ein blick nach vorn –das arbeitsfeld der jugendberufshilfe ... · jugendberufshilfe morgen...
TRANSCRIPT
Ein Blick nach vorn – das Arbeitsfeld der Jugendberufshilfe morgen
Fachtagung, Jugendberufshilfe Thüringen e.V., Weimar 6.12.16
Birgit ReißigDeutsches Jugendinstitut
Außenstelle Halle
2
Benachteiligung im Wandel der ZeitBenachteiligung im Wandel der Zeit
l Benachteiligung am Übergang Schule – Beruf spätestens seit der Nachkriegszeit thematisiert => entsprechende Forschung und sozialpolitische Maßnahmen
l Schlagworte von Benachteiligungsaspekten:
l 50er Jahre: eingeschränkte Arbeitsbereitschaft, Arbeitsunwilligkeit
l 60er Jahre: katholisches Arbeitermädchen vom Lande (Dahrendorf)
l 70er Jahre: „Ausbildungsverzicht“
l Ab 70er Jahre: fehlende Leistungsfähigkeit, fehlende Leistungsbereitschaft => fehlende Ausbildungsreife
l „Marktbenachteiligte“ vs. „individuell Benachteiligte“
3
ÜÜbergangswege Schule bergangswege Schule -- BerufBerufAnteile an Jugendlichen zwischen 16 und 20 Jahren im Bildungssystem im Vergleich 1962/2006
0
10
20
30
40
50
60
70
80
1962 2006
erwerbstätig
in Ausbildung
im Bildungssystem
Quelle: Münchmeier , Richard (2008): Jugend im Spiegel der Jugendforschung. S. 20
4
ÜÜbergangswege Schule bergangswege Schule -- BerufBerufZwei Zäsuren in der Bildungs- und Übergangsforschung
l PISA 2000
l Einfluss der sozialen Herkunft auf den Bildungserfolg
l Kaum Informationen über Verlaufswege zwischen Schule und Beruf, vor allem für benachteiligte Jugendliche
l Erster Nationaler Bildungsbericht 2006
l Beginn einer nationalen Bildungsberichterstattung, Trendbeobachtung möglich
l Thematisierung des Übergangssystems als Einmündungsoption für Jugendliche unterhalb der beruflichen Ausbildung
5
Ausbildung
Schule
Berufsvorbereitung
Studium
Sonstiges
ohne Ausbildung/Arbeit
unqualifizierte Arbeit
qualifizierte Arbeit
ÜÜbergangswege Schule bergangswege Schule –– Beruf Beruf
Quelle: DJI-Übergangspanel
6
ÜÜbergangswege Schule bergangswege Schule -- BerufBerufEinflussfaktoren auf die Verlaufstypen
Direkt in Ausbildung
Über Schule in
Ausbildung
Über BV in Ausbildung
Langfristig Schule
Mädchen
Migrationshintergrund
Höchster ISEI
Vater/Mutter
Arbeitslosigkeit der Eltern
Problembelastung (>3)
Gute Schulnoten
Klassenwiederholung/en
Schulschwänzen
Kein Berufswunsch
Unklare berufliche Pläne
7
ÜÜbergangswege Schule bergangswege Schule -- BerufBerufDJI-Übergangspanel hat u.a. gezeigt:
l Erfolgreiche Verläufe benachteiligter Jugendlicher brauchen Zeit
l Angebote des Übergangssystems können Chancen verbessern
l Auch prekäre Wege zeichnen sich ab
l Es bedarf der Betrachtung von Verlaufswegen => aber auch auf lokaler Ebene
8
ÜÜbergangswege Schule bergangswege Schule -- BerufBerufLokale Panelstudien – Beispiel JenaÜbergänge bis zum zweiten Jahr nach Beendigung der Schule
Schule
46%
Ende des letzten Pflichtschuljahres
No
ve
mbe
r 2007
Jun
i 20
07
No
ve
mbe
r 2008
77
%
10
%
3%
BV
3%
22
%
56
%
22
%
Ausbildung
41%
96
%
4%
ohne Ausbil-dung/ Arbeit
7%
10
0%
Schule 36%BV 2%
Ausbildung 55%ohne 2%
Verteilung der Jenaer Schulabsolventen/-innen im November 2008 gesamt (gewichtet)
9
ÜÜbergangswege Schule bergangswege Schule -- BerufBerufLokale Panelstudien – Beispiel JenaMobilität
• nur 12%12% schlossen zum Zeitpunkt der Basiserhebung einen
Wohnortwechsel aus; 33%33% waren bereit deutschlandweit,
31%31% ins Ausland umzuziehen
• es zeigten sich keine Unterschiede zwischen dem Geschlechtern und den
Bildungsgängen
tatstatsäächliche Mobilitchliche Mobilitäät nach Beendigung der Schule: t nach Beendigung der Schule:
•• 11%11% haben seit Beendigung der Schule den Wohnort gewechselt
• davon 6%6% wegen eines Ausbildungsplatzes
• und 5%5% wegen anderer Gründe
•• 3%3% sind deutschlandweit umgezogen
• keiner ist ins Ausland gegangen
Mobilitätsbereitschaft:
10
ÜÜbergangswege Schule bergangswege Schule -- BerufBeruf
Quelle: Bildung in Deutschland 2016
2015 regionale Ausbildungsmärkte weisen starke Disparitäten auf
12
ÜÜbergangswege Schule bergangswege Schule -- BerufBerufErgebnisse des Nationalen Bildungsberichts 2014 und 2016
• Schulisches Vorbildungsniveau und Staatsangehörigkeit beeinflussen nach wie vor wesentlich die Einmündung in Berufsausbildung (2014, S.99)
• „Trotz der starken Rückläufigkeit des Übergangssystems verschlechterte sich die Situation der Schulabsolventinnen und -absolventen mit maximal Hauptschulabschluss im Osten relativ, ihr Anteil im Übergangssystem steigt seit 2008“ (2016, S. 104).
• Fast die Hälfte der ausländischen Neuzugänge ins Berufsbildungssystem mündet ins Übergangssystem, bei denen ohne Hauptschulabschluss sogar 85% (2014, S. 100)
Verlaufsbetrachtungen im Übergang zeigen:
13
Marginalisierte Jugendliche am Marginalisierte Jugendliche am ÜÜbergangbergangProblematische Übergänge (27% der Kohorte)
Ausbildung
Berufsvorbereitung
Schule, die nicht zur
Hochschulreife führt
Schule, die zur
Hochschulreife führt
Studium
Beschäftigung im Beruf der
Ausbildung
Beschäftigung nach
abgeschlossener Ausbildung
Sonstige
Beschäftigungsverhältnisse
ohne Ausbildung/ Arbeit
Sonstiges
14
Marginalisierte Jugendliche am Marginalisierte Jugendliche am ÜÜbergangbergang„weiche“ Faktoren für Ge-oder Misslingen von Übergängenl Motivation
l Motivation bildet eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Gestaltung von Übergängen – ist jedoch eine der „fragilsten Ressourcen“ (Stauber/Pohl/ Walther 2007).
l Bewältigungsverhalten
l Es ist sowohl eine aktive Auseinandersetzung mit Übergangsverläufen zu beobachten und als auch ein eher passives und abwartendes Verhalten.
l Zu den aktiven Strategien zählt auch, die Bildungsziele (zumeist Erreichen einer Ausbildung) proaktiv mit Persistenz zu verfolgen.
l Gatekeeper (privates und institutionelles Umfeld)
l Soziale Interaktionspartner können für Übergangsprozesse die Funktion von Türöffnern (Unterstützung, Begleitung, Information) aber auch Türschließern (Demotivierung, Informationszurückhaltung) haben.
15
Marginalisierte Jugendliche am Marginalisierte Jugendliche am ÜÜbergang bergang
l Vertiefte qualitative Sicht auf problematische Verläufe zeigt differenziertes Bild:
Von prekären Übergängen zu Exklusionskarrieren?
(selbstbestimmte) Auszeiten
Verfestigte prekäre Verläufe
l Vorhandene Ressourcen, z.B. Bildungsabschlüsse, soziales Umfeld
l Individuelle Handlungsmächtigkeit
l Geringe Problembelastung
l Schlechte Ressourcenausstattung, z.B. fehlende Bildungsabschlüsse, soziale Isolation
l Geringe individuelle Handlungsmächtigkeit
l Multiple Problemlagen
Gefahr der Entkopplung
16
Definition der ZielgruppeDas Phänomen "Disconnected Youth" wurde im Angelsächsischen
Raum als Herausfallen aus Bildungskontexten und der Arbeitswelt beschrieben, begleitet von Armut, gesundheitlichen, suchtbezogenen
und Kriminalitätsrisiken (vgl. E. Hair)
Unsere Arbeitsdefinition für entkoppelte Jugendliche:
„Disconnected Youth“ sind junge Menschen mit problematischen Lebenslagen, die aus sämtlichen institutionellen Kontexten herausgefallen sind. D.h. sie befinden sich weder in Schule und Ausbildung noch in Erwerbsarbeit und bekommen auch keine SGBII-Leistungen.
Marginalisierte Jugendliche am Marginalisierte Jugendliche am ÜÜbergangbergang
17
Exklusionserfahrungen und Unterstützungsbedarfe der befragten Jugendlichen
Marginalisierte Jugendliche am Marginalisierte Jugendliche am ÜÜbergangbergang
l Problematische Familienstrukturen stellen „Erblast“ für die Jugendlichen dar, die auch das junge Erwachsenenleben und Verselbständigungsprozesse beeinflussen
l Armut, niedrige oder fehlende Bildungsabschlüsse und oft schwach entwickelte Sekundärtugenden erschweren weitere Übergangswege
l „Falle“ der formalrechtlichen Selbständigkeit mit Beginn der Volljährigkeit
l Ambivalente Erfahrungen mit Hilfestrukturen
l Wahrnehmung bei Ämtern und Behörden zum „Fall“ zu werden
l Positive Erfahrungen mit niedrigschwelligen Angeboten
18
Exklusionserfahrungen und Unterstützungsbedarfe der befragten Jugendlichen
Marginalisierte Jugendliche am Marginalisierte Jugendliche am ÜÜbergangbergang
19
Exklusionserfahrungen der befragten Jugendlichen
Marginalisierte Jugendliche am Marginalisierte Jugendliche am ÜÜbergangbergang
„Seitdem ich nicht mehr zu Hause wohne, haben die die ganze Wohnung so umgestaltet, dass ich da nicht mehr rein kann! Also mein Bett ist weggeschmissen worden… Sofort! Mein Zimmer hat meine kleine Schwester bekommen (…) Meine Mutter hat gesagt: ‚Du kommst hier nicht mehr rein!‘“ (w17)
„In die Schule geh ich nicht mehr (…) Ich hab ein Praktikum als Erzieherin angefangen, abgebrochen, dann Ausbildung als Maler und Lackierer, auch abgebrochen.“ (w17)
„Wenn ich Angst hab, zu Ämtern zu gehen, machen die Leute von Off Road Kids auch einen Termin! Sie sagen: ‚Okay, um diese Uhrzeit gehen wir zusammen zum Jugendamt.‘ Oder: ‚Um diese Uhrzeit gehen wir zusammen zum Jobcenter.‘ Die begleiten mich überallhin.“ (w20)
20
Zielgruppen, Angebote, Rahmenbedingungen – Die Sicht der Expertinnen/Experten
Marginalisierte Jugendliche am Marginalisierte Jugendliche am ÜÜbergangbergang
l Sicht auf die Zielgruppen:
● Entkoppelte Jugendliche sind durch Behörden oftmals nicht sichtbar – auch weil sie nicht erreicht werden wollen
● Betroffene sind gekennzeichnet durch multiple und komplexe Problemlagen – häufig lassen sich ähnliche Probleme bereits bei Eltern feststellen
● Es wird eine Zunahme von seelischen und psychosozialen Störungen beobachtet
21
AusblickAusblick
l Zukünftige Zielgruppen u.a.:
● Marginalisierte und entkoppelte Jugendliche mit verfestigten Problemlagen
● Junge Migrantinnen und Migranten – v.a. geflüchtete junge Menschen
● Betriebe und Einrichtungen
22
AusblickAusblick
l Angebote auf der operativen Ebene
l Spezifische Ausrichtung auf die Bedarfe der Zielgruppen (spezifische Problembelastungen, interkulturelle Arbeit, Begleitung in und durch Ausbildung ….)
l Angebote auf der strukturellen Ebene
● Umsetzung eines Übergangsmanagements (weitere Akteure involvieren, Realisierung einer inklusiven Arbeit, Weiterbildung von Akteuren …..)
23
Kontakt:Prof. Dr. Birgit Reißig
Deutsches Jugendinstitut Außenstelle Halle
Franckeplatz 106110 Halle/SaaleTel. 0345-6817833
Email: [email protected]