erster abschnitt: die sicherungsmassregeln...sechzehnter titel: die wirkung des erbganges erster...
TRANSCRIPT
Sechzehnter Titel: Die Wirkung des Erbganges
Erster Abschnitt: Die
Sicherungsmassregeln
Hans Rainer Künzle
Art. 551 A. Im Allgemeinen
1 Die zuständige Behörde hat von Amtes wegen die
zur Sicherung des Erbganges nötigen Massregeln zu
treffen.
2 Solche Massregeln sind insbesondere in den vom
Gesetze vorgesehenen Fällen die Siegelung der Erb-
schaft, die Aufnahme des Inventars, die Anordnung der
Erbschaftsverwaltung und die Eröffnung der letztwilli-
gen Verfügungen.
3 …
2
Literatur
BOSON, Les mesures de sureté en droit successoral, RVJ
2010, 102 ff.; BREITSCHMID, Vorsorgliche Massnahmen im
Erbrecht – Art. 551–559 ZGB (Sicherungsmassregeln) und
weitere Implikationen, successio 2009, 102 ff.; BREIT-
SCHMID/KÜNZLE, Länderbericht Schweiz, in: Europäische
Anwaltsvereinigung (Hrsg.), Grenzenloses Erbrecht –
Grenzen des Erbrechts, Köln/Zürich 2004, 1 ff.; EIGEN-
MANN, Renseignements et sauvegarde d'urgence des droits
successoraux, Anwaltsrevue 2016, 417 ff.; EIGEN-
MANN/ROUILLER (Hrsg.), Commentaire du droit des succes-
sions, Bern 2012 (zit. CS-BEARBEITER/IN); PESTALOZZI-
FRÜH, Erbvertragliche Schiedsklauseln/Schiedsverträge im
Bereich des Erbrechts/Kollisionsrechtliche Aspekte bei sol-
chen Schiedsgerichtsverfahren, in: Künzle (Hrsg).,
Schiedsgerichte in Erbsachen, Zürich 2012, 195 ff. (zit.
Schiedsklauseln); DIES., Vorsorgliche Massnahmen und be-
sondere Vorkehrungen im Erbrecht, AJP 2011, 599 ff.;
STRAZZER, Übersicht über die erbrechtlichen Sicherungs-
massnahmen, Anwaltsrevue 2011, 165 ff.; VÖLK, Die
Pflicht zur Einlieferung von Testamenten und Erbverträgen
und ihre Missachtung, Diss. Zürich 2003; WEBER, Gericht-
liche Vorkehren bei der Nachlassabwicklung, AJP 1997,
550 ff.; WOLF, Die Sicherungsmassnahmen im Erbgang
(Art. 551–559 ZGB), ZBJV 1999, 181 ff.; WOLF/GENNA,
Erbrecht in: Schweizerisches Privatrecht, IV/2, Basel 2015.
I. Allgemeines
Die Abwicklung des Erbgangs ist primär Sache der Erben,
allenfalls zusammen mit einem Willensvollstrecker. Die
Behörden dürfen nur eingreifen, wenn dies (ausnahms-
weise) nach den Umständen erforderlich ist (Subsidiarität)
(WOLF/GENNA, SPR IV/2, 32; BOSON, RVJ 2010, 103). Die
Anordnung erfolgt von Amtes wegen (Abs. 1), d.h. selbst-
tätig, bei Kenntnis des Vorliegens der gesetzlich umschrie-
benen Tatbestände (PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Vor
Art. 551 ff. ZGB N 2; Oger ZH vom 31.3.2016, PF160007
E. 8), in den meisten Fällen (Ausnahmen: Art. 553 Abs. 1
Ziff. 3 und Art. 559 Abs. 1) ohne Antrag (WOLF, ZBJV
1999, 189). Die Sicherungsmassregeln sind in Art. 551–559
beschrieben (VÖLK, 8) und von den vorsorglichen Mass-
nahmen des Prozessrechts zu unterscheiden.
Zweck der Sicherungsmassregeln ist die Sicherstellung der
ordnungsgemässen Abwicklung des Erbgangs (nicht der
Erbschaft oder der Interessen einzelner Erben; OGer BE
vom 8.3.2016, ZK 15 615 E. 20.1; PESTALOZZI-FRÜH, AJP
1
2
4
2011, 600) und die Erhaltung des Nachlasses (Vermeiden
von Unsicherheiten, Verschwinden oder Verderben, vgl.
WOLF, ZBJV 1999, 181; STRAZZER, Anwaltsrevue 2011,
471), nicht dessen Liquidation (BSK ZGB II-KAR-
RER/VOGT/LEU, Vor Art. 551–559 N 1 ff.; ZK-ESCHER, Vor
Art. 551 ff. ZGB N 1), parallel werden in gewissen Kanto-
nen (etwa mit dem Steuerinventar) auch steuerliche Zwecke
verfolgt (WOLF/GENNA, SPR IV/2, 32).
Die Sicherungsmassregeln sind Ordnungsvorschriften
ohne materiellrechtliche Folgen (BGer vom 23.5.2013,
5A_134/2013 E. 5.2). Sie sind zwingender Natur, können
also weder vom Erblasser noch von den Erben beeinflusst
werden (WOLF, ZBJV 1999, 186). Die Behörde hat nicht zu
prüfen, ob ein Bedürfnis für die Massnahmen vorhanden ist,
ihr steht (von wenigen Ausnahmen in Art. 554 Abs. 1
Ziff. 1 und Art. 556 Abs. 3 abgesehen) auch kein Ermessen
zu (BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Vor Art. 551 N 3 f.
und 8 und Art. 551 N 1).
Die Sicherungsmassregeln beziehen sich auf den ganzen
Nachlass (weltweit)(CHK-VÖLK, Art. 551 ZGB N 4) und
können während der Dauer des Erbgangs (vom Tod des
3
4
Erblassers bis zur Teilung) angeordnet werden
(PESTALOZZI-FRÜH, AJP 2011, 601).
II. Zuständigkeit und Verfahren
Örtlich zuständig für Sicherungsmassnahmen ist grund-
sätzlich die Behörde am letzten Wohnsitz des Erblassers
(Art. 538 ZGB bzw. Art. 28 Abs. 2 ZPO; EGV-SZ 1990,
114 E. 2 = SJZ 1992, 370 Nr. 55; WOLF/GENNA, SPR IV/2,
10; BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Vor Art. 551–559
N 6). Wenn der Sterbeort mit dem Wohnsitz nicht überein-
stimmt, können zur Sicherung von Vermögenswerten am
Sterbeort auch dort Massnahmen ergriffen werden (Art. 28
Abs. 2 Satz 2 ZPO; BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU,
Art. 551 N 5). Die internationale Zuständigkeit ergibt sich
aus Art. 86 Abs. 1, Art. 87 Abs. 1, Art. 88 Abs. 1 und
Art. 89 IPRG (BGer vom 13.9.2011, 5A_255/2011 E. 4 =
ZBGR 2015, 335 ff.; BGer vom 22.7.2003, 5C.2/2003 E. 2;
OGer ZH vom 12.1.2012, LF 130130 E. 2.3: Verhältnis von
Art. 89 IPRG zu Art. 10 IPRG; BSK ZGB II-KAR-
RER/VOGT/LEU, Vor Art. 551–559 N 13 ff.), wobei der
Wohnsitz nach Art. 20 IPRG zu bestimmen ist (OGer ZH
vom 30.10.2012, LF120063 E. 3). Zu beachten sind sodann
Niederlassungs- und Konsularverträge, insb. diejenigen mit
5
6
Estland (SR 0.946.297.725, Art. 10), Griechenland
(SR 0.142.113.721; Art. 10), Japan (SR 0.142.114.631,
Art. 5), Lettland (SR 0.946.297.726, Art. 10), Österreich
SR 0.142.114.631, Art. 3), Portugal (SR 0.191.116.541,
Art. VIII), Rumänien (SR 0.191.116.631, Art. VIII), Verei-
nigtes Königreich (UK, SR 0.142.113.671, Art. IV) und den
USA (SR 0.142.113.361, Art. V) (PraxKomm Erbrecht-
GRAHAM-SIEGENTHALER, Anhang IPR N 33–36).
Wer sachlich zuständig ist, wird von den Kantonen festge-
legt (BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Vor Art. 551–559
N 7; zu Einzelheiten vgl. PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Vor
Art. 551 ff. ZGB N 10; EGV-SZ 2014, A 2.1 E. 2: Erb-
schaftsamt; KGer GR vom 21.9.2012, ZK1 12 43 E. 1: Be-
zirksgerichtspräsident).
Die Sicherungsmassregeln werden im Verfahren der frei-
willigen Gerichtsbarkeit (im nichtstreitigen Verfahren) er-
lassen (BGer vom 18.12.2012, 5A_434/2012 E. 1.2;
WOLF/GENNA, SPR IV/2, 35) und sind unverzüglich anzu-
ordnen (EIGENMANN, Anwaltsrevue 2016, 418 f.), allen-
falls auch ohne Anhörung der Betroffenen (CHK-VÖLK,
Art. 551 ZGB N 5). Je nachdem, ob ein Gericht oder eine
6
7
Verwaltungsbehörde von den Kantonen für zuständig er-
klärt wird (N 11), gilt die ZPO (als kantonales Recht, vgl.
BGE 139 III 225) oder kantonales Verwaltungsverfahrens-
recht (BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Vor Art. 551
N 10). Massnahmen können nachträglich geändert oder
aufgehoben werden (PKG 1985 Nr. 56 E. 2). Das Urteil des
ordentlichen Richters bleibt immer vorbehalten (VÖLK, 9).
Die Anordnung von Sicherungsmassregeln kann nicht
durch ein Schiedsgericht erfolgen (PESTALOZZI-FRÜH,
Schiedsklauseln, 199).
Die Rechtsmittel richten sich nach der ZPO bzw. kantona-
lem Verwaltungsverfahrensrecht. Inhaltlich können in der
Regel die Verletzung von Gesetzen (wozu auch Fehler in
der Ausübung des Ermessens gehören) und eine unrichtige
Feststellung des Sachverhalts geltend gemacht werden. Ge-
gen letztinstanzliche kantonale Entscheide steht (seit dem
1.1.2007) die Beschwerde in Zivilsachen zur Verfügung
(Art. 72 ff. und Art. 90 BGG), welche von Erben, Ver-
mächtnisnehmern und unter Umständen auch (betroffenen)
Dritten angehoben werden kann. Inhaltlich kann gegen Si-
cherungsmassregeln nur die Verletzung verfassungsmässi-
ger Rechte geltend gemacht werden (Art. 98 BGG; Pra-
xKomm Erbrecht-EMMEL, Vor Art. 551 ff. ZGB N 12).
8
8
Das zur Durchführung der Massnahmen anwendbare Recht
ist das Eröffnungsstatut, d.h. die lex fori der zuständigen
Behörde (Art. 92 Abs. 2 IPRG; BGer vom 18.03.2013,
5A_763/2012 E. 2; ZR 1990 Nr. 4 E. 6; PESTALOZZI-FRÜH,
AJP 2011, 600) und nicht das Erbstatut (vgl. OGer ZH vom
18.3.1998 in: BREITSCHMID/KÜNZLE, 139). Besondere Re-
geln sind sodann in den vorne (N 5) erwähnten Staatsver-
trägen enthalten.
Die Kosten der Sicherungsmassregeln stellen eine Erb-
gangsschuld dar und sind somit vom Nachlass zu tragen
(BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Vor Art. 551–559 N 12;
Ausnahme: Die Kosten der Erbbescheinigung sind vom An-
tragsteller zu bezahlen, vgl. Art. 559 N 20). Sicherheitsleis-
tungen i.S. von Art. 264 f. ZPO sind nicht zulässig (EIGEN-
MANN, Anwaltsrevue 2016, 419).
III. Vom Gesetz vorgesehene Massnahmen
Gemeint sind die in den eidgenössischen und kantonalen
Gesetzen (insb. in den EGZGB zur Siegelung und zum Si-
cherungsinventar) vorgesehenen Massnahmen. Die in
Abs. 2 beschriebenen Massnahmen sind (1) die Siegelung
der Erbschaft (Art. 552), (2) das Sicherungsinventar
(Art. 553; gemeint ist nicht das öffentliche Inventar nach
9
10
11
Art. 580 ff.), (3) die Erbschaftsverwaltung (Art. 554; ge-
meint ist nicht die Erbschaftsverwaltung nach Art. 595) und
(4) die Eröffnung der letztwilligen Verfügung (Art. 556 ff.).
Das Wort "insbesondere" zeigt an, dass auch andere Mass-
nahmen denkbar sind, etwa ein Notverkauf, die Hinterle-
gung bei einer Bank oder einem Gericht (BGer vom
23.5.2013, 5A_134/2013 E. 5.2: Hinterlegung von Aktien),
Verfügungsverbote und die Wohnungsräumung (Pra-
xKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 551 ZGB N 2) sowie die
Bewachung einer Geschäftseinrichtung oder die Ernennung
eines Betriebsleiters (BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU,
Art. 551 N 3). Abgelehnt wurden die Beschlagnahme von
Vermögenswerten bei Dritten (BGer vom 18.03.2013,
5A_763/2012 E. 3: das könnte nur im Rahmen einer Erb-
schaftsklage verlangt werden) und das Instandstellen einer
Liegenschaft (OGer BE vom 8.3.2016, ZK 15 615 E. 19.3
und 20.1). Schliesslich ist zu erwähnen, dass das Steuer-
recht Verfügungssperren zur Sicherstellung der Erbschafts-
steuer vorsieht (PESTALOZZI-FRÜH, AJP 2011, 607).
10
Art. 552 B. Siegelung der Erbschaft
1 Die Siegelung der Erbschaft wird in den Fällen
angeordnet, für die das kantonale Recht sie vorsieht.
Literatur
Vgl. die Literaturhinweise zu Art. 551.
I. Siegelung
Siegelung bedeutet das Anbringen des Amtssiegels
(WOLF/GENNA, SPR IV/2, 38) durch einen Vertreter der zu-
ständigen Behörde (Art. 551 N 5 ff.) an den zu schützenden
Nachlassgegenständen oder am Behältnis oder Raum, in
welchem sich diese befinden (CHK-VÖLK, Art. 552 ZGB
N 1). Im eigentlichen Sinne wird eine Siegelung nur bei
mobilen Gegenständen durchgeführt, welche sich im Ge-
wahrsam des Erblassers (nicht von Dritten) befunden haben
(BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 552 N 1 f. und 4 f.).
Häufig wird ein Siegelungsprotokoll aufgenommen
(WOLF/GENNA, SPR IV/2, 38). Eine Siegelung muss not-
wendig sein (WEBER, AJP 1997, 551). Sie kann auch dann
vorgenommen werden, wenn ein Willensvollstrecker vor-
handen ist (ZR 1984 Nr. 15 E. 1) oder nachdem ein Willens-
vollstrecker suspendiert oder abgesetzt wurde (OGer ZH
1
vom 31.3.2016, PF160067 E. 8). Die Siegelung nach
Art. 552 ist von derjenigen des kantonalen Prozessrechts
(BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 552 N 1), des Steu-
errechts (Art. 156 Abs. 2 DBG; WOLF, ZBJV 1999, 192),
des Konkursrechts (Art. 223 Abs. 1 SchKG) und des Straf-
rechts zu unterscheiden (SOG 1984 Nr. 22; PraxKomm
Erbrecht-EMMEL, Art. 552 ZGB N 5).
Soweit eine Siegelung im technischen Sinne (N 1) nicht
möglich oder sinnvoll ist, werden andere geeignete Mass-
nahmen (Art. 551) ergriffen, wie eine Kontosperre, ein
Verbot der Auszahlung einer Versicherung an die Begüns-
tigten, eine behördliche Verwahrung (z.B. von Schlüsseln)
oder das Auswechseln von Schlössern, die Protokollierung
von Geschäftsbüchern usw. (PraxKomm Erbrecht-EMMEL,
Art. 552 ZGB N 2; EIGENMANN, Anwaltsrevue 2016, 419).
Bei Wertschriften ist eine Siegelung problematisch, weil sie
die Verwaltung verhindert (PESTALOZZI-FRÜH, AJP 2011,
601). Grundbuchsperren sind möglich, aber selten, weil die
Erben ohne Erbbescheinigung gar nicht über das Grund-
stück verfügen können (WOLF, ZBJV 1999, 192). Anord-
nungen können sich auch an den Willensvollstrecker, Er-
benverterter oder Erbschaftsverwalter richten (EIGEN-
2
12
MANN, Anwaltsrevue 2016, 421). Da der Umgang mit Tie-
ren im Nachlass schwierig ist, hat der Verein «Tierschutz ist
Rechtspflicht» vorgeschlagen, einen Art. 553 Abs. 4 mit
folgendem Wortlaut einzufügen: «Fallen Tiere in den Nach-
lass, so ordnet die zuständige Behörde unverzüglich das
Nötige an und sorgt unter Mitwirkung des vom Kanton be-
zeichneten Tierschutzvereins namentlich für deren Unter-
bringung an einem geeigneten Ort».
II. Zweck
Die Siegelung soll das Nachlassvermögen (wie insb. Wert-
papiere, Kostbarkeiten, Akten und Schriften) vor tatsächli-
chen Veränderungen, wie Wegnahme, Verbergung, Ver-
minderung oder Zerstörung durch Erben oder Dritte schüt-
zen (ZR 1984 Nr. 15 E. 2; PraxKomm Erbrecht-EMMEL,
Art. 552 ZGB N 1), aber nicht die zweckgemässe Verwen-
dung verhindern (EIGENMANN, Anwaltsrevue 2016, 419).
Ausnahmsweise kann auch auf Antrag eines Vermächtnis-
nehmers der Gegenstand eines Vermächtnisses versiegelt
werden (BGer vom 7.10.1991, SJ 1992, 88). Die Siegelung
verhindert nicht die Besitzübertragung auf die Erben (BO-
3
SON, RVJ 2010, 108) und kann rechtliche Verfügungs-
handlungen nicht verhindern (ZK-ESCHER, Art. 552 ZGB
N 1).
III. Anwendungsfälle
Die Siegelung wurde den Kantonen überlassen (CS-HU-
BERT-FROIDEVAUX, Art. 551 ZGB N 1), weil das Eindrin-
gen in die Privatsphäre des Erblassers eine heikle Angele-
genheit ist (DRUEY, Erbrecht, § 14 Rz 80). Die meisten
Kantone haben Siegelungstatbestände (oft im EGZGB) ge-
regelt und diese entsprechen weitgehend den Voraussetzun-
gen von Art. 553 und Art. 554 (BOSON, RVJ 2010, 108 betr.
Wallis); in der Praxis werden sie aber selten angewendet.
Selbst im Kanton Bern, wo die Siegelung für obligatorisch
erklärt wurde, wird meist nur ein Siegelungsprotokoll auf-
genommen, welches Eheverträge und letztwillige Verfü-
gungen sowie Vermögen und Schulden auflistet (WOLF,
ZBJV 1999, 191). Aufgrund dieses Siegelungsprotokolls
wird dann entschieden, ob ein Steuerinventar und ein Erb-
schaftsinventar (Art. 553) aufgenommen werden sollen.
IV. Zuständigkeit und Verfahren
Für die Zuständigkeit kann auf Art. 551 N 5 f. verwiesen
werden. Das Verfahren wird von den Kantonen geregelt
4
5
14
(CS-HUBERT-FROIDEVAUX, Art. 551 ZGB N 1). Unentgelt-
liche Rechtspflege wird in diesem Verfahren nicht gewährt
(KGer VD vom 25.4.2016, JdT 2016 III 155 E. 5.2.4).
Die Siegelung ist oft, aber nicht zwingend, eine Vorstufe
des Sicherungsinventars (Art. 553; CHK-VÖLK, Art. 552
ZGB N 4) und endet üblicherweise mit diesem (RJN 1986,
51 E. 6). Nach der Aufnahme des Sicherungsinventars be-
steht nur noch wenig Raum für eine Siegelung (BREIT-
SCHMID, successio 2009, 106), ebenso nach der Ausstellung
der Erbbescheinigung (denkbar nach KGer VD vom
4.9.2012, HC/2012/601 E. 3; abgelehnt in Rep 1984, 323).
Ohne Aufnahme eines Sicherungsinventars endet die Siege-
lung dann, wenn sie ihren Sicherungszweck erfüllt hat
(BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 552 N 9).
Erben und Dritte sind gegenüber der Siegelungsbehörde
(N 5) auskunftspflichtig. Da Gegenstände in Fremdbesitz
nicht der Siegelung (N 1) unterstehen, dürfte die Auskunfts-
pflicht Dritter eine geringe Rolle spielen (BSK ZGB II-
KARRER/VOGT/LEU, Art. 552 N 8).
Die Missachtung der Siegelung wird als Siegelbruch be-
zeichnet und ist nach Art. 290 StGB und kantonalem Ver-
waltungsstrafrecht strafbar (WOLF/GENNA, SPR IV/2, 38).
6
7
8
Art. 553 C. Inventar
1 Die Aufnahme eines Inventars wird angeordnet,
wenn:
1. ein minderjähriger Erbe unter Vormundschaft steht oder
zu stellen ist;
2. ein Erbe dauernd und ohne Vertretung abwesend ist;
3. einer der Erben oder die Erwachsenenschutzbehörde es
verlangt;
4. ein volljähriger Erbe unter umfassender Beistandschaft
steht oder unter sie zu stellen ist.
2 Sie erfolgt nach den Vorschriften des kantonalen
Rechtes und ist in der Regel binnen zwei Monaten seit
dem Tod des Erblassers durchzuführen.
3 Die Aufnahme eines Inventars kann durch die
kantonale Gesetzgebung für weitere Fälle vorgeschrie-
ben werden.
Literatur
BOSON, Les mesures de sureté en droit successoral, RVJ
2010, 102 ff.; CREUX, Les inventaires civils, Not@lex
2014, 69 ff.; EIGENMANN/ROUILLER (Hrsg.), Commentaire
16
du droit des successions, Bern 2012 (zit. CS-BEARBEI-
TER/IN); JAKOB/DARDEL, Der Schutz des virtuellen Erben,
AJP 2014, 462 ff.; OSWALD, Die Auskunftspflicht im Erb-
gang, Diss. Zürich 1976; PESTALOZZI-FRÜH, Vorsorgliche
Massnahmen und besondere Vorkehrungen im Erbrecht,
AJP 2011, 599 ff.; SCHRÖDER, Informationspflichten im
Erbrecht, Diss. Basel 1999; WOLF, Die Sicherungsmass-
nahmen im Erbgang (Art. 551–559), ZBJV 1999, 181 ff.
I. Inventar
Das sog. Sicherungsinventar, auch Erbschaftsinventar ge-
nannt, zeichnet die bei der Eröffnung des Erbgangs
(Art. 537 Abs. 1) vorhandenen Nachlassgegenstände nach
Art und Zahl amtlich auf und zwar im Inland und Ausland
einschliesslich umstrittener Vermögenswerte (BGer vom
18.12.2012, 5A_434/2012 E. 3.2.2; PKG 1991 Nr. 56 E. 4:
mit entsprechendem Vorbehalt). Vermögenswerte in einer
vom Erblasser gültig errichteten Struktur (Trust/Stiftung)
müssen nicht aufgeführt werden, wohl aber solche in einer
von den Erben angefochtenen Struktur (ARTER, AJP 2013,
1541). Lebensversicherungen sind zu erfassen, soweit sie
zur Erbmasse gehören (OGer ZH vom 6.7.2012, LF 120033
1
E. 7). Umstritten ist, ob auch die Passiven aufgelistet wer-
den müssen (verneinend BGer vom 18.12.2012,
5A_434/2012, E. 3.2.2; BGE 120 II 296; BSK ZGB II-KAR-
RER/VOGT/LEU, Art. 553 N 3; WOLF, ZBJV 1999, 193; be-
jahend BGE 116 II 259; PKG 1991 Nr. 56 E. 3; BOSON, RVJ
2010, 111; SCHRÖDER, 94), was m.E. nicht der Fall ist
(ebenso KGer VD vom 29.7.2013, HC 2013/462 E. 3b).
Aufzuführen sind sodann die gegenseitigen Ansprüche aus
der güterrechtlichen Auseinandersetzung (BSK ZGB II-
KARRER/VOGT/LEU, Art. 553 N 3), nicht aber die lebzeiti-
gen Zuwendungen, welche der Herabsetzung bzw. Ausglei-
chung unterliegen (BGE 120 II 296; WOLF, ZBJV 1999,
193). Eine Siegelung (Art. 552) kann vorausgehen. Das Si-
cherungsinventar kann auch dann aufgenommen werden,
wenn ein Willensvollstrecker vorhanden ist (CHK-VÖLK,
Art. 553 ZGB N 1).
Abgrenzungen: Das Nacherbschaftsinventar nach Art. 490
Abs. 1 ist ebenfalls ein Sicherungsinventar und unterschei-
det sich von demjenigen nach Art. 553 durch die zusätzliche
Schätzung (PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 553 ZGB
N 7). Das Steuerinventar erfasst die Nachlassgegenstände
(inkl. Passiven und lebzeitigen Zuwendungen) zu Steuer-
werten (WOLF, ZBJV 1999, 194). Das öffentliche Inventar
2
18
(Art. 580) und das amtliche Liquidationsinventar (Art. 595
Abs. 2) erfassen die Passiven genauer (Rechnungsruf) und
enthalten ebenfalls Bewertungen (WOLF, ZBJV 1999, 194).
II. Zweck
Zweck des Sicherungsinventars ist die behördliche Fest-
stellung aller Vermögenswerte per Todestag (BGE 120 II
293), um deren Verschwinden zu verhindern (CREUX,
Not@lex 2014, 74). Eine Schätzung ist an sich nicht not-
wendig (BGer vom 18.12.2012, 5A_434/2012, E. 3.2.2;
PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 553 ZGB N 3), kann
aber vom kantonalen Recht (N 9) vorgesehen sein (Bei-
spiel: § 127 ZH-EGZGB; KGer VD vom 5.7.2012, HC
2012/496: keine Schätzung; OGer BE vom 5.5.2014, ZK 14
452 E. 12: Schätzung nach Art. 61 EG ZGB).
III. Anwendungsfälle
Das Sicherungsinventar wird aufgenommen, wenn die Vo-
raussetzungen von Abs. 1 gegeben sind. Es bedarf keiner
besonderen Begründung (PraxKomm Erbrecht-EMMEL,
Art. 553 ZGB N 5). Als Erben sind die gesetzlichen, ein-
gesetzten, aber auch provisorischen und virtuellen Erben zu
verstehen (CHK-VÖLK, Art. 553 ZGB N 4; JA-
KOB/DARDEL, AJP 2014, 471).
3
4
Abs. 1 Ziff. 1 meint umfassend verbeiständete Erben
(Art. 327a ff. ZGB), aber auch Erben unter elterlicher Ge-
walt (BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 553 N 8) und
(ausnahmsweise) verbeiständete Erben (JdT 1983 III, 117).
Das neue Erwachsenenschutzrecht (AS 2009 181) formu-
liert Ziff. 1 neu und erfasst nur noch minderjährige Erben
unter Ziff. 1, während die volljährigen Erben von Ziff. 4 ge-
regelt werden.
Abs. 1 Ziff. 2 erfasst den dauernd abwesenden Erben (vo-
rübergehende Abwesenheit genügt nicht), der weder gesetz-
lich noch gewillkürt vertreten ist (PraxKomm Erbrecht-EM-
MEL, Art. 553 ZGB N 5: nach den Umständen kann auch
kein Vertreter bestellt werden). Der Aufenthaltsort kann be-
kannt sein, eine Schutzbedürftigkeit wird nicht verlangt
(CHK-VÖLK, Art. 553 ZGB N 5).
Abs. 1 Ziff. 3 gibt jedem einzelnen Erben (N 4) ein An-
tragsrecht und der Erbe muss seinen Antrag nicht begrün-
den (PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 553 ZGB N 5). Ver-
mächtnisnehmer, Erbschafts- und Erbengläubiger sind
nicht legitimiert. Der Antrag ist nicht an eine Frist gebun-
den, bei offensichtlicher Verspätung darf ihn die Behörde
allerdings ablehnen (BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU,
5
6
7
20
Art. 553 N 13). Das neue Erwachsenenschutzrecht (N 5)
wird zusätzlich der Erwachsenenschutzbehörde ein An-
tragsrecht gewähren.
Abs. 1 Ziff. 4 erfasst die volljährigen Erben, welche unter
eine umfassende Beistandschaft (Art. 398 ZGB) gestellt o-
der zu stellen sind, also dem Nachfolgeinstitut der Entmün-
digung unterstehen und somit handlungsunfähig sind.
Das kantonale Recht kann weitere Anwendungsfälle vor-
sehen (CHK-VÖLK, Art. 553 ZGB N 8). So ist ein Erb-
schaftsinventar im Kanton Bern dann aufzunehmen, wenn
ein Elternteil verstirbt und unmündige Kinder vorhanden
sind (Art. 60 Abs. 4 EGZGB BE). In anderen Kantonen
wird die Erfassung lebzeitiger Zuwendungen (N 1) oder die
Schätzung (N 2) verlangt (Beispiel: § 127 Abs. 1 EGZGB
ZH).
IV. Zuständigkeit und Verfahren
Für die Zuständigkeit kann auf Art. 551 N 5 ff. verwiesen
werden. Es kommt das summarische Verfahren zur An-
wendung (Art. 551 N 7; PESTALOZZI-FRÜH, AJP 2011, 601;
CREUX, Not@lex 2014, 73). Vor Bundesgericht kann nur
die Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend ge-
macht werden (BGer vom 30.6.2014, 5A_431/2014 und
8
9
10
vom 2.5.2012, 5A_310/2012). Unentgeltliche Rechtspflege
wird in diesem Verfahren nicht gewährt (KGer VD vom
25.4.2016, JdT 2016 III 155 E. 5.2.4).
Die in Abs. 2 genannte Frist von zwei Monaten ist eine
Ordnungsfrist (PKG 1991 Nr. 56 E. 2), welche spätere Be-
gehren nicht verhindert (KGer VD vom 4.9.2013, JdT 2012,
241 E. 3: Der Antrag kann auch nach Ausstellung einer Erb-
bescheinigung noch erfolgen). Die Frist deutet an, dass das
Inventar baldmöglichst aufgenommen werden soll (BGer
vom 21.6.2012, 5A_892/2011 E. 5.2: 15 Monate nach dem
Ableben des Erblassers macht es keinen Sinn mehr, ein Si-
cherungsinventar aufzunehmen; WOLF, ZBJV 1999, 196).
Wenn die Ausschlagung nicht mehr möglich ist, wird das
Sicherungsinventar nicht mehr bewilligt (PKG 1988 Nr. 58
E. 1).
Die Inventarbehörde hat das gleiche Auskunftsrecht ge-
genüber den Erben wie diese untereinander (Art. 607 Abs. 3
und Art. 610 Abs. 2; OSWALD, 21; BOSON, RVJ 2010, 112).
Auch Dritte sind zur Auskunft verpflichtet, allerdings nur
bzgl. des Vermögensstandes per Todestag, nicht aber bzgl.
lebzeitigen Zuwendungen (WOLF, ZBJV 1999, 197). Es
11
12
22
sind keine vertieften Abklärungen aufgrund von vagen Ver-
mutungen der Erben anzustellen (OGer ZH vom 7.5.2012,
LF 120022 E. 2.7). Für ein Auskunftsrecht gegenüber einer
vom Erblasser errichteten Struktur (Trust/Stiftung) fehlt
eine gesetzliche Grundlage (BGer vom 18.12.2012,
5A_434/2012 E. 3.3.2 mit Anmerkungen von ARTER, AJP
2013, 1534 ff.: Trust). Im Zusammenhang mit der Aus-
kunftspflicht darf nur die zuständige Behörde und nicht
auch das von ihr beauftragte Hilfspersonal die Androhung
von Straffolgen nach Art. 292 StGB aussprechen (PKG
1991 Nr. 56 E. 5: Kreisamt bzw. Notar).
Das Sicherungsinventar hat keine materiellrechtliche
Wirkung, es begründet insb. unter den Erben keine Vermu-
tung, dass es richtig sei, und ist keine Grundlage für die Be-
rechnung von Pflichtteilen oder die Erbteilung (BGer vom
18.12.2012, 5A_434/2012 E. 1.2; BGE 120 II 293; WOLF,
ZBJV 1999, 198). Es bietet lediglich Beweis (Art. 9), dass
die aufgeführten Vermögenswerte bei Eröffnung des Erb-
gangs zum Nachlass gehörten (BGE 120 Ia 258 E. 1c; CS-
HUBERT-FROIDEVAUX, Art. 553 ZGB N 3). Es kann jeder-
zeit abgeändert werden (BGer vom 18.12.2012,
5A_434/2012 E. 3.2.2; BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU,
Art. 553 N 16).
13
Der Abschluss des Inventars löst die Ausschlagungsfrist
(Art. 568) aus, es sei denn, diese Frist sei bereits abgelaufen
(WOLF, ZBJV 1999, 199). Auf die Monatsfrist von Art. 580
hat das Sicherungsinventar keinen Einfluss.
Die Inventaraufnahme löst Kosten und Vorschüsse aus,
welche den Nachlass belasten. Die Anwendung des Äqui-
valenz- und Kostendeckungsprinzips kann zu einer Redu-
zierung der vorgesehenen Gebühr führen (PraxKomm Erb-
recht-EMMEL, Art. 553 ZGB N 15 f., mit Verweis auf AB
BS vom 17.11.2006).
Art. 554 D. Erbschaftsverwaltung Im Allgemeinen
1 Die Erbschaftsverwaltung wird angeordnet:
1. wenn ein Erbe dauernd und ohne Vertretung abwesend
ist, sofern es seine Interessen erfordern;
2. wenn keiner der Ansprecher sein Erbrecht genügend
nachzuweisen vermag oder das Vorhandensein eines Er-
ben ungewiss ist.
3. wenn nicht alle Erben des Erblassers bekannt sind;
4. wo das Gesetz sie für besondere Fälle vorsieht.
14
15
24
2 Hat der Erblasser einen Willensvollstrecker be-
zeichnet, so ist diesem die Verwaltung zu übergeben.
3 Stand die verstorbene Person unter einer Bei-
standschaft, welche die Vermögensverwaltung umfasst,
so obliegt dem Beistand auch die Erbschaftsverwaltung,
sofern nichts anderes angeordnet wird.
Literatur
BERTHER, Die internationale Erbschaftsverwaltung, Diss.
Zürich 2001; BREITSCHMID, Urteilsbesprechungen von
5C.51/1995 und 5P.69/1995, AJP 1996, 1287 ff.; BOSON,
Les mesures de sureté en droit successoral, RVJ 2010,
102 ff.; EIGENMANN/ROUILLER (Hrsg.), Commentaire du
droit des successions, Bern 2012 (zit. CS-BEARBEITER/IN);
HUX, Die Anwendbarkeit des Auftragsrechts auf die Wil-
lensvollstreckung, die Erbschaftsverwaltung, die Erb-
schaftsliquidation und die Erbenvertretung, Diss. Zürich
1985; KARRER, Bezeichnung eines Ersatz-Willensvollstre-
ckers, Anordnung der Erbschaftsverwaltung, Willensvoll-
strecker als Erbschaftsverwalter, Rechtswirkung der Erbbe-
scheinigung, Besprechung von BGE 5A_841/2013, succes-
sio 2015, 63 ff.; DERS., Anordnung der Erbschaftsverwal-
tung - Willensvollstrecker als Erbschaftsverwalter, succes-
sio 2012, 63 ff.; DERS., Besprechung von BGE
5A_758/2007, Urteil vom 3. Juni 2008, successio 2008,
309 ff.; SCHULER-BUCHE, L’exécuteur testamentaire, l’ad-
ministrateur officiel et le liquidateur officiel, Diss.
Lausanne 2003; WETZEL, Interessenkonflikte des Willens-
vollstreckers, unter besonderer Berücksichtigung seines
Anspruchs auf Erbschaftsverwaltung gem. Art. 554 Abs. 2
ZGB, Diss. Zürich 1984; WEBER, Gerichtliche Vorkehren
bei der Nachlassabwicklung, AJP 1997, 550 ff.; WOLF, Die
Sicherungsmassnahmen im Erbgang (Art. 551–559), ZBJV
1999, 181 ff.
I. Erbschaftsverwaltung
Wenn eine (gemeinsame) Verwaltung des Nachlasses
durch die Erben (Art. 602 Abs. 2) nicht möglich ist oder
der Erbschaft aus anderen Gründen eine Gefahr droht, wird
eine Erbschaftsverwaltung angeordnet, welche die umfas-
sendste Sicherungsmassregel ist (WOLF, ZBJV 1999, 200).
Nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip muss genügend
Vermögen vorhanden sein, um die Kosten zu decken, und
die Voraussetzungen dürfen nicht schon durch einfache
1
26
Nachforschungen der zuständigen Behörde wieder wegfal-
len (WEBER, AJP 1997, 552).
Für die Dauer der Erbschaftsverwaltung sind den Erben
die Besitzes-, Verwaltungs- und Verfügungsrechte ent-
zogen (BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 554 N 37
und 58) und der «jederzeitige» Teilungsanspruch (Art. 604
N 3) ist aufgeschoben (BREITSCHMID, successio 2009, 108).
II. Zweck
Zweck der Erbschaftsverwaltung ist die Sicherung, Erhal-
tung und Verwaltung des Nachlasses nach Bestand und
Wert (PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 554 ZGB N 2 und
23) «unter Wahrung der Gesamtheit der schutzwürdigen In-
teressen aller Beteiligter» (ZR 1995 Nr. 8 E. 4a), nicht aber
die Liquidation (BGE 95 I 392 E. 2 f., mit Ausnahmen;
CHK-VÖLK, Art. 554 ZGB N 2), die Ausrichtung von Ver-
mächtnissen (AGVE 2000, 24 E. 2b; a.M. SCHULER-BU-
CHE, 156 f.) oder Abschlagszahlungen (ZK-ESCHER,
Art. 554 ZGB N 17) und auch keine Erbteilung (BSK ZGB
II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 554 N 2). Unaufschiebbare
Verwaltungshandlungen können vorgenommen werden
(BOSON, RVJ 2010, 117), ausnahmsweise auch Verfügungs-
handlungen (WOLF, ZBJV 1999, 200). Soweit Geld wieder
2
3
anzulegen ist, hat dies konservativ zu geschehen (BJM
1963, 203: Kantonalbank; ZR 1982 Nr. 89 E. 2: risikoarm;
BREITSCHMID, successio 2009, 108).
III. Anwendungsfälle
Die Regelung des ZGB ist abschliessend, die Kantone
können – im Gegensatz zu Art. 552 und Art. 553 Abs. 2 –
keine zusätzlichen Anwendungsfälle bestimmen (LGVE
2004 I Nr. 16 E. 7.1.).
Abs. 1 Ziff. 1: die Erben sind dauernd vertretungslos abwe-
send und ihre Interessen erfordern eine Erbschaftsverwal-
tung. Der Erbe ist nicht in der Lage, einen Vertreter zu be-
stellen (BK-TUOR/PICENONI, Art. 554 ZGB N 3). Hier hat
die Behörde ein gewisses Ermessen (ZK-ESCHER, Art. 554
ZGB N 3 f.). So kann ein Begleit-, Vertretungs- oder Mit-
wirkungsbeistand (Art. 393 ff. ZGB) genügen (WOLF,
ZBJV 1999, 201).
Abs. 1 Ziff. 2: Es ist völlig ungewiss, ob Erben vorhanden
sind bzw. kein Ansprecher kann den Nachweis seiner Ei-
genschaft als Erbe erbringen. Verlangt wird nicht ein pro-
zessualer Beweis, sondern es genügen Indizien (PraxKomm
4
5
6
28
Erbrecht-EMMEL, Art. 554 ZGB N 6). Im ersten Fall ist zu-
sätzlich ein Erbenruf (Art. 555) durchzuführen (WOLF,
ZBJV 1999, 201).
Abs. 1 Ziff 3: Die Erbfolge ist partiell ungewiss. Hierher
gehört der Enterbte, der seine Enterbung anficht (PKG 1989
Nr. 61), oder die KESB, welche das Testament anficht (O-
Ger ZH vom 29.8.2014, LF140040 E. 2.4), nicht aber das
ungeborene Kind (Art. 605; BSK ZGB II-KAR-
RER/VOGT/LEU, Art. 554 N 14). Es muss begründete An-
haltspunkte für weitere Erben geben (OGer ZH vom
31.3.2014, LF140016 E. 2.3.2: Vorrang der Ermittlung in
Zivilstandsregistern vor einem Erbenruf mit Erbschaftsver-
waltung; KGer GR vom 14.6./25.8.1988, SJZ 1989, 176
Nr. 29), ein Ausschluss weiterer Erben durch ein Testament
genügt nicht (ZK-ESCHER, Art. 554 ZGB N 7).
Abs. 1 Ziff. 4: Der Verweis auf vom Gesetz vorgesehene
Fälle meint (WOLF, ZBJV 1999, 202) Art. 490 Abs. 3
(Nacherbeinsetzung; BGE 140 III 145 E. 3.4; OGer BE
vom 23.6.2011, ZK 10 214 E. 4.2), Art. 546 Abs. 2 (Erbe
eines Verschollenen; WEBER, AJP 1997, 552), Art. 548
Abs. 1 (Verwaltung des Anteils eines Verschollenen; a.M.
7
8
BSK ZGB-KARRER/VOGT/LEU, Art. 554 N 17: Verwal-
tungsbeistandschaft), Art. 556 Abs. 3 (Eröffnung; BGer
vom 12.5.2011, 5A_725/2010 E. 5.2 und dazu KARRER,
successio 2012, 65), Art. 598 Abs. 2 (vorsorgliche Mass-
nahmen bei Erbschaftsklage) und Art. 604 Abs. 3 (vorsorg-
liche Massnahmen bei zahlungsunfähigen Erben; KGer GR
vom 26.5.2009, ERZ 09 81 E. 2c: Antrag muss von Miter-
ben kommen). Nicht hierher gehören Art. 593 ff. (amtliche
Liquidation; CS-HUBERT-FROIDEVAUX, Art. 554 ZGB
N 17) und vorsorgliche Massnahmen des Prozessrechts
(BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 554 N 17).
IV. Ernennung
Die zuständige Behörde wählt den Erbschaftsverwalter
nach freiem Ermessen (CHK-VÖLK, Art. 554 ZGB N 9).
Wählbar sind handlungsfähige natürliche oder juristische
Personen (HUX, 126), welche die notwendigen Fachkennt-
nisse besitzen, vertrauenswürdig und unabhängig sind, un-
ter anderem auch Erben, Angehörige oder Bekannte des
Erblassers (AGVE 2000, 26 f. E. 2b; BOSON, RVJ 2010,
118). Ein Annahmezwang besteht nicht (KGer VD vom
9
30
4.9.2013, HC 213/556 E. 4: fehlende Anhörung des frühe-
ren Vormunds; BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 554
N 23).
Wenn ein Willensvollstrecker vorhanden ist, dieser sich
für das Amt eignet und keinem Interessenkonflikt unterliegt
(BGer vom 18.2.2014, 5A_841/2013 E. 6.3 = SJ 2014 I,
417 und Anmerkungen von KARRER, successio 2015, 63 ff.:
Interessenkonflikt; BGE 98 II 276 und OGer ZH vom
17.4.2013, LF 120069 E. 2: Misstrauen der Erben genügt
nicht; OGer ZH vom 17.04.2013, LF120069 E. 5: früheres
Mandatsverhältnis ist kein Hindernis; BJM 1990, 87 E. 2b:
Doppelstellung genügt nicht; WETZEL, 71 ff.), hat dieser ei-
nen Rechtsanspruch auf Ernennung (Abs. 2; GVP-ZG
2000, 216 f. E. 4c). Das gilt selbst nach Anfechtung des
Testaments (WETZEL, 175 ff.). Das Amt als Willensvollstre-
cker ruht so lange (BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU,
Art. 554 N 24 f.).
Die alte Fassung des Gesetzes sah den Vormund als Erb-
schaftsverwalter vor, dieser hatte aber keinen Rechtsan-
spruch auf eine Ernennung (Abs. 3; BK-TUOR/PICENONI,
Art. 554 ZGB N 13). Bei Konkurrenz zwischen Willens-
10
11
vollstrecker und Vormund ist Ersterem der Vorrang zu ge-
währen (WOLF, ZBJV 1999, 204). Das neue Erwachsenen-
schutzrecht (Art. 553 N 5) nennt anstelle des Vormunds die
«Beistandschaft, welche die Vermögensverwaltung um-
fasst» (vgl. Art. 554 Abs. 3 ZGB), erweitert also den Perso-
nenkreis, ändert aber nichts daran, dass diese Personen kei-
nen Rechtsanspruch auf Ernennung haben.
V. Aufgabe
Die Erbschaftsverwaltung beginnt und endet mit einer be-
hördlichen Verfügung. Wenn der Grund für die Erbschafts-
verwaltung (N 5 ff.) wegfällt, ist diese aufzuheben (ZR
1985 Nr. 89 E. 3), so nach Errichtung einer Beistandschaft
(N 5), nach erfolgloser Durchführung des Erbenrufs
(Art. 555) oder Ablauf der Bestreitungsfrist (Art. 559; PKG
1985 Nr. 56 E. 2).
Trotz der Ernennung (N 9 ff.) handelt es sich nicht um eine
öffentliche Aufgabe (BERTHER, 45; CHK-VÖLK, Art. 554
ZGB N 12), sondern um ein privatrechtliches Institut eige-
ner Art (BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 554 N 5),
auf welches das Auftragsrecht (Art. 394 ff. OR) ergän-
zend zur Anwendung kommt (HUX, 141 ff.).
12
13
14
32
Der Erbschaftsverwalter betreut den gesamten Nachlass,
auch denjenigen im Ausland (ZR 1979 Nr. 4 E. 2), nicht
aber das Gut des überlebenden Ehegatten (BSK ZGB II-
KARRER/VOGT/LEU, Art. 554 N 15). Dazu gehören auch
Prozesse über Aktiven und Passiven des Nachlasses (ZR
1987 Nr. 38 E. II.1) und Betreibungen (BGE 54 II 196 E. 1;
53 II 202 E. 4), nicht aber erbrechtliche Prozesse (OGer ZH
vom 24.4.2014, LB 130067 E. 13.2). Nicht zu seinen Auf-
gaben gehört die Ausrichtung von Vermächtnissen (BSK
ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 554 N 48) und die Erbtei-
lung.
Der Erbschaftsverwalter handelt «als Erbschaftsverwalter
im Nachlass X.» (vgl. PraxKomm Erbrecht-EMMEL,
Art. 554 ZGB N 19), also im eigenen Namen, und übt seine
Funktion ohne Instruktion der Erben aus, die Behörden
können ihm aber Vorgaben machen (BJM 1959, 320: Fort-
setzung eines hängigen Prozesses). Die Erben können ihn
nicht absetzen, wohl aber gegen ihn Beschwerde führen
(BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 554 N 4 f., 29, 37
und 61 ff.; N 19).
Der Erbschaftsverwalter errichtet zu Beginn seiner Tätig-
keit ein Inventar bzw. übernimmt das Sicherungsinventar
15
16
(Art. 553; BGE 79 II 113 E. 4; BOSON, RVJ 2010, 118). In-
wieweit zusätzliche Nachforschungen notwendig sind,
kann nur im Einzelfall entschieden werden (nicht notwen-
dig nach BGer vom 13.7.1995, 5P.69/1995 E. 4b; notwen-
dig, wenn glaubhafte Anhaltspunkte bestehen nach BREIT-
SCHMID, AJP 1996, 1294 f.). Der Erbschaftsverwalter erteilt
Auskunft, informiert die Erben (nicht: die Vermächtnisneh-
mer, vgl. EGV-SZ 1998, 128) regelmässig (PraxKomm
Erbrecht-EMMEL, Art. 554 ZGB N 22) und legt (jährlich)
Rechenschaft ab (ZR 1982 Nr. 89 E. 2a; BOSON, RVJ
2010, 117), auch gegenüber der ernennenden Behörde
(BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 554 N 40). Das Ho-
norar stellt eine Erbgangsschuld dar und erfolgt nach den
Grundsätzen, welche für den Willensvollstrecker (Art. 517
Abs. 3; BGE 129 I 330) gelten und ist im Streitfall von der
Behörde festzusetzen (BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU,
Art. 554 N 33 f.). Eine Haftung wird nur zurückhaltend an-
genommen (KGer VD vom 21.5.2014, JdT 2015 III 123
E. 3c: Nichtvermietung einer Wohnung).
VI. Zuständigkeit und Verfahren
Für die Zuständigkeit kann auf Art. 551 N 5 ff. verwiesen
werden (KGer SZ vom 6.8.2013, EGV-SZ 2013, A 2.2:
17
34
Erbschaftsamt; OGer SO vom 11.4.2012, SOG 2012 Nr. 3
E. 2c: KESB). Unzuständigkeit muss bei der ersten sich
bietenden Gelegenheit geltend gemacht werden (KassGer
ZH vom 31.3.2006, AA050062 E. 4). Bei internationalen
Verhältnissen gilt das Eröffnungsstatut (BGer vom
12.5.2011, 5A_725/2010 E. 4 und dazu KARRER, successio
2012, 63 ff.: Wohnsitz in Genf; BGer vom 3.6.2008,
5A.758/2007 E. 2.1 und die Anmerkungen von KARRER,
successio 2008, 310), die Erbschaftsverwaltung nach
Art. 554 kommt somit bei in der Schweiz verstorbenen Erb-
lassern (Wohnsitz) zur Anwendung und wenn der im Aus-
land verstorbene Schweizer für seinen Nachlass das
schweizerische Recht gewählt hat (Art. 87 Abs. 1 IPRG; O-
Ger ZH vom 13.5.2014, LF140033 E. 4).
Das Verfahren ist Sache der Kantone (PraxKomm Erb-
recht-EMMEL, Art. 554 ZGB N 38 ff.). Vor Bundesgericht
kann nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gel-
tend gemacht werden (BGer vom 22.8.2013, 5A_573/2013
m.w.N.). Die Anordnung hat unverzüglich (BGer vom
6.4.2005, 5P.322/2004 E. 3.2; WOLF/GENNA, SPR IV/2, 45:
superprovisorische Anordnung) und von Amtes wegen
(HUX, 125) zu erfolgen, ist im Falle von Art. 556 Abs. 3
auch ohne Anhörung der Erben denkbar (OGer ZH vom
18
22.1.2014, LF 130070 E. 2.3). Eine Parteientschädigung ist
zu gewähren (BGer vom 21.11.2012, 5A_723/2012 E. 5.3
= ZBGR 2015, 182).
Der Erbschaftsverwalter untersteht einer Aufsicht (BGer
vom 21.6.1995, 5C.51/1995 E. 2a), welche sich nach
Art. 595 Abs. 3 richtet (BGer vom 8.7.2003, 5P.83/2003
E. 1; Art. 595 N 7 ff.). Diese wird i.d.R. von der einsetzen-
den Instanz wahrgenommen. Zur Beschwerde legitimiert
sind alle an der Erbschaft materiell Beteiligten (RVJ 1992,
328 E. 1: Erben und Vermächtnisnehmer; BGE 47 III 10
E. 2: Erbschafts- und Erbengläubiger).
Art. 555 II. Bei unbekannten Erben
1 Ist die Behörde im ungewissen, oder der Erblas-
ser Erben hinterlassen hat oder nicht, oder ob ihr alle
Erben bekannt sind, so sind die Berechtigten in ange-
messener Weise öffentlich aufzufordern, sich binnen
Jahresfrist zum Erbgang zu melden.
2 Erfolgt während dieser Frist keine Anmeldung
und sind der Behörde keine Erben bekannt, so fällt die
Erbschaft unter Vorbehalt der Erbschaftsklage an das
erbberechtigte Gemeinwesen.
19
36
Literatur
BOSON, Les mesures de sureté en droit successoral, RVJ
2010, 102 ff.; BREITSCHMID, Vorsorgliche Massnahmen im
Erbrecht – Art. 551–559 ZGB (Sicherungsmassregeln) und
weitere Implikationen, successio 2009, 102 ff.; WEBER, Ge-
richtliche Vorkehren bei der Nachlassabwicklung, AJP
1997, 550 ff.; WOLF, Die Sicherungsmassnahmen im Erb-
gang (Art. 551–559 ZGB), ZBJV 1999, 181 ff.
I. Erbenermittlung
Die Erbenermittlung ist keine selbständige Sicherungs-
massnahme, sondern gehört zur Erbschaftsverwaltung
(Art. 554; BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 555 N 1).
Erbenermittlung bedeutet, dass die Behörde Abklärungen
bzgl. möglichen Erben (nicht bzgl. letztwilligen Verfügun-
gen, vgl. OGer ZH vom 13.10.2014, LF 140076 E. 5) trifft
und eine angemessene öffentliche Aufforderung erlässt,
Berechtigte sollten sich innert Jahresfrist seit der Publika-
tion melden (KGer VD vom 4.4.2012, HC 2012/25: unge-
nügende Publikation). Diese Frist, welche durch eine wei-
tere Publikation verlängert werden kann (PraxKomm Erb-
recht-EMMEL, Art. 555 ZGB N 3), ist angesichts der blo-
ckierenden Wirkung der Erbenermittlung zu lang und sollte
1
(de lege ferenda) auf drei Monate verkürzt werden (WEBER,
AJP 1997, 552). Im Vorentwurf zur Erbrechtsrevision wird
die Frist auf 6 Monate verkürzt. Eine Erbenermittlung ist
nur durchzuführen, wenn begründete Anhaltspunkte für
weitere Erben vorliegen (ZR 2001 Nr. 42 E. 2c.bb; BOSON,
RVJ 2010, 120). Nach der Zürcher Praxis wird sie nur
durchgeführt, wenn sie nötig ist (Art. 551 Abs. 1) und es um
hohe Nachlasswerte geht, in den übrigen Fällen "ist den un-
bekannten Berechtigten in Analogie zu Art. 558 Abs. 2
ZGB die Einsprachefrist gemäss Art. 559 Abs. 1 ZGB mit-
tels öffentlicher Auskündung im kantonalen Amtsblatt und
in der einschlägigen Presse zu eröffnen und zugleich der
Hinweis beizufügen, dass ihnen das Testament gegen Nach-
weis ihrer Berechtigung zur Einsicht aufliege" (OGer ZH
vom 19.11.2015, PF150058 E. 3.4).
Nach Abschluss der Erbenermittlung wird die Erbschafts-
verwaltung beendet. Wenn sich ein berechtigter Erbe ge-
meldet hat, wird der Nachlass den präsumtiven Erben aus-
geliefert. Wenn sich ein Erbe gemeldet hat, der sich nicht
genügend ausweisen kann, wird die Erbschaftsverwaltung
bis zur Klärung fortgeführt (WOLF, ZBJV 1999, 205). Wenn
der Erbenruf erfolglos blieb, wird das Erbe den allenfalls
2
38
vorhandenen Erben ausgeliefert und ansonsten dem Ge-
meinwesen übergeben (Abs. 2).
Das Verpassen der Jahresfrist hat für einen Erben an sich
keine materiellrechtlichen Folgen (BGE 56 II 254 E. 4).
Wenn ein Erbe nach Abschluss der Erbenermittlung auf-
taucht, muss er seinen Anteil gegebenenfalls mit der Erb-
schaftsklage geltend machen (ZK-ESCHER, Art. 555 ZGB
N 3 ff.; WOLF, ZBJV 1999, 205 f.).
Der Erbenruf hemmt die Frist von Art. 559 (Rep 1975, 93 f.
E. 3). Die Erbbescheinigung darf erst nach Ablauf der Jah-
resfrist ausgestellt werden (BSK ZGB II-KAR-
RER/VOGT/LEU, Art. 555 N 10). Braucht ein Erbe vorher ei-
nen Ausweis, kann ihm eine provisorische Erbbescheini-
gung, lautend auf "Erben von X." ausgestellt werden (OGer
ZH vom 7.4.2015, LF140057 E. 2.3.3; Art. 559 N 3). Die
Erben haben (im Rahmen der Ausstellung der Erbbeschei-
nigung) die Kosten der Erbenermittlung zu übernehmen (O-
Ger ZH vom 19.11.2015, LF150058 E. 3.9 und vom
3.7.2012, LF120024 E. II).
II. Zweck
Die Erbenermittlung bezweckt das Auffinden von unbe-
kannten Erben in den Fällen von Art. 554 Abs. 1 Ziff. 2
3
4
5
und 3 (Vorhandensein, Anzahl bzw. Identität der Erben ist
nicht bekannt). Nicht hierher gehört der verschollene Erbe
(Art. 548). Angesichts der guten Zivilstandsregister in der
Schweiz wird hier nur noch selten ein Erbenruf durchge-
führt (WOLF, ZBJV 1999, 205), häufiger im Ausland (etwa
in Ländern wie Deutschland, wo im letzten Weltkrieg Zivil-
standsregister zerstört wurden).
III. Zuständigkeit und Verfahren
Zuständigkeit und Verfahren, insb. die Publikationsmo-
dalitäten, sind kantonal geregelt. Nach der Zürcher Praxis
wird eine Erbenermittlung nur bei hohen Nachlasswerten
durchgeführt und ansonsten durch Publikation im Amtsblatt
und in der Presse eine Einsprachefrist nach Art. 559 eröff-
net (OGer ZH von 19.11.2015, PF1500058 E. 3.4; «Erben-
ruf mit Monatsfrist», WEBER, AJP 1997, 555) bzw. auf ei-
nen Erbenruf verzichtet, wenn die Kosten durch das Nach-
lassvermögen voraussichtlich nicht gedeckt sind (etwa bei
Ausschlagung aller eingesetzten Erben oder bei einem
Rückforderungsanspruch für Altersbeihilfen) (WEBER, AJP
1997, 554 f.). Die Publikation erfolgt i.d.R. zwei oder meh-
rere Male, in einer oder mehreren bekannten Zeitungen (zu-
nehmend sollte auch das Internet berücksichtigt werden,
6
40
vgl. BREITSCHMID, successio 2009, 109), an jenem Ort, wo
man vermutet, dass ein Erbe sein könnte (BOSON, RVJ
2010, 120), etwa am letzten Wohnsitz, am Heimatort oder
an wichtigen Aufenthaltsorten des Erblassers (PraxKomm
Erbrecht-EMMEL, Art. 555 ZGB N 5). Die Miterben und ein
Willensvollstrecker (ZR 1990 Nr. 4) können zur Mitwir-
kung angehalten werden (BREITSCHMID, successio 2009,
109). Der Einbezug von privaten Auskünften oder Diensten
ist vom Gesetz nicht vorgesehen (BSK ZGB II-KAR-
RER/VOGT/LEU, Art. 555 N 5). Die Kosten der Erbenermitt-
lung werden dem Erben auferlegt, welcher die Erbbeschei-
nigung beantragt hat (Art. 559 N 21), dieser hat auch einen
Kostenvorschuss zu leisten (OGer ZH vom 28.11.2011,
PF110043 E. 5).
Art. 556 E. Eröffnung der letztwilligen Verfügung I. Pflicht zur Einlieferung
1 Findet sich beim Tode des Erblassers eine letzt-
willige Verfügung vor, so ist sie der Behörde unverweilt
einzuliefern, und zwar auch dann, wenn sie als ungültig
erachtet wird.
2 Der Beamte, bei dem die Verfügung protokolliert
oder hinterlegt ist, sowie jedermann, der eine Verfügung
in Verwahrung genommen oder unter den Sachen des
Erblassers vorgefunden hat, ist bei persönlicher Verant-
wortlichkeit verbunden, dieser Pflicht nachzukommen,
sobald er vom Tode des Erblassers Kenntnis erhalten
hat.
3 Nach der Einlieferung hat die Behörde, soweit
tunlich nach Anhörung der Beteiligten, entweder die
Erbschaft einstweilen den gesetzlichen Erben zu über-
lassen oder die Erbschaftsverwaltung anzuordnen.
Literatur
GLATTHARD, Testamente und Erbverträge: Neuerungen im
bernischen Notariatsrecht zur «Aufbewahrung», «Eröff-
nung» und «Mitteilung» von Testamenten und Erbverträ-
gen, BN 2008, 261 ff.; HERZER, Die Eröffnung von Verfü-
gungen von Todes wegen, Diss. Zürich 1976; JENNY, Die
Erbbescheinigung, Diss. Freiburg 2014; RIEDO, «Eine Ur-
kunde, über die er nicht allein verfügen kann» – Bemerkun-
gen zur Urkundenunterdrückung nach Art. 254 StGB, AJP
2003, 917 ff.; RUF, Die Bedeutung der Eröffnung von Ehe-
verträgen für die Eigentumsübertragung von Grundstücken,
BN 1985, 101 ff.; SPIRIG, Erbenermittlung, Zürich 1971;
SCHNYDER, Die Eröffnung von Testament und Erbvertrag,
42
in: Breitschmid (Hrsg.), Testament und Erbvertrag, Bern
1991, 101 ff.; VÖLK, Die Pflicht zur Einlieferung von Tes-
tamenten und Erbverträgen und ihre Missachtung, Diss. Zü-
rich 2003; WEBER, Gerichtliche Vorkehren bei der Nachlas-
sabwicklung, AJP 1997, 550 ff.; WOLF, Die Sicherungs-
massnahmen im Erbgang (Art. 551–559 ZGB), ZBJV 1999,
181 ff.; vgl. auch die Literaturhinweise zu Art. 551.
I. Einlieferung
Die Pflicht zur Einlieferung letztwilliger Verfügungen ist
eine absolute Pflicht öffentlich-rechtlicher Natur, der die
Betroffenen unaufgefordert, uneingeschränkt und unver-
züglich nachzukommen haben (CHK-VÖLK, Art. 556 ZGB
N 2). Eine bestimmte Frist gibt es nicht, auch lange nach
dem Tod des Erblassers aufgefundene letztwillige Verfü-
gungen müssen noch eingereicht werden (WEBER, AJP
1997, 553: Testament von 1912).
Es handelt sich um eine Ordnungsvorschrift, deren Ver-
letzung keine materiellrechtlichen Folgen hat (BK-
TUOR/PICENONI, vor Art. 556–560 ZGB N 7), insb. die Gül-
tigkeit der letztwilligen Verfügung nicht berührt (BSK ZGB
II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 556 N 4).
1
2
II. Zweck
Zweck von Art. 556 ist die Sicherung und Feststellung
des letzten Willens des Erblassers (VÖLK, 9 f.) und eine
provisorische Ordnung der erbrechtlichen Nachfolge vor
der Eröffnung (ZK-ESCHER, Vor Art. 556–559 ZGB N 2).
III. Einzuliefernde Verfügungen
1. Letztwillige Verfügungen
Einzuliefern sind alle Dokumente, die inhaltlich als Testa-
mente i.S. von Art. 498 ff. erscheinen (WOLF, ZBJV 1999,
206). Auf die äussere Form kommt es nicht an (BOSON, RVJ
2010, 122: «Une disposition testamentaire peut être ex-
primée dans une lettre adressée à un tiers ou dans un journal
personnel»), nur auf den Inhalt (ZR 1978 Nr. 131: «letzt-
willige Willensäusserung»; ZR 1967 Nr. 99). Einzureichen
sind letztwillige Verfügungen auch dann, wenn sie sich wi-
dersprechen (KGer GR vom 24.1.2001, ZBGR 2003, 352 f.
E. 2d) oder aufgehoben wurden (BGE 91 II 327 E. 4; ZR
1995 Nr. 14), wenn die Echtheit zweifelhaft ist (ZR 1967
Nr. 99) oder sie sonst ungültig (gemeinschaftliche Testa-
mente [BezGer ZH vom 20.1.1965, SJZ 1965, 359], von
Dritten geschriebene Testamente [ZR 1967 Nr. 99], Verweis
auf externe Dokumente) oder sogar nichtig (KGer GR vom
3
4
44
24.1.2001, ZBGR 2003, 352 E. 2c) erscheinen (WEBER,
AJP 1997, 553). Darunter fallen auch letztwillige Verfügun-
gen nach ausländischem Recht (BSK ZGB II-KAR-
RER/VOGT/LEU, Art. 556 N 5). Nicht einzuliefern sind No-
tizen, Vermögensaufstellungen oder von Dritten erstellte
Entwürfe (OGer ZH vom 30.4.2013, LF130015 E. 3.1). An
sich ist das Original einzuliefern, wenn dieses nicht vor-
handen ist, aber auch Kopien (JdT 1976 III, 4: beim Frie-
densrichter verlorenes Original; Rep 1968, 62: französische
Notare geben das Original nie heraus; VÖLK, 23 ff.).
Die Einlieferungspflicht ist streng, weil ungültige Testa-
mente bei fehlender Anfechtung gültig werden können und
weil letztlich der Richter über die Gültigkeit entscheiden
soll (WOLF, ZBJV 1999, 206). Das kann zur Folge haben,
dass unter Umständen auch Kopien und Entwürfe frühe-
rer Testamente einzureichen sind (KGer SZ vom 7.4.2014,
EGV-SZ 2014, A 2.2 E. 3b). Dies verursacht nicht nur einen
übermässigen Verwaltungsaufwand, sondern mag da und
dort auch den Familienfrieden nachhaltig stören. Deshalb
ist Eröffnungsbehörden «eine pragmatische Handhabung
der Einlieferungspflicht kein Dorn im Auge» (WEBER, AJP
1997, 553). Dennoch gesteht man dem Einlieferer nicht zu,
5
dass er in der «Grauzone» eine Triage vornimmt (SCHNY-
DER, 107). Für die Rechtsberater bedeutet dies, dass sie und
ihre Klienten sich (vor dem Tod des Erblassers) konsequent
früherer Testamentsfassungen entledigen müssen, wenn sie
der «erweiterten» Einlieferungspflicht entgehen wollen.
Notare haben die Möglichkeit, gegenstandslos gewordene
Testamente abzuschreiben (§ 130 NotV ZH; WEBER, AJP
1997, 553).
2. Erbverträge
Da in der Überschrift von «E. Letztwilligen Verfügungen»
die Rede ist, war die frühere Meinung, Erbverträge seien
nicht einzuliefern (BGE 90 II 376 E. 6b). Der Gesetzgeber
ging davon aus, dass die Vertragsparteien für die Bekannt-
gabe des Inhalts sorgen (BK-TUOR/PICENONI, Art. 556
ZGB N 2). Soweit ein Willensvollstrecker eingesetzt wird,
Grundstücke betroffen sind (nach Art. 18 Abs. 2 lit. a GBV
braucht es zur Übertragung auf den Erben eine Erbbeschei-
nigung) oder Dritte auf die Eröffnung (bzw. die Erbbeschei-
nigung) angewiesen sind, ist eine Einlieferungspflicht un-
umgänglich (RUF, BN 1985, 102 ff.). Es setzt sich deshalb
immer mehr die Meinung durch, dass auch Erbverträge ein-
zuliefern sind (WOLF, ZBJV 1999, 207 f.; BSK ZGB II-
6
46
KARRER/VOGT/LEU, Art. 556 N 13; PraxKomm Erbrecht-
EMMEL, Art. 556 ZGB N 8; Völk, 29). Die Einlieferung
kann jedenfalls im Erbvertrag geregelt werden, zumal sie in
allen Kantonen fakultativ vorgesehen ist (BSK ZGB II-
KARRER/VOGT/LEU, Art. 556 N 11), im Kanton Bern gar
obligatorisch (GLATTHARD, BN 2008, 278).
3. Eheverträge
Die Einlieferung von Eheverträgen ist im ZGB nicht vor-
gesehen (BGer vom 5.6.2012, 1B_269/2012 E. 2.2; ZR
1981 Nr. 35; PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 556 ZGB
N 9). Das kantonale Recht kann die Einlieferung fakultativ
vorsehen und in der Praxis wird sie häufig (vielfach zusam-
men mit dem Erbvertrag) vorgenommen (RUF, BN 1985,
102 ff.). Die Erben können gestützt auf Art. 610 Einblick in
den Ehevertrag verlangen (VÖLK, 31 f.). Der Kanton Bern
hat die Eröffnung abgeschafft, weil der Ehevertrag unmit-
telbar dingliche Wirkung hat (GLATTHARD, BN 2008, 279).
IV. Einlieferungspflichtige Personen
Einlieferungspflichtig ist der Notar, welcher die letztwil-
lige Verfügung errichtet hat, der Aufbewahrer, bei wel-
chem sie hinterlegt ist (vgl. Art. 504 und Art. 505 Abs. 2;
7
8
VPB 1987 Nr. 25 E. 1: Auslandschweizer können ihr Testa-
ment bei der Heimatgemeinde hinterlegen), und jeder Fin-
der, der sie in den Unterlagen des Erblassers gefunden hat
(WOLF, ZBJV 1999, 208; BSK ZGB II-KAR-
RER/VOGT/LEU, Art. 556 N 16 ff.). Hinterlegungsstellen
haben keine Pflicht, nach dem Ableben der Testatoren zu
forschen (PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 556 ZGB
N 13); eine Unterstützung in diesem Zusammenhang bietet
das Zentrale Testamentsregister des Schweizerischen Nota-
renverbandes (VÖLK, 17 ff.), aber auch kantonale Testa-
mentsregister wie dasjenige des Kantons Bern (GLATT-
HARD, BN 2008, 279 ff.) Eine Pflichtverletzung, also Nicht-
einlieferung oder verspätete Einlieferung (BGE 90 II 376
E. 6a: zweieinhalb Monate nach dem Tod des Erblassers),
führt nicht direkt zu Sanktionen, sie macht den Betroffenen
aber persönlich verantwortlich (PraxKomm Erbrecht-EM-
MEL, Art. 556 ZGB N 4 ff.):
Jeder Interessierte (Begünstigte/Willensvollstrecker) kann
zivilrechtlich die Klage auf Einlieferung (PraxKomm Erb-
recht-EMMEL, Art. 556 ZGB N 32) und allenfalls auf Scha-
denersatz (Art. 41 ff. oder Art. 97 ff. OR) einleiten und un-
ter Umständen auch Erbunwürdigkeit (Art. 540 Abs. 1
Ziff. 4) geltend machen (VÖLK, 83 ff.).
9
48
Strafrechtlich sind die Tatbestände der Sachentziehung
(Art. 141 StGB; VÖLK, 106 ff.) und Sachbeschädigung
(Art. 144 StGB; KGer VD vom 25.8.1981, JdT 1982 III, 23)
sowie der Urkundenunterdrückung (Art. 254 StGB; KGer
VD vom 25.8.1981, JdT 1982 III, 23; RIEDO, AJP 2003,
929) zu prüfen. Eine Bestrafung setzt allerdings voraus,
dass auch der subjektive Tatbestand erfüllt ist (z.B. Schädi-
gungsabsicht bei Art. 254 StGB), weshalb sie nicht allzu
häufig angewendet werden (WEBER, AJP 1997, 553).
Wenn der Einlieferungspflichtige ein Beamter, Anwalt oder
Notar ist, hat er möglicherweise gegen disziplinarische
Regeln seines Berufs verstossen (BSK ZGB II-KAR-
RER/VOGT/LEU, Art. 556 N 24).
V. Provisorischer Besitz (Abs. 3)
Nach Einlieferung der Verfügung von Todes wegen kann
die Behörde den Besitz den gesetzlichen Erben überlassen
oder – wenn dies nicht als angezeigt erscheint (BGer vom
21.11.2012, 5A_723/2012 E. 5.2 = ZBGR 2015, 182: Sie-
gelung und Inventar genügen; LGVE 2004 I Nr. 16 E. 7.1:
Beeinträchtigung eines zulasten der gesetzlichen Erben Be-
günstigten) – eine Erbschaftsverwaltung anordnen
(Art. 554 Ziff. 4; Art. 554 N 8; OGer ZH vom 16.4.2012,
10
11
12
LF120017); sie darf den Besitz aber nicht den eingesetzten
Erben überlassen (OGer ZH vom 8.7.2011, LF 110005 E. 3:
selbst wenn sie alleinberechtigt erscheinen; ZR 1963 Nr. 7
E. 2a; WOLF, ZBJV 1999, 209). Diese Erbschaftsverwal-
tung wird wieder aufgehoben, wenn sie nicht mehr als not-
wendig erachtet wird (PKG 1985 Nr. 56 E. 1; BK-
TUOR/PICENONI, Art. 556 ZGB N 11), nach Ablauf der Ein-
sprachefrist nach Art. 559 (PKG 1985 Nr. 56 E. 2) oder
nach Ablauf der einjährigen Klagefrist (OGer ZH vom
29.10.2013, LF130056 E. II.4); sie kommt nicht zum Tra-
gen, wenn ein Willensvollstrecker (Art. 517 f.) vorhanden
ist (KGer TI vom 1.2.2012, 11.2011.131 E. 8 = RtiD
Nr. 13c/II-2012; AGVE 2000, 24 E. 2b; BOSON, RVJ 2010,
123; zu einer Ausnahme siehe BGer vom 18.2.2014,
5A_841/2013 E. 5.1 und 6.1 und Anmerkungen von KAR-
RER, successio 2015, 63 ff.: Interessenkonflikt).
VI. Zuständigkeit und Verfahren
Zur Zuständigkeit vgl. Art. 551 N 5 ff. (OGer ZH vom
8.7.2011, LF110005 E. 2: Einzelgericht; OGer SO vom
11.4.2012, SOG 2012, Nr. 3 E. 2b: Erbschaftsamt).
13
14
50
Im Rahmen des nichtstreitigen Verfahrens kann die Ein-
lieferungsbehörde die Einlieferung mittels Verfügung er-
zwingen (BGE 98 II 148).
Art. 557 II. Eröffnung
1 Die Verfügung des Erblassers muss binnen Mo-
natsfrist nach der Einlieferung von der zuständigen Be-
hörde eröffnet werden.
2 Zu der Eröffnung werden die Erben, soweit sie
den Behörden bekannt sind, vorgeladen.
3 Hinterlässt der Erblasser mehr als eine Verfü-
gung, so sind sie alle der Behörde einzuliefern und von
ihr zu eröffnen.
Literatur
ABT/KÜNZLI, Stinkende Fälle: Entwicklungen, Erfahrun-
gen, Erkenntnisse, in: Eitel (Hrsg.), Liber amicarum für
Alexandra Rumo-Jungo, Zürich 2014, 1 ff.; BOSON, Les
mesures de sureté en droit successoral, RVJ 2010, 102 ff.;
HERZER, Die Eröffnung von Verfügungen von Todes we-
gen, Diss. Zürich 1976; KARRER, Testamentseröffnung -
Ausstellung/Abänderung Erbbescheinigung, successio
2012, 113 ff.; SANDOZ, De l’étrange usage cantonal de
l’art. 557 al. 2 CC - Un exemple vaudois vécu, in: Rumo-
Jungo et al. (Hrsg.), Mélanges Paul-Henri Steinauer, Bern
2013, 435 ff.; SCHNYDER, Die Eröffnung von Testament
und Erbvertrag, in: Breitschmid (Hrsg.), Testament und
Erbvertrag, Bern 1991, 101 ff.; SPIRIG, Erbenermittlung,
Zürich 1971; VÖLK, Die Pflicht zur Einlieferung von Testa-
menten und Erbverträgen und ihre Missachtung, Diss. Zü-
rich 2003; WEBER, Gerichtliche Vorkehren bei der Nachlas-
sabwicklung, AJP 1997, 550 ff.; WOLF, Die Sicherungs-
massnahmen im Erbgang (Art. 551–559 ZGB), ZBJV 1999,
181 ff.
I. Eröffnung
Eröffnung bedeutet, dass der Inhalt aller eingelieferten Ur-
kunden den Beteiligten zur Kenntnis gebracht wird
(KGer SZ vom 7.4.2014, EGV-SZ 2014, A. 2.2 E. 3b;
CHK-VÖLK, Art. 557 ZGB N 1). Die Eröffnung hat inner-
halb eines Monats nach der Einlieferung (Art. 556) zu er-
folgen (ZR 1974 Nr. 3 E. 1: kein Zuwarten bis alle Adressen
bekannt sind) und ist zwingend. Verschlossen eingereichte
Urkunden können schon vor der Eröffnung geöffnet werden
(PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 557 ZGB N 6). An sich
1
52
sollte der Inhalt der Urkunden in Gegenwart der Betroffe-
nen (aller Erben, des nutzniessungsberechtigten Ehegatten
und des Willensvollstreckers, nicht aber der Vermächtnis-
nehmer, vgl. SCHNYDER, 111) verlesen werden (PKG 1990
Nr. 52; CS-HUBERT-FROIDEVAUX, Art. 557 ZGB N 4); in
der Praxis (KGer GR vom 13.9.2011, ZK1 12 24 E. 4b)
wird aber meistens der Korrespondenzweg gewählt (Zusen-
dung einer Kopie an die Erben und den Willensvollstrecker
bzw. eines Auszugs an die Vermächtnisnehmer [LGVE
2006 III Nr. 11: «soweit diese sie angeht»; SANDOZ, in: FS
Steinauer, 442; BOSON, RVJ 2010, 124] oder Publikation im
kantonalen Amtsblatt [WOLF, ZBJV 1999, 210]) und fällt
mit der Mitteilung nach Art. 558 zusammen (VÖLK, 41 ff.).
SANDOZ, in: FS Steinauer, 443 ff., schlägt deshalb eine An-
passung des Gesetzestextes vor. Die Eröffnung ist zu proto-
kollieren (PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 557 ZGB
N 8).
Die Vorschriften über die Eröffnung sind Ordnungsvor-
schriften. Wenn diese nicht genau eingehalten werden, hat
dies weder einen Einfluss auf die Gültigkeit des Eröff-
nungsaktes noch auf die eröffnete Verfügung (BGE 90 II
376 E. 6a), noch auf die Zulässigkeit von Klagen der Erben
2
(BGE 99 II 246 E. 7: Ungültigkeitsklage) (BSK ZGB II-
KARRER/VOGT/LEU, Art. 557 N 5).
Die Eröffnung der Verfügungen von Todes wegen ist Vo-
raussetzung für das Ausstellen der Erbbescheinigung
(Art. 559) an eingesetzte Erben, nicht aber für die Mittei-
lung an den Willensvollstrecker, welche sofort nach der
Einlieferung erfolgt (WEBER, AJP 1997, 554; a.M. CHK-
VÖLK, Art. 557 ZGB N 6). Weiter werden die vorsorglichen
Massnahmen (Art. 556 Abs. 3; vgl. Art. 556 N 12) über-
prüft. Schliesslich löst die Eröffnung (und nicht die Mittei-
lung [Art. 558]) die Verwirkungsfrist für die Ungültigkeits-
klage (Art. 521 Abs. 1), die Herabsetzungsklage (Art. 533
Abs. 1) und die Erbschaftsklage (Art. 600 Abs. 1) aus, so-
weit diese nicht schon früher begonnen haben (VÖLK,
50 ff.). Gleiches gilt für die 30-jährige Frist von Art. 521
Abs. 2 und Art. 600 Abs. 2 (PraxKomm Erbrecht-EMMEL,
Art. 557 ZGB N 10). Beim Erbvertrag beginnt die Frist für
die Herabsetzungs- und Erbschaftsklage schon mit dem Tod
des Erblassers (PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 557
ZGB N 11), die Frist für die Ungültigkeitsklage beginnt da-
gegen ebenfalls mit der Eröffnung (BSK ZGB II-KAR-
RER/VOGT/LEU, Art. 557 N 22).
3
54
II. Zweck
Zweck der Eröffnung ist die Bekanntgabe des Inhalts der
Verfügungen von Todes wegen sowie die Möglichkeit,
dass sich die Betroffenen von der eingereichten Urkunde
ein genaueres Bild machen können (Streichungen, Echt-
heit, Formerfordernisse usw.) (KGer SZ vom 7.4.2014,
EGV-SZ 2014, A. 2.2 E. 3b; HERZER, 25). Die Eröffnungs-
behörde trifft eine vorläufige Feststellung über den Inhalt
der letztwilligen Verfügung (OGer ZH vom 6.8.2013,
LF130035 E. 2–6: Auflage oder Bedingung; OG ZH vom
8.7.2011, LF110005 E. 4: Einsetzung eines Willensvollstre-
ckers) und umfasst in einigen Kantonen auch die sog. Erb-
scheinsprognose (KGer SZ vom 8.11.2013, EGV-SZ 2013
A. 2.4 E. 6d; zu den kantonalen Unterschieden vgl.
ABT/KÜNZLI, 24 f.). Diese Auslegung kann von der Ober-
behörde korrigiert werden (OGer ZH vom 7.5.2014,
LF140002 E. III.: Rückgabe des Willensvollstreckeraus-
weises; OGer ZH vom 23.10.2015, LF150040 E. 3.4: keine
Enterbung). Nicht Gegenstand der Testamentseröffnung ist
das Nachlassvermögen (OGer ZH 26.1.2012, LF110122
E. 4). Im Gegensatz zu den Common-law-Ländern be-
zweckt die Eröffnung keine Homologation der Verfügung
4
von Todes wegen (BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU,
Art. 557 N 2).
III. Ermittlung der Beteiligten
Die Behörde hat die Erben und übrigen Beteiligten soweit
möglich zu ermitteln. Zu suchen sind nicht nur die einge-
setzten Erben und Vermächtnisnehmer, sondern (im Hin-
blick auf die Einsprache nach Art. 559) auch alle gesetzli-
chen Erben (WEBER, AJP 1997, 554) und die Bedachten aus
früheren Verfügungen von Todes wegen (LGVE 2006 III
Nr. 11). Der Nachweis erfolgt in erster Linie über Zivil-
standsurkunden, sekundär über Einwohnerkontrollregister,
Akten über Nachlässe verstorbener Angehöriger, vereinzelt
auch eidesstattliche Erklärungen (SPIRIG, 1 ff.; WEBER, AJP
1997, 554). Über das Internet können zudem Genealogiefo-
ren eingesehen werden. Die Beteiligten haben mitzuwirken,
insb. der Willensvollstrecker (ZR 1990 Nr. 4 E. 6; WEBER,
AJP 1997, 554). Soweit die Erben nicht ermittelt werden
können ist ein Verfahren nach Art. 555 einzuleiten.
IV. Zu eröffnende Verfügungen
1. Letztwillige Verfügungen
Grundsätzlich sind alle eingelieferten Urkunden zu eröff-
nen (BOSON, RVJ 2010, 123). Dazu gehören auch ungültige
5
6
56
und aufgehobene letztwillige Verfügungen (PKG 2001
Nr. 35; 1990 Nr. 52: vom Kreisamt zurückgefordertes, aber
noch nicht zurückgegebenes Testament). Die Behörde
nimmt eine Prüfung vor, die kein Präjudiz darstellt, also un-
verbindlich ist (KGer GR vom 21.9.2012, ZK1 12 43 E. 2;
PKG 1990 Nr. 52: «ob die vorhandenen Urkunden […] die
Merkmale einer letztwilligen Verfügung tragen») und darf
die Eröffnung in extremis unterlassen (hierher gehören auch
bedingte Verfügungen, bei denen «unzweifelhaft feststeht,
dass eine Suspensivbedingung nicht mehr eintreten kann
bzw. eine Resolutivbedingung eingetreten ist» [VÖLK, 47]),
sollte sie i.d.R. aber vornehmen. Umstritten ist die Frage,
ob man dem Eröffnungsrichter zugestehen soll, eine Triage
vorzunehmen und etwa die folgenden Fälle nicht zu eröff-
nen: Offensichtlich gegenstandslos gewordene Testamente,
fehlendes Nachlassvermögen, Ausschlagung sämtlicher Er-
ben, Verzicht aller Beteiligten auf das Eröffnungsverfahren.
Aus rein praktischen Gründen und weil die nicht eröffneten
Verfügungen für einen Bedarfsfall zugänglich bleiben, be-
fürworte ich dies (ebenso SCHNYDER, 110: «Eine entspre-
chende Regel des kantonalen Rechts würde dem Bundes-
recht nicht widersprechen»; HERZER, 75: «Die Praxis zeigt
aber, dass ein ausgesprochenes Bedürfnis besteht, sinnlose
Staatsakte zu vermeiden»; a.M. CHK-VÖLK, Art. 557 ZGB
N 3, welche sich aber de lege ferenda der herrschenden Pra-
xis anschliesst, vgl. VÖLK, 44). Über die Gültigkeit der
letztwilligen Verfügungen entscheidet (unbestritten) letzt-
lich der ordentliche Richter (BSK ZGB II-KAR-
RER/VOGT/LEU, Art. 557 N 11).
2. Erbverträge
Alle Kantone sehen die (obligatorische oder fakultative) Er-
öffnung der Erbverträge vor (CS-HUBERT-FROIDEVAUX,
Art. 556 ZGB N 2). Bei den Erbverträgen hat eine differen-
zierte Eröffnung zu erfolgen. Es sind nur diejenigen Best-
immungen zu eröffnen, welche mit dem Tod des Erblassers
in Kraft treten (CHK-VÖLK, Art. 557 ZGB N 4), was sich
in der Praxis aber teilweise als undurchführbar erweist. Die
Wirkung der Eröffnung entspricht derjenigen bei den letzt-
willigen Verfügungen (N 3).
3. Eheverträge
Eheverträge werden grundsätzlich nicht eröffnet (ZR 1981
Nr. 35), weil nach Bundesrecht keine Einlieferungspflicht
besteht (Art. 556 N 7). Soweit eine Eröffnung zusammen
mit einem Erbvertrag oder Testament erfolgt (etwa weil
beide Verträge im selben Dokument enthalten sind) oder
7
8
58
aufgrund kantonalen Rechts, sind die Wirkungen dieselben
wie bei der letztwilligen Verfügung, soweit das überhaupt
möglich ist (BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 557
N 16).
V. Aufbewahrung
Die eröffneten letztwilligen Verfügungen werden nicht an
die Erben ausgehändigt, sondern verbleiben bei der Eröff-
nungsbehörde und werden dort archiviert (ZR 1990 Nr. 4
E. 7) und zwar während unterschiedlicher Dauer (HERZER,
136: 30 Jahre bis unbeschränkt). Es wird höchstens vo-
rübergehend (etwa zur Durchführung einer Expertise bzgl.
der Frage, ob der Erblasser das Dokument selbst verfasst
habe) herausgegeben. Erbverträge, die beim Tod der zwei-
ten Partei wiederum (möglicherweise an einem anderen
Ort) eröffnet werden müssen, werden dem Einlieferer zu-
rückgegeben und es wird lediglich eine Kopie davon auf-
bewahrt (BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 557 N 20).
VI. Zuständigkeit und Verfahren
Für die Zuständigkeit und das Verfahren kann auf Art. 551
N 5 ff. verwiesen werden (OGer ZH vom 22.4.2014,
LF130068 E. 2: letzter Wohnsitz; ein Nachlassverfahren im
9
10
Ausland ändert nichts daran). Einschränkungen der Eröff-
nung durch das kantonale Recht sind nicht zulässig (Pra-
xKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 557 ZGB N 3). Die Eröff-
nungsverfügung sollte unter anderem eine Rechtsbelehrung
über ihre Auswirkungen (N 3) enthalten (SCHNYDER, 113).
Ein Rekurs gegen die Eröffnungsverfügung setzt ein recht-
liches Interesse voraus, welches bei der Beanstandung der
vorläufigen Auslegung des Testaments nicht gegeben ist
(ZR 1969, Nr. 131 E. 3; BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU,
Art. 557 N 17), was von Laien häufig übersehen wird. Da
die Verfügungen der Eröffnungsbehörden keine formelle
Rechtskraft erlangen und somit nachträglich ergänzt oder
korrigiert werden können, mag eine Anzeige an die Be-
hörde über eine fehlerhafte Verfügung schneller zum Erfolg
führen als ein Rechtsmittel (HERZER, 139 f.).
Art. 558 III. Mitteilung an die Beteiligten
1 Alle an der Erbschaft Beteiligten erhalten auf
Kosten der Erbschaft eine Abschrift der eröffneten Ver-
fügung, soweit diese sie angeht.
60
2 An Bedachte unbekannten Aufenthalts erfolgt
die Mitteilung durch eine angemessene öffentliche Aus-
kündung.
Literatur
HERZER, Die Eröffnung von Verfügungen von Todes we-
gen, Diss. Zürich 1976; VÖLK, Die Pflicht zur Einlieferung
von Testamenten und Erbverträgen und ihre Missachtung,
Diss. Zürich 2003; WEBER, Gerichtliche Vorkehren bei der
Nachlassabwicklung, AJP 1997, 550 ff.; WOLF, Die Siche-
rungsmassnahmen im Erbgang (Art. 551–559 ZGB), ZBJV
1999, 181 ff.; vgl. auch die Literaturhinweise zu Art. 557.
I. Mitteilung der Eröffnungsverfügung
Die Behörde hat das Protokoll über die Eröffnung (Art. 557
N 1) und alle eröffneten Verfügungen (Art. 557 N 6 ff.)
den Empfängern (N 5) mitzuteilen. Weil der Originaltext
(mit allen Schreibfehlern, Streichungen, Änderungen und
Anmerkungen) der Verfügung zu versenden ist, wird übli-
cherweise eine Kopie zugestellt (PraxKomm Erbrecht-EM-
MEL, Art. 558 ZGB N 5). Während die Vermächtnisnehmer,
Auflagenbegünstigten und Willensvollstrecker sowie Erb-
schaftsverwalter mit beschränkten Aufträgen nur den sie
1
betreffenden Auszug aus der Verfügung erhalten (kritisch
dazu WEBER, AJP 1997, 555 f.), wird den übrigen Empfän-
gern (N 5) der ganze Inhalt mitgeteilt (VÖLK, 47). Weil das
Eröffnungsverfahren nicht öffentlich ist, gibt es nach Ab-
schluss der Eröffnung auch kein Anspruch auf Einsicht
(BGer vom 25.6.2013, 5A_956/2012 E. 3).
Über den Zeitpunkt der Mitteilung sagt das ZGB nichts.
Die Mitteilung soll möglichst bald nach der Eröffnung
(Art. 557) erfolgen (VÖLK, 46). Wenn nicht alle Adressen
der Beteiligten (Art. 557 N 5) ermittelt werden können,
muss die Mitteilung gestaffelt erfolgen (ZR 1974 Nr. 3 E. 3;
PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 558 ZGB N 1), zumin-
dest dort, wo nicht zur Eröffnung vorgeladen wurde; die
Praxis in den Kantonen weicht davon teilweise ab (Herzer,
126; WEBER, AJP 1997, 555: zuwarten bis alle Beteiligten
ermittelt sind).
Die Mitteilung (Art. 558) ist Voraussetzung für die Aus-
stellung der Erbbescheinigung (Art. 559 ZGB) an einge-
setzte Erben (BGE 81 II 319 E. 1). Sie löst den Beginn der
Einsprachefrist (Art. 559), der Ausschlagungsfrist für ein-
gesetzte Erben (Art. 567 Abs. 2) sowie der Verjährungsfrist
2
3
62
der Vermächtnisklage (Art. 601) aus (WOLF, ZBJV 1999,
211).
II. Zweck
Die Mitteilung bezweckt die Information der Beteiligten
über das Vorhandensein und den Inhalt von Verfügungen
von Todes wegen, damit diese ihre Rechte auch dann wahr-
nehmen können (gesetzliche Erben: Verletzung ihrer ge-
setzlichen Erb- und Pflichtteilsrechte; eingesetzte Erben:
Besitz- und Eigentumsansprüche; Vermächtnisnehmer:
Forderungen), wenn sie nicht an der Eröffnung teilgenom-
men haben oder eine solche gar nicht durchgeführt wurde
(KGer VD vom 2.11.2012, HC 2013/5 E. 1; CHK-VÖLK,
Art. 558 ZGB N 1; BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU,
Art. 558 N 1).
III. Mitteilungsempfänger
Empfänger der Mitteilung sind alle am Nachlass Beteilig-
ten: die gesetzlichen Erben (inkl. Enterbte, vgl. BJM 1955,
114; Rep 1998, 195 f. E. 3a), der nutzniessungsberechtigte
Ehegatte, die eingesetzten Erben (PKG 1970 Nr. 53 E. 3a),
Nach- und Ersatzerben (HERZER, 130 f.), Vermächtnisneh-
mer und Nachvermächtnisnehmer, Auflagenberechtigte,
4
5
aus früheren Verfügungen Begünstigte, Willensvollstre-
cker, Erbschaftsverwalter, Erbschaftsliquidatoren, gesetzli-
che Vertreter eines Beteiligten und – in besonderen Fällen
(wie Nacherbschaft) – die Kindes- und Erwachsenschutz-
behörde (BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 558
N 2 f.). Dieser Kreis ist im Zweifel weit auszulegen (PKG
1970 Nr. 53 E. 3a). Nicht dazu gehören gesetzliche Erben,
die ausgeschlagen oder einen Erbverzicht ausgesprochen
haben, und die Steuerbehörde (PraxKomm Erbrecht-EM-
MEL, Art. 558 ZGB N 2).
Die Behörde muss die Mitteilungsempfänger (N 5) su-
chen (PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 558 ZGB N 7)
und – wenn sie deren Adresse nicht herausfinden kann –
diese auf dem Weg der öffentlichen Publikation (Amtsblatt)
ansprechen (Abs. 2). Für namentlich bekannte Erben mit
unbestimmtem Aufenthaltsort ist zu überlegen, ob man eine
Beistandschaft errichten will, um die Publikation zu ver-
meiden (VÖLK, 48).
IV. Zuständigkeit und Verfahren
Für die Zuständigkeit und das Verfahren kann auf Art. 551
N 5 ff. verwiesen werden. Das kantonale Recht kann den
6
7
64
genauen Inhalt der Mitteilung bestimmen, insb. das Publi-
kationsverfahren (Abs. 2) regeln (BK-TUOR/PICENONI,
Art. 558 ZGB N 2). Üblicherweise wird der Tod des Erb-
lassers publiziert und namentlich aufgeführte Beteiligte
(N 5) darauf hingewiesen, dass sie seine Verfügung einse-
hen können (PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 558 ZGB
N 9). Die Mitteilung kann nicht an Dritte – etwa den Wil-
lensvollstrecker – delegiert werden (BSK ZGB II-KAR-
RER/VOGT/LEU, Art. 558 N 7), auch nicht dann, wenn die-
ser die ausländischen Verhältnisse besser kennt (VÖLK,
49 f.). Die Kosten sind vom Nachlass zu tragen (BSK ZGB
II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 558 N 5) und werden von den
Kantonen festgelegt (BGer vom 19.8.2015, 2C_195/2015
E. 3: Rahmen von CHF 100–2 000 im Kanton Solothurn ist
nicht zu beanstanden).
Art. 559 IV. Auslieferung der Erbschaft
1 Nach Ablauf eines Monats seit der Mitteilung an
die Beteiligten wird den eingesetzten Erben, wenn die
gesetzlichen Erben oder die aus einer früheren Verfü-
gung Bedachten nicht ausdrücklich deren Berechtigung
bestritten haben, auf ihr Verlangen von der Behörde
eine Bescheinigung darüber ausgestellt, dass sie unter
Vorbehalt der Ungültigkeitsklage und der Erbschafts-
klage als Erben anerkannt seien.
2 Zugleich wird gegebenen Falles der Erbschafts-
verwalter angewiesen, ihnen die Erbschaft auszuliefern.
Literatur
BOSON, Les mesures de sureté en droit successoral, RVJ
2010, 102 ff.; DIES., Le certificat d’héritier, RVJ 2003,
203 ff.; EITEL/BRAUCHLI, Trusts im Anwendungsbereich
des schweizerischen Erbrechts, successio 2012, 162 ff.; ER-
MANI, Appunti utili per il rilascio del certificato ereditario,
Rep 1999, 3 ff.; KNUBEL, Der Erbschein (Erbbescheinigung
nach Art. 559 ZGB und Art. 18 GBV), RVJ 2001, 235 ff.;
KUHN, Anerkennung und Wirkungen ausländischer Erbaus-
weise im schweizerischen Recht, SZIER 2002, 1 ff.; MA-
YER, Erbbescheinigungen bei letztwilligen Verfügungen zu-
gunsten eines Trusts - unter besonderer Berücksichtigung
der Rechtsstellung eines zwischengeschalteten personal re-
presentative, successio 2015, 308 ff.; MUNT-
WYLER/PFÄFFLI, Der Erbenschein in der Praxis, in: Wolf
(Hrsg.), Aktuelle Fragen aus dem Erbrecht, Bern 2009,
103 ff.; ORTENBURGER, Die Erbbescheinigung nach
66
Art. 559 ZGB in der kantonalen Praxis, Diss. Zürich 1972;
SCHNYDER, Die Eröffnung von Testament und Erbvertrag,
in: Breitschmid (Hrsg.), Testament und Erbvertrag, Bern
1991, 101 ff.; STRAZZER, Keine Erbbescheinigung für den
übergangenen Pflichtteilserben, successio 2014, 316 ff.;
VÖLK, Die Pflicht zur Einlieferung von Testamenten und
Erbverträgen und ihre Missachtung, Diss. Zürich 2003 (zit.
Diss); DERS., Bemerkungen zu BGE 133 III 1, successio
2007, 130 ff.; WEBER, Gerichtliche Vorkehren bei der
Nachlassabwicklung, AJP 1997, 550 ff.; vgl. auch die Lite-
raturhinweise zu Art. 551.
I. Erbbescheinigung
In der Schweiz bezeichnet man den Ausweis der zuständi-
gen Behörde (N 16), der festhält, wer in einem bestimmten
Nachlass als einzige Erben anerkannt ist, üblicherweise als
Erbbescheinigung (CHK-VÖLK, Art. 559 ZGB N 1; KNU-
BEL, RVJ 2001, 235: im Wallis auch als Erbenschein be-
zeichnet). Der Ausdruck Erbschein ist dagegen in Deutsch-
land gebräuchlich (BREITSCHMID, successio 2009, 109). Es
handelt sich um ein provisorisches Legitimationspapier
ohne materiellrechtliche Bedeutung (BGer vom
18.2.2014, 5A_800/2013 E. 4 = ZBGR 2015, 200 und die
1
Anmerkungen von STRAZZER, successio 2014, 316 ff. und
von HRUBESCH-MILLAUER/BOSSHARDT, AJP 2015, 515 f.;
BGE 128 III 318 E. 2; PKG 2008 Nr. 3 E. 3c.bb; WOLF,
ZBJV 1999, 211 f.). Die Erbbescheinigung ändert an sich
nichts an den Besitzverhältnissen, bildet aber häufig die Ba-
sis, dass die Erben diesen tatsächlich erlangen können
(JENNY, 195 ff.). Daneben wurde in der Praxis eine «Be-
scheinigung zur Einholung von Auskünften» geschaffen
(Erbenqualitätsbescheinigung, vgl. BGer vom 7.10.2008,
5A_636/2008 E. 2), welche gegenüber Banken und Behör-
den verwendet werden kann (VÖLK, Diss, 61) und die Mög-
lichkeit zur Ausschlagung offenhalten soll (der Antrag auf
Ausstellung eines Erbscheins könnte als Einmischung an-
gesehen werden). Dieser Ausweis hat sich aber nicht durch-
gesetzt (BREITSCHMID, successio 2009, 109). Im Bereich
der Wohnung müssen die Erben oft relativ rasch eine Kün-
digung aussprechen und die Wohnung räumen, auch wenn
sie über den Antritt des Erbes noch unschlüssig sind; dazu
besitzen sie keinen geeigneten Ausweis, zumal ein solcher
in der Praxis bis jetzt noch nicht entwickelt wurde (BREIT-
SCHMID, successio 2009, 110). Zur provisorischen Erbbe-
scheinigung vgl. Art. 555 N 4.
68
1. Form
Aus dem Begriff «Bescheinigung» ergibt sich, dass es sich
um ein Schriftstück handeln muss (PraxKomm Erbrecht-
EMMEL, Art. 559 ZGB N 24). Im Übrigen regelt das kanto-
nale Recht die Form der Erbbescheinigung (CS-HUBERT-
FROIDEVAUX, Art. 559 ZGB N 3; vgl. etwa Kreisschreiben
des Obergerichts des Kantons Aargau vom
1.11.2005/1.7.2009 über die Ausstellung von Erbbescheini-
gungen). Diese sind sehr uneinheitlich, teilweise selbst in-
nerhalb eines Kantons (BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU,
Art. 559 N 17). Ob es sich um eine öffentliche Urkunde
handelt (so MUNTWYLER/PFÄFFLI, 115), ist umstritten (ab-
lehnend BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 559 N 48;
VÖLK, Diss, 60).
2. Inhalt
Zum notwendigen Inhalt gehören (BSK ZGB II-KAR-
RER/VOGT/LEU, Art. 559 N 18 ff.; MUNTWYLER/PFÄFFLI,
118 ff.): (1) Die Personalien des Erblassers (Abstammung,
Geburtsdatum, Bürgerort, letzter Wohnsitz und Todestag
[allenfalls Todes-Zeitraum, vgl. KNUBEL, RVJ 2001, 239;
KGer VD vom 24.6.2015, HC 2015/697 E. 3a), (2) die Auf-
2
3
listung aller Erben (N 8 f.), die zur Erbengemeinschaft ge-
hören (Identität und Adresse; KGer VD vom 24.6.2015, HC
2015/697 E. 3a), und eines allfälligen nutzniessungsberech-
tigten überlebenden Ehegatten (Art. 473; KGer VD vom
14.11.2012, HC 2012/742 E. 3: ein Sohn ohne biologische
Abstammung/Anerkennung gehört nicht auf die Erbbe-
scheinigung) sowie (3) die Bestätigung, dass die genannten
Personen als einzige Erben anerkannt sind. Die Ausstel-
lungsbehörde hat eine gewisse Kognitionsbefugnis, wer in
der Erbbescheinigung aufgeführt wird. Sie muss die Erbbe-
scheinigung aber auch dann ausstellen, wenn sie die letzt-
willige Verfügung für anfechtbar hält (CHK-VÖLK,
Art. 559 ZGB N 4) oder widersprechende letztwillige Ver-
fügungen vorliegen (PKG 2004 Nr. 23 E. 3). (4) Erbrecht-
liche Klagen (zu denen – entgegen dem Gesetzestext – die
Ungültigkeits-, Herabsetzungs-, Erbschafts- und Feststel-
lungsklagen gehören, vgl. CHK-VÖLK, Art. 559 ZGB N 7),
sind immer vorbehalten und zwar auch dann, wenn dieser
Vorbehalt im Text der Erbbescheinigung nicht aufgenom-
men wird. Hinweise betreffen etwa (5) den Willensvollstre-
cker (inkl. die Bestreitung der Willensvollstreckerstellung,
vgl. AGVE 2002, 33), (6) die Anwendung ausländischen
Rechts und (7) die Hängigkeit einer Ungültigkeitsklage
70
(BGer vom 7.3.2005, 5P.17/2005 E. 3), (8) allenfalls die
Tatsache, dass die Ausschlagungsfrist noch nicht abgelau-
fen ist (es sich also um eine provisorische Erbbescheini-
gung handelt, vgl. PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 559
ZGB N 32).
Zum fakultativen Inhalt gehören (BSK ZGB II-KAR-
RER/VOGT/LEU, Art. 559 N 25 ff.; MUNTWYLER/PFÄFFLI,
120 f.): (1) Die Erwähnung der vom Erblasser ausgeschlos-
senen Pflichtteilserben (BGE 98 Ib 92 E. 3; WEBER, AJP
1997, 558) und (anderer) ausgeschiedener Erben, (2)
Erbquoten (BGE 118 II 108 = JdT 1993 I, 351; PKG 2003
Nr. 36; BK-TUOR/PICENONI, Art. 559 ZGB N 18), (3) Ver-
wandtschaftsgrade, (4) Bezeichnung von Vermögenswerten
des Erblassers (der Erbschein bezieht sich auf den gesamten
Nachlass, vgl. PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 559 ZGB
N 5), (5) der Hinweis, dass keine letztwillige Verfügung des
Erblassers eingereicht wurde, (6) Antrittserklärungen (WE-
BER, AJP 1997, 557) bzw. keine Ausschlagung, (7) unterlas-
sene oder erledigte Einsprachen (WEBER, AJP 1997, 558)
und (8) die Aufnahme einer Rechtsbelehrung. Zu Muster-
formulierungen vgl. die Mustersammlung des Verbandes
der bernischen Notare (MU 551–559). Für den Trustee gibt
4
es keinen passenden Legitimationsausweis, weshalb EI-
TEL/BRAUCHLI sich fragen (successio 2012, 130 f.), ob eine
spezifizierte Erbbescheinigung oder besser ein Trusteeaus-
weis auszustellen sei.
II. Zweck
Obwohl letztlich der ordentliche Richter über die Erbenstel-
lung entscheidet (BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU,
Art. 559 N 2), hat die Erbbescheinigung doch eine grosse
praktische Bedeutung, denn sie erlaubt den Erben die Inbe-
sitznahme und Verfügungen über den Nachlass (BOSON,
RVJ 2003, 204).
III. Antragsberechtigte Personen
Entgegen dem Gesetzestext (Abs. 1) haben sowohl die ge-
setzlichen als auch die eingesetzten Erben Anspruch auf
die Ausstellung der Erbbescheinigung (ZR 1995 Nr. 5
E. 2a; ZR 1984 Nr. 17; ORTENBURGER, 50 ff.), inkl. Vorer-
ben und Ersatzerben, des Gemeinwesens (Art. 466) und des
nutzniessungsberechtigten Ehegatten (CHK-VÖLK,
Art. 559 ZGB N 3) sowie des Willensvollstreckers (BGE
133 III 1 E. 3.3.2 = JdT 2007 I, 350; BGer vom 10.1.2011,
5A_495/2010 E. 2: kein Recht des Willensvollstreckers zur
Anfechtung der Erbbescheinigung). Keinen Anspruch hat,
5
6
72
wer durch Enterbung, Erbverzicht (ZR 1965, 194) oder
Ausschlagung (ZR 1986 Nr. 52 E. 3b) seine Erbenstellung
verloren hat (WOLF, ZBJV 1999, 214 f.), ebenso Nacher-
ben, (Nach-) Vermächtnisnehmer (ERMANI, Rep 1999, 3),
Nutzniesser und Auflagenberechtigte (BSK ZGB II-KAR-
RER/VOGT/LEU, Art. 559 N 9; Ortenburger, 66 ff.) und nicht
adoptierte Nachkommen (OGer ZH vom 14.7.2011, LF
110058 E. 2.3), aber auch Dritte wie Gläubiger, Amtsstellen
oder Gerichte (WEBER, AJP 1997, 557). Umstritten ist die
Frage, ob der Antrag auf Ausstellung einer Erbbescheini-
gung zwingend eine Annahme der Erbschaft bedeute, was
richtigerweise verneint wird (BGE 133 III 1 E. 3 und die
Besprechung von VÖLK, successio 2007, 130; BOSON, RVJ
2010, 124 f.; vgl. auch N 1).
IV. Ausstellungsverfahren (Abs. 1)
Die Erbbescheinigung wird nur auf Antrag (also nicht von
Amtes wegen) ausgestellt (CHK-VÖLK, Art. 559 ZGB N 8;
N 6). Die Eröffnungsbehörde legt in erster Linie die letzt-
willige Verfügung aus, während der Einbezug weiterer Be-
weismittel dem Zivilgericht vorbehalten bleibt (OGer ZH
vom 20.4.2015, LF150011 E. 2.1). Wenn sich die Unvoll-
7
ständigkeit oder Unrichtigkeit der Erbbescheinigung her-
ausstellt, hat die Behörde die Erbbescheinigung von Amtes
wegen zurückzuziehen (LGVE 2006 I Nr. 10) und durch
eine neue, korrigierte zu ersetzen (BGer vom 7.3.2005,
5P.17/2005 E. 3: fehlende Hinweise; KGer VD vom
11.12.2013, HC 2013/811 E. 3b/aa: Auslegung durch den
Richter; AGVE 2002, 33; ZR 1991 Nr. 89: später auftau-
chendes Testament; BOSON, RVJ 2003, 217), ebenso wenn
sich die Verhältnisse geändert haben (BezGer Meilen vom
21.7.2014, ZR 2014 Nr. 68: nach vollzogener Erbteilung
macht eine Änderung allerdings keinen Sinn mehr).
Geprüft wird bei gesetzlichen Erben (1) der Tod (oder die
Verschollenerklärung) des Erblassers, (2) die Familienver-
hältnisse (ZR 1995 Nr. 5 E. 2: nicht zwingend mit Zivil-
standsurkunden), (3) das Fehlen einer Verfügung von Todes
wegen, welche die gesetzliche Erbfolge ändert oder aus-
schliesst, (4) das Nichtausschlagen der Erbschaft (zur pro-
visorischen Erbbescheinigung vgl. N 3) und allenfalls (5)
die Wahl des überlebenden Ehegatten (WOLF, ZBJV 1999,
213; ORTENBURGER, 113 ff.).
Bei den eingesetzten Erben wird geprüft: (1) der Tod (oder
die Verschollenerklärung) des Erblassers, (2) Eröffnung der
8
9
74
letztwilligen Verfügung, (3) keine Einsprache der gesetzli-
chen Erben (Art. 559 Abs. 1) und (4) das Nichtausschlagen
der Erbschaft (WOLF, ZBJV 1999, 213; zur provisorischen
Erbbescheinigung vgl. N 3). Testamentarische und erbver-
tragliche Erbeinsetzung werden gleich behandelt (WOLF,
ZBJV 1999, 213 f.).
Die Erbbescheinigung wird frühestens einen Monat nach
der Mitteilung (Art. 558) ausgestellt. Zu beachten ist, dass
entweder die dreimonatige Ausschlagungsfrist abgelaufen
sein muss (Art. 567) oder die Erben die unbedingte An-
nahme erklärt haben müssen (WOLF, ZBJV 1999, 213).
V. Wirkungen
Trotz der fehlenden materiellrechtlichen Wirkung (N 1) ist
die Erbbescheinigung für den Grundbuchführer ver-
bindlich (Art. 18 GBV; BGE 98 Ib 92 E. 2; VÖLK, Diss, 55,
58 f.), sie bestimmt Besitzverhältnisse (N 14 f.), ist gültige
Legitimation im Prozess, ermöglicht Verfügungen über
Bankvermögen und den Eintrag ins Aktienregister (WOLF,
ZBJV 1999, 216) sowie Auskünfte bei Behörden (KGer VD
vom 18.11.2015, HC 2015/1060 E. 3b: Steueramt; ERMANI,
Rep 1999, 3).
10
11
12
Dritte werden in ihrem guten Glauben geschützt, wenn
sie auf eine Erbbescheinigung abgestellt haben, auch wenn
sich diese später als unrichtig herausstellt (WOLF, ZBJV
1999, 216; VÖLK, Diss, 59 und 79 f.).
VI. Bestreitungsverfahren (Abs. 1)
Den eingesetzten Erben wird die Erbbescheinigung nur aus-
gestellt, wenn ihre Berechtigung von den gesetzlichen Er-
ben oder einem eingesetzten Miterben (aus derselben o-
der einer früheren Verfügung) nicht innert Monatsfrist seit
der Mitteilung (Art. 558; Abs. 1) bzw. vor Ausstellung der
Erbbescheinigung (KGer VD vom 8.1.2014, HC 2015/56
E. 3b) bestritten wird (Abs. 1; OGer ZH vom 16.12.2015,
PF150070 E. 3; AGVE 2000, 28 E. 3b: ausgeschlossene ge-
setzliche Erben; ZR 1986 Nr. 14 E. 2; BSK ZGB II-KAR-
RER/VOGT/LEU, Art. 559 N 11). Die Erbberechtigung der
gesetzlichen Erben kann dagegen nicht bestritten werden
(BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 559 N 16; VÖLK,
Diss, 56). Wenn die Erbberechtigung der eingesetzten Er-
ben erfolgreich bestritten wird, wird die Erbbescheinigung
nicht ausgestellt, die Besitzesregelung nach Art. 556 Abs. 3
verlängert und regelmässig eine Erbschaftsverwaltung
(Art. 554) angeordnet (WEBER, AJP 1997, 558).
13
76
VII. Auslieferung der Erbschaft (Abs. 2)
Mit dem Ausstellen der Erbbescheinigung wird eine allfäl-
lige Erbschaftsverwaltung beendet und die Erbschaft den
eingesetzten Erben ausgeliefert (PKG 1988 Nr. 59 =
SJZ 1989, 175 Nr. 29). Waren bisher die gesetzlichen Erben
Besitzer, verbleibt die Besitzeslage unverändert und die ein-
gesetzten Erben müssen allenfalls die Herausgabe mit einer
Erbschaftsklage verlangen, den eingesetzten Erben verblei-
ben die unverjährbaren Einreden (Art. 521 Abs. 3 und
Art. 533 Abs. 3; WOLF, ZBJV 1999, 217).
Wenn die Berechtigung der eingesetzten Erben bestrit-
ten wird (N 13), darf die Erbbescheinigung nicht ausge-
stellt werden und die Besitzesregelung nach Art. 556 Abs. 3
wird fortgeführt. Diese Rechtsfolgen entfallen allerdings,
wenn die gesetzlichen Erben innert den jeweiligen Fristen
die erbrechtliche Klage (Ungültigkeits- und Herabsetzungs-
klage) nicht einreichen, und die unter N 13 geschilderten
Folgen treten ein (BGE 128 III 318 E. 2.2 = JdT 2002 I,
482 ff. = ZBGR 2003, 120 ff.).
VIII. Zuständigkeit und Verfahren
14
15
16
Für die Zuständigkeit kann auf Art. 551 N 5 ff. verwiesen
werden. Meist ist es dieselbe Behörde, welche für die Er-
öffnung (Art. 557) und Mitteilung (Art. 558) zuständig ist
(PraxKomm Erbrecht-EMMEL, Art. 559 ZGB N 29). Die
Erbbescheinigung ist vom Grundbuchamt eines anderen
Kantons anzuerkennen, wenn sie von der zuständigen Be-
hörde ausgestellt wurde (BGE 82 I 188 E. 1), darf aber zu-
rückgewiesen werden, wenn sie nicht am letzten Wohnsitz
des Erblassers ausgestellt wurde (ZBGR 1987, 365 f. E. 2).
In vielen Kantonen wird neben der Eröffnungsbehörde auch
ein Notar eingesetzt (SCHNYDER, 117 f.). Im Kanton Bern
gibt es gar konkurrierende Zuständigkeiten (MUNT-
WYLER/PFÄFFLI, 111 f.).
Die internationale Zuständigkeit wird durch Art. 86 ff.
IPRG bestimmt (BGer vom 13.9.2011, 5A_255/2011 E. 4 =
ZGBR 2013, 335 ff.; ZR 1969 Nr. 133: Zuständigkeit am
Heimatort eines Schweizers mit Wohnsitz in Österreich für
den in der Schweiz gelegenen Nachlass; ZR 1991 Nr. 89
und 1990 Nr. 4: Zuständigkeit am Ort der gelegenen Sache,
wenn sich das Ausland nicht mit dem Nachlass des in Lon-
don verstorbenen irakischen Staatsangehörigen bzw. des in
Italien verstorbenen britischen Staatsangehörigen beschäf-
17
78
tigt; BOSON, RVJ 2003, 219 ff.). Vereinzelt enthalten Staats-
verträge Zuständigkeitsvorschriften, so Art. 17 Abs. 3 Nie-
derlassungs- und Konsularvertrag vom 22.7.1868 zwischen
der Schweiz und Italien (SR 0.142.114.541), welcher sich
allerdings auf das materielle Erbrecht (Erbstatut) und nicht
auf die formelle Abwicklung des Nachlasses (Eröffnungs-
statut) bezieht (BGE 120 II 293).
Die schweizerische Erbbescheinigung hat im Ausland ei-
nen schweren Stand: So wird sie in Deutschland nicht aner-
kannt, weil sich das entsprechende Anerkennungsabkom-
men (SR 0.276.191.361) nicht auf die freiwillige Gerichts-
barkeit bezieht. Zur schweizerischen Erbbescheinigung bei
Anwendung englischen Rechts vgl. MAYER, successio
2015, 308 ff.
Ausländische Erbscheine werden in der Schweiz aner-
kannt, wenn sie in einem Verfahren der freiwilligen Ge-
richtsbarkeit ausgestellt wurden und Art. 96 i.V.m.
Art. 25 ff. IPRG genügen (GVP-ZG 2007, 236 E. 4.1 =
SJZ 2009, 71 Nr. 6; KUHN, SZIER 2002, 5 ff.). Unter Um-
ständen ist eine Exequatur durchzuführen (BGer vom
13.9.2011, 5A_255/2011 E. 5 = ZBGR 2013, 335 ff. mit
Anmerkungen von KARRER, successio 2012, 113 ff.). Eine
18
19
gewisse Erleicherung brachte der Europäische Erbschein
(Art. 62 EuErbVO).
Zum Verfahren, insbesondere den Rechtsmitteln, kann auf
Art. 551 N 7 f. verwiesen werden Es handelt sich um ein
summarisches Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit
nach kantonalem Recht (BGer vom 7.12.2015,
5A_533/2015 E. 1) und vor Bundesgericht kann nur die
Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend gemacht
werden (BGer vom 7.12.2015, 5A_533/2015 E. 1).
Die Kosten des Erbscheins werden beim Antragsteller
(Art. 559 N 7 ff.) – und nicht beim Nachlass – erhoben
(BSK ZGB II-KARRER/VOGT/LEU, Art. 559 N 31; Art. 551
N 10). Zu den kantonalen Gebühren vgl. Jenny, 98 ff.; Ein-
zelfallprüfungen vgl. BGer. vom 19.8.2015, 2C_195/2015
E. 3 und OGer ZH vom 28.6.2016, PF160015 E. 5 (Nach-
lass von CHF 66 000 statt 1.53 Mio.).
20
21