraussetzung dafür ist allerdings,
dass er die so genannte Wartezeit erfüllt hat, d. h. mindestens 60 Monate rentenversichert war. Die
Berufsunfähigkeit knüpft - im Gegensatz zum Begriff der Erwerbsunfähigkeit - an dem Beruf des
Versicherten an. Bevor eine Berufsunfähigkeitsrente gezahlt werden kann, ist zu prüfen, ob er auf eine
andere zumutbare Tätigkeit verwiesen werden kann, wobei insbesondere der bisherige Beruf und
seine besonderen Anforderungen relevant sind.
Eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhält ein Versicherter, wenn er überhaupt keiner regelmäßigen
Erwerbstätigkeit mehr nachgehen kann. Allerdings ist auch hier Voraussetzung, dass er die Wartezeit
von 60 Monaten eingehalten hat. Ferner kann der Versicherte auf den gesamten Arbeitsmarkt
verwiesen werden, also auch auf eine weniger angesehene oder schlechter bezahlte Arbeit.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht
absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Die volle Rente wegen Erwerbsminderung erhält, wer außer Stande ist, längstens drei Stunden täglich
erwerbstätig zu sein.
Das Altersruhegeld wird nach Erreichen der Altersgrenze gewährt. Sie liegt bei der Vollendung des 65.
Lebensjahres. Vor Vollendung dieses Lebensalters kann das Altersruhegeld unter folgenden
Voraussetzungen beantragt werden:
• Arbeitslose können nach Vollendung des 60. Lebensjahres unter gewissen Voraussetzungen
vorgezogenes Altersruhegeld erhalten,
60 LSG Bayern, Urt.v. 21.05.2010 - L 4 KR 68/08 - : Statusfeststellungsverfahren bei Familienhelfer (hier: keine abhängige Beschäftigung), BeckRS 2010, 71817
Rentenversicherung
180
• für Schwerbehinderte und Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrentner kann nach Vollendung
des 60. Lebensjahres Altersruhegeld gewährt werden,
• nach Vollendung des 63. Lebensjahres (flexible Altersgrenze) können alle Versicherten bei
Erfüllung einer bestimmten Wartezeit Altersruhegeld beantragen,
• Frauen erhalten mit dem 60. Lebensjahr das Altersruhegeld, wenn sie in den letzten
zwanzig Jahren überwiegend Pflichtbeiträge gezahlt haben.
Lösungsschema für den geschilderten Fall
Zunächst müssen Sie prüfen, ob alle Maßnahmen ergriffen wurden, den Familienvater wieder in das
Erwerbsleben zurückzuführen. Dazu gehören insbesondere Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation,
also z.B. die ärztliche Anordnung einer stationären Aufnahme in eine Suchtklinik.
Falls eine solche Maßnahme bereits ohne Erfolg durchgeführt wurde, sollten Sie empfehlen, einen Antrag
auf Berufs- oder teilweiser Erwerbsminderung zu stellen. Die Wartezeit ist sicherlich erfüllt. Das Vorliegen
der Voraussetzungen muss der Rentenversicherungsträger durch Einholung eines Gutachtens prüfen.
Da der Vater erfahrungsgemäß mehr als 3, jedoch voraussichtlich weniger als 6 Stunden arbeiten können
wird, steht nur eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu erwarten.
Deshalb müssen Sie raten, dass der Vater sich auch frühzeitig arbeitslos meldet. Er ist, wie wir im nächsten
Kapitel sehen werden, voraussichtlich arbeitsfähig.
Zu denken ist darüber hinaus an eine Schwerbehinderung. Je nachdem, wie hoch der Grad der
Schwerbehinderung festgestellt wird, kann der Vater mit Erleichterungen im Berufs- und Alltagsleben, aber
auch in Zusammenhang mit seinem Arbeitsplatz (Kündigungsschutz) rechnen.
Schließlich müssen Sie gemeinsam mit der Familie überlegen, welche anderen staatlichen Leistungen in
Anspruch genommen werden können (Kindergeld, Wohngeld, usw.).
ARBEITSLOSENVERSICHERUNG
Typischer Fall
In der Beratungsstelle, in der sie arbeiten, spricht Frau Meier vor. Die gelernte Buchhändlerin hat sich
gerade von ihrem Mann getrennt und ist nun allein erziehende Mutter von 15-jährigen Zwillingen, um die
sie sich seit ihrer Geburt gekümmert hat. Der von ihrem Mann gezahlte Unterhalt und das Kindergeld
reichen nicht aus. Sie will also wieder arbeiten und berichtet, dass in ihrem gelernten Beruf keine Stelle zu
Arbeitslosenversicherung
181
haben ist. Sie überlegt, eine Aus- oder Weiterbildung zu absolvieren oder selbst eine kleine Buchhandlung
zu eröffnen. Sie will wissen, ob und wie sie durch das Arbeitsamt gefördert werden könnte.
Einführung in das Rechtsgebiet
Bei rund 3 Millionen Arbeitslosen ist die Arbeitsförderung einer der Kernbereiche der Bundespolitik. Ob es
ihr gelingt, nach Jahren einer hohen Arbeitslosenquote die Vollbeschäftigung zu erreichen, ist fraglich. Ziel
der Arbeitsförderung ist, das Entstehen von Arbeitslosigkeit zu vermeiden und negative Auswirkungen der
Arbeitslosigkeit möglichst begrenzt zu halten.
Im Vordergrund stehen die zügige Besetzung der offenen Stellen und der Ausgleich von benachteiligten
Ausbildungs- und Arbeitssuchenden. Dadurch soll Arbeitslosigkeit vermieden oder verkürzt werden.
Soweit dies nicht erreicht werden kann und dennoch Arbeitslosigkeit eintritt, soll der betroffene
Arbeitnehmer bei eingetretener Arbeitslosigkeit finanziell abgesichert werden.
Zum 1.1.2005 ist mit dem Harz IV Gesetz die frühere Arbeitslosenhilfe abgeschafft und durch das
Arbeitslosengeld II teilweise ersetzt worden. Um dieses Thema geht es erst in einem der nächsten Kapitel!
Hier konzentrieren wir uns auf die Leistungen der Bundesagentur für Arbeit, die sie ausschließlich selbst
erbringt. (Das Arbeitslosengeld II wird zum Teil von den Sozialhilfeträgern mitfinanziert, das
Arbeitslosengeld I kommt ausschließlich von der Bundesagentur.)
Standort des Sozialpädagogen / Sozialarbeiters in diesem Rechtsgebiet
Die Betreuung Arbeitsloser und ihrer Familien bildet einen Schwerpunkt sozialarbeiterischer Arbeit. Sie
müssen dabei zunehmend Aussichts- und Hoffnungslosigkeit erfahren, können aber auch im Kampf gegen
die Arbeitslosigkeit mit Rat und Tat unterstützen. Manchmal kann ein Tipp oder Ansprechpartner
innerhalb der riesigen Behörde „Arbeitsamt“ entscheidend sein.
Ein weiteres Berufsfeld von Sozialpädagogen/Sozialarbeitern ist die Beschäftigung bei Maßnahmeträgern.
Durch die grundsätzlich bestehende Ausschreibungspflicht ist die Tätigkeit dort „juristischer“ geworden.
ÜBERSICHT: LEISTUNGEN DER ARBEITSLOSENVERSICHERUNG
Leistungsart Leistung Geldleistung an Arbeitnehmer
§§
Beratung 29 SGB III
Vermittlung Arbeitsvermittlung 35 SGB III
Ausbildungsvermittlung dto.
Förderung der beruflichen Aus- und Weiterbildung
Ausbildungsförderung Berufsausbildungsbeihilfe: 59, 248 SGB III
Arbeitslosenversicherung
182
Lebensunterhalt
Fahrtkosten
Sonstige (Kinderbetreuungs-) Kosten
Lehrgangskosten
Weiterbildungsförderung Unterhaltsgeld
Lehrgangskosten
77, 248 SGB III
Förderung der Arbeitsaufnahme
an Arbeitnehmer: Übergangsbeihilfe
Ausrüstungsbeihilfe
Umzugskostenbeihilfe
an Arbeitgeber Eingliederungszuschüsse
Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit
Ich-AG Überbrückungsgeld
Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen
Maßnahmekosten
Unterhaltssichernde Leistungen
Ergänzende Leistungen
97, 248 SGB III
Leistungen zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen
ABM
Infrastrukturförderung
Kurzarbeitergeld 169; 260 SGB III
Leistungen bei Arbeitslosigkeit
Arbeitslosengeld I 117 SGB III
Altersteilzeitförderung Altersteilzeitgesetz
Insolvenzgeld 183 SGB III
Gesetze und andere Rechtsnormen
Rechtsgrundlage der Arbeitsförderung ist das Sozialgesetzbuch III. Es wird durch zahlreiche weitere
Gesetze ergänzt, die die Förderung der Beschäftigung, die soziale Sicherung besonderer
Personengruppen oder die Erhaltung der Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zum Ziel haben. Hierzu zählen
das Altersteilzeitgesetz, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz oder das Gesetz zur Bekämpfung der
illegalen Beschäftigung.
Zuständige Behörden und Gerichte
Arbeitslosenversicherung
183
Die Bundesagentur für Arbeit, vertreten durch die ortsansässige Agentur für Arbeit (in Aachen) ist für
die Arbeitsförderung zuständig.
Die Sozialgerichte entscheiden über die Rechtsstreitigkeiten nach dem Sozialgesetzbuch III.
Ermächtigungs-/Anspruchsgrundlagen
Siehe die obige Übersicht.
Bitte beachten Sie, dass es sich bei den angegebenen Vorschriften zum Teil um
Ermessensbestimmungen handelt (z.B.: § 77 SGB III: Arbeitnehmer können bei beruflicher
Weiterbildung ... gefördert werden), und nur zum Teil um Anspruchsnormen (z.B. § 59 SGB III:
Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe; § 117 SGB III: Anspruch auf ALG I).
Vertiefende Hinweise zum Rechtsgebiet
Organisation und Finanzierung
Die Bundesagentur für Arbeit hat ihren Sitz in Nürnberg und gliedert sich in
• die Zentrale
• die Regionaldirektionen
• die (örtlichen) Agenturen für Arbeit (im Volksmund: Arbeitsamt).
Die Bundesagentur wird von einem Vorstand geleitet, der aus einem Vorsitzenden und zwei weiteren
Mitgliedern besteht. Die Vorstandsmitglieder ernennt der Bundespräsident auf Vorschlag der
Bundesregierung für jeweils fünf Jahre. Die Organe der Selbstverwaltung der Bundesagentur sind der
Verwaltungsrat und die Verwaltungsausschüsse bei den Regionaldirektion und den Agenturen für
Arbeit. Die Organe setzen sich zu je einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber
und der öffentlichen Körperschaften zusammen.
Die Finanzierung erfolgt in erster Linie durch die versicherungspflichtig Beschäftigten und die
Arbeitgeber je zur Hälfte.
Versicherungspflichtig nach dem SGB III sind grundsätzlich alle Personen, die als Arbeiter oder
Angestellte gegen Entgelt beschäftigt sind. Dazu gehören auch die Auszubildenden.
Versicherungsfrei sind die geringfügig Beschäftigten und diejenigen Personen, deren Einkommen über
der Jahresarbeitsentgeltgrenze liegt.
Beratung
Arbeitslosenversicherung
184
Jugendliche und Erwachsene können sich unabhängig von einer Vermittlung in allen Fragen, die mit
dem Arbeitsleben zusammenhängen, vom Arbeitsamt beraten lassen (Berufsberatung). Auch die
Arbeitgeber, die bei der Besetzung von Ausbildungs- und Arbeitsstellen Unterstützung benötigen,
können die Beratung des Arbeitsamtes in Anspruch nehmen (Arbeitsmarktberatung).
Vermittlung
Die Arbeitsvermittlung wird inzwischen nicht mehr allein durch das Arbeitsamt vorgenommen. Sie
kann auch gewerblich durch private Vermittlungsunternehmen betrieben werden, die sogar
Erfolgshonorare verlangen können. Die Honorare unterliegen Höchstgrenzen, die nach der Dauer der
Arbeitslosigkeit gestaffelt sind.
Förderung der beruflichen Ausbildung
Die berufliche Ausbildung ist die Grundlage einer qualifizierten Beschäftigung des einzelnen
Arbeitnehmers. Sie erfolgt in aller Regel in den Betrieben, die dann auch die Kosten hierfür
übernehmen. Wenn jedoch dem Auszubildenden die Mittel - z. B. durch Unterhaltsleistungen der Eltern
- nicht zur Verfügung stehen, kann er auf Kosten der Agentur für Arbeit gefördert werden.
Voraussetzung hierfür ist, dass die Auszubildenden nicht mehr im Haushalt der Eltern wohnen und die
Ausbildungsstätte auch von der Wohnung der Eltern nicht in angemessener Zeit erreichbar ist. Diese so
genannte Berufsausbildungsbeihilfe bemisst sich
• nach dem Bedarf für den Lebensunterhalt,
• den Fahrtkosten,
• den sonstigen Aufwendungen
• und den Lehrgangskosten.
Bei beruflicher Ausbildung in Betrieben oder überbetrieblichen Ausbildungsstätten entsprechen die
Regelsätze denjenigen des BAFÖG61.
Zur beruflichen Ausbildung gehören auch die geförderten berufsvorbereitenden Maßnahmen, also
insbesondere die Schulausbildung. Sie erfolgt unter etwas erleichterten Bedingungen.
Förderung beruflicher Weiterbildung
Arbeitnehmer, die an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, können ebenfalls gefördert
werden. Die Förderung kann in der Übernahme der Weiterbildungskosten und der Zahlung von
Unterhaltsgeld, einer Leistungen zum Lebensunterhalt, bestehen.
61 § 65 SGB III
Arbeitslosenversicherung
185
Voraussetzung ist, dass die Weiterbildung notwendig ist
• zur beruflichen Eingliederung bei Arbeitslosigkeit,
• um drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden
• im Falle der Teilzeitbeschäftigung um eine Vollzeittätigkeit zu erlangen
• oder wegen fehlenden Berufsabschlusses.
Erforderlich ist außerdem, dass
• die Weiterbildungsmaßnahme und ihr Träger für die Förderung zugelassen sind,
• die Agentur für Arbeit den Teilnehmer vor Maßnahmebeginn beraten hat
• und der Teilnehmer die Vorbeschäftigungszeit erfüllt.
Die Vorbeschäftigungszeit erfüllt, wer vor Beginn der Weiterbildung entweder zwölf Monate
versicherungspflichtig beschäftigt war oder aus sonstigen Gründen der Versicherungspflicht unterlag.
Bei wem diese Voraussetzungen nicht vorliegen, der muss arbeitslos gemeldet, anspruchsberechtigt für
Arbeitslosengeld gewesen sein und einer der Leistungen beantragt haben. Die Beschäftigung muss in
den letzten drei Jahren vor Weiterbildungsbeginn gelegen haben. Die Dreijahresfrist gilt allerdings
nicht für Berufsrückkehrer. Bei ihnen reicht es aus, wenn die Versicherungspflicht irgendwann in der
Vergangenheit erfüllt war.
Als Weiterbildungskosten können die Kosten übernommen werden, die durch die Weiterbildung
unmittelbar entstehen. Dies sind:
• die Lehrgangskosten sowie
• etwaige im Vorfeld der Teilnahme anfallende Kosten für eine Eignungsfeststellung (z. B.
Gesundheitsprüfung),
• Fahrtkosten in Form einer Kilometerpauschale und
• Kosten für eine erforderliche auswärtige Unterbringung und Verpflegung
• sowie Kinderbetreuungskosten.
Um das während der Weiterbildung ausfallende Arbeitsentgelt zu ersetzen, kann die Agentur für Arbeit
eine Leistung zum Lebensunterhalt erbringen, das so genannte Unterhaltsgeld.
Zugelassen werden können nur Maßnahmen, bei denen eine fachkundige Stelle feststellt, dass sie eine
erfolgreiche Bildung erwarten lässt, angemessene Teilnahmebedingungen bietet, mit einem
aussagefähigen Zeugnis abschließt und wirtschaftlich und sparsam geplant und durchgeführt wird. Der
Maßnahmeträger muss die erforderliche Leistungsfähigkeit besitzen und die Eingliederung der
Teilnehmer in den Arbeitsmarkt durch eigene Vermittlungsbemühungen unterstützen können. Er ist
verpflichtet, ein Qualitätssicherungssystem anzuwenden.
Arbeitslosenversicherung
186
Leistungen zur Förderung der Arbeitsaufnahme
Zur Förderung der Aufnahme einer Beschäftigung erbringt die Agentur für Arbeitsleistungen an
Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Sie sollen dazu beitragen, die Aufnahme einer Arbeit oder die
Begründung eines Ausbildungsverhältnisses zu ermöglichen, um Arbeitslosigkeit zu beseitigen,
drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder offene Stellen zu besitzen.
Arbeitssuchende und Ausbildungssuchende können Zuschüsse zu Bewerbungskosten, zu Reisekosten
und für die Arbeitskleidung erhalten. Für die Zeit zwischen der Arbeitsaufnahme und der Zahlung des
ersten Arbeitsentgeltes kann eine Übergangsbeihilfe gezahlt werden.
Für die Eingliederung von Arbeitnehmern können Arbeitgeber Eingliederungszuschüsse von der
Agentur für Arbeit erhalten. Grundsätzlich darf der Eingliederungszuschuss 50% des
berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgeltes nicht übersteigen und für längstens zwölf Monate gezahlt
werden.
Leistungen zur Förderung der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit
Arbeitnehmer, die ihre Arbeitslosigkeit dadurch beenden oder vermeiden, dass sie sich selbstständig
machen, unterstützt die Agentur für Arbeiten durch Überbrückungsgeld. Voraussetzung für die
Förderung ist, dass die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der
Existenzgründung vorgelegt wird. Das Überbrückungsgeld wird bis zu Höhe des Betrages geleistet, in
der der Antragsteller zuletzt als Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezogen hat.
Zusätzlich können Arbeitnehmer einen Existenzgründerzuschuss erhalten. Er wird für grundsätzlich
drei Jahre gezahlt und beträgt im ersten Jahr 600 €, im zweiten Jahr 360 € und im dritten 240 €
monatlich. Diese Förderung erhält, wer bis zum 31.12.2005 eine „Ich-AG“ gegründet hat.
Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen
Die Bundesagentur für Arbeit kann Leistungen zur Rehabilitation grundsätzlich nur gewähren, sofern
nicht ein anderer Rehabilitationsträger zuständig ist. Dieser Frage wird in einem gesonderten Kapitel
nachgegangen.
Als Leistung kommt wie bei den anderen Rehabilitationsträgern die Übernahme der
• Maßnahmekosten
• Unterhalt sichernde Leistungen (Berufsausbildungsbeihilfe, Ausbildungsgeld,
Unterhaltsgeld, Übergangsgeld)
• sonstige ergänzende Leistungen (Reisekosten, Kinderbetreuungskosten)
in Betracht.
Arbeitslosenversicherung
187
Leistungen zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen
Zu den Leistungen zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen zählen die Maßnahmen zur
Arbeitsbeschaffung, die Beschäftigung schaffende Infrastrukturförderung und insbesondere das
Kurzarbeitergeld. Ziel ist es, die Schaffung neuer Dauerarbeitsplätze zu ermöglichen und bestehende
Arbeitsplätze durch gezielte Hilfen zu erhalten.
Das Verhältnis zwischen dem Träger einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und dem Arbeitnehmer ist
ein rein arbeitsrechtliches. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und der Agentur für
Arbeit bzw. dem Träger der Maßnahme und der Agentur für Arbeit ist ein sozialrechtliches Verhältnis.
Die Förderung wird für die Beschäftigung von Arbeitnehmern gewährt, die dem Träger vom Arbeitsamt
zugewiesen werden. Das sind insbesondere Arbeitnehmer, die arbeitslos sind und allein durch die
Förderung in einer ABM Maßnahme eine Beschäftigung aufnehmen können und die Voraussetzungen
für den Bezug von Arbeitslosengeld, Unterhaltsgeld oder Übergangsgeld erfüllen. Die Förderung erfolgt
grundsätzlich pauschaliert. Es werden feste Sätze zwischen 900 und 1.300 € gezahlt.
Das Kurzarbeitergeld wird dem einzelnen Arbeitnehmer gezahlt, wenn in seinem Betrieb ein
Arbeitsausfall eintritt, der in der Regel konjunkturell bedingt ist. Es wird nur gezahlt, wenn der
Arbeitsausfall entweder von dem Arbeitgeber oder der Betriebsvertretung der Arbeitnehmer angezeigt
wurde. Das Kurzarbeitergeld beträgt zwischen 60 und 67 Prozent des Nettolohns.
Das Arbeitslosengeld
Das Arbeitslosengeld ist die Hauptleistung der Arbeitslosenversicherung. Anspruch auf
Arbeitslosengeld hat, wer
1. arbeitslos ist
2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und
3. die Anwartschaftszeit erfüllt hat.
Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer, der
• nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit),
• sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und
• den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit).
Diese Verfügbarkeit ist u.a. gegeben, wenn der Arbeitnehmer eine versicherungspflichtige, mindestens
15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für
ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf. Bei der Frage der Zumutbarkeit ist
zwischen seinen Interessen und denjenigen der Beitragszahlergemeinschaft abzuwägen. Natürlich darf
Arbeitslosenversicherung
188
eine Beschäftigung nicht gegen gesetzliche oder tarifliche Vorschriften verstoßen. Zumutbar ist eine
Beschäftigung aber auch dann nicht, wenn das zu erzielende Einkommen erheblich niedriger ist als das
frühere Arbeitsentgelt. In den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit ist eine Minderung um mehr als
20% und in den folgenden drei Monaten um mehr als 30% des Arbeitsentgeltes nicht zumutbar.
Arbeitslosengeld wird erst von dem Tag an gewährt, an dem sich der Arbeitnehmer bei der Agentur für
Arbeit persönlich arbeitslos gemeldet hat. Darüber hinaus muss der Arbeitnehmer die so genannte
Anwartschaftszeit erfüllt haben, d. h. in der Regel mindestens zwölf Monate in einem
Versicherungspflichtverhältnis gestanden haben.
Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld richtet sich nach der Dauer des
Versicherungspflichtverhältnisses innerhalb der letzten drei Jahre vor der Arbeitslosmeldung und dem
Lebensalter des Betroffenen. Ist der Anspruch auf Arbeitslosengeld jedoch schon vor dem 31.1.2006
entstanden, richtet sich die Dauer des Anspruchs nach den letzten sieben Jahren vor der Meldung.
Die Höhe des Arbeitslosengeldes richtet sich nach dem Bruttoarbeitsentgelt, dass der Arbeitslose in
den letzten zwölf Monaten durchschnittlich erzielt hat (Bemessungsentgelt). Außer Betracht bleibt
Arbeitsentgelt, das nur wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt wird. Weihnachts- und
Urlaubsgeld werden jedoch mitgerechnet. Von dem Bemessungsentgelt werden die Steuern und die
Sozialversicherungsbeiträge pauschaliert abgezogen. So wird das so genannte Leistungsentgelt
ermittelt. Das Arbeitslosengeld beträgt bei Arbeitslosen mit mindestens einem Kind 67 Prozent, bei den
übrigen Arbeitslosen 60 Prozent des Leistungsentgeltes.
Besonders wichtig für den Bezug des vollen Arbeitslosengeldes ist die rechtzeitige Meldung bei der
Agentur für Arbeit. Hat sich der Arbeitslose bei bevorstehender Beendigung des Arbeitsverhältnisses
nicht unverzüglich arbeitssuchend gemeldet, so wird das Arbeitslosengeld gekürzt.
Darüber hinaus kann das Arbeitsamt eine Sperrfrist verhängen, wenn der Arbeitslose das
Beschäftigungsverhältnis selbst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten gelöst hat, eine von
der Agentur für Arbeit angebotene Arbeit nicht angenommen hat oder sich geweigert hat, an einer
zumutbaren Trainingsmaßnahme oder Maßnahme zur beruflichen Ausbildung teilzunehmen.
Altersteilzeitförderung
Das Altersteilzeitgesetz soll älteren Arbeitnehmern den gleitenden Übergang in den Ruhestand
ermöglichen. Es regelt die Rahmenbedingungen, unter denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen
schrittweisen Übergang in den Ruhestand in Form einer Verminderung der Arbeitszeit vereinbaren
können. Voraussetzung ist, dass ein mindestens 55 Jahre alter Arbeitnehmer seine bisherige
wöchentliche Arbeitszeit in einer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber auf die Hälfte herabsetzt. Der
Arbeitgeber ist dann verpflichtet, das Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers um mindestens 20 Prozent
Arbeitslosenversicherung
189
aufzustocken. Dieser Aufstockungsbetrag ist sowohl steuer- als auch sozialabgabenfrei. Zusätzlich muss
der Arbeitgeber Beiträge zur Rentenversicherung für den Arbeitnehmer entrichten. Wenn er allerdings
die Stelle neu besetzt, erstattet die Agentur für Arbeit dem Arbeitgeber die von ihm erbrachten
Leistungen.
Insolvenzgeld
Wenn der Arbeitgeber dauerhaft zahlungsunfähig ist, sichert das Insolvenzgeld für einen begrenzten
Zeitraum die zurückliegenden Entgeltansprüche der Arbeitnehmer. Insolvenzgeld wird für den
Arbeitslohn gezahlt, der aus den letzten drei Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das
Vermögen des Arbeitgebers noch aussteht. Der Arbeitnehmer erhält den rückständigen Nettoverdienst.
Lösung für den geschilderten Fall
Die Klientin sollte sich unverzüglich arbeitslos melden. Dann prüft das Arbeitsamt die Voraussetzungen
für den Bezug von Arbeitslosengeld. Sie sollte sich darüber hinaus von der Agentur für Arbeit über
Förderungsmöglichkeiten ihrer beruflichen Weiterbildung beraten lassen. Schließlich neigt sie offenbar
zur Gründung einer „Ich-AG“. Darüber kann sie sich ebenfalls beraten lassen.
Unfallversicherung
190
UNFALLVERSICHERUNG
Einführung in das Rechtsgebiet
Die Unfallversicherung schützt uns vor dem mit einem Arbeitsunfall behafteten Risiko, und vor dem Risiko
einer Berufskrankheit. Unfälle auf Fahrten von oder zur Arbeitsstelle (Wegeunfall), sind ein spezieller Fall
des Arbeitsunfalles.
Die im Sozialgesetzbuch VII geregelte Unfallversicherung wird zu 100 Prozent von den Arbeitgebern
finanziert. Versicherungsträger sind die Berufsgenossenschaften.
Weil sie im Alltag der Sozialpädagogen/des Sozialarbeiters im Vergleich zu den anderen
Sozialversicherungen nur eine untergeordnete Rolle spielt, erfolgt hier nur eine Übersicht:
ÜBERSICHT: LEISTUNGEN DER UNFALLVERSICHERUNG
Versicherungsrisiko Leistung Leistungserbringer §§
Unfallversicherung Berufsgenossenschaften
Arbeitsunfall oder Berufskrankheit
Heilbehandlung Alle Leistungen der Krankenversicherung
26, 27 SGB VII
Medizinische Rehabilitation
26 SGB VII
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft
35, 39 SGB VII
Pflegebedürftigkeit Pflegegeld 44 SGB VII
Geldleistungen während der Reha
Verletztengeld, Übergangsgeld 45, 49 SGB VII
Folge: Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 %
Verletztenrente Geldleistung 56 SGB VII
Folge: Tod Hinterbliebenenrenten Geldleistung 63 SGB VII
Überführungskosten Geldleistung
Sterbegeld Geldleistung
Rehabilitation
191
REHABILITATION
Typischer Fall
In der Beratungsstelle spricht ein Bankangestellter vor und gesteht Ihnen, er habe seit 2 Jahren ein
Alkoholproblem. Noch wisse niemand davon. Er habe sich dazu entschlossen, eine Therapie zu machen,
wisse aber nicht, an wen er sich wenden muss.
Einführung in das Rechtsgebiet62
Die Regelungen für Behinderte und von Behinderung bedrohten Menschen sind erst am 1.7.2001 in Form
des Sozialgesetzbuch IX entstanden. Ziel war es, diesen Personen ihre Selbstbestimmung zu erhalten und
eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden
oder ihnen entgegenzuwirken.
Hier handelt es sich nicht um das Recht eines speziellen Sozialversicherungsträgers! Vielmehr bleiben die
einzelnen Sozialversicherungsträger, wie z. B. die Krankenkassen, die Bundesagentur für Arbeit, die Unfall-
und die Rentenversicherung in ihrem jeweiligen Bereich zuständig.
In diesem Gesetzbuch werden lediglich die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
zusammengefasst, sodass sich auch die Leistungsträger untereinander abstimmen können.
Ein zweiter Teilbereich dieses Gesetzes ist das Recht der Schwerbehinderten.
62 Greß, Jürgen, Recht und Förderung für mein behindertes Kind- Elternratgeber für alle Lebensphasen - alles zu Sozialleistungen, Betreuung und Behindertentestament, München: Dt. Taschenbuch-Verl, 2009. Castendiek, Jan, Hoffmann, Günther, et al., Das Recht der behinderten Menschen, Baden-Baden: Nomos-Verl.-Ges, 2009.
Rehabilitation
192
ÜBERSICHT: LEISTUNGEN ZUR TEILHABE
Leistungsart Leistungen §§
Medizinische Rehabilitation
Heilbehandlung 26 SGB IX
Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder
Arznei- und Verbandmittel
Heilmittel
Psychotherapie
Hilfsmittel
Belastungserprobung und Arbeitstherapie
stufenweise Wiedereingliederung 28 SGB IX
Teilhabe am Arbeitsleben
Hilfen zur Erhaltung und Erlangung eines Arbeitsplatzes 33 SGB IX
Berufsvorbereitungen
Berufliche Anpassung und Weiterbildung
Berufliche Ausbildung
Überbrückungsgeld
Leistungen an Arbeitgeber (Zuschüsse) 34 SGB IX
Unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen
Krankengeld, Verletztengeld, Übergangsgeld, Ausbildungsgeld oder Unterhaltsbeihilfe
44 SGB IX
Beiträge zu den Sozialversicherungen
Ärztlich verordneter Rehabilitationssport und Funktionstraining
Insbesondere: Leistungen zum Lebensunterhalt im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
Krankengeld der Krankenkassen
Verletztengeld der Unfallversicherungen
Übergangsgeld der Rentenversicherungen
Rehabilitation
193
Und: Übergangsgeld im Zusammenhang mit Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
Leistungen zur Heilpädagogische Leistungen, 55 SGB XI
Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
Hilfen zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt,
Standort des Sozialpädagogen / Sozialarbeiters in diesem Rechtsgebiet
Sozialpädagogen/Sozialarbeiter haben die Aufgabe, behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen
zu unterstützen. Sie sollten deshalb die Grundzüge des Behindertenrechts kennen.
Gesetze und andere Rechtsnormen
Das Sozialgesetzbuch IX ist der Kern des Behindertenrechts. Darüber hinaus gibt es noch das Recht zur
Gleichstellung behinderter Menschen, das insbesondere Träger öffentlicher Gewalt dazu verpflichtet,
behinderte Menschen nicht zu benachteiligen.
Zuständige Behörden und Gerichte
Zuständig für die Leistungen zur Teilhabe sind die jeweiligen Rehabilitations-, also Sozialleistungsträger.
Für die Schwerbehinderten zuständig sind das Integrationsamt (Versorgungsamt) und die Bundesagentur
für Arbeit.
Gerichtliche Entscheidungen treffen die Sozialgerichte.
Ermächtigungs-/Anspruchsgrundlagen
Siehe die obige Übersicht
Vertiefende Hinweise zum Rechtsgebiet
Das Sozialgesetzbuch IX definiert zunächst den Begriff der Behinderung und der Schwerbehinderung in § 2
SGB IX:
Behinderung
Menschen sind behindert, wenn ihre körperlichen Funktionen, geistigen Fähigkeiten oder seelische
Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen
Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von
Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Schwerbehinderung
Rehabilitation
194
Menschen sind schwerbehindert, wenn bei Ihnen ein Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50
vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem
Arbeitsplatz im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland haben.
Gleichgestellte behinderter Menschen
Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen behinderte Menschen mit einem Grad der
Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Abs. 2
vorliegen, wenn sie infolge ihre Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht
verlangen oder nicht behalten können.
Teilhabeleistungen
Zur Teilhabe werden erbracht
1. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation,
2. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,
3. Unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen,
4. Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.
Träger dieser Leistungen zur Teilhabe (Rehabilitationsträger) können sein:
1. die gesetzlichen Krankenkassen für Leistungen nach Nr. 1 und 3,
2. die Bundesagentur für Arbeit für Leistungen nach Nr. 2 und 3,
3. die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für Leistungen nach Nr. 1 bis 4,
4. die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung für Leistungen nach Nr. 1 bis 3,
5. die Träger der öffentlichen Jugendhilfe für Leistungen nach Nr. 1,2 und 4
6. die Träger der Sozialhilfe für Leistungen nach Nr. 1,2 und 4.
Rehabilitation
195
ÜBERSICHT: DAS NETZ DER TEILHABELEISTUNGEN
Krankenversicherung Bundesagentur
für Arbeit
Unfallversicherung Rentenversicherung Jugendhilfe
Medizinische Rehabilitation
Teilhabe am Arbeitsleben
Unterhaltssichernde Leistungen
Teilhabe am Gemeinschaftsleben
Sozialhilfe
§ 26 SGB IX
Heilbehandlung
Früherkennung und -förderung
Arznei-, Verbandmittel
Heil-, Hilfsmittel
Psychotherapie
Belastungserprobung
Arbeitstherapie
Stufenweise Wiedereingliederung
§ 33 SGB IX
Hilfen zur Erhaltung des Arbeitsplatzes
Berufsvorbereitungen
Berufliche Anpassung und Weiterbildung
Berufliche Ausbildung
Überbrückungsgeld
Leistungen an Arbeitgeber
§ 44 SGB IX
Krankengeld (KV)
Verletztengeld (UV)
Übergangsgeld
Ausbildungsgeld
Unterhaltsbeihilfe
§ 55 SGB IX
Heilpädagogische Leistungen
Hilfen zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt
Hilfen für ein behindertengerechtes Wohnen
Rehabilitation
196
Bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung dieser Leistungen wird
berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten entsprochen. Dabei wird auch auf die
persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und
weltanschaulichen Bedürfnisse des Leistungsberechtigten Rücksicht genommen.
Allerdings gilt stets der Grundsatz, dass Leistungen zur Teilhabe Vorrang vor Rentenleistungen
haben. Es wird also zunächst alles dafür getan, dass der Behinderte oder von Behinderung Bedrohte
die Behinderung abwenden oder beseitigen kann, eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit
verhindert oder vermieden bzw. überwunden werden kann und seine Teilhabe am Arbeitsleben
dauerhaft gesichert ist. Erst wenn Sachleistungen keinen Erfolg mehr versprechen, kommen
Geldleistungen in Betracht.
Zuständigkeit der Rehabilitationsträger
Wie aber ist nun die unterschiedliche Zuständigkeit der Rehabilitationsträger koordiniert? Gerade
diese Koordination sollte durch das neue Gesetz verbessert werden.
Geht bei einem der Rehabilitationsträger ein Antrag ein, muss er bereits innerhalb von zwei Wochen
feststellen, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz (SGB III für die Bundesagentur für
Arbeit, SGB V für die Krankenkassen usw.) für die Leistung zuständig ist.
Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistungen nicht zuständig ist, leitet er den Antrag
unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu.
Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt er den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest. Das
geschieht innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang, es sei denn, für diese Feststellung ist ein
ärztliches Gutachten erforderlich.
Diese Fristen gelten auch für denjenigen Rehabilitationsträger, an den ein Antrag weitergeleitet
wurde.
Nun soll sich die Kette, der Rehabilitationsträger, an die ein Antrag weitergeleitet wird, nicht ewig
fortsetzen. Deshalb muss der Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist,
falls er sich ebenfalls nicht zuständig sieht, unverzüglich klären, von wem und in welcher Weise
über den Antrag entschieden wird.
Im Ergebnis also soll der Antragsteller spätestens nach drei Wochen wissen, ob und von wem
welche Leistung erbracht werden wird.
Rehabilitation
197
Schwerbehindertenrecht
Das Schwerbehindertenrecht bildet den zweiten Teil des Sozialgesetzbuch IX. Auf Antrag stellen die
Versorgungsämter das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest63.
Behinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im
Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, werden im öffentlichen
Personennahverkehr kostenlos befördert. Auch diese Feststellung treffen die Versorgungs- bzw.
Integrationscenter.
Die Entscheidung über die Gleichstellung behinderter Menschen mit schwerbehinderten Menschen
trifft die Bundesagentur für Arbeit. Dies deshalb, weil mit der Gleichstellung insbesondere
arbeitsrechtliche Folgen verbunden sind: die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines
schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber bedarf der vorherigen Zustimmung des
Integrationsamtes. Zudem muss die Schwerbehindertenvertretung beteiligt werden.
Lösung für den geschilderten Fall
Bei einem Alkoholiker haben wir es häufig mit einem von Behinderung bedrohten Menschen zu tun.
Eine Einschränkung der Teilhabe am Arbeitsleben steht zu befürchten.
Wie bei anderen Erkrankungen auch, ist die Krankheitseinsicht und die Bereitschaft, sich behandeln
zu lassen, der Schlüssel zum Erfolg. Deshalb sollten Sie die Tatsache, dass sich der Bankangestellte
Ihnen gegenüber öffnet, positiv hervorheben und ihn behutsam fördern, auch wenn sich
herausstellen sollte, dass das Alkoholproblem schon bei dem Arbeitgeber virulent ist.
Die Behandlung Alkoholkranker ist eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation, die in den
Zuständigkeitsbereich der Rentenversicherungsträger fällt (insofern es sich nicht um die Entgiftung
= reine Krankenbehandlung handelt). Es kann also eine ambulante Behandlung angedacht werden,
von der der Arbeitgeber nichts erfahren muss.
63 Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Versorgungsmedizin-Verordnung v. 10.12.2008 mit Hinweisen auf den Grad der Behinderung; 2008,
Rehabilitation
198
FINANZIELLE STAATLICHE LEISTUNGSVERWALTUNG
BAFÖG
Aus Zeitgründen konnte das Gebiet nicht bearbeitet werden.
WOHNGELD
Typischer Fall
Sie organisieren den Umzug einer älteren Dame in ein Altenheim. Sie ist Ihnen sehr dankbar und
vertraut Ihnen an, dass Sie bisher noch nie staatliche Hilfe in Anspruch genommen habe. Daraus
entnehmen Sie, dass es in Bezug auf die Heimkosten bei der älteren Dame knapp werden könnte.
Pflegebedürftig im Sinne des SGB XI ist die Dame noch nicht. Steht ihr Wohngeld zu?
Einführung in das Rechtsgebiet
Wohngeld wird zur wirtschaftlichen Sicherung eines angemessenen und familiengerechten
Wohnens gewährt.
Wohngeld erhalten nicht nur Mieter als Mietzuschuss, sondern auch Eigentümer von Eigenheimen
und Eigentumswohnungen als sog. Lastenzuschuss, wenn sie entsprechende Voraussetzungen
erfüllen.
Auszug aus dem Wohngeldgesetz
WoGG § 1 Zweck und Arten des Wohngeldes
(1) Wohngeld wird zur wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens als
Miet- oder Lastenzuschuss zu den Aufwendungen für den Wohnraum geleistet.
(2) Ein Mietzuschuss nach dem Fünften Teil (Sozialhilfeempfänger) schließt einen Mietzuschuss nach
diesem Gesetz im Übrigen aus.
WoGG § 2 Höhe des Wohngeldanspruchs
(3) Für Haushaltsgrößen bis zu fünf Personen ergibt sich der nach den Absätzen 1 und 2 berechnete
monatliche Miet- oder Lastenzuschuss aus den diesem Gesetz beigefügten Anlagen 3 bis 7
(Wohngeldtabellen).
Vermerk: In diesen Tabellen ist die Höhe des Wohngelds für Alleinerziehende, 2 bis 5 Familienmitglieder
angegeben.
Wohngeld
199
WoGG § 3 Antragerfordernis und -berechtigung
(1) Der Anspruch auf Wohngeld setzt außer beim Mietzuschuss nach dem Fünften Teil einen Antrag
voraus.
(2) Für einen Mietzuschuss ist antragberechtigt
1. der Mieter von Wohnraum,
2. der Nutzungsberechtigte von Wohnraum bei einem dem Mietverhältnis ähnlichen Nutzungsverhältnis
(mietähnlich Nutzungsberechtigter), insbesondere der Inhaber eines mietähnlichen Dauerwohnrechts,
3.weggefallen
4. der Bewohner von Wohnraum im eigenen Haus, wenn er nicht .....
5. der Bewohner eines Heimes im Sinne des Heimgesetzes, soweit er nicht nur vorübergehend
aufgenommen wird.
(3) Für einen Lastenzuschuss ist antragberechtigt
1. der Eigentümer eines Eigenheims, einer Kleinsiedlung oder einer landwirtschaftlichen
Nebenerwerbsstelle,
2. der Eigentümer einer Eigentumswohnung,
3. der Inhaber eines eigentumsähnlichen Dauerwohnrechts
für den eigengenutzten Wohnraum. 2 Dem Eigentümer steht der Erbbauberechtigte, dem
Wohnungseigentümer der Wohnungserbbauberechtigte gleich.
Zuständige Behörden und Gerichte
Über Wohngeldanträge entscheiden die Wohngeldstellen der Kreise und kreisfreien Städte.
Gerichtliche Entscheidungen treffen die Verwaltungsgerichte.
Ermächtigungs-/Anspruchsgrundlagen
§ 3 WoGG
Vertiefende Hinweise zum Rechtsgebiet
Ob ein Anspruch auf Wohngeld besteht, hängt ab von:
• der Zahl der zum Haushalt gehörenden Familienmitglieder. Je mehr Haushaltsmitglieder,
desto mehr Wohngeld.
• Der Höhe des Familieneinkommens; hierzu zählt das Gesamteinkommen aller im Haushalt
lebenden Familienangehörigen.
Wohngeld
200
• der Höhe der zuschussfähigen Miete bzw. Unkosten; diese hängen von der Größe der
Wohnung, Ausstattung, Alter des Hauses usw. sowie von dem örtlichen Mietniveau
(Örtlicher Mietspiegel) ab.
Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten, auch wenn sie keinen Antrag gestellt haben,
einen Mietzuschuss. Darüber ist ihnen ein gesonderter Bescheid zu erteilen. Der Bescheid kann aber
auch mit dem Sozialhilfebescheid verbunden werden.
Lösungsschema für den geschilderten Fall
Auch Bewohner von Alten- und Pflegeheimen können Wohngeld beanspruchen, vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 5
WoGG. Das Wohngeld in diesem Sinne ist nicht zu verwechseln mit dem Pflegewohngeld des Landes
NRW als Beitrag zu den Investitionskosten des Pflegeheimes, vgl. Teil 2 / 2.
ELTERNZEIT UND ELTERNGELD
Typischer Fall: Trennung im 6. Monat
Im Februar 2007 kommt eine junge Frau in Ihre Beratungsstelle, die sich soeben von ihrem Mann
getrennt hat. Ihr Kind ist am 2.1.2007 geboren. Ihr Mann hatte ein Einkommen von 20.000 € pro
Jahr; sie arbeitete halbtags in einem Büro und hatte zuletzt 8000 € pro Jahr verdient. Ein Antrag auf
Elterngeld ist noch nicht gestellt. Die Frau will wissen, womit sie rechnen kann.
Einführung in das Rechtsgebiet
Das Bundeselterngeldgesetz (BEEG) ist zum 01.01.2007 in Kraft getreten. Es betrifft alle Kinder, die
nach diesem Stichtag geboren sind. Grundsätzlich zu unterscheiden ist zwischen dem Elterngeld
und der Elternzeit.
Anspruch auf Elterngeld haben Mütter und Väter,
1. die ihre Kinder nach der Geburt selbst betreuen oder erziehen,
2. nicht mehr als 30 Stunden in der Woche erwerbstätig sind,
3. mit ihren Kindern in einem Haushalt leben und
4. einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben.
Elternzeit und -geld
201
Erwerbstätige Eltern, die ihr Berufsleben unterbrechen oder ihre Erwerbstätigkeit auf höchstens 30
Stunden wöchentlich reduzieren, erhalten eine Elterngeldleistung in Höhe von mindestens 67
Prozent des wegfallenden Nettoeinkommens, höchstens jedoch 1800 €.
Gering verdienende Eltern erhalten ein erhöhtes Elterngeld. Als gering verdienend gilt, wer im Jahr
vor der Geburt monatlich durchschnittlich weniger als 1000 € netto verdient hat. Je niedriger das
Nettoeinkommen war, desto höher ist der prozentuale Ausgleich. Um je 2 Euro, die das
Nettoeinkommen unter 1000 € lag, erhöht sich die Leistung um 0,1 Prozentpunkte.
Das Elterngeld beträgt mindestens 300 € (für diejenigen, die nicht erwerbstätig waren).
Das Elterngeld kann von einem Elternteil für höchstens 12 Monate beansprucht werden. Nimmt der
Partner auch Elternzeit oder sind Mutter oder Vater allein erziehend, erhöht sich der
Bezugszeitraum auf 14 Monate.
Auszug aus dem BEEG
§ 1 Berechtigte
(1) Anspruch auf Elterngeld hat, wer
1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2. mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
(2) 1Anspruch auf Elterngeld hat auch, wer, ohne eine der Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 1 zu
erfüllen, …
§ 2 Höhe des Elterngeldes
(1) 1Elterngeld wird in Höhe von 67 Prozent des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der
Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem
Höchstbetrag von 1.800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein
Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. 2Als Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist die Summe der
positiven Einkünfte aus …
(2) In den Fällen, in denen das durchschnittlich erzielte monatliche Einkommen aus Erwerbstätigkeit
vor der Geburt geringer als 1.000 Euro war, erhöht sich der Prozentsatz von 67 Prozent um 0,1
Elternzeit und -geld
202
Prozentpunkte für je 2 Euro, um die das maßgebliche Einkommen den Betrag von 1.000 Euro
unterschreitet, auf bis zu 100 Prozent.
…
(5) 1Elterngeld wird mindestens in Höhe von 300 Euro gezahlt. 2Dies gilt auch, wenn in dem nach Absatz
1 Satz 1 maßgeblichen Zeitraum vor der Geburt des Kindes kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt
worden ist. 3Der Betrag nach Satz 1 wird nicht zusätzlich zu dem Elterngeld nach den Absätzen 1 bis 3
gezahlt.
6) Bei Mehrlingsgeburten erhöht sich das nach den Absätzen 1 bis 5 zustehende Elterngeld um je 300
Euro für das zweite und jedes weitere Kind.
Zuständige Behörden und Gerichte
Für das Elterngeld zuständig sind die Elterngeldstellen der Versorgungsämter.
Gerichtliche Entscheidungen treffen die Sozialgerichte. Widerspruch und Anfechtungsklage haben
keine aufschiebende Wirkung.
Ermächtigung-/Anspruchsgrundlagen
§§ 1 und 2 BEEG ist die Anspruchsgrundlage für Elterngeld.
Vertiefende Hinweise zum Rechtsgebiet
Elternzeit
Neben dem Anspruch auf staatliches Elterngeld besteht ein davon unabhängiger privatrechtlicher
Anspruch der Arbeitnehmer gegen ihre Arbeitgeber auf Elternzeit, der auf unbezahlte Freistellung
von der Arbeit gerichtet ist. Der Anspruch besteht bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres eines
Kindes. Bei mehreren Kindern besteht der Anspruch auf Elternzeit für jedes Kind, auch wenn sich
die Zeiträume überschneiden.
Voraussetzung ist, dass der bzw. die Berechtigte
• Mit dem Kind in einem Haushalt zusammenlebt,
• es überwiegend selbst erzieht und betreut,
• während der Elternzeit nicht mehr als 30 Wochenstunden arbeitet.
Elternzeit und -geld
203
Spätestens 7 Wochen vor ihrem Beginn muss die Elternzeit schriftlich bei dem Arbeitgeber
angemeldet werden. Wird die Anmeldefrist versäumt, verschiebt sich der Beginn entsprechend.
Gleichzeitig muss man sich für die nächsten zwei Jahre festlegen, für welche Zeiträume man die
Elternzeit nehmen will. Will also der Vater unmittelbar nach der Geburt Elternzeit nehmen, muss er
dies 7 Wochen vor dem ausgerechneten Geburtstermin anmelden.
Jeder Elternteil kann Elternzeit beanspruchen – unabhängig davon, in welchem Umfang und wann
der Partner die Elternzeit nutzt. Beide können also auch zusammen die Elternzeit (volle 3 Jahre!)
nehmen. Dann ist es eine Rechenaufgabe, für welchen von beiden das Elterngeld beantragt wird.
Die Elternzeit darf auch bei gemeinsamer Nutzung pro Elternteil auf 2 Zeitabschnitte verteilt
werden.
Während der Elternzeit darf einer Beschäftigung von bis zu 30 Wochenstunden nachgegangen
werden. Wurde schon vor der Geburt teilzeit gearbeitet, kann die Beschäftigung ohne weiteres
fortgesetzt werden. In Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten besteht ein Anspruch auf
Teilzeiterwerbstätigkeit zwischen 15 und 30 Wochenstunden, wenn keine dringenden betrieblichen
Interessen entgegenstehen.
Parallele Inanspruchnahme von Sozialleistungen und Kindesunterhalt
Das Mutterschaftsgeld wird auf das Elterngeld voll angerechnet. Bei anderen Sozialleistungen, wie
z.B. ALG II, Sozialhilfe, Wohngeld wird das Elterngeld ebenfalls angerechnet, aber es bleibt der
Mindestbetrag von 300 € unangetastet. Diese 300 € erhalten die Berechtigten also zusätzlich zu den
einkommensabhängigen Sozialleistungen.
Beim Kindesunterhalt bleibt ebenfalls der Mindestbetrag von 300 € unberührt. Erst der darüber
hinausgehende Betrag zählt als Einkommen.
Lösung des Falles
Der Antrag kann bis zu drei Monate rückwirkend gestellt werden. Die Frau erhält also das
Elterngeld ab der Geburt. Da sie bisher nur halbtags gearbeitet hat, erhält sie das Elterngeld auch,
wenn sie die Erwerbstätigkeit fortsetzt.
Alleinerziehende erhalten das Elterngeld für 14 Monate.
Elternzeit und -geld
204
Es zählt nur das Einkommen, das die Frau hatte. Es betrug 8000 € netto im Jahr, das sind 667 €
monatlich. Damit ist die junge Frau eine Geringverdienerin. Die Differenz zur
Geringverdienergrenze beträgt 333 €.
Rechenweg: 333 € geteilt durch 2 gleich 166 €.
166 mal 0,1 gleich 16,65.
67 Prozent plus 16,65 Prozent gleich 83,65 Prozent.
83,65 Prozent von 667 € sind 557,95 € monatliches Elterngeld.
KINDESUNTERHALT NACH DEM UNTERHALTSVORSCHUSSGESETZ
Typischer Fall: Der Vater zahlt nicht
In Ihrer Beratungsstelle spricht Frau M. vor. Ihr Mann hat sie mit den drei 5, 7 und 11 Jahre alten
Kindern, sitzen lassen und ist vor 4 Wochen ausgezogen. Er sagt, Unterhalt werde er nur zahlen,
wenn er die Kinder jedes Wochenende sehen darf. Kann das Jugendamt den Kindesunterhalt
übernehmen?
Einführung in das Rechtsgebiet
Trennen sich Eheleute mit kleinen Kindern, kommt die vorschussweise Übernahme des
Kindesunterhalts durch das Jugendamt in Betracht. Vorschussweise bedeutet, dass sich das
Jugendamt das Geld bei dem unterhaltspflichtigen Elternteil zurückholen kann.
Auszug aus dem Unterhaltsvorschussgesetz
UVG § 1 Berechtigte
(1) Anspruch auf Unterhaltsvorschuss oder -ausfallleistung nach diesem Gesetz (Unterhaltsleistung) hat,
wer
1. das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat,
2. im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder
geschieden ist oder von seinem Ehegatten dauernd getrennt lebt, und
3. nicht oder nicht regelmäßig
a) Unterhalt von dem anderen Elternteil oder,
Unterhaltsvorschuss
205
b) wenn dieser oder ein Stiefelternteil gestorben ist, Waisenbezüge
mindestens in der in § 2 Abs. 1 und 2 bezeichneten Höhe erhält.
UVG § 2 Umfang der Unterhaltsleistung
(1) 1 Die Unterhaltsleistung wird vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 monatlich in Höhe der für Kinder
der ersten und zweiten Altersstufe jeweils geltenden Regelbeträge (§ 1 oder 2 der Regelbetrag-
Verordnung) gezahlt. 2 Liegen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 bis 4 nur für den Teil
eines Monats vor, wird die Unterhaltsleistung anteilig gezahlt.
UVG § 3 Dauer der Unterhaltsleistung
Die Unterhaltsleistung wird längstens für insgesamt 72 Monate gezahlt.
UVG § 4 Beschränkte Rückwirkung
Die Unterhaltsleistung wird rückwirkend längstens für den letzten Monat vor dem Monat gezahlt, in dem
der Antrag hierauf bei der zuständigen Stelle oder bei einer der in § 16 Abs. 2 Satz 1 des Ersten Buches
Sozialgesetzbuch bezeichneten Stellen eingegangen ist; dies gilt nicht, soweit es an zumutbaren
Bemühungen des Berechtigten gefehlt hat, den in § 1 Abs. 1 Nr. 3 bezeichneten Elternteil zu
Unterhaltszahlungen zu veranlassen.
Die Höhe der Leistungen nach dem UVG richtet sich gemäß § 2 Abs. 1 UVG nach den Unterhaltssätzen,
die für Kinder im Rahmen der Regelbetrag-Verordnung festgelegt sind. Nach Abzug des für ein erstes
Kind zu zahlenden Kindergeldes ergeben sich ab 1. Januar 2010 folgende Unterhaltsvorschussbeträge:
• für Kinder bis unter 6 Jahre 133 Euro/Monat
• für ältere Kinder bis unter 12 Jahre 180 Euro/Monat
Zuständige Behörden und Gerichte
Für das Unterhaltsvorschussgeld zuständig sind die Jugendämter der Kreise und kreisfreien Städte.
Gerichtliche Entscheidungen treffen die Verwaltungsgerichte.
Anspruchsvoraussetzungen
Anspruch auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe des Regelbetrages der
Regelbetrag -VO (abzüglich halben Erstkindergeld) hat, wer
• das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat,
Unterhaltsvorschuss
206
• im Geltungsbereich des Gesetzes bei einem seiner Elternteil lebt, der ledig, verwitwet,
geschieden ist oder von seinem Ehegatten dauernd getrennt lebt und
• nicht oder nicht regelmäßig Unterhalt von dem anderen Elternteil mindestens in Höhe des
Regelbetrages erhält.
Hat der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, für diesen Anspruch auf volles Kindergeld, so wird
die Hälfte des für ein erstes Kind zu zahlenden Kindergeldes auf die Unterhaltsleistungen
angerechnet.
Unterhaltsvorschüsse sind Familienleistungen i. S. des Europarechts. Deshalb sind sie auch für
Kinder zu zahlen, die in anderen EU Staaten leben.
Kein Anspruch besteht dann, wenn der leibliche Elternteil wieder geheiratet hat, obwohl dem Kind
gegenüber diesem Stiefelternteil kein Unterhaltsanspruch zusteht. Zur Begründung dieser
Rechtsfolge wird angegeben, das Unterhaltsvorschussgesetz sei dazu bestimmt, die bei allein
stehenden Elternteilen typischerweise vorhandene Doppelbelastung, die in der Verantwortung für
den materiellen Unterhalt und der persönlichen Betreuung des Kindes besteht, auszugleichen.
Rückwirkende Leistungsgewährung
Die Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz waren früher rückwirkend längstens
für die drei letzten Monate vor dem Monat der Antragstellung zu erbringen. Nunmehr wird die
Zahlung rückwirkend nur noch für einen Monat vor Antragstellung gezahlt. Umgehendes
Geltendmachen bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen ist demnach angezeigt.
Unterhaltsvorschüsse werden bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres bezahlt, aber nicht länger als
insgesamt 72 Monate. Je nach den Umständen des Falles mag es angezeigt sein, mit der
Antragstellung zunächst zuzuwarten, etwa mit dem Ziel, längere Zeit die höheren Leistungen für die
zweite Altersstufe (ab sechs Jahre) zu erhalten.
Unterhaltszahlungen des Elternteils, mit dem das Kind nicht zusammenlebt, werden angerechnet.
Anspruchsübergang/Rückübertragung und Kosten
Hat der Berechtigte für die Zeit, für die ihm die Unterhaltsleistung bezahlt wird, einen
Unterhaltsanspruch gegen den Elternteil, bei dem er nicht lebt, so geht dieser Anspruch in Höhe der
Unterhaltsleistungen zusammen mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch auf das Land
über.
Unterhaltsvorschuss
207
Der Berechtigte kann die die Unterhaltsvorschüsse übersteigenden und künftigen Ansprüche
weiterhin selbst geltend machen. Darüber hinaus kann das Land den auf ihn übergegangenen
Unterhaltsanspruch im Einvernehmen mit dem Unterhaltsempfänger auf diesen zur gerichtlichen
Geltendmachung zurück übertragen und sich den geltend gemachten Unterhaltsanspruch abtreten
lassen. Die insofern anfallenden Kosten sind vom Land zu übernehmen.
Lösung des Falles
Frau M. muss sofort beim Jugendamt einen Antrag auf Unterhaltsvorschuss stellen, damit sie die seit
der Trennung bestehenden Ansprüche nicht für die vergangenen 4 Wochen verliert. Das jüngste
Kind erhält 133 €, die beiden anderen jeweils 180 €.
Kindergeld
208
KINDERGELD UND KINDERZUSCHLAG
Deutsche erhalten nach dem Einkommensteuergesetz Kindergeld, wenn sie
• In Deutschland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder
• Im Ausland wohnen, aber in Deutschland entweder unbeschränkt einkommensteuerpflichtig
sind oder entsprechend behandelt werden.
Staatsangehörige der Europäischen Union sowie des Europäischen Wirtschaftsraumes und der
Schweiz haben den entsprechenden Anspruch. Das gleiche gilt für Staatsangehörige Algeriens,
Bosnien-Herzegowinas, Marokkos, Serbiens, Montenegros, Tunesiens und der Türkei auf der
Grundlage von zwischenstaatlichen Abkommen, wenn sie in Deutschland als Arbeitnehmer
arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt sind oder beispielsweise Arbeitslosengeld
beziehungsweise Krankengeld beziehen.
Ausländische Mitbürger und Mitbürgerinnen können Kindergeld erhalten, wenn sie eine gültige
Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis zu bestimmten Zwecken besitzen.
Unanfechtbar anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigten können ebenfalls Kindergeld erhalten.
Kindergeld wird für Kinder – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit – gezahlt, wenn sie in
Deutschland einen Wohnsitz haben oder sich hier gewöhnlich aufhalten. Dasselbe gilt, wenn die
Kinder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums
leben und dort keine vergleichbaren Leistungen gezahlt werden.
Als Kinder werden berücksichtigt:
• Im ersten Grad mit dem Antragsteller verwandte Kinder, darunter auch angenommene
beziehungsweise adoptierte Kinder,
• Kinder des Ehegatten (Stiefkinder) und Enkelkinder, die der Antragsteller in seinen
Haushalt aufgenommen hat,
• Pflegekinder, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehört
insbesondere, dass der Antragsteller mit ihnen durch ein familienähnliches, auf längere
Dauer angelegtes Band verbunden ist und sie in seinen Haushalt aufgenommen hat. Die
Kindergeld
209
Pflegekinder müssen wie eigene Kinder zur Familie gehören; ein Obhuts- und
Betreuungsverhältnis zu den leiblichen Eltern darf nicht mehr bestehen.
Voraussetzung ist, dass das Kind ständig in der gemeinsamen Familienwohnung des Antragstellers
lebt, dort versorgt und betreut wird. Die bloße Anmeldung bei der Meldebehörde genügt also nicht.
Bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres wird Kindergeld für alle Kinder gezahlt. Ab dem 1.1.2007
kann das Kindergeld nur noch bis zur Vollendung des fünfundzwanzigsten Lebensjahres
weitergezahlt werden. Das gilt erstmalig für nach dem 1.1.1983 geborene Kinder. Kinder, die im
Jahr 2006 das sechsundzwanzigste oder fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben, werden
kindergeldrechtlich bis zur Vollendung des siebenundzwanzigsten Lebensjahres berücksichtigt.
Noch bis zum sechsundzwanzigstem Lebensjahr werden solche Kinder berücksichtigt, die im Jahr
2006 das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben.
Änderungen im Bereich des Kindergeldes ab 2007
Vollendung des unten genannten Lebensjahres
im Kalenderjahr 2006
Kindergeldgewährung bis zur Vollendung des
unten genannten Lebensjahres
26. Lebensjahr 27. Lebensjahr
25. Lebensjahr 27. Lebensjahr
24. Lebensjahr 26. Lebensjahr
Für ein behindertes Kind kann Kindergeld über das fünfundzwanzigste Lebensjahr hinaus ohne
altersmäßige Grenze gezahlt werden. Dazu enthält das Bundeskindergeldgesetz spezielle
Bestimmungen.
Voraussetzung für die Zahlung von Kindergeld für ein über 18 Jahre altes Kind ist, dass es sich in
einer Schul- oder Berufsausbildung oder in einem Studium befindet.
Kindergeld wird auch für ein über 18 Jahre altes Kind bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres
gezahlt, wenn es nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einer Agentur für Arbeit im
Inland oder einen anderen für Arbeitslosengeld II zuständigen Leistungsträger als Arbeitssuchender
gemeldet ist. Geringfügige Tätigkeiten schließen den Kindergeldanspruch nicht aus.
Kindergeld
210
Für ein über 18 Jahre altes Kind steht bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres Kindergeld zu, wenn
es eine Berufsausbildung aufnehmen will, aber wegen fehlenden Ausbildungsplatzes nicht beginnen
oder fortsetzen kann.
Das Kindergeld fällt weg, wenn das Kind mehr als 7.680 € im Kalenderjahr verdient. Dann kommt es
nicht mehr darauf an, ob das Kind noch in einer Schul- oder Berufsausbildung beziehungsweise in
einem Studium ist. Zu den Einkünften zählen insbesondere Ausbildungsvergütungen, Einnahmen
aus Kapitalvermögen, Hinterbliebenen- und Erwerbsunfähigkeitsrenten. Zu den Bezügen gehören
Arbeitslosengeld, Arbeitslosengeld II, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sozialgeld, BAföG, soweit es
als Zuschuss gezahlt wird, Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Nicht zu den Bezügen
zählen vor allem Unterhaltsleistungen der Eltern, Erziehungsgeld, Mutterschaftsgeld nach der
Entbindung, wenn es auf das Erziehungsgeld angerechnet wurde, Leistungen der
Pflegeversicherung.
Überschreiten die Einkünfte und Bezüge das Kindes abzüglich des Beitrages zur gesetzlichen
Sozialversicherung und der besonderen Ausbildungskosten den maßgeblichen Grenzbetrag von
7.680 €, entfällt der Kindergeldanspruch für dieses Kind für das gesamte Kalenderjahr, und zwar
auch dann, wenn Weihnachtsgeld, vermögenswirksame Leistungen oder eine tarifvertragliche
Erhöhung der Ausbildungsvergütung zum Überschreiten des Grenzbetrages geführt haben. Bereits
gezahltes Kindergeld muss dann zurückgezahlt werden.
Das Kindergeld beträgt 184 Euro für ein erstes und zweites Kind, 190 Euro für das dritte Kind und
215 Euro pro jedes weiteres Kind.
Für ein und dasselbe Kind kann immer nur eine Person Kindergeld erhalten. Es wird dem Elternteil
gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Lebt das Kind nicht im Haushalt eines
Elternteils, erhält das Kindergeld derjenige Elternteil, der dem Kind laufend (den höheren)
Barunterhalt zahlt; andere Unterhaltsleistungen bleiben außer Betracht. Wird dem Kind von beiden
Elternteilen kein Barunterhalt oder Unterhalt in gleicher Höhe gezahlt, können die Eltern
untereinander bestimmen, wer von ihnen das Kindergeld erhalten soll.
Eltern, die nicht dauernd getrennt leben, können untereinander durch eine
Berechtigtenbestimmung festlegen, wer von ihnen das Kindergeld für ihre im gemeinsamen
Haushalt lebenden Kinder erhalten soll. Auf diese Weise haben Eltern die Möglichkeit, diejenigen
zum Kindergeldberechtigten zu bestimmen, bei denen sich eventuell ein höherer
Kindergeldanspruch ergibt. Dies gilt ebenso für den leiblichen und den nicht leiblichen Elternteil,
etwa wenn das Kind im gemeinsamen Haushalt der Mutter und des Stiefvaters lebt.
Kindergeld
211
Wenn mangels Einigung keine Berechtigtenbestimmung getroffen wird, muss das Amtsgericht als
Vormundschaftsgericht auf Antrag den vorrangig Kindergeldberechtigten festlegen. Den Antrag
kann stellen, wer ein berechtigtes Interesse an der Zahlung des Kindergeldes hat.
Der Anspruch auf Kindergeld ist ausgeschlossen, wenn aus der gesetzlichen Unfallversicherung eine
Kinderzulage oder aus der gesetzlichen Rentenversicherung ein Kinderzuschuss gezahlt wird.
Ein Anspruch auf Kindergeld besteht grundsätzlich für jeden Monat, in dem wenigstens an einem
Tag die Anspruchsvoraussetzungen vorgelegen haben. Der Anspruch verjährt vier Jahre nach dem
Jahr der Entstehung.
Der Antrag auf Kindergeld muss schriftlich gestellt und unterschrieben werden. Zuständig ist die
Familienkasse, in der der Antragsteller wohnt. Vordrucke können aus dem Internet unter
www.Familienkasse.de heruntergeladen werden.
Die Auszahlung erfolgt durch die Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit. Angehörigen des
öffentlichen Dienstes und Empfängern von Versorgungsbezügen wird das Kindergeld in der Regel
von ihren Dienstherren oder Arbeitgebern in ihrer Eigenschaft als Familienkasse festgesetzt und
monatlich ausgezahlt.
Wenn der Berechtigte seinem Kind keinen Unterhalt leistet, kann die Familienkasse das auf dieses
Kind entfallende Kindergeld auf Verlangen an diejenige Person oder Behörde auszahlen, die dem
Kind tatsächlich Unterhalt gewährt. Das gilt auch dann, wenn der Berechtigte seiner
Unterhaltspflicht nur zum Teil nachkommt.
Sozial- und Jugendämter können die Auszahlung des anteiligen Kindergeldes unter bestimmten
Voraussetzungen verlangen, wenn sie den Berechtigten oder einem Kind ohne Anrechnung von
Kindergeld Leistungen gewährt haben.
Der Gesetzgeber hat ab Januar 2005 einen Kinderzuschlag für gering verdienende Eltern
vorgesehen, § 6 a Bundeskindergeldgesetz. Anspruchsberechtigt sind Eltern, die mit ihren unter 25
Jahre alten und unverheirateten Kindern in einem gemeinsamen Haushalt leben und über
Einkommen und Vermögen verfügen, dass es ihnen ermöglicht, zwar ihr eigenes Existenzminimum,
nicht aber das ihrer Kinder zu decken.
Personen mit Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe (SGB XII) beziehungsweise auf Leistungen
nach dem SGB II – Empfänger von Arbeitslosengeld II – steht der Kinderzuschlag nicht zu.
Opferentschädigung
212
ENTSCHÄDIGUNGSRECHT (OPFERENTSCHÄDIGUNG, KRIEGSOPFER U.A.)
Opfer von Verbrechen erleiden häufig nicht nur eine körperliche Beeinträchtigung. Sie müssen
darüber hinaus oft auch wirtschaftliche Einbußen in ganz erheblichem Umfang hinnehmen. Das
gleiche gilt zum Beispiel auch, wenn der Ernährer einer Familie einem Verbrechen zum Opfer fällt.
Diese wirtschaftlichen Einbußen werden durch Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung,
durch Leistungen aus privaten Versicherungen oder durch die Sozialhilfe nicht immer voll
ausgeglichen. Die Schadensersatzansprüche gegen den Schädiger führen in den seltensten Fällen zu
einem Ausgleich des Schadens. Häufig kann der Schädiger gar nicht ermittelt werden. Unter diesen
Umständen hat sich der Gesetzgeber 1976 dazu entschlossen, eine Entschädigung für Opfer von
Gewalttaten vorzusehen. Wenn es der staatlichen Gemeinschaft trotz ihrer Anstrengungen zur
Verbrechensverhütung nicht gelingt, Gewalttaten völlig zu verhindern, so muss sie wenigstens für
die Opfer dieser Straftaten einstehen.
Eine Opferentschädigung setzt voraus, dass jemand infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen
tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine
gesundheitliche Schädigung erlitten hat.
Es werden auch Schädigungen ausgeglichen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes, das heißt
zwischen dem 23.5.1949 und dem 15.5.1976 stattgefunden haben. Hier gibt es aber schärfere
Bestimmungen, § 10a OEG.
Die Leistungen, die nach einer solchen Schädigung beansprucht werden können, sind in dem
Bundesversorgungsgesetz geregelt 64 . Dieses Gesetz wurde ursprünglich für die
Kriegsopferversorgung verabschiedet.
Versorgung erhalten Geschädigte, Witwen, Waisen und Eltern. Die Leistungen bestehen aus:
• Leistungen zur medizinischen Rehabilitation,
• Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,
• Entschädigungsleistungen,
• Aufwendungsersatz,
• Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
64 Lüdke, Christian, Vernetzte Opferhilfe- Handbuch der psychologischen Akutintervention, Bergisch Gladbach: EHP, 2004.
Existenzsichernde Leistungen
213
EXISTENZSICHERNDE LEISTUNGEN
ARBEITSLOSENGELD II UND SOZIALGELD
Typischer Fall
Die deutsche Staatsangehörige Frau S. kommt zu Ihnen in die Beratungsstelle. Vor 3 Wochen ist ihr
Mann aus der Wohnung ausgezogen und verschwunden. Sie lebt jetzt mit ihrem 14-jährigen Sohn
allein und weiß nicht, wovon. Sie rechnet damit, dass ihr Mann nach Serbien zurückgekehrt ist, weil
er hier keinen Halt gefunden hat. Frau S. hat Hauptschulabschluss und bislang noch nicht gearbeitet.
Vermögen und Einkommen hat sie keines. Die Miete beträgt 500 € zzgl. 80 € Heizung. Sie erhält
Kindergeld in Höhe von 184 € und Wohngeld in Höhe von 214 €.
Standort des Sozialpädagogen / Sozialarbeiters
Die Inanspruchnahme staatlicher Leistungen wird immer komplizierter geregelt. Deshalb sollte ein
Sozialpädagoge / Sozialarbeiter wissen, wann es ALG, ALG II, Sozialgeld, Grundsicherung, Hilfe zum
Lebensunterhalt gibt65.
Einführung in das Rechtsgebiet66
Mit dem Harz IV Gesetz wurde die Arbeitslosenhilfe abgeschafft und das so genannte
Arbeitslosengeld II eingeführt. Es ist im Sozialgesetzbuch II geregelt. Die Abgrenzung des
berechtigten Personenkreises zur Sozialhilfe und auch zur Rentenversicherung geschieht durch den
Begriff der Erwerbsfähigkeit. Wer erwerbsfähig ist, erhält zukünftig nicht mehr Sozialhilfe, sondern
Arbeitslosengeld II; nicht erwerbsfähige Angehörige erhalten entweder Sozialhilfe oder Sozialgeld.
Gesetze und andere Rechtsnormen
Das Sozialgesetzbuch II vom13.05.2011 betrifft die Grundsicherung für Arbeitsuchende.
65Die Klienten haben einen Anspruch auf Beratung durch einen Rechtsanwalt: BVerfG, Beschl.v. 11.05.09 - 1 BvR 1517/09 -, Versagung der Beratungshilfe bei SGB II Leistungen verfassungswidrig,.
66 Obermaier, Sebastian E., Arbeitslosengeld II in Frage und Antwort- Bedürftigkeit, Leistung, Rückforderung, Rechtsschutz, München: Dt. Taschenbuch Verl, 2009.; Loos, Claus, "Aktuelle Entwicklungen zum SGB II," NVwZ, 2009, 1267; Hüttenbrink, Jost, Sozialhilfe und Arbeitslosengeld I,I, dtv, 2009.
SGB II
214
Das Gesetz hatte einen Vorläufer vom 24.12.2003, der in zwei Grundaussagen für verfassungswidrig
erklärt wurde: zunächst ging es um die zuständige Behörde ARGE67, jetzt Jobcenter, anschließend
um die Höhe der Regelsätze68. Der Gesetzgeber hat hier nachgebessert. Ob die aktuellen
Bestimmungen verfassungsgemäß sind, wird sich erweisen.
Von den untergesetzlichen Normen wichtig ist die Verordnung über die Höhe der Regelsätze. Diese
werden jedes Jahr neu festgesetzt. Weil es so schön juristisch ist: das Ding heißt genau69:
Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 201370.
Zuständige Behörden und Gerichte
Träger der Leistungen sind die Bundesagentur für Arbeit, sowie die kreisfreien Städte und Kreise.
Ansprechpartner der Leistungsempfänger ist i.d.R. das neu eingerichtete Jobcenter. Nach dort sind
die Anträge und auch ein eventueller Widerspruch zu richten.
Für Streitigkeiten über die Gewährung von ALG II sind die Sozialgerichte zuständig.
Ermächtigungs-/Anspruchsgrundlagen
Die Anspruchsgrundlage für Arbeitslosengeld II ist § 19 Abs. 1 S. 1 i. V. m. §§ 7 ff. SGB II. Die zwei
Voraussetzungen – „Erwerbsfähige“ und „Hilfebedürftige“ – sind in den §§ 7 bis 12 SGB II näher
definiert; die Rechtsfolge „erhalten Arbeitslosengeld II“ ist in § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II beschrieben:
die Leistungen umfassen den Regelsatz, die Kosten für Unterkunft und Heizung sowie ggf.
Mehrbedarfe.
Die Anspruchsgrundlage für nicht erwerbsfähige Personen ist § 19 Abs. 1 S. 2 SGB II. Kinder und
Jugendliche, die mit Erwerbsfähigen zusammenleben, erhalten Sozialgeld. Nach der Vorschrift geht
allerdings die Sozialhilfe vor: wer einen Anspruch nach dem 4. Kapitel des SGB XII hat – also auf
Grundsicherung im Alter oder bei voller Erwerbsminderung -, erhält kein Sozialgeld.
67 BVerfG, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 2 BvR 2433/04; 2 BvR 2434/04 –
68 BVerfG, Beschl.v. 09.02.2010 – 1 BVL 1/09 –
69 http://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Pressemitteilungen/Das-aendert-sich%20im-neuen-Jahr-2013.html
70 Bitte morgens beim Zähneputzen dreimal hintereinander durchspülen und aufsagen, dann geht´s!
SGB II
215
Für Kinder und Jugendliche neu hinzugekommen sind die Leistungen für Bildung und Teilhabe gem.
§§ 19 Abs. 2, 28 SGB II.
Vertiefende Hinweise zum Rechtsgebiet
Anspruchsberechtigte
Für den Bezug von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld ist ein Antrag erforderlich. Ein umfangreiches
Formular ist auszufüllen.
ALG II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige. Dies sind Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außer Stande ist,
unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich
erwerbstätig zu sein.
Aus dem Rentenrecht zeigt die Erfahrung, dass ein Restleistungsvermögen von weniger als drei
Stunden nur selten festgestellt wird.
Auch Alleinerziehenden, deren Kind das dritte Lebensjahr vollendet hat, ist jede Arbeit zumutbar,
wenn nicht ein anderer wichtiger Grund entgegensteht.
Wer erwerbsfähig ist, bekommt nur noch Leistungen nach dem SGB II - keine (ergänzende)
Sozialhilfe mehr.
Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den
Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht
ausreichend aus eigenen Kräften, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit bzw.
aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann. Zumutbar ist
grundsätzlich außer bei Vorliegen bestimmter wichtiger Gründe jeder Arbeit.
Leistungen
SGB II
216
Der Regelsatz zur Sicherung des Lebensunterhalts71 umfasst Ernährung, Kleidung, Körperpflege,
Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang Beziehungen zur Umwelt und
eine Teilnahme am kulturellen Leben.
ÜBERSICHT: REGELBEDARFSSTUFEN NACH SGB II UND XII
Stand: 01.01.2013
1 2 3 4 5 6
Alleinstehende
oder
Alleinerziehende
Partner ab
Beginn 19.Lj.
Volljährige
Angehörige
Jugendl. vom
15. bis
Vollendg 18.Lj.
Kinder
7. bis 14. Lj
Kinder bis 6.
Lj.
382 € 345 € 306 € 289 € 255 € 224 €
Neben der Regelleistung werden in bestimmten Fällen Mehrbedarfe gewährt, weiter Leistungen für
Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen sind.
Nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer
Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld.
Mehrbedarfe (z. B. für werdende Mütter, für Alleinerziehende, für behinderte Menschen oder bei
kostenaufwändiger Ernährung aus medizinischen Gründen) sind in § 21 SGB II vorgesehen. Sie
machen einen Prozentsatz des Regelsatzes der Stufe 1 aus; der tatsächliche Bedarf ist also eher
nicht entscheidend.
Anrechnung von Einkommen
Bei der Einkommensanrechnung - §§ 11 bis 11 b SGB II - werden grundsätzlich alle Einnahmen in
Geld oder Geldeswert berücksichtigt. Ausgenommen sind bestimmte zweckgebundene
Sozialleistungen wie beispielsweise
71 BVerfG, Beschl.v. 09.02.10 - 1 BvL 1/09, 3 und 4/09 -, Verfassungswidrigkeit der Regelleistungen des SGB II,.
SGB II
217
• Erziehungsgeld,
• Pflegegeld,
• Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz.
Auch andere zweckbestimmte Einnahmen wie vermögenswirksame Leistungen,
Aufwandsentschädigungen usw. werden nicht als Einkommen berücksichtigt.
Vor der Anrechnung von Einkommen erfolgt gem. § 11 b SGB II eine Bereinigung um
• Steuern,
• Sozialversicherungsbeiträge,
• angemessene Beiträge für gesetzlich vorgeschriebene Versicherungen z. B. Kfz-
Haftpflichtversicherung),
• Altersvorsorgeaufwendungen usw.
Diese Beträge kann man auch pauschalieren mit 100 € monatlich, § 11b Abs. 2 S. 1 SGB II.
Für Einkommen aus Erwerbstätigkeit gibt es zusätzlich eine besondere Freibetragsregelung nach §
11b Abs. 3 SGB II. Anrechnungsfrei bleiben:
• 20% des Nettoentgelts bei einem Bruttolohn zwischen 100 € und 1000 €,
• 10% des Nettoentgelts bei dem Teil des Bruttolohns zwischen 1000 € und 1200 € bzw.
1500 €, wenn ein minderjähriges Kind in der Bedarfsgemeinschaft lebt.
Einkommen und Vermögen in einer Partnerschaft/Ehe werden zusammengerechnet.
Anrechnung von Vermögen
Auch das Vermögen wird prinzipiell voll angerechnet, § 12 SGB II.
Als Vermögensfreibeträge gelten:
• Grundfreibetrag: 150 € pro Lebensjahr, mindestens 3100 €. Ferner ist ein Höchstbetrag
zu berücksichtigen, der nach Alter gestaffelt ist, § 12 Abs. 2 S. 2 SGB II.
• Altersvorsorgefreibetrag, Abs. 2 S. 1 Nrn. 2 und 3 SGB II.
• Anschaffungsfreibetrag: 750 €
Diese Freibeträge gelten pro Person.
SGB II
218
Ein sog. Riester-Vertrag wird auf die Freibeträge nicht angerechnet. Entsprechende
Beitragszahlungen sind bis zu den steuerbegünstigten Beträgen frei.
Beiträge zu einer Kapitallebensversicherung sind zusätzlich anrechnungsfrei, wenn eine sog. Hartz-
Klausel vereinbart ist, d.h. die Versicherung vor dem Ruhestand nicht angegriffen werden kann.
Nicht angerechnet werden außerdem
• Hausrat,
• angemessenes Auto,
• angemessener Wohnraum,
• Gegenstände, die Voraussetzung für eine Arbeitsaufnahme sind (Laptop des
Computerspezialisten, Werkzeug eines Handwerkers).
Sanktionen
Das Sanktionssystem des SGB II wurde gegenüber der Arbeitslosenhilfe differenziert und verschärft.
So kann beispielsweise das Arbeitslosengeld II u. a. abgesenkt werden, wenn sich der
Hilfebedürftige weigert, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen oder eine zumutbare
Arbeit anzunehmen72.
72 Im Detail ist dies nur unter strengen Voraussetzungen möglich: BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - : Kein Absenken der Arbeitslosengeld II Leistungen wegen verweigerter Teilnahme an Eingliederungsmaßnahme, NJW 2010, 3115
SGB II
219
TABELLE ZUR BEDARFSBERECHNUNG
SGB II und XII: Bedarfsberechnung, Stand: 01.04.2012
Personen §§
Alleinstehend / Alleinerziehend
Partner ab
Beginn 19. Lj.
Volljährige Angeh.
Jugendl vom 15. bis
Vollendg- 18. Lj.
Kinder ab 7. bis 14. Lj.
Kinder bis zum 6. Lj.
ALG II/Sozialgeld
§§ 19, 20 Abs. 5 SGB II; Anlage § 28 SGB XII
382 € 345 € 306 € 289 € 255 € 224 €
zzgl. Mehrbedarfe
§ 21; x% von 374 €
zzgl. Unterkunft und Heizung
§ 22
Genereller Bedarf
abzgl. Einkommen (brutto)
§ 11
zzgl. Absetzbeträge § 11b:
Abs. 1 S. 1 Nr. 1-3, Abs. 2 Grundfreibetrag: 100 € statt Steuern, Sozialabgaben gem. § 11 Abs. 2
Freibetrag für Arbeitnehmer
Abs. 3 S. 1 Nr. 1 20 % von dem Einkommen zwischen 100 € und 1000 €
Abs. 3 S. 1 Nr. 2 10 % von dem Einkommen zwischen 1000 € und 1200 €; bei mj. Kind: bis zu 1500 €
Unterhaltsverpflichtungen Abs. 1 S. 1 Nr. 7
Betrag bei Ausbildungsförderung Abs. 1 S. 1 Nr. 8
abzgl. Kindergeld
§ 11 Abs. 1 S. 4 K 1: 184 €
K 2: 184 €
K 3: 190 €
K 4: 215 €
K 5: 215 €
abzgl. Vermögen § 12:
Sparvermögen Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 1a, S. 2
Mindestbetrag pro Person: 3100 €; Altersabhängiger Höchstbetrag:, Abs. 2: z.B. 9750 €; 150 € je vollendetem Lj.
Altersvorsorge Abs. 2 S. 1 Nr. 2 u. 3, S. 2
Anschaffungen Abs. 2 S. 1 Nr. 4
Freibetrag pro Person: 750 €
Individueller Bedarf
ohne Bedarfe für Bildung + Teilhabe, § 28
SGB II
220
Lösung für den geschilderten Fall
Frau S. muss sich arbeitslos melden. Sie kann SGB II Leistungen beanspruchen, da sie erwerbsfähig
ist. Unterhaltsansprüche gegen ihren Mann gingen diesen existenzsichernden Leistungen vor, § 9
Abs. 1 SGB II, doch offensichtlich zahlt dieser nicht.
Leistungen anderer Sozialleitungsträger gehen ebenfalls vor und müssen daher auch vorrangig
beantragt werden. Zu denken wäre an einen Unterhaltsvorschuss, den das Jugendamt zahlen
könnte. Der Sohn von Frau S. hat jedoch das hier maßgebliche Alter überschritten, § 1
Unterhaltsvorschussgesetz.
Als erwerbsfähige Deutsche erhält Frau S. den Regelsatz des ALG II für Alleinerziehende in Höhe von
382 € und Sozialgeld für ihren Sohn in Höhe von 289 €. Hinzu kommt die Wohnungsmiete, sofern
die Wohnung angemessen groß ist. Kindergeld und Wohngeld werden jedoch als Einkommen
abgezogen. Aus der Tabelle ergibt sich ein Anspruch auf insgesamt 853 €:
SGB II und XII: Bedarfsberechnung, Stand: 01.01.2013
Personen §§
Frau S. Sohn
Gesamt
ALG II/Sozialgeld
§§ 19, 20 Abs. 5 SGB II; Anlage § 28 SGB XII
382 € 289 €
671 €
zzgl. Mehrbedarfe
§ 21; x% von 374 €
zzgl. Unterkunft und Heizung
§ 22 290 € 290 € 580 €
Genereller Bedarf 1.251 €
abzgl. Einkommen (brutto)
§ 11
abzgl. Kindergeld
§ 11 Abs. 1 S. 4 184 €
- 184 €
abzgl. Wohngeld - 214 €
Individueller Bedarf
ohne Bedarfe für Bildung + Teilhabe, § 28
853 €
SGB II
221
BILDUNGS- UND TEILHABEPAKET
Die zum 01.01.2011 neu eingeführten Leistungen für Bildung und Teilhabe dienen dazu, bedürftige
Kinder und Jugendliche besonders zu unterstützen und ihnen eine stärkere Integration in die
Gemeinschaft zu ermöglichen.
Standort des Sozialpädagogen
Sie werden in Ihrer Arbeit häufig mit Familien zu tun haben, die Leistungen nach dem SGB II oder
SGB XII erhalten und Kinder haben. Mehreren Familien fehlen die Informationen über die
Möglichkeiten die das Bildungs- und Teilhabepaket anbietet, sowie auch die bürokratischen Abläufe
von Antragstellung bis hin zu Leistungserhaltung. Deshalb sollten Sie sich mit den Bildungs- und
Leistungspaket auskennen.
Die Leistungen (gemäß §28 SGB II)73
• eintägige Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten
Die Kosten für eintägige Ausflüge und mehrtägige Fahrten werden für Schüler und Kinder in
Kindertagesstätten übernommen, wenn sie rechtzeitig (im Regelfall vor der Fahrt) beantragt
werden. Bei Fahrten bzw. Ausflügen von Schulen müssen außerdem die schulrechtlichen
Bestimmungen eingehalten werden. Die Kosten werden unmittelbar an den Veranstalter gezahlt,
also im Regelfall an die Schule bzw. die Kindertagesstätte. Berücksichtigt werden können nur die
Kosten für die Fahrt selbst; Taschengeld und Kosten für Ausrüstungs- oder Bekleidungsgegenstände
werden nicht übernommen.
• persönlichen Schulbedarf
Schüler erhalten jeweils zu Beginn des 1. Schulhalbjahres pauschal 70 € und zu Beginn des 2.
Schulhalbjahres 30 € zur Anschaffung von Gegenständen, die für den Schulbesuch benötigt werden.
Hierzu gehören Schulranzen, Sportzeug sowie für den persönlichen Ge- und Verbrauch bestimmte
Materialien, wie Schreib-, Rechen-, Zeichen- und Bastelutensilien. Schüler in Leistungsbezug nach
SGB II oder SGB XII erhalten die Leistungen automatisch; Kinderzuschlags- oder
Wohngeldempfänger müssen einen Antrag stellen.
73 http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__28.html
SGB II
222
• Schülerbeförderung
Schülerbeförderungskosten zur nächstgelegenen Schule werden übernommen, soweit sie nicht von
Dritten getragen werden und es nicht zumutbar ist, sie aus dem Regelbedarf zu bestreiten. In
Nordrhein-Westfalen erfolgt die Übernahme der Schülerbeförderungskosten vorrangig durch die
Schulträger nach der Schülerfahrkostenverordnung. Hierüber ist sichergestellt, dass die Fahrkosten
für alle Schüler im notwendigen Umfang übernommen werden. Zu zahlende Eigenanteile liegen im
Regelfall unter dem dafür vorgesehenen Anteil des Regelsatzes und sind daher selbst zu tragen.
• Lernförderung
Die Kosten für eine individuelle Lernförderung werden übernommen, wenn die schulischen
Förderangebote nicht ausreichen, und die Lernförderung erforderlich ist, um die Versetzung bzw. in
Abschlussklassen den Schulabschluss zu erreichen. Nicht förderungsfähig ist Lernförderung, die der
Verbesserung des Leistungsniveaus oder einer höherwertigen Schulartempfehlung dient. Die für die
Lernförderung ausgewählte Person bzw. Institution sowie die entstehenden Kosten sind im Antrag
anzugeben. Grundsätzlich ist Lernförderung durch Privatpersonen (ältere Mitschüler, Studenten,
Lehrer) ausreichend. Die Erforderlichkeit der Lernförderung ist durch die Schule zu bestätigen. Die
Auszahlung der Leistung erfolgt an den Anbieter.
• Teilnahme an gemeinschaftlicher Mittagsverpflegung
Für die Teilnahme an einer gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung werden für Schüler, Kinder in
Kindertageseinrichtungen oder in Kindertagespflege entstehende Mehraufwendungen anerkannt.
Mehraufwendungen sind dabei die Kosten, die den im Regelbedarf bereits enthaltenen Anteil für ein
Mittagessen von 1 € pro Tag überschreiten. Voraussetzung für die Übernahme der
Mehraufwendungen ist, dass die Mittagsverpflegung gemeinschaftlich eingenommen wird. Bei
Schülern ist außerdem erforderlich, dass das Essen in schulischer Verantwortung angeboten wird.
Die Leistungen werden unmittelbar an den Anbieter der Mittagsverpflegung gezahlt. Der
Eigenanteil von 1 € pro Essen ist für jedes Kind selbst an den Essensanbieter zu zahlen.
• Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft
Zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft wird für Kinder und
Jugendliche unter 18 Jahren ein Bedarf von 10 € monatlich berücksichtigt für
• Mitgliedsbeiträge in den Bereichen Sport, Kultur und Geselligkeit
SGB II
223
• Unterricht in künstlerischen Fächern und vergleichbare angeleitete Aktivitäten der
kulturellen Bildung und
• Teilhabe an Freizeiten
Voraussetzung für die Anerkennung ist, dass die Aktivitäten gemeinschaftlichen Charakter haben;
individuelle Freizeitgestaltungen sind nicht förderungsfähig.
Anspruchsberechtigte
• Leistungsempfänger nach dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende)
• Leistungsempfänger nach dem SGB XII (Sozialhilfe),
• Kinderzuschlags- oder Wohngeldempfänger
Die Leistungen sind im Regelfall gesondert zu beantragen. Zuständige Stellen sind für
Leistungsempfänger nach dem SGB II das Jobcenter, für Leistungsempfänger nach dem SGB XII
(Sozialhilfe), für Kinderzuschlags- oder Wohngeldempfänger die jeweilige Stadt- oder
Gemeindeverwaltung.
Die Leistungen werden unmittelbar an den Leistungsanbieter gezahlt. Fallen Beträge monatlich an,
wie z.B. Mitgliedsbeiträge, können die Leistungen auf Wunsch für den gesamten
Bewilligungszeitraum, im Regelfall für 6 Monate, im Voraus erbracht werden.“74 Die Anträge sind
u.a. auch im Internet zu finden.75
GRUNDSICHERUNG IM ALTER UND ÜBRIGE SOZIALHILFE
74http://www.staedteregion-aachen.de/wps/portal/internet/home/service/aemter/a50/!ut/p/c5/04_SB8K8xLLM9MSSzPy8xBz9CP0os_gADxNHQ09_A0sLYzdHA08LC7cA70BTIzNDc_1wkA6cKkwMTCDyBjiAo4F-cEqqfqR-lDlOWzxM9cPy8otyga4J0Y900vfzyM9N1S_Izk5zcbNwBADwCjz2/dl3/d3/L2dBISEvZ0FBIS9nQSEh/
75 http://www.jobcenter-staedteregion-aachen.de/leistungen/bildung-und-teilhabe.html
SGB II
224
Für dieses Rechtsgebiet ist ein eigenes Skript in Bearbeitung. Fälle hierzu gibt es in der
Vorlesungsunterlage SGB II und Sozialhilfe.
ASYLBEWERBERLEISTUNGEN
Asylbewerberleistungen beziehen gem. § 1 AsylbLG Ausländer, die
• sich im Bundesgebiet aufhalten und zur Durchführung eines Asylverfahrens eine
Aufenthaltsgestattung besitzen,
• eine bestimmte Aufenthaltserlaubnis nach dem AufenthG besitzen (§§ 23 Abs. 1, 24 oder
25 Abs. 4 oder 5 AufenthG),
• eine Duldung besitzen,
• vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn die Abschiebungsandrohung noch nicht
oder nicht mehr vollziehbar ist,
• Ehegatten oder minderjährige Kinder der o.a. Ausländer,
• einen Folge- oder Zweitantrag nach dem AsylVfG gestellt haben.
Der Bezug von Asylbewerberleistungen ist auf 36 Monate beschränkt. Danach erhalten die
Ausländer Sozialhilfeleistungen gem. § 2 AsylbLG.
Die Asylbewerberleistungen liegen deutlich unter dem Sozialhilfeniveau76. Auch die medizinische
Versorgung ist auf ein Minimum beschränkt.
76 BSG, Urteil v. 17.06.2008 B8/9b AY 1/07 R, Anspruch auf höhere Asylbewerberleistungen,.
Stichwortverzeichnis
225
STICHWORTVERZEICHNIS
Abschiebung 61, 123, 124, 151, 152 Abteilungsleiter 75 Abwägung 66, 101 Abwehranspruch 51, 118 Abwehrrechte 53, 117 Agentur für Arbeit 182, 184, 185, 186, 187,
188, 189 Akteneinsicht 49, 105, 106, 118 Akteneinsichtsrecht 33, 85, 105, 106 Allgemeinverfügung 88 Altenwohnung 168 Altersgrenze 178, 179 Altersruhegeld 179 Altersteilzeitgesetz 182, 188 Ämter 76 Amtsgericht 83 Amtshilfe 97, 99 Amtsleiter 75, 76, 78 Anfechtungsklage 90, 91 Anfechtungssituation 49, 52, 122, 123, 127 Angehörige 103 Angemessenheit 66, 99 Anhörung 88, 97, 98, 106, 107, 156, 162 Anordnung der aufschiebenden Wirkung 122,
125 Anspruch 50, 62, 64, 65, 67, 68, 77, 85, 93, 94,
96, 102, 103, 106, 117, 118, 119 Anspruchsgrundlage 42, 68, 102 Anspruchsübergang 207 Anspruchsvoraussetzungen 96, 109 Anstalten 72, 74 Antrag 83, 94, 95, 96, 97, 108, 111, 116 Antragsprinzip 95 Antragstellung 95, 96 Anwaltszwang 120 Anwartschaftszeit 187 Arbeitgeber 41, 60, 69, 97, 100 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz 182 Arbeitsbeschaffungsmaßnahme 186 Arbeitsförderung 38, 180, 182 Arbeitsgemeinschaft 214 Arbeitslos 187 Arbeitslosengeld 95, 100, 111, 181, 182, 185,
186, 187, 188, 189, 213, 214, 216, 219 Arbeitslosengeld II 181, 213, 214, 216, 219 Arbeitslosenversicherung 69, 181, 187 Arbeitsunfall 190 Arbeitsvermittlung 181, 183
Asylbewerberleistungen 222 AsylVfG 150, 152 aufenthaltsbeendende Maßnahmen 124 Aufenthaltsbestimmung 156 Aufenthaltserlaubnis 21, 149, 150, 151, 152,
153 Aufenthaltsgesetz 150, 154 AufenthG 21, 146, 149, 150, 151, 152, 154 Aufgabenkreis 146, 157 Aufgabenkreise 156, 157 Aufklärungspflicht 96 aufschiebende Wirkung 122, 123, 124 Auftragsangelegenheiten 78, 79 Aufwendungen 158, 198 Ausbildung 135, 184, 188 Ausbildungsförderung 38 Auskünfte 97, 98 Auskunftspflicht 97 Ausländeramt 146, 149, 154 Ausländerrecht 149, 150 Aussage 98, 99, 100 Aussageverweigerungsrecht 100 Außenwirkung 89 Auswahlermessen 114, 147 BAföG 41, 69, 79, 118 Bauordnung 146 Bedürftigkeit 42, 50, 69, 88, 94, 95, 110 Beendigungsfunktion 91 Befangenheit 104 Behandlung 134, 135, 136, 168, 169 Behandlungspflege 164, 169, 174 Behindertenrecht 60 Behinderung 87, 99 Behörde 30, 35, 40, 49, 50, 51, 59, 66, 77, 83,
84, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 119
Beigeordneten 75, 76 Beistand 105 Bekanntgabe 107 belastende Maßnahme 50, 51 belastende Maßnahmen 25, 67 Beliehene 73 Bemessungsentgelt 188 Beratung 130, 134, 135, 181, 183 Beratungshilfe 70 Beratungspflicht 95, 96
Stichwortverzeichnis
226
Berufsausbildungsbeihilfe 181, 184, 186 Berufskrankheit 190 Berufsrecht 129, 132 Berufsunfähigkeit 96, 98, 99, 178, 179 Berufung 122 Berufungsinstanz 67 Bescheid 35, 77, 83, 85, 109 Beschwerde 157, 162 Bestandskraft 90, 107 Bestandskraftfunktion 91 bestandskräftig 120, 122 Bestimmtheitsgrundsatz 66 Beteiligte 103, 105 Betreuer 140, 145, 146, 155, 156, 157, 158,
159, 161, 162 Betreuervergütungen 158 Betreuung 55, 156, 157, 158, 181 Betreuungsrecht 154, 155 Betreuungstestament 157 Betriebsverhältnis 89 Beurteilungsspielraum 111, 112, 113, 114 Bevollmächtigten 105 Beweismittel 97, 98, 100, 101 Bewertungsmaßstäbe 112, 113 Budgetierung 77 Bundesagentur für Arbeit 181, 182, 183, 186,
214 Bundesbehörden 71 Bundesgesetze 29, 71 Bundesregierung 71 Bundessozialgericht 67 Bundesverfassungsgericht 63, 64 Bundesversicherungsanstalt für Angestellte
177, 178 Bundesverwaltungsgericht 36, 66, 67 Bürgerliches Recht 24 Bürgermeister 75, 77 Controlling 77 Daseinsvorsorge 71 Datenschutz 129 Datenschutzregelungen 64 Dienstaufsicht 74 Dienstleistung 77 Dienstvorgesetzten 75, 104 Diskriminierung 59, 85 Diskriminierungsverbot 59, 85 Disziplinarmaßnahme 89 Ehe und Familie 60 eidesstattliche Versicherungen 103 Eigenständiges Aufenthaltsrecht 151 Eilverfahren 122, 123, 124, 125, 126
Einbürgerung 152 Eingliederungszuschuss 186 Eingriffsgrundlage 51, 67 Eingriffsverwaltung 140, 142, 149, 154 Einkommen 175, 177, 183, 187, 215, 217,
218 einstweilige Anordnung 125, 162 einstweiligen Anordnung 105 Einwilligung 130, 156 Einwilligungsvorbehalt 156, 157 Einzelfall 79, 85, 88, 91, 109 Elterngeld 200, 201, 202, 203, 204 Elternrechte 61 Elternzeit 200, 201, 202, 203 Entschädigungsprinzip 42 Entscheidungsfindung 61, 97, 99, 103, 111 Entschließungsermessen 114, 147 Erforderlichkeit 63, 66 Ermächtigungsgrundlage 58, 59, 63, 67, 116,
118, 143, 144, 149 Ermächtigungsgrundlagen 141, 143, 145 Ermessen 59, 94, 114, 115, 116, 117, 141,
146, 147 Ermessensentscheidung 93, 115, 117, 119 Ermessensentscheidungen 111, 114, 115,
119 Ermessensfehler 115, 119 Ermessensfehlgebrauch 115, 116 Ermessensreduzierung auf Null 115, 117, 119 Ermessensspielraum 95, 115, 116 Ermessensüberschreitung 115, 116, 117 Ermessensunterschreitung 115, 116, 117 Erwerbsfähig 215 Erwerbsfähigkeit 177, 190, 213 Erwerbsminderung 178, 179 Erwerbsunfähigkeit 96, 98, 99, 178, 179 Erwerbsunfähigkeitsrente 96, 102 Erziehungsgeld 39, 41, 200, 202, 217 Europarecht 28, 32 Exekutive 33, 65, 68 Existenzgründerzuschuss 186 Fachaufsicht 50, 74, 80 Fachbereich 72, 76 Familienkasse 211 Familiennachzug 149 Familienrecht 62, 64 Familientherapie 134 Familienversicherung 167 Firewall-Prinzip 64 Förderungsprinzip 41 Form 24, 69, 79, 83, 84, 88, 104, 109, 114
Stichwortverzeichnis
227
freie Entfaltung 51, 55, 89 Freiheit 55, 58, 59 Freiheitsentziehung 160, 161 Freiheitsrechte 55, 56 Freiheitsstrafe 24 Frist 96, 101 Fristen 94, 107 Fristversäumnisse 108 Gaststättengesetz 146 Gebietskörperschaft 72, 74, 77 Geeignetheit 66, 98 Gefahr 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147,
148, 156, 161, 162 Gefahr im Verzug 107 Gefahrenabwehr 79, 140, 141, 143, 144, 145,
146 Geheimnis 130 Geheimnisse 76, 100, 106 Gemeinde 74, 75, 77, 78, 79, 84, 95 Gemeindeautonomie 74, 79 Gemeinden 29, 72, 73, 74, 75, 79 Gemeindeverwaltung 75 Geringfügige Beschäftigungen 167 Geschäfte der laufenden Verwaltung 78 Geschäftsfähigkeit 155, 156 Gesetzesvorbehalt 67, 118 Gesetzesvorrang 67 Gesetzgeber 29, 33, 60, 68 Gesetzgebung 29, 56, 62, 65, 71 Gesetzgebungsverfahren 29 gesetzlichen Krankenversicherung 38 Gesprächstherapie 134, 135 Gestalttherapie 134, 135 Gesundheitsfürsorge 156 Gewaltenteilung 65 Gewaltmonopol 24 Gewerbeordnung 146 Gewohnheitsrecht 29, 30 Glaubhaftmachung 103 Gleichbehandlungsgrundsatz 59, 112, 113 Gleichberechtigung 60 Gleichheitsgrundsatz 116 Gleichheitsrechte 59 Gleichstellung behinderter Menschen 193,
197 Gleichstellungsgesetze 60 Grundgesetz 25, 28, 33, 51, 53, 55, 63, 84 Grundpflege 168, 169, 174 Grundrecht 36, 63, 99 Grundrechte 25, 28, 33, 35, 53, 54, 60, 65,
116, 118, 140, 142, 145, 148
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 56, 58, 85, 98, 112, 113, 118
Grundsicherung 36 Grundverhältnis 89 Handeln mit Gestaltungsfunktionen 84 Handlungsspielraum 59, 94, 110, 111 Harz IV Gesetz 181, 213 Hauptsacheverfahren 120, 123 Hausbesuch 62, 100, 101 Häusliche Krankenpflege 168, 169 hauswirtschaftliche Versorgung 169, 172,
174 Heilkunde 134, 135, 136 Heilkundliche Tätigkeit 134 Heilpraktikererlaubnis 135, 136 Heilung 102 Heimkosten 175 Hilfe zur Erziehung 50, 61, 94, 106, 116, 118 Hinterbliebenenrente 178, 190 hoheitliche Handeln 83, 84 Hoheitliche Maßnahme 86 hoheitliches Handeln 83, 85, 86, 87, 91, 92 Inaugenscheinnahme 97, 100 informationelle Selbstbestimmung 63, 64 Insolvenzgeld 182, 188 Instanzenzug 67 Institutsgarantie 60, 61 Integrationsamt 193 Intimsphäre 63, 64, 99 Investitionskosten 175 Jahresarbeitsentgeltgrenze 167, 178, 183 JGG 24 Judikative 65, 68, 71 Jugendamt 61, 75, 76, 77, 78, 88, 94, 106, 115,
116 Jugendgerichtsgesetz 24 Jugendhilfe 50, 77, 78, 118, 119 Jugendhilfeausschuss 77, 78 juristischen Personen des öffentlichen Rechts
71, 73 kassenärztlichen Vereinigung 168 Kinder- und Jugendhilfe 36, 39, 41, 73, 76, 93,
94 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut
135 Kinderbetreuungskosten 185, 186 Kindergeld 39, 41, 95, 180, 206, 208, 209,
210, 211, 213, 219 Kinderzuschlag 211 Klage 107, 108, 120, 122, 126 Klagefrist 108, 120
Stichwortverzeichnis
228
Knappschaftsversicherung 178 Kommunalaufsicht 72, 74, 78 kommunalen Gemeinschaftsstelle für
Verwaltungsvereinfachung 76 Kommunalverwaltung 75, 76 Kommune 35, 67, 76, 77, 85, 87 Konkretisierungsfunktion 91 Konkurrierende Gesetzgebung 29 Körperschaften 72, 74 Krankengeld 177, 192 Krankenkassenvertrag 168 Krankenversicherung 40, 41, 69, 93, 164,
165, 166, 168 Kreise 72 kreisfreien Stadt 72 Kurzarbeitergeld 182, 186, 187 Kurzzeitpflege 174 Länderverfassungen 28, 33 Landesbehörden 71, 72 Landesgesetz 29 Landesgesetze 79 Landesmittelbehörden 72 Landespflegegesetz 175 Landessozialgericht 67 Landesversicherungsanstalten 177, 178 Landesverwaltung 71, 72 Landgericht 83 Landkreis 74, 87 Landkreise 29, 72, 73 Landrat 72, 77 Lebensunterhalt 21, 150, 181, 184, 185, 200,
215 Legaldefinition 86 Legalitätsprinzip 95 Legislative 65, 68, 71 Lehrgangskosten 181, 184, 185 Leistungen zur Teilhabe 190, 191, 192, 193,
194, 196 Leistungsanspruch 50 Leistungsbescheid 109 Leistungsentgelt 188 Leistungsrechte 53, 117 Leistungsträger 87, 93, 94, 95, 104, 116 Leistungsverwaltung 149, 164, 198 materielle Rechtmäßigkeit 143 Medizinische Reha 177 Medizinische Rehabilitation 190, 192 Mehrbedarfe 216 Menschenwürde 54 Ministerien 29, 71 Mitgliedschaft 166, 167
Mitwirkungspflichten 98, 101 mündliche Verhandlung 124, 125 Mutterschaftsgeld 168 Nichtförmlichkeit 104 Nichtigkeit 104 Nichtstörer 144 Niederlassungserlaubnis 21, 149, 150, 151,
152, 153 Oberbürgermeister 72 Oberverwaltungsgericht 36, 67 Offensichtlichkeit 113 Öffentliche Recht 25 öffentliche Sicherheit und Ordnung 63, 87 öffentliche Verwaltung 71 öffentlichen Sicherheit 143, 144, 148, 151 öffentlicher Ordnung 147 öffentliches Interesse 111 Opferentschädigung 212 Opportunitätsprinzip 94, 95 Ordnungsamt 144, 146, 161 Ordnungsbehörden 58, 79, 141, 144, 145,
146, 147 Ordnungsbehördengesetz 145, 146, 148 Ordnungsgeld 100 Ordnungsrecht 145, 146, 147 Organ 72, 75, 77 Organisationsaufbau 74, 75 Organisationsmanagement 74 Ortstermin 100 Personalkörperschaft 72 Personalverwaltung 74 Persönlichkeitsrecht 63 Pflege 156 Pflegebedürftigkeit 172 Pflegebedürftigkeitsrichtlinien 171 Pflegedienst 166, 170, 176 Pflegegeld 174, 217 Pflegeheim 154, 160, 161, 163, 164, 168, 175 Pflegekassen 171, 176 Pflegesachleistung 173, 174 Pflegeversicherung 37, 38, 40, 41, 69, 87, 164,
170, 171, 172, 174, 175 Pflegewohngeld 29, 170, 175, 200 Pflegschaft 154 Pflichtaufgaben nach Weisung 78, 79, 80 Pflichtmitglied 166 Polizei- und Ordnungsrecht 35, 87 Polizeigesetz 141 polizeiliche Generalklausel 141, 143 Polizeirecht 140, 142, 144, 145, 147 Polizeiverfügung 144
Stichwortverzeichnis
229
Privatrecht 24, 25, 83, 84, 85 privatrechtliches Handeln 84 Privatsphäre 62, 63, 64, 105 Prozesskostenhilfe 70, 120 PsychKG 146, 161, 162 Psychodrama 135 Psychotherapeutengesetz 135, 136 Psychotherapie 134, 135, 136, 161 Rahmenvereinbarungen 171, 176 Rat 67, 75, 77 Recht auf freie Entfaltung seiner
Persönlichkeit 51 Recht auf Leben und körperliche
Unversehrtheit 55, 57 Rechtfertigungsgrundlage 51 rechtliches Gehör 67, 85 Rechtmäßigkeit 49, 74 Rechtmäßigkeitsprüfung 35, 90 Rechtsanwalt 67, 105, 120 Rechtsanwendung 40, 48, 49, 50, 109, 110,
111, 119 Rechtsaufsicht 50, 71, 74, 78, 79, 80 Rechtsberatung 132 Rechtsberatungsgesetz 129 Rechtsfolge 83, 84, 85, 87, 88, 89, 90, 92, 109 Rechtsfolgenseite 110, 111 Rechtsgrundlage 50, 59, 61, 87 rechtskräftig 122 Rechtsmittel 24 Rechtsmittelbelehrung 107, 108 Rechtsnorm 51, 56, 57, 83, 85, 109, 111, 114,
115, 118, 119 Rechtsnormen 24, 25, 29, 32, 48, 50, 56, 67,
90, 92, 111, 115 Rechtsordnung 24, 25, 30, 35, 49, 50, 53, 54,
56, 67, 90, 91, 114, 118 Rechtspfleger 155, 158 Rechtsprechung 65, 99, 101, 112 Rechtsquellen 28, 39, 51 Rechtsschutz 67, 147 Rechtsschutzmöglichkeiten 40 Rechtsstaatsprinzip 26, 28, 33, 53, 65, 66, 70,
84, 85 Rechtsverordnung 29, 56, 79 Rechtsverordnungen 29 Rechtsvorschrift 98 Rechtsweg 25, 67, 83 Rechtswidrigkeit 90, 102, 104, 107, 113 Regelbetrag 205 Regelung 30, 66, 85, 86, 87, 88, 92, 93, 94,
119
Regierungspräsidium 72 Rehabilitation 170, 186, 191 Rehabilitation und Teilhabe behinderter
Menschen 36 Rehabilitationsträger 186, 194, 196 Rentenversicherung 21, 36, 39, 40, 41, 69, 93,
150, 177, 178, 179, 188, 213 Revisionsinstanz 67 Richter 155, 162 Richtlinien 32, 65 Riester-Rente 177 Rückforderung 99, 106 Rücknahme 109 Rückwirkungsverbot 65 Sachfremde Erwägungen 114 Sachleistungsprinzip 167 Sachverhalt 88, 97, 100, 102, 104, 109, 113,
116 Sachverhaltsaufklärung 99, 100, 102, 116 Sachverhaltsermittlung 33, 49, 97, 101, 102,
112 Sachverständige 99, 100, 101, 102, 103 Sachverständigengutachten 97, 99 Satzungen 29 Schweigepflicht 98, 101, 129, 130 Schwerbehinderten 191, 193, 194 Schwerbehindertenrecht 197 Selbstbestimmungsrecht 63, 98 Selbstverwaltungsangelegenheiten 72 Selbstverwaltungsaufgaben 78, 79 Sicherungspflege 169, 174 Sonderrechtstheorie 25 Sonderrechtsverhältnis 89 Sonderstatusverhältnis 89 Sozialamt 60, 62, 75, 76, 102, 116 Sozialarbeiter 61, 76, 78, 100, 105 Sozialdaten 63, 76 Sozialdatenschutz 40, 76, 97, 101, 105 Sozialgeld 214, 216, 217 Sozialgericht 50, 67, 83, 90, 105, 112 Sozialgerichte 166, 172, 178, 182, 214 Sozialgesetzbuch II 213 Sozialgesetzbuch III 182 Sozialgesetzbuch IX 191, 193, 197 Sozialgesetzbuch V 166 Sozialgesetzbuch VI 177 Sozialgesetzbuch XI 171 Sozialgesetze 29, 42, 70, 71, 96 Sozialgesetzgebung 68
Stichwortverzeichnis
230
Sozialhilfe 27, 30, 36, 37, 39, 42, 49, 51, 62, 69, 79, 85, 87, 88, 92, 93, 94, 95, 96, 99, 100, 110, 115, 168, 170, 175, 213, 215
Sozialleistungen 29, 41, 54, 57, 94, 104, 106 Sozialpädagoge 61, 76 Sozialrecht 27, 28, 29, 30, 35, 36, 40, 50, 57,
85, 87, 88, 91, 92 Sozialstaatsprinzip 26, 28, 33, 53, 67, 68, 69,
70, 96 Sozialversicherungsträger 164 Sozialverwaltungsverfahren 35, 40, 105, 109 Sperrfrist 188 Sprache 96 Staatsangehörigkeitsgesetz 150 Staatsanwaltschaft 136, 140 Staatszielbestimmung 68 Sterbegeld 190 Stiftungen 72, 74, 84 Stimmrecht 75 Störung 143, 144, 147, 148 Strafgesetzbuch 24 Strafprozessordnung 24 Strafrecht 24 Straftat 42 Straftatbestände 24 subjektives Recht 50, 51, 117, 119 Subjektiv-öffentliches Recht 117 Subjektstheorie 87 Subordinationstheorie 25, 86, 87 Tatbestand 55, 58, 65, 96 Tatbestandsseite 111 Teilhabe 177, 182, 186 Teilhabe am Arbeitsleben 192, 196, 197 Teilzeitbeschäftigungen 219 Titelfunktion 91 Träger der freien Jugendhilfe 78 Träger der öffentlichen Verwaltung 71, 72 Träger hoheitlicher Gewalt 87 Türkei 153 Über- und Unterordnung 25 Über- und Unterordnungsverhältnis 86 Überbrückungsgeld 182, 186, 192 Übergangsbeihilfe 181, 185 Übergangsgeld 178, 186, 187, 190, 192, 193 Übersetzung 96 unbestimmten Rechtsbegriff 111 unbestimmten Rechtsbegriffen 111, 112 Unfallversicherung 27, 36, 39, 40, 41, 69, 95,
99, 168, 179, 190 Unmittelbare Außenorientierung 89 unmittelbare Verwaltung 71, 74
Unterbringung 160, 161, 162, 163 Unterhaltsgeld 181, 184, 185, 186, 187 Unterhaltssichernde und andere ergänzende
Leistungen 192 Unterhaltsvorschussgesetz 204, 205, 206 Untersuchungsgrundsatz 97 Unverletzlichkeit der Wohnung 62 Urkunden 101 Urkundsbeweis 97, 101 Urteil 67, 91, 109, 122 Verfahrensbeschleunigung 104 Verfahrensfehler 96, 97 Verfahrensgesetz 34, 91, 92 Verfahrensgesetze 91 Verfahrenshandlung 106 Verfahrenskosten 158 Verfahrenspfleger 155, 157, 162 Verfahrensrecht 24, 25, 35, 105 Verfahrensrechte 33, 92, 105 Verfassungsbeschwerde 35, 36 Verfassungsprinzip 25 Verfassungsrecht 28, 33 Verfügbarkeit 187 Vergütung 158, 168, 169, 176 Verhaltensstörer 144, 145, 148 Verhaltensstörungen 135 Verhältnismäßigkeit 141, 145, 146 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 51, 56, 57,
63, 65, 101, 116, 117 Verletztengeld 190, 192 Verletztenrente 190 Vermeidungspflege 169 Vermögen 143, 156, 158, 189, 215, 218 Vermögensfreibeträge 218 Vermögensverwaltung 156 Verordnung 32 Verpflichtungsklage 90, 91 Verpflichtungssituation 125, 127 Verschwiegenheit 130, 131 Verschwiegenheitsverpflichtung 100 Versorgungsamt 168, 193 Versorgungsleistungen bei
Gesundheitsschäden 39 Versorgungswerke 178 Vertrag 33, 56, 83, 97, 105 Vertragsarzt 168 Vertretungskörperschaft 78 Verwaltungsakt 35, 36, 57, 66, 77, 83, 85, 86,
87, 88, 89, 90, 91, 97, 102, 105, 106, 107, 109
Stichwortverzeichnis
231
Verwaltungsgericht 25, 36, 50, 67, 83, 90, 100, 105, 112, 141, 146, 148, 152
Verwaltungsgerichte 178 Verwaltungsgerichtsprozess 120 Verwaltungshandeln 35, 49, 72, 85, 92 Verwaltungshelfer 73 Verwaltungsmanagement 77 Verwaltungsprivatrecht 84, 91 Verwaltungsprozessrecht 35 Verwaltungsrecht 2, 25, 33, 35, 64, 72, 83, 90 Verwaltungsrechtsweg 36 Verwaltungsverfahren 35, 67, 91, 92, 94, 95,
97, 100, 104, 105, 106, 107, 109, 114, 118 Verwaltungsverfahrensgesetz 35 Verwaltungsvollstreckung 91, 107, 109 Verwaltungsvorschriften 30, 51, 79 Vollstreckungstitel 90, 91 Vorbeschäftigungszeit 184, 185 vorläufige Regelungen 126 Vormundschaft 154 Vormundschaftsgericht 155, 156, 157, 158,
161, 162, 163 Vorsorgeprinzip 40, 41, 42 Wächteramt 61
Weisungs- und Kontrollrecht 75 Weisungsrecht 79 Weiterbildung 180, 181, 184, 185, 189 Widerruf 64, 109 Widerspruch 35, 86, 91, 107, 108 Widerspruchsbescheides 107 Widerspruchsfrist 107 Widerspruchsverfahren 40, 90, 107, 109 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 108 Wohngeld 27, 39, 41, 69, 95, 96, 198, 199,
200 Zeugenaussage 100 Zeugenvernehmung 97, 99, 100, 101, 102,
103 Zeugnisverweigerung 131 Zeugnisverweigerungsrecht 100 Zivilrecht 24, 83, 85, 91 Zulassung der Berufung 122 Zuständigkeit 49, 92, 93 Zuständigkeit der Rehabilitationsträger 196 Zustandsstörer 144 Zwangsmaßnahmen 40, 91, 94, 109 Zwangsmittel 100 Zweckmäßigkeit 74, 80