feld 2 feld 1 © fernuniversität in hagen / horst pierdolla hagener woche der philosophie...

44
Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann Was ist Wissen? Ein Grundproblem der Erkenntnistheorie

Upload: swanhilde-nann

Post on 06-Apr-2015

108 views

Category:

Documents


5 download

TRANSCRIPT

Page 1: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

Feld 2

FELD 1

© FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla

Hagener Woche der Philosophie

18.11.2013Gunnar Schumann

Was ist Wissen?Ein Grundproblem der Erkenntnistheorie

Page 2: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 211.04.23Folie 2

1.1 Die beiden Grundfragen der Erkenntnistheorie

(auch „Epistemologie/Epistemology“, wegen „Episteme“ – griech.: „Wissen“) Nach G. Ernst: „Einführung in die Erkenntnistheorie“, WBG Darmstadt 2010.

Erkenntnistheorie = die Disziplin der Philosophie, die sich mit zwei Grundfragen beschäftigt:

1. Grundfrage: „Können wir sicheres Wissen erlangen?“

Frage wichtig für unser Selbstverständnis als Menschen es ist die Frage nach den Grenzen unseres Wissens, ein

Bestimmungsversuch dessen, was wir als sicheres Wissen bezeichnen können und was nicht

Frage nach der Grenze / Möglichkeit unseres Wissen ist vllt. die Hauptfrage der Erkenntnistheorie, aber man kann sie nicht zuerst erledigen/abhandeln, denn sie zieht unmittelbare eine weitere nach sich:

Page 3: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

1.1 Die beiden Grundfragen der Erkenntnistheorie

2. Grundfrage: „Was ist Wissen?“ = Frage nach „dem Wesen“ oder „der Natur“ oder „der Definition“ von

Wissen In d. analyt. Phil. Dominant; schon bei Platon: Theaitetos

die Frage „Was ist Wissen?“ verzweigt sich: Wie groß ist die Domäne des Wissens? Von welchen Sachverhalten können wir Wissen haben? Was ist der Unterschied zw. Glauben und Wissen? Ist mathematisches Wissen sicherer als Wahrnehmungswissen? Kann reine Vernunft Wissen von der Außenwelt erlangen? Ist Wissen absolut (ewig) oder relativ? Ist absolutes Wissen für uns erwerbbar? Kann man moralisches Wissen haben? Können wir wissen, ob Gott existiert oder ob die Seele unsterblich ist? Gehört Glauben / Überzeugung zum Wissen oder ist es unverträglich damit?

zu wissen, dass Jill größer ist als Jack ≠ wissen, dass rosa heller ist als rot den Unterschied zwischen richtig und falsch zu wissen ≠ Unterschied zwischen Granny

Smith und Golden Delicious Äpfeln zu kennen zu wissen, was ich will ≠ zu wissen, was du willst zu wissen, wie man etwas tut (Fahrrad fahren) ≠ zu wissen, dass etwas der Fall ist

Page 4: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

1.1 Die beiden Grundfragen der Erkenntnistheorie

welche Fragen die 2. Grundfrage nach sich zieht, hängt davon ab, wie sie beantwortet wird

denn selbstverständlich muss man nur dann bspw. die Frage beantworten, was eine Überzeugung ist, wenn man glaubt, dass eine-Überzeugung-haben zum Wissen dazugehört

eine Wesensfrage zieht weitere Wesensfragen nach sich

Page 5: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

1.2 Erkenntnistheorie und andere Disziplinen

die Fragen, die sich an die zweite Grundfrage anschließen, werden nicht alle wiederum in der Erkenntnistheorie behandelt

welche philosophischen Disziplinen nun Nachbardisziplinen der Erkenntnistheorie sind, das hängt eben davon ab, welche Auffassung von Wissen man vertritt

Philosophie wird oft unterteilt in „Theoretische“ und „Praktische Philosophie“:

TP: Sprachphilosophie, Metaphysik, Erkenntnistheorie, Phil. d. Geistes, Logik, Philosophie der Logik, Wissenschaftstheorie, Phil. der Mathematik, Metaethik

PP: Ethik, Rechtsphilosophie, politische Philosophie, Geschichtsphilosophie, Ästhetik, Religionsphilosophie

Page 6: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

1.2 Erkenntnistheorie und andere Disziplinen

Nachbardisziplinen der Erkenntnistheorie:

Wenn Wissen etwas mit Wahrheit zu tun hat: Sprachphilosophie, Logik, Metaphysik

Wenn Wissen etwas mit Überzeugungen zu tun hat: Phil. des Geistes

Wenn Wissen etwas mit Rechtfertigung zu tun hat: Ethik, Metaethik

Wenn Wissen etwas mit Ursachen zu tun hat: Metaphysik, Wissenschaftstheorie

Page 7: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

1.2 Erkenntnistheorie und andere Disziplinen

jedenfalls zeigt die unterschiedl. Mögl. der Einordnung der Erkenntnistheorie, wie sehr die ET in das Netz der phil. Disziplinen eingeordnet ist – so sehr, dass sie bis in 19. Jh. hinein gar nicht als eigenständige phil. Disziplin wahrgenommen worden ist obwohl sie schon immer zum festen Kanon der Philosophie zählte, d.h.

alle großen Philosophen haben sich mit Fragen und Problemen der ET beschäftigt

seit dem 17. Jh. spielte ET sogar eine privilegierte Rolle: Klassiker der ET: Descartes (Discours de la Methode; Meditationes), Locke

„An essay concerning human understanding“, Berkeley „A treatise concerning the principle of human knowledge“, Hume: “A treatise of human nature”, “An inquiry concerning human understanding”, Kant: KrV

seither hat die ET den Status einer Grundlagendisziplin auch wenn ihr seit dem 20. Jh. innerhalb der analyt. Philos. die

Sprachphilosophie und in der nicht-analyt. (kontinentalen) Philosophie die Ontologie ihr den Rang streitig gemacht haben

Page 8: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

2.1 Cartesischer Skeptizismus

Ausgangspunkt für den Skeptizismus ist die kaum bestreitbare Tatsache, dass wir uns gelegentlich täuschen:

z.B.: Optische Täuschungen Träume: wir halten das Erlebte für real

Aber der Skeptiker muss sich gar nicht auf Träume und opt. Sinnestäuschungen berufen, sondern kann den Umstand ins Feld führen, dass es ja einen bösen Dämon („genius malignus“) geben könnte, der es schafft, uns permanent zu täuschen = Descartes’ Gedankenexperiment (erste Hälfte 17. Jh.) moderne Version: Gehirn-im-Tank

Page 9: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

2.1 Cartesischer Skeptizismus

Woher wissen wir nun, dass wir nicht Gehirne im Tank sind? Die einzig mgl. Antwort scheint zu sein: Wir wissen es nicht Man kann auf die Herausforderung des Skeptikers nicht entgegnen:

das skeptizistische Szenario ist unwahrscheinlich, denn wir wissen nicht einmal das!

= „radikale Skeptizismus“ „radikal“, weil er den Umfang unseres gesamten Wissens bezweifelt

Descartes entwickelt zwar diesen Skeptizismus aber Descartes ist kein „radikaler“, sondern ein „methodischer

Skeptiker“ D. sucht absolut sicheres Fundament für Überzeugungen und dafür

schließt er zunächst alles aus, was nicht als sicheres Fundament dienen kann

Page 10: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

2.2 Agrippinischer Skeptizismus

Wenn wir also unsere Überzeugungen begründen wollen, scheint ein Problem zu entstehen:

Angenommen, ich behaupte, dass p („p“ ist Variable, die für eine beliebige Aussage steht)

dann werde ich p begründen müssen (keine Aussage kann sich selbst begründen), indem ich eine andere Behauptung anführe: q

aber wie wird nun q gerechtfertigt? a) durch r, s, t ... infiniter Regress – keine Begründung b) durch Abbruch der Kette – keine Begründung, Dogmatismus c) durch Zirkel, aber dann wäre es , als rechtfertige sich p letztlich

durch sich selbst – also wieder keine Begründung

weitere Möglichkeiten scheint es nicht zu geben und alle sind erfolglos : also ist es prinzipiell nicht möglich, Wissen zu haben

auch: „Münchhausen-Trilemma“

Page 11: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

Welches Wissen/Welche Bereiche des Wissens werden

eigtl. durch die beiden Skeptizismen in Frage gestellt? Agrippinische Sk.: unser Wissen überhaupt Cartesische Sk.: Wahrnehmungswissen

Wahrnehmung ist jedoch nicht die einzige Quelle der Erkenntnis, es gibt auch noch: Erinnerung (eher e. Form des Wissens) Vernunft Zeugnis Anderer „testimonial“ einige Philosophen: Introspektion

letztlich denken wir aber: der Skeptiker kann nicht recht haben, irgendetwas müssen wir doch wissen, selbst dann, wenn wir uns hin und wieder täuschen

Page 12: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

3. Die Methode der analyt. Erkenntnistheorie: Begriffsanalyse

wenn wir den Umfang unseres Wissens klären wollen, dann müssen wir die Natur von Wissen bestimmen = „Wesen“ einer Sache zu erfassen

Wie geht man nun dabei vor? notwendige Bedingungen: wenn eine Eigenschaft einer Sache

notwendigerweise zukommt, dann gehört sie zu seinem Wesen d.h. wenn sie diese Eigenschaft eben haben muss, z.B. „Junggesellen“ und

„unverheiratet“ „Junggesellen“ und „unverheiratet“ vs. „spät ins Bett gehen“

selbst wenn alle Junggesellen spät ins Bett gehen, dann wäre es immer noch keine notwendige Eigenschaft von Junggesellen, denn Junggesellen wären auch dann noch Junggesellen, wenn sie nicht spät ins Bett gehen würden, aber Junggesellen wären keine mehr, wenn sie verheiratet wären

„kontingente Eigenschaft“ manchmal wird dies auch so von Philosophen ausgedrückt, dass etwas

eine Eigenschaft „in allen möglichen Welten“ hat (oder das die entsprechende Aussage „X ist F“ eine „notw. Wahrheit“ sei)

Page 13: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

3.1 Begriffsanalyse

wenn man die Natur einer Sache bestimmt, interessieren nicht nur einzelne notw. Bedingungen, denn auch andere Dinge könnten die notwendigen Bedingungen haben, ohne diese Sache zu sein (nicht nur Junggesellen sind unverheiratet, auch manche Frauen, Kinder, Mönche, der

Papst und Witwer)

Man muss daher alle weitere notwendigen Bedingungen aufsuchen, „männlich“ „ist heiratsfähig“ „war noch nie verheiratet“ „muss sich nicht der Ehe enthalten“

so dass alle notwendigen Bedingungen zusammen genommen eine hinreiche Bedingung für „Junggeselle“ ergeben

am besten wäre also für den Wissensbegriff eine Liste von notwendigen Bedingungen, die zusammengenommen hinreichend sind, dafür, Wissen zu sein

Page 14: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

3.1 Begriffsanalyse

das Erforschen dieser notwendigen und hinreichenden Bedingungen = „Begriffsanalyse“

„Analytische Erkenntnistheorie“ die Frage nach der Natur oder dem Wesen des Wissens wäre durch eine

solche Analyse beantwortet

und, so wie die Erkenntnistheorie den Begriff des Wissens analysiert, so werden andere Begriffe von anderen Disziplinen der Philosophie analysiert:

Begriff des moralisch Guten in der Ethik Begriff der Gerechtigkeit in der Rechtsphilosophie / pol. Philosophie Begriff der Bedeutung in Sprachphilosophie Begriff der Wahrheit in Sprachphilosophie / Metaphysik, Begriff der Person in der Philosophie des Geistes / phil. Anthropologie Begriff der Ursache in der Wissenschaftstheorie Begriff der Handlung in der Handlungstheorie u.s.w.

Page 15: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

3.1 Begriffsanalyse

Wie geht man nun dabei vor, die notwendigen und hinreichenden Bedingungen eines Begriffs aufzusuchen?? „Apriorismus“ und „Naturalismus“

Der Apriorismus geht so vor: Wir suchen notw. und hinreichende Bedingungen für den Wissensbegriff „durch Nachdenken“:

„Armchair-Philosophy“

Damit jemand weiß, dass p, muss…

1. Schritt:) Man schlägt eine Bed. vor, die prima facie notw. zu sein scheint: Etwa: p muss wahr sein

2. Schritt:) man sucht Beispiele, um zu überprüfen, ob die Bed. tatsächlich notwendig ist bzw. ob sie schon hinreichend ist

finden wir ein oder mehrere Bsp.e, bei denen wir sagen würden, dass eine Person weiß, dass p, obwohl die in Frage stehende Bedingung nicht erfüllt ist, so handelt es sich um keine notw. Bedingung

Finden wir ein oder mehrere Bsp.e, bei denen wir sagen würden, dass eine Person nicht weiß, dass p, obwohl alle in Frage stehenden Bedingungen erfüllt sind, so handelt es sich bei ihnen um keine zusammengenommen hinreichenden Bedingungen

Im ersten Fall wird Bed. verworfen; im zweiten muss nach weiteren gesucht werden

Wenn eine Liste von Bedingungen sämtlichen Bsp.en standhält, ist man theoretisch fertig

Page 16: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

3.1 Begriffsanalyse

es ist klar, dass bei dieser Methode unsere Reaktion auf die Beispiele entscheidend ist – was „wir sagen würden“

„unsere Reaktion“ und „was wir sagen würden“ – mit „wir“ und „uns“ sind nicht ausgebildete Philosophen gemeint, sondern alle kompetenten Sprecher des Deutschen

jeder, der Deutsch (oder eine andere Sprache) spricht, kann dabei mitmachen

man braucht nur Sprachkompetenz zusätzlich vonnöten: eine gute sprachliche Vorstellungskraft; geschärftes

Bewusstsein dafür, welche Unterschiede es geben kann, sowie gute Fähigkeit,

auf das eigene Sprachvermögen zu achten

die philosophische Untersuchungsweise ist eine begriffliche, keine empirische, wie in den Einzelwissenschaften

Page 17: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

3.1 Begriffsanalyse

weil wir den Ausdruck „wissen“ bereits kompetent verwenden, wissen wir auch, unter welchen Umständen wir ihn gebrauchen und unter welchen nicht, so dass wir prinzipiell schon längst wissen, welche Bedingungen der W-Begriff erfüllen muss dabei haben wir zwar Begriffe irgendwann mal in unserer

Kindheit/Jugend empirisch erlernt, aber wenn wir sie einmal erlernt haben, dann brauchen wir keine weitere Erfahrung / Experimente, um herauszufinden, was im Wissensbegriff enthalten ist

es geht nur um das Explizitmachen von bereits Gewusstem, nicht um das in-Erfahrung-Bringen neuer Fakten über Wissen

aber das Explizitmachen der Bedingungen ist eine komplizierte, langwierige und geistig anstrengende Angelegenheit

Page 18: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

3.1 Begriffsanalyse

M.a.W.: in der Erkenntnistheorie geht es um eine begriffliche Untersuchung von Wissen und den anderen Begriffen, die mit Wissen zusammenhängen (Kennen, Gewissheit, Überzeugung, Glauben, Rechtfertigung, „Bekanntschaft“, Vermuten, Raten, Information, Erkenntnis, etc.)

Page 19: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

4.1 Der Gegenstand der analyt. ET: „Wissen-dass“

Es gibt viele Formen des Wissens und nicht alle sind tatsächlich relevant in der Erkenntnistheorie Man kann nicht nur wissen, dass p, sondern auch Wissen-wo

(Papua-Neuginea liegt), wer Caesar war, wann der Zug nach Köln abfährt, usw.

Doch diese Formen lassen sich offenbar in Wissen-dass-Sätze umformen

Wissen-wo = wissen, dass etwas an dem-und-dem Ort liegt Wissen-wann = wissen, dass etwas zu der-und-der Zeit geschieht Wissen-wer = wissen, dass die Person X diejenige ist, die…

aber was mit „Wissen-wie man Klavier spielt“? manche Philosophen sagen, es handelt sich um gar keine Form von

Wissen-dass, sondern eher eine Fähigkeit, ein Können, ja manchmal die Handlung selbst

Wissen-wie man X tut = wissen, dass dies-und-dies eine geeignete Methode ist, X zu tun

Page 20: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

4.2 Die klassische Analyse des Wissensbegriffes

Wahrheit als notwendige Bedingung für Wissen

Damit S weiß, dass p, muss…

…1) p wahr sein

(„die Menschen im MA wussten, dass die Erde eine Scheibe ist“ – damit will man in der Regel nur sagen, dass man es damals fest glaubte)

Page 21: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

4.2 Die klassische Analyse des Wissensbegriffes

Überzeugung als notwendige Bedingung für Wissen

Damit S weiß, dass p, muss…

…2) S muss glauben / überzeugt sein / meinen, dass p

manchmal nimmt man „sich sicher sein“ oder „gewiss sein, dass p“ als notw. Bed. für Wissen, also ein subjekt. Gefühl, dass die eigene Überzeugung begleitet

aber das scheint zu restriktiv, denn wir wissen vieles, ohne dass uns dabei so ein Gefühl begleitet

Page 22: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

4.2 Die klassische Analyse des Wissensbegriffes

Rechtfertigung als notwendige Bedingung für Wissen

Damit S weiß, dass p, muss…

…3) S muss gerechtfertigt sein, zu meinen, dass p

um „glückliches Raten“ auszuschließen (Pferdewetten-Bsp.) Auch: „gute Gründe“ haben für die Überzeugung, dass p Man spricht von epistemischer Rechtfertigung – um sie von anderen Formen, etwa moralischer

Rechtfertigung zu abzugrenzen

Page 23: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

4.2 Die klassische Analyse des Wissensbegriffes

S weiß, dass p, genau dann, wenn

1) p wahr ist, 2) S glaubt, dass p, 3) S ist epistemisch gerechtfertigt zu glauben,

dass p.

Page 24: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

5.1 Das Gettier-Problem

(Edmund Gettier 1963)

Smith und Jones bewerben sich um einen Job Smith bekommt vom Personalchef gesagt: „Jones wird

den Job bekommen und nicht Sie!“ Smith sieht, wie sich Jones 10 Münzen in die

Hosentasche steckt. Smith leitet aus beiden Aussagen die Aussage p ab:

„Derjenige, der den Job bekommen wird, hat 10 Münzen in der Hosentasche“

1) p ist wahr 2) Smith glaubt, dass p. 3 Smith ist gerechtfertigt, zu glauben, dass p.

Page 25: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

5.1 Das Gettier-Problem

Zwei Zufälle: a) Jones sagt den Job ab – und Smith bekommt ihn doch b) Smith‘s Frau hat Smith selbst 10 Münzen in die Hosentasche

gesteckt – ohne dass Smith davon wusste

Wusste Smith, dass p? = „Derjenige, der den Job bekommen wird, hat 10 Münzen in

der Hosentasche“

Wir sind geneigt, dass zu verneinen.

Page 26: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

5.1 Das Gettier-Problem

Smith hat gute Gründe anzunehmen, dass sein Nachbar Jones einen Ford fährt

Smith weiß gerade nicht, wo sich ein weiterer Nachbar, Brown, sich aufhält

Smith bildet die Aussage p: „Entweder fährt Jones einen Ford oder Brown ist in Barcelona“

2 Zufälle: a) Jones fährt in Wahrheit keinen Ford b) Brown ist tatsächlich in Barcelona

Wieder sind alle 3 Bedingungen der klass. Anaylse des W-Begriffs erfüllt, ohne dass wir tatsächlich Smith zu wissen, dass p, zuschreiben würden.

Page 27: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

5.1 Das Gettier-Problem

In beiden Bsp. en sind jeweils alle 3 Bedingungen für Wissen erfüllt, d.h. man müsste sagen, dass Smith wusste dass p – aber das wollen wir nicht

Denn die Aussage p war ja jeweils nur zufälligerweise wahr

Wie also muss nun die Analyse des Wissens aussehen, um zufällig wahre, gerechtfertigte Überzeugungen auszuschließen?

Brauchen wir eine 4. Bedingung? Brauchen wir mehr Bedingungen? Sollten wir eine Bedingung wegstreichen? Welche? Müssen wir eine oder mehrere Bedingungen der klass. Wissensdef. anders

verstehen? Müssen wir die Analyse des W-Begriffs ganz aufgeben? Sollen wir sagen, dass die Gettier-Bsp.e keine Gegenbeispiele sind?

Page 28: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

5.2 Lösungsversuche des Gettier-Problems

Erste Lösungen zum Gettier-Problem: In den Gettier-Bsp.en waren jeweils eine der

Prämissen, die Smith verwendete, falsch Und deswegen würden wir nicht sagen, dass Smith

jeweils Wissen hatte daher = „no false lemma“-Bedingung:

S weiß dass p, gdw. 1. p wahr ist 2. S glaubt, dass p 3. S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p 4. die Rechtfertigung von S beruht nicht auf falschen Prämissen

Page 29: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

5.2 Lösungsversuche des Gettier-Problems

aber: Scheunenattrappen-Bsp.: Barney fährt übers Land mit seinem neuen Auto Er schaute einmal nach rechts aus dem Auto, sieht eine

Scheune und kommt zu der wahren, gerechtfertigten Überzeugung, dass es eine Scheune ist

Was Barney nicht weiß, ist, dass er an der einzig echten Scheune im Landkreis vorbeigefahren ist

Sonst stehen in diesem Landkreis nur Scheunenattrappen Hätte Barney eine dieser Scheunenattrappen gesehen, hätte er

ebenfalls geglaubt, dass es sich um eine Scheune handele Es war also wieder nur reines Glück, dass Barney zufällig die

einzig richtige Scheune getroffen hat

Unter diesen Umständen würden wir ihm kein Wissen zuschreiben

Page 30: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

5.2 Lösungsversuche des Gettier-Problems

Barneys Überzeugung beruht auf keiner falschen Prämisse, eigtl. auf gar keiner Prämisse, denn er verwendet ja nur seine Wahrnehmung

In Barneys Fall sind wieder alle 4 Bedingungen erfüllt, ohne das wir ihm ein Wissen zuschreiben würden

Page 31: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

5.2 Lösungsversuche des Gettier-Problems

Neuer Vorschlag: In Barneys Fall bricht seine Rechtfertigung durch die neu

hinzukommende Information zusammen, dass im Landkreis überall Scheunenattrappen stehen

Jemand, der weiß, dass er sich in einer Gegend voller Scheunenattrappen befindet, ist epistemisch unverantwortlich, wenn er glaubt, das da ist eine Scheune, nur weil es von der Straße aus so aussah

S weiß dass p, genau dann, wenn 1. p wahr ist 2. S glaubt, dass p 3. S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p 4. wenn die Rechtfertigung von S nicht durch neue, hinzukommende

Information zerstört werden kann im Fake-Barn-Bsp. etwa durch die Info, dass man durch „fake barn county“ fährt im originalen Gettier-Fall durch die Info, dass Jones den Job nicht bekam

Page 32: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

5.2 Lösungsversuche des Gettier-Problems

Wieder ein Gegenbeispiel (Tom Grabit): Jones sieht, wie ein ihm bekannter Mann namens Tom Grabit in

einer Bibliothek ein Buch unter seinen Pullover steckt und damit den Raum verlässt

Jones kommt zu der wahren Überzeugung, dass Tom ein Buch gestohlen hat

Aber Toms Mutter sagt: Nein, das war nicht Tom, (Tom würde so etwas nie tun!) sondern sein kleptomanischer Zwillingsbruder Tim

Toms Mutter ist aber wahnsinnig und hat sich Tim nur ausgedacht, weil sie die Klauerei ihres Sohnes Toms nicht ertragen kann

Durch die neu hinzukommende Information von der Mutter, dass Tom einen kleptomanischen Zwillingsbruder hat, der das Buch geklaut hat, würde die Rechtfertigung von Jones zunächst zerstören

Aber in Wirklichkeit wusste Jones, dass es Tom war, weil die hinzukommende Information falsch war

Page 33: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

5.2 Lösungsversuche des Gettier-Problems

D.h. das Tom Grabit-Bsp. zeigt, dass die 4. Bedingung zu stark ist, d.h. sie schließt Fälle von echtem Wissen aus.

Das Tom-Grabit-Bsp. zeigt, dass Rechtfertigung nicht gegen alle, sondern nur gegen relevante (nicht-irreführende) Zusatzinformation immun sein muss

aber: Was heißt relevant? Für jemanden, der längst weiß, dass Toms Mutter verrückt ist, wäre diese Zusatzinfo nicht-relevant – aber eben nur dann

d. h. ob eine Zusatzinfo relevant ist oder nicht, hängt vom Standpunkt ab und damit wäre es keine objektive Sache mehr, ob jemand gerechtfertigt ist oder nicht

Page 34: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

5.2 Lösungsversuche des Gettier-Problems

Kausaltheorie des Wissens (A. Goldman):

Zu beachten ist die Tatsache, dass Brown zwar in Barcelona ist/Jones zwar einen Ford fährt, aber diese Tatsachen nichts mit Smith’ Überzeugung, dass p zu tun haben

D.h. es besteht kein kausaler Zusammenhang zwischen der Tatsache, dass p und Smith Überzeugung, dass p

Ein solche hätte bspw. bestanden, wenn Brown Smith eine Postkarte aus Barcelona geschickt hätte – dann wäre Smith‘s Überzeugung gerechtfertigt gewesen

Also muss die Rechtfertigung in einer kausalen Verbindung zwischen p und der Überzeugung, dass p bestehen

Page 35: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

5.2 Lösungsversuche des Gettier-Problems

Kausaltheorie des Wissens (A. Goldman):

1. Wahrnehmung: wenn jemand eine Vase sieht, dann weiß er nur dann, dass dort eine Vase steht, wenn die Vase selbst die Ursache für seine Überzeugung ist (und nicht etwa eine Holoprojektion)

2. Erinnerung: wenn eine Überzeugung eine andere kausal hervorruft 4. Zeugnis anderer = „Testimonium“ 3. Schließen: das Ausbrechen des Vulkans führte zu Lava-Ablagerungen,

die später zu S’ Überzeugung, dass p führen

Page 36: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

5.2 Lösungsversuche des Gettier-Problems

Einwand I gegen die Kausaltheorie:

weder Erinnern noch Schließen sind kausale Prozesse zwischen Gegenständen oder Ereignissen, die da Überzeugungen heißen – Überzeugungen sind weder Gegenstände, noch Ereignisse

(trotz ihres Substantiv-Charakters) mentale Ereignisse sind paradigmatischerweise Stimmungen, Gefühle, Erregungen,

Schmerzen oder sich-konzentrieren sie tauchen auf, wenn man wach ist und hören mit dem Verlust des Bewusstseins

auf; sie haben Grade, steigen an und gehen zurück; sie können durch Ablenkung unterbrochen und später wieder aufgenommen werden

aber man hört nicht auf etwas zu glauben oder zu wünschen, wenn man einschläft – man hört nicht auf zu glauben, dass die Schlacht von Hasting 1066 stattfand, wenn man schläft; ich kann nicht mehr glauben als sie, dass heute Montag ist (bzw. das heißt nur, dass ich es mehr als jemand anderes darauf ankommen lassen würde / mehr darauf wetten würde) und eine Überzeugung kann nicht durch eine Ablenkung unterbrochen und später wieder aufgenommen werden

wenn jemand in gewisser Weise geneigt ist zu handeln oder zu sprechen, dann schreiben wir ihm eine Überzeugung zu

aber nicht durch unser Entdecken einer „mentalen Entität“ oder „mentalen Prozesses“

auch nicht durch Entdecken eines Gehirnzustandes oder eines Ereignisses in seinem Nervensystem

Page 37: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

5.2 Lösungsversuche des Gettier-Problems

Einwand II gegen die Kausaltheorie

Ein logischer Schluss besteht darin, dass, wenn jemand die Wahrheit der Prämissen anerkennt, er ebenfalls die Wahrheit der Konklusion anerkennen muss – und das aufgrund log.-semant. Beziehungen zwischen den Prämissen und der Konklusion: „Alle Menschen sind sterblich“ – „Einige Menschen sind sterblich“ – wegen der Bedeutung von „alle“ und „einige“

beim Vulkan-Bsp.: Vom Vorhandensein der Lava kann nur dann auf das Ausbrechen/Vorhandenseins eines Vulkans geschlossen werden, wenn S zusätzlich die Prämisse „Immer wenn Lava irgendwo liegt, muss ein Vulkan in der Nähe sein“ akzeptiert – dies ist eine der Hintergrundannahmen des Subjekts – aber die beiden zusammengenommen reichen hin, um die Konklusion zu rechtfertigen – die „Ursache“ für die Konklusion spielt keine Rolle

das Vorhandensein der Lava, die Wahrnehmung ist ein Grund, die Konklusion zu akzeptieren, aber nicht die Ursache der Überzeugung

Gründe können eine Überzeugung bestätigen, aber Ursachen können das nicht

Es ist falsch, die Rechtfertigungsbedingung durch eine Kausalbeziehung ersetzen zu wollen

Page 38: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

5.2 Lösungsversuche des Gettier-Problems

Einwand III gegen die Kausaltheorie:

Selbst wenn die Überzeugung, dass p durch die Tatsache, dass p verursacht wurde, würden wir nicht immer von Wissen sprechen:

wenn jemand S im Tank von außen eine Überzeugung induziert bekommt, dass S im Tank ist, dann ist diese Überzeugung auch (wenigstens z. T.) durch die Tatsache, dass S im Tank ist verursacht, ohne dass wir davon sprechen würden, dass S weiß, dass er im Tank ist, denn ihm hätte genauso gut jede andere Überzeugung, u. a. auch die, dass er nicht im Tank ist, induziert werden können

Page 39: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

5.2 Lösungsversuche des Gettier-Problems / Struktur der Rechfertigung

Eine Weiterentwicklung der Kausaltheorie ist der Reliabilismus, nach dem eine Überzeugung dann gerechtfertigt ist, wenn sie sich einem verlässlichen Prozess (Wahrnehmung) verdankt

Der Reliabilismus versteht sich zumeist auch als Lösung zu einem anderen Problem: den Agrippina-Trilemma Fundamentalismus Kohärentismus Infinitismus

Page 40: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

6. Abkehr von der Analyse

Für den Reliabilismus ist „gerechtfertigt sein“ identisch mit einer oder mehreren bestimmten Rechtfertigungstrategien Etwa: sinnl. Wahrnehmung

Für die Kohärentisten ist „gerechtfertigt sein“ identisch mit einer Reihe von Unterbedingungen, bei denen sich eine Überzeugung kohärent in das Gesamtsystem der Überzeugungen eingliedert

D.h.: Beide Grundströmungen verstehen den Rechtfertigungsbegriff hauptsächlich als einen deskriptiven Begriff, so wie „rot“ oder „salzig“

Page 41: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

6. Abkehr von der Analyse

Aber: „gerechtfertigt sein“ oder „gute Gründe haben“ sind Wertausdrücke, d.h. ob jemand gerechtfertigt ist / Wissen hat oder nicht, ist abhängig von unseren epistemischen Maßstäben

D.h. es gibt eine Reihe von verschiedenen Verwendungsweisen von „wissen“ Wenn wir hohe Maßstäbe anlegen, dann schreiben wir Jones kein

Wissen, dass Tom Grabit das Buch gestohlen hat, zu (weil er relevante Alternativen nicht ausschließen kann – etwa Toms Zwillingsbruder)

Wenn wir niedrigere Maßstäbe anlegen, dann können wir Jones durchaus das Wissen, dass Tom Grabit das Buch gestohlen hat, zuschreiben

Wir verwenden den Wissensbegriff im Alltag ja auch nicht so, dass ständig die höchsten Maßstäbe erfüllt sein müssen

Page 42: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

6. Abkehr von der Analyse

Es ist also fruchtlos, sich auf die Suche nach der einen, für alle Situationen angemessenen Definition von „Wissen“ zu begeben

Das Projekt, die eine Analyse des Wissensbegriffs aufzufinden, ist nicht erfolgreich

Aussichtsreicher scheint es, zu verstehen, was wir sprachlich eigentlich tun, wenn wir jemandem oder uns selbst Wissen zuschreiben: Wir geben eine Art von Garantie oder drücken aus, dass man sich auf

unsere Information verlassen kann Wir geben auch zu verstehen, dass jemand gute Gründe für seine

Überzeugung hat Wenn wir sagen, dass die Überzeugung, dass p gut begründet /

gerechtfertigt ist, dann beschreiben wir die Überzeugung nicht; wir behaupten nicht, dass die Überzeugung, dass p, eine bestimmte oder mehrere deskriptive Eigenschaften hat (etwa: „wurde durch sinnliche Wahrnehmung gewonnen“), sondern wir empfehlen die Überzeugung, dass p; wir schreiben vor, dass man sie haben sollte

Page 43: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

6. Abkehr von der Analyse

Außerdem sollte man beachten, dass es nicht sinvoll ist, Wahrheits- und Rechtfertigungsbedingung zusammen in der Wissensdefinition auftauchen zu lassen: Wenn uns jemand nachweist, dass er gute Gründe für seine

Überzeugung, dass p hat, wäre es absurd, noch zu verlangen, dass p auch wahr ist – die guten Gründe zeigen ja, dass p wahr ist (wenn sie tatsächlich gut sind)

Und tatsächlich gut sind sie, wenn wir sie selbst akzeptieren

Wissen ist kein objektives „Ding“, von dem es eine bestimmte Definition gibt, sondern ein Begriff, der von Perspektiven abhängig ist – wie ein Wertbegriff („gut“, „schön“)

Page 44: Feld 2 FELD 1 © FernUniversität in Hagen / Horst Pierdolla Hagener Woche der Philosophie 18.11.2013 Gunnar Schumann  Was ist Wissen?  Ein Grundproblem

FELD 1

Feld 2

6. Abkehr von der Analyse

D.h. aber nicht, dass sich jeder aussuchen kann, was „Wissen“ („gut“, „schön“) ist

Die Maßstäbe müssen universalisierbar sein, d.h. in gleichen Fällen muss man gleich urteilen, ob eine Überzeugung gerechtfertigt ist / Wissen darstellt oder nicht

Das schließt auch die eigenen Überzeugungen ein – und jeder von uns hat ja schon immer welche So, wie wir den W-Begriff also tatsächlich verwenden (wir

schreiben uns und anderen ja tatsächlich Wissen zu) erübrigt sich der cartes. Skeptizismus

Wenn wir eine Überzeugung rechtfertigen, berufen wir uns auf allg. akzeptierte Maßstäbe (damit erledigt sich der aggripin. Skeptizismus)

Dennoch ist „gerechtfertigt“ nicht mit „allg. akzeptierter Standard“ synonym, denn die Maßstäbe könnten sich ja ändern

Aber der empfehlende Charakter bleibt