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EVANGELISCHE THEOLOGIE – BERGISCHE UNIVERSITÄT WUPPERTAL
Exegese des Textes „Jesu
Verklärung“ Mk 9,2‐13 Dozent: Prof. Dr. Kurt Erlemann
Seminar: Grundwissen NT
13.02.2010
Sara Breddermann XXXXXXXXXXXXXXXXXX
XXXXXXXXXXXXXXX
XXXXXXXXXXXXXXXX
1. Semester
1
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung S. 2
2. Segmentierung der Perikope S. 4
3. Sprachlich‐sachliche Analyse S. 6
3.1. Sozialgeschichtliche und historische Fragen S. 6
3.2. Textlinguistik S. 8
4. Frage nach der Aussageabsicht S. 15
4.1. Formkritik S. 15
4.2. Pragmatische Analyse S. 17
5. Kontextuelle Analyse S. 19
5.1. Traditionsgeschichte S. 19
5.2. Religionsgeschichte S.21
5.3. Synoptischer Vergleich S.22
6. Der Text als Teil eines theologische Gesamtkonzepts S. 26
6.1. Kompositionskritik S. 26
6.2. Redaktionskritik S. 28
7. Ergebnissicherung und Ausblick S. 30
7.1. Fazit S. 30
7.2. Hermeneutischer Ausblick S. 31
8. Anhang S. 32
9. Literaturverzeichnis S. 34
2
1. Einleitung
Die Verklärung Jesu nach Markus 9, 2‐13 ist in ihrer Gesamtheit ein eher weniger
bekannter Text des Markusevangeliums. Vielen Lesern sind nur Ausschnitte des
Textes bekannt; vor allem die Verklärung an sich, weniger das sich anschließende
Gespräch. Gegenstand dieser Exegese ist die Erarbeitung der Perikope in ihrer
Gesamtheit, die im Rahmen der Modulabschlussprüfung des Moduls „Neues
Testament“ an der Universität Wuppertal nach Besuch des Seminars „Grundwissen
NT“ angefertigt wird.
Persönlich bin ich dem Text der Verklärung Jesu im Kindergottesdienst einer
Gemeinde in meiner Kindheit das erste Mal begegnet. Aber auch dort wurde mir nur
der erste Teil der Verklärung, der Verklärungsprozess an sich, in Form einer
Geschichte erzählt. Das anschließende Gespräch wurde außen vor gelassen.
Der Text beschreibt, wie Jesus mit zweien seiner Jünger (waren das nicht drei?
Petrus, Jakobus und Johannes?) auf einen Berg geht, wo seine Verklärung stattfindet,
wobei Mose und Elia erscheinen und eine Stimme aus einer Wolke Jesu
Gottessohnschaft bestätigt. Anschließend offenbart Jesus seinen Jüngern, dass der
angekündigte und im Judentum seit langem erwartete Elia bereits dagewesen ist‐ ein
Kriterium, das erfüllt werden musste, bevor der Messias auf die Erde kommen
konnte. Damit offenbart Jesus in diesem Text seinen Jüngern nicht nur die
Gottessohnschaft, sondern auch, dass er der versprochene Messias ist.
Der Textausschnitt fordert seine Leser heraus und erweckt Fragen: Wieso waren
Mose und Elia bei der Verklärung anwesend? Warum verstehen die Jünger nicht, was
mit der „Auferstehung von den Toten“ gemeint ist? Wer ist der bereits dagewesene
Elia?
Die vorliegende Exegese greift, unter anderem, diese Fragen auf und versucht,
Antworten zu geben.
Wirkungsgeschichtlich unterscheidet man zwei Hauptauslegungsmodelle des Textes
der Verklärung Jesu. Beide sehen aber als zentralen Aspekt das „christologische
Anliegen“1.
1 Gnilka, Joachim: „Das Evangelium nach Markus. 2. Teilband Mk 8,27‐16,20.“ In: Josef Blank u.a. (Hg.): EKK. Evangelisch Katholischer Kommentar zum Neuen Testament II/2. Zürich u.a. 1979. S. 37
3
Die futurische Deutung sagt aus, dass der Sinn der Verklärung darin liegt, bereits an
dieser Stelle zu zeigen, welche Herrlichkeit Jesus und alle Gläubigen bei ihrer
Auferstehung aus den Toten tragen werden.2
Das andere Auslegungsmodell vertritt die Ansicht, dass in der Verklärung Jesu nur
eine Eigenheit Jesu sichtbar wurde, die er schon immer an sich trug3, und Jesu Leib
während seines Lebens auf der Erde „immer mehr verklärt worden sei“4.
Ab dem 19. Jahrhundert bieten verschiedene Theologen und Auslegungsmodelle
immer wieder rationale Erklärungen für die Verklärung. Diese reichen von der
Annahme, dass es ein natürliches Ereignis war ‐ wie etwa eine Umrandung bei
Menschen im Licht auf einem schneebedeckten Berg ‐ bis hin zu der Meinung, dass
die Verklärung Jesu nur eine Sinnestäuschung von Petrus war.5
Im Rahmen der vorliegenden Exegese werden diese Ansichten untersucht und
überprüft.
2 Vgl. ebd. S. 38 3 Vgl. a.a.O. 4 Ebd. S. 38 5 Vgl. a.a.O.
4
2. Segmentierung der Perikope
Es ist wichtig den Textabschnitt zu Beginn klar zum Kontext abzugrenzen. Dieses stellt
bei der vorliegenden Perikope allerdings eine Herausforderung dar, weil
verschiedene Bibelübersetzungen diese unterschiedlich einteilen. So ordnet zum
Beispiel die Gute Nachricht den ersten Vers des neunten Kapitels des
Markusevangeliums der vorausgehenden Perikope zu; nach der Elberfelder
Übersetzung gehört dieser Vers zur Perikope der Verklärung Jesu. Somit ist es
notwendig, sich den Sachverhalt genau anzuschauen.
Der, der Perikope über Jesu Verklärung vorangehende Abschnitt (Mk 8,34‐38),
behandelt das Thema der Nachfolge Jesu, insbesondere Jesu Aufforderung ihn nicht
zu verleugnen, damit der Menschensohn sich bei seiner zukünftigen zweiten Ankunft
nicht der Person schämen muss, die ihn verleugnet hat. In diesem Zusammenhang
fällt der erste Vers des neunten Kapitels, „Und er sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage
euch: Es stehen einige hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie sehen das
Reich Gottes kommen mit Kraft.“, aus dem Kontext. Die Tatsache, dass das Reich
Gottes dann sichtbar wird, wenn der Menschensohn ein zweites Mal auf die Erde
kommt, bietet Anhalt dafür den Vers der vorausgehenden Perikope zuzuordnen. Dem
zum Trotz thematisiert auch die Verklärungs‐Perikope den Menschensohn und
könnte somit inhaltlich auch hier eingeordnet werden. Die inhaltliche Analyse dieses
Verses erlaubt seine Zuordnung zu beiden Perikopen. Betrachtet man nun
linguistische Hinweise, zeigt sich ein anderes Bild. Der zweite Vers von Markus 9 zeigt
einen veränderten lokalen und temporalen Handlungsstrang; die erzählte Handlung
findet sechs Tage später auf einem Berg statt. Auch der Adressatenkreis verändert
sich. Redet Jesus in der vorangehenden Perikope zu dem Volk und seinen Jüngern
(Mk 8,34), spricht er in der zu analysierenden Erzählung nun zu drei auserwählten
Jüngern (Mk 9,2). Des Weiteren verändern sich auch die semantischen Felder von
Nachfolge und Reich Gottes zu den Themenfeldern Natur und Personen aus dem
Alten Testament. Diese Beobachtungen erlauben den Schluss, die Perikope der
Verklärung Jesu von Markus 9 Vers 2 beginnen zu lassen und den ersten Vers zu der
vorangehenden Perikope zu zählen.
Die der Verklärung Jesu nachfolgende Perikope (Mk 9,14‐29) ist deutlicher
abzugrenzen. Wieder wechselt sowohl Ort und als auch Personenkreis, Jesus und die
5
drei auserwählten Jünger stoßen zu den anderen Jüngern (Mk 9,14). Von der privaten
Atmosphäre der Verklärung Jesu befinden sich nun alle beteiligten Personen im Kreis
der zwölf Jünger. Inhaltlich wird in dieser Perikope die Heilung eines besessenen
Knaben beschrieben, sodass sich auch die semantischen Felder ändern. Die
vorherrschenden Themenfelder sind in dieser Perikope Heilung und Familie.
Folglich ist die Verklärungs‐Perikope nun deutlich zu beiden Seiten abgegrenzt.
6
3. Sprachlich‐sachliche Analyse
Zur Verständnis der Perikope ist es wichtig sie auf sprachlich‐sachlicher Ebene zu
analysieren. Für eine sprachlich‐sachliche Analyse ist es erforderlich sowohl
sozialgeschichtliche und historische Fragen als auch textlinguistische Elemente zu
betrachten.
3.1. Sozialgeschichtliche und historische Fragen
Im Folgenden werden in der Verklärung Jesu vorkommende Personen und
Einzelaspekte betrachtet und ihr Auftreten analysiert.
a) Mose
Mose ist im Alten Testament ein Führer, Prophet und Gesetzgeber des Volkes Israel,
der die Israeliten aus Ägypten führt. Er ist der Mittler der Gottesoffenbarung. Im
Neuen Testament ist keine Person des Alten Testaments so häufig erwähnt wie
Mose.6 Mose steht im Neuen Testament als Bild des Vertreters der
alttestamentlichen Gesetze.7
In Dtn 18,15 wird ein endzeitlicher Mose‐Prophet verheißen: „Einen Propheten wie
mich wird dir der HERR, dein Gott, erwecken aus dir und aus deinen Brüdern; dem
sollt ihr gehorchen.“ Dieser angekündigte Prophet wird am Ende der Perikope über
Jesu Verklärung als Jesus selbst identifiziert. Der Autor schreibt, dass Mose nur
erscheint „um die Messianität Jesu zu bestätigen.“8
Nebenbei beantwortet dies bereits eine meiner Fragen, nämlich warum Mose bei der
Verklärung erschien. Er erschien um zu bestätigen, dass Jesus der Messias ist.
b) Elia
Elia ist ein alttestamentlicher Prophet. Seine Wirkungszeit ist „gekennzeichnet durch
das immer wieder überraschende Auftreten des >>Mannes Gottes<< (1Kön 17,24)
und sein Verschwinden, nachdem sich die Macht des Herrn durch ihn offenbart hat.
So soll er auch vor dem großen und schrecklichen Tag des Herrn noch einmal 6 Vgl. Erich Zenger: Mose. In: Theologische Realenzyklopädie. TRE. Hg. v. Gerhard Müller. Band 23. Berlin u.a. 1994. S. 343 7 Vgl. Rienecker, Fritz u.a.: „Mose“. In: Fritz Rienecker/Gerhard Maier (Hg.): Lexikon zur Bibel. Wuppertal. 1994. S.1087f 8 Der Brockhaus. In fünfzehn Bänden. Hg. v. Marianne Strysch u.a. Band 9. Leipzig u.a. 1998. S. 391
7
wiederkommen und als Gerichtsbote zugleich die letzte Gnadenzeit Gottes
ankündigen (Mal 3,23f).“9 Zur Zeit Jesu herrschte bei den Juden, die die
alttestamentlichen Verheißungen sehr gut kannten, eine Erwartung auf Elias
Wiederkunft vor. Schon vor dem öffentlichen Auftreten Jesu wurde Johannes der
Täufer gefragt, ob er der angekündigte Elia sei. Obwohl Johannes trotz seiner
äußerlichen Ähnlichkeiten zu Elia (Mt 3,4; 2Kön 1,8) dieses verneint, bestätigen ein
Engel und Jesus selbst, dass Johannes der Täufer „der geweissagte, >>zukünftige<<
E[lia] ist.“10
So wird nun eine weitere meiner anfänglichen Fragen geklärt. Johannes der Täufer ist
der Elia, der bereits wiedergekommen ist und damit den Weg für den Messias
bereitet hat.
c) Schriftgelehrte
Seit dem babylonischen Exil werden die jüdischen Gesetzeslehrer mit dem Titel
Schriftgelehrter bezeichnet.11 In den Evangelien werden diese als Kontrahenten Jesu
dargestellt.
d) Rabbi
Die Bezeichnung Rabbi bedeutet übersetzt „Mein Lehrer“ und ist eine „[r]espektvolle
Anrede der geistlichen Lehrer im antiken Judentum (Mt 23,7).“12.
e) Menschensohn
Der Begriff Menschensohn ist eine hebräische und aramäische Bezeichnung für eine
messianische Gestalt, die in der jüdischen Apokalyptik auftritt. Sie wird am Ende der
Zeiten erwartet um das endzeitliche Reich aufzurichten (Dan 7,13f).13 In den
Evangelien wird der Begriff Menschensohn nur als Selbstbezeichnung Jesu
verwendet, womit dieser direkt an Dan 7,13 anknüpft.14
9 Ebd. S. 390 10 A.a.O. 11 Vgl. Der Brockhaus. In fünfzehn Bänden. Hg. v. Marianne Strysch u.a. Band 12. Leipzig u.a. 1998. S. 341 12 Lexikon zur Bibel. Hg, v. Fritz Rienecker u. Gerhard Maier. Wuppertal. 1994. S.1273 13 Vgl. Der Brockhaus. In fünfzehn Bänden. Hg. v. Marianne Strysch u.a. Band 9. Leipzig u.a. 1998. S. 219 14 Vgl. Lexikon zur Bibel. Hg, v. Fritz Rienecker u. Gerhard Maier. Wuppertal. 1994. S. 1122
8
„Für die Juden jedenfalls gehörten Menschensohn und Christus (=Messias) eng zusammen (Joh 12,34) und der Anspruch Jesu, der Menschensohn zu sein, war für sie Gotteslästerung (Mk 14,62‐64).“15
f) Verklärung
Der griechischen Text verwendet anstelle des Begriffes Verklärung den Ausdruck
Metamorphose. Eine Metamorphose bezeichnet einen durchgreifenden
Gestaltwechsel.16
3.2. Textlinguistik
Die Textlinguistik ist ein wichtiges Instrument, das benutzt wird um festzustellen, ob
ein Text in sich selbst kohärent ist. Textlinguistische Analysen helfen, Struktur,
Gliederung und Intention einer Perikope zu erfassen. Die vorliegenende Perikope
über Jesu Verklärung wird nun aufgrund textlinguistischer Elemente wie Tempus,
Akteure, semantische Felder und Spannungsbögen untersucht.
a) Tempus
Die Perikope ist in einheitlichem Tempus gehalten. Es wird durchgehend das
Präteritum verwendet. Nur bei direkter Rede findet ein Zeitwechsel vom Präteritum
zum Präsens statt. Eine Ausnahme bildet der letzte Vers der Perikope, der in der
direkten Rede das Perfekt benutzt. Hierdurch wird die im Perfekt geschriebene
Aussage, dass Elia bereits gekommen ist, besonders betont. Folglich ist der Text
bezüglich des Tempus‘ kohärent formuliert und setzt durch das gewählte Perfekt
(V.13) einen besonderen Akzent.
b) Gedankenverknüpfungen
Die Perikope benutzt größtenteils Konjunktionen um verschiedene Gedanken
miteinander zu verknüpfen; am häufigsten arbeitet sie mit der Konjunktion „und“.
Für Begründungen innerhalt des Textes wird die kausale Konjunktion „denn“ benutzt.
Im neunten Vers werden die Gedanken mit der temporalen Konjunktion „als“
verknüpft („Als sie aber vom Berg hinabgingen…“). Die Gedankenverknüpfungen in
15 Ebd. S. 1123 16 http://www.schulschwestern.de/fastenzeit08/die_verklaerung‐de_jesu.htm, 15.06.2009 11:09
9
der Perikope über Jesu Verklärung zeigen durch ihre stringente Aneinanderreihung
eine Kohärenz auf.
c) Akteure
In der Perikope über Jesu Verklärung treten verschiedene Akteure auf, die sich
unterschiedlich zueinander verhalten. Auffallend ist zum Einen die enge
Gemeinschaft der drei Jünger Petrus, Johannes und Jakobus untereinander. Ihr
Vertrauen zueinander wird dadurch deutlich, dass sie sich untereinander befragen,
was die soeben erlebten Geschehnisse wohl zu bedeuten haben. Erst danach fragen
sie Jesus. Jesu Beziehung zu den drei Jüngern hebt sich dagegen deutlich ab. Er ist ihr
Rabbi und weiht sie in geheime Dinge ein und steht somit in der Hierarchie klar über
ihnen. Ein weiteres Beziehungsgeflecht in der Perikope ist das zwischen Gott und
Jesus. Die Stimme aus der Wolke, Gottes Stimme, bezeichnet Jesus als seinen Sohn
(V.7). Hier findet sich folglich eine Vater‐Sohn‐Beziehung in der Gott hierachisch über
Jesus steht.
Die Beziehung Elias und Moses zu den anderen Akteuren ist auf den ersten Blick nicht
eindeutig ersichtlich. Betrachtet man die Rollen von Mose und Elia im Alten
Testament, sieht man, dass sie Botschafter und Propheten Gottes waren, die von
Gott geschickt wurden um sein Wort zu verkündigen. Somit steht Gott hierarchisch
über Elia und Mose, da diese in seinem Auftrag handeln. Ebenso ist Jesus von Gott
geschickt. Somit stehen Mose, Elia und Jesus auf einer hierarchischen Ebene Gott
gegenüber; dennoch sticht Jesus als besonders heraus, als Sohn Gottes. Folgendes
Diagramm verdeutlicht die Beziehung der Akteure zueinander:
Gott
Jesus Elia Mose
Jünger: Jakobus, Johannes, Petrus
10
Das Schaubild zeigt, dass Jesus der Mittelpunkt des Geschehens und die Verbindung
der Jünger zu Gott ist. Man könnte Jesus als Mittler bezeichnen.
d) Wiederholungen
Wiederholungen werden in der Textlinguistik als Betonungsmittel verwendet.
Aussagen, die wiederholt werden, gelten als wichtig. Die Perikope über Jesu
Verklärung benutzt Wiederholungen, innerhalb derer minimale Detailveränderungen
erkennbar sind. So wird zunächst das Alleinsein von Jesus und den drei Jüngern
wiederholt (V.2+8). Auffällig ist hier die Aussage: „Jesus und die Jünger gingen allein
auf einen Berg“, die später nochmal bestärkt wird durch die Angabe: „die Jünger
sähen niemanden als Jesu allein“. Tatsächlich sieht keiner der Jünger Jesus allein, da
sie zu viert sind, sieht jeder Jünger sowohl Jesus als auch die anderen Jünger. Diese
Unstimmigkeit kann jedoch leicht erklärt werden, wenn man erkennt, dass die
Abgeschiedenheit der drei Jünger und Jesus von den anderen neun Jüngern betont
werden soll.
Die Reinheit der Kleidung Jesu wird durch die Benutzung von Wiederholungen in
einer Klimax beschrieben. Zunächst werden Jesu Kleider als „hell“, dann als „sehr
weiß“, abschließend als „so weiß wie kein Bleicher auf Erden sie machen kann“
beschrieben (V.3). Diese Steigerung gibt dem Aspekt der weißen Kleider Jesu einen
besonderen Schwerpunkt, indem sie zeigt, dass das Leuchten nicht natürlich, irdisch
ist. Im Gegenteil: Es ist übernatürlich und göttlich.
Die dritte Wiederholung betrifft die mehrfache Ankündigung des kommenden Elia
innerhalb derer der Status des kommenden Elias wechselt: Elia muss zuerst kommen,
Elia soll zuvor kommen und alles zurechtbringen, Elia ist bereits gekommen (V.11‐13).
Der Tempuswechsel innerhalb der Wiederholungen bezüglich Elias Wiederkunft
verdeutlicht, dass der angekündigte und ersehnte Elia bereits da war und somit nun
der Menschensohn kommen kann.
e) Quantität
Eine weitere textlinguistische Methode, die Schwerpunkte herausstellt, ist die
Analyse der Quantität. Der Evangelist Markus berichtet einige Geschehnisse
11
ausführlicher als andere und setzt damit Schwerpunkte. Ein Mittel der ausführlichen
Berichterstattung ist die direkte Rede, die in der vorliegenden Perikope mehrmals
benutzt wird: Die Aussage Petrus‘, Hütten zu bauen (V.5), die Stimme, die Jesu
Gottessohnschaft bestätigt (V.7), die Jünger, die sich untereinander fragen, was die
Auferstehung von den Toten ist (V.10) und schließlich der Dialog zwischen den
Jüngern und Jesus über Elia und den Menschensohn (V.11‐13). Im Gegensatz zu der
Beschreibung des eigentlichen Verklärungsvorgangs in den Versen 2 bis 8, die relativ
knapp und bündig ist, ist der Dialog zwischen Jesus und seinen Jüngern am Ende der
Perikope ausführlich und in direkter Rede gehalten. Hier wird ein deutlicher
Schwerpunkt auf den Inhalt der direkten Rede gelegt, die Wiederkunft Elias und das
damit zusammenhängende Kommen des Menschensohns.
f) Oppositionen
Oppositionen zeigen an, wo in einem Textabschnitt Gegensätze und Spannungen zu
finden sind, und sie helfen ebenfalls den Text zu gliedern. In der vorliegenden
Perikope finden sich vier konstitutive Gegensatzpaare. Das erste Gegensatzpaar,
„Wolke“ (V.7) und „Erde“ (V.3), zeigt den Gegensatz zwischen dem Himmlischen und
dem Irdischen. Jesu Kleider sind weißer als die auf Erden gemacht werden können;
eine Stimme bestätig aus den Wolken Jesus als Gottes Sohn. Dieser Gegensatz stellt
heraus, dass Jesus trotz seiner Menschengestalt göttlich ist.
Das zweite Gegensatzpaar, „Auf den Berg führen“ (V.2) und „Hinabgehen“ (V.9) zeigt
einen Ortswechsel an, der hilft, den Text zu gliedern. Ein Teil der Handlung, Jesu
Verklärung, findet auf dem Berg statt. Die Erklärung dieses göttlichen Geschehens,
die Jesus deinen Jüngern gibt, findet auf dem Weg ins Tal statt.
Das dritte Gegensatzpaar, Licht und Schatten, kombiniert jeweils Göttliches und
Irdisches miteinander: Die übernatürliche Verklärung ist mit der menschlich‐irdischen
Eigenschaft, weiße Kleider zu tragen kombiniert; Der irdische Prozess einer etwas
überschattenden Wolke ist mit dem übernatürlichen Ereignis der Stimme aus einer
Wolke, die die Gottessohnschaft Jesu bestätigt, verknüpft
Das vierte Gegensatzpaar findet sich in dem Dialog über Elia und dem Menschensohn
in den Basisoppositionen „Leiden“ bzw. „Sterben“ und „Auferstehung“. Diese Begriffe
12
treten, nachdem Jesus und die Jünger den Berg verlassen haben, immer wieder auf.
Sie beschreiben eines der grundsätzlichen Themen im Neuen Testament ‐ durch den
Tod und durch das Leiden einer einzelnen Person wird Hoffnung geschaffen. Das
Leiden bezieht sind in der Perikope auf den widerkommenden Elia.
Im Neuen Testament wird Johannes der Täufer als der angekündigte Elia identifiziert
(Mt 11, 9‐14). Johannes der Täufer tadelte Herodes Antipas öffentlich (Mk 6,17; Lk
3,19), wofür er gefangen genommen und später hingerichtet wurde(Mk 6,16)17. Mit
Johannes‘ Leiden und Hinrichtung nahm Jesu öffentliches Wirken an Bedeutung zu.
Somit wird das Prinzip, dass Leiden einer Person zu Hoffnung wird, auch hier
verdeutlicht, denn mit Jesu öffentlichem Wirken, seinem Tod und seiner
Auferstehung entsteht Hoffnung auf ewiges Leben, nicht nur für Juden, sondern auch
für Nichtjuden. Diese Dimension können die direkten Adressaten der Worte Jesu in
der vorliegenden Perikope nicht verstanden haben, da Jesus zu diesem Zeitpunkt
noch unter ihnen lebte und nicht gestorben und auferstanden war. Eine
zusammenhängende Deutung von Leid und Auferstehung ist er nach tatsächlichem
Tod und seiner Auferstehung möglich.
g) Semantische Felder
Semantische Felder und tragende Begrifflichkeiten helfen, eine Gliederung der
Perikope vorzunehmen. Ein wichtiges semantisches Feld beinhaltet die Begriffe Leid,
Sterben und Auferstehung, die vor allem im Schlussdialog (V.9‐13) ihren Gebrauch
finden und bereits oben (siehe 3.2.f)) erläutert wurden.
Weitere semantische Felder sind die der Kommunikation, „reden“, „sprechen“,
„fragen“ und „befragen“, und des Visuellen, „sehen“, „umblicken“, „überschatten“
und „erscheinen“, sowie Begrifflichkeiten aus dem Bereich der Bewegung,
„mitnehmen“, „führen“ und „hinabgehen“. In den ersten Versen der Perikope
überwiegen die Wortfelder um Visuelles und Bewegung, in den letzten Versen die der
Kommunikation. Hieraus lässt sich folgern, dass der Verklärungsprozess an sich
hauptsächlich visuelle Eindrücke und Bewegungen beinhaltet. Diese werden
17 Vgl. Lexikon zur Bibel. Hg, v. Fritz Rienecker u. Gerhard Maier. Wuppertal. 1994, S.823f
13
anschließend kommuniziert, wodurch es zu der Zweiteilung der Verklärungsperikope
kommt.
h) Spannungsbögen
Die bisherigen Analysen führen zu einer fundierten Aussage über die
Spannungsbögen in der vorliegenden Perikope. Die Exposition leitet den Text ein. Sie
gibt Auskunft über die Zeit (sechs Tage später), den Ort (auf einem hohen Berg), die
Akteure (Jesus, Jakobus, Johannes und Petrus) und die Handlung (Jesus wird verklärt).
Ab dem zweiten Vers steigt der Spannungsbogen kontinuierlich an. Der zweite Vers
schließt mit der Aussage: „(…)und er wurde vor ihnen verklärt.“ ohne nähere
Informationen zu geben. Die folgenden Verse übernehmen diese Aufgabe der
Informationsgabe bis am Ende von Vers 4 die Spannung dadurch aufgelöst wird, dass
die Verklärung vollkommen beschrieben ist. In den Versen 5 und 6 bleibt die
Spannung auf dem gleichen Level. Der Vorschlag Petrus‘, Hütten zu bauen, wird mit
dem Zusatz abgewiesen, Petrus sei verwirrt. Die Theophanie im siebten Vers hebt
den Spannungsbogen an: Gott erscheint in Form einer Wolke. Dieses übernatürliche
Ereignis ist sowohl für die Jünger, als auch für die Leser des Textes unerklärlich. Mit
dem Verschwinden der Wolke in Vers 9 fällt die Spannung ab und gleicht sich mit
dem Abstieg Jesu und der Jünger vom Berg dem Anfangsniveau der Perikope an. Das
Schweigegebot Jesu gegenüber der Jünger und ihre Fragen bezüglich der
Auserstehung der Toten zeichnen einen erneuten Anstieg der Spannung ab dem
zweiten Teil des neunten Verses. Bis zur Beantwortung der Fragen der Jünger durch
Jesus im dreizehnten Vers steigt die Spannung kontinuierlich weiter, bevor sie sich
mit dem Verständnis der Jünger, dass Elia bereits da war, auflöst. Folgende
Darstellung schematisiert den Spannungsbogen:
X Theophanie
X
X X X X
X X X
2 4 7 9 11 12 13
14
Die bisherige Analyse der Perikope betrachtet ihre Schwerpunkte, Gliederung und
Kohärenz. Aus diesen Elementen lässt sich nun eine Aussagerichtung des Textes
schlussfolgern. Dazu dient folgendes Schema:
X Elia, Menschensohn
X
X X X X
X hinauf X hinab X
2 4 7 9 11 12 13
Visuelles Leid, Sterben, Auferstehung
Bewegung Kommunikation
Das Schema zeigt, dass eine Gliederung der Perikope vor dem neunten Vers sinnvoll
ist. Im neunten Vers wird der erste Spannungsbogen beendet, der zweite beginnt.
Zudem findet ein Ortswechsel statt. Die Geschehnisse verlagern sich „vom Berg“
hinab „ins Tal“. Auch die semantischen Felder verändern sich vom ersten zum
zweiten Teil. Aus diesem Grund wird die Perikope in zwei Teile gegliedert. Teil eins
erfasst die Verse 2 bis 9a; Teil zwei die Verse 9b bis 13.
In ihrer Gesamtheit hat die Perikope einen kohärenten Aufbau. Die Spannungsbögen
zeigen keine Brüche auf, die semantischen Felder sind klar gegliedert. Die Analyse der
Wiederholungen und der Quantität der Aussagen zeigen, wo der Schwerpunkt der
vorliegenden Perikope liegt. Dieses ist eindeutig der zweite Teil des Textes, da dieser
ausführlicher beschrieben wird und in wörtlicher Rede steht. Folglich bildet der
Dialog (V.11‐13) den Schwerpunkt der Perikope. Der Inhalt des Dialogs verdeutlicht
somit den Schwerpunkt der gesamten Perikope. Elia, der wiederkommen muss bevor
der Messias auf Erden kommen kann, war bereits da, was zeigt, dass Jesus tatsächlich
der angekündigte Messias und Menschensohn aus Daniel ist (siehe 3.1.e))!
15
4. Frage nach der Aussageabsicht
4.1. Formkritik
In der Formkritik erschließt man die grundsätzliche Aussagerichtung eines Textes. Es
werden die Formen und Gattungen der Perikope betrachtet, die etwas über den
Inhalt und die Aussage des Abschnittes übermitteln.
Allgemein ist die Verklärung ein Offenbarungsvorgang. Offenbarungsvorgänge haben
generell folgende grobe Gliederung: Zu Beginn steht eine rätselhafte
„erläuterungsbedürftige Offenbarung“18, der ein menschliches Unverständnis folgt,
welches offenbar wird durch Fragen, Schelten oder Bitten. Abschließend wird eine
erläuternde Offenbarung angefügt.19 Die Perikope über Jesu Verklärung aus Markus
gliedert sich dem Muster entsprechend. Mk 9,2c‐4 beinhaltet den rätselhaften
Offenbarungsvorgang, Mk 9,5f widerspiegelt das übliche Falsch‐Verstehen, worauf in
Mk 9,7 „die authentische Interpretation der rätselhaften Vorgänge von Mk 9,2c‐4“20
folgt. Die Stimme Gottes (V.7) stellt das deutende Element dar.
Betrachtet man nun formkritische Elemente der Perikope in chronologischer
Reihenfolge, findet man zunächst die Gattung Vergleich in Mk 9,3. Jesu Aussehen
wird verglichen mit einem Weiß „wie kein Bleicher auf Erden die Kleider weiß
machen kann“. Berger definiert die Gattung Vergleiche wie folgt:
„Vergleichen ist ein sprachlicher Vorgang, in welchem bereits im laufenden Kontext das Stichwort gegeben wird, auf welches sich die eingeblendete Analogie bezieht.“21
Das in einem Vergleich geschilderte Aussehen Jesu bei der Verklärung nennt man
Ekphrasis, eine anschauliche und bildhafte Beschreibung des Aussehens und der
Gestalt. Eine Ekphrasis findet man im Neuen Testament vor allem in visionären
Gattungen, in welchen sie häufig eine epideiktische Aussage hat.22
Die Erscheinung Moses und Elias bei der Verklärung Jesu (Mk 9,4) ist eine reine
Beschreibung, ohne jegliche Deutung des Geschehnisses. Hier fehlt eine zweite
Textebene, die eine Erklärung für ihr Erscheinen anbietet. Anders ist das Verhältnis 18 Berger, Klaus: Formen und Gattungen im Neuen Testament. Tübingen. 2005. S.416 19 Vgl. a.a.O. 20 Ebd., S. 342 21 Ebd., S. 83 22 Vgl. ebd., S. 280
16
zwischen Mk 9,3 und Mk 9,7. Hier steht eine Vision neben einer Audition, wobei die
Audition die Vision erklärt, beide einander also zugeordnet sind. Auch die Funktion
dieser Deutung ist epideiktisch.23 Allerdings ist die Aufforderung der Stimme: „…den
sollt ihr hören!“ in der Audition symbuleutisch.
Die Methode des Nicht‐Verstehens, die bei Offenbarungsvorgängen üblich ist, wird
deutlich im Unverstand des Petrus. Seine äußerst menschliche und
korrekturbedürftige Aussage in Mk 9,5f zeigt, wie wenig er von dem Vorgang,
welchen er gerade sieht, versteht.24
Eine der wichtigsten intravisionalen Gattungen im Neuen Testament ist die Klärung
der Identität der Hauptfigur. Diese Gattung ist ein Sonderfall der Deutung des zuvor
Rätselhaften. Dazu gehören Texte „in denen die Identität eines in seinem Wesen
zunächst Unbekannten geklärt wird durch den Hinweise >>dieser ist<<“25. Die
Wendung wird sonst auch bei der Erklärung des Rätselhaften benutzt. In Mk 9,7
spricht die Stimme Gottes aus den Wolken „Das ist mein lieber Sohn […]“. Hier findet
ein Offenbarungsdialog statt, der ebenfalls epideiktischen Charakter hat.26
Der Schwerpunkt der Perikope (Mk 9,10‐13) ist gattungstechnisch ein Lehrdialog.
Berger definiert einen Lehrdialog folgendermaßen:
„Die Funktion besteht in der Information für den Leser. Denn im Mittelpunkt steht ein an Wissen und Weisheit überlegener Partner. Die Mitunterredner haben teilweise nur die Funktion die Information voranzutreiben. […] Alle übrigen Lehrdialoge sind eng auf die Jünger Jesu selbst begrenzt: Bisweilen fragen nur die auserwählten Jünger Petrus, Jakobus, Johannes (und Andreas)“27
Auch der Lehrdialog in der vorliegenden Perikope beschränkt sich auf Jesus, der als
der im Mittelpunkt stehende, welcher überlegen ist an Weisheit und Wissen, drei der
Jünger lehrt, dass Elia bereits da war. Ein Lehrdialog ist ebenfalls eine epideiktische
Gattung.
23 Vgl. ebd., S. 340 24 Vgl. ebd., S. 342 25 Ebd., S. 341f 26 Vgl. ebd., S. 416 27 Ebd., S. 308f
17
Die formkritische Analyse zeigt, dass die Aussagerichtung der Perikope über Jesu
Verklärung epideiktisch, das heißt darstellend ist. Sie dient dem Zweck, zu
verdeutlichen, dass Elia bereits da war und deswegen nun die Zeit des
Menschensohnes angebrochen ist.
Da der Text insgesamt eine epideiktische Aussagerichtung besitzt, sticht die
symbuleutische Aussage: „…auf den sollt ihr hören!“ besonders heraus. Die Leser
werden aufgefordert auf Jesus zu hören. Auf diese Besonderheit wird im
traditionsgeschichtlichen Vergleich (siehe 5.1) näher eingegangen.
4.2. Pragmatische Analyse
In der Pragmatik wird die Frage nach der Funktion eines Textes und der Leserlenkung
behandelt.
Ausgehend von der Formkritik, ist die Bestimmung der Funktion des Textes nicht
schwer. Die Formkritik hat gezeigt, dass die Aussagerichtung der Perikope
epideiktisch ist. Folglich gibt die Perikope Informationen an, die bisher nicht bekannt
waren, und stellt diese entsprechend dar. Aus dieser Erkenntnis kann man schließen,
dass die Funktion des Textes informativ ist; die Verklärung möchte Informationen
weitergeben. Sowohl die textlinguistische, als auch die formkritische Analyse haben
ergeben, dass die Hauptaussage der Perikope Elias vergangenes Dagewesensein ist.
Hiermit ist das Kriterium erfüllt, das vor dem Kommen des Menschensohnes erfüllt
sein musste. Ebenfalls ist damit die Gottessohnschaft Jesu bestätigt. Die Perikope
über Jesu Verklärung erfüllt allein den Zweck der Informationsweitergabe und soll in
der Leserschaft nicht praktisches Handeln veranlassen oder Gefühle wecken.
Eine Herausforderung stellt die Beantwortung der Frage nach der Leserlenkung der
Perikope dar. Am auffälligsten ist die Lenkung des Lesers durch die Identifikation mit
den Jüngern Jesu, insbesondere mit Petrus. Die Reaktion des Petrus (V.6) entspricht
der ersten Reaktion des Lesers, der mit Unverständnis und Verwirrung auf das
Geschehnis reagiert. Dadurch entwickelt der Leser ein Verständnis für die Situation
des Petrus. Auch die Reaktion der Jünger, ihre Beratung untereinander und ihr
Unverständnis der Worte Jesu (V.10), ist für den Leser nachvollziehbar, da er
ebenfalls die Worte Jesu zunächst nicht begreifen kann. Durch die Identifikation mit
18
den Jüngern entsteht beim Leser eine innere Spannung auf die Erklärung Jesu
bezüglich der Frage, ob nicht Elia zuerst kommen muss. Das durch die Identifikation
des Lesers mit den Jüngern geweckte Interesse am Lehrdialog leitet die Leserlenkung.
Somit ist der Text insgesamt referentiell, bzw. informativ.
19
5. Kontextuelle Analyse
Die kontextuelle Analyse stellt die vorliegende Perikope in den Kontext von Texten
des Alten Testaments, der Umgebung Israels und der synoptischen Evangelien, um
Vergleichsmomente zu finden. Hierbei werden Schlüsselwörter der vorliegenden
Perikope gesucht, die auch in anderen Texten vorkommen.
5.1. Traditionsgeschichtlicher Vergleich
Im traditionsgeschichtlichen Vergleich wird der Text über Jesu Verklärung mit Texten
aus dem Alten Testament in Verbindung gesetzt. Das erste Schlüsselwort, das in der
vorliegenden Perikope vorkommt, ist „Berg“ (V.2). Würde das Alte Testament nun
nach dem Wort „Berg“ untersucht, fänden sich unendlich viele Stellen, somit werden
nur solche Texte traditionsgeschichtlich verglichen, in denen das Wort „Berg“ in
einem ähnlichen Zusammenhang wie in Mk 9,2‐13 steht. Ex 24 stellt einen solchen
Text dar. Mose steigt in Begleitung von drei namentlich bekannten Männern, Aaron,
Nadab und Abihu, auf einen Berg. Zeichen der Anwesenheit Gottes ist eine Wolke,
aus der die Stimme Gottes spricht. Nach sechs Tagen auf dem Berg bekommt Mose
am siebten Tag eine Offenbarung. In der Perikope über Jesu Verklärung geht Jesus
mit Jakobus, Johannes und Petrus nach sechs Tagen, also am siebten Tag, auf einen
Berg, wo die Offenbarung Gottes durch die Stimme in der Wolke geschieht. Die
Parallelen zwischen Exodus 24 und Markus 9 sind eindeutig, beide sind
Theophaniegeschichten.
Die weißen Kleider Jesu lassen sich als nächstes Schlüsselwort identifizieren. Dazu
findet man eine bedeutende Parallele in Dan 7,9:
„Ich sah, wie Throne aufgestellt wurden, und einer, der uralt war, setzte sich. Sein Kleid war weiß wie Schnee und das Haar auf seinem Haupt rein wie Wolle; Feuerflammen waren sein Thron und dessen Räder loderndes Feuer.“28
Diese Stelle erinnert an die Beschreibung von Jesu Kleider während seiner
Verklärung. Daraus folgt, dass in der Verklärungsperikope „allgemein apokalyptische
Züge wie die strahlend weißen Gewänder wirksam geworden“29 sind. Die
Vergleichsstelle aus Daniel, in der die Person, die auf den Thron gesetzt wird, weiße 28 Stuttgarter Bibelübersetzung 29 EKK, S. 32
20
Kleider wie Jesus hat, legt nahe, dass die Verklärung Jesu eine Inthronisation Jesu
darstellt. Jesus wird durch die Stimme Gottes, die bezeugt, dass Jesus Gottes Sohn ist,
zum König erhoben, genauso wie durch die Bestätigung im weiteren Verlauf der
Perikope, dass Jesus der Menschensohn ist.
Petrus‘ Vorschlag, Hütten zu bauen, kann durch einen weiteren
traditionsgeschichtlichen Vergleich verständlicher gemacht werden. In Israel
herrschte die Tradition des Laubhüttenfestes. Jedes Jahr im siebten Monat bauten
die Israeliten sich Laubhütten und wohnten für eine Woche in diesen (Neh 8,14f; Lev
23,34). Während dieser Tradition wurden die Israeliten in eine „endzeitlich‐
messianische Stimmung“30 versetzt, erwarteten den Messias besonders. In diesem
Licht wird die Reaktion des Petrus verständlich. Die alttestamentliche Ankündigung
der Wiederkunft Elias, bevor der Messias kommt, hat sich vor Petrus‘ Augen erfüllt,
woraus er schlussfolgert, dass das Kommen des Messias nun unmittelbar bevorsteht.
Deswegen möchte er Hütten aufbauen, in denen Jesus und die Jünger wohnen
können.
Auch die verstörte Reaktion der Jünger, insbesondere Petrus‘, auf die Offenbarung ist
ähnlich im Alten Testament zu finden. Auch Ezechiel ist verstört nach einer
Offenbarung, die Gott ihm gezeigt hatte (Ez 3,12‐15).
Die Vorstellung, dass Gott in einer Wolke präsent ist, ist im Alten Testament bekannt.
Beim Auszug aus Ägypten zieht Gott am Tag in einer Wolkensäule vor dem Volk Israel
her (Ex 13,21). Außerdem sagt Gott selbst zu Mose, dass er in einer Wolke zu ihm
kommen wird (Ex 19,9). Eine weitere Begebenheit wird in 1. Kön 8, 11 beschrieben,
denn dort erfüllt die Wolke den neu gebauten Tempel, da die Herrlichkeit des Herrn
das Haus des Herrn erfüllt. Eine Erzählung in Dtn 5,22 beschreibt, wie in der
Verklärung, dass Gottes Stimme aus der Wolke spricht:
„Das sind die Worte, die der HERR redete zu eurer ganzen Gemeinde auf dem Berge, aus dem Feuer und der Wolke und dem Dunkel mit großer Stimme, und tat nichts hinzu und schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln und gab sie mir.“
In der betrachteten Perikope fordert die Stimme aus der Wolke die Jünger auf, auf
den Sohn zu hören (V.7). Diese Aufforderung Gottes findet sich bereits im Alten 30 EKK, S. 35
21
Testament bei der Verheißung, dass Gott einen ähnlichen Propheten wie Mose
schicken wird, auf den gehört werden soll (Dtn 18,15). Diese Parallele legt den
Schluss nahe, dass Jesus dieser im Alten Testament angekündigte, moseähnliche
Prophet ist.
Die Verklärungsgeschichte weist viele alttestamentliche Analogien auf und lässt sich
mithilfe alttestamentlicher Elemente analysieren. Jesu Verklärung ist eine typische
Theophaniegeschichte, die apokalyptische Züge aufweist. Der
traditionsgeschichtliche Vergleich legt nahe, dass die Perikope eine Inthronisation
Jesu beinhaltet. Des Weiteren zeigt sich deutlich, dass die Stimme aus der Wolke
Gottes Stimme ist. Jesus ist der in Dtn 18,15 angekündigte Prophet.
5.2. Religionsgeschichtlicher Vergleich
Der religionsgeschichtliche Vergleich setzt die Perikope mit Texten in Verbindung, die
die Geschichte der Israel umliegenden Völker zur damaligen und zu früheren Zeiten
beschreiben.
Der griechische Text Plutarchs über das Glück der Römer31 ist ungefähr zur selben
Zeit entstanden wie das Markusevangelium. Er verdeutlicht, dass nach dem
Verständnis der Römer das Umstrahltwerden von Licht ein wichtiges Vorzeichen auf
künftige Würde ist. Auch ist das Licht ein Zeichen dafür, dass eine nicht‐irdische
Vaterschaft besteht, weist folglich auf Gottessohnschaft hin.
Jüdische Texte beschreiben den Vorgang einer Verklärung anders. Die bei Berger
aufgeführte jüdische Grundschrift über das Prophetenleben, und hier speziell über
Elia32, zeigt ein Feuer‐ und Lichtphänomen, das über das Kleinkind Elia kommt. Das
Lichtphänomen wird ihm von zwei Personen übertragen, die ebenfalls verklärt sind.
Ebenso wie in der jüdischen Überlieferung wird das Lichtphänomen auch in der
Perikope der Verklärung Jesu von zwei Männern, hier Elia und Mose, zu Jesus
gebracht.
31 Berger, Klaus/Colpe, Carsten: Religionsgeschichtliches Textbuch zum Neuen Testament. Göttingen. 1987. S.59 siehe Anhang 32 Ebd. S. 60 siehe Anhang
22
Eine andere jüdische Überlieferung beschreibt die Apokalypse des Elias. In ihr wird
deutlich, dass das Unterhalten mit hohen Autoritäten aus der Vergangenheit im
Judentum als ein wichtiger Legitimationserweis verstanden wird.33 Somit liegt die
Vermutung nahe, dass jüdische Leser der betrachteten Perikope die Unterredung
zwischen Elia, Mose und Jesus als Legitimationserweis für Jesu Prophetenschaft
verstanden haben.
Der griechische Text von Philo von Alexandrien über die Tugenden34 zeigt, dass auch
die Griechen ein Verständnis für den Verklärungsvorgang Jesu gehabt haben müssen.
Philo von Alexandrien beschreibt, dass Abraham, sobald ihn der Geist Gottes ergriff,
in seiner Person verändert wurde: Er wurde ehrwürdiger, verändert zum Besseren
betreffs seines Blicks, seiner Farbe, seiner Größe, seiner Haltungen, seiner
Bewegungen und seiner Stimme. Ebenso wurde sein Leib umgeben mit ausgewählter
Schönheit35.
Die drei angeführten religionsgeschichtlichen Texte verdeutlichen, dass sowohl im
römischen, als auch im jüdischen und griechischem Denken das Phänomen der
Verklärung mit bestimmten Vorstellungen und Bedeutungen belegt war. Das
Phänomen der Verklärung tritt in diesen Denkmustern nur bei besonderen Personen
auf, sodass die Schlussfolgerung nahe liegt, dass auch in der Verklärungsgeschichte
von Markus 9 erkennbar geworden ist, dass Jesus eine außergewöhnliche Person ist.
Für die Juden und Griechen war Jesus ein Prophet, bzw. Bote Gottes, die Römer
sahen ihn als Sohn Gottes.
5.3. Synoptischer Vergleich
Der synoptische Vergleich der Perikope der Verklärung Jesu ist sehr komplex. Die
nachfolgende Tabelle soll zur besseren Übersicht dienen. Die Tabelle zeigt, welche
Verse einander in den drei synoptischen Evangelien sich entsprechen.
33 Vgl. a.a.O. siehe Anhang 34 A.a.O. siehe Anhang 35 Ebd.
23
Markus 9 Matthäus 17 Lukas 9
Vers 2 Vers 1 Vers 28
Vers 3 Vers 2 Vers 29
Vers 4 Vers 3 Vers 30
‐‐‐‐‐‐‐ ‐‐‐‐‐‐‐ Vers 31 f
Vers 5 Vers 4 Vers 33
Vers 6 ‐‐‐‐‐‐‐ Vers 33
Vers 7 Vers 5 Vers 34 f
‐‐‐‐‐‐‐ Vers 6 f Vers 34
Vers 8 Vers 8 Vers 36
Vers 9 Vers 9 ‐‐‐‐‐‐‐
Vers 10 ‐‐‐‐‐‐‐ ‐‐‐‐‐‐‐
Vers 11 f Vers 10 f ‐‐‐‐‐‐‐
Vers 13 Vers 12 ‐‐‐‐‐‐‐
‐‐‐‐‐‐‐ Vers 13 ‐‐‐‐‐‐‐
Eine erste Auffälligkeit ist, dass Lukas seine Verklärungsperikope mit einer anderen
Zeitangabe einleitet, was nahelegt, dass Lukas eine zusätzliche Sondergutquelle zu
der Verklärungsgeschichte zur Verfügung hatte, da Markus und Matthäus eine
einheitliche Zeit angeben. Des Weiteren liefert Lukas in seiner Einleitung der Perikope
zwei zusätzliche Informationen: Die Verklärung Jesu beginnt „nach diesen Reden“;
Jesus und seine Jünger gehen „zum Beten“ auf diesen Berg. Diese zusätzlichen
Informationen sind aus erzähltechnischen Gründen eingefügt. Der Zusatz „nach
diesen Reden“ bietet den Lesern einen roten Faden. Lukas‘ Erwähnung, dass Jesus
und die Jünger zum Beten auf den Berg gehen, spiegelt ein Hauptthema seines
Evangeliums wider ‐ „Beten“ wird in keinem Buch der Bibel so häufig erwähnt wie in
Lukas. So zieht Jesus sich vor der Erwählung der zwölf Jünger ebenfalls auf einen Berg
zurück um zu beten (Lk 6,12). Ähnliches geschieht bei seiner Passion und zeigt, dass
Jesus sich zur Konzentration vor wichtigen Ereignissen zurückzieht.
Der in Markus folgende Aspekt, der erleuchteten Kleidung Jesu, wird bei Matthäus
anders beschrieben. Im Gegensatz zu Markus leuchten bei Matthäus Jesu Kleider
24
weiß wie das Licht, sein Angesicht leuchtet wie die Sonne (Mt 17, 2). Es liegt die
Vermutung nah, dass Matthäus sich hier auf Maleachi bezieht, wo Jesus bereits als
Sonne der Gerechtigkeit angekündigt wird: „Euch aber, die ihr meinen Namen
fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter ihren Flügeln; und
ihr sollt aus und eingehen und hüpfen wie die Mastkälber“ (Mal 3,20). Diese
Abweichung bei Matthäus ist erzähltechnischer Art. Jüdische Leser verstehen die
Matthäus Anspielung auf die Maleachi‐Stelle und finden hier eine weitere
Bestätigung dafür, dass Jesus der Messias ist. Hieraus lässt sich der vorsichtige
Schluss ziehen, dass sich die Adressatenschaft des Markus‐ und
Matthäusevangeliums unterscheiden. Markus schreibt primär für Nichtjuden (aber
auch für Judenchristen siehe Kompositionskritik 6.1.), Matthäus für Judenchristen.
Alle drei synoptischen Evangelien beschreiben die Erscheinung Elias und Moses.
Allerdings weisen diese Beschreibungen deutliche Unterschiede auf. In Markus‘
Erzählung erscheint Elia mit Mose, bei Matthäus hingegen erscheinen Mose und Elia.
Was zeigt, dass Matthäus die Reihenfolge, höchstwahrscheinlich aus realhistorischen
Gründen, geändert hat. Mose lebte vor Elia. Bei Lukas hat die Erscheinung wiederum
andere Formen. Er beginnt mit der Erwähnung zweier Männer. Erzähltechnisch
bereitet es die Verklärung aus der Perspektive der Jünger vor, die weder Mose noch
Elia aufgrund ihrer Verklärung erkennen. Anschließend löst Lukas auf, dass die beiden
verklärten Personen Mose und Elia sind und nennt sie ebenfalls in korrekter
realhistorischer Reihenfolge. Die Erzählung des Lukas hat eine auffällige Parallele zu
dem religionsgeschichtlichen Text über die Geburt Elias (siehe
religionsgeschichtlicher Vergleich). Da dieser Text ein jüdischer Text ist, ist es
möglich, dass Lukas auf die Ähnlichkeit der Geburt Elias und der Verklärung Jesu
hinweist. Dies würde bedeuten, dass Lukas ebenfalls für Judenchristen schreibt.
Markus stellt Elia an den Anfang der Aufzählung, da Elia in den folgenden Versen die
Hauptperson ist.
Eine Besonderheit des Markusevangeliums, die nur im synoptischen Vergleich
sichtbar wird, ist, dass Petrus durch die Verklärung Jesu verstört ist. Weder Matthäus
noch Lukas erwähnen dieses. Diese Einzigartigkeit deutet darauf hin, dass die
25
Verstörtheit des Petrus ein besonderes theologisches Motiv im Markusevangelium
sein könnte. Eine Behandlung dessen findet in der Redaktionskritik (6.2.) statt.
Matthäus beendet seinen Bericht über Jesu Verklärung mit der Angabe, dass die
Jünger am Ende ihres Gesprächs mit Jesus verstanden haben, dass Elia Johannes der
Täufer war. Diese Deutung von Elia findet man bei Markus nicht, was zu der Frage
führt, warum er diese scheinbar wichtige Information auslässt. Die Antwort auf diese
Frage zeigt sich am besten, wenn man analysiert, warum Matthäus die Erkenntnis der
Jünger erwähnt. Nur im Matthäusevangelium wird direkt geschrieben, dass Johannes
der Täufer als der angekündigte Elia vor Ankunft des Messias identifiziert wird (Mt
11,14; 17,13). Weder Markus noch Lukas machen hierzu Aussagen. Der Grund dafür
ist unklar, vielleicht wollte Markus die Deutungsarbeit seinen Lesern überlassen,
vielleicht wusste er aber auch nicht, dass Johannes der Täufer als Elia gesehen wird.
Der genaue Grund ist ungewiss.
26
6. Der Text als Teil eines theologischen Gesamtkonzepts
6.1. Kompositionskritik
Die Kompositionskritik untersucht die Komposition eines Textes und seine Funktion
im Blick auf den Fortgang des Erzählfadens.
Zunächst ist festzustellen, dass die Verklärungsperikope im zweiten Hauptteil (Mk
8,27‐10,52) des Markusevangeliums steht. Dieser Teil beschreibt Jesu Weg zur
Passion. Schnelle betrachtet die Perikope über die Verklärung im engeren Kontext
und stellt dabei fest, dass sie die Einleitung zu einem Block über die Themen
Verklärung, Wunder, 2. Leidensankündigung, Belehrung (Mk 9,2‐50) ist36. Im zweiten
Hauptteil finde, so Schnelle, die „Konzentration zentraler christologischer
Aussagen“37 statt, wie das Petrusbekenntnis, Worte über die Leidensnachfolge, die
Verklärung und drei Leidensanweisungen.
Wenn man sich nun das Verhältnis der Verklärungsperikope zu den anderen Texten in
dem Themenblock anschaut, fällt auf, dass alle drei nachfolgenden Texte im
Zusammenhang mit dem Leiden des Menschensohns bzw. der Andeutung, dass Jesus
nicht mehr lange bei seinen Jüngern sein wird, stehen. In der Verklärung wird vom
Leiden des Menschensohns berichtet (V.12), in der Heilung des besessenen Knaben
deutet Jesus an, dass er nicht mehr lange unter ihnen weilen wird (V.19) und in der
zweiten Ankündigung von Jesu Leiden und Auferstehung wird vorausgesagt, dass der
Menschensohn bald getötet wird (V. 31). Weiter geht es in dem Rangstreit der Jünger
und der Warnung vor Verführung zum Abfall um die eingeschränkte Sicht der Jünger,
welche im direkten Zusammenhang mit dem Jüngerunverständnis in der Verklärung
steht. Außerdem folgen Anweisungen Jesu über die Zeit, wenn Jesus nicht mehr auf
der Erde ist. Diese Untersuchung zeigt bereits deutlich, dass die Verklärungsperikope
eng mit dem Kontext verbunden ist.
Ein enges Verhältnis hat die Verklärungsperikope auch zu dem vorangehenden
Themenblock, welches dadurch sichtbar wird, dass die Verheißung der dortigen
Prophetie, dass einige nicht sterben werden bevor sie das Reich Gottes mit Kraft
eintreten sehen (Mk 9,1), partiell bereits in der Verklärung erfüllt wird. 36 Vgl. Schnelle, S.242 37 Schnelle, S. 244
27
Nun stellt sich die Frage, welchen Beitrag die Verklärungsperikope zu den Aussagen
des Markusevangeliums leistet und welche Aussagen fehlen würden, wenn die
Perikope nicht enthalten wäre. Hier sticht besonders die Ausführung über Elias
Wiederkunft ins Auge, die im Zusammenhang mit der Bestätigung Jesu als
angekündigter Menschensohn, auf den nun viel Leid zukommt, steht. Für die
Leserschaft der Judenchristen ist dieser Aspekt zentral, da er bestätigt, dass Jesus der
im Alten Testament angekündigte Messias ist, an den sie glauben. In der Theologie
der Judenchristen kann Jesus nur dann der versprochene Messias sein, wenn Elia
vorher wiedergekommen ist, um ihm den Weg zu bereiten. Die Verklärungsperikope
bestätigt somit, dass Jesus der Menschensohn und der Messias ist.
6.2. Redaktionskritik
Die Redaktionskritik arbeitet mit tragenden Begrifflichkeiten aus der Textlinguistik,
indem sie diese auf weitere Vorkommen im Markusevangelium untersucht und somit
feststellt, ob sie in die Gesamtkonzeption passen.
Tragende Begrifflichkeiten der Verklärungsperikope sind Menschensohn im
Zusammenhang mit Leid, Elia und Mose, Schweigegebot, Berg, Wolke, Stimme,
Aufforderung zum Hören, Auferstehung von den Toten und das Jüngerunverständnis.
Im Vergleich der zentralen Begrifflichkeiten aus der Verklärungsperikope zum Rest
des Markusevangeliums fällt auf, dass der Menschensohn durch das ganze
Evangelium hindurch erwähnt wird(Mk 2,10; 2,28; 8,31.38; 9,9.12.31; 10,33.45;
13,26; 14,21.41.62), aber in Bezug auf das Leiden vermehrt im Kontext der Verklärung
(Mk 8,31; 9,12.31; 10,33). Elia und Mose treten zusammen bei Markus nur in der
Verklärungsperikope auf. Im Rest des Evangeliums wird Elia stets alleine erwähnt und
als Prophet oder Johannes der Täufer bezeichnet (Mk 6,15; 8,28). Mose hingegen
wird als Vertreter des Gesetzes beschrieben (Mk 1,44; 7,10; 10,3.4; 12,19). Dadurch
wird Jesus als der Erfüller vom Gesetz und den Propheten dargestellt. Das
Schweigegebot ist eine im gesamten Markusevangelium häufig auftretende
Begrifflichkeit, einmal als Anweisungen an Dämonen (Mk 1,25.34; 3.12), ein anderes
Mal nach einem Wunder (Mk 5,43; 7,36) und im Kontext der Verklärung an die Jünger
(Mk 8,30; 9,9). Der Berg ist bei Markus immer ein besonderes Zeichen der
Gottesnähe, denn Jesus geht auf den Berg um zu beten oder als Rückzug vor
28
wichtigen Entscheidungen wie der Wahl der Jünger (Mk 3,13; 6,46; 9,2). Die Wolke
findet man bei Markus nur in der Verklärungsperikope, wohingegen die Stimme auch
noch bei der Taufe Jesu vorkommt, bei der die Stimme ebenfalls bestätigt, dass Jesus
der Sohn Gottes ist (Mk 1,11). Ansonsten ordnet das Markusevangelium die Stimme
Johannes dem Täufer zu, der zur Umkehr ruft (Mk 1,3.11; 9,7). Ebenfalls findet sich
bei Markus häufig die Aufforderung, auf Jesus zu hören (Mk 4,3.9.23; 7,14; 9,7;
12,29), allerdings ist die Verklärung die einzige Stelle, in der Gott die Menschen direkt
auffordert, auf seinen Sohn zu hören (Symbuleutische Aufforderung, siehe Formkritik
4.1.). Hier findet eine herausragende Legitimation göttlicherseits statt. Jesu
Auferstehung von den Toten findet sich nur im direkten Zusammenhang mit der
Verklärung (Mk 8,31; 9,9.31; 10.34). Gegen Ende des Markusevangeliums existieren
jedoch die Ankündigungen, dass Menschen auferstehen werden (Mk 12,23.25.26).
Das Motiv des Jüngerunverständnisses tritt ebenfalls häufig bei Markus auf, meistens
in Bezug auf die Person Jesu und seine Lehre.
Um nun, bezogen auf die Redaktionskritik, die markinischen Denkstrukturen und
inhaltlichen Zusammenhänge genauer zu untersuchen, ist es hilfreich die
theologischen Grundgedanken des Evangeliums zu betrachten. Udo Schnelle fasst in
seiner Einleitung zum Neuen Testament die theologischen Grundlinien zusammen.
Mit Hilfe dieser Zusammenfassung kann untersucht werden, ob die
Verklärungsperikope bezüglich ihrer tragenden Begrifflichkeiten in das theologische
Grundgerüst des Markusevangeliums passt. Nach Schnelle ist die Geheimnistheorie
ein Grundelement des Markusevangeliums:
„Der Erkenntnis Jesu Christi dient die markinische Geheimnistheorie. Die Verborgenheit Jesu als Heilsgestalt findet sich bei Markus in verschiedenen Ausformungen, die jeweils im Rahmen einer übergeordneten christologischen Geheimnistheorien verstanden werden wollen.“38
Mehrere Merkmale der markinischen Geheimnistheorie finden sich in der
Verklärungsperikope wieder. Das Jüngerunverständnis zeigt, dass die Jünger das
Leidensgeheimnis der Person Jesu nicht erfassen können. Markus Erwähnung dieser
38 Schnelle, S. 248
29
Tatsache verdeutlicht folglich, dass die Person Jesu nicht einseitig betrachtet und
verstanden werden darf.39 Dies bestätigt auch Schnelle:
„Ein ganzheitliches Verstehen der Person Jesu kann sich nicht auf seine Hoheit und Herrlichkeit beschränken und das Leid ausklammern. Vielmehr gehört beides zu einer umfassenden Erkenntnis Jesu.“40
Das in der Verklärungsperikope vorkommende Schweigegebot an die Jünger ist ein
Mittel von Markus, seine Leser zu der Erkenntnis zu treiben, dass das Kreuz und die
Auferstehung unmittelbar zu der Person Jesu gehören.
„Mit dem Schweigegebot in 8,30 verdeutlich Markus, daß mit dem Petrusbekenntnis allein noch keine vollständige und endgültige Erkenntnis der Person Jesu verbunden ist. Dies zeigen die folgende 1. Leidensanweisung und die Reaktion des Petrus. Die grundlegende Bedeutung von Mk 9,9 für die Geheimnistheorie erkannte bereits W. Wrede. Markus terminiert die Schweigegebote bis zur Auferstehung Jesu und hebt dort das Geheimnis um die Person Jesu auf: Erst Kreuz und Auferstehung ermöglichen eine uneingeschränkte Erkenntnis Jesu Christi.“
Die Person Jesu kann nicht verstanden werden, bis Kreuz und Auferstehung,
geschehen sind.
Die redaktionskritische Analyse zeigt, dass die Verklärungsperikope in das
theologische Gesamtkonzept des Markusevangeliums passt, besonders in den Aspekt
seiner Geheimnistheologie.
39 Vgl. Schnelle, S. 250 40 Schnelle, S. 250
30
7. Ergebnissicherung und Ausblick
7.1. Fazit
Zweck dieses Fazits ist nun die einzelnen Teilergebnisse der Analyse der
Verklärungsperikope zu bündeln, und somit ein Gesamtverständnis des Textes zu
erlangen.
Die textlinguistische Analyse bringt die Hauptaussage der Perikope über Jesu
Verklärung ans Licht: Der im Alten Testament angekündigte Elia war bereits da. Jesus
ist somit der versprochene Messias und Menschensohn. Wie die formkritische und
textpragmatische Analyse bestätigt, dient die Perikope der Darstellung und
Verbreitung dieser Hauptaussage des Textes, ist also informativer Art. Passend dazu
sieht man in der Kompositionskritik, dass gerade diese Hauptaussage im
Markusevangelium fehlen würde, wenn die Verklärungsperikope nicht überliefert
worden wäre. Die Verklärungsperikope beinhaltet eine Inthronisierung Jesu, er wird
als Herrscher und als Gesalbter bestätigt. Die traditionsgeschichtliche Analyse
verdeutlicht ebenfalls, dass Jesus der angekündigte Prophet aus Deuteronomium ist.
Hiermit verdeutlicht die Traditionsgeschichte, dass die Verklärung Jesu auch im Bezug
auf das Alte Testament Jesus als Messias bestätigt. Zu einem ähnlichen Ergebnis
kommt auch der religionsgeschichtliche Vergleich. Für die umliegenden Völker
beinhaltet die Verklärungsperikope eine typische Bestätigung der Gottessohnschaft
Jesu. Abschließend verdeutlicht die Redaktionskritik, dass die Verklärungsperikope zu
der Gesamttheologie des Markus passt.
Betrachtet man die einzelnen Analyseschritte der Perikope über Jesu Verklärung
bestätigen sie alle die Hauptaussage mehr als deutlich: Elia war bereits da und hat
den Weg für den angekündigten Messias bereitet, der in Jesus nun da ist.
31
7.2. Hermeneutischer Ausblick
Abschließend stellt sich die Frage nach der Aktualität des Textes und seiner Relevanz
für heutige Schülerinnen und Schüler.
Eine persönliche Erfahrung meinerseits zeigt, dass die Verklärungsperikope auch
heute noch im Schulleben Anwendung findet. Im Abiturgottesdienst meiner
Schwester wurde die Verklärung Jesu aus dem Matthäusevangelium für die Andacht
zugrunde gelegt. 13 Schuljahre gleichen einem Aufstieg auf den Berg; die Ankunft auf
dem Berg symbolisiert das Erreichen des Abiturs. Hier wurde der Text als Metapher
für das Schulleben benutzt und zeigt somit einen aktuellen Bezugspunkt, den er im
Leben von Schülerinnen und Schülern haben kann.
Die Verklärungsperikope kann auch dazu dienen, Forderungen des aktuellen
Lehrplans für das Fach evangelische Religionslehre zu vermitteln. Im Lehrplan ist die
Vorstellung der Religion des Judentums in den Jahrgängen 7 und 8 als verbindlicher
Inhalt festgesetzt.41 Das Christentum, welches sich aus dem Judentum gebildet hat,
geht davon aus, dass Jesus der Messias ist. Die Juden hingegen warten noch heute
auf den Messias. Mit Hilfe der Verklärungsperikope können hier diese Differenzen
thematisiert werden. Eine Analyse der Verklärungsperikope könnte dabei aufzeigen,
warum Jesus als Messias angesehen werden kann. Hierdurch können verschiedene
Lernziele erreicht werden. Schülerinnen und Schüler, können aus einer Analyse des
Textes heraus kognitiv die Basis des christlichen Glaubens, dass Jesus Christus der
Messias ist, verstehen. Schülerinnen und Schülern, die den christlichen Glauben
vertreten, bietet die Verklärungsperikope auch pragmatische Anreize. So können sie
mithilfe des Verständnisses der Perikope ihren Glauben anderen Religionen
gegenüber besser begründen, da sie lernen, warum Jesus theologisch als der Messias
angesehen werden kann.
Diese Beispiele zeigen, dass die Perikope über Jesu Verklärung auch heute noch
aktuell ist und ihren Lesern etwas zu sagen hat.
41 Vgl. http://www2.uni‐wuppertal.de/FBA/ev.theol/studium/fachpraktikum/lehrplan_gym.PDF 01.07.2009 12:33
32
8. Anhang
Text 1
Text 2
Text 3
33
Text 4
34
9. Literaturverzeichnis
Primäre Literatur:
• Die Schule in Nordrhein‐Westfalen: Eine Schriftenreihe des Kultusministeriums: Richtlinien und Lehrpläne: Evangelische Theologie
• http://www2.uni‐wuppertal.de/FBA/ev.theol/studium/fachpraktikum/lehrplan_gym.PDF (01.07.09 12:33)
• Herbert Hartmann (Hg.): Kleine Konkordanz zur Lutherbibel. 2008
• Online‐Konkordanz: www.bibleserver.com
• Revidierte Luther Übersetzung. Neuenhausen‐Stuttgart: Hänssler‐Verlag 1984
Forschungsliteratur:
• Berger, Klaus/Colpe, Carsten: Religionsgeschichtliches Textbuch zum Neuen
Testament. Göttingen. 1987
• Berger, Klaus: Formen und Gattungen im Neuen Testament. Tübingen. 2005
• Der Brockhaus. In fünfzehn Bänden. Hg. v. Marianne Strysch u.a. Leipzig u.a.
• Fritz Rienecker/Gerhard Maier (Hg.): Lexikon zur Bibel. Wuppertal. 1994
• Gnilka, Joachim: „Das Evangelium nach Markus. 2. Teilband Mk 8,27‐16,20.“ In: Josef
Blank u.a. (Hg.): EKK. Evangelisch Katholischer Kommentar zum Neuen Testament
II/2. Zürich u.a. 1979
• http://www.schulschwestern.de/fastenzeit08/die_verklaerung‐
de_jesu.htm(15.06.2009 11:09)
• Schnelle, Udo: Einleitung in das Neue Testament. 2. Aufl. Göttingen.1996
• Zenger, Erich : Mose. In: Theologische Realenzyklopädie. TRE. Hg. v. Gerhard Müller.
Band 23. Berlin u.a. 1994
35
Erklärung
Ich versichere, dass ich die schriftliche Hausarbeit / das Referat einschließlich evtl.
beigefügter Zeichnungen, Kartenskizzen, Darstellungen u.ä.m. selbstständig angefertigt und
keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Alle Stellen, die dem Wortlaut
oder dem Sinn nach anderen Werken entnommen sind, habe ich in jedem einzelnen Fall
unter genauer Angabe der Quelle deutlich als Entlehnung kenntlich gemacht.
Ort: Gevelsberg Datum: 13.02.2009
(Unterschrift)