Impressum: Der Oberbürgermeister der Bundesstadt Bonn, Stadtarchiv/Presseamt
Zeitfenster November 2016:
Die ersten Straßenbahnfahrerinnen in Bonn vor 100 Jahren
Vor fast genau 100 Jahren, im Oktober 1916, übernahmen erstmals Frauen als Fahrerinnen
das Steuer bei den Bonner Straßenbahnen. Dass dieser ‚Fahrerwechsel‘ für die Bonner
Betriebsdirektion durchaus kein freiwilliger Schritt war und zudem bei der männlichen
Belegschaft nicht durchweg auf Gegenliebe stieß, bezeugen im Stadtarchiv verwahrte Akten
der städtischen Straßenbahnverwaltung.
Im Verlauf des Ersten Weltkriegs war nahezu das gesamte
Fahrpersonal der Bonner Bahnen eingezogen worden, selbst
männliches Ersatzpersonal stand kaum noch zur Verfügung.
Um den Betrieb weiterhin aufrecht zu erhalten sah sich die
Straßenbahndirektion gezwungen, Frauen einzustellen. So
waren bereits seit März 1915 die ersten Schaffnerinnen auf
den Wagen im Einsatz und ersetzten dort zunehmend das
männliche Personal. Dass sie den Schaffnerdienst nunmehr
mit ihren neuen weiblichen Kolleginnen zu teilen hatten, stieß
nicht bei allen Mitarbeitern auf Zustimmung. In einem Fall
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hatte sich sogar ein Schaffner geweigert, die Frauen der eingezogenen Kollegen an seinem
Wagen auszubilden.
Als die Kölner Aufsichtsbehörde – die Königlich-Preußische Eisenbahndirektion – gegen
Jahresende 1915 schließlich nahelegte, Frauen auch als Fahrerinnen für die Straßenbahnen
auszubilden, lehnte dies die Bonner Betriebsleitung in Person des Direktors Sattler zunächst
ab. In einem Schreiben an den Bonner Oberbürgermeister berief er sich auf die seiner Ansicht
nach allgemein mangelnde Eignung von Frauen für den Fahrerdienst – schon ihre
Beschäftigung als Schaffnerinnen sei zumeist „nicht voll zufriedenstellend“. So habe man
„[b]ei den meisten Frauen … – abgesehen von teilweise großer Unpünktlichkeit u. dergl. –
immer mit Nachlässigkeiten in der Ausübung des Dienstes zu kämpfen (z.B. zu frühes
Abschellen an den Haltestellen, Durchfahren an Haltestellen, an denen Fahrgäste aussteigen
wollen u.s.w.). Die Frauen sind sich häufig der Verantwortlichkeit ihres Dienstes nicht recht
bewußt. Solche Unsicherheiten im Betriebe werden aber gewiß erhöht, wenn der Frau
die Führung eines Wagens u. gleichzeitig einer anderen der Schaffnerdienste anvertraut
wird. In den wenigsten Fällen wird eine Frau als Fahrerin im Augenblicke einer Gefahr
sich richtig zu benehmen wissen; in den meisten Fällen ist zu befürchten, daß sie durch
verkehrte Maßnahmen eine Gefahr nicht wird abwenden können. Ich würde deshalb
Bedenken tragen, einer Frau – mag sie zunächst auch geeignet erscheinen – die Führung
eines Wagens zu überlassen.“
Drohende größere Betriebseinschränkungen
infolge des nunmehr zunehmend einberufenen
Fahrpersonals ließen derartige Bedenken
allerdings nur anderthalb Monate
später zur Makulatur werden. Mitte Januar 1916
beantragte die Bonner Betriebsdirektion
die „Einstellung von weiblichem Personal als
Fahrerinnen“. Erst sieben Monate später meldete
dieselbe, dass nunmehr bei den städtischen
Straßenbahnen Bonn sowie bei der Straßenbahn
Bonn-Godesberg-Mehlem „Frauen als
Wagenführerinnen der Triebwagen“ ab einem
Mindestalter von 21 Jahren eingestellt würden. Am 1. Oktober 1916 nahmen dann schließlich
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die ersten Fahrerinnen ihren Dienst auf. Ohne sie – immerhin fast 50 waren es Anfang 1918 –
wäre eine Aufrechterhaltung des Fahrbetriebs kaum möglich gewesen.
Gleichwohl: Nach Kriegsende –
zu diesem Zeitpunkt bestand mehr
als die Hälfte des gesamten
Bonner Straßenbahnpersonals aus
Frauen – wurden Fahrerinnen und
Schaffnerinnen sukzessive
entlassen, um, wie es hieß,
Arbeitsplätze für die von der
Front zurückkehrenden
Angestellten freizumachen.
Ähnlich verhielt es sich auch in anderen Arbeitsbereichen, in die Frauen während des Kriegs
erstmals in großer Zahl – etwa als Briefträgerinnen, Kellnerinnen, Verwaltungsgehilfinnen
oder Munitionsarbeiterinnen – vorgedrungen waren.
1943 waren die Bonner Straßenbahnen erneut wegen kriegsbedingten Personalmangels auf
die Einstellung von Frauen als Fahrerinnen angewiesen – ein Ausnahmezustand von nur
kurzer Dauer, denn nach dem Krieg mussten die Frauen erneut den männlichen Kollegen
weichen. Erst in den 1970er/80er Jahren gingen die ersten großen Straßenbahnbetriebe dazu
über, vereinzelt weibliche Straßenbahnfahrer einzustellen. Was damals noch als wagemutiges
Experiment anmutete, gehört heute längst zum alltäglichen Straßenbild.
Der Thematik des aktuellen Zeitfensters widmet sich – neben anderem – der Beitrag von
Katja Georg, Frauenleben und Frauenarbeit im Kriegsalltag an der „Heimatfront“ der in
Kürze erscheinenden Veröffentlichung „Der Erste Weltkrieg in Bonn. Die Heimatfront
1914 – 1918“ – ein Gemeinschaftsprojekt des Instituts für Geschichtswissenschaft der
Universität Bonn und des Stadtarchivs Bonn (Erscheinungstermin: 7. November 2016).