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Psychiatrisch-Psychotherapeutisches Mittwochsgesprächam 29.10.2014, Park-Klinik Sophie Charlotte
Folgen von Traumatisierungen in nahen Beziehungen -Therapeutischer Umgang mit der "inneren Not"
Prof. Dr. med. Martin SackKlinik für Psychosomatische Medizin und PsychotherapieKlinikum rechts der Isar, Technische Universität München
Folgen von Traumatisierungen in nahen Beziehungen
Trauma vs. Stress Was ist Traumatherapie im engeren Sinne? Fähigkeit zur Empathie und Folgen von Verletzungen in nahen
Beziehungen Schwere Vernachlässigung und dissoziative Störungen Aggression und Gewalt als Folge von Traumatisierungen Innere Not und Behandlungsbedürfnisse Konsequenzen für die Psychotherapie
Typische Behandlungsbedürfnisse von Patienten in unserer Tagesklinik
• Sich als handlungsfähig erleben• Selbstfürsorge und Selbstakzeptanz fördern• Eigene Bedürfnisse erkennen• Grenzen setzen lernen• Kontakt- und Beziehungsfähigkeit fördern• Lernen, mit belastenden Affekten umzugehen• Bearbeitung von Traumafolgesymptomen
Notwendige Erweiterung der Traumadefinition
Schwere Formen von psychischer oder körperlicher Vernachlässigung in der Kindheit
Psychische Gewalt gegen Kinder (Beschimpfen, Entwerten, Demütigen)
Aktueller Forschungsstand in Psychiatrie & Neurobiologie:
Early life stress is the major cause of any psychiatric disorder
Teicher & Samson 2013
Ein Vorschlag: Stress-Trauma Kontinuum
Traumatische Erfahrungen im engeren Sinne– Erinnerungsfragmentierung (peritraumatische Dissoziation)– Chronifizierte Vermeidungsangst
Traumatische Beziehungserfahrungen– ‚Interpersonelle Lernerfahrungen unter Hochstress‘
Vernachlässigung
– Mangelerfahrungen (z.B. von Zuwendung ,Schutz, Fürsorge)
Unbefriedigte Entwicklungsbedürfnisse
Trauma
Stress
www.martinsack.de
Ein Vorschlag: Stress-Trauma Kontinuum
Traumatische Erfahrungen im engeren Sinne– Erinnerungsfragmentierung (peritraumatische Dissoziation)– Chronifizierte Vermeidungsangst
Traumatische Beziehungserfahrungen– ‚Interpersonelle Lernerfahrungen unter Hochstress‘
Vernachlässigung
– Mangelerfahrungen (z.B. von Zuwendung ,Schutz, Fürsorge)
Unbefriedigte Entwicklungsbedürfnisse
Trauma
Stress
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Grundstrategien von Traumatherapie im engeren Sinne
‚Traumabearbeitung‘ Konfrontative Bearbeitung der Traumafolgesymptomatik (Re-) Konstruktion eines Narrativs über das Trauma Bearbeitung traumaassoziierter emotionaler Reaktionen und
Kognitionen
Behandlung dissoziativer Symptome Förderung der Inneren Kommunikation Reduktion dissoziativer Bewältigungsmuster im Alltag
Traumaspezifische Stabilisierung Förderung der Gegenwartsorientierung und der Mentalisierung Förderung der Bindungs- und Beziehungsfähigkeit
Indikation zur konfrontativen Bearbeitung von Traumafolgesymptomen
Liegt eine Traumafolgesymptomatik vor? Ist diese Symptomatik vordringlich zu behandeln? Gibt es äußere destabilsierende Faktoren (z.B. andauernde Gewalt,
Stalking etc.)? Ist der Rahmen der Behandlung geeignet? Ist der Patient ausreichend informiert und gibt es einen klaren Auftrag
für die Behandlung?
Empfehlungen für eine schonende Traumafokussierung
Von der Alltagssymptomatik aus arbeiten Einsatz von Techniken zur
– Distanzierung– Ressourcenaktivierung– Veränderung des traumatischen Narrativs
Zuwendung zur ‚inneren Not‘ Förderung von Bewältigungserfahrungen
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Ein Vorschlag: Stress-Trauma Kontinuum
Traumatische Erfahrungen im engeren Sinne– Erinnerungsfragmentierung (peritraumatische Dissoziation)– Chronifizierte Vermeidungsangst
Traumatische Beziehungserfahrungen– ‚Interpersonelle Lernerfahrungen unter Hochstress‘
Vernachlässigung
– Mangelerfahrungen (z.B. von Zuwendung ,Schutz, Fürsorge)
Unbefriedigte Entwicklungsbedürfnisse
Trauma
Stress
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Phänomenologie: traumatische Beziehungserfahrungen
Seelische Verletzung durch eine Kombination von: Psychischer Gewalt (Entwerten, Demütigen, Beschimpfen) Drohender Verlust einer Bezugsperson (Beziehungsverrat)
Unmittelbare Folgen: Negative Affekte: z.B. Entwertung, Scham, Ohnmacht, Angst
Kompensatorische Reaktionen: Verstärktes Bindungsverhalten Versuch, die Beziehungsperson als gut zu bewahren Wahrnehmungsverzerrungen (eigenes Erleben wird in Frage gestellt) Anpassung an die potentiell bedrohliche Bezugsperson
Menschen sind durch negative Beziehungserfahrungen besonders verletzbar
Empathie - Einfühlungsvermögen Der Philosoph und Psychologe Theodor Lipps (1880)
prägte den Begriff Empathie als:innere Nachahmung der Handlungen anderer
“Wenn wir einen Hochseilartisten beobachten, halten wir unwillkürlich den Atem an, wir teilen sein Erleben”.
Anpassung durch Empathie
Empathie dient dem Überleben in schwierigen Beziehungssituationen Einfühlen in das Gegenüber ermöglicht ein Mindestmaß an Kontrolle
Nachteil bei traumatischen Beziehungserfahrungen: Die Fähigkeit zur Empathie macht Menschen in besonderer Weise
verletzbar Gefühle von Beschmutzung, so als wäre etwas hängen geblieben Gefühle von Beschämung, so als hätte man sich selbst aufgegeben Gefühle von Entwertung als wäre das Schlechte in die eigene Innenwellt
eingedrungen
Empathie: Fremde Schmerzen werden wie eigene Schmerzen Nachempfunden
Review: Decety, J.: Dissecting the Neural Mechanism Mediating Empathy 2011
Typische Folgen traumatischer Beziehungserfahrungen in der Kindheit
Störungen der Selbstwahrnehmung Verunsicherung bezüglich der eigenen Wahrnehmungen (das
empathisch erlebte Fremde mischt sich hinein) Ohnmacht, Hilflosigkeit, fehlende Selbstwirksamkeit
Problematik auf der Beziehungsebene Abhängiges oder vermeidendes Verhalten Aggressives grenzverletzendes Verhalten Fehlende Flexibilität in der Beziehungsregulation, wenig gute
Beziehungen im alltäglichen Leben
Strategien zur Behandlung von Beziehungsstörungen
Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Arbeitsbeziehung Förderung der emotionalen Wahrnehmung Selbstakzeptanz und Selbstwertgefühl verbessern Eigene emotionale Bedürfnisse erkennen lernen Sich auf angemessene Weise in Andere einfühlen lernen Bedürfnisse formulieren und vertreten lernen Eigene Grenzen wahrnehmen und vertreten lernen Konflikte austragen lernen
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Ein Vorschlag: Stress-Trauma Kontinuum
Traumatische Erfahrungen im engeren Sinne– Erinnerungsfragmentierung (peritraumatische Dissoziation)– Chronifizierte Vermeidungsangst
Traumatische Beziehungserfahrungen– ‚Interpersonelle Lernerfahrungen unter Hochstress‘
Vernachlässigung
– Mangelerfahrungen (z.B. von Zuwendung ,Schutz, Fürsorge)
Unbefriedigte Entwicklungsbedürfnisse
Trauma
Stress
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Vernachlässigung ist die Häufigste Form von Kindesmisshandlung Im Jahr 2005 wurden, 899 000 Kinder in den USA Opfer von
Misshandlung davon– erlebten 62.8%Vernachlässigung– 16.6% wurden körperlich misshandelt– 9.3% wurden Opfer sexueller Gewalt– 7.1% erlebten psychische Gewalt (Beschimpfen, Entwerten) – 14.3% erlebten andere Formen von Misshandlung
Quelle: USDHHS. (2007) Child Maltreatment 2005; Washington, DC: US Gov’t Printing
Office.
Warum ist Vernachlässigung potentiell so schädlich?
Extremes Stresserleben ohne Beruhigung und Regulation Es fehlt ein Gegenüber, in der Angst auf sich selbst überlassen sein Das eigenen emotionale Erleben wird als unaushaltbar aversiv erlebt
Dissoziation im Sinne Verhaltensbezogener und mentaler Vermeidung (van der Hart et al. 2006) Vermeidung der Wahrnehmung eigener Gefühle und Bedürfnisse Störung der Beziehung zu sich selbst (Depersonalisation,
Identitätsunsicherheit) Störung der Beziehung zur Umwelt (Derealisation)
Chronische dissoziative Symptome gehen häufig mit schweren Beziehungsstörungen einher
Fehlende Entwicklung eines kohärenten Selbst
Chronische Dissoziation ist eine erlernte Anpassungsstrategie an traumatisierende Entwicklungsbedingungen
Dissoziation ist kein seltsames oder unheimliches Phänomen sondern eine effektive Strategie um unangenehme Wahrnehmungen zu vermeiden und sich zu schützen
Der ‚Preis‘ für diesen Schutz sind ein brüchiges oder wenig kohärent entwickeltes Selbst und schwere Beziehungsstörungen
Psychotherapeutische Behandlungen gehen noch zu wenig auf diese Problematik ein
Vermeiden eigener aggressiver Gefühle und Impulse
Typisches Problem von Patienten mit komplexen Traumafolgestörungen Entweder: Ausblenden eigener aggressiver Gefühle oder aggressive
Dysregulation
Aggression gegen sich Selbst z.B. fehlende Selbstfürsorge, Selbstschädigen Passiv-aggressives Verhalten in Therapien
Aggression gegen die eigenen Kinder oder den Partner Aggressives verfolgen von Wiedergutmachungszielen Agrressives Kontrollverhalten in therapeutischen Beziehungen
Traumamodell der Entstehung von Gewalt
Traumata sind durch Erfahrungen von Angst, Ohnmacht und Hilflosigkeit geprägt
Aggression und Gewalt dienen der Bemächtigung und helfen, Kontrolle und Distanz zu gewinnen
Der ‚Preis‘ für aggressives Verhalten ist eine Verschlechterung der zwischenmenschlichen BeziehungenDas Ausüben von Macht über andere Menschen kann zu einer Ersatzbefriedigung werden
Risikofaktoren und Umwelt: das Gehirn des Neurowissenschaftlers James Fallon
Positronen-Emissions-Tomographie: Verminderte kortikale Aktivität,
Muster typisch für fehlende emotionale Kontrolle und für Soziopathie
Familienanamnese: Mehrere Familienangehörige der
väterlichen Linie waren Gewaltverbrecher oder Mörder
Genetisches Risiko: Monooxygenase A Gen Polymorphismus (Risiko für Agressivität, Gewalttätigkeit) Protektive Faktoren:
Das genetische Risiko für Delinquenz kommt nur zum Tragen, wenn traumatische Kindheitserfahrungen vorliegen
Graphik: Anna Salter
Innere Not als Kompass für die Psychotherapie
Wut
Trauer
Schuld
Ohnmacht / Hilflosigkeit
Scham
Selbstabwertung
Hoffnungslosigkeit
Ekel
'Innere Not' als Risikofaktor für Suizidalität bei traumatisierten Menschen
Negative Affekte (Wut, Hass, seelischer Schmerz) Rückzugsverhalten und Isolation von anderen Menschen (Scheinbar) unkontrollierbare Symptome Erleben von Ohnmacht und Hilflosigkeit Schuldgefühle, Scham, Ekel Ablehnung des eigenen Körpers
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Suizidalität und ‚Adverse Childhood Experiences (ACE)‘
Dube JAMA 2001
Was tun bei Schwierigkeiten in der Therapie: Perspektive Beziehungsstörungen
Therapieproblem: Beziehungstest oder Dysregulation? Grenzen setzen und dadurch Halt geben Enttäuschung und zu hohe Erwartungen bearbeiten Wut und Frustration annehmen und aushalten Auch in Konflikten bezogen bleiben Selbstständigkeit fördern und Ablösung ermöglichen
Umgang mit der für Beziehungsstörungen typischen Gegenübertragung:Ohnmacht, HilflosigkeitWut und Aggression
Die Innere Not als Kompass zur Steuerung der Therapie
Hinter die Symptomatik schauen: Wo liegt die jeweilige Bedürftigkeit?z.B.: Gesehen und wahrgenommen werden Selbstwert durch Bestätigung von Außen stabilisieren Autonomie erleben Selbstwirksamkeit erleben Versorgungsbedürfnisse befriedigen Trost und Unterstützung erfahren Eigene Grenzen spüren Wut und Ärger ausdrücken
Individuelle Therapiebedürfnisse: Thesen
Therapiebedürfnisse entsprechen entweder einem Mangel an Befriedigung von Grundbedürfnissen oder einer inneren Not
Grundbedürfnisse sollten im Alltagsleben befriedigt werden, nicht (ausschließlich) in der therapeutischen Beziehung
Selbstbezug, Selbstmitgefühl und Selbstfürsorge sind Bedingungen für eine gelingende psychotherapeutische Behandlung
Selbstmitgefühl (Self-Compassion) als Therapieziel
Leiden lässt sich mit einer achtsamen Lebenshaltung besser ertragen Achtsamkeit bezieht sich auf die Wahrnehmung der Gegenwart
einschließlich der Wahrnehmung von sich selbst Im buddhistischen Verständnis schließ Achtsamkeit auch das Mitgefühl sich
selbst gegenüber ein
Selbstmitgefühl ist für Patienten mit traumatischen Beziehungserfahrungen häufig ein großes Problem
Die Fähigkeit zu Selbstmitgefühl beschleunigt therapeutische Prozesse Selbstmitgefühl ist eine Voraussetzung, um sich therapeutisch ‚berühren zu
lassen‘
Wie kann der Selbstbezug therapeutisch gefördert werden, obwohl es Angst macht?
Interesse an der Person des Patienten Wohlwollende therapeutische Beziehung Bereitschaft miteinander etwas zu entdecken Förderliche Atmosphäre in der Therapieeinheit Ressourcenorientierung Guter Austausch im therapeutischen Team
Ebenen psychotherapeutischer Einflussnahme
Fähigkeiten erlernen und Einsichten erwerben (kognitiv-prozedural)– Psychoedukation– Training emotionaler und regulativer Kompetenzen– Reflektieren biographischer Zusammenhänge
Korrigierende Erfahrungen gewinnen (emotional-prozesshaft)– Bearbeitung traumatischer Erinnerungen– Bearbeiten negativer Beziehungserfahrungen– Gewinnen von Bewältigungserfahrungen
Selbstbezug und Weltbezug fördern (personal-integrativ)– Auseinandersetzung mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen– Förderung des Gegenwartsbezugs– Förderung der interpersonellen Beziehungsfähigkeit
Sack M, Sachsse U, Schellong J:Komplexe Traumafolgestörungen – Diagnostik und Behandlung der Folgen schwerer Gewalt und VernachlässigungSchattauer-Verlag 2013
Sack, M: Schonende TraumatherapieSchattauer Verlag, 2010
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