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Vnà – eine Oase der Stille
Zimmer mit Bergromantik, einheimische Spezialitäten: Das Projekt «Ein Dorf wird zum Hotel» soll den Ort Vnà im Unterengadin vor dem Aussterben bewahren. Eine Idee mit Tücken.
ein dorf als hotel
Text: Christine Zwygart / Fotos: Martina Meier
Sensationelle Atmosphäre. Wenn sich die Dämmerung über Vnà legt, wirds in den engen Gässchen des Bergdorfes einsam und beschaulich.
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Der Kerngedanke drehte sich dabei um die Bauruine der einstigen Dorfbeiz: Das «Piz Tschütta», wie das Haus aus dem 17. Jahrhundert heisst, wurde von einer neu gegründeten Aktiengesellschaft gekauft und mithilfe privater Investoren sowie der Stiftung saniert. Seit Frühling 2008 ist das stolze Steinhaus mit seinen fünf Gästezimmern wieder offen. Trotz Umbau wirkt das Gebäude mit den tiefen Decken und den knarrenden Holzböden urtümlich. Wem die HotelAtmosphäre nicht behagt, dem stehen auch bei Einheimischen daheim Gästezimmer zur Verfügung.
Das Restaurant begeistert mit lokalen Schlemmereien, und in der «Butia» bieten Bauern aus der Umgebung ihre Waren an, etwa Honig, Schaffelle oder Likör. Bei Betriebsleiterin Margrit Allenspach laufen alle Fäden zusammen. Sie bietet im «Piz Tschütta» vor allem Ruhe suchenden Ehepaaren, spazierfreudigen Rentnern und naturverbundenen Jungfamilien ein Feriendomizil. Fernseher und Telefon sucht man in den Zimmern vergebens – «und darüber hat sich bis jetzt noch niemand beschwert», weiss die Gastgeberin. Das Hotel ist auch ein Kulturhaus mit Veranstaltungen wie
Kochkursen, Bauchtanz, Ausstellungen, Lesungen und Filmvorführungen. «Das bringt vor allem in der Zwischensaison Kundschaft; und manchmal gar so viele Gäste, dass wir aus Platzmangel auch schon in die Kirche zügeln mussten.»
Ein Spaziergang durch das begehbare Wörterbuch Deutsch – Romanisch
Das nächste Skigebiet finden Besucher in Scuol, dreissig PostautoMinuten entfernt. In Vnà selber hat es Winterwanderwege,
die ins Val Sinestra oder nach Ramosch führen und Tagesausflügler anziehen. Am späten Nachmittag jedoch kehrt Ruhe ein, geheimnisvoll stehen die steinernen Häuser da – mit ihren charakteristischen Bemalungen und den trichterförmigen Fenstern in den einen halben Meter dicken Mauern. An vielen Fassaden finden sich Plakate, die Ferienwohnungen anbieten für «bellas vacanzas». Wer noch mehr Romanisch lernen will – das Idiom Vallader, um genau zu sein –, kann dies mit dem begehbaren Wörterbuch tun. Farbige Tafeln hängen an den Häusern, die den Betrachter aufklären: «Lodar» heisst «loben», «as mas dar aint» steht für «einmischen». Und wer «far las bellinas» sagt, meint «schmeicheln».Buschauffeur Chasper Mischols Muttersprache ist Romanisch, er wuchs hier in Vnà auf. Damals, vor fast sechzig Jahren, habe es im Dorf mehr Menschen und weniger Autos gegeben. «Das Wasser holten wir am Brunnen draussen. Und mein Vater war oft mit dem Ochsenkarren unterwegs.» Chasper selber besitzt vier Esel, mit denen er TouristenTrekkings anbietet. Und im «Piz Tschütta», wo er heute seine Tasse heis se Schoggi trinkt, tanzte er als junger Bursche mit den Dorfschönheiten.Mischol ist Mitgründer der Stiftung Fundaziun Vnà, sein Heimatdorf liegt ihm am Herzen. Und er ist stolz darauf, dass die Idee «Ein Dorf wird zum Hotel» gar ausgezeichnet wurde: 2008 erhielt das Projekt den ersten Preis der Hans E. Moppert Stiftung für Nachhaltigkeit im Alpentourismus. Nichtsdestotrotz steckt die Geschäfts idee in einer Sackgasse, der Betrieb ist defizitär. Ein paar Einheimische vermieten ihre Zimmer nun problemlos auf eigene Faust, da Vnà an Bekanntheit gewonnen hat.
Gemächlich fährt das Postauto durch die en gen Kurven, lässt das Dorf Ramosch hinter sich und schraubt sich höher den Berg hin auf. Am Steuer des kleinen Busses sitzt Chasper Mischol, 59 Jahre alt, wettergegerbtes Gesicht mit lebhaften Augen, umrankt von silbernen Haaren und Bart. In breitem Bünd ner Dialekt meint er: «Schönes Wetter heute, gell?» Die Kulisse beeindruckt tatsäch lich mit tiefblauem Himmel, verschneiten Bergkämmen und schier endlosen Wäldern, in denen die überzuckerten Tannen wie Zinnsoldaten in Reih und Glied stehen.Noch eine Spitzkehre und noch eine. Dann erscheinen weit oben am Hang die ersten Häuser von Vnà. Das Bergdorf liegt auf 1600 Metern über Meer und schmiegt sich an den Sonnenhang. Dank dem milden Klima ist hier angeblich der wärmste Ort des Engadins. Als Chasper die Tür des Postautos öffnet, ist davon allerdings wenig zu spüren. Klirrende Kälte empfängt die Gäste. «Bainvgnü – willkommen», verkündet er und steigt aus. Hier ist Endstation. Von jetzt an gehts zu Fuss weiter. Schmale Gässchen winden sich um Hausecken, und kein Mensch ist zu sehen. Galant schnappt sich der Buschauffeur das Gepäck, eilt voraus, bergauf, Richtung Ustaria Piz Tschütta. Das Restaurant samt Hotel bildet das Zentrum des Orts. Chasper öffnet die Tür, tritt ein und setzt sich an einen der langen Tische in der Gaststube. Seine nächste Fahrt mit dem «auto da posta» hinunter ins Tal ist erst in zwei Stunden. Es bleibt genügend Zeit für eine heisse Schoggi.
Das Siebzig-Seelen-Dorf kämpft mit innovativen Ideen gegen Abwanderung und Überalterung
Heute leben noch gut fünfzig Einwohner mit fünfzehn Kindern und fünf Bauernbetrieben im Dorf. Über die Hälfte der alten Engadiner Häuser dienen als Ferienwohnungen und stehen die meiste Zeit des Jahres leer. Wie oft in Bergregionen ziehts die Jungen ins Unterland, das Dorfleben schläft langsam ein. In Vnà gibts seit den Sechzigerjahren keine Schule mehr, 1999 schloss der Laden seine Türen, kurz darauf die Poststelle. Was für eine Zukunft hat ein solcher Ort? Das fragten sich vor acht Jahren die Einheimischen und mit ihnen eine Handvoll Architekten, Künstler, Kultur und TourismusSpezialisten aus der ganzen Schweiz. Zusammen gründeten sie die Stiftung Fundaziun Vnà mit dem Ziel, Abwanderung und Überalterung zu stoppen.
Das Dorf als Hotel www.hotelvna.ch www.fundaziunvna.ch Ausflüge in der Umgebung www.ramosch.ch www.tschanueff.ch www.zuort.ch www.scuol.ch www.laregiun.ch www.nationalpark.ch Romanisches Wörterbuch www.grischamania.ch www.pledarigrond.ch
„Ich unterhalte mich gern mit den Gästen, mag aber auch die Einsamkeit hier im Dorf.“ Chasper Mischol
1 Ein Blick über die verschneiten Dächer und die Kirche des Bergdorfs. Tagsüber starten hier Wanderer ihre Touren.2 Chasper Mischol ist Buschauffeur, Maurer und Eselhalter. Er kennt jeden Winkel in Vnà, schliesslich ist er hier vor 59 Jahren auf die Welt gekommen. Heute lebt er in Griosch, zuhinterst im Val Sinestra.
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Regionale Spezialitäten www.bieraria.ch guarda-kraeuter.ch Anfahrt www.sbb.ch www.rhb.ch/autoverlad
idyllisch, nicht wahr», meint Gastgeberin Margrit Allenspach und serviert der Handvoll Gäste das Nachessen. Einige Besucher schwärmen in breitem Züritüütsch von der Privacy hier. Über die Tische hinweg werden Weintipps ausgetauscht und gute Ratschläge erteilt: «Ihr wollt nach Scuol ins Thermalbad? Das ist super! Nehmt eine Mütze mit, sonst friert ihr euch im Aussenbad die Ohren ab.»Ein Wochenende in Vnà wirkt nachhaltig. Die Ruhe und die Langsamkeit des Tages sind wohltuend für Geist und Seele. Spätestens auf der Heimreise, im Zug Richtung Unterland, eingeklemmt zwischen Snowboards und telefonierenden Teenagern, sehnt man sich in die Bergwelt zurück. An den Ort der Stille, wo nur das Knirschen der Schuhe im Schnee zu hören ist. «A revair!» Auf Wiedersehen in Vnà.
nachhaltige Umgang mit Ressourcen und die BioLebensmittel sind unser Erfolgsrezept.» Der Verwaltungsrat wolle den Betrieb vergrössern und so rentabel machen. Die Verantwortlichen suchen eine Bauparzelle oder ein altes Haus, um weitere zwölf Zimmer zu bauen. Zurück hält sich vorerst die Stiftung, denn die Betreiber des Hotels würden engagiert um Lösungen kämpfen, sagt Elisabeth MichelAlder, Präsidentin des Stiftungsrates: «Die Verantwortlichen werden auf uns zukommen, wenn sie Hilfe erwarten.»
In familiärer Atmosphäre lassen sich Spezialitäten «da la regiun» geniessen
Es wird Abend in Vnà. Die Hotelgäste versammeln sich in einem der beiden Stübli im Erdgeschoss. Die über 300 Jahre alten Zimmer dienten den Hausherren einst als Wohnzimmer. Auf der Karte steht viel «da la regiun»: Klassiker wie Capuns oder Pizokel. Aber auch Kartoffel und Hirschwurst aus Scuol. Oder Lammhaxen, geschmort mit Bierra da Tschlin, also mit BioBier aus dem Nachbardorf.Wer vom Beizenfenster aus das Dorf betrachtet, sieht kaum erhellte Fenster. «Sehr
Andere sind weggezogen oder ausgestiegen. Und bei Dritten stimmt die Qualität der angebotenen Kammern nicht.Gemeindepräsident Victor Peer ist zuversichtlich, dass sich eine Lösung für die verzwickte Situation finden lässt: «Das Projekt ist bestechend und könnte den Menschen im Dorf zumindest einen Teil des Einkommens sichern.» Die Gemeinde wolle auf keinen Fall, dass das «Piz Tschütta» plötzlich wieder leer stehe. Er hofft, dass die Stiftung mithilft, die Zimmer im Dorf aufzumöbeln. Denn Peer ist überzeugt: «Wir finden sicher Gäste, die Wert auf ökologische Aspekte legen und unsere intakte Landschaft hier schätzen.»Auch Urezza Famos, die Geschäftsführerin der Piz Tschütta AG, will den Betrieb auf finanziell gesunde Beine stellen. Heute über nehmen Private die Defizite, doch längerfristig soll das Hotel schwarze Zahlen schreiben. Das Geschäftsmodell finde Anklang: «Die hohe architektonische Qualität, die gute Küche, das stille Ambiente, der
EntspannEndE TAGE in VnàAnreise Via Landquart, scuol und Ramosch mit dem Zug und postauto (ca. 3½ stunden ab Zürich). Mit dem auto durch den Vereinatunnel (autoverlad). Hotel Ein Zimmer im «piz tschütta» pro nacht und person ab 104 Franken inklusive Frühstück. Ausflüge Wander ungen ins Val sinestra oder nach Ramosch. schlittelweg nach tschlin. dorfmuseum Vnà (im sommer). das nächste skigebiet befindet sich in scuol, ebenso die Bäder- und saunalandschaft «Engadin Bad».
„Wir finden bestimmt Gäste, die Wert auf ökologische Aspekte legen und die intakte Landschaft schätzen.“ Victor Peer
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1 isabella Zaugg serviert im «Piz Tschütta» eine Bündner nusstorte.2 im 300 Jahre alten Stübli herrscht eine urchige Atmosphäre dank antikem Holztäfer und einem Kachelofen.3 Für den kleinen Hunger zwischendurch: Fleisch- und Käsespezialitäten aus der Umgebung.