ein verheißungsvoller neustart für europa? · corporate identity ist vielleicht in großen...
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FORUM Freitag, 18. Jänner 201916
Am 22. Jänner 1963 unterzeichne-ten Charles de Gaulle und KonradAdenauer in Paris den Vertragüber die deutsch-französische Zu-sammenarbeit. In der Außenpoli-tik besteht seither Konsultations-pflicht. Im Bereich Verteidigung,Kultus, Sprachförderung, derGleichwertigkeit der Diplome undder Forschung war Kooperationangesagt. Ein gemeinsames Ju-gendwerk wurde Realität. Zahlrei-che Partnerschaften zwischenStädten, Schulen und Vereinenfolgten.
25 Jahre später ergänzten Bun-deskanzler Helmut Kohl undStaatspräsident François Mitter-rand den Vertrag mit Räten fürVerteidigung und Sicherheit so-wie Finanz-, Wirtschafts- undWährungspolitik. Im Zeichen des40-jährigen Gedenkens gab eserstmals einen deutsch-französi-schen Ministerrat sowie eine Sit-zung des Bundestags und der Na-tionalversammlung in Versailles.Ein Fonds für Kulturprogrammewurde geschaffen. Zur 50-Jahr-Feier wurde ein deutsch-französi-sches Jahr auf offizieller und zivil-gesellschaftlicher Ebene ausgeru-fen. Der Stab des Eurokorps feier-te in Straßburg.
Gescheitertes Vorhabenim Vorjahr
Die ergebnislosen Verhandlungenzur Bildung einer „Jamaika-Koali-tion“ (CDU/CSU-FDP-Grüne) inDeutschland im Herbst 2017, dasHerumlavieren der SPD in derFrage der Regierungsbeteiligungund die zähe Bildung der großenKoalition im Frühjahr 2018 mitdem anhaltenden Dauer-Clinchzwischen CDU und CSU in derMigrationsfrage schwächten diedeutsche Position in der EU. DieBundeskanzlerin war aufgrundihrer umstrittenen Migrationspo-litik durch sinkenden innenpoliti-schen und innerparteilichenRückhalt kaum noch durchset-zungsfähig. Angela Merkel ver-sagte auch in der zeitgerechtenBeantwortung der Reformvorstößedes französischen Staatspräsiden-ten. 2018 wurde so zu einem ver-lorenen Jahr für das gemein-schaftliche Europa – es droht nunein neues. Emmanuel Macron hatsich inzwischen durch die Protes-te der „Gelbwesten“ und sein lan-ges Schweigen selbst delegiti-miert und ist innenpolitisch ange-schlagen. Nun soll die Freund-schaft zwischen Bonn und Parisam 22. Jänner im Krönungssaal
des Aachener Rathauses erneuertwerden, in der Stadt des Karls-preises, den 2018 Macron verlie-hen bekam.
Es geht um ein ergänzendesVertragswerk, das an den Élysée-Vertrag 1963 anknüpfen soll. Eshat eine lange Präambel, die diedeutsch-französische Freund-schaft beschwört. In 28 Artikelnwird das Spektrum der künftigenKooperation aufgezeigt. Berlinund Paris versichern einander ei-ne möglichst enge Abstimmungin Fragen der Europapolitik unddie wechselseitige Pflicht zur Ver-tiefung ihrer Zusammenarbeit inder Außen- und Sicherheitspoli-tik. Wann und wie immer mög-lich, soll gemeinschaftliches Agie-ren folgen. Das eigenständigeHandeln der EU wird ausdrück-lich betont.
Verteidigung als Priorität,die UNO als Referenz
Berlin und Paris bekräftigen zu-dem ihren gegenseitigen Beistandim Falle eines bewaffneten An-griffs auf eines der Länder, wiedas Artikel 5 des Nato- und Arti-kel 42 des EU-Vertrages schonvorsehen. Militär- und Rüstungs-kooperation sollen effizienterwerden. Ein regelmäßig zusam-mentretender Sicherheits- undVerteidigungsrat von Ministernbeider Regierungen soll dabei be-hilflich sein. Gemeinsame Streit-kräfte mit Interventionsfähigkeit,die Macron schon seit langem in
die Debatte geworfen hat, geltenals fixiert. Zur Stabilisierung poli-tisch prekärer Drittstaaten sollzwar nicht militärisch, aber ge-heimdienstlich, justiziell und poli-zeilich agiert werden sowie eineengere europäische Partnerschaftmit Ländern Afrikas folgen.
Kooperation gilt auch für denRahmen der Vereinten Nationen,zumal Deutschland nun für zweiJahre als nichtständiges Mitgliedden Vorsitz im Sicherheitsratübernommen hat und der franzö-sische folgen wird. Die Unterstüt-zung für das deutsche Anliegenist zugesichert, einen ständigenSitz im UN-Sicherheitsrat zu er-langen, womit jedoch die Absicht,den ständigen Sitz Frankreichs ineinen EU-Sitz umzuwandeln, adacta gelegt ist – und damit auchdie Idee, mit einer „europäischenStimme“ in der Weltgemeinschaftzu sprechen.
Gemeinsame Energiewendeund Wirtschaftsraum als Ziel
Bestimmungen zu deutsch-franzö-sischen Grenzregionen sehen Ver-besserungen im Zusammenwir-ken bei Infrastruktur- sowie imGesundheitsbereich durch ge-meinsame Berufsschulzentren,Gewerbegebiete und Krankenhäu-ser mit Zweisprachigkeit vor. DieGrenzräume können dabei vonnationalstaatlichen Gesetzen ab-weichen. Nicht weniger feststel-lenswert ist das hehre Ziel, einengemeinsamen deutsch-französi-
schen Wirtschaftsraum mit ge-meinsamen Regeln zu bilden.
Ein deutsch-französisches Zu-kunftswerk soll Wissenschaft undForschung mehr zueinander brin-gen, um den gesellschaftlichenWandel in beiden Staaten zu un-tersuchen und entsprechende Lö-sungsvorschläge zu unterbreiten.Nach den Studien- sollen nunauch Schulabschlüsse gegenseitiganerkannt werden („Abibac“).
Ist eine bilaterale Energieunionnoch in sehr weiter Ferne, so sollwenigstens die Energiewende ge-meinsam vorangetrieben und er-neuerbare Energien stärker geför-dert werden. Mutig wären einrechtswirksam anzustrebendesdeutsch-französisches Einwande-rungsgesetz als Impulsgeber fürdie übrigen EU-Mitglieder wieauch eine verbindliche gemeinsa-me Energiepolitik gewesen.
Die großen Unterschiedezwischen 1963 und 2019
Der Élysée-Vertrag war schon1963 in der kleinen Sechser-Ge-meinschaft sehr umstritten. DieBenelux-Staaten waren gegen denAusschluss von Großbritanniendurch de Gaulle, den Adenauerbilligte. Heute sind es viermalmehr Staaten, und die Briten ste-hen vor dem EU-Austritt. Die Vor-behalte mittel- und osteuropäi-scher Staaten gegen das Avantgar-de-Gebaren von Berlin und Parissind nicht zu unterschätzen. Um-so schwieriger wird der Neuan-lauf mit einem innenpolitisch in-stabilen und unruhigen Frank-reich und dem größer geworde-nen vereinten Deutschland, daszum Missbehagen von Budapest,Prag und Warschau die EU vonheute weit mehr dominieren kannals die Bonner Republik die EWG.Widerstände wegen der so wahr-genommenen Bevormundungdurch das Duo sind ohnediesschon vorhanden und weiter ver-mehrt zu erwarten.
Es bleibt für Deutschland trotzaller innenpolitischen Zerrissen-heit ein regierungspolitischesZiel, deutsche und europäischeInteressen miteinander zu ver-knüpfen. Die selbsteingebundeneVormacht Europas kann sich mitdem Aachener Vertrag aus derselbstverschuldeten europäischenHandlungsschwäche wieder etwasherausmanövrieren. Ein starkerkoalitionspolitischer Konsens istdafür aber unvermeidlich, um ausder hausgemachten europäischenSelbstisolierung auszubrechen.
Mit dem Vertrag von Aachenkönnte ein Zeichen zur Überwin-dung der Krise in der EU gesetztund zumindest die permanenteNegativdebatte über das Brexit-Chaos, das alles zu überschattendroht, etwas abgebremst werden.Im Lichte der prekären Mischungaus innenpolitischer Radikalisie-rung in Frankreich, des offenenEU-Finanzrahmens infolge desBrexit und dem fraglichen Euro-Kandidaten Italien ist derdeutsch-französische Akt einHoffnungsschimmer. Wenn es je-doch nicht gelingt, andere Staatendazu zu gewinnen und miteinzu-binden, wird es kaum ein verhei-ßungsvoller Neustart. ■
Ein verheißungsvollerNeustart für Europa?
In Aachen soll am 22. Jänner ein neuer deutsch-französischer Vertrag unterzeichnet werden.Es kann ein Hoffnungsschimmer sein – wenn man genügend andere Staaten einbindet.
GastkommentarVon Michael Gehler
Zum AutorMichaelGehler
leitet das Institutfür Geschichtean der Universi-tät Hildesheimund ist Jean-Monnet-Profes-
sor für vergleichende GeschichteEuropas und der europäischen In-tegration. Foto: privat
Was Adenauer (l.) undDe Gaulle begonnen
haben . . .
. . . wollen Macronund Merkel nunerneuern.
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Großbritannienim Brexit-ChaosDie Abgeordneten im britischenUnterhaus lehnten den Brexit-De-al deutlich ab. Jetzt ist das Chaosin Großbritannien perfekt, einzweites Referendum lehnt die Pre-mierministerin ab. Die EU bekräf-tigte ihr Nein zu Nachverhandlun-gen, die Vorbereitungen auf einenAustritt ohne Abkommen laufen.Wie es weitergeht, weiß niemand.
Meiner Meinung nach solltengewisse Bedingungen vor einemwichtigen Referendum festgelegtwerden: mindestens 50 ProzentWahlbeteiligung und eine qualifi-zierte Mehrheit von 66 Prozent füreine erfolgreiche Abstimmung.Wichtig ist auch eine umfassendeDiskussion über Vor- und Nachtei-le der Optionen. GroßbritanniensKrise hat ihre Wurzeln im knap-pen Ergebnis der Brexit-Abstim-mung vom 23. Juni 2016 und inDesinformationen.
Kurt Gärtner,4600 Wels
Eine zweite Karrierefür Theresa May?Vielleicht bietet Deutschland The-resa May Asyl an, bürgert sie einund sie wird die Nachfolgerin vonAngela Merkel. Dann würde dieseAngelegenheit wenigsten noch ei-nen humoristischen Anstrich be-kommen.
Mag. Martin Behrens,1230 Wien
Zum Artikel vom 15. Jänner
Raues Klima inchinesischen FabrikenDer Artikel über die wirtschaftli-che Lage Chinas wird durch einFoto illustriert, welches Arbeite-rinnen in einer Textilfabrik in derProvinz Jiangsu zeigt. Dieses Bildhat mich nachdenklich gemacht,denn offensichtlich wird die Fa-
brikshalle nicht geheizt, denn alleArbeiterinnen sitzen in dickerWinterkleidung an ihren Arbeits-plätzen. Offenbar unabsichtlichbietet sich hier ein unverstellterBlick in die prekären Arbeitsbe-dingungen, denen chinesische Ar-beitnehmer ausgesetzt sind.
Franz Medek,2352 Gumpoldskirchen
Zur Glosse von Hans-Paul Nosko,12. Jänner
Der Plural einerGemeinschaftDie Glosse „Sportliche Rückkehrdes ,Wir‘“ hat mir aus der Seelegesprochen. Ich habe mein ganzesberufliches Leben, auch in leiten-den Positionen, immer vom WIRgesprochen, denn niemand ist beider Arbeit allein. Nach zwei Gene-rationen, die nur unter dem Motto„Nur Du – gegen alle“ stand, wur-de dies systematisch abgewöhnt.Corporate Identity ist vielleicht ingroßen Konzernen vorhanden,aber „werkeln“ tut jeder für sich.
Charlotte Beier,1220 Wien
EUROPA & WELT
Dienstag, 15. Jänner 2019
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Peking. (wak/reuters) Exportwelt-
meister China hat seine Ausfuh-
ren im vergangenen Jahr trotz des
Handelsstreits mit den USA so
kräftig gesteigert wie seit 2011
nicht mehr.
Insgesamt wuchsen die chine-
sischen Ausfuhren in die Welt um
9,9 Prozent im Vergleich zu 2017,
wie die Zollbehörde am Montag in
Peking mitteilte. Die Importe leg-
ten mit 15,8 Prozent aber deutlich
stärker zu. Der Handelsüber-
schuss Chinas mit der Welt
schrumpfte dadurch auf rund 352
Milliarden Dollar. Das ist der
niedrigste Wert seit 2013.
Sieht man sich das Verhältnis
China und USA an, dreht sich der
Trend aber um: Chinas Handels-
überschuss mit den USA wuchs
2018 auf 323 Milliarden Dollar.
Das ist laut den Berechnungen
von Reuters der höchste Wert seit
2006. Im Handelsstreit zwischen
China und den USA geht es aller-
dings genau um diesen Handels-
überschuss, der dem US-Präsiden-
ten Donald Trump ein Dorn im
Auge ist.
Deswegen hatte die US-Regie-
rung vor einem Jahr zuerst ein-
mal hohe Zölle auf den Import
von Solarmodulen und Waschma-
schinen verhängt. China war be-
sonders betroffen. Mit März wur-
den Zölle auf Stahl und Alumini-
um, insbesondere Importe aus
China, verhängt.
Im Sommer verhängte Trump
Strafzölle von 25 Prozent auf chi-
nesische Importe im Wert von 50
Milliarden Dollar. Im September
belegte Trump chinesische Impor-
te im Wert von weiteren 200 Mil-
liarden Dollar mit Sonderzöllen.
China antwortete seinerseits
mit Strafzöllen, wenn auch nicht
in demselben Ausmaß. Aber viel-
leicht mit mehr Erfolg – ange-
sichts des gestiegenen Handels-
überschusses.
Schlechte Daten zum Jahresende
Doch bei all dem Muskelspiel
musste auch China Federn lassen.
Den chinesischen Exporteuren ist
Ende 2018 das Momentum verlo-
ren gegangen. Ihre Ausfuhren
schrumpften im Dezember um 4,4
Prozent zum Vorjahresmonat und
damit so stark wie seit zwei Jah-
ren nicht mehr. Das kommt über-
raschend: Ökonomen hatten drei
Prozent Wachstum erwartet.
Gründe für das schlechtere Ab-
schneiden dürften neben dem
Handelskonflikt auch die nachlas-
sende globale Nachfrage sein. Die
Importe fielen sogar um 7,6 Pro-
zent niedriger aus.
Aber auch innerhalb Chinas
macht sich der Handelskonflikt
bemerkbar: Gerechnet auf das
ganze Jahr 2018 ist der Neuwa-
genabsatz in China erstmals seit
den 1990er Jahren gesunken.
Im Dezember seien die Ver-
kaufszahlen den sechsten Monat
in Folge gefallen. Der Absatz ist
im Gesamtjahr um 2,8 Prozent
auf 28,1 Millionen Fahrzeuge ge-
sunken, teilte der Automobilver-
band CAAM mit. Als Gründe führ-
te er die höheren Zölle im Han-
delskonflikt zwischen China und
den USA sowie den Wegfall von
Steuervorteilen an. Ursprünglich
hatte der CAAM für den weltgröß-
ten Automarkt ein Plus von drei
Prozent veranschlagt.
Derweil fuhr China einer Stu-
die zufolge seine Investitionen in
Europa und Nordamerika im vori-
gen Jahr um fast drei Viertel zu-
rück. Die Direktinvestitionen
summierten sich nur noch auf 30
Milliarden Dollar, nachdem es
2017 noch 111 Milliarden waren,
wie aus einer Untersuchung der
Anwaltskanzlei Baker & McKenzie
hervorgeht.
Allein in den USA sei es zu ei-
nem Einbruch um 83 Prozent ge-
kommen.
Auch in Europa gab es einen
deutlichen Rückgang, doch konn-
ten Deutschland, Frankreich und
Spanien gegen den Trend mehr
chinesische Investitionen anlo-
cken.Die werden aber nicht immer
mit offenen Armen empfangen:
Im Sommer 2018 konnte die deut-
sche Regierung den Einstieg eines
chinesischen Konzerns in die
deutsche Stromversorgung gerade
noch verhindern. Mit einer „Lex
China“ wurden daraufhin die Re-
geln für Übernahmen in sensib-
len Bereichen verschärft. ■
2018 steigerte China Exporte – trotz Trump
Im Dezember kam es aber zu einem deutlichen und überraschenden Schrumpfen gegenüber der Vorjahresperiode.
Arbeiterinnen in einer Textilfabrik in Chinas Jiangsu-Provinz nähen Kappen für den Export. Foto: reuters
Washington. (reuters) Der rasante Aufstieg
von schwach-regulierten Fintech-Firmen
macht der US-Notenbank Fed Sorgen. Die
Federal Reserve schreckt davor zurück,
den Unternehmen eine Lizenz zu erteilen,
die ihnen wie Banken den direkten Zugriff
auf die Systeme der Notenbank erlauben
würde.
Bei den jungen Technologieunterneh-
men, die zum Beispiel im Zahlungsverkehr
oder der Kreditvergabe aktiv sind, ließen
der Verbraucherschutz und das Risikoma-
nagement zu wünschen übrig, lautet die
Kritik vieler Fed-Vertreter. Mit ihren Be-
denken stellt sich die Notenbank gegen die
US-Bankenaufsicht OCC und die Einlagen-
sicherung FDIC, die der Branche offener
gegenüberstehen und eine neue Fintech-Li-
zenz prüfen.
Rasant wachsender Finanz-Sektor
„Ich fürchte, dass die nächste Krise von
Fintechs ausgehen wird“, sagte James Bul-
lard, Präsident der Fed von St. Louis, der
Nachrichtenagentur Reuters. „Sie wollen
wahrscheinlich Zugang zum Zahlungssys-
tem, aber sie wollen sich nicht der Regulie-
rung unterwerfen, die damit verbunden
ist.“ Das fehlende Risikobewusstsein der
Branche treibt dem Präsidenten der Fed
von Atlanta, Raphael Bostic, Sorgenfalten
auf die Stirn. „Atlanta will zum Fintech-
Hub werden, sodass ich die Gelegenheit ha-
be, mit vielen Unternehmern in diesem Be-
reich zu reden“, sagte Bostic Ende 2018 bei
einer Konferenz. Dabei habe kaum jemand
Risiken als ein wichtiges Thema im Blick.
„Und das macht mich nervös.“
Die Branche wächst rasant – zwischen
2010 und 2017 sind nach Daten des US-Fi-
nanzministeriums mehr als 3300 Fintechs
entstanden. Unternehmen wie Paypal oder
der Kreditvermittler Lending Club haben
dank niedrigerer Gebühren und höherem
Komfort den Banken Millionen Kunden ab-
gejagt. Bereits die Hälfte der Amerikaner
nutzt bei Überweisungen die Dienste von
Fintechs, so eine Studie der Beratungsfir-
ma EY. Die US-Bankenaufsicht OCC schlug
im Juli eine spezielle Lizenz für Fintechs
vor, mit denen sie im ganzen Land Geschäf-
te machen können, sofern sie Kapital- und
Liquiditätsanforderungen erfüllen und Not-
fallpläne vorweisen.
Bisher nutzen Firmen wie die Kreditver-
mittler OnDeck Capital oder Kabbage ver-
schiedene Lizenzen der einzelnen Bundes-
staaten. Die dortigen Aufseher haben dabei
besonders den Verbraucherschutz im Blick
und schreiben etwa vor, dass die Kreditzin-
sen eine bestimmte Höchstgrenze nicht
überschreiten dürfen. Einige Bundesstaa-
ten verlangen zudem, dass sie die Regeln
gegen Geldwäsche einhalten oder Vor-Ort-
Überprüfungen erlauben. Dagegen ist fast
das gesamte Geschäft von Banken streng
reguliert. Die Geldhäuser müssen etwa Ka-
pital- und Liquiditätsvorschriften einhal-
ten, sich an das Bankgeheimnis halten und
Vorkehrungen gegen Geldwäsche treffen.
Für einige Fintechs ist die neue OCC-Li-
zenz nur attraktiv, wenn sie dadurch direk-
ten Zugang zum Zahlungssystem der Fed
erhalten. Dadurch könnten sie bestimmte
Bankgebühren vermeiden – einer der größ-
ten Kostenblöcke für die jungen Unterneh-
men. Die von der OCC vorgeschlagene Li-
zenz erlaubt es aber nicht, dass Fintechs
Einlagen einsammeln, die von der staatli-
chen Einlagensicherung FDIC garantiert
werden – bisher eine Voraussetzung für
den Zugang zum Fed-Zahlungssystem. ■
Fintechs krempeln
Bankenbranche in den USA um
Notenbank Fed fürchtet Gefahren für das Finanzsystem.
Von Pete Schroeder
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