familiäres vorkommen von leukose

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Acta Medica Scandinavica. Vol. LXXIV, fase. YI, 1931. Aus der medizinischen Universitatsklinik des Reichshospitals, Abt. A (Dir. Prof. Dr. C. Lundsgaard f-> und dem pathol. anatom. Institut der Unirersitat, Kopenhagen (Dir. Prof. Dr. Poul Merller). Pamiliiires Vprkoinmen yon Leukose.' Ton Privatdoc. Dr. SVEND PETRI, Prosektor. Im Folgenden sol1 eine vorlaufige Mitteilung iiber Leukose- Erkrankung bei zwei Mitgliedern derselben Familie gegeben und iiber die infolge dieser Beobachtung vorgenommenen Unter- suchungen kurz berichtet werden. Im Herbst 1925 wurden innerhalb eines Monats 2 Briider aus Odsherred mit chronischer lymphatischer Leukose auf die medi- zinische Abteilung A des Reichshospitals aufgenommen. Die Pa- tienten, beide ehemalige Hofbesitzer, sind 1872 und 1874 geboren; sie haben stets in derselben Gegend, die letzten 27 Jahre aber nicht mehr im selben Haus zusammen gewohnt. Aus den Kran- kenjournalen sei im iibrigen nur angefiihrt, dass die Krankheit bei ihnen sich fast gleichzeitig (April und Juni 1925) bemerkbar machte; der jiingere war starker befallen. Wahrend die Diagnose lymphatische Leukamie keinen Zweifel zuliess, fand sich ein recht eigentiimlicher Unterschied in den Manifestationen und dem Verlauf der Krankheit. Beide Patienten sprachen auf die ein- geleitete Behandlung sehr gut an: der altere erhielt nur Rontgen- behandlung, der jiingere fast ausschliesslich Arsenikpraparate. Bei ihm hat moglicherweise eine schwere, im Krankenhaus ent- standene Phlebitis ihren grossen, nicht uninteressanten -4nteil am giinstigen Krankheitsverlauf. eigentiimliche, hierzulande bisher nicht beschriebene Auftreten chronischer Leukamie hat natiirlich die Frage aufge- Dieses Mitgeteilt in der Kopenhag. Geseiischaft f. innere Med. "/II 1929. Die vorliegenden Untersnchnngen wnrden mit Unterstiitznng des >A. Hassel- Znr Redaktion eingegangen am 18. Dez. 1930. balch-Fonds fur Lenkamie-Untersnchnngeni ansgefiihrt.

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Page 1: Familiäres Vorkommen von Leukose

Acta Medica Scandinavica. Vol. LXXIV, fase. YI, 1931.

Aus der medizinischen Universitatsklinik des Reichshospitals, Abt. A (Dir. Prof. Dr. C. Lundsgaard f->

und dem pathol. anatom. Institut der Unirersitat, Kopenhagen (Dir. Prof. Dr. Poul Merller).

Pamiliiires Vprkoinmen yon Leukose.' Ton

Privatdoc. Dr. SVEND PETRI, Prosektor.

Im Folgenden sol1 eine vorlaufige Mitteilung iiber Leukose- Erkrankung bei zwei Mitgliedern derselben Familie gegeben und iiber die infolge dieser Beobachtung vorgenommenen Unter- suchungen kurz berichtet werden.

Im Herbst 1925 wurden innerhalb eines Monats 2 Briider aus Odsherred mit chronischer lymphatischer Leukose auf die medi- zinische Abteilung A des Reichshospitals aufgenommen. Die Pa- tienten, beide ehemalige Hofbesitzer, sind 1872 und 1874 geboren; sie haben stets in derselben Gegend, die letzten 27 Jahre aber nicht mehr im selben Haus zusammen gewohnt. Aus den Kran- kenjournalen sei im iibrigen nur angefiihrt, dass die Krankheit bei ihnen sich fast gleichzeitig (April und Juni 1925) bemerkbar machte; der jiingere war starker befallen. Wahrend die Diagnose lymphatische Leukamie keinen Zweifel zuliess, fand sich ein recht eigentiimlicher Unterschied in den Manifestationen und dem Verlauf der Krankheit. Beide Patienten sprachen auf die ein- geleitete Behandlung sehr gut an: der altere erhielt nur Rontgen- behandlung, der jiingere fast ausschliesslich Arsenikpraparate. Bei ihm hat moglicherweise eine schwere, im Krankenhaus ent- standene Phlebitis ihren grossen, nicht uninteressanten -4nteil am giinstigen Krankheitsverlauf.

eigentiimliche, hierzulande bisher nicht beschriebene Auftreten chronischer Leukamie hat natiirlich die Frage aufge-

Dieses

Mitgeteilt in der Kopenhag. Geseiischaft f. innere Med. "/II 1929. Die vorliegenden Untersnchnngen wnrden mit Unterstiitznng des >A. Hassel-

Znr Redaktion eingegangen am 18. Dez. 1930. balch-Fonds fur Lenkamie-Untersnchnngeni ansgefiihrt.

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worfen, ob diese beiden Falle auf Hereditat, gemeinsamer ausserer Ursache, Infektion oder nur auf einem Zufall beruhen? Zur Lo- sung dieser Frage wurde teils die Literatur auf Mitteilungen uber familiares Vorkommen von Leukamie durchgesehen, teils wurde die Aufmerksamkeit auf die iibrigen Familienmitglieder der Pa- tienten, im besonderen beziiglich eventueller Blutveranderungen gerichtet. Daran schloss sich selbstverstandlich eine Untersuchung an, ob in der betreffenden Gegend sich besondere Umstande auf- finden lassen, die als ursachliche Momente mit dem Auftreten der Krankheit in Verbindung gebracht werden konnen.

Aus der Literatur lassen sich 32 (33 Falle umfassende) Mittei- lungen uber familiares Vorkommen von Leukamie zusammen- stellen. Wahrend einige Publikationen leider ausserst kurz und unvollsttindig sind, zeigt sich bei naherer Durchsicht der aus- fiihrlicher referierten Krankengeschichten, dass man - mit der auch von anderen gehegten Auffassung iibereinstimmend - einige, vorzugsweise altere Falle, ausscheiden muss. Die seit 1908 veroffentlichten miissen jedoch, bis auf einzelne Ausnahmen, als zweifellos angesehen werden. Unter diesem Vorbehalt liegen dann 11 Mitteilungen von im ganzen 12 typischen Fallen sowie 3 eigen- tumliche Kombinationsformen vor. Ihre genauere Analyse hat gewisse interessante Momente zu Tage treten lassen, die kurz beriihrt werden sollen.

Bei einer Aufstellung der Falle nach Krankheitsverlauf und Krankheitsformen erhalt man: 2 akute Falle (davon 1 lympha- tisch, 1 rein myeloisch); 6 chronische Falle (5, event. 6, rein lym- phatische) sowie 4 gemischte Falle (akut, subakut, chronisch lymphatisch und myeloisch). Hieran schliessen sich ein paar eigentiimliche Falle an, die von Braun und Richards beschrieben worden sind; es handelte sich um Knochensarkom, malignes Lymphom, Pseudoleukamie bei 3 Geschwistern mittleren Alters, bezw. um Lymphosarkom und lymphatische Leukamie bei Vater und Tochter. Ein Fall von Schumann: perniciose Aniimie - akute splenomedullare Leukamie bei Mutter und Tochter fallt etwas aus den oben angefiihrten heraus.

Auffallig ist besonders das starke Uberwiegen der lympha- tischen Leukosen sowie das Auftreten maligner, lymphatischer Tumoren entweder bei mehreren Mitgliedern derselben Geschwis- terschar oder das gleichzeitige Auftreten mit lymphatischer Leu- kamie. Auf die Verteilung unter die Geschlechter, auf die Zahl der befallenen Familienmitglieder, ihr Alter, die Krankheits-

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dauer u. a. braucht hier nicht naher eingegangen zii werden. Bezuglich der Verwandtschaftsverhaltnisse der Leukamiker sei nur angefuhrt, dass die Krankheit bisher in der Regel auf eine Generation (eine Geschwisterschar, selten die direkten Vettern und Cousinen) beschrankt blieb; hier und da werden jedoch auch Falle aus zwei aufeinander folgenden Generationen mitgeteilt. nberspringung einer oder mehrerer Generationen ist nicht be- obachtet worden.

Die Auffassungen von dem Auftreten der Leukamie sind be- kanntlich verschieden; abgesehen von den recht wenigen An- hangern der Korrelationstheorie schliessen sich die meisten ent- weder der Tumor- oder, was augenblicklich iiblicher zu sein scheint, der Infektionstheorie an.

Durch die moderne Erblichkeitsforschung sind bekanntlich auch bei der Gruppe der Blutkrankheiten Verhaltnisse zu Tage gekommen, die zeigen, dass die Krankheitsmanifestation an das Vorhandensein gewisser Erbfaktoren gebunden ist. Es liegt daher nahe, auch bei der Leukamie mit der Moglichkeit zu rechnen, dass sich eine gewisse familiare Disposition oder ein regularer Erbfaktor geltend machen konnte. I n den vorliegenden Mittei- lungen bezw. auf Grund derselben wurden jedoch keine rationellen Versuche zur Beleuchtung dieser Verhaltnisse angestellt; in der Regel beschrankte man sich darauf, die beobachteten Falle als auf Vererbung beruhend zu registrieren.

Es durfte daher ein gewisses Interesse haben, die bisher er- schienenen Publikationen teils vom Gesichtspunkt der Verer- bung, teils von dem der Infektion aus zu betrachten.

Zur Beleuchtung der ersten Fragen mussen 1) die Falle familiar auftretender Leukamie dienen, wo die Individuen mehreren Familienzweigen in verschiedenen Generationen angehoren; 2) die in Verwandten-Ehen auftretenden Leukamiefalle sowie 3) die Falle, wo die Krankheit bei Zwillingen auftrat. Das vorhan- dene Literaturmaterial gestattet nicht, das Auftreten der Leuka- miefalle auf bekannte Vererbungsregeln zuriickzufuhren, da es nicht gelinngt, etwas Bestimmtes uber einen dominierenden oder recessiven Faktor, das Vorliegen mehrerer Faktoren, geschlechts- gebundene Vererbung u. a. herauszubekommen. Nur das bereits erwahnte Braun’sche Beispiel konnte vielleicht dafiir sprechen, dass die Krankheit durch einen recessiven Faktor bedingt war.

Auf Grund der Literaturdurchsicht lasst sich somit kein be- stimmter Vererbungstyp feststellen. Als Zeichen dafur, dass sich

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eine gewisse erbliche Disposition vielleicht dennoch geltend macht, hat man Erfahrungen angefuhrt, nach denen der Status thymo- lymphaticus fur die Entstehung lymphatischer Leukose pra- disponierend sein soll.

Betrachtet man andererseits das Material unter dem Gesichts- winkel der Infektion, so kann nicht geleugnet werden, dass man stets wird Umstande anfuhren konnen, die mit ebensolchem Recht fur diese Entstehungsweise sprechen: gemeinsame Wohnung, ge- meinssme Arbeit, nahe Beriihrung mit einander wahrend kiirzerer oder langerer Zeit u. s. w.

Solange noch eine Zusammenstellung der absoluten Zahlen der Leukosefalle sowie eine Untersuchung daruber fehlt, wieviele von ihnen innerhalb begrenzter Bezirke vorkommen, darf man j eden- falls Mitteilungen iiber das Vorkommen von Leukamie bei Na- heverwandten und Zusammenlebenden keine allzugrosse Bedeu- tung fur die Vererbungs-Auffassung beilegen.

Urn der Losung der Frage wo moglich etwas naher zu kommen, und um einige Fehler der bisherigen Publikationen uber familiare Leukamie auszuschalten, habe ich die ganze Familie der beiden Leukamiker einer eingehenden Untersuchung unterzogen.

Vor allem wurde der Gesundheitszustand der beiden Patienten seit ihrer Entlassung aus dem Reichshospital im Jahre 1925 genau verfolgt, wie auch ihre Lebensverhaltnisse eingehend untersucht wurden.

Ferner suchte man, sich eine Ubersicht iiber die Gesamtzahl der Familienmitglieder sowie uber ihre Gruppierung innerhalb der verschiedenen Generationen zu verschaffen. Der Familienzweig, zu dem die Patienten gehoren, wurde besonders eingehend unter- sucht; dasselbe gilt fiir die Angeheirateten.

Auf Grund der Aussagen der Ortsarzte' und der einzelnen Familien sowie durch eigenen Augenschein vergewisserte ich mich, dass die Mitglieder anderer Familienzweige gesund waren. In den Fallen, wo der geringste Zweifel, spec. iiber das Vorliegen einer Blutkrankheit vorlag, wurden die betreffenden genauer untersucht.

Schliesslich habe ich Erkundigungen iiber verschiedene andere Verhaltnisse, so uber die bisherige und jetzige Lebensfuhrung, die ausseren Verhaltnisse, die Arbeitsverhaltnisse sowie iiber den Gesundheitszustand in der Gegend, spec. mit Bezug auf das Auf- treten von Blutkrankheiten bei Menschen und Tieren eingezogen.

spec. Dr. C. Bennov in Asnaes.

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536 SVEND PETRI.

Tiff-

?

Ansschnitt des Stammbanmes, denjenigen Zweig nmfassend, dem die hier besprochenen Lenkode-Patienten angehhen.

Das Ergebnis meiner Untersuchungen war in Kurze folgendes: Von den beiden Leukamikern ist der altere vor Jahr, kurz

nach der Rontgenbehandlung in einem ortlichen Krankenhaus gestorben; der andere hat jetzt als einziges Zeichen der friiheren Leukose dauernd eine ganz leicht vergrosserte Milz, im iibrigen keine nachweisbaren pathologischen Veranderungen, spec. keine Veranderungen des Blutbildes.

Die Stammtafel der kinderreichen Familie wurde sowohl von der vaterlichen wie von der mutterlichen Seite aufgestellt; auf beiden Seiten hat man fur 6 Generationen so sichere Angaben, wie sie uberhaupt nur zu beschaffen sind. Die Familie ist durch- wegs gesund, ohne irgendwelche Belastung. Die Mitglieder er- reichen meist ein hohes Alter. Nur einmal fand Einheiratung unter nahen Verwandten statt. Die Familien pflegen einigen Verkehr untereinander; die Bauerngehofte sind Generationen hin- durch vererbt worden. Mit einer einzigen Ausnahme war keiner ausser Landes.

Das Auftreten der Leukamie bei den beiden Brudern ist ein ganz isoliertes Phanomen. Bei einzelnen alteren und jungeren Familienmitgliedern, darunter der Schwester der Patienten, liess

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sich eine etwas schwankende, relative Lymphocytose nachweisen. Eine Cousine hat eine sehr schwere sekundare Anamie. Die Kinder und Neffen und Nichten der Patienten sind alle gesund.

Es sei noch angefiihrt, dass im Lauf der letzten Jahre in der Gegend (in der Umgebung des ausgetrockneten Lammef jord) drei andere leukamieartige Falle sowie Lymphosarcom bei verschiede- nen Familien beobachtet wurden. Zusammen mit den obigen zwei Leukamikern sind das die einzigen Falle, die in weitem Umkreis a n einer Bevolkerungszahl von ca. 3,500 in den letzten 15 Jahren zur Beobachtung gekommen sind.

Es ist verstandlich, dass man vor einiger Zeit den Gedanken fasste, zu untersuchen, ob sich hierzulande 1) andere ))familiare)) Falle, sowie 2) mehrere Leukamie-Falle innerhalb ein und des- selben begrenzten Landgebiets fanden. Zu diesem Zweck wurde iiber die genannten zwei Punkte eine Rundfrage an gut 2,000 praktische Arzte gerichtet. Bis jetzt sind von ca. 87 % der Arzte Antworten eingegangen, von denen ca. 1 % die Pragen bejahen. Wieviel neue, jetzt lebende Falle diesen entsprechen, lasst sich erst entscheiden, wenn das Material eingehender bear- beitet ist.

Zusammenfassung.

Es wird iiber den Krankheitsverlauf von chronischer lympha- tischer Leukamie bei zwei Briidern mittleren Alters kurz berichtet.

Friiher veroffentlichte Leukosef alle, die in ein und derselben Pamilie auftraten, werden referiert und vom Gesichtspunkt: Vererbung-Infektion besprochen. Aus eingehenden Familien- untersuchungen geht hervor, dass das Auftreten von chronischer lymphatischer Leukose bei den beiden Patienten ein ganz iso- liertes Phiinomen ist.

Weder aus der Literaturdurchsicht noch aus der vorgenomme- nen Untersuchung heraus ist es moglich, sich fur oder wider die eventuelle Bedeutung eines Vererbungsfaktors bei der Krankheit mit Bestimmtheit auszusprechen.

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