event #6 "decision making in marketing": werner t. fuchs

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Der neue Mensch ist der alte. Marketing ist Beeinflussung menschlichen Wahlverhaltens. Reminder und Ergänzung zum Referat von Dr. Werner T. Fuchs an der Veranstaltung „Decision Making in Marketing“ Marketing Natives, Zürich, 24. Februar 2014 © Dr. Werner T. Fuchs / www.propeller.ch

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Marketing


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Page 1: Event #6 "Decision Making in Marketing": Werner T. Fuchs

Der neue Mensch ist der alte. Marketing ist Beeinflussung menschlichen Wahlverhaltens.

Reminder und Ergänzung zum Referat von Dr. Werner T. Fuchs an der Veranstaltung „Decision Making in Marketing“ Marketing Natives, Zürich, 24. Februar 2014

© Dr. Werner T. Fuchs / www.propeller.ch

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7 Erkenntnisse der Neurowissenschaftler

Verhalten

Zwischen dem Verhalten des Menschen und dem seines nächsten Verwandten gibt es keinen qualitativ evolutionären Sprung.

Besonders unser limbisches System, das Emotionen verarbeitet, arbeitet nach der typischen Art der Säugetiere.

Prägung

Beim Menschen ist die Reifeperiode des Gehirns stark verlän-gert, um die Anpassung an die veränderten Umweltbedingun-gen zu erleichtern.

Das macht uns in den ersten Lebensjahren besonders prägbar. Ein weiteres Zeitfenster für Prägungen ist die Pubertät. Ersterlebnisse sind ebenfalls prägend.

Bewusstsein Die vermeintliche Krone des menschlichen Wesens ist nicht die entscheidende Grundlage unseres Handelns.

Die Bewusstseinszustände dienen der Simulation von Hand-lungsalternativen, der effektiven und kreativen Planung und der Überwindung funktionalen Beschränktheit unbewusster Infor-mationsverarbeitung, „Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben.“ Johann Wolfgang von Goethe

Bewertung

Das limbische System bewertet alles, was wir tun nach dem einfachen Raster: gut / schlecht, vorteilhaft / nachteilig passt / passt nicht

Die Ergebnisse der Bewertungen werden im emotionalen Er-fahrungsgedächtnis gespeichert und als Mustervorlagen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt.

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Veränderungen Im Erwachsenenalter sind die Merkmale unserer Persönlichkeit nur noch wenig veränderbar.

Ausnahmen:

Starke positive oder negative emotionale Erlebnisse oder dau-ernde Wiederholungen neuer stark emotional gefärbter Erfah-rungen.

Gedächtnis

Das menschliche Gehirn arbeitet effizient und geht möglichst sparsam mit der Energie um.

Die Daten der Außenwelt speichert das Gehirn in Form von Geschichten ab.

Wenn wir uns erinnern, wird im Gehirn jedes Mal ein neuer innerer Film gedreht.

Sprache

Sprache dient nicht primär der Vermittlung von Einsichten und dem Austausch von Wissen.

Sprache ermöglicht die externe Speicherung von Informatio-nen, die Simulation von Handlungsalternativen und dient zur Legitimierung unseres Verhaltens - vor uns und vor andern.

Unser Gehirn als Datenverarbeitungssystem Das neuronale Netzwerk ist deshalb so erfolgreich, weil es bei vielen Anforderungen effizienter In-formationsverarbeitung zu den besten gehört. Die Hardware besteht aus über 100 Milliarden Ner-venzellen, die zum Teil bis zu 10‘000 Anschlussstellen haben und mit gut zehn verschiedenen Signal-stärken arbeiten. Die Software kann:

große Datenmengen schnell verarbeiten

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Informationen verdichten

sparsam mit Energie umgehen

einfache Wechsel zu anderen Programmen erlauben

Fehler zulassen und trotzdem stabil bleiben

Weiterentwicklungen mit wenig Aufwand ermöglichen

ohne großen Erklärungsbedarf gelernt werden

sich individuellen Arbeitsstilen der Benutzer anpassen

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an verschiedenen Orten eingesetzt werden

bei Teilausführungen voll funktionsfähig bleiben

mit wenig Speicherraum auskommen

Mehrdeutigkeiten zulassen

Regeln und Hierarchien So komplex das menschliche Gehirn auch ist, befolgt es bei der Verarbeitung von Daten doch gewis-se Regeln. Und zwar nach einer hierarchischen Ordnung. Alle Regeln müssen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, evolutionäre Ziele erfüllen zu können. Die Wahrscheinlichkeit muss nicht 100 Prozent be-tragen, sondern einfach mehr als 50 Prozent. Perfektion wird von der Evolution nicht angestrebt, da dies einer Verschleuderung der knappen Ressource Energie gleichkommt. Falls die gefundene Lösung sich wiederholt als wenig erfolgreich erweist, wird nachkorrigiert.

Diese drei Ziele der Evolution lauten:

Fortpflanzung/Reproduktion

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Anpassen

Überleben

Da der Mensch ein soziales Wesen ist, dient es den drei evolutionären Zielen, wenn er brauchbare Antworten auf Fragen finden, die seine Orientierung im sozialen Verband erleichtern und ihm Si-cherheit geben.

Wer bin ich?

Wer ist der andere?

Wo ist mein Platz in dieser Welt?

Erste Schlüsse Wenn wir davon ausgehen, dass menschliche Verhaltensmuster durch eigene Erlebnisse und fremde, die uns berühren, bestimmt werden, sollten wir auf die Kunst der Verführung bauen. Und das heisst, Geschichten zu erzählen, an die das Publikum glaubt und die es immer wieder hören will.

Wie wir aus eigener Erfahrung wissen, basteln wir unsere Wahrheiten immer so zusammen, dass sie zu unserer eigenen Geschichte und zu unserem Verhalten passen.

Wir sollten aber nicht nur Geschichten erzählen, sondern auch Geschichten ermöglichen. Das heisst: Bühnen vorbereiten, auf dem unser Gesprächspartner seine eigenen Stories zum Besten geben kann.

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Was eine gute Geschichten auszeichnet

Das Thema Entgegen der Annahme, es gäbe beliebig viele Themen, gibt es einige Grundmuster, denen alle Vari-anten zugrunde liegen. Wenig erstaunlich, dass diese Prototypen Informationen enthalten, die den evolutionären Zielen dienen und Antworten auf die drei großen Fragen „Wer bin ich? – Wer ist der andere? – Wo ist mein Platz in dieser Welt?“ geben.

Zu solchen Urthemen gehören: Suchen & Finden - Ankunft & Abschied – Liebe & Hasse – Gut & Böse – Geborgenheit & Furcht – Wahrheit & Lüge – Stärke & Schwäche – Treue & Betrug – Weis-heit & Dummheit - Hoffnung & Verzweiflung – Leben & Tod – Festhalten & Loslassen Die Prägungsstärke Es gibt Zeitfenster, in denen das Gehirn Informationen aus der Umwelt höheres Gewicht beimisst und Geschichten dieser Perioden stärker speichert. Dazu gehören:

Frühe Kindheit: In den ersten beiden Lebensjahren werden die meisten neuronalen Mustervorlagen geknüpft. Da unser autobiographisches Gedächtnis während dieser Zeit noch nicht ausgebildet ist, erinnern wir uns nicht an diese Geschichten.

Pubertät: Mit dem Einsetzen der sexuellen Pubertät werden vor allem Hirnareale nochmals neu ver-knüpft, die der Vernunft dienen. Ersterlebnisse: Neue Situationen werden stärker gewichtet, da sie im Wiederholungsfall als Hand-lungsmuster dienen können. Die Andockstellen Zu den erworbenen Konzepten gehören Mustervorlagen, die im kollektiven Gedächtnis von Lebens-gemeinschaften abgespeichert sind. Daher können Johann Wolfgang von Goethe und Steven Spiel-berg behaupten, dass alle wesentlichen Geschichten bereits erzählt und festgehalten sind. Kenntnisse dieser Geschichten erleichtern das Finden von Andockstellen für eigene Versionen. Die Struktur Letztlich ist jede gute Geschichte ein kleines Drama, das von einer Abenteuerreise berichtet und eine Liebesgeschichte enthält. Je mehr wir den klassischen Spannungsbogen berücksichtigen, desto mehr Aufmerksamkeit wird einer Geschichte geschenkt. Der Held Im menschlichen Gehirn gibt es zwar keinen Helden-Chip, aber neuronale Muster, die von frühkindli-chen Bindungserfahrungen geknüpft werden. Unser Gehirn ist also darauf programmiert, Informatio-nen gewisser Menschen höheres Gewicht beizumessen. In diesem Zusammenhang ist auch die Entde-ckung so genannter Spiegelneuronen interessant. Sie bestätigen, Imitation und Nachahmung zu den genetischen Konzepten gehören. Der Feind Auch wenn es der politischen Korrektheit und gewissen Moralvorstellungen nicht entspricht, sucht das Gehirn nach Schuldigen, nach Bösen und Feinden. Denn dieses Programm hat sich in der Evoluti-on und in einer unwirtlichen Welt bewährt. Ohne Feind keine gute Geschichte. Die Helfer Zum Personeninventar einer guten Geschichten gehören immer auch Helfer, die Schwächen des Helden ausbügeln, ihm bei der Simulation von Handlungsalternativen beraten und sich manchmal sogar opfern, um das Überleben des Helden zu sichern.

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Die Verzögerungen Da es bei jeder erinnerungswerten Geschichte um die Lösung eines Problems geht und Rückschläge unvermeidlich sind, wird die Glaubwürdigkeit einer Geschichte auch anhand logisch nachvollziehbarer Verzögerungen beurteilt. Die Ausschmückungen Kulissen und Ausschmückungen werden oft mit dem Thema verwechselt. Aber sie sollten in erster Linie dazu dienen, einer eigenen Variante ein Gesicht zu geben und dem Publikum die Identifikation zu erleichtern. Zudem können sie mit starken Symbolen Lücken füllen und Andockstellen schaffen. Das Ende Um möglichst effizient zu arbeiten, schenkt das Gehirn dem Anfang und dem Ende einer Geschichte höhere Beachtung. Ob eine Gefahr droht und ob sie gebannt werden konnte, entscheidet sich in der Regel nicht im Mittelteil einer Geschichte.

Checkliste und Praxisbeispiele in:

Werner T. Fuchs Warum das Gehirn Geschichten liebt. Mit den Erkenntnissen der Neurowissenschaften zu zielgruppenorientiertem Marketing. Haufe Verlag Freiburg. 2. akt. und erw. Auflage 2013 ISBN: 978-3-648-03788-1

Quellenangaben und Copyright - Die Illustrationen der Titelseite sind aus: Kara Simsek. Hipster. Eine Typologie. Berlin 2014 - Dieses Handout ist für den persönlichen Gebrauch gedacht und darf ohne Einwilligung der Verfas-sers nicht vervielfältigt und veröffentlicht werden.