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ExkursionMarseille 14JOURNAL
Impressum
Exkursion nach Marseille vom 20. bis 24. Mai 2014
Studiengang Stadt- und Raumplanung der Fachhochschule Erfurt
Studierende
Ingrid Schwartz-Götz
Anna Hensel
Paul Neumann
Maximilian Stamm
Tina Steinke
Isabelle Tischer
Katharina Geier
Anton Bombach
Andreas Hehl
Susann Hollbach
Rhona Wagner
Christoph Webel
Jana Stief
Jessika Wolf
Abbildungen
Das Exkursionsjournal ist ausschließlich zum hochschulinternen
Gebrauch bestimmt. Bildrechte der fotografischen Abbildungenliegen bei den Exkursionsteilnehmer_innen, vor allem bei Anton Bombach (Cover und Leitfotografien)
Exkursionsleitung und Organisation
V.-Prof. Dr.-Ing. Celina Kress
mit Marlène de Saussure
Redaktion
Robin Sauerbrey
Special Thanksto our committed guides, experts, and discussants
Alexandre Sorrentino (Euroméditeranné)
Frédéric Roustan (AgAM)
Prof. Dr. Stephane Hanrot
Prof. Dr. Pascal Urbain
Tilman Reichert (Studio Ricciotti)
Nicolas Mémain (Hôtel du Nord)
Prof. Dr. Jean-Lucien Bonillo
Jens Denissen
Hendrik Sturm
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Marseille 2014 - Stadterkundung im Jahr danach ...
Wir besuchten Marseille im Frühling 2014 - ein Jahr nachdem die
Stadt 2013 als Kulturhauptstadt Europas im internationalen Ram-
penlicht stand. Einen Sommer lang hatte Marseille ehrgeizige Ini-
tiativen und Projekte zur Stadtentwicklung und -erneuerung prä-
sentiert und ein Feuerwerk an Kulturveranstaltungen gezündet.
Wir wollten wissen, wie es damit weiter geht.
Marseille ist die zweitgrößte und älteste Großstadt Frankreichs,
die Stadt der sozialen Spannungen und Gegensätze. Die Hafen-
stadt war Schlupfloch für Naziverfolgte, Ziel für Franzosen aus Al-
gerien und Migranten aus Marokko. Die Industriestadt wurde im
Strukturwandel der 1970er Jahre stark gebeutelt und repräsen-
tiert bis heute Europas Tor nach Afrika.
In diese Stadt, in die südlich gelegene Hügellandschaft, hatte Le Cor-
busier einen Ozeanliner gebaut, eine Wohnmaschine, die erste Unité
d‘habitation, jenen Prototypen, der noch weitgehend nach seinen
Vorstellungen umgesetzt wurde und bis heute erstaunlich gut funkti-
oniert - offensichtlich schätzen die Bewohner ihren Architekturdamp-
fer, sie nutzen den Müllschlucker und andere Serviceeinrichtungen
ebenso gern wie die Dachterrasse mit dem atemberaubenden Blick
über Landschaft und Meer. Das materielle Manifest der städtebauli-
chen Moderne ist 1947 im Süden der Stadt gelandet: hier - auf der
„richtigen“ Seite der Stadt – wirkt es offenbar wenig provokant.
Bei unserem Besuch im Mai 2014 erlebten wir den weit vorange-
schrittenen Umbau der Stadt: die Prestigeprojekte an der Mittel-
meer-Promenade, funktionierende Straßenbahnen nur im baulich
und sozial aufgewerteten Zentrum, ebenso wie einen zum groß-
bürgerlichen Wohnzimmer umgestalteten Stadthafen, der auch
für uns zum allabendlichen Treff- und Aufenthaltsort wurde.
Beeindruckende Einblicke und Erfahrungen machten wir auf den
Metropolwanderrouten des GR_2013: „Vernutzte Landschaften“
(paysage usage) machen die Komplexität der Städte erst wirklich
spürbar und nachvollziehbar, dazu gehören die An- und Abreise-
routen und -knoten ebenso wie vielfältige Erscheinungsformen
der Sammelstellen all dessen, was in der urbanen Agglomeration
überflüssig und verbraucht ist ...
In den Gesprächen mit Experten der Stadt- und Regionalplanung,
sowie Architekten und Historikern konnten viele Fragen und Zu-
sammenhänge geklärt werden. Es wurden spezifische Eigenschaf-
ten und Besonderheiten der StadtRegion Marseille-Aix deutlich,
und wir entdeckten Ähnlichkeiten und aus Deutschland wohl be-
kannte Muster in der Stadt- und Regionalentwicklung.
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Dienstag, 20.05.2014Time_ Topic_ Site_ Contact_ Expert_8:05 Departure: Lufthansa (LH 1086) Frankfurt Int. Airport (FRA) Terminal 1
9:40 Arrival: Lufthansa (LH 1086) Marseille Prov. Apt. (MRS) Terminal 1
10:10-10:40 Transport MP Airport Marseille Saint Charles Train Station
Platform 2 http://www.marseille-airport.com/access-car-parks/access/shuttle-buses/marseille-station-centre
11:00-12:00 Check in accomodation individually: Gr_A Gr_B Gr_C
12:30-13:30 First Encounter Friche La Belle De Mai Rue Joblin Bus 31, 33, 34 49B Stat. Bvd. National
14:00-16:00 Urban Regeneration and Urban Transformation: Euroméditerranée
Euroméditerranée: Les Docks - Place de la Joliette 10; 13567 Marseille
M. Alexandre Sorrentino
16:00-18:00 Metropolitan area: concept, governance, regional impact, urban and regional identity
AgAMLouvre & Paix - La Canebière 49; 13001 Marseille
M. Frédéric Roustan
9:00-11:00 Centralities:urban basics (régulation, historical and géogra-phical datas,...) and architectural facets
ENSA, Le campus de Luminy184, avenue de Luminy, 13288 M
Prof. Dr. Stephane Hanrot
11:00-13:00 Testing modern spaces I: Unité Marseille (Le Corbusier)
280, Boulevard Michelet, 13008 MENSA, Le campus de Luminy184, avenue de Luminy, 13288 M
Paul Neumann, Ingrid Schwartz-Götz
13:00-13:30 Lunch break Way to Stoa/ 7 rue d’Italie, Marseille
13:30-16:00 Marseille Stoa (with Sandwiches)7 rue d’Italie; 13006 Marseille
Prof. Dr. Pascal Urbain
16:30-18:00 MUCEM 1, esplanade du J413002 Marseille
Guided Tour
18:00-19:00 Architecture of the museum Treffpunkt: Foyer des Mucem Tilman Reichert, Senior Architect, Studio Rudy Ricciotti
Mittwoch, 21.05.2014
Exkursionsprogramm
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9:00-12:00 DecentralizedUrban geographies: Marseille périphérie nord Testing modern spaces II2 Gands Projets: GR2013 (1)
9:00 Treffpunkt: U-Bahn M2 „Noailles“, Boulevard Garibaldi 1, 13001 Marseille9:30 „Hanoï-Bernabo“ walk (4,4 km) on the GR2013 and through Marseilles north districts
Hotel du NordNicolas Mémain
12:00-13:00 Lunch break Lunch
13:30-15:00 Navette From north ends to center/vieux port Marseille
15:30-18:00 French-German Interferences and multiple modernities in architectural history
Vieux Port and PanierRegeneration planning: demolition and recon-structionTreffpunkt: vor dem l’Hôtel de VillePlace Villeneuve de Bargemon 13002 Marseille
Prof. Dr. Jean-Lucien Bonillo
Donnerstag, 22.05.2014
9:00-10:00 Departure to Aix-en-Provence; TER 80650 9:35 (Marseille St-Charles) – 10:09 (Aix-en-Pro-vence-Centre)
Gare Saint-CharlesSquare Narvik 13232 Marseille
11:00-13:00 Camp des Milles 40, chemin de la Badesse - CS 50642 13547 Aix-en-Provence
Audio Guides
13:00-14:00 Lunch break Lunch (PicNic)
14:00-18:0018:30
GR2013 (2) Survey with ...and Barbeque
Jens DenissenBaptiste Lanaspeze, creator of GR2013Photographer’s meeting
Freitag, 23.05.2014
9:00 Departure to Aix-en-Provence; TGV 98609:12 (Marseille St-Charles) – 9:23 (Aix-en-Pro-vence Gare TGV)
Gare Saint-CharlesSquare Narvik 13232 Marseille
Meeting point with Hendrik Sturm
9:30-14:00 GR2013 (3)Lunch breakfin
Aix-en-Provence Gare TGVRoute départementale 913592 Aix-en-Provence
Metropolitan walk with the artist Hendrik Sturm
Picnic during the inspection of the GR
14:00 Departure to Marseille Gare Saint-Charles14:14 (Aix-en-Provence Gare TGV) – 14:26 (Mar-seille St-Charles)
16:35-17:05 Marseille Saint Charles Train Station - Transport MP Airport
Gare Saint-CharlesSquare Narvik; 13232 Marseille
18:50 Departure: Lufthansa (LH 1089) Marseille Prov. Apt. (MRS) Terminal 1
20:30 Arr.: Lufthansa (LH 1089) Frankfurt Int. Airport (FRA) Terminal 1
Samstag, 24.05.2014
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Exkursionsthemen // Inhalt
Friche la Belle de Mai und Euroméditerranée 1 Stadterneuerung und Kulturprojekte als Triebkräfte urbaner Transformationsprozesse: Möglichkeiten, Grenzen, Probleme
Katharina Geier, Anna Hensel
Großprojekte und Urban Icons am Hafen 9Mucem und J4 (Rudy Ricciotti), CMA CGM Tower (Zaha Hadid etc.), Vieux Port Ombrelle (Norman Foster )Waterfront Developments: Hafen- Umbau als Instrument der Stadtentwicklung
Anton Bombach, Susann Hollbach
Regionale Neustrukturierung in Frankreich 17Umwandlung der Departements in Communautés Urbaines / Metropoles: Metro - Region Marseille - Aix, und Stadtwahrnehmung auf dem GR_2013 Tina Steinke, Isabelle Tischer
L’Unite d’Habitation de Le Corbusier á Marseille 25Ideen (Geschichte) und Realitäten (Gegenwart) der Moderne
Paul Neumann, Ingrid Schwartz- ‐Götz
Grands Projets in den Quartiers Nord 29Ideen (Geschichte) und Realitäten (Gegenwart) der Wohnquartiere und Initiativen zur Rehabilitation des Nordens von Marseille
Jana Stief, Jessica Wolf
Vieux Port und das Pannier 37Stadtumbaupläne, die Zerstörung des Viertels durch die Besatzer und der Wiederaufbau
Andreas Hehl, Rhona Wagner
Last Exit Marseille: Das Lager Camp des Milles in Aix-en-Provence 45 Maximilian Stamm, Christoph Webel
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Friche la Belle de Mai und Euroméditerranée Stadterneuerung und Kulturprojekte als Triebkräfte urbaner Transformationsprozesse: Möglichkeiten, Grenzen, Probleme - Katharina Geier, Anna Hensel
„Kultur“, wird vom lateinischen „colere“ (pflegen, urbar machen)
bzw. „cultura“ und „cultus“ (das Kultivieren des Bodens) abgeleitet.
Der Begriff steht heute für die Gesamtheit der geistigen, künstleri-
schen und gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft. (Websei-
te Bibliographisches Institut). In diesem Beitrag wird Kultur vor al-
lem im engeren Sinne ihrer Ausprägung - den Kulturinstitutionen
und Kulturprojekten, betrachtet.
Marseille – Schmelztiegel der Kulturen
Marseille ist die älteste Stadt Frankreichs, ihre Geschichte reicht
2600 Jahre zurück. Mit knapp einer Million Einwohnern ist sie nach
Paris, die zweitgrößte Stadt Frankreichs und die wichtigste Hafen-
stadt des Landes.
Sie ist zugleich ein Schmelztiegel der Kulturen des Mittelmehr-
raumes. So kommen 90 % der Einwohner Marseilles aus Familien,
die nicht aus Frankreich stammen. Vor 1960 waren 40 % der Be-
völkerung italienischer Abstammung, danach kamen infolge der
Auflösung des Kolonialreiches zahlreiche weitere Ethnien dazu
(Webseite Ernst Klett Verlag).
Jede größere europäische Stadt verfügt über eine ihr eigene Kul-
turlandschaft. Im Vergleich mit Städten ähnlicher Größenordnung
fällt jedoch auf, dass es in Marseille weniger staatlich geförderte
Kulturinstitutionen gibt. Seit der Ernennung zur Kulturhauptstadt
bestehen zwar zahlreiche Museen mehr, jedoch gibt es nach wie
vor nur ein Opernhaus und ein Theater. Dies macht die Stadt je-
doch mit einer vielfältigen Off-Kulturszene wett, welche weit über
die Grenzen des Landes bekannt ist. Die Weltoffenheit der Stadt
macht sie außerdem zu einem idealen Ort für die Austragung von
Festivals, wie etwa das Marsatac Musikfestival, das Kirchenmusik-
Festival, das Jazz-Festival oder auch das Dokumentarfilm-Festival.
In den Vierteln „Le Cours Julien“ und „La Plaine“ ist die Marseiller
Kreativszene ansässig. Im Le Cours Julien ist vor allem die Marseil-
ler Graffiti-Szene aktiv. Das Viertel La Plaine ist als Treffpunkt für
die alternative Kunst- und Kulturszene bekannt, als auch für seine
ausgeprägte Bio-Szene mit den alternativen Läden (Webseite Pas-
sage & Co).
Kulturhauptstadt Europas 2013
Marseille wurde im Jahre 2013, neben Košice, Kulturhauptstadt
Europas. Die Auszeichnung soll ein besseres Verständnis der Eu-
ropäer füreinander schaffen und zum Zusammenwachsen Euro-
pas beitragen. Mit der Nominierung zur Kulturhauptstadt waren
erhebliche Hoffnungen verbunden. Die Stadt nutzte den Titel und
damit verbundene finanzielle Mittel, um neue Impulse im Bereich
der Kultur zu setzen, sowie den Strukturwandel der Stadt zu be-
schleunigen. Auch sollte, durch das dadurch verbessere Image, der
Tourismus gefördert werden.
Treibende Kraft hinter der Ernennung zur Kulturhauptstadt war
der Marseiller Bürgermeister Jean-Claude Gaudin, der seit seiner Abb. 1: Das MuCEM
2
(ersten) Ernennung im Jahr 1995 auf den Titel hingearbeitet hat.
Von ihm stammt der Ausspruch, dass es ohne kulturellen Fort-
schritt keine wirtschaftliche Entwicklung geben kann (Webseite
Verlag PBMedia).
Es wurden insgesamt 680 Millionen Euro in den Neu- und Umbau
von Kultureinrichtungen investiert. Zu den neugebauten, bezie-
hungsweise umgebauten Kultureinrichtungen zählen: Musée
Borély, Musée des civilisations de l’Europe et de la Méditerranée
(MuCEM), Villa Méditerranée (Ausstellungen und Debatten mit
Themen rund ums Mittelmeer), Villa Met, Musée Regards de Pro-
vence, sowie das Kulturzentrum Friche de la Belle de Mai. Es fin-
den 650 offizielle Projekte im Laufe des Kulturhauptstadtjahres im
Stadtgebiet statt.
Da viele Gelder jedoch an etablierte Kulturinstitutionen fließen,
und nicht an die bestehende „alternative“ Kunstszene, beschließt
diese daher ein Gegenprogramm -„La ville rebelle“ mit eigenen
Sponsoren und hunderten Projekten (Webseite Passage & Co).
Kulturzentrum La Friche de la Belle de Mai
Die erste Besichtigung am Tag der Ankunft galt der Kulturmaschi-
nerie La Friche de la Belle de Mai. Diese wurde uns von unserer
liebenswerten Tutorin - Marlène de Saussure, vorgestellt. Da leider
viele der Exkursionsteilnehmer erst spät zum verabredeten Treff-
punkt fanden, war es nicht mehr möglich sich alle Teile des Gebäu-
dekomplexes anzusehen. Besichtigt wurde jedoch die weitläufige
Abb. 2: Auf der Dachterrasse des La Friche
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Terrasse, welche einen wunderbaren Ausblick über die Stadt bot.
La Friche de la Belle de Mai, oder einfach La Friche, befindet sich
in den ehemaligen Produktionsräumen einer Tabakfabrik und
liegt nahe der Metrostation Saint-Charles. Die gesamte Produkti-
onsstätte wurde im Jahre 1992 zu einem Kulturkomplex umfunk-
tioniert. Heute bietet der Gebäudekomplex Platz für Kulturveran-
staltungen, oder Kulturprojekte aus den verschiedensten Sparten,
beispielsweise zeitgenössische Kunst, Tanz, Theater, Musik, Rund-
funk. Es bestehen Atelierräume und ein Artist in Residence-Pro-
gramm. Dieses bietet vielen internationalen Künstlern Platz und
leistet so einen Beitrag zur Völkerverständigung. Die Institution
beherbergt außerdem ein Restaurant, einen Kindergarten, einen
Kinderspielplatz, eine Bibliothek, einen Supermarkt mit lokalen
Lebensmitteln, einen Skatepark, ein urban gardening Projekt und
zwei Theaterbühnen.
Im Jahre 2013 wurde auf dem Gelände ein Panoramaturm erbaut,
welcher 4000 m² zusätzliche Ausstellungsfläche bietet. Des Weite-
ren wurde die Dachterrasse ausgebaut - dadurch kann heute eine
Fläche von 7500 m² für Veranstaltungen unter offenem Himmel
genutzt werden.
Die so geschaffene kreative Szene hat, aufgrund der Vielzahl der
involvierten Menschen und bereitgestellten Möglichkeiten, zwei-
fellos eine große Ausstrahlung für die gesamte Stadt. Wie in der
Stadtforschung bekannt, spielt es eine unerhebliche Rolle für die
Entwicklung einer Stadt, ob, oder wie gut, sich kreative Milieus
entwickeln können. Dies ist mit diesem Marseiller Projekt sicher-
lich auf vorbildliche Weise gelungen.
Weblinks und Adressen zu Kultureinrichtungen in Marseille
FRAC (Regionalfonds für zeitgenössische Kunst)
www.frac-platform.com
La Friche, Kulturzentrum (41 Rue Jobin)
www.lafriche.org
MAC, Musée d‘Art Contemporain (69 Avenue d’Haifa)
www.marseille.fr
Marseille Expos - Webseite für die alternative Kulturszene
www.marseilleexpos.com
Mémorial des Camps de la Mort (Quai de la Tourette)
www.marseille.fr
MuCEM, Museum der Mittelmeerkulturen (1 Esplanade du J4)
Abb. 3: Modell des La Friche
Abb. 4: Dachterrasse La Friche
4
www.mucem.org
Musée Cantini, Sammlung von Kunst des 20. Jahrhunderts, sowie
Wechselausstellungen zeitgenössischer Kunst (19 Rue Grignan)
www.marseille.fr
Musée d’Histoire et Port antique, Museum der Stadt- und Hafenge-
schichte (2 Rue Henri-Barbusse)
www.marseille.fr
L’Opéra – die Oper (2 Rue Molière)
www.opera-marseille.fr
Préau des Accoules, Musealer Raum für Kinder, Kunstgarten und
Spielraum (29 Montee des Accoules)
www.marseille.fr
Vieille Charité – interdisziplinäres Zentrum für Kultur und Wissen-
schaft, Wechselausstellungen, sowie Museum für afrikanische,
ozeanische und indianische Kultur und Museum der Archäologie
des Mittelmeerraumes (2 Rue de la Charité).
www.vieille-charite-marseille.com
Villa Méditerranée (Centre régional de la Méditerranée CeReM):
Kulturveranstaltungen und Wissensvermittlung rund ums Mittel-
meer (Esplanade du J4)
www.villa-mediterranee.org
Webseite zu Marseille als Kulturhauptstadt: www.mp2013.fr
EuromEditErranéE (und FrichE la BEllE dE mai)
Thema:
Im Jahr 1995 startete das größte Stadterneuerungsprojekt in Süd-
europa – Euromediterranée. Hierbei soll ein ca. 480 ha großes Areal
in Marseille renoviert werden und der Stadt bis zum Jahre 2020 ein
neues Gesicht geben. Das Projekt, welches zwischen der City, dem
alten und neuen Hafen sowie dem TGV-Bahnhof realisiert werden
soll, wurde zu einem Vorhaben nationalen Interesses erklärt und
durch das französische Parlament, der Stadt Marseille, der Com-
munauté Urbaine Marseille Provence Métropole und der Region
Provence Alpes Cote d‘Azur sowie dem Conseil General des Dépar-
tement Bouches-du-Rhône ins Rollen gebracht. Das Projekt wird
zusätzlich durch europäische Fördermittel finanziell unterstützt.
Eckdaten zum Projekt:
Fläche: 480 ha
Wohnungen: + 18,000
Büros und Handelsfläche: + 1.000.000 m2
Geschäfte: + 200.000 m²
öffentliche Infrastrukturen: + 200.000 m2
Grünflächen und öffentliche Bereiche: 60 ha
Arbeitsplätze: + 35.000
Einwohner: + 38.000
Investitionen: 7 Milliarden Euro
(davon: 1,4 Milliarden öffentlich; 5,1 Milliarden privat)
Das urbane Großprojekt soll aus der ungezähmten, lauten, ärm-
lichen Hafenstadt eine saubere, nachhaltig bewirtschaftete und
kulturell anziehende Metropole machen. Das dabei verfolgte
Hauptziel ist, die Stadt Marseille als ökonomische und kulturel-
le Metropole des Mittelmeerraumes zu etablieren und somit die
Wirtschaft anzukurbeln. Dazu soll das Stadtzentrum zum Norden
hin erweitert und verlagert werden, um dieses für Bewohner und
Touristen attraktiver zu machen und damit gleichzeitig einen wirt-
schaftlichen Mittelpunkt der Region rund um Marseille zu schaf-
fen.
Das Projekt besteht aus mehreren Maßnahmen, die eine nachhal-
tige Entwicklung anstreben und ein Gleichgewicht zwischen sozi-
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Abb. 5: Streetart
aler Gleichheit, wirtschaftlichem Wachstum und dem Schutz der
Umwelt zum Ziel haben sollen.
Cité de la Méditerranée: Die Trennung der Stadt von den angren-
zenden Hafenbereichen, die momentan durch eine aufgeständer-
te Autobahn sowie durch großflächige Parkplätze und Einrichtun-
gen des Fährhafens besteht, wird in Form einer metropolitanen
„Waterfront“ gestaltet und ermöglicht somit wieder einen direkten
Zugang zwischen Stadt und Hafen. Für das neue kulturelle Zen-
trum wird der Bau von Veranstaltungszentren, Gastronomiebe-
trieben und Shoppingmalls sowie einen Ausbau der momentan
ungenutzten alten Hafenbefestigungsanlage zu einem Museum
realisiert.
Business District mit internationalem Profil (La Joliette): Die leer-
stehenden Docks im Hafenbereich wurden bereits in ein Ge-
schäftsviertel umgewandelt, wodurch Marseille bereits die Haupt-
sitze mehrerer internationaler Firmen gewinnen konnte. Der neue
Hauptsitz der CMA mit außergewöhnlicher Architektur wird ein
weiteres städtebauliches Highlight schaffen. Das gesamte Viertel
„La Joliette“ soll zu einem wirtschaftlichen Zentrum sowie einem
hochwertigen Wohnstandort ausgebaut werden.
Rue de la République - eines der umfangreichsten Stadterneu-
erungsprogramme in Europa: Die strategische Achse der Rue de
la République, die in den letzten Jahrzehnten eine starke soziale
und bauliche Degradierung erfahren hat, wird nicht nur grundle-
gend renoviert, sondern gleichzeitig zeitgemäß modernisiert. Die
mehrspurige Verkehrsachse mit hohem Verkehrsaufkommen wird
zugunsten von öffentlichen Räumen, Einkaufsmöglichkeiten und
einer modernen Straßenbahn umgestaltet. Diese verbindet über
die Rue de la République auch das Bürozentrum La Joliette mit der
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Innenstadt. Die Verkehrsströme der bisherigen Ausfallstraße wer-
den zusammen mit der Stadtautobahn unterirdisch geführt.
Das Projekt Euromediterranée wird sowohl positiv, als auch kritisch
betrachtet. Zum einen ist seit Beginn des Projektes in Marseille ein
deutlich bemerkbarer Aufwärtstrend festzustellen. So hat sich
beispielsweise das Image von der „ville en crise“ zur dynamischen
„métropole méditerranée“ gewandelt. Außerdem lassen sich die
positiven Veränderungen auch an den mehr als 6000 neu geschaf-
fenen Arbeitsplätzen, den mehr als 700 neu gegründeten Unter-
nehmen und dem stark anwachsenden Besucherstrom, sowie der
Anerkennung Marseilles als Kulturhauptstadt Europas des Jahres
2013 ablesen. Einige Marseiller erhoffen sich dadurch eine sau-
berere und schönere Stadt, die Marseille seinen Charme zurück-
gibt. Kritische Stimmen bemängeln, dass es keinen transparenten
Plan über die Umquartierung der Bewohner gäbe, die aus ihren
Häusern vertrieben werden. Der Grund dafür ist, dass diese meist
baufällig sind und daher renoviert werden müssen, wodurch je-
doch die Mieten steigen und die ehemaligen Bewohner vertrieben
werden („Gentrifizierung“). Einige Marseiller befürchten zudem,
dass durch die neuen Bürotürme und modernen Museen ein Teil
des Charakters der Stadt verloren geht und sich zu einer Glamour-
Stadt wie Saint-Tropez an der Côte d‘Azur entwickelt. Außerdem
verursacht das Großprojekt zusätzliche Staus und Umleitungen,
die sich negativ auf den Verkehrsfluss in der Stadt auswirken.
Bibliographisches Institut (Hg.) o.J.: <http://www.duden.de/rechtschreibung/Kultur> (Zugriff: 24.07.2014)
Ernst Klett Verlag (Hg.) 2010: <http://www2.klett.de/sixcms/list.php?page=infothek_artikel&extra=Haack%20Weltatlas-Online&artikel_id=186
374&inhalt=klett71prod_1.c.164537.de> (Zugriff: 26.07.2014)
Verlag PBMedia (Hg.) 2014: <http://www.gemeindemagazin.at/magazin_detail.php?ID=353> (Zugriff: 26.07.2014)
Passage & Co (Hg.) o.J.: <http://www.ratlos-in-marseille.com/ratlos-in-marseille/MARSEILLE_Stadtgespraeche_2014.html> (Zugriff:
26.07.2014)
Zitate:
„Wir bauen eine neue Stadt auf der Stadt. Dieses alte Hafenviertel hat im Laufe der vergangenen Jahrzehnte seine Aktivitäten eingebüßt und
ist immer weiter verarmt, mit Wohnungen, die in einem sehr schlechten Zustand sind. Dieser Teil der Stadt wird seit zwölf Jahren komplett neu
erschaffen.“ (Präsident von Euroméditerranée Guy Tessier)
Textpassagen:
„Eine hässliche Stadt“, wird der Besucher sagen und enttäuscht den Weg in die Stadt hinuntergehen. Recht hat er, der Besucher, der erste Blick
täuscht nicht, er braucht schon etwas Zeit und Lust, in den Mikrokosmos einzutauchen, um das wahre, das einmalige Marseille zu entdecken.
(Website: http://www.mare.de/index.php?article_id=3027&setCookie=1)
Links / Websites
Offizielle Seite des Projektes: http://www.euromediterranee.fr/
Informationen zum Projekt: http://www.marseille-tourisme.com/al/marseille-entdecken/entdeckung/euromediterranee/
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Presseartikel „Die doppelte Stadt“: http://diepresse.com/home/spectrum/zeichenderzeit/751267/Die-doppelte-Stadt
Kommentar „Euromediterranée in Marseille“: http://www.bayceer.uni-bayreuth.de/geographentag/de/programm/bayconf/vortrag_detail.
php?id=203
Kommentar „Die heimliche Hauptstadt des Mittelmeeres“: http://www.mare.de/index.php?article_id=3027&setCookie=1
Kommentar „Marseilles radikales Facelifting“: http://www.dw.de/marseilles-radikales-facelifting/a-16426804
Kommentar „Marseille ist Kulturhauptstadt 2013“: http://www.merian.de/magazin/marseille-ist-kulturhauptstadt-2013.html
Kontakte:
l‘EPA Euromeditérannée
10 place de la Joliette
BP 52620
13567 Marseille Cedex 02
E-Mail: [email protected]
Anregungen/Infos
Downloads zum Projekt: http://www.euromediterranee.fr/downloads.html?L=1
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Großprojekte und Urban Icons am Hafen
Mucem und J4 (Rudy Ricciotti), CMA CGM Tower (Zaha Hadid etc.), Vieux Port Ombrelle (Norman Foster)Waterfront Developments: Hafen- Umbau als Instrument der Stadtentwicklung - Anton Bombach, Susann Hollbach
Der Abschnitt „Waterfront-Developments - Hafenumbau als Inst-
rument der Stadtentwicklung, Beispiel Marseille“ beschäftigt sich
mit der Transformation von Hafengeländen allgemein und spe-
zifisch in Marseille. Dazu zählt die „Cité de la méditerranée“ des
Großprojektes „Euromediterranée“ und insbesondere das MuCEM
sowie der Vieux Port. Diese beiden Projekte wurden in der Exkursi-
on ausführlich mit lokalen Vertretern begangen und besprochen.
Tilman Reichert, Projektleiter des Architekturbüros „Rudy Ricciotti“,
führte die Exkursionsteilnehmer am 21.05.2014 durch das MuCEM
und erklärte Wirkungszusammenhänge sowie Besonderheiten.
Der Vieux Port als historischer Identifikationspunkt Marseilles steht
im Mittelpunkt des Umbauprojektes der Stadt. Durch Fachgesprä-
che mit Frédéric Roustan des „AgAM“ und Alexandre Sorrentino
wurden Besonderheiten und Einzelheiten zur Umstrukturierung
des Vieux Port aufgezeigt. Aus diesem Grund beschränkt sich das
Journal auf diese beiden Großprojekte.
haFEn- umBau allgEmEin
Die Umnutzung und Transformation industriell genutzter Häfen
in Verbindung mit nachhaltiger Entwicklung ist ein aktuelles The-
ma der Stadtplanung im 21. Jahrhundert. Bei diesen Prozessen
sollen die Vergangenheit, Gegenwart und die Zukunft miteinan-
der verbunden werden. Seit einigen Jahren versuchen nationale
sowie internationale Hafenstädte die brachliegenden Uferareale
und Hafenbecken neu zu strukturieren. Der Transformationspro-
zess der Häfen ist eng verbunden mit der globalen ökonomischen
Neustrukturierung und dem technologischen Fortschritt in der
Schifffahrt. In den letzten Jahrzehnten durchliefen die Hafenareale
die in der Nähe zum Stadtzentrum liegen einen raschen Wandel.
Die ehemaligen Ufer, genutzt für Frachtentransport mit hoher Ver-
schmutzung, Lärm und Gefahren, dienen nach der Transformation
für Büro-, und kulturelle Nutzungen und gelten als Prestigeobjek-
te.
Nachdem die Häfen über mehrere Jahre ungenutzt und brachlie-
gend waren, werden die Projekte mit Vertrauen aufgenommen
und sollen für Wachstum innerhalb der Stadt sorgen. Zu dem
Kreislauf des Verfalls, der Missachtung, Planung, Umsetzung und
Revitalisierung gehören unterschiedliche Akteure und Interes-
sen. Die Veränderungen im Schiffbau und in der Hafenindustrie
mit dem verbundenen Verlust an Arbeitsplätzen, sollen durch die
Transformationen kompensiert werden. Mit diesen Projekten soll
neben der Modernisierung der städtischen Wirtschaft, der Hafen
in die Gesamtstadt eingefügt und für die Bewohner erlebbar wer-
den. Ziel ist die Revitalisierung und Erweiterung der Hafenareale
und Uferpromenaden.
Die Veränderungen in den Hafenstädten sind weniger Ausdruck
der Planungen als der sozialen und wirtschaftlichen Prozesse welt-
weit.
Nach der Transformation für Arbeit, Wohnen und Erholung werden
diese Areale meist von der „kreativen Klasse“ nachgefragt.
Die Revitalisierungsprozesse beschreiben die Veränderung von
Nutzung und die Neugestaltung der Stadt mit unterschiedlichen
Interessen. Insbesondere müssen die regionalen Bezüge, die Topo-
grafie, die lokale Hafen- und Stadtgeschichte, Planungskulturen,
Regierungsstrukturen etc. betrachtet werden. Die Planung und
Umsetzung erfolgt meist in Verbindung mit der Befriedigung der
Wohnungs- und Büromärkte.
Während die alten Hafengebiete eng mit der Stadt und dem Zen-
trum verbunden waren, sind die heutigen separiert von der Stadt-
struktur.
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WatErFront-dEvElopmEnts in marsEillE „EuroméditErranéE“
In Marseille ist die Entwicklung des Hafens eng verbunden mit der
tiefgreifenden Umgestaltung der Innenstadt. Verschiedene große
Architekten sind an dem Prozess der Transformation der Küsten-
linie beteiligt. Die neugeformte Skyline und die zeitgenössische
Architektur renommierter Architekten steigert das Ansehen Mar-
seilles im internationalen Kontext. Der von Zaha Hadid entwor-
fene CMA CGM Tower sticht besonders heraus. Das 33-stöckigen
Gebäude mit einer Höhe von 148m aus Beton, Stahl und Glas be-
herbergt 55000m² Büroflächen und steht für die Internationalität
und den architektonischen Rufs Marseilles. Das Gebäude wurde im
dekonstruktivistischem Stil entworfen und soll Komplexität und
Leichtigkeit widerspiegeln. Zaha Hadid hat mit dieser Leistung den
Pritzker-Architektur Preis 2004 gewonnen. Der Turm ist bisher das
wohl höchste Gebäude in ganz Marseille.
Das Großprojekt „Euroméditerranée beinhaltet die gesamte städte-
bauliche Stadterneuerung seit 1995. Es umfasst 480 ha zwischen
dem Vieux Port, dem TGV-Bahnhof und dem Handelshafen. Das
Unterprojekt „Cité de la méditerranée“ liegt zwischem dem Vieux
Port und Arenc und fasst eine Fläche von 60 ha ein. Dieses Vorha-
ben dient der Wiedervereinigung von Stadt und Hafen sowie der
Sanierung der Flächen zwischen Stadt und Meer. Der Zeitrahmen
beläuft sich von 2006- 2014. Zudem werden öffentliche und pri-
vate Kultur-, Wissenschafts-, Freizeit- und Serviceeinrichtungen
errichtet. Die Transformation der Skyline soll die Wiederbelebung
und die Dynamik der Stadt Marseille widerspiegeln. Der Zugang
zum Wasser und zur Küstenlinie soll für alle Bewohner Marseilles
und Touristen erreichbar sein. Lange Zeit war dies den Bewohnern
vorbehalten, welche ein Boot besaßen. Zudem gab es keinerlei öf-
Abb. 6: IMarseille Vieux Port, J4, CMA CGM Tower
11
fentliche Räume zum Verweilen und Erholen. Aus diesem Grund
war das Ziel jedes Jahr einen öffentlichen Raum zu errichten. Die-
se Räume sollen so vielseitig wie möglich sein. Die Fußgängerzone
öffnet die Stadt zum Wasser und bietet Möglichkeiten für Kultur,
Einkaufen und Unterhaltung. Die Neustrukturierung des Raumes
wird ergänzt durch verkehrsentlastende Infrastruktureinheiten
wie Stellplätze, Tunnel und die Autobahn-Infrastruktur.
Erstellt wurden die städtebaulichen und architektonischen Pla-
nungen von führenden Architekten wie Zaha Hadid, Jean Nouvel,
Massimiliano Fuksas und Rudy Ricciotti. Dies fördert die Transfor-
mationsqualität sowie die Attraktivität der Stadt. In die Projekte
wurden zudem Notre Dame de la Garde und die Cathedrale de la
Major mit eingebunden.
viEux port
Der „Alte Hafen“ (frz. Vieux Port) ist der Ursprung der Stadt. Die na-
türliche Bucht wurde früh besiedelt und die umgebenden Anhö-
hen boten den Schutz für die Siedlung. Mit der Industrialisierung
und dem Ausbau des Industriehafens, verlor der Vieux Port seine
Bedeutung. Die Geltung als Zentrum und dadurch als Metapher für
den Ursprung der Stadt, erlangte der Ort erst durch die Vorberei-
tungen des Kulturjahres 2013. Vor den Veränderungen hatten sich
vor allem private Bootsvereine an den Hafenmauern niedergelas-
sen und sperrten den Zugang in Richtung Wasser für die Bürger
fast vollständig ab. Zudem kam eine immense Verkehrsbelastung
in den angrenzenden Straßen.
Diese Mängel wurden größtenteils im Rahmen des Umbaus getilgt.
Die Projektleitung hatte das Büro „Foster + Partners“, welches das
Vorhaben von 2011 bis 2013 umsetzte. Sir Foster wollte den Hafen
vor allem mit kleinen Maßnahmen verbessern. Maßgebliche Verän-
derungen gab es für die ansässigen Bootsclubs, welche mit ihren
Utensilien auf das Wasser verlegt wurden. Hierfür erhielt jeder Club
einen Ponton am Beginn des Anlegestegs, auf welchem jeweils ein
Kran und ein Gerätehaus etabliert wurden. Somit wurden die Ha-
fenmauern größtenteils frei und konnten so umgestaltet werden,
dass ein öffentlicher Platz entstand. Ein weiterer Schachzug Fos-
ters war der Bau der s.g. Ombrière am östlichen Ende des Hafenbe-
ckens. Dieses Gebilde, welches sowohl als Kunstobjekt als auch als
städtebauliches Element verstanden werden kann, fällt dem Be-
sucher des Vieux Port sofort ins Auge. Die Überdachung mit dem
Abmaßen 46x22m aus poliertem Edelstahl wird von acht Stützen
gehalten und wirkt durch die verwendeten Materialien wie ein
überdimensionaler, schwebender Spiegel. Durch die anziehende
Wirkung hat der Platz wieder die ursprüngliche Verwendung als öf-
fentlicher Freiraum mit hochfrequenter Nutzung erhalten. Monsi-
eur Frédéric Roustan des „AgAM“ bemerkte augenzwinkernd, dass
der Spiegel sehr gut nach Marseille passe, da sich die ansässigen
Bürger gerne im Spiegel betrachten würden.
Abb. 7: Ombrière am Vieux Port
12
Veränderungen an der Verkehrsinfrastruktur bewirkten rund 50%
weniger Verkehr um den Vieux Port, jedoch ist dieser immer noch
deutlich zu spüren. Abschließend erfolgte eine komplette Umge-
staltung des Bodenbelages mit beigem Granit, welcher auf die an-
tike Pflasterung hinweisen soll.
das mucEm
Das „Musée des civilisations de l´Europe et de la Méditerranée“
(MuCEM) gilt für Frankreich und Marseille sicher nicht nur archi-
tektonisch als Meilenstein. Es ist das erste staatlich arrangierte
Museum außerhalb Paris, was in der zentralistisch auf die Haupt-
stadt orientierten Grande Nation bis dato nicht denkbar gewesen
ist. Das Gebäude wurde auf den südlichsten Ausläufer des Indust-
riehafens gebaut und hat somit eine exponierte Lage, welche vor
allem während einer Schiffeinfahrt in den Vieux Port ins Auge fällt.
Weiterhin liegt es in der Nähe zu den restlichen öffentlichen Ge-
bäuden der „Cité de la méditerranée“.
Zu dem kubischen Hauptgebäude, mit 72m Länge auf jeder Seite,
zählt das Verwaltungsgebäude Villa Méditerranée, das durch seine
kranförmige Architektur wie eine Anekdote zur früheren Nutzung
des Geländes wirkt. Durch eine Brücke ist das MuCEM mit dem an-
grenzenden Fort Saint-Jean verbunden, welches nach langjähriger
militärischer Nutzung einen Teil der Ausstellung beherbergt. Das
außergewöhnlichste am MuCEM ist die Fassade. Zwar ist die Form
des Gebäudes in seiner Gesamtheit sehr unnatürlich und sticht
deshalb heraus, jedoch wirkt das Bauwerk durch die vorgehangene
Fassade organisch. Das aus asiatischen Einflüssen hervorgegange-
ne äußere Betongitter schützt das Museum vor Sonneneinstrah-
lungen. Es beherbergt die Sammlungen des früheren Museum für
Volkskunst und des Museums of Man.
Entwickelt wurde das Museum, welches an einen Meeresfelsen
Abb. 8: Fort Saint-Jean und MuCEM bei Nacht
13
erinnern soll, von den renommierten Architekten Rudy Ricciotti
und Roland Carta. Der Bau stellte laut Tilman Reichert, Projekt-
leiter des Architekturbüros „Rudy Ricciotti“, eine komplexe tech-
nische Herausforderung dar. Für den Bau wurde ultrahochfester
Beton (UHPC) verwendet, welcher sicher bisher noch in der Ent-
wicklung befindet. Daraus ergeht eine weitere Einzigartigkeit des
MuCEM. Der 19m hohe Kubus umfasst eine Fläche von 26000m²
und kostete in etwa 175 Mio. €. Zudem gilt das Museum als Sym-
bol für die „Cité de la mediterranée“.
„EuromEditErranéE“
Insgesamt wurden alle Projekte des „Euromediterranée“ für die
Bevölkerung Marseilles entwickelt, um ihnen die öffentlichen Frei-
räume wieder zu geben. Marseille nimmt dadurch eine wachsende
Rolle im internationalen Geschäft durch Kultur-, Unternehmens-,
und Wohnflächen ein. Diese Projekte sollen der Stadt helfen sich im
internationalen Kontext mit den Großstädten messen zu können,
insbesondere im mediterranen Raum Europas.
Für die „Cité de la mediterranée“ wurden insgesamt 169,532,000€
öffentliche und 83,422,000€ private Investitionen verwendet.
Schubert, Dirk 2011: Bibliografie: Transformationsprozesse in Seehafenstädte - Revitalisierung von (brachgefallenen) Hafen- und Uferzonen,
Hamburg.
Klarté (Hg.) o.J.: Euroméditerranée, Cité de la mediterranée, verfügbar: < http://www.euromediterranee.fr/districts/cite-de-la-mediterranee.
html?L=1> (Zugriff: 2014-07-07).
Établissement Public D´Aménagement Euroméditerranée 2013: Plan des Projets et réalisations, Marseille.
Paul Molga 2014: Marseille Euroméditerranée : Un laboratoire de l‘architecture du soleil, Paris.
Sorrentino, Alexandro, Euroméditerranée, Marseille, am 20.05.2014.
Rousant, Frédéric, AgAM, Marseille, am 20.05.2014.
Reichert, Tilman, Projektleiter Rudy Ricciotti, Marseille, am 21.05.2014.
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16
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Regionale Neustrukturierung in Frankreich
Umwandlung der Departements in Communautés Urbaines / Metropoles: Metro - Region Marseille - Aix, und Stadt-wahrnehmung auf dem GR_2013 - Tina Steinke, Isabelle Tischer
Marseille Provence wurde für das Jahr 2013 als Kulturhauptstadt
Europas, ein Titel der jährlich von der Europäischen Union ver-
geben wird, ausgewählt. Auf absehbare Zeit werden Marseille
und dessen umliegende Regionen die einzige Kulturhauptstadt
für Frankreich sein. 2013 erwarteten die Besucher von Marseille,
Aix-en-Provence, Arles, Aubagne, Gardanne, Istres, La Ciotat, Mar-
tigues und Salon-de-Provence verschiedene innovative Projekte in
Kunst und Kultur.
Einhergehend damit wurde die Kulturhauptstadt nicht nur als
Boomtown sondern auch als Krisenherd betitelt. Ein Drittel der
Einwohner Marseilles lebt an der Armutsgrenze und Drogen und
Gewalt sind alltägliche Probleme.
Trotzdem hat Marseille einen phänomenalen Aufschwung er-
ben zur weiteren Dezentralisierung Frankreichs. Weitere geplante
Gesetze sollen sich mit der Stärkung der Regionen sowie der Neu-
definitionen und Aufgaben des ländlichen Raums beschäftigen.
Das neue Gesetz geht sogar noch einen Schritt weiter, als das
Gesetz vom 16. Dezember 2010, welches den interkommunalen
Genossenschaften Zusammenschlüsse zu öffentlichen Körper-
schaften ermöglicht, genannt EPCI (Etablissement public de coo-
pération intercommunale). Das Gesetz vom 19. Dezember 2013
erkennt den Metropolregionen Paris, Lyon und Marseille einen be-
sonderen Status zu, welcher es gestattet, bei elementaren Fragen
Abb. 9: Entwicklung Marseille
fahren, dass in Zusammenhang mit der Industrialisierung, dem
französischen Kolonialreiches und der Öffnung des Suezkanals.
Marseille gilt als 5. größte Hafenstadt weltweit. Somit hat die Stadt
erhebliche Zuwanderungsprozesse und einhergehend damit ein
stetiges Stadtwachstum erfahren.
Ein Gesetz zur Modernisierung der Territorialverwaltung (Loi de la
modernisation de láction publique territoriale et d´affirmation des
métropoles du 19 décembre 2013) trat Ende Januar 2014 in Kraft.
Hier zielt Frankreich darauf ab die öffentlichen Verwaltungen bei
der Erfüllung ihrer Aufgaben, den wirtscaftlichen und demogra-
phischen Prozessen ihrer Städte anzupassen. Besonders gilt diese
Entscheidung für Metropolregionen mit Zuständigkeiten von Ge-
meinden, Departements und Regionen die sich überschneiden.
Dieses Gesetz des Landes Frankreich gilt als erstes von drei Vorha-
reviewed paper
Proceedings REAL CORP 2011 Tagungsband18-20 May 2011, Essen. http://www.corp.at
ISBN: 978-3-9503110-0-6 (CD-ROM); ISBN: 978-3-9503110-1-3 (Print)Editors: Manfred SCHRENK, Vasily V. POPOVICH, Peter ZEILE 533
Lebenszyklen und Transformationsprozesse eines städtischen Boulevards – die Rue de la République in Marseille
Heidi Megerle (Prof. Dr. Heidi Megerle, Hochschule für Forstwirtschaft, Schadenweilerhof D-72108 Rottenburg am Neckar, megerle@hs-
rottenburg.de)
1 EINFÜHRUNG Die Lebenszyklen und Transformationsprozesse der Rue de la République in Marseille spiegeln die vielfältigen Veränderungen der ältesten und zweitgrößten Stadt Frankreichs wider. Der folgende Beitrag zeigt diese Entwicklungen auf, beginnend mit der Anlage des Boulevards im 19ten Jahrhundert, seiner Degradierung im Kontext des wirtschaftlichen Niederganges der Hafenstadt Marseille und seiner aktuellen Revitalisierung im Rahmen des Stadterneuerungs-Projektes Euroméditerrannée. Ergänzt werden diese Darstellungen durch Ergebnisse empirischer Erhebungen in den letzten Jahren sowie Ausführungen zu den Konsequenzen des gegenwärtigen Transformationsprozesses für marginalisierte Bevölkerungsgruppen. Die Rue de la République kann als Symbol für die vielfältigen Veränderungen stehen, die Marseille in den letzten zweihundert Jahren durchlaufen hat. Daher werden die Lebenszyklen des Boulevards auch immer in Relation zu den Lebenszyklen der Stadt sowie der Metropolregion gesetzt.
2 RUE IMPÉRIALE – EIN NACHGEAHMTER HAUSSMANNSCHER BOULEVARD Um das Jahr 600 v. Chr. wurde Marseille von griechischen Seefahrern gegründet. Entscheidend für die Wahl des Standortes war die günstige naturräumliche Situation. Der heutige alte Hafen (Vieux Port) im Bereich der Calanque-Küste bot als Naturhafen, gesichert durch zwei Felsbarrieren sowie die vorgelagerten Inseln Iles de Frioul einen natürlichen Schutz. Die griechische Altstadt befand sich am Südhang nördlich des Hafens (siehe Karte 1). Über zweitausend Jahre hinweg entwickelte sich die Stadt Marseille nur wenig. Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts war sie kaum über die Umgebung des alten Hafens hinausgewachsen. Eine erhebliche Zäsur stellte die gravierende Pestepidemie im Jahr 1720 dar, bei welcher Marseille die Hälfte seiner Bevölkerung verlor.
2.1 Aufschwung und Neubau des Hafens Mit dem Beginn der Industrialisierung begann ein phänomenaler Aufschwung der Stadt Marseille. Sie profitierte hierbei von ihrer hervorragenden geostrategischen Lage, die sich insbesondere in Zusammenhang mit der Erschließung des französischen Kolonialreiches und der Öffnung des Suezkanals (1869) als sehr vorteilhaft erwies. Innerhalb kürzester Zeit vervielfachte sich sowohl der Güterumschlag im Hafen als auch die Bevölkerung. Die zahlreichen neu entstandenen Arbeitsplätze zogen Zuwanderer aus den hochalpinen Bereichen Frankreichs an, die zeitgleich einen dramatischen Bevölkerungsverlust erlitten (Megerle 2011). Später kamen Arbeitsmigranten zunehmend aus dem Nachbarland Italien. Der rasante Bevölkerungsanstieg führte zu einer erheblichen Ausdehnung der Bebauung (siehe Karte 1). Die gleichfalls rasante Entwicklung der Hafenfunktionen positionierte Marseille im 19. Jahrhundert als führender Hafenstandort Frankreichs sowie im globalen Vergleich an fünfter Stelle (Donzel 1998: 63).
Karte 1: Bauliche Entwicklung des historischen Marseille (Datengrundlage AGAM 2009)
Mit der Erschließung des sogenannten zweiten französischen Kolonialreiches in Ostasien und Afrika, verbunden mit steigenden Güterströmen und Passagierzahlen sowie größeren Schiffen, war der kleine alte Hafen mit seiner relativ engen Zufahrt nicht mehr ausreichend. Die Entscheidung für einen neuen Hafenstandort fiel auf die nördlich angrenzenden Bereiche von La Joliette (vgl. Karte 1), die naturräumlich wesentlich günstigere Voraussetzungen boten als die sich südlich anschließende Felsküste. In Verbindung
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Lebenszyklen und Transformationsprozesse eines städtischen Boulevards – die Rue de la République in Marseille
Heidi Megerle (Prof. Dr. Heidi Megerle, Hochschule für Forstwirtschaft, Schadenweilerhof D-72108 Rottenburg am Neckar, megerle@hs-
rottenburg.de)
1 EINFÜHRUNG Die Lebenszyklen und Transformationsprozesse der Rue de la République in Marseille spiegeln die vielfältigen Veränderungen der ältesten und zweitgrößten Stadt Frankreichs wider. Der folgende Beitrag zeigt diese Entwicklungen auf, beginnend mit der Anlage des Boulevards im 19ten Jahrhundert, seiner Degradierung im Kontext des wirtschaftlichen Niederganges der Hafenstadt Marseille und seiner aktuellen Revitalisierung im Rahmen des Stadterneuerungs-Projektes Euroméditerrannée. Ergänzt werden diese Darstellungen durch Ergebnisse empirischer Erhebungen in den letzten Jahren sowie Ausführungen zu den Konsequenzen des gegenwärtigen Transformationsprozesses für marginalisierte Bevölkerungsgruppen. Die Rue de la République kann als Symbol für die vielfältigen Veränderungen stehen, die Marseille in den letzten zweihundert Jahren durchlaufen hat. Daher werden die Lebenszyklen des Boulevards auch immer in Relation zu den Lebenszyklen der Stadt sowie der Metropolregion gesetzt.
2 RUE IMPÉRIALE – EIN NACHGEAHMTER HAUSSMANNSCHER BOULEVARD Um das Jahr 600 v. Chr. wurde Marseille von griechischen Seefahrern gegründet. Entscheidend für die Wahl des Standortes war die günstige naturräumliche Situation. Der heutige alte Hafen (Vieux Port) im Bereich der Calanque-Küste bot als Naturhafen, gesichert durch zwei Felsbarrieren sowie die vorgelagerten Inseln Iles de Frioul einen natürlichen Schutz. Die griechische Altstadt befand sich am Südhang nördlich des Hafens (siehe Karte 1). Über zweitausend Jahre hinweg entwickelte sich die Stadt Marseille nur wenig. Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts war sie kaum über die Umgebung des alten Hafens hinausgewachsen. Eine erhebliche Zäsur stellte die gravierende Pestepidemie im Jahr 1720 dar, bei welcher Marseille die Hälfte seiner Bevölkerung verlor.
2.1 Aufschwung und Neubau des Hafens Mit dem Beginn der Industrialisierung begann ein phänomenaler Aufschwung der Stadt Marseille. Sie profitierte hierbei von ihrer hervorragenden geostrategischen Lage, die sich insbesondere in Zusammenhang mit der Erschließung des französischen Kolonialreiches und der Öffnung des Suezkanals (1869) als sehr vorteilhaft erwies. Innerhalb kürzester Zeit vervielfachte sich sowohl der Güterumschlag im Hafen als auch die Bevölkerung. Die zahlreichen neu entstandenen Arbeitsplätze zogen Zuwanderer aus den hochalpinen Bereichen Frankreichs an, die zeitgleich einen dramatischen Bevölkerungsverlust erlitten (Megerle 2011). Später kamen Arbeitsmigranten zunehmend aus dem Nachbarland Italien. Der rasante Bevölkerungsanstieg führte zu einer erheblichen Ausdehnung der Bebauung (siehe Karte 1). Die gleichfalls rasante Entwicklung der Hafenfunktionen positionierte Marseille im 19. Jahrhundert als führender Hafenstandort Frankreichs sowie im globalen Vergleich an fünfter Stelle (Donzel 1998: 63).
Karte 1: Bauliche Entwicklung des historischen Marseille (Datengrundlage AGAM 2009)
Mit der Erschließung des sogenannten zweiten französischen Kolonialreiches in Ostasien und Afrika, verbunden mit steigenden Güterströmen und Passagierzahlen sowie größeren Schiffen, war der kleine alte Hafen mit seiner relativ engen Zufahrt nicht mehr ausreichend. Die Entscheidung für einen neuen Hafenstandort fiel auf die nördlich angrenzenden Bereiche von La Joliette (vgl. Karte 1), die naturräumlich wesentlich günstigere Voraussetzungen boten als die sich südlich anschließende Felsküste. In Verbindung
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Proceedings REAL CORP 2011 Tagungsband18-20 May 2011, Essen. http://www.corp.at
ISBN: 978-3-9503110-0-6 (CD-ROM); ISBN: 978-3-9503110-1-3 (Print)Editors: Manfred SCHRENK, Vasily V. POPOVICH, Peter ZEILE 533
Lebenszyklen und Transformationsprozesse eines städtischen Boulevards – die Rue de la République in Marseille
Heidi Megerle (Prof. Dr. Heidi Megerle, Hochschule für Forstwirtschaft, Schadenweilerhof D-72108 Rottenburg am Neckar, megerle@hs-
rottenburg.de)
1 EINFÜHRUNG Die Lebenszyklen und Transformationsprozesse der Rue de la République in Marseille spiegeln die vielfältigen Veränderungen der ältesten und zweitgrößten Stadt Frankreichs wider. Der folgende Beitrag zeigt diese Entwicklungen auf, beginnend mit der Anlage des Boulevards im 19ten Jahrhundert, seiner Degradierung im Kontext des wirtschaftlichen Niederganges der Hafenstadt Marseille und seiner aktuellen Revitalisierung im Rahmen des Stadterneuerungs-Projektes Euroméditerrannée. Ergänzt werden diese Darstellungen durch Ergebnisse empirischer Erhebungen in den letzten Jahren sowie Ausführungen zu den Konsequenzen des gegenwärtigen Transformationsprozesses für marginalisierte Bevölkerungsgruppen. Die Rue de la République kann als Symbol für die vielfältigen Veränderungen stehen, die Marseille in den letzten zweihundert Jahren durchlaufen hat. Daher werden die Lebenszyklen des Boulevards auch immer in Relation zu den Lebenszyklen der Stadt sowie der Metropolregion gesetzt.
2 RUE IMPÉRIALE – EIN NACHGEAHMTER HAUSSMANNSCHER BOULEVARD Um das Jahr 600 v. Chr. wurde Marseille von griechischen Seefahrern gegründet. Entscheidend für die Wahl des Standortes war die günstige naturräumliche Situation. Der heutige alte Hafen (Vieux Port) im Bereich der Calanque-Küste bot als Naturhafen, gesichert durch zwei Felsbarrieren sowie die vorgelagerten Inseln Iles de Frioul einen natürlichen Schutz. Die griechische Altstadt befand sich am Südhang nördlich des Hafens (siehe Karte 1). Über zweitausend Jahre hinweg entwickelte sich die Stadt Marseille nur wenig. Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts war sie kaum über die Umgebung des alten Hafens hinausgewachsen. Eine erhebliche Zäsur stellte die gravierende Pestepidemie im Jahr 1720 dar, bei welcher Marseille die Hälfte seiner Bevölkerung verlor.
2.1 Aufschwung und Neubau des Hafens Mit dem Beginn der Industrialisierung begann ein phänomenaler Aufschwung der Stadt Marseille. Sie profitierte hierbei von ihrer hervorragenden geostrategischen Lage, die sich insbesondere in Zusammenhang mit der Erschließung des französischen Kolonialreiches und der Öffnung des Suezkanals (1869) als sehr vorteilhaft erwies. Innerhalb kürzester Zeit vervielfachte sich sowohl der Güterumschlag im Hafen als auch die Bevölkerung. Die zahlreichen neu entstandenen Arbeitsplätze zogen Zuwanderer aus den hochalpinen Bereichen Frankreichs an, die zeitgleich einen dramatischen Bevölkerungsverlust erlitten (Megerle 2011). Später kamen Arbeitsmigranten zunehmend aus dem Nachbarland Italien. Der rasante Bevölkerungsanstieg führte zu einer erheblichen Ausdehnung der Bebauung (siehe Karte 1). Die gleichfalls rasante Entwicklung der Hafenfunktionen positionierte Marseille im 19. Jahrhundert als führender Hafenstandort Frankreichs sowie im globalen Vergleich an fünfter Stelle (Donzel 1998: 63).
Karte 1: Bauliche Entwicklung des historischen Marseille (Datengrundlage AGAM 2009)
Mit der Erschließung des sogenannten zweiten französischen Kolonialreiches in Ostasien und Afrika, verbunden mit steigenden Güterströmen und Passagierzahlen sowie größeren Schiffen, war der kleine alte Hafen mit seiner relativ engen Zufahrt nicht mehr ausreichend. Die Entscheidung für einen neuen Hafenstandort fiel auf die nördlich angrenzenden Bereiche von La Joliette (vgl. Karte 1), die naturräumlich wesentlich günstigere Voraussetzungen boten als die sich südlich anschließende Felsküste. In Verbindung
1818
als eine Art Großraumverband tätig zu werden. Auch das öffentli-
che Handeln soll durch die klare Abgrenzung von Regionen und
Departments effektiver werden.
Relevante Neuerungen im Gesetz sind einerseits die Gebietskon-
ferenz, die auf dem Prinzip der freiwilligen Zusammenarbeit der
Gebietskörperschaften beruhen und einen politischen Hand-
lungsrahmen verabschieden sollen. Vertreter der Konferenz sind
aus Regionen, Departements, Metropolen, Umlandverbänden,
Gemeinden und zusätzlich Vertreter des Zentralstaats. Das Gesetz
regelt zusätzlich die Personalüberlassungen der Gebietskörper-
schaften an die neu geschaffenen Einheiten und die Kompensa-
tion der Kompetenzabtretung. Des Weiteren muss bis 2017 per
Gesetz festgelegt werden, dass die Bürger bei den Kommunalwah-
Abb. 10: Die sechs EPCI (établissements publics de coopération intercommunale) der zukünftigen Metropolregion
len 2020 die Vertreter der Metropolregionen in direkt Wahl bestim-
men kömmen.
Wichtigster Punkt des Gesetzes ist allerding der eigene Status
der den Metropolregionen anerkannt wird um die dynamischen
Entwicklungen zu steigern. Es erlaubt den Metropolregionen bei-
spielsweise übergreifende kommunale Körperschaften mit dem
Recht auf Steuererhebung zu schaffen, um gebietsübergreifend
eine gemeinsame Politik in Bereichen der Wirtschaftsförderung,
Umwelt, Bildung, Kultur und Soziales zu schaffen und umzusetzen.
das fördert die Wettbewerbsfähigkeit im nationalen und interna-
tionalen Kontext. Hierzu können Regionen und Departments Zu-
ständigkeiten an die Metropolregion abtreten.
1919
BEgriFFsErläutErung
Bevor die Metropolregionen und ihre Funktionen näher beleuch-
tet werden können bedarf es eine kurze Definitionen für das Be-
griffsverständnis von Regionen, Kommunen und Departements
in Frankreich. In Folge des Dezentralisierungsgesetzes bildet die
Region in Frankreich eine territoriale Verwaltungseinheit und
gliedert sich mit den 22 Regionen als Gebietskörperschaften ein.
Das Département besteht aus Abgeordneten wobei die depar-
mentale Executive bei dem Präfekt liegt, welcher durch direkte
Wahl gewählt wird und administrative Tätigkeiten übernimmt. Die
Abb. 11: Besuch le campus de Luminy
Kommune bildet in Frankreich die kleinste Gebietskörperschaft.
In Frankreich gibt es 36.571 Kommunen, in Deutschland hinge-
gen nur 12.007. Der Begriff Metropolregion bezeichnet nicht nur
eine Metropole sondern einen größeren Raum, der auch ländliche
Gebiete mit einbezieht. Die Ministerkonferenz für Raumordnung
bezeichnet die Metropolregion als Motor der gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung.
2020
diE mEtropolrEgion aix-marsEillE-provEncE
Zum 01. Januar 2016 soll der Großraumverband „Métropole d´Aix-
Marseille-Provence gegründet werden und dazu beitragen, die
wirtschaftlichen Entwicklungen der Region zu beschleunigen und
die Wohnraumversorgung, sowie den öffentlichen Nahverkehr zu
verbessern.
Die Metropole Aix-Marseille-Provence stellt eine künftige EPCI als
Zusammenführung des metropolitanen Perimeters um Marseille
und Aix-en-Provence herum (DépartementBouches-du-Rhone)
dar. Sie entsteht aus der Verschmelzung der verschiedenen EPCI
des Gebietes sowie die Neudefinition der Aufgaben in der neu-
en Struktur. Ein EPCI (Interkommunaler Kooperationsverband) ist
eine Verwaltungseinheit im französischen Planungs- bzw. Verwal-
tungsrecht und vereint Kommunen, die sich als themenbezogene
Interessengemeinschaft formieren (Bsp. Gemeindeübergreifen-
des Verkehrswesen).
Die Metropole Aix-Marseille-Provence wird sich aus 93 Gemein-
den und 1,8 Millionen Einwohnern zusammensetzen, sprich 93%
Abb. 12: Kulturelle Elemente der Metropolregion
der Bevölkerung der Bouches-du-Rhone und 37% der Einwohner-
schaft der Gesamtregion Provence-Alpes-Cotesd’Azur.
Durch die neuen Mobilitätsbedingungen und die veränderte Grö-
ßenordnung der wirtschaftlichen Aktivitäten entstand der Bedarf,
die lokalen Dienstleistungssektoren durch die Zusammenführung
und –Wirkung der existierenden Institutionen zu optimieren. In der
Tat wird der Lebensraum jedes einzelnen Bürgers über die Stadt-
grenzen hinaus erweitert und neue Metropolisierungsprozesse
kommen durch die globale Städtekonkurrenz zum tragen. Somit
wird die metropolitane Hierarchie des Stadtraumes nach dem
Modell Innenstadt/ Peripherie durch das Entstehen eines neuen
polyzentralen Ballungsraumes ersetzt. In diesem Zusammenhang
bilden die Zusammenführung der regionalen Universitäten und
der gemeinsame Status als Kulturhauptstadt Marseille Provence
erste Schritte einer metropolitanen Kooperation. Im Dezember
2013 wurde die Gründung der Metropole Aix-Marseille-Provence
durch das Parlament entschieden. Der ursprünglich im März 2014
geplante Auftakt des Projekts verschob sich allerdings bis Anfang
2016.
auFgaBEn
Die Funktionen der neuen Metropolregion werden in sechs Be-
reichen gegliedert. Zunächst wird ein Schwerpunkt auf die wirt-
schaftliche, soziale sowie kulturelle Entwicklung und Förderung
gelegt. Weiter ist der infrastrukturelle Ausbau des metropolitanen
Raumes sowie eine lokale Wohnpolitik (u.a. soziales Wohnen) vor-
gesehen. Dann soll ein kommunalpolitischer Fokus auf Stadtent-
wicklung und soziale Integration gelegt werden. Ergänzend dazu
bilden dann der Ausbau öffentlicher Einrichtungen sowie die Stei-
gerung der Lebensqualität neue Herausforderungen der Metro-
pole.
Der Titel Kulturhauptstadt 2013 gab die zusätzlich die Gelegenheit
sich mit anderen Themen auseinanderzusetzen, um Wirtschaft
und Tourismus zu stärken und als Metropolregion zu funktionie-
ren. Zum 01.01.2016 werden folglich sechs Kommunen im Raum
Marseille-Aix-en-Provence zusammengeschlossen und somit ins-
2121
gesamt 11 Kompetenzzentren auf ihrem Gebiet vereinen. Dies soll
besonders die Rolle Marseilles als Technologiestandort unterstrei-
chen. Schwerpunkte sind hierbei die Luft- und Rumfahrttechnik,
Optik und Photonik, marine Technologien, Chemie und Immu-
nologie, sowie Telekommunikation und Medienproduktion. Bei-
spielsweise befindet sich der experimentelle Kernfusionsreaktor
ITER in der Region, ebenso wie der Campus de Luminy.
Die Stärkung der Metropolen Frankreichs kann also als logische
Konsequenz der zunehmenden Urbanisierung und der rasanten
Entwicklung der Baluungsräume im Zuge der Dezentralisierung
verstanden werden.
gr 2013: la grandE randonnéE - EinE routE dEr BEsondErEn art
Warum spazieren und wandern wir?
Eine Möglicheit, wie wir uns Räume, die Umwelt, die uns umgibt,
Städte und Landschaften erschließen können, ist die Bewegung
darin. Das Spazierengehen ist die einfachste und natürlichste
Form, in der man sich durch die Welt bewegen und so Räume er-
fassen und begreifen kann. Kopf und Seele bewerten dabei, was
wir wahrnehmen. Diese Wertung ist äußerst individuell und kann
entsprechend mannigfaltig sein. Sie hängt bspw. von der eigenen
Persönlichkeit ab. Unsere Erfahrungen, unser Alter, Zeitgeist und
Moden prägen und beeinflussen auch unser Denken darüber, wie
Abb. 13: GR 2013 Übersichtskarte
2222
wir unsere Umwelt preferieren, wie wir planen, bauen und gestal-
ten. Promenadologen sind Spaziergangswissenschaftler. Die ent-
sprechende Disziplin ging in den 80er Jahren aus der Urbanismus-
kritik des Soziologen Lucius Burkhardt hervor. Heute wird in der
Promenadologie davon ausgegangen, dass unsere Wahrnehmung
von der Welt einem steten Wandel unterliegt. Aus persönlichen
Vorstellungen, gehen visionäre Bilder hervor, die wir in die Realität
umsetzen möchten.
Interessant ist nun, was die Wege des GR2013 von einem gewöhn-
lichen Wanderweg unterscheidet. Eine Antwort auf diese Frage
gab am 24.05.14 Hendrik Sturm, Dozent für Bildhauerei an der
Kunstakademie von Toulon und selber sogenannter artiste pro-
meneur. „Bei einem normalen Wanderweg werden eine Vielzahl
Filter gesetzt. Wir dagegen haben versucht, sie zu vermeiden.“
Gemeint sind konventionelle Wegkonzipierungen, die stets das
reine Naturerlebnis ermöglichen und unattraktive Zäune, Häuser,
Fabriken und Autobahnen möglichst weitläufig umgehen möch-
ten. Auf dem GR2013 wird die Natur keineswegs ausgeschlossen,
jedoch ist es ein Weg, der Ölraffinerien tangiert, an Hochhaussied-
lungen vorbeiführt und auf dem man auch über Asphalt straßen
„spaziert“. Auf dem GR2013 geht es um die Wahrnehmung der
komplexen und vielseitigen Landschaft. Und neben schöner Na-
tur zählen eben auch Müll, die Menschen und die ortsspezifischen
Geschichten dazu. „Wir bewegen uns durch eine Landschaft, aber
auch durch ihre verschiedenen Schichten, es ist also wie einer Art
vertikaler Spaziergang“ erklärte Sturm. Der GR2013 ist sozusagen
ein Metropolwanderweg.
Metropolwanderwege charakterisieren sich dadurch, dass sie eine
Erwanderung aller Teile einer Stadt, inklusive der sonst gemie-
denen Randgebiete, ermöglicht. Zielführend ist eine alternative
Erfahrung des Stadtraums, die Herstellung von Beziehungen zwi-
schen Orten, von denen man dachte, sie seien weit voneinander
entfernt. Auch neue Verknüpfungen zwischen den Bereichen der
Ökologie und Stadtplanung, zeitgenössischer Kunst und Literatur,
Tourismus, öffentlichem Nahverkehr, Kommunalpolitik und Biodi-
versität können aus solchen Wanderungen für den Spaziergänger
hervorgehen. Blickwinkel und Perspektiven befinden sich in ei-
nem permantem Wandel.
GR2013 - ein Gemeinschaftsprojekt
Der GR2013 ist ein Projekt von der Kuturhauptstadtsregion 2013
Marseille-Provence. Es wurde zusammen mit dem Cercle des
Marcheurs (dem „Club der Spaziergänger“), dem regionalen Wan-
derausschuss (Conseil Général des Bouches-du-Rhône) und dem
französischen Wanderverband (FFRandonnée) verwirklicht und
von dem Verlag Éditions Wildproject koordiniert. Die ursprüngli-
che erfindung ging von Ideen des Verlegers Baptiste Lanaspeze
aus. Letztendlich wurde er von einer Künsltergruppe die eben
jenen Lanaspeze und elf weiter Künstler umfasst. Die Route des
Weges geht weit über die Klischees der schönen Provence hinaus.
Passanten des Weges erfahren eine Vielzahl an Gegebenheiten, so
können neben drei Shoppingmalls und anderen typischen Attrak-
tionen wie römishen Kastellen bspw. auch Indutriearele, Wohn-
siedlungen sowie eine ungenutzte Railwaystrecke erwandert wer-
den. Natura 2000-Gebiete und zwei Gebirgsketten sind ebenso
bestandtteil des GR2013.
365 km
20 days of hiking
38 communes
5 regional parks
2323
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Prof. Dr. Stephane Hanrot, Le camous du Luminy, Fachgespräch am 21.05.2014, Marseille.
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Stefan Simons, Kulturhauptstadt 2013 Marseille: Weg von Drogen und Bouillabaisse, in: Spiegel-Online, http://www.spiegel.de/reise/staedte/
kulturhauptstadt-2013-marseille-weg-von-drogen-und-bouillabaisse-a-812577.html, Zugriff am 26.07.2014.
Der Spaziergänger stößt auf ungewöhnliche Plätze und Orte so-
wohl inmitten von Städten als auch in mannigfaltigen ruralen
Landstrichen.
Eine Hilfe für interessierte Menschen, die sich mit einer derart neu-
en Ortserfahrung auseinandersetzen möchten bietete das (wie es
nicht anders zu erwarten ist, ebenso) ungewöhnliche Wander-
buch zur Route. In ihm werden der als europäischer Fernwander-
weg klassifizierte GR2013 und dessen Wege durch die zeitgenös-
sische Landschaft der Metropolregion Marseille-Aix eindruckvoll
beschrieben. Es vereint praktisches Kartenmaterial, Informationen
zu Architektur, Industriegeschichte, Gewässern und Pflanzen mit
Arbeiten der beteiligten Künstler wie Fotos, Karten, Zeichnungen
und Texten.
Beim Streifen durch die urbane Landschaft dienen gelb-rote Mar-
kierungen an Wegesrändern, Stadtmobiliar, auf dem Boden oder
auch an Bäumen dem Spaziergänger als Orientierungshilfe. Durch
eben diese ist der Pfad von jedem Ort der Strecke zugänglich.
Der GR2013 ist gespickt mit ungewohnten Blickwinkeln auf die
Metropolregion, bewegenden Szenerien und äußerst eindrucks-
vollen Panoramen. Insgesamt ähnelt der Streckenverlauf des Me-
tropolenwanderweges einer überdimensionalen liegenden „8“ im
Süden der Provence. Die beiden Kreise überschneiden sich am
TGV-Bahnhof Aix-en-Provence. Hier begannen auch die zwei Tou-
ren auf dem GR2013, die im Rahmen der Exkursion der Studieren-
den der Stadt- und Raumplanung stattfanden.
Freitag, 23. Mai 2014
An diesem Tag der GR2013-Erkundung traf sich die Exkursions-
gruppe 14 Uhr mit dem Studenten Jens Denissen am TGV-Bahnhof.
Seine Tour führte bspw. vorbei an einem Feuerwehrübungsge-
lände und einer stillgelegten Bauxithalde, einem unbrauchbaren
Endprodukt welches aus der Aluminiumproduktion hervorgeht
und von dem bis heute eine Reihe gesundsheitsgefährdender Be-
denken ausgehen.
Samstag, 24. Mai 2014
Die zweite Tour auf dem GR2013 an der die Studenten teilnehem
durfte wurde vom Spaziergangskünstler hendrik Sturm durchge-
führt und begann um 9 Uhr am TGV-Bahnhof. Die Gruppe passier-
te an diesem Tag bspw. eine alte wertvolle Kurzwellen- und Radio-
station und streiften durch die Ruinen und Mauerreste historischer
Bauernhöfe. Zudem passierte die Gruppe das gelände einer Klär-
schlammhalde, einem Ort an dem menschlicher Klärschlamm
über diverse Schritte wieder zu Kompost wird.
Die Erfinder betrachten den Weg als ein Kunstwerk an sich und
vergleichen ihn mit einem „Freilichtmuseum“ in Form eines Wan-
derweges. Jeder der die Wege des GR2013 entlangwandert oder
-spaziert kann ganz persönliche Eindrücke daraus gewinnen. Je-
der nimmt andere Impressionen auf und mit und zieht ganz per-
sönliche Rückschlüsse des gesehen auf seine Gedanken.
2424
25
L’Unite d’Habitation de Le Corbusier á Marseille Ideen (Geschichte) und Realitäten (Gegenwart) der Moderne - Paul Neumann, Ingrid Schwartz-Götz
KurzBiograFiE lE corBusiEr
Charles-Edouard Jeaneret-Gris wurde am 6. Oktober 1887 im
Schweizerischen La Chaux-Fonds geboren. Nach seiner Ausbil-
dung zum Maler, Graveur und Goldschmied an der Kunsthoch-
schule École d‘Art begann Le Corbusier 1904 das Studium der
Architektur. Weitere bedeutende Grundlagen, die ihn zu einem
der bedeutendsten Archtiketen machte, sammelte Le Corbusier in
führenden Architekturbüros Europas. Besonderes Interesse hegte
er an der modernen Stahl- bzw. Eisenbetonbauweise. So entwi-
ckelte er 1914 ein Skelettsystem, genannt „Domino“, aus Eisen-
beton, das für den Einsatz von Mehrgeschossbauten gedacht war.
Le Corbusier siedelte 1917 nach Paris über wo er sich der Malerei
von Ölgemälden widmete. Das bekannte Proportionsgesetz „Mo-
dulor“, eine auf dem goldenen Schnitt basierende, in Technik und
Architektur universell anwendbare Maßeinheit, entwickelte Le
Corbusier 1943, womit er einen übergreifenden Ansatz für seine
Arbeit als Architekt, Möbeldesigner und Städteplander schuf.
Neben der Realisation einzelner Bauten liegt Le Corbusiers Augen-
merk besonders auf der Realisation wegweisender städtebaulicher
Konzepte. Diese erlangen durch zahlreiche architekturtheoreti-
sche Schriften große Verbreitung sowie Le Corbusiers maßgeb-
liche Beteiligung an verschiedenen Kongressen sowie der 1944
veröffentlichten Charta von Athen, welche die Leitsätze für den
Städtebau entwirft.
Zu eines seiner wichtigsten und bedeutendsten Nachkriegsbau-
ten zählen der Wohnkomplex „Unité d‘habitation“ in Marseille.
Le Corbusier stirbt am 27. August 1965 als einer der bedeutends-
ten und einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts.
lE corBusiEr – unité d`haBitation
Die Unité d’Habitation (französisch „Wohneinheit“) ist ein, vom Ar-
chitekten Le Corbusier entwickelter und fünf Mal realisierter, Woh-
nungsbautyp. Der Anlass, ein solches Gebäude zu entwickeln und
umzusetzen, war die Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg
in Marseille, Frankreich. Der Minister, Rauoul Daoutry, für Wieder-
aufbau beauftragt Le Corbusier, einen Prototyp für den französi-
schen Massenwohnungsbau zu entwerfen.
Le Corbusier, eigentlich Charles-Édouard Jaenneret-Gris, war ein
schweizerisch-französischer Architekt, Architekturtheoretiker,
Stadtplaner, Maler, Zeichner, Bildhauer und Möbeldesigner und
zählt als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Archi-
tekten des 20. Jahrhunderts. Das von ihm entwickelte Modulor,
welches sich in seinen Werken wiederfindet, beruht auf der Lehre
des Goldenen Schnittes und der Fibonacci-Serie, als Teil der Suche
nach allgemeingültigen, idealen Proportionsgesetzen.
Die Unités d’Habitation können als Vorläufer des Plattenbaus be-Abb. 14: Le Corbusier
26
zeichnet werden. So war die Idee, durch eine Serienproduktion
ein hohes Maß an Effektivität zu erreichen und der breiten Masse,
bezahlbaren, erhöhten Wohnkomfort zu ermöglichen. Die Funkti-
on des Wohnens und andere Einrichtungen des täglichen Bedarfs
sollten gestapelt werden, was Le Corbusiers Leitbild der „vertikalen
Stadt“ entspricht.
Hierzu beschreibt er seinen Entwurf als Flaschenständer, in wel-
chem standardisierte „Flaschen“ eingelegt werden, wobei die
Skelettkonstruktion aus Stahlbeton besteht und das unterste
Stockwerk als Installationsebene auf riesigen Pilotis steht. Die
Wohnungskörper greifen teilweise über zwei Etagen L-förmig in-
einander (siehe Abbildung 2). Die Unité d’Habitation in Marseille
befindet sich auf einer 3,5 ha großen Fläche im Randgebiet der
Stadt. Mit einer Höhe von 56 Metern und einer Länge von umfasst
es 337 Wohneinheiten in 23 verschiedenen Formen, Geschäfte für
den alltäglichen Bedarf, einen Kindergarten und auf dem Dach
eine Bademöglichkeit.
Kritik wurde an Le Corbusiers Konzept insbesondere an den zu
detaillierten inneren Beziehungen geübt, als dass die Architektur
den Bewohnern tägliche Abläufe und Gänge vorschreibt und die
Beziehung zur Umgebung zu allgemein gehalten wurde.
unitE d haBitation - marsEillE (gEgEnWart)
Das im Jahre 1952 erbaute Wohnhaus, welches auch „cité radieu-
se“ - die strahlende Stadt genannt wird, zählt heutzutage zu den
markantesten Werken der modernen französischen Architektur.
Nicht nur im zeichen für die moderne Nachkriegszeit, sondern
vor allem der städtebauliche Ansatz, der ein menschliches Zusam-
menleben in Form einer autarken Wohnsiedlung aufgreift, gelten
als erhaltungswürdig. Das mittlerweile unter Denkmalschutz ste-
hende Bauwerk gehört zum Architekturerbe der Stadt Marseille
und zieht unter diesem Gesichtspunkt viele Touristen an.
Abb. 15: Le Corbusier - Schnittzeichnung der L-förmigen Wohnungen
Abb. 16: Atelier
Abb. 17: Unite d‘ Habitation
27
Das System einer autarken Wohnsiedlung mit eigener Einkaufs-
passage und Gemeinschaftlich nutzbaren Räumen funktioniert
heute nur noch teilweise, vor allem auch weil das Haus eine Art
bewohntes Museum geworden ist.
Doch auch wenn die Einzelhandelspassage vorwiegend durch
leerstehende Läden gekennzeichnet ist, als Wohnhaus ist es nach
wie vor sehr beliebt. Als eigentlich sozialer Wohnungsbau errich-
tet wohnen heutzutage gut sittuierte Freiberufler und Angestell-
te in den zweigeschossig angelegten Wohnungseinheiten. Diese
wurden allerdings innerhalb der der Jahre, ausgehend von einem
erhöhten Platzbedarf pro Person, durch Durchbrüche, dass Ent-
fernen ganzer Wände und zusammenschließen von mehreren
Wohnungen, angepasst. So können sich die Bewohner durch die
gewonnene Fläche, innerhalb ihrer Wohnung, individuell und frei
entfalten. Durch die veränderung der Nutzungsansprüche konnte
auch ein Rückgang in den Gemeinschaftseinrichtungen festge-
stellt werden. So ist ein zentraler Waschsalon nicht mehr nötig,
Abb. 18: Fenster im Erdgeschoss Außenfassade
da das waschen innerhalb der eigenen Wohnung durch eine ei-
gene Waschmaschine bequemer ist. Von den dort zahlreich an-
gesiedelten Geschäften sind heutzutage allerdings nur noch eine
Buchhandlung und eine Patisserie übrig geblieben. Jedoch gibt
es noch das Hotel und das Restaurant welche beide noch original
ausgestattet sind.
Das Flachdach, welches als Erweiterung der Gemeinschaftseinrich-
tungen galt, dient heutzutage immernoch als diese. Jedoch be-
herbergt es anstelle des damaligen Kinderhorts eine Kinderkunst-
schule mit Atelier. Nachdem eine Reihe von Theateraufführungen
dort stattfunden, wurde das Flachdach im Jahr 2010 renoviert und
beherbergt seit 2013 ein Ausstellungszentrum genannt MaMo.
Obwohl die Konzeption und Idee des „vertikalen Dorfes“ oft auf
Kritik gestoßen ist, lässt sich mit bestimmtheit sagen das die Be-
wohner eine enge Verbundenheit zu ihrer „strahlenden Stadt“ he-
gen und nach wie vor gerne dort leben.
Abb. 19: Fenster im Erdgeschoss Innenfassade
28
29
Grands Projets in den Quartiers Nord Ideen (Geschichte) und Realitäten (Gegenwart) der Wohnquartiere und Initiativen zur Rehabilitation des Nordens von Marseille - Jana Stief, Jessica Wolf
allgEmEinEs zur situation im marsEillEr nordEn
Die Metropole Marseille ist im Hinblick auf die Stadtplanung sehr
facettenreich. Der südliche Teil der Stadt etabliert sich als gehobe-
nes Ensemble, in denen gutbürgerliche Menschen ansässig sind.
Im Gegensatz dazu stellt sich der Norden als sozialer Brennpunkt
dar. La Viste, Parc Maurelette und la Savine sind nur einige der
Wohnkomplexe des nördlichen Ensembles. Nach dem Zweiten
Weltkrieg bestand das Ziel darin, die angerichteten Verwüstungen
des Krieges wieder zu beheben und neuen Wohnraum zu schaffen.
Die in den 1950er und 1960er Jahren errichteten Großwohnsied-
lungen waren die Antwort auf die enorme Wohnungsnot.
Diese Großwohnsiedlungen entstanden besonders an der Pe-
ripherie der Städte infolge von subventionierten Darlehen von
Organisationen des öffentlichen Sektors. Die französische Archi-
tektur der urbanen Milieus in der Nachkriegszeit sind das Resultat
großer kultureller, sozialer und politischer Veränderungen. Die mo-
derne Architektur und Stadtplanung gewann an Bedeutung, nicht
zuletzt durch die von verschiedenen Architekten individuell ge-
stalteten Wohnkomplexe, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft
befinden. Die vom Staat und der Marktwirtschaft entwickelten
Modernisierungsprojekte ergaben im Gegensatz zu den bisheri-
gen Slums enorm verbesserte Wohnsituationen, die laut soziolo-
gischer Untersuchungen von den Bewohnern als gut empfunden
wurden. Bis Ende der 1960er Jahre wurden zirka sechs Millionen
neue Wohnungen gebaut. Allerdings bewohnten Angehörige der
Unterschicht oder der unteren Mittelschicht, die sich im Norden
Marseilles etablierten, den Großteil dieser Wohnanlagen. Die zu-
vor für gut empfundenen Wohnverhältnisse entwickelten sich mit
den Jahren zu sozialen Brennpunkten. Dies ist besonders auf die
verfehlte Architektur der Großsiedlungen zurückzuführen, die mit
der Zeit unzumutbare Wohnzustände hinterließen.
Die heutigen schlechten Wohnsituationen, Platzmangel, schlechte
Schallisolierungen, unzureichende allgemeine Versorgungsein-
richtungen und minderwertige Bauqualität aufweisen, führten
dazu, dass dem nördlichen Teil der Metropole ein schlechtes Image
zugeschoben wurde. Ebenso sind in diesem Bereich randalierende
Jugendliche, Drogenberichte und andere kriminelle Handlungen
nicht unüblich, was durch diverse Zeitungsartikel das negative Ge-
sichtsbild der Grand Ensembles verstärkt. Angesichts dieser drasti-
schen Missstände empfiehlt die Polizei, diese Quartiere möglichst
zu meiden. Aufgrund dieser Tatsache ist es schwer, die tatsächliche
Situation richtig beurteilen zu können.
Zwei dieser Großwohnsiedlungsprojekte, die für den Norden Mar-
seilles bekannt sind, werden im folgenden Abschnitt in ihrer Idee
näher erläutert. Abb. 20: Spuren von Vandalismus im Parc de Séon
30
la vistE
La Viste ist eine Großwohnsiedlung, die zwischen 1959 und 1962
im Norden Marseilles erbaut wurde. Mit insgesamt 702 Wohnun-
gen, einem Einkaufszentrum und Dienstleistungs-angeboten ist
dieser ein überschaubarer Stadtteil. George Candilis, der im engen
Kontakt mit Le Corbusier stand, ist der Architekt dieser Wohnsied-
lung. Der Grund und Boden von la Viste ist nationales Eigentum
einer Festungsanlage. Hinter dem Namen ‘la Viste‘ verbirgt sich die
Provence, welche den Blick über den gesamten Hafen auf einer
Hochebene ermöglicht. Nach dem Erwerb des Bodens entschloss
sich die marseillanische Baugesellschaft 1959 einen Wettbewerb
für dieses Areal zu organisieren, der tausende Wohnräume schaf-
fen sollte. Das Team, das sich bereits 1955 gründete und aus den
Architekten Candilis, Alexis Josic und Shadrah Woods bestand,
gewann diesen Wettbewerb und ist seitdem Hauptarbeitsnehmer
bei sozialen Wohnungsbauaufträgen. Das in den frühen sechziger
Jahren fertigstellte Wohn-gebiet beherbergte einen Teil der Rück-
kehrer aus Algerien.
Grundsätzlich dominerte in der französischen Stadtplanung das
Prinzip der Trennung von Gebäudegrundtypen, die sich in Form
von Zeilen-, Punkt- und Plattenbauten darstellen. Candilis‘ Idee
war es, diese Kontinuität zu unterbinden. Er errichtete in la Viste
Flachbauten, die sich zwischen 18-geschosssigen Punktbauten
befinden. Er kombinierte demnach die Gebäudetypen miteinan-
der, die ein kontinuierliches und gerastertes Gesamtbild ergaben.
Die Freiflächen werden durch die Gebäudeanordnung auf dem
Areal begrenzt. Die Wohnungen, der in dem Areal befindlichen
drei Punkthochhäuser, unterliegen mehreren Funktionen und sind
mit ausreichend Tageslicht ausgestattet. Sie sind entweder par-
allel oder in einem sogenannten Fischgrätenmuster angeordnet.
Pro Etage sind sieben Wohneinheiten vorzu-finden, unter denen
sich zwei oder drei Wohnungen einen autonomen Korridor teilen.
Dabei verleiht die Breite von etwa sieben Metern den Flachbauten
ein sehr schmales Aussehen, dessen Volumen allerdings von den
Wohnungsgrößen abhängig ist. Diese großen Flachbauten sind
aus verschiedenen Perspektiven das Wahrzeichen der Stadt als
Eingangsbereich des Nordens. Ein weiteres Augenmerk von la Vis-
te sind die skalierten Wohngebäude, die ein zentrales Anliegen der
Architekten waren. Da diese nicht kontinuierlich sind, sind gewisse
Entwicklungen in diesem Bereich möglich. Diese Wohngebäude
bieten zudem Platz für die Vermietung von Büros an einer Seite.
Die Fassaden der Wohngebäude sind die reinen Außenfassaden,
wie sie im 19. Jahrhundert grundlegend vorzufinden waren. So-
wohl in den Wohnungen, als auch an der Außenseite der Gebäude
wurden sogenannte Schiebewände in der Außenwandfarbe ein-
gesetzt, die das Schließen und Öffnen verschiedener Zwischen-
räume und Fenster ermöglichen.
Parc Maurelette
Die Lebensqualität in den Großwohnsiedlungen war das zentra-
le Thema in den 60er Jahren, so auch in Frankreich. Die Siedlung
Parc Maurelette, südöstlich der Siedlung la Viste steht unter dem
starken Einfluss der Architekten Candilis, Josic und Wood. Das En-
semble Maurelette befindet sich zwischen renommierten Land-
häusern und Landschaftsgärten. An-gesichts dessen ist dar
Abb. 21: La Viste - Grundriss
31
auf geachtet wurden, das Landschaftsgärtnern in diesem Gebiet
durch die Umsetzung bestimmter Projekte zu ermöglichen. Das
Projekt Parc Maurelette wurde von einem multidisziplinären Team
entworfen. Die intensive Teamarbeit wurde durch offene Architek-
tenbeiträge, Soziologie, Landschaft und visueller Atmosphäre, die
unter der Leitung eines privaten Unternehmens geführt wurde,
ermöglicht. Neben architektonischen Qualitäten war die Arbeit
des Teams vor allem durch organisatorische Fähigkeiten gekenn-
zeichnet. Besonderheit dieses städtebaulichen Ensembles ist die
Annäherung an die Entwicklung von Innenhöfen, die von öffentli-
chen Plätzen erreichbar sind. Die Idee des Projektes besteht darin,
die Schritte einer Konzeption zu verbessern, um gravierende Feh-
ler zu vermeiden. Ebenso werden gestalterische Abstraktionen im
Städtebau umgangen. Der verfolgte sozialräumliche Ansatz zielt
darauf ab, das Bewusstsein der Bewohner für den Wohnraum und
das Umfeld zu verbessern. Die Landhäuser, die mit Baumalleen,
Terrassen und Teichen versehen sind, bleiben daher im Projekt ent-
halten. Sie sind das kennzeichnete Bild des Parc Maurelette aus der
Autobahnrichtung. Grundsätzlich wurde ein Gebiet geschaffen,
das sowohl die Wohnungen mit entsprechenden Ausstattungen,
als auch die Gebäude und die Landschaft miteinander verbindet.
Die im Gebiet aufeinanderfolgenden zehn Freiräume bilden von
oben betrachtet ein kontinuierliches Band. Dieses stellt zudem
eine Art Fußwegesystem dar, welches allerdings klar von der an-
grenzenden Autobahn getrennt ist. Maurelette wurde zudem un-
ter dem Gesichtspunkt konzipiert, Wechselräume mit floralischen
und mineralischen Elementen zu schaffen, die in Anlehnung an
den Kontext der mediterranen Städte steht. Optisch besteht Mau-
relette aus zwei Gebäudegruppen. Die Gebäudegruppe, die sich
auf der Hochebene befindet, basiert ausschließlich auf dem wohn-
lichen Leben. Dahingegen zielt die südliche Gebäudegruppe mehr
darauf ab, den Kontakt zum öffentlichen Raum herzustellen. Darü-
ber hinaus sind Plattenbauten der dominante Gebäudetypus, der
mit Gewerbe- und Gesundheitseinrichtungen unterstützt wird.
gr 2013
Der GR 2013 oder auch „Grande Route“ ist ein 365 Kilometer lan-
ger Metropolwanderweg durch die zeitgenössische Landschaft
der Provence.
Nicolas Memain ein selbst ernannter Straßenjockey, Improvisa-
tionskünstler und Reiseleiter führte die Gruppe entlang des 4,4
Kilometer langen „Hanoi-Bernabo“ Weges durch die nördlichen
Ensembles von Marseille. Den Ausgangspunkt dieser Tour bildete
die Metrostation
‘Bougainville‘, die gleichzeitig die Endstation des öffentlichen Me-
trosystems in Richtung Norden darstellt. Die nördlicheren Gebiete
sind demzufolge nur durch Busse oder eigenen Verkehrsmitteln
erreichbar. Somit setzte sich die Tour mit Nicolas Memain mit dem
Bus bis zur Haltestelle la Viste-Hanoi fort. Bereits während der
Fahrt wurden aktuelle Missstände ersichtlich, die insbesondere die
nördlichen Quartiere prägen. Von da aus setzte die Gruppe den
Spaziergang auf einem Teil des europäischen Fernwanderweges
fort. Dieser führte vom Stadtteil la Viste durch den Parc Brégante
durch den öffentlichen Parc de Séon. Charakteristisches Merkmal
des Parc Brégante stellt das dekorative Bassin dar, unter dem sich
ein Wasserspeicher befindet. Bei der Besichtigung der nördlichen
Abb. 22: Parc Maurelette - Grundriss
32
Areale wurde ersichtlich, dass noch heute immer wieder Zeugnisse
aus vergangenen Zeiten das derzeitige Stadtbild prägen. Im Nor-
den ist dies vor allem das Aquädukt, das im 19. Jahrhundert Teil
des Müllsystems der Stadt war.
Augenscheinliches Problem der Parkanlagen ist die unzureichen-
de Beleuchtung, die krimi-nelle Handlungen begünstigen. Dies
wurde beispielsweise an verbrannten Kraftfahrzeugen oder ille-
galen Sachbeschädigungen deutlich. Nichtsdestotrotz sind auch
positive Ansatz-punkte initiiert worden. So befindet sich auf einem
Hügel im 15. Arrondissement von Marseille ein Urban gardening
Projekt, das zum gemeinsamen Gärtnern einlädt. Es besteht seit
drei Jahren und wurde in gemeinschaftlicher Initiative errichtet.
Das Areal dient dazu, den nachbarschaftlichen Kontakt zu fördern.
Dementsprechend kann es als soziales Zentrum im Marseiller Nor-
den angesehen werden, welches die aktuelle Situation vor Ort
stabilisieren soll. Zahlreiche Bewohner aus den Gated Communi-
ties oder den sozialen Brennpunkten verschiedener umliegender
Stadtteile nutzen diesen Ort als Treffpunkt. Auf dem Weg zum
neuen Hafen war die Grenze zwischen Arm und Reich, also den so-
zialen Brennpunkten und dem Prestigeprojekt ‘Euroméditerranée‘,
offensichtlich.
Abb. 23: Gated Community
Abb. 24: Urban Gardening Projekt
Abb. 25: Wasserbassin im Parc Brégante
Abb. 26: Blick auf das Consolat Mirabeau
33
Abschließend führte die Tour zum neuen Hafengelände, von dem
aus das Navette die Gruppe über den Wasserweg zum Vieux Port
brachte. Dort wurde der Spaziergang mit Nicolas Memain been-
det.
matErialiEn
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bro 13016 Marseille
Mail : info(at)hoteldunord.coop
Téléphone : 06.52.61.71.57
Permanents :
Chargé d’Innovation, Europe : Prosper Wanner – contact(at)hotel-
dunord.coop
Chargée de Coordination, tourisme : Nathalie Cazals –
communication(at)hoteldunord.coop – 06.52.61.71.57
Gérant :
Prosper Wanner – contact(at)hoteldunord.coop
zEitungsartiKEl:France Télévisions 2013a: Marseille : un homme tué par balles dans
les quartiers nord, Paris, verfüg-bar: <http://www.francetvinfo.fr/
faits-divers/criminalite-a-marseille/marseille-un-homme-tue-par-
balles-dans-les-quartiers-nord_455226.html> (Zugriff: 2014-07-
28).
35
auszügE aus zEitungsartiKEln:
auszug aus dEm zEitungsartiKEl spiEgEl onlinE gmBh 2012B:Willkommen auf der „Grand Route 2013“: Der „erste städtische
Wanderweg“ ist die Kopfgeburt von Künstlern, die das Gehen
als Performance verstehen. Marseilles „walking artists“ entwarfen
einen 260-Kilometer-Parcours quer durch Natur, verlassene Fab-
rikgelände und öde Gewerbegebiete - jenseits der üblichen Tou-
ristenstopps. Die mäandernde Schneise durch die urbane Brache
rund um Marseille gehört zu den phantasievollsten Projekten von
Frankreichs zweitgrößter Agglomeration … . Baptiste Lanaspeze:
„Es geht um die Wiederentdeckung der Umwelt.“
„Wir verstehen unser Projekt als Museum unter freiem Himmel“,
sagt Lanaspeze: „Der Weg ist das Werk.“
auszug aus dEm zEitungsartiKEl voxEurop.Eu 2012: Nachts macht ein Zivilauto der Antikriminalitätsbrigade (BAC) in
den nördlichen Vierteln von Marseille unaufhörlich seine Runde. In
jeder Cité [Sozialwohnungsblock und sozialer Brennpunkt”] ist es
das gleiche Schema. Sobald nur der Kühler des Polizeiautos sicht-
bar wird, erschallt das “Arrraaah!” von Häuserblock zu Häuserblock,
von Wohnhaus zu Wohnhaus, von Treppenhaus zu Treppenhaus…
Hohe Arbeitslosigkeit, ein Viertel der arbeitenden Bevölkerung hat
keinen Abschluss und ein Drittel der Einwohner lebt mit weniger
als 832 Euro monatlich. Das ist die Armutsgrenze.
France Télévisions 2013b: Marseille, une policière rouée de coups
dans la cité de la Viste, o.O., ver-fügbar: <http://provence-alpes.
france3.fr/2013/11/11/marseille-une-policiere-rouee-de-coups-
dans-la-cite-de-la-viste-355329.html> (Zugriff: 2014-07-28).
Libération 2013: A Marseille, une cité se défend d’une aggression,
Paris, verfügbar: <http://www.liberation.fr/societe/2013/11/25/a-
marseille-une-cite-se-defend-d-une-agression_961994> (Zugriff:
2014-07-28).
LibertaLand Infos - Les Faits Divers 2013: Crime à Marseille : un
homme abattu dans la cité de la Viste, o.O., verfügbar: <http://
www.libertaland.com/2013/11/crime-a-marseille-un-homme-
abattu-dans-la-cite-de-la-viste/> (Zugriff: 2014-07-28).
SPIEGEL ONLINE GmbH 2012a: Gewalttat in Marseille: 25-Jähriger
mit Kalaschnikow erschossen, Hamburg, verfügbar: <http://www.
spiegel.de/panorama/justiz/marseille-mann-mit-kalaschnikow-
erschossen-a-847213.html> (Zugriff: 2014-07-28).
SPIEGEL ONLINE GmbH 2012b: Kulturhauptstadt 2013 Marseille:
Weg von Drogen und Bouillabaisse, Hamburg, verfügbar: <http://
www.spiegel.de/reise/staedte/kulturhauptstadt-2013-marseille-
weg-von-drogen-und-bouillabaisse-a-812577.html> (Zugriff:
2014-07-28).
VoxEurop.eu 2012: Marseille, das Imperium der Dealer, Paris, ver-
fügbar: <http://www.presseurop.eu/de/content/article/1477341-
marseille-das-imperium-der-dealer> (Zugriff: 2014-07-28).
Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH 2012: Marseille - Stadt des
Verbrechens, Frankfurt am Main, verfügbar: <http://www.faz.net/
aktuell/politik/europaeische-union/marseille-stadt-des-verbre-
chens-11904925.html> (Zugriff: 2014-07-28).
36
37
Vieux Port und das PannierStadtumbaupläne, die Zerstörung des Viertels durch die Besatzer und der Wiederaufbau - Andreas Hehl, Rhona Wagner
Der Alte Hafen Marseilles liegt zwischen dem Panier Quater im
Norden und der Kirche Notre Dame de la Garde im Süden und wur-
de schon vor mehr als 2600 Jahren von den Griechen als Handels-
stützpunkt genutzt. In der sogenannten Estaque-Bucht gründeten
sie die Stadt Massalia, das heutige Marseille. Von dort aus entwi-
ckelte sich die Stadt im 17. Jahrhundert auch in Richtung Süden.
Auch heute noch ist er das „lebendige Zentrum“ Marseilles.
Der Alte Hafen, oder wie er auf französisch heißt, „le Vieux Port“
und somit die heutige Stadt Marseille entwickelten sich 600 v.Chr.
an einer durch einen kleinen gebirgigen Vorsprung geschützen
Bucht östlich des Rhone-Deltas. An dieser Bucht mit dem Namen
„Lacydon“ entstand über mehr als zweit Jahrtausende die zweit-
größte Stadt Frankreichs, das heutige Marseille. Dieser Hafen
wurde ausschließlich zum Handel genutz, es ist kein getrennter
Kriegshafen an dieser Stelle bekannt. Die Handelsrouten führten
entlang der Küste Frankreichs, aber über die Rhone auch bis nach
Mitteleuropa.
Die Form der Hafenalage veränderte sich über die Zeit sehr stark.
Vorerst prägten die Griechen die Gestalt, heute nennt man den Ha-
fen zu jener Epoche den „Klassischen Hafen“. Anhand der Grabung
„La Bourse“und den 1977 gefundenen Überreste des „Klassischen
Hafens“ konnten auch heute noch Informationen gewonnen wer-
denAber nicht nur Spuren des Hafens wurden entdeckt sondern
auch Teile der früheren Stadtmauer. (vgl. Das Palais de la Bourse).
An Stellen, wie dem Place Jules Verne und Villeneuve-Bargemon
konnten alte Werfanlagen mit einer Länge von über 150m entlang
des Standes festgestellt gewerden. Zur damaligen Zeit befanden
sich diese noch unterhalb des Meeresspiegels.
Auf die Zeit der Griechen und dem „Klassischen Hafen“ im 4. Jhdt
v. Chr. folgte die Zeit des hellenischen Hafens (3.-2. Jhdt. v. Chr.),
geprägt von einem Ausbau des entlang des west- östlich verlau-
fenden Teil des nördlichen Ufers.
Der römische Hafen bestand aud hölzernen Kaianlagen und Holz-
stegen. Diese waren mit Pfosten befestigt und anhand der Mu-
schelreste können Rückschüsse auf die Meereshöhe und die Ha-
fenbeckentiefe zu
Bis 1666 entwickelte sich Marseille ausschließlich enlang der
Hügel und Hänge des nördlichen Ufers der Bucht. Der Grundriss
wurde dabei nur gering verändert (siehe Le Panier). Erst nach 1666
fand eine Entwicklung nach Süden und Osten statt. Aus diesen
Grund bedeckten die Bauten der stetigen Nachverdichtung auch
die hellenistischen und römischen Becken.
„Der Hafen zog sich entlang des nördlichen Ufers des Lacydon,
am Hafenkai. Die Baustellen und schließlich die Galeerenwerft
entstanden im hinteren Teil des Lacydon. Das südliche Ufer hinge-
gen, genannt ”Rive Neuve”, wurde zunächst vor allem ein Kultort,
Nekropole, Kloster von Saint-Victor, bevor man dort die ersten
Staatsgüter, die Werft und schließlich die Speicher gründete. Mit
dieser Flächennutzung wurde bis zur Erweiterung der Stadtmauer
Ende des 17. Jh. nie wirklich gebrochen.“ (Fragen einer Hafenstadt:
Marseille).
Nach der Zeit der großen Ausdehung Marseilles nimmt die Alt-
stadt negative Züge an, da sie mit der schönen, sauberen und
großzügiger geplanten Neustadt nicht mithalten kann.
Im Jahre 1881 unterscuhten Mitgleider der Handelskammer die
Organistation der Häfen der Häfen Europas. In diesem Zuge wur-
de festgestellt, dass der Alte Hafen den Anforderungen der neuen
Techniken (Dampfmaschinen) nicht mehr gerecht werden kann.
Den Ansprüchen der Zeit bis ins 18. Jhdt konnte der alte Hafen
mehr als gerecht werden.
38
Mit seiner zentralen Lage inmitten der Stadt, den kurzen Wegen
und ausgelegt, für keinere Schiffe war er über Jahrtausend per-
fekt ausgestattet. Doch die nun gefragten großen und schweren
Dampfschiffe und die für den Handel sehr wichtig gewordene An-
bindung an das Eisenbahnnetz forderten eine Veränderung. Diese
wurde 1885, mit dem Errich ten von künstlichen Hafenbecken und
Docks in der nördlichen Bucht herbeigeführt. (vgl. fragen an eine
Hafenstadt: Marseille).
das panniEr QuartEr im WandEl
Die angelegten Straßen und Gassen des „Le Panier“ gehen eben-
falls auf die Zeit der Griechen in Marseilles zurück und machen das
Panier zum Ort der ersten Besiedlung Marseilles. Zur Entstehung
des Names „Le Panier“ gibt es unterschiedliches Thesen. Eine Quel-
le berichtet von einer dort ansässigen Herberge im 17. Jahrhun-
dert namens „Le Logis du Panier“, eine andere geht von einer mit-
telalterlichen Taverne mit dem Namen „Au Panier“ in der heutigen
Rue du Panier als Namensgeber aus.
Der Place de Lenche, gilt als der älteste Platz von Marseille. In der
Antike lag die Agora der griechischen, später der das Forum der
römischen Siedlung. Dieser Platz war ursprünglich zu allen vier
Seiten hin geschlossen. Im 16. Jahrhundert siedelte sich der Adel
am Platz an.
Die Römer konnten 125 v. Chr. die Stadt mit in ihr Reich aufneh-
men, da sie die Stadtgründer vor einem Angriff keltischer Stämme
bewahrten. Bis 972 n.Chr. wurde Marseille immer wieder von
Abb. 28: Der Alte Hafen
39
Germanen und Arabern überfallen, doch mit der Gründung der
Grafschaft Provence durch Wilhelm von Arles konnte die Stadt
großen Reichtum erlangen. Seit dem 15. Jahrhundert ist Marseille
französisch.
Die heute zweitgrößte Stadt Frankreichs zeigt am Place de Mou-
lins seinen dörflichen Charakter. Früher standen dort, am höchs-
ten Punkt des Paniers Windmühlen, angetrieben vom Mistral.
Die heutige Bebauung des Le Panier ist durch Gebäude aus dem
18. Jahrhundert gekennzeichnet. Zwichendrin findet man aber
auch Häuser aus dem 16. oder 17. Jahrhundert.
Während des Zweiten Weltkriegs und unter der Herrschaft der
Nazis wurden 1943 auf Grundlage eines von den Franzosen ent-
wickelten Plans, Häuser auf einer Fläche von 40 Hektar im unte-
ren Bereich des Paniers gesprengt. Die 20.000 Bewohner wurden
zuvor evakuiert und 800 von ihnen wurden in Konzentrationsla-
ger deportiert. Die Gründe dafür sollen zum einen, die unkontrol-
lierbare Kriminalität und zum anderen die großen Anzahl an dort
vermuteten Widerstandskämpfer gewesen sein. Von dieser Spren-
gung verschont blieben das historische Rathaus und die Maison
Diamantée. Dieser Stadtpalais konnte erhalten bleiben, weil die
Vichy-Regierung im Gegenzug ihre Einwilligung zur Auslieferung
der festgenommenen Juden an die Deutschen gab.
Trotz der Tatsache, dass es bereits seit den 30er Jahren Pläne
gab, die vorsahen das Viertel neu zu strukturieren hat sich in den
Köpfen festgesetzt, dass die Idee für die Sprengung und der Bau
neuer Wohnungen von der Vichy-Regierung kam. „Wie weit die
Zerstörung des Panier-Viertels also auch den Interessen der Stadt
Marseille und den Immobilien-Spekulanten entgegenkam, ist eine
Frage, zu der sich die örtlichen Historiker nur etwas zögerlich äu-
ßern. Der Historiker Robert Mencherini hier von der Universität
Marseille betont jedoch, dass es einen direkten Befehl Hitlers gab,
dieses alte Stadtviertel zu vernichten.“ (http://www.deutschland-
radiokultur.de/als-die-deutschen-in-marseille-wueteten.1013.
de.html?dram:article_id=234964)
dEr altE haFEn in zEitEn dEr EuromEditErranéE
Früher das wirtschaftliche Zentrum von Marseille, dient er heute
als Versammlungsort und Treffpunkt für Touristen und gilt als eines
der vielen kulturellen Zentren der Stadt: der Vieux Port von Mar-
seille. Die französische Metropole am Mittelmeer ist 2013 Europä-
ische Kulturhauptstadt und hat den seit 2002 zum Weltkulturerbe
gehörenden Hafen herausgeputzt. Nun gibt es mehr Platz für Fuß-
gänger. Alte Bootshäuser und technische Einrichtungen wurden
abgerissen, umstrukturiert und an anderer Stelle neu errichtet. Das
Hafenareal ist stärker mit der Innenstadt verbunden, der Verkehr
soll weiter reduziert werden.
Auf breite Zustimmung in Politik und Bevölkerung stoßen die Neu-
Abb. 29: Ausschnitt des Pannier Quarters
40
gestaltungen im Vieux-Port. Das Hafengebiet wurde nach einem
Masterplan von Foster + Partners (London) und des französischen
Landschaftsarchitekten Michel Desvigne neu gestaltet. Es wurde
eine großzügige Fläche zum flanieren für Fußgänger geschaffen,
indem einerseits technische Einrichtungen auf Plattformen in
das Hafenbecken verlegt, andererseits die Verkehrsführung neu
geordnet und die einst mehrspurige Trasse auf zwei Fahrstreifen
zurückgebaut wurde. Entstanden ist ein öffentlicher Raum im
Zentrum der Altstadt, der von Einwohnern und Touristen als städ-
tischer Platz entdeckt werden kann. Zahlreiche Restaurants und
Cafés sind dort angesiedelt, die den Blick auf das emsige Treiben
an den Kais ermöglichen. Das alte Rathaus der Stadt ist hier zu fin-
den, und auch für vielseitige kukturelle Veranstaltungen bietet der
öffentliche Platz Raum zur entfaltung. Die Feierlichkeiten zur Er-
öffnung Marseilles als Kulturhauptstadt Europas 2013 fanden zum
Teil hier statt. Das „Theatre de la Crièe“ sowie mehrere Museen, Ga-
lerien und Konzertsäle in unmittelbarer Nähe des Hafens erfreuen
sich steigender Beliebtheit. Auf dem „Quai des Belges“, dem oval
angelegten Platz zwischen Hafen und Stadt, der das östliche Ende
des Hafengebiets bildet,erkennt man erst auf den zweiten Blick ein
leichtes Dach auf schlanken Stützen. Der 46 x 22 m große Stahlpa-
villon von Foster + Partners, genannt „Ombriére“, dient einerseits
als Blickfang und Sonnenschutzdach und ist zugleich ein architek-
tonisch einmaliges Bau
Abb. 30: Die Ombrière am Alten Hafen
41
werk. Mit poliertem Edelstahl verkleidet, reflektiert die Unterseite
wie ein Spiegel das Geschehen unter dem Dach und im Hafenbe-
cken. Die Flächen verjüngen sich zum schmalen, nur als dünne
Linie sichtbaren Dachrand, der den immateriellen Eindruck des
Pavillons verstärkt. Den Boden bedecken helle Granitplatten im
Farbton des originären Kopfsteinpflasters.
Die Besucher des Pavillons und Teile der Umgebung bilden sich
auf der verspiegelten Unterseite des Stahldachs ab, das aus der
Ferne als schmale, silberne Linie erscheint.
Bei einem Termin in der Zentrale der Agentur für urbane Projekte
„AgAM- Agence d’urbanisme de l’Agglomération Marseillaise“, hat
die Exkursionsgruppe die Möglichkeit, M. Frédéric Roustan, leiten-
der Mitarbeiter der AgAM, zu treffen. Die AgAM ist eine private Or-
ganisation, die sich mit Fragen und Problemstellungen der Stadt-
planung beschäftigt. Sie wird derzeit von 18 Städten beauftragt
und arbeitet direkt mit dem Staat und den jeweiligen Regionen
zusammen.
Roustan war maßgeblich an den Planungen zur Umgestaltung des
alten Hafenareals und anderen Projekten der „Euroméditerranée“
beteiligt und steht den studierenden Rede und Antwort auf viele
Fragen rund um die Umbaumaßnahmen. Auf diese Weise konnte
in Erfahrung gebracht werden, dass bei den Umbaumaßnahmen
Abb. 31: Die „Nouvelle Cathédrale de la Major“
42
des alten Hafens und den damit einhergehenden Maßnahmen zur
Verkehrsberuhigung großer Wert auf die Schaffung einer Begeg-
nungsstätte für Fußgänger gelegt wurde. Sowohl in der Bevölke-
rung als auch in der Politik traf dies auf große Zustimmung, da die
Zahl an öffentlichen Räumen in Marseille allgemein als zu gering
eingeschätzt wurde.
Eine der Bedingungen zur Aufnahme von Umgestaltungsmaß-
nahmen bestand darin, einen internationalen Wettbewerb auszu-
schreiben, den das Londonder Architekturbüro Foster + Partners
für sich entscheiden konnte. Ursprünglich war geplant, sieben Ob-
jekte ähnlich der Ombrière rund um den Hafen anzulegen, vonn
denen keines, einschließlich der Ombrière selbst, nach unten ver-
spiegelt sein sollte. Eine Idee, die von Roustan verworfen wurde,
der schlussendlich auch den entscheidenden Anstoß zur Verspie-
gelung des nunmehr einzelnen Kunstwerkes lieferte.
Bisher sind ca. 80% der geplanten Baumaßnahmen abgeschlossen.
Eines der für die Zukunft geplanten Projekte besteht in der ausgie-
bigen Begrünung des Hafenarreals. Damit soll eine Renaturierung
des äusseren Hafenbereichs erreicht werden, die gestalterisch ei-
ner Zeit entspricht, in der nur ein Bruchteil der jetzigen Fläche von
Versiegelung betroffen war. Laut Herrn Roustan belaufen sich die
Kosten des Umbaus des Vieux Port bisher auf ca. 45 Mio Euro.
das panniEr QuartEr hEutE
Erbaut auf den Hügeln „Moulins“, auf dem Gelände der antiken
griechischen Kolonie Massalia, ist das Panier Quarter einer der we-
nigen verbliebenen Orte in Marseille, die noch heute Zeugnis der
weitreichenden Geschichte Marseilles geben können. Steile Trep-
pen und bunte Häuserfasaden geben den typischen mediterranen
Eindruck wieder, der an alte spanische und italienische Viertel er-
innert. Heute gilt das Pannier Quarter, mit bekannten Straßen wie
der „La Montée des Accoules“, „Rue du Pannier“ und dem „Place des
Moullins“ als modisches Viertel und beherbergt exklusive Restau-
rants, Boutiquen, Bars und Kunstgallerien. Das Quartier wurde seit
1983 mit Mitteln der Europäischen Kommission wieder aufgebaut
und restauriert.
Unweit des Panier Quarters befindet sich die „Nouvelle Cathédrale
de la Major“. Sie ist der Sitz der Erzdiözese von Marseille. Die Kathe-
drale wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf einer
Fläche erbaut, die schon seit dem fünften Jahrhundert als kulturel-
le Stätte zur Ausübung religiöser Zwecke dient und auf der schon
mehrfach Kathedralen Marseilles erbaut wurden. Der Name „Ma-
jor“ stammt aus der okzitanischen Sprache, woran ein Markierung
an der Kathedrale aus dem zwölften Jahrhundert erinnert.
„Panier“ ist das französische Wort für „Korb“. Die Namensgebung
stammt aus einer Zeit, als das Viertel noch von Mühlen, Bäckereien
und Fischhandel geprägt war und regelmäßig Händler ihre Waren
auf Märkten im Quartier anboten.
mende Krankenhaus Hôpital du Saint-Esprit wurde im Laufe der
darauffolgenden Jahrhunderte vergrößert, und im 16. Jahrhun-
dert mit dem Krankenhaus Hôpital Saint-Jacques de Galice zusam-
mengelegt, um ein Jahrhundert später zum Hôtel-Dieu zu werden.
Der Umbau wurde von einem Neffen des berühmten Architekten
Hardouin-Mansart begonnen, dessen ehrgeiziges Projekt jedoch
nur teilweise realisiert wurde und das Hôtel-Dieu in seiner heu-
tigen Form entstand unter dem Zweiten Kaiserreich. Zunächst
war es wie alle Krankenhäuser des 18. Jahrhunderts nach allen
vier Außenseiten hin abgeschlossen und verfügte über 2 große,
voneinander getrennte Innenhöfe, einen für Frauen und einen für
Männer. Der Architekt Blanchet entschied, den Gebäudekomplex
nach Süden hin zu öffnen und die Flügel im Osten und Westen mit
Pavillons abzuschließen. Die drei Etagen verfügen über die für den
Krankenhausbau dieser Epoche typischen Galerien. Die Treppen
wurden von Joseph-Esprit Brun geschaffen.
Seit 2013 beherbergt es ein 5-Sterne Intercontinental-Hotel.
Die Bronzebüste von Jacques Daviel erinnert daran, dass er in 1745
im Hôtel-Dieu zum ersten Mal den grauen Star durch die Entfer-
nung der getrübten Linse operierte. Daraufhin wurde er zum Au-
genarzt von Ludwig XV. ernannt
Der „Place de Lenche“ liegt auf einer alten griechischen Agora,
einem Ort von dem aus Bewohner das Kommen und Gehen der
Schiffe im Hafen beobachten konnten. Der Platz war ursprünglich
an allen vier Seiten geschlossen. Unter dem Platz befinden
43
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Roncayolo, Marcel Prof. Dr.,1999: Fragen einer Hafenstadt: Marseille, Hamburg; In: Lafrenz, J. (Hrsg.): Hamburg und seine Partnerstädte Fest-
schrift zum 52. Deutschen Geographentag, Hamburg, 4.-9. Oktober 1999
Simon, Klaus 2014: Marseille, die Highlights der Stadt direkt erleben, Ostfildern
sich alte griechische Zisternen, die im dritten Jahrhundert vor
Christi Geburt erbaut wurden. Diese werden heute als unantast-
bare aber intakte historische Monumente der Antike behandelt.
Wir hatten das Glück, unseren Donnerstag Abend mit Herrn Prof.
Dr. Jean-Lucien Bonillo verbringen zu dürfen. Herr Bonillo ist Ex-
perte in historischen Belangen und der vielseitigen Architektur
rund um die baulichen Anlagen des alten Hafens und des Pannier
Quarters. Von ihm erhalten wir eine Fülle an Informationen über
die Architekten der Gebäude im direkten Umfeld des Hafens so-
wie die Herkunft und Beschaffenheit der für den Bau verwendeten
Materialien. Bei der Verarbeitung der vorderen Gebäudereihe im
Nordwesten des Hafens verarbeitete der französische Architekt
Fernand Pouillon bewusst eine geschlossene Struktur aus Stein-
blöcken, um den Eindruck einer massiven Fassade zu schaffen. Die
Gestaltung der Gebäude ist angelehnt an die altrömische Bauwei-
se und trägt maßgeblich zur charakteristischen Gestalt des Hafen-
bereichs bei. Die Gebäude in zweiter Reihe sind demhingegen aus
Stahlbeton gefertigt und tragen Merkmale griechischer Bauart.
Zusätzlich zu diesen Informationen verrät uns Prof. Dr. Bonillo,
dass wir, für den Fall wir wollten uns in Zukunft am alten Hafen
Marseilles niederlassen, mit einem Kaufpreis von ca. 10.000 Euro/
qm oder eine Miete von ca. 2.500 Euro pro Monat bei einer Fläche
von 85 qm zu rechnen hätten.
Der Stadtspaziergang mit Herrn Bonillo endet aus Zufall vor einem
Appartmentgebäude in der Straße „Square Protis“, in dem ein Teil
der Exkursionsteilnehmer, darunter auch der Author, das Glück
hatte für die Dauer dieser außergewöhnlichen Bildungsreise woh-
nen zu dürfen. Genannte Personen bezeugen, dass Marseille, der
Alte Hafen und das Pannier Quarter neben ihren architektonischen
und historischen Besonderheiten im gleichen Rahmen ein hohes
Maß an Lebensqualität zu bieten haben.
44
45
Last Exit MarseilleDas Lager Camp des Milles in Aix-en-ProvenceMaximilian Stamm, Christoph Webel
camp lEs millEs
Am 4. Tag unserer Südfrankreich Exkursion starteten wir schon
früh morgens in den zweiten thematischen Teil der Exkursion.
Ziel war es, die Region Aix-en-Provonce zu erkunden, sowohl die
Landschaft, die Vernetzung zu Marseille, die Kultur aber auch die
Geschichte galt es zu entdecken.
Nach einem vorgezogenen Frühstück traf sich die ganze Gruppe
am TGV Bahnhof in Marseille um gemeinsam mit dem TGV nach
Aix-en-Provonce zu fahren. Nach der kurzen Zugfahrt, bei der man
schon die Schönheit und die Eigenheit der Region erahnen konn-
te, erreichten wir den Bahnhof, von hier ab ging es mit dem Bus
weiter in die Innenstadt von Aix. Nach einem kurzen Aufenthalt im
Herzen von Aix fuhren wir mit dem öffentlichen Nahverkehr zu un-
serem ersten Ziel des Tages, dem am Stadtrand gelegenen Mahn-
mal Camp les Milles. Die ehemalige Ziegelei wurde im Lauf des 2.
Weltkriegs zu einem Lager für politische Gefangene.
gEschichtE
Ein Internierungsort für „feindliche Ausländer“
Schon kurze Zeit nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht
auf Polen und dem damit einhergehenden Kriegsbeginn, wurde
die alte Ziegelei im Südwesten von Aix-en-Provonce zum Lager für
„feindlicher Ausländer“. Der Begriff „feindlicher Ausländer“ geht
auf den im englischen geprägten Ausdruck „Enemy Alien“ zurück.
Dieser beschreibt die Staatsangehörigen eines anderen Staats,
in einem Land, welches sich zur Zeit eines Konfliktes mit diesem
Staat, im Inland befinden. So kam es, dass in Frankreich bereits
im September 1939 Häftlinge aus Deutschland und Österreich
interniert wurden. Jedoch wurden zu dieser Zeit auch politische
Gegner des NSDAP-Regimes, sowie Juden und Intellektuelle wel-
che vor Stalin oder Hitler flohen, interniert. Nach nur einem Monat
waren im Camp schon über 1.500 Gefangen, welche aber bis auf
einen kleinen Teil schon bis März 1940 wieder entlassen wurden.
Mit dem Angriff Deutschlands auf Frankreich im Mai 1940 änderte
dies aber auch die Ausländerpolitik in Frankreich, sodass bis Juni
1940 die Zahl der Gefangenen auf ca. 3.000 Menschen stieg.
Nach einem Waffenstillstand am 22. Juni 1940 wurden auf anraten
des Lagerkommandanten 2.010 Gefangene mit dem Zug nach Ba-
yonne überführt, um diese vor den deutschen Besatzern zu retten
transitlagEr und dEportation
Nach dem Waffenstillstand und der damit verbunden Kapitulation
Frankreichs, befand sich das Camp in der „Freien Zone“ und wurde
nun als Deportationslager für Juden und politische Feinde der Na-
tionalsozialisten genutzt. Die Freie Zone unterstand der Komman-Abb. 32: Camp les milles Frontansicht
46
dantur des Vichy-Regimes, welches sich gegenüber der deutschen
Besatzer verpflichtete Juden, überwiegend deutsche und österrei-
chische, ab einem Alter von 16 Jahren, welche in die freie Zone ge-
flohen waren, auszuliefern. Das Vichy-Regime unter der Regierung
von Pierre Etienne Laval lieferte jedoch alle Gefangenen ab einem
Alter von 2 Jahren aus. In Folge des Abkommens verließen fünf
Züge mit insgesamt 2.000 Gefangenen über Paris nach Ausschwitz
das Lager. Bis zum verlassen des letzten Zuges am 10. September
1942 wurden im Camp les Milles 10.000 Häftlinge inhaftiert, unter
ihnen auch einige der größten Künstler und Intellektuelle des 20.
Jahrhunderts. Nach der letzten Deportation nutzte die Kriegsma-
rine der Wehrmacht das Camp als Marinelazarett, bis im August
1944 die amerikanischen Truppen Südfrankreich von der deut-
schen Besatzung befreiten.
nach dEr dEportation Bis hEutE
Bis Ende 1946 wurde das Camp von der US-Armee als Materialla-
ger genutzt und anschließend den ehemaligen Eigentürmern der
Ziegelei, einer Unternehmerfamilie aus Marseille, zurückgegeben.
Aufgrund der großen Schäden und Zerstörungen und dem somit
entstandenen Bedarf an Baumaterial wurde die Produktion von
Ziegeln wieder aufgenommen.
Historikern der Universität Aix-en-Provonce ist es zu verdanken,
dass der Plan, die veraltete und technisch nicht mehr intakte Zie-
gelei abzureisen, verhindert wurde. Das Camp les Milles, welches
als einziges Lager dieser Zeit im vollen Umfang noch erhalten war,
sollte von nun an als Gedenkstätte und Mahnmal an die Schrecken
des 2. Weltkriegs erinnern. Die endgültige Entscheidung, das ehe-
malige Lager als Gedenkstätte umzubauen, fiel darauf hin im Jahre
2002. Jedoch vergingen bis zur Eröffnung am 10. September 2012,
10 weitere Jahre.
diE gEdEnKstättE
Ähnlich wie die Geschichte des Camp les Milles in 3 Abschnitte un-
terteilt werden kann, so ist auch die Ausstellung im Dokumentati-
onszentrum in 3 thematische Areale unterteilt.
Der erste Abschnitt widmet sich ausführlich wie kein anderer der
Geschichte Europas und den Wirrungen der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts.
Im zweiten Abschnitt wird ein besonderer Augenmerk auf die
Lebensbedingungen im Camp, sowie die der einzelnen Insassen
gelegt.
Architektonisch und gestalterisch vom bisherigen Camp losgelöst
präsentiert sich der dritte Abschnitt der Gedenkstätte als Reflexi-
onszentrum. Es werden die 10 Stufen eines Genozids anhand von
3 Beispielen zusammen mit Zeitzeugenaussagen und Originaldo-
kumenten aufgezeigt.
aBschnitt 1 – diE gEschichtE
Abb. 33: Wagon der Deportationszüge
Abb. 34: Ausstellung 1. Abschnitt
47
Im Erdgeschoss der ehemaligen Ziegelei befindet sich als eröff-
nendes Element ein großer, sich über zwei Stockwerke erstrecken-
der Eingangsbereich. Der Besucher erhält in diesem Bereich einen
ersten Eindruck über die bedrückende und karge Stimmung im
Camp, graue Beton- und veraltete Ziegelwände prägen genau-
so den ersten Eindruck, wie die neu installierten Metall Galerien,
welche die Ausstellung in zwei Ebenen aufteilt. Ebenfalls befindet
sich dort der Informations- und Kassenpavillon. Zu Beginnen der
Ausstellung begibt man sich von hier in einen Raum zur Filmvor-
führung. Der ca. 10 Minuten lange Film, welcher per Audio Guide
in vielen Sprachen verfügbar ist, beschreibt die Zustände im Camp
sowie die Zeit vor dem 2. Weltkrieg. Nach dem Film, in dem unter
anderem Zeitzeugen und original Filmmaterial aus dieser Zeit zu
sehen sind, geht der Besucher in den zweiten Teil des ersten Ab-
schnitts. Hier öffnet sich ein Hauptraum mit mehreren kleinen Ne-
benräumen, alle sind gespickt mit Informations- und interaktiven
Medientafeln.
Thematisch führt die Ausstellung beginnend mit dem Deutsch-
Französischen Krieg von 1870, über die politischen Wirrungen der
einzelnen Europäischen Länder zu Beginn des 20. Jahrhunderts
bis hin zum ersten Weltkrieg. Anschließend werden Schlüsselper-
sonen der 1920er und 1930er Jahre vorgestellt und der Aufstieg
der Nationalsozialisten in Deutschland erläutert.
Parallel zur politischen Historie wird anhand von Zeitungsaus-
schnitten und Zitaten aus dieser Zeit die Stimmung, insbesonde-
re auch der Antisemitismus dieser Epoche dem Besucher veran-
schaulicht. Ziel ist es, den interessierten Gast das Eintauchen und
Fühlen dieser Zeit zu ermöglichen, auch die Stimmungen und
Gefühle sollen spürbar gemacht werden. Es ist hierbei nicht Ziel
Verständnis oder Ähnliches zu erzeugen, allein die äußeren Um-
stände sollen verdeutlicht werden. Gegen Ende des ersten Ab-
schnitts werden die grauen des Krieges und die Vertreibung sowie
die Flucht der Juden verdeutlicht. Auch die ersten Inhaftierungen
im Camp les Milles sind Teil dieses Themenfeld.
aBschnitt 2 – das camp und sEinE insassEn
Der mittlere Abschnitt der Dokumentation ist dem Leben im Camp
les Milles gewidmet, die unmenschlichen Lebensbedingungen
während der Internierung sind ebenso Thema wie die kleinen
Lichtblicke welche durch die Künstler und Kinder im Camp vielen
Mut machten. Beschrieben werden von den Schlaflagern in den
ehemaligen Öfen und Heizräumen, über den Alltag in dem Gelän-
de und der damit einhergehenden Langeweile und Beengtheit, bis
hin zu den Deportationen.
Abb. 35: Innenhof mit Gefangenen
Abb. 36: Ausstellung 2. Abschnitt
48
An einprägsamen Stationen während dem Rundgang im zweiten
Abschnitt, wird an einigen Stellen das Leben der Insassen an per-
sönlichen Beispielen erzählt. Beispielsweise befindet sich neben
einer ca. 30 mal 30 Zentimeter großen mit Bretten verdeckten
Öffnung im Boden eine Infotafel, auf der die Geschichte von vier
Jugendlichen aufgedruckt ist. Die vier Freunde sind vor einer De-
portationsaktion in den Raum hinter dieser Öffnung geklettert um
sich so der Verladung in die Züge zu entziehen. Was die Jugendli-
chen nicht wussten bevor sie in den Raum kletterten ist, dass es
ein Raum direkt neben einem der Hauptgänge des Untergeschos-
ses war, welcher nur durch eine zugenagelte Tür davon getrennt
wurde. Die vier Versteckten hörten durch die Bretter hindurch die
Schreie und das Getrampel von Hunderten von Gefangenen, be-
vor diese in die Züge geschickt wurden. Nach der Räumung ge-
lang den Jugendlichen am Abend darauf die Flucht aus dem Lager.
Eine weitere tragische Zeitzeugengeschichte ist ebenfalls auf ei-
ner Infotafel am Fenster zum Hof im 2. Obergeschoss festgehalten.
Durch dieses Fenster sprang am 10. September 1942 eine junge
Mutter zusammen mit ihrem 2-Jährigen Kind in den Tod um sich
der Deportation durch die Nationalsozialisten und des Vichy-Regi-
mes zu entziehen. Viele Berichte aus dieser Zeit begleiten den Gast
durch den Rundgang, aber auch Fotografien und Schilderungen
des alltäglichen Lebens zeichnen ein Bild des Camps.
Auch ein Film gibt Auskunft über Verhältnisse im Camp und die
Kämpfe in der Region. Die Zerstörung des Vieux-Port und des Ha-
fenviertels in Marseille durch Truppen der deutschen Wehrmacht,
wie auch die anschließende Befreiung durch die US-Marines wer-
den filmisch dokumentiert.
Ein weiterer Teil dieses Abschnitts, welcher eine Besonderheit des
Camps in Aix-en-Provonce darstellt, ist die Freilegung und Do-
kumentation der Wandgemälde. Zu den Inhaftierten des Camps
zählten auch bedeutende Maler wie Anton Räderscheidt, Wols,
Karl Bodek und Max Ernst. Die Künstler, darunter ca. 40 Maler aber
auch andere nicht namentlich Bekannte, haben sich durch in die
Wand geritzte oder aufgemalte Zeichnungen und Gemälde dort
verewigt, auch sind vereinzelt Bilder auf Papier entstanden, da
dies aber Mangelware war und leicht verloren ging, handelt es sich
hierbei nur um wenige Exponate. Die Bilder zeigen teilweise das
Abb. 37: Dachgeschoss, ehemaliger Schlafsaal
Abb. 38: Wandgemälde Herz
Abb. 39: Wandgemälde 1
49
Leben im Camp aber auch fantasievolle Bilder bis hin zu kleinen
Parolen, eben viele Facetten des Alltags.
Es wird auch von Theateraufführungen und Tänzen innerhalb des
Camps berichtet, welche die Insassen vom Leid und der Trauer ab-
lenken sollten. Unter den Gefangenen waren auch Schauspieler
und Theaterregisseure.
Schriftsteller und Philosophen wie Hans Bellmer, Walter Benjamin,
Golo Mann, Franz Hessel und andere trugen im Camp ihren Teil zur
Gemeinschaft, durch ihre Kreativität und Schaffenskraft, bei. Viele
der Schriftsteller und Philosophen hielten ihre Erlebnisse im Camp
schon währende der Zeit in Aix-en-Provonce durch Notizen fest,
aber auch nach dieser Zeit beziehen sich einzelne Werke oder Aus-
schnitte der Insassen auf die Zeit in les Milles.
Lion Feuchtwanger verarbeitete in seinem 1942 verfassten Buch
„Unholdes Frankreich“ das später den Titel „Der Teufel in Frank-
reich“ trägt, seine Erlebnisse aus der Inhaftierung. Die Odyssee
Feuchtwangers startete mit der Aberkennung seiner Staatsbürger-
schaft, und seiner Flucht nach Frankreich. 1933 emigrierte er nach
Sanary-sur-Mer in Südfrankreich, zu dieser Zeit war Sanary-sur-Mer
das Ziel vieler deutscher Emigranten. 1939 wurden diese dann
zu Beginn des zweiten Weltkriegs im Camp les Milles inhaftiert,
Feuchtwanger wurde erst im Mai 1940 nach les Milles gebracht, da
es für den Mittelmeerraum als taktisch sinnvolles Lager erachtet
wurde. Am 22. Juni 1940 begab sich Lion Feuchtwanger zusam-
men mit ca. 2.000 Gefangen im Lager in dem „Gespensterzug“
auf die Flucht. Diese endete jedoch fünf Tage später wieder in der
Nähe von les Milles. Der erfolgreiche zweite Fluchtversuch gelang
ihm am 21. Juni 1940 nach Marseille. Von hieraus setze er seine
Flucht aus Deutschland und dem von den Nazis bedrohten Euro-
pa bis hin nach New York fort. Angekommen in den USA entstand
1940/41 in New York das Buch „Unholdes Frankreich“.
Im Buch beschreibt er den Zustand im Camp und im Frankreich
1939 so:
„Man hörte immer die gleichen Klagen über die Sinnlosigkeit des
Ganzen, die gleichen Verwünschungen der französischen Desor-
ganisation, die gleiche Empörung gegen jenes Frankreich, das wir
alle ursprünglich so heiß geliebt hatten.“
Feuchtwanger, welcher das Lager zur Zeit eines reinen Inhaftie-
rungs- und noch nicht als Deportationslager erlebte fasste die
Zeit dort als seine Aussichtsloseste und Ermüdendste zusammen,
ebenso war er enttäuscht, als Flüchtling im politischen Exil so ver-
raten und verkauft zu werden. Nach dem Krieg empörte er sich
auch über die Kollaborateure des Vichy-Regimes.
Den letzten Teil des zweiten Abschnitts beinhaltet das Hauptthe-
ma der Deportation und der Holocaust in Ausschwitz und andern
Lagern. Auf anschaulichen, wie auch erschreckenden Infotafeln
wird jedem Gast das Ausmaß und die Abgründe der Ereignisse dar-
Abb. 40: Feuchtwanger im Camp les milles
Abb. 41: Wandgemälde Masken
50
geboten. Es ist der Teil des Rundgangs der die Medien innerhalb
der Ausstellung wie auch die Besucher zum schweigen bringen.
In der Gedenkstätte spiegeln die Schriftsteller, Maler und anderen
Künstler auf besondere und verständliche Art das Gefühl und die
Gedanken des Lagers wieder.
Während der Besucher durch die Hallen, Öfen, Höfe und kleinsten
Winkel der Ziegelei läuft, wird durch den Audio Guide, die Bilder
und die Infotafeln dieser dunkle Teil der deutschen, französischen
und europäischen Geschichte greifbarer gemacht. Der Eindruck
der Leere und das Wissen das die Räume einmal bis unter die De-
cken mit Betten und Menschen gefüllt waren, das Wissen mit wel-
chem Leid und welcher Angst die Gefangenen konfrontiert waren,
machen diesen Ort der Information und Dokumentation auch zum
Ort der stillen Trauer, des Gedenken und zum Mahnmal der Ge-
schichte.
aBschnitt 3 – diE rEFlExion
Der Letzte Teil der Dokumentation erscheint in räumlicher wie
auch thematischer Weise dem Besucher abgesondert. Über einen
schmalen Gang und ein enges Treppenhaus vorbei an den ehema-
ligen Toiletten gelangt man in einen vollkommen weißen Raum.
An den strahlend weißen Wänden des Raums sind in verschiede-
nen Sprachen die 10 Gründe und Entwicklungsstufen eines Ge-
nozids dargestellt. Zu Beginn des dritten Abschnitts, ähnlich wie
im ersten und zweiten Teil, steht dem Besucher ein Film zur Ver-
fügung. Er fokussiert die Ereignisse dreier Genozide um anhand
dieser Beispiele das Versagen der Menschlichkeit und die Gründe
hierfür zu reflektieren. Der Film zeigt auf drei aneinander gereihten
Leinwänden die Phasen des Genozids an den Armeniern, den Ju-
den sowie den Völkermord Ruanda.
Der Völkermord an den Armeniern und den Aramäern ereignete
sich während des ersten Weltkriegs im Jahr 1915. Ziel des Komitee
für Einheit und Fortschritt, im Osmanischen Reich, war die Vertrei-
bung und die Vernichtung der Armenier, Aramäern und Christen.
Es war ein systematisch organisierter und durchgeführter Genozid,
dem nach Schätzungen ca. 300.000 bis 1,5 Millionen Menschen
zum Opfer fielen.
Der Holocaust wird ebenso wie der Genozid durch das Osma-
nische Reich, im dritten Teil noch einmal aufgearbeitet, sodass
dieser Teil der Ausstellung auch für sich selbst stehen könnte. Be-
schrieben wird die Geschichte und das Ausmaß, der Verfolgung
der Juden und die systematischen Hinrichtungen in Arbeits- und
Konzentrationslagern, jedoch wird auch die öffentliche Mobilma-
chung der NSDAP analysiert. Die strukturierte Stimmungsmache
der Nationalsozialisten, war demnach der entscheidende Schlüs-
Abb. 42: Ziegelöfen Abb. 43: Ausstellung 3. Abschnitt
51
sel des Regimes, die Bevölkerung stumpf gegen Gewalt und blind
vor Hass zu machen.
Der Völkermord der Hutu an den Tutsi in Ruanda ist im Vergleich zu
den beiden anderen Beispielen das aktuellste, aber auch unorga-
nisierteste Beispiel für einen Genozid. Beinahe 75 % der in Ruanda
als Minderheit lebenden Tutsi fielen dem Hass der Hutu zum Op-
fer. Aber auch Hutus, welche sich aktiv gegen die Gräueltaten ihrer
Stammesmitglieder wehrten oder mit den Tutsis kollaborierten
wurden getötet. 100 Tage lang dauerte das Töten in dem Afrika-
nischen Staat an, ehe die Weltbevölkerung und Regierungen Ende
1994 eingriffen.
In der Ausstellung werden die Parallelen dieser Ereignisse aufge-
zeigt, aber auch mutige und ehrenwerte Menschen präsentiert,
welche sich solchen Entwicklungen entgegenstellten.
Der restliche Teil des dritten Abschnitts widmet sich auch der Ver-
meidung von Fremdenhass und Intoleranz durch Installationen,
Multimedia-Tablets und Schriften. So soll Verständnis und Toleranz
gestärkt werden.
EndE dEs rundgangs
Mit diesem Teil endet der Rundgang der Gedenkstätte Camp les
Milles in einem großen, durch eine komplette Fensterfront belich-
teten Raum, in dem der Besucher die Möglichkeit hat sich im Mu-
seumsshop weitere Informationsmaterialien zu beschaffen oder
in der Cafeteria zu verweilen und das erlebte auf sich wirken zu
lassen.
Fazit
Im Nachhinein erscheint der Rundgang wie eine Reise, aber nicht
nur wie eine Reise durch die Zeit, sondern auch wie eine Fahrt
durch die eigenen Empfindungen. Startend im bedrückenden
dunklen Foyer durch den ersten Teil mit vielen Fakten und Daten,
welche einem das Gefühl des Ursprungs vermitteln, weiter über
das Elend des Holocaust und der Gefangenschaft im Camp. Dies
wird mit dem Rundgang durch in den winzigen Gängen, niedrigen
Öfen und großen Schlafhallen noch gestärkt. Von hier an geht die
Reise weiter zum dritten reflektierenden Teil welcher durch seine
weiße Gestalt die Schrecken nicht verschönert, jedoch auch Mut
für die Zukunft in einer toleranten und friedlichen Gesellschaft
macht.
Abb. 44: Camp Alltag
52
5353
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Das MuCEM 1
Abb. 2: Auf der Dachterrasse des La Friche 2
Abb. 3: Modell des La Friche 3
Abb. 4: Dachterrasse La Friche 3
Abb. 5: Streetart 5
Abb. 6: IMarseille Vieux Port, J4, CMA CGM Tower 10
Abb. 7: Ombrière am Vieux Port 11
Abb. 8: Fort Saint-Jean und MuCEM bei Nacht 12
Abb. 9: Entwicklung Marseille 17
Abb. 10: Die sechs EPCI (établissements publics de coopération intercommunale) der zukünftigen Metropolregion 18
Abb. 11: Besuch le campus de Luminy 19
Abb. 12: Kulturelle Elemente der Metropolregion 20
Abb. 13: GR 2013 Übersichtskarte 21
Abb. 14: Le Corbusier 25
Abb. 15: Le Corbusier - Schnittzeichnung der L-förmigen Wohnungen 26
Abb. 16: Atelier 26
Abb. 17: Unite d‘ Habitation 26
Abb. 18: Fenster im Erdgeschoss Außenfassade 27
Abb. 19: Fenster im Erdgeschoss Innenfassade 27
Abb. 20: Spuren von Vandalismus im Parc de Séon 29
Abb. 21: La Viste - Grundriss 30
Abb. 22: Parc Maurelette - Grundriss 31
Abb. 23: Gated Community 32
Abb. 24: Urban Gardening Projekt 32
Abb. 25: Wasserbassin im Parc Brégante 32
Abb. 26: Blick auf das Consolat Mirabeau 32
Abb. 27: Hafengelände Nähe Haltepunkt Navette 33
Abb. 28: Der Alte Hafen 38
Abb. 29: Ausschnitt des Pannier Quarters 39
Abb. 30: Die Ombrière am Alten Hafen 40
Abb. 31: Die „Nouvelle Cathédrale de la Major“ 41
Abb. 32: Camp les milles Frontansicht 45
Abb. 33: Wagon der Deportationszüge 46
Abb. 34: Ausstellung 1. Abschnitt 46
Abb. 35: Innenhof mit Gefangenen 47
Abb. 36: Ausstellung 2. Abschnitt 47
Abb. 37: Dachgeschoss, ehemaliger Schlafsaal 48
Abb. 38: Wandgemälde Herz 48
Abb. 39: Wandgemälde 1 48
Abb. 40: Feuchtwanger im Camp les milles 49
Abb. 41: Wandgemälde Masken 49
Abb. 42: Ziegelöfen 50
Abb. 43: Ausstellung 3. Abschnitt 50
Abb. 44: Camp Alltag 51
54
5454
... Marseille begegnete uns in fünf Tagen als Stadt extremer Ge-
gensätze, Spannungen und Widersprüchlichkeiten, eine Stadt,
die sich gleichtzeitig im Aufschwung und in Agonie befindet,
„energies et frustrations“ (Lanaspeze 2006) ausstrahlt.
Wir haben uns der Stadt auf verschiedene Weise genähert: so ha-
ben wir zum einen die Vorzeigeprojekte besichtigt und von Ex-
perten der Stadtentwicklung ihre Entstehungszusammenhänge
erklärt bekommen (das Mucem und die renovierte Promenade,
den umgebauten und neu möblierten Vieux Port, die Ergebnisse
der Stadtregeneration im Viertel um die Rue de la République und
Belsunce) - zum anderen haben wir sozial segregierte Stadtland-
Diary ...
schaften durchstreift und auch vieles zu ihrer Geschichte erfah-
ren: im priviligierten Süden befindet sich die Unité d‘Habitation
und das Universitätsgelände von Luminy, im Norden trafen wir
auf bekannte Grands Projets der 1960er Jahre, denen wir uns nur
auf Abstand nähern konnten - und wir haben das Herz der neuen
Metropolregion Marseille-Aix um den neuen TGV Bahnhof herum
durchwandert.
Das Diary sammelt individuelle Eindrücke und Gedankensplitter
der Exkursionsteilnehmer_innen und und spiegelt auf den fol-
genden Seiten vielfältige Perspektiven auf Marseille.
Das regionale Zentrum für zeitgenössische Kunst FRAC im Joliette Viertel gehört zu den neuen kulturellen Wahrzeichen Marseilles.
(MARLÉNE DE SAUSSURE DI/20/5 Λ)
Eine tolle Exkursionsgruppe... und etwas Wind!
(MARLÉNE MI/21/5 V)
Prof. Jean-Lucien Bonillo verriet uns alle Geheimnisse der Bauten von Fernand Pouillon, die das Stadtbild entlang des Vieux Port prägen.
(MARLÉNE DO/22/5 Λ)
Mit Leidenschaft führte Jens Denissen die Gruppe auf dem GR2013, einem „sentier péri-urbain“ durch die suburbanen Landschaften von Aix und Marseille.
(MARLÉNE FR/23/5 V)
Steinruinen und grüne Landschaften bildeten einen perfekten Picknick Ort.
(MARLÉNE SA/24/5 Λ)
5555
Stadt der Gegensätze – Licht und Schatten, wohlsituiert und perspektivlos liegen in Marseille nahe beieinander.
(< KATHARINA MI/21/5)
Viele Straßen gewähren einen Blick auf den Hafen, in dem die Sonnenstrahlen mit dem Wasser spielen.
(KATHARINA GEIER DI/20/5 >)
Erster Einblick „Euromédi-terranée“
(SUSANN HOLLBACH DI/20/5 V)
Vieux Port: Treffpunkt, Erho-lung, Spaziergang, tägliche Metro-Station.
(SUSANN MI/21/5 Λ)
Körper und Seele eins mit der Natur.
(SUSANN SA/24/5 V)
Neue Erfahrungen: Grup-penwanderung auf dem GR 2013 Teil 1
(SUSANN FR/23/5 Λ)
Notre Dame de la Garde: Steiler Weg - unfassbare Aussicht.
(SUSANN DO/22/5 V)
Marseille ist bunt und vielfältig in vielerlei Hinsicht.
(ANNA HENSEL DI/20/5 >)
Metropolitane Raumerfahrung beschränkt sich nicht nur auf die Metropole an sich, sondern geht auch dreidimensional über die Stadtgrenzen hinaus.
(ANNA MI/21/5 >)
Die „Ombrière“ stellt das Leben der Marseil-ler im Vieux Port auf den Kopf.
(ANNA SA/24/5 V)
Manchmal bedeutet met-ropolitane Raumerfahrung auch, ins dunkelste Innere der Metropole zu blicken
(< ANNA DO/22/5)
„Eine hässliche Stadt“, wird der Besucher sagen und enttäuscht den Weg in die Stadt hinun-tergehen. Recht hat er, der Besucher, der erste Blick täuscht nicht, er braucht schon etwas Zeit und Lust, in den Mikro-kosmos einzutauchen, um das wahre, das einmalige Marseille zu entdecken.“ (Thomas Trüb)
(< ANNA FR/23/5)
56
5656
Die geplante Theorie sieht in der Praxis ganz anders aus.
(PAUL NEUMANN DI/20/5 Λ)
Die mediterrane Schlüterstraße hat neben Wettervorteil auch den besseren Kaffee.
(PAUL MI/21/5 V)
Unite d‘ Habitation - Be-zahlbare Wohnungen für Jedermann mit Ausblick und Wellness als Topping.
(PAUL DO/22/5 Λ)
Die historische Stadt unter neuen Blickwinkeln.
(PAUL FR/23/5 V)
GR13 – für die einen so, für die anderen so.
(PAUL SA/24/5 Λ)
Wohnungswahl? Al-les richtig gemacht! Dank an Fernand Pouillon!
(ANTON BOMBACH DI/20/5 Λ)
„Skyscrapers as a part of a modern metropol!“ Aber die Hochhäuser der 70er missfallen.
(ANTON MI/21/5 V)
Gefundenes Fressen für alle, die sich auch für Architektur interessieren.
(ANTON DO/22/5 Λ)
Der Vorläufer des MuCEM´s als Kontrast zur „fließenden“ Umweltkatastrophe
(ANTON FR/23/5 V)
Dies hätte die erste Aussicht auf die Stadt sein sollen.
(ANTON SA/24/5 Λ)
Die eigenartigen Straßen – schmale, mit Metallabsper-rungen abgetrennte Gehwe-ge, die offenen Regenrinnen.
(< KATHARINA DO/22/5)
Der Hafen, im Zentrum der kompakten Stadtstrukturen, macht diese Stadt so einzigartig.
(KATHARINA FR/23/5 V)
Das Panier-Viertel – char-mante Gassen und liebens-werte Bewohner.
(KATHARINA SA/24/5 >)
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Marseille ist eine Stadt, deren Charakter durch hohe Baudichte, Lärm, Chaos und viel Verkehr gekennzeichnet ist.
(< JESSIKA MI/21/5)
Marseille ist eine Stadt, die trotz hoher städtebaulicher Dichte auch kleine grüne Oasen zu bieten hat.
(JESSIKA WOLF DI/20/5 >)
Das la Friche, ein Ort zur kreativen und individuel-len Entfaltung, wäre eine Bereicherung für jede Stadt.
(INGRID DI/20/5 V)
Das Muceem beinhaltet nicht nur einzigartige Kunstwerke - es selbst ist ein Meisterwerk modernen Architektur.
(INGRID DO/22/5 V)
Auf den beschwerlichen Spuren des GR_2013.
(INGRID SA/24/5 V)
DachLandschaften: L‘ Unité d‘habitation à Marseille
(INGRID MI/21/5 Λ)
Moderne Architektur im Herzen von Marseille.
(INGRID FR/23/5 Λ)
Besonders spannend wie die Kreative Szene Marseilles Räu-me in der Stadt für sich nutzt und sie künstlerisch aufwertet.
TINA STEINKE DI/20/5 V)
Interessante Führung die einen die sozialen Disparitäten Mar-seilles unverblümt vor Augen geführt hat.
(TINA DO/22/5 V)
Auf den Spuren des GR 2013 mit Spazier-gangskünstler Hendrik Sturm. Hier erkannte man besonders wie Wirtschaftswachstum und boomende ver-dichtete Städte, neben sich selbst überlassenen Naturarealen existieren.
(TINA SA/24/5 V)
Die „Schlüter-Straße“ Marseilles mit einer besonderen Architek-tur und spannenden Gesprächen.
(TINA MI/21/5 Λ)
Abwechslungsreiche Wanderung auf dem GR 2013, der nicht nur die Landschaft der Metropolre-gion von ihrer besten Seite zeigte, sondern auch das Gruppengefühl stärkte.
(TINA FR/23/5 Λ)
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La place du Général-de-Gaulle – Wenn Gestaltung mit Lärm kollidiert …
(JANA STIEF DI/20/5 Λ)
Le musée d’histoire de Marseille - Raum für Ruhe inmitten archäo-logischer Funde ...
(JANA MI/21/5 V)
La Basilique Notre-Dame de la Garde – immer ein Blickfang wert …
(JANA DO/22/5 Λ)
In der Provence – Müllentsorgung mal anders ...
(JANA FR/23/5 V)
GR 2013 - Wenn Wandern zur Herausforderung wird ...
(JANA SA/24/5 Λ)
Ein schöner Einstieg in die umfangreiche The-matik der Exkursion war sowohl der Blick in die Kreativszene als auch über die Stadt!
(ISABELLE TISCHER DI/20/5 Λ)
Marseille aus hunderten von Blickwinkeln, und sattsehen kann man sich trotzdem nicht!
(ISABELLE MI/21/5 V)
Besonders interessant fand ich die Führung durch Marseille, weit abseits der verschönten Touristen-Pfade! Der Blick ließ sich so für eine ganz neue Sicht auf diese Stadt schärfen.
(ISABELLE DO/22/5 Λ)
Atemberaubend schöne aber auch erschreckende Ausblicke konnten wir auf dem GR2013 zusammen mit Jens Denissen erleben!
(ISABELLE FR/23/5 V)
Eine Wanderung durch die ru-ralen Räume der Metropolre-gion Marseille-Aix mit Hendrik Sturm. Mit seiner Begeisterung für die Geschichten des Ortes konnte er uns anstecken und einen schönen Abschluss der Exkursion bereiten!
(ISABELLE SA/24/5 Λ)
Marseille ist eine Stadt, in der man im le musée d’histoire de Marseille archäologischer Funde bestaunen kann.
(< JESSIKA DO/22/5)
Marseille ist eine Stadt, dessen Hauptmerkmal der Vieux Port ist, der immer wieder zahlreiche Marseiller und Besucher ma-gisch anzieht
(JESSIKA SA/24/5 >)
V.-Prof. Dr.-Ing. Celina Kress Planungstheorie und StadtbaugeschichteFakultät Architektur und StadtplanungStudiengang Stadt- und RaumplanungFachhochschule Erfurt - University of Applied SciencesSchlüterstraße 1 | D-99089 ErfurtInternet: www.fh-erfurt.de/arc/