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Page 1: Gegenwärtige Antike - antike Gegenwarten (Kolloquium zum 60. Geburtstag von Rolf Rilinger) || Zur elischen Ethnizität

Zur elischen Ethnizität

Von

Hans-Joachim Gehrke

Die Erforschung der Geschichte des frühen Elis hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht.* In diesem Rahmen wirkten sich beson-ders die Veröffentlichungen wichtiger neuer Dokumente (vor allem durch Peter Siewert1), die Arbeiten an der Kommentierung der Pausanias-Bü-cher 5 und 62 (an der Universität Perugia) und die Untersuchungen im Zusammenhang mit den Aktivitäten des Kopenhagener Polis-Zentrums3

aus. Mit den beiden letztgenannten Forschergruppen bin ich in freund-schaftlich-kollegialer Kooperation verbunden. Deshalb scheint es mir sinnvoll zu sein, zu der intensiven Debatte zur elischen Geschichte be-sonders der archaischen und klassischen Zeit aus der Arbeit meines eige-

* Für wichtige Hinweise danke ich Helmut Kyrieleis, Nino Luraghi, Astrid Möller, Mas-simo Nafissi und Matthias Steinhart. Sie haben die Dokumentation und Argumentation sehr gefördert. ' Peter Siewert, Die neue Bürgerrechtsverleihung der Triphylier aus Mási bei Olympia, Tyche 2, 1987, 275-277; ders., Eine archaische Rechtsaufzeichnung aus der antiken Stadt Elis, in: Gerhard Thür (Hg.), Symposion 1993. Vorträge zur griechischen und hellenisti-schen Rechtsgeschichte, Graz/Andritz, 12.-16. September 1993, Köln u.a. 1994, 17-32; Joachim Ebert, Peter Siewert, Eine archaische Bronzeurkunde aus Olympia mit Vorschrif-ten für Ringkämpfer und Kampfrichter, in: Joachim Ebert (Hg.), Agonismata. Kleine phi-lologische Schriften zur Literatur, Geschichte und Kultur der Antike, Stuttgart u. a. 1997, 200-236 (auch in: Alfred Mallwitz, Klaus Herrmann [Hg.], 11. Bericht über die Ausgra-bungen in Olympia. Frühjahr 1977 bis Herbst 1981, Berlin 1999, 391-412). 2 Gianfranco Maddoli, L'Elide in età arcaica. Il processo di formazione dell'unità regiona-le, in: Francesco Prontera (Hg.), Geografia storica della Grecia antica. Tradizioni e proble-mi, Rom u. a. 1991,150-173 ; Gianfranco Maddoli, Vicenzo Saladino (Hg. / Übers. / Kom.), Pausania. Guida della Grecia, 5 u. 6: L'Elide e Olimpia, Rom 1995 u. 1999 (unter Mit-wirkung von Massimo Nafissi); Massimo Nafissi, La prospettiva di Pausania sulla storia dell'Elide. La questione pisate, in: Denis Rnoepfler, Marcel Piérart (Hg.), Editer, traduire, commenter Pausanias en l'an 2000. Actes du colloque de Neuchâtel et de Fribourg 18-22 septembre 1998, Genf 2001, 301-321. 3 Thomas H. Nielsen, Triphylia. An Experiment in Ethnie Construction and Political Or-ganisation, in: ders. (Hg.), Yet More Studies in the Ancient Greek Polis, Stuttgart 1997, 129-162; James Roy, The Perioikoi of Elis, in: Mogens H. Hansen (Hg.), The Polis As an Urban Centre and As a Political Community. Symposium August 29-31 1996 (CPCActs 4), Kopenhagen 1997, 282-320.

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nen Projektes am Freiburger Sonderforschungsbereich „Identitäten und Alteritäten" beizutragen. Bei uns ging es, in interdisziplinärem Verbund geschichts-, literatur- und sozialwissenschaftlicher Fächer, um die Er-forschung kollektiver Identitäten, sowohl in theoretisch-konzeptioneller wie in historisch-empirischer Hinsicht.4 Von unseren Überlegungen und Untersuchungen her könnten die oben erwähnten und weitere Forschun-gen flankiert werden; damit würde vielleicht die elische Geschichte ein schärferes Profil erhalten. Im Sinne der doppelten Orientierung unseres Sonderforschungsbereiches ist mein Beitrag in zwei Teile gegliedert: Auf methodologische Vorklärungen folgt eine Analyse des einschlägigen Quellenmaterials, das für die Bedeutung des elischen Verbandes relevant ist. Es geht insbesondere um die Elemente, die für die soziopolitische Formierung von Elis in der archaischen Zeit wesentlich sind, letztlich also um das, was die elische Identität ausmachte.

I.

Ausgangspunkt für die Frage nach der Identität kollektiver Einheiten, von politisch-sozialen Gruppen, Gemeinschaften und Verbänden, also nach dem, was deren Kohärenz und Zusammengehörigkeitsgefühl aus-macht, ist der intentionale Charakter der Gemeinschaftsbildung. Dies ist in der Sozialanthropologie schon vor längerer Zeit, besonders deutlich von Wilhelm E. Mühlmann, herausgearbeitet worden.5 Auch in der Ge-schichtswissenschaft und in der Archäologie haben sich diese Ansätze als fruchtbar erwiesen. Sie spielen auch in der neueren Ethnizitäts- und

4 Zum Konzept des Freiburger Sonderforschungsbereiches vgl. Monika Fludernik, Hans-Joachim Gehrke (Hg.), Grenzgänger zwischen Kulturen, Würzburg 1999,11 ff.; Wolfgang Eßbach (Hg.), wir/ihr/sie. Identität und Alterität in Theorie und Methode, Würzburg 2000, 9ff.; Hans-Joachim Gehrke (Hg.), Geschichtsbilder und Gründungsmythen, Würzburg 2001, 9ff. 5 Wilhelm E. Mühlmann, Methodik der Völkerkunde, Stuttgart 1938, 108ff.; 124ff; zur neueren Debatte in der Ethnologie vgl. Klaus E. Müller, Das magische Universum der Identität. Elementarformen sozialen Verhaltens. Ein ethnologischer Grundriß, Frank-furt a.M. u.a. 1987; ders., Ethnicity, Ethnozentrismus und Essentialismus, in: Eßbach, wir/ihr/sie (wie Anm.4) 317-343; generell s.a. Aleida Assmann, Heidrun Friese (Hg.), Identitäten (Erinnerung, Geschichte, Identität 3), Frankfurt a. M. 1998. Eine gute Übersicht über den Stand der Debatte (am Beispiel des Nahen Ostens) geben Philip S. Khoury, Joseph Kostiner (Hg.), Tribes and State Formation in the Middle East, London u.a. 1990, bes. in der „Introduction" (4 ff., mit weiteren Hinweisen).

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Nationalismusforschung eine wichtige Rolle.6 Intentionalität bedeutet, daß die hier erwähnten Kollektive nicht als feste Größen verstanden werden, als objektiv gegebene oder geradezu physisch bestimmte Ein-heiten. Vielmehr handelt es sich um Konstrukte, die Ergebnis zum Teil lang wirkender Prozesse sind. Dabei verbinden sich konkrete politische, ökonomische und soziale Gegebenheiten und Vorgänge mit Ritualen und Diskursen vornehmlich religiöser, symbolischer und intellektueller Na-tur, welche für den „sens pratique" bzw. den sozialen Sinn einer Gemein-schaft charakteristisch sind.7

Ethnische Identitäten sind also Ergebnisse von Prozessen der Ethnoge-nese und des nation building, in denen reale Lebensumstände und Prak-tiken mit Deutungen und Reflexionen auf vielfältige Weise verschlungen sind. In diesem Rahmen ist besonders der Blick auf die Vergangenheit der jeweiligen Gruppe wichtig, die mit der Gegenwart ebenfalls vielfach verquickt, sozusagen rückgekoppelt ist. Sie hat einen „Sitz im Leben" oder, anders gesagt, eine „soziale Oberfläche". Sofern die Vergangen-

6 Zur Mediävistik und Archäologie s. bes. Reinhard Wenskus, Stammesbildung und Ver-fassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes, Köln u. a. 1961,1 ff. (grundlegend); Reinhard Bernbeck, Susan Pollock, Ayodhya, Archaeology, and Identity, Current Anthro-pology 37,1996,138-142; Catherine Morgan, The Archeology of Ethnicity in the Colonial World of the Eighth to Sixth Centuries B. C. Approaches and Prospects, in: Confini e fron-tiera nella Grecità d'Occidente. Atti del trentasettimo convegno di studi sulla Magna Gre-cia, Taranto, 3-6 ottobre 1997, Tarent 1999, 85-145; Ton Derks, Gods, Temples and Ritual Practices. The Transformation of Religious Ideas and Values in Roman Gaul, Amsterdam 1998; Sebastian Brather, Ethnische Identitäten als Konstrukte der frühgeschichtlichen Ar-chäologie, Germania 78, 2000,139-178; ders., Ethnische Interpretationen in der frühgrie-chischen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen, Berlin u.a. 2004; Patrick J. Geary, Europäische Völker im frühen Mittelalter, Frankfurt a. M. 2002. Zur neueren Nationalismusforschung vgl. vor allem Benedict Anderson, Imagined Communities. Re-flections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1983; Eric J. Hobsbawm, Ter-ence Ranger (Hg.), The Invention of Tradition, Cambridge u.a. 1983; Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780, Frankfurt a.M. u.a. 21992; Anthony D. Smith, The Ethnic Origins of Nations, Oxford 1986; Bernhard Giesen (Hg.), Nationale und kulturelle Identität (Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 1 ), Frankfurt a. M. 1991 ; Helmut Berding (Hg.), Nationales Bewußtsein und kollektive Identität (Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 2), Frankfurt a.M. 1994; Monika Flacke (Hg.), Mythen der Nationen. Ein europäisches Panorama, München u.a. 1998; Kathrin Mayer, Herfried Münkler, Die Konstruktion se-kundärer Fremdheit. Zur Stiftung nationaler Identität in den Schriften italienischer Huma-nisten von Dante bis Machiavelli, in: Herfried Münkler (Hg.), Die Herausforderung durch das Fremde, Berlin 1998, 27-129; Dittmar Dahlmann, Wilfried Potthofif (Hg.), Mythen, Symbole und Rituale. Die Geschichtsmächtigkeit der „Zeichen" in Südosteuropa im 19. und 20.Jahrhundert, Frankfurt a.M. u.a. 2000; Lutz Niethammer, Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur, Reinbek 2000. 7 Pierre Bourdieu, Le sens pratique, Paris 1980.

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heitsvorstellungen als Teil des imaginaire einer Gesellschaft für deren gemeinschaftsstiftende Intentionalität konstitutiv sind, kann man sie auch als intentionale Geschichte bezeichnen.8

Diese hier nur verkürzt und abstrakt präsentierten Zusammenhänge lassen sich - in idealtypischem Sinne - folgendermaßen konkretisieren: Die Bildung von Gemeinschaften beruht auf Wahrnehmungen von Ähn-lichkeit bzw. Gleichheit und Differenz und davon ausgehenden Zuschrei-bungen von Identität und Alterität, die jeweils miteinander korrelieren. In wesentlichen Lebensäußerungen und -bereichen, Aussehen, Gestus und Habitus, Sprache, Sitten und Gebräuchen, Kulten und religiösen Vorstellungen, werden mit teilweise unterschiedlichen Akzentuierungen Gemeinsamkeiten und Unterschiede wahrgenommen. Zuschreibungen und Zuordnungen machen daraus das „Eigene" und das „Fremde" bzw. „Andere". Damit werden die Wahrnehmungen klassifiziert und bewertet, zugleich verstärkt.9 Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und die Abgren-zung von anderen Einheiten wird gleichsam stilisiert und durch „acts of identity"10 immer wieder bestätigt und eingeschärft. Durch bestimmte Traditionen, Deutungen und symbolische Repräsentationen wird sie nar-rativ überhöht. Solche Selbst- und Fremdzuschreibungen können, insbe-sondere unter bestimmten machtpolitischen Voraussetzungen, eine große Dynamik entfalten.

Entscheidend aber ist, daß sie im Kern als statisch wahrgenommen wer-den. Identität kann man einer kollektiven Einheit ja nur dann zuerkennen, wenn sie über die Lebenszeiten der ihr angehörenden Individuen hinaus Bestand hat. Sie erscheint dann wie ein Fluß, der auch dann derselbe bleibt, wenn das in ihm fließende Wasser ständig wechselt. Das bedeutet,

8 Zu diesem Konzept s. Hans-Joachim Gehrke, Mythos, Geschichte, Politik - antik und modern, Saeculum 45,1994, 239-264; ders., Mythos, Geschichte und kollektive Identität. Antike exempla und ihr Nachleben, in: Dahlmann, Potthoff, Mythen (wie Arm. 6) 1-24 (engl.: Myth, History, and Collective Identity. Uses of the Past in Ancient Greece and Be-yond, in: Nino Luraghi [Hg.], The Historian's Craft in the Age of Herodotus, Oxford 2001, 286-313); vgl. auch Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und poli-tische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992; Assmann, Friese, Identitäten (wie Anm. 5). 9 Hierzu vgl. die Zusammenfassung (auf der Grundlage der Diskussion im o. a. Sonder-forschungsbereich) bei Hans-Joachim Gehrke, Zwischen Identität und Abgrenzung, in: Brockhaus-Bibliothek „Mensch-Natur-Technik", Bd. 6: Die Zukunft des Planeten Erde, Leipzig u. a. 2000, 608-639, 611 ff.; ein vergleichbarer Ansatz auf kultursemiotischer Ebe-ne findet sich bei Derks, Gods (wie Anm. 6) 19 ff. 10 Der Begriff stammt aus der linguistischen Sprechakttheorie (s.v.a. Robert B. Le Page, Andrée Tabouret-Keller, Acts of Identity. Creole-Based Approaches to Language and Eth-nicity, Cambridge 1985; Charles Antaki, Sue Widdicombe (Hg.), Identities in Talk, London u.a. 1998), läßt sich aber gut auf andere Bereiche übertragen.

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daß die in Prozessen der Ethnogenese vorherrschende Dynamik und In-tentionalität nicht mehr sichtbar wird. Gerade sie wird in den verschiede-nen Ritualen der Gemeinschaftsstiftung und -Stärkung nicht repetiert und erinnert, im Gegenteil. Die Gemeinschaften erscheinen als feste Größen, nicht mehr als Konstrukte. Es geschieht mit und in ihnen genau das, was die Soziologen Peter L. Berger und Thomas Luckmann „Verdinglichung" 0reification) nennen. Konstrukte werden essentialisiert." Sie erscheinen nicht mehr als Ergebnis von Prozessen und teilweise durchaus bewußt vollzogenen Entscheidungen, also als intentionale Größen, und sie sind insofern auch unverfügbar.

Ein Individuum wächst im Zuge seiner Sozialisation in eine fixe Ge-meinschaft hinein und vollzieht in der Regel fraglos die verschiedenen „acts of identity". Es glaubt an ihre Überlieferung und Tradition und nimmt sich selbst, seine Gruppe und die Anderen entsprechend wahr. Die Zuschreibungen nimmt es als gegeben an, und seine Vorstellungen von Alterität sind vorgeprägt durch die Bilder, die ihm von diesen Zuschrei-bungen übermittelt werden und die oft - ethnozentrisch - in unmittelba-rem Bezug zu den Selbstbildern (als Gegenbilder) stehen.

Ein sehr spezifischer Modus der Verdinglichung ist der biologisch-phy-sische Zusammenhalt des Kollektivs. Die Einheit versteht sich in beson-derer Weise als eine Gemeinschaft von Verwandten,12 und das ist unab-hängig davon, ob sie das realiter ist oder nicht. Gerade hierin kommt die Verfestigung des Intentionalen zum Ausdruck. Dies äußert sich u.a. in den vielfaltigen Regeln der Endogamie, gilt aber auch dort - als Reflex - , wo diese gelockert oder verschwunden sind.

Gerade für die Bestimmung der Ethnizität ist diese Vorstellung von Verwandtschaft konstitutiv, wie schon der Begriff „Stamm" signalisiert. Ein ethnos versteht sich als Abstammungsgemeinschaft, und neben den oben skizzierten allgemeinen Elementen der Identitätskonstruktion ist gerade dies spezifisch. Diese Gemeinschaft beruht in der Regel auf ge-dachter Blutsverwandtschaft, aber auch auf verschiedenen Formen ko-gnatischer Verbindungen. Es gibt die Überzeugung einer gemeinsamen Deszendenz (die Figur des Stammvaters), verbunden mit Beziehungen, die durch Heirat, Adoption o. ä. gestiftet werden. Damit kommt nun mas-siv die intentionale Geschichte ins Spiel, die hier im Kern genealogisch ist und mit Stemmata operiert sowie in der Regel - nach unseren Kate-

' ' Peter L. Berger, Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt a. M. 1980 (engl.: 1966), 94ff.; 185 f.; 199. 12 Vgl. Müller, Universum (wie Anm. 5).

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gorien - im Mythos repräsentiert ist, der als Geschichte verstanden wird. In Stammbäumen und Genealogien lassen sich Zusammengehörigkeit und Abgrenzung, Identitäten und Alteritäten, aber auch unterschiedliche Grade von Nähe und Ferne markieren. So erscheinen die Makedonen (in Gestalt des,Kunst-Heros' Makedon) im pseudo-hesiodeischen Frauenka-talog als Vettern der Abkömmlinge des Hellen; sie stehen den Griechen nahe, ohne zu ihnen zu gehören. Bei Hellanikos hingegen ist Makedon ein Sohn des Aiolos und damit Nachkomme Hellens, und dadurch er-scheinen die Makedonen als Griechen.13

Methodologisch bedeutet das, daß wir mit der Analyse der Stemmata einen Zugang zum ethnischen Selbst- und Fremdverständnis gewinnen, wenn wir zeigen können, daß sie nicht bloße gelehrte Spekulation oder ästhetische Figur, sondern im kollektiven Gedächtnis verankert sind. Die wissenschaftliche Analyse von Ethnizität hat also von der Analyse sol-cher Verwandtschaftsvorstellungen auszugehen und diese immer wieder auf ihren „Sitz im Leben" hin zu überprüfen. Genau dies soll hier ge-schehen. Dabei bietet die griechische Geschichte, d. h. der spezifisch grie-chische Modus der Identitäts- und Vergangenheitskonstruktion, günstige Voraussetzungen. Sie erlaubt es sehr oft noch, den konkreten Umständen der Entstehung von intentionaler Geschichte nahezukommen. Das liegt vor allem daran, daß die „Arbeit am Mythos" und die Kreation von Tradi-tionen nicht Sache einer Funktionärsschicht oder Priesterklasse war, son-dern Angelegenheit von Dichtern, Künstlern und Intellektuellen, die un-tereinander in einem - generationenübergreifenden - Konkurrenzkampf um Prestige, Weisheit und Originalität standen und auf diesen hohe Krea-tivität verwendeten.14 Natürlich waren sie nicht objektiv, sie hatten Er-wartungen zu genügen oder waren von mehr oder weniger starkem Lokal-patriotismus geprägt. Gerade deshalb haben sie auf die verschiedensten Interessen Rücksicht genommen, und diese waren in der pluralistischen griechischen Staatenwelt sehr unterschiedlich.

So verfugen wir über zahlreiche, schier unübersehbare Varianten und Versionen von Erzählungen, die immer wieder demonstrieren, wie an der intentionalen Geschichte ,weitergestrickt' wurde. Generell zeichnet sich eine deutliche Typologie ab. Da sich etwa auf Grund von älteren Traditio-nen, die sich nicht mehr umgehen ließen, nicht immer mit der Figur des

13 Hes. fr. 7 M.-W.; Hellan. FGrHist 4 F4. 14 Hiergegen richtet sich zum Teil auch die Kritik bei Flavius Iosephus, Contra Apionem; vgl. Astrid Möller, Genealogien, Listen, Synchronismen. Studien zur griechischen Chrono-graphie, Habil. Freiburg i.Br. 2002, 89 ff. Assmann spricht in diesem Zusammenhang von „Hypolepse" (Assmann, Gedächtnis [wie Anm.8] 280 ff.).

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Stammvaters operieren ließ, nutzten die Griechen als dessen Äquivalent den heros eponymos, dessen Name sich leicht, wie der des Urahnen, aus dem Namen einer Gruppe konstruieren ließ, so Aitolos aus den Aitolern usw. Ferner konnten die Griechen die ihnen bekannten Formen politischer Neugründung, etwa die Einrichtung einer apoikia oder den Synoikismos als Modell verwenden und mit hoher Plausibilität in die Vergangenheit projizieren. Sie mußten dann den Urahnen nicht konkret als Vorfahren genealogisch verorten, sondern konnten auch entsprechend mit Gestal-ten operieren, die eine bereits bewohnte Region als Gründerheroen oder Synoikisten neu strukturierten. Gelegentlich lassen sich sogar noch die politischen Umstände feststellen, unter denen die Neuformierung eines Mythos bzw. einer Abstammungslinie erfolgte, so bei der Integration des eponymen Heros der Triphylier, des Triphylos, in die arkadische Genea-logie.15 Man kann sie unmittelbar mit der ausgreifenden Politik der Arka-der nach der Schlacht von Leuktra verbinden.

Diese Charakteristika der griechischen Erinnerungspflege bieten nun einen großen heuristischen Vorteil. Sie erlauben uns, eine Archäologie des Mythos zu betreiben. Wie ein Ausgräber können wir - wenigstens partiell - die unterschiedlichen Schichten der mythistorischen Tradition voneinander trennen und zu einer Art von Stratigraphie gelangen. Im gün-stigsten Falle können wir die verschiedenen Lagen sogar noch mit be-stimmten politischen Vorgängen korrelieren. Wir können sie damit nicht nur datieren, sondern auch den historischen Ort der Konstruktion von in-tentionaler Geschichte bestimmen. Da gerade diese aus den genannten Gründen für die Ethnizität konstitutiv ist, soll eine solche Stratigraphie auch hier versucht werden.

Vor dem Hintergrund des althistorischen Forschungsstandes bietet ein solches Verfahren noch einen besonderen Vorteil. Gerade wenn es um die frühe Geschichte von Elis geht, stehen immer wieder Fragen nach der Kontinuität mit der bzw. nach dem Bezug zur mykenischen Epoche oder Vorstellungen von Einwanderung im Vordergrund. Das ist durchaus verständlich, handelt es sich doch dabei um wichtige Themen der Früh-geschichte. Nicht selten wird aber dabei etwas vorausgesetzt und dann in die Deutung des Mythos bzw. der späteren Quellen hineingetragen. So erscheinen dann spätere Erzählungen von Wanderungen oder Autochtho-nie als Indizien für Bevölkerungsverschiebungen oder Kontinuitäten, ob-gleich sie diese schon auf Grund des großen zeitlichen Abstandes kaum

15 CEG II 824,7; vgl. Nielsen, Triphylia (wie Anm. 3) 145 f. Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library

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belegen können. Demgegenüber soll hier der Mythos in seinen verschie-denen Schichten freigelegt werden. Erst von da aus, also, um im Bild zu bleiben, wenn man hier auf den gewachsenen Boden stößt, läßt sich fragen, was der ermittelte Befund voraussetzt bzw. was hinter ihm steckt. Dann lassen sich etwa zum Thema der Kontinuität bzw. Diskontinuität bezüglich der mykenischen Zeit oder in der Frage möglicher Immigra-tion die Spielräume wissenschaftlicher Hypothesenbildung eingrenzen. Es wird sich zeigen - auch wenn dies hier wegen unserer anders gearteten Zielsetzung nicht im Vordergrund steht - , daß man in diesen Problem-feldern mittels der archäologischen Arbeit am Mythos durchaus weiter-kommt.

Darüber hinaus ist freilich noch auf die Ergebnisse der ,richtigen' Ar-chäologie und der Sprachgeschichte Rücksicht zu nehmen. Diese sind aber auch für unsere mythistorische Analyse selbst wichtig. Da es in der Ethnizität nicht allein um die Vergangenheitsvorstellungen geht, sondern auch um Wahrnehmungen und Zuschreibungen sowie um diverse „acts of identity", ist auch das relevant, was sich von diesen in der materiellen Kultur und in der Sprache abgelagert hat. Besonders wichtig sind dar-über hinaus auch die religiösen Kulte und politischen Organisationsfor-men, für die wir neben archäologischen Relikten und sprachhistorischen Formen auch Schriftquellen, darunter zum Teil ältere Dokumente haben. Die Konfrontation der mythischen Vorstellungen mit den anderen Rea-lien und Zeugnissen kann darüber hinaus auch die konkrete Verortung der verschiedenen Traditionen ermöglichen bzw. erleichtern und das Bild einer politisch-sozialen Einheit mit ihrem ethnischen Charakter deutlich machen.

II.

Wendet man sich im Sinne dieser Vorüberlegungen Elis zu, so muß man auch hier mit Homer beginnen. Das Land oder zumindest das Kerngebiet der Eleier erscheint in der Ilias an zwei Stellen, die genau zueinander passen, im Schiffskatalog sowie im Nestorbericht des 11. Gesanges.16 In der Odyssee begegnet es an mehreren Stellen.17 Für uns besonders aussa-

16 Horn. II. 2,615-624; 11,670-762; vgl. femer 15,518f. (wo Kyllene schon von antiken Kommentatoren auch auf das arkadische Gebirge bezogen wurde, Maddoli, Saladino, Pau-sania [wie Anm. 2] Bd. 6 ,401 ; vgl. auch u.). 17 Horn. Od. 4,634ff.; 13,275; 15,296ff.; 21,347; 24,431.

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gekräftig sind die Passagen in der Ilias. Die Bevölkerung des genannten Landes waren die Epeier. In der Generation vor den Trojakämpfen (in Nestors Erzählung) hatten sie einen König, Augeias, der in Elis residierte. Am trojanischen Krieg nahmen sie unter vier Anführern mit nur kleinen Kontingenten (jeweils zehn Schiffe) teil. In seiner umsichtigen Analyse des Schiffskatalogs hat Edzard Visser überzeugend dargelegt, daß es sich bei den Epeiern um ein altes Sagenvolk handelt und daß die Präsentation des Landes dort einige Auffälligkeiten zeigt:18 Homer nennt nur zwei Orte im spezifischen Sinn als Wohnsitze (Buprasion und Elis), von denen einer (Elis selbst) wohl eher als Platz, aber möglicherweise auch als Gebiet ge-dacht ist - als solches erscheint Elis jedenfalls in der Odyssee und wenig später im Schiffskatalog zur Lokalisierung Dulichions und der Echinaden (2,626: πέρην άλός "Ηλιδος αντα). Von den vier anderen Orten, die ge-nannt werden, lassen sich nur zwei als Siedlungsplätze verstehen (Hyrmi-ne und Myrsinos), während die beiden anderen (der Olenische Fels und der Hügel Alision) eindeutig Landmarken sind. Alle vier zusammen sind, wie auch die auffällige grammatische Einordnung zeigt (sie sind einge-schlossen in die Formulierung δσσον ... εντός έέργει, 2,616f.), als Be-grenzungspunkte verstanden. Myrsinos ist durch das Adjektiv έσχατόωσα sogar direkt so qualifiziert; der Olenische Felsen und Alision erscheinen in dieser Gestalt in der Nestorerzählung, in der übrigens auch Buprasion eine vergleichbare Funktion hat.

Es gibt also für Homer, völlig konsistent, ein Volk der Epeier, das Bu-prasion und Elis bewohnt, ein Gebiet, das auch als ein von vier Plätzen umgrenztes beschrieben werden kann. Beides ist für die Ethnizität bzw. die Ethnogenese der Eleier höchst bedeutsam. Die Eleier haben den Na-men der Epeier nicht weitergeführt. Sie können ihn auch nicht erfunden haben (sonst hätten sie natürlich ihren eigenen Namen gewählt), vielmehr müssen sie ihn vorgefunden haben - in einem alten Mythenbestand. An-dererseits konnten sie ihn offenbar nicht ohne weiteres selber tragen, weil sie schon einen eigenen Namen hatten. Dieser ist uns ja bekannt, und er leitet sich direkt von den geographischen Gegebenheiten her: Elis = Γαλις = vallis, d. h., das Talland. Die ^αλειοι = Ηλείοι sind „die Leute aus dem Tal(land)".19 Der Name war zur Zeit der Abfassung der Ilias jedenfalls schon so bekannt, daß er dort - neben der Bezeichnung des Landes - ein-

18 Edzard Visser, Homers Katalog der Schiffe, Stuttgart u.a. 1997, 555-573. 19 Hierzu s. - statt vieler - Fritz Gschnitzer, Stammes- und Ortsgemeinden im alten Grie-chenland, in: ders. (Hg.), Zur griechischen Staatskunde, Darmstadt 1969,271-297, 277.

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mal als Synonym für Epeier begegnet.20 Auch für das Land selbst sind Homers Angaben wichtig: Alle dort genannten Orte, mag sie Homer nun als Polis gedacht haben oder nicht, hatten kein eigenes Profil (man konnte sie entsprechend auch später nicht mehr klar lokalisieren), außer - allen-falls - als im älteren Mythos verankerte Plätze. Bei Elis selbst liegt das anders. Es war nicht nur im Mythos verankert (als Heimat des Augeias), sondern auch später der zentrale Ort. Zugleich kann mit Elis als Gebiets-name aber auch das Land selbst bezeichnet werden. Visser hat zu Recht daraufhingewiesen, daß diese Beschreibung einen Zustand sehr loser Be-siedlung in Elis widerspiegelt.21 Man kann aber noch weiter gehen.

Der Orts- oder Gebietsname Elis ist bei Homer in besonderer Weise privilegiert: Es ist neben Buprasion hervorgehoben (übrigens unter Weg-lassung von Kyllene22), mit dem Adjektiv δια qualifiziert und Sitz des Königs Augeias.23 Außerdem kann das gesamte Gebiet genauso genannt werden wie der Ort selbst. Das läßt folgende Schlüsse zu: Die Bewoh-ner dieses Landes, die sich schon in homerischer Zeit nach dem Gebiet

20 Horn. II. 11,671. - Auf das komplexe Problem der Datierung der Ilias kann hier nicht näher eingegangen werden. Es sei aber nicht verschwiegen, daß ich die von Walter Burkert, Das hunderttorige Theben und die Datierung der Ilias, WS 89, 1976, 5-21, und neuer-dings von Martin L. West, The Date of the Iliad, ΜΗ 52, 1995, 203-219, vorgebrachten Beobachtungen und Argumente für eine Datierung in das frühe bzw. in die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts für gewichtig halte (weiteres bei Kurt A. Raaflaub, A Historian's Head-ache. How to Read ,Homeric Society'?, in: Nicolas Fisher, Hans van Wees [Hg.], Archaic Greece. New Approaches and New Evidence, London 1998, 169-193, 193, Anm. 71). Das bedeutet aber nicht, daß man die in der Ilias dominierenden eher zeitgenössischen Elemen-te alle herunterzudatieren hat. Gerade die jüngere Forschung hat gezeigt, daß man grosso modo an die Zustände des 8. und frühen 7. Jahrhunderts denken kann, also an die Zeit, die man auch als griechische Renaissance (Robin Hägg [Hg.], The Greek Renaissance of the Eighth Century Β. C. Tradition and Invention. Proceedings of the Second International Symposium at the Swedish Institute in Athens, 1-5 June 1981, Stockholm 1983) bezeich-net hat (Ian Morris, Use and Abuse of Homer, ClAnt 5, 1986, 81-138; Christoph Ulf, Die homerische Gesellschaft. Materialien zur analytischen Beschreibung und historischen Lokalisierung, München 1990; Barbara Patzek, Homer und Mykene. Mündliche Dichtung und Geschichtsschreibung, München 1992; Hans van Wees, Status Warriors. War, Vio-lence, and Society in Homer and History, Amsterdam 1992; ders., The Homeric Way of War. The Iliad and the Hoplite Phalanx I, G&R 41, 1994, 1-18; ders., The Homeric Way of War. The Iliad and the Hoplite Phalanx II, G&R 41, 1994, 131-155; Jan P. Crielaard [Hg.], Homeric Questions. Essays in Philology, Ancient History, Archaeology. Including the Papers of a Conference Organised by the Netherlands Institute at Athens, 15 May 1993, Amsterdam 1995; Kurt A. Raaflaub, Homer und die Geschichte des 8. Jahrhunderts v. Chr., in: Joachim Latacz [Hg.], Zweihundert Jahre Homer-Forschung. Rückblick und Ausblick, Stuttgart u.a. 1991, 205-256; Raaflaub, Headache [wie oben]). 21 Visser, Katalog (wie Anm. 18) 563. 22 Das ist II. 15,518 f. in Verbindung mit dem Epeier Otos genannt; vgl. u. 23 Horn. II. 11,698 ff.

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nannten, lebten in einer losen Siedlungsstruktur. Sie bildeten aber keine getrennten Einheiten, sondern hatten durchaus schon eine ,Identität', da unter ihren Dörfern und Weilern dem markanten Platz im Talland des Peneios, eben Elis, größere Bedeutung zukam. Dies wird durch die ar-chäologische Dokumentation vollauf bestätigt,24 wobei die Frage der möglichen Ausdehnung (in Richtung auf den Alpheios vor allem) zu-nächst offenbleiben soll.

Dieser Kernort war jedoch keine Polis, zu der Elis bekanntlich erst mit dem Synoikismos von 471 wurde.25 Da nun die Griechen ihre politischen Gemeinschaften nach πόλεις und εθνη einteilten,26 waren die Eleier im griechischen Sinne ein ethnos. Daß sie es auch im Sinne unserer Vorstel-lung von Ethnizität waren, wird sich gleich zeigen.

Angesichts der klaren etymologischen Herleitung ihres Namens darf man darüber hinaus vermuten, daß ihre Ethnogenese sich am Orte selbst abspielte, daß die Eleier also, indem sie sich als ethnos formierten, den Namen ihres wichtigsten Siedlungsgebietes annahmen, also nicht als mehr oder weniger geschlossener Verband eingewandert waren - wo im-mer sie im einzelnen auch herkamen, falls sie überhaupt Immigranten waren. Dafür spricht auch, daß sie sich, wie wir gleich noch näher sehen werden, zwar als eingewanderte Aitoler betrachteten, aber doch keiner-lei direkte Elemente des aitolischen ethnos, etwa einen Bezug zu deren alten Teilstämmen, bewahrten: Diese waren bei den Eleiern nicht genea-logisch repräsentiert. Jedenfalls waren die Eleier sozusagen neu, denn an die Epeier konnten sie nicht direkt anknüpfen. Zu diesen führte, wer immer sie waren, kein Traditionsstrang zurück. Immerhin konnten sich die Eleier, da ihr Land und Hauptort bei Homer deutlich genannt waren, mit dem alten Sagenvolk der Epeier in Zusammenhang bringen, unter ei-

24 Siehe jetzt v. a. Catherine Morgan, Athletes and Oracles. The Transformation of Olympia and Delphi in the Eighth Century B.C., Cambridge u.a. 1990, 49ff.; 235ff.; 243; Birgitta Eder, Veronika Mitsopoulos-Leon, Zur Geschichte der Stadt Elis vor dem Synoikismos von 471 v. Chr. Die Zeugnisse der geometrischen und archaischen Zeit, JÖAI 68, 1999, 2 -39 (mit der älteren Literatur) sowie die Übersicht bei Julia Taita, Gli Αιτωλοί di Olimpia. L'identità etnica delle comunità di vicinato del santuario olimpico, Tyche 15, 2000, 147-188, 163 f. 25 Hierzu s. ν. a. Mauro Moggi, I sinecismi interstatali Greci, Bd. 1: Dalle origini al 338 a. C., Pisa 1976, Nr. 25, 157 ff.; vgl. Hans-Joachim Gehrke, Stasis. Untersuchungen zu den inneren Kriegen in den griechischen Staaten des 5. und 4. Jahrhunderts v.Chr., München 1985, 52 f. und jetzt Marta Sordi, Strabone, Pausania e le vicende di Oxilo, in: Anna Maria Biraschi (Hg.), Strabone e la Grecia, Neapel 1994, 137-144, 141 ff. 26 Hdt. 5,2; 7,8; 8,108; vgl. Peter Funke, Polisgenese und Urbanisierung in Aitolien im 5. und 4. Jh. v.Chr., in: Hansen, Polis (wie Anm.3) 145-188, 145; 177 Anm.2.

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nem zweiten Namen. Die ursprüngliche Diskrepanz zu den Epeiern dürfte darauf schließen lassen, daß dieser Vorgang der Ethnogenese nicht lange vor dem zeitlichen Horizont der Ilias, also im oder nicht lange vor dem 8. Jahrhundert, begann. Zu diesen rein aus der Überlieferung zu gewin-nenden Daten passen ebenfalls die archäologischen Überreste.27

Mit dem Synonym der Epeier konnten die Eleier gewiß recht gut leben: Als junge Einheit konnten sie sich auf das Prestige eines alten und bekann-ten Sagenvolkes beziehen. Kritische Historiker konnten das aber auch an-ders sehen. Für uns erstmals greifbar sind bei Hekataios28 Epeier und Eleier getrennt, ja sie erscheinen sogar als Feinde: Herakles sei mit den Epeiern gegen Augeias und die Eleier gezogen. Auch sonst begegnet eine solche Trennung, obwohl die Gleichsetzung viel verbreiteter war.29 Allem An-schein nach haben die Eleier auf diese Herausforderung dadurch reagiert, daß sie sich einen eponymen Heros, Eleios, schufen und diesen auf zwei-fache Weise (Pausanias hat deshalb 2 Eleioi), also wohl in zeitlich geschie-denen Versionen, genealogisch verankerten. So erscheint er bei Pausanias an einer Stelle30 als König von Elis und Enkel des epeiischen Trojakämp-fers Polyxenos, somit als Ururenkel des Augeias. Er war insofern auch enger in der elischen Mythistorie verankert, als unter seiner Herrschaft die Einwanderung der Dorier unter Führung des Oxylos (s.u.) erfolgte.

Ingeniöser ist eine andere Variante, die sich ebenfalls bei Pausanias findet:31 Eleios ist dort Vater des Augeias (was sich leicht durch die Nähe zu dessen ,echtem', d.h. mythischem Vater Helios ['Ηλείος - "Ηλιος] erklären ließ) und damit Herrscher der Epeier bzw. von Elis. Zugleich ist er, über Endymions Tochter Eurykyda, die auch als Tochter Poseidons galt, ein Enkel des bekannten Endymion. Davon weiß Homer noch nichts, denn für das ihm geläufige Volk der Epeier war ein heros eponymos Eleios sinnlos und die Ersetzung des Helios war ein einfacher Schritt der My-thenrationalisierung. Diese Version hatte durchaus einen festen Sitz im elischen Leben. Eurykyda hatte einen Kultplatz, das Εύρυκύδειον άλσος, in der Nähe von Samikon in der triphylischen Küstenzone.32 Damit läßt

27 Vgl. u. S.35 mit Anm. 60-62. - Man muß berücksichtigen, daß es sich um einen eher vagen terminus ante quem handelt, vgl. u. Anm. 79. 28 FGrHist 1 F25 (= Strab. 8,3,9). 29 So F. Jacoby im Kommentar zur Stelle. 30 Paus. 5,3,4f.; zu Polyxenos vgl. auch Wolfgang Kullmann, Die Quellen der Ilias, Wies-baden 1960, 98. 31 Paus. 5,1,8 f. 32 Strab. 8,3,19; zu Eurykyda als Tochter Endymions s. Paus. 5,1,4, als Tochter Poseidons ebd. 5,1,8.

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sich wahrscheinlich ein terminus post quem für diese Version begründen, denn Triphylien kam erst im Zuge des Ausbaus der elischen Symmachie unter die Kontrolle von Elis,33 und es kann gut sein, daß die Eleier den dortigen Kult danach für sich okkupierten und eine neue Stammutter kre-ierten. Denn sie wird ja auch als Tochter Poseidons bezeichnet, der gerade im Raum von Samikon besonders verehrt wurde.34 Als Tochter des Endy-mion war sie aber ganz in die Genealogie der Epeier/Eleier integriert.

Mit Endymion aber befinden wir uns bereits an dem zentralen Punkt der elischen Mythistorie, wie sie bei Pausanias in späterer Ausprägung vorliegt.35 Endymion war nicht nur Vater der Eurykyda, sondern auch des Paion, Aitolos und Epeios, und über Aitolos der Ahnherr des Dorier-Füh-rers Oxylos, ein Stammvater der Eleier/Epeier also in mehrfacher Hin-sicht. Wir fassen hier das Herzstück der elischen Geschichtsvorstellung, nämlich die Verbindung, d. h. mythische Verwandtschaft mit den Aito-lem. Gerade hier lohnt sich die Stratigraphie des Mythos. Wir können gleichsam an zwei Plätzen graben, bei Endymion und Oxylos, beide alte Sagenfiguren, und dann die Befunde nebeneinanderstellen.

Daß die Eleier aus Aitolien eingewandert waren, war im 5. Jahrhundert völlig geläufig. Herodot sagt das expressis verbis und bei Pindar und Bak-chylides scheint das poetisch reflektiert zu sein.36 Die Geschichte dieser Immigration ist aufs engste verquickt mit der Sage von der Rückkehr der Herakliden bzw. der Landnahme der Dorier auf der Peloponnes. Nach den eingehenden Analysen von Friedrich Prinz37 war diese etwa im dritten Viertel des 7. Jahrhunderts geschaffen worden, um die Diskrepanz zwi-schen der homerischen Sagenwelt und der Dominanz dorischer Zentren auf der Peloponnes zu erklären. Ein wichtiger Bestandteil dieser Sage war die Geschichte von dem Aitoler Oxylos, der die Herakliden und die Dorier auf die Peloponnes geleitete und zum Dank dafür für sich und seine Leu-te, also Aitoler, Wohnsitze im Nordwesten der Peloponnes, eben in Elis,

33 Hierzu jetzt Nielsen, Triphylia (wie Anm. 3) 139 ff.; Roy, Perioikoi (wie Anm. 3) 289 ff. 34 Roy, Perioikoi (wie Anm. 3) 289; zum Poseidonkult von Samikon s. Strab. 8,3,13; Raoul Baladié, Le Péloponnèse de Strabon. Étude de géographie historique, Paris 1980, 335; Maddoli, L'Elide (wie Anm. 2) 168 f.; Maddoli, Saladino, Pausania (wie Anm. 2) Bd. 5, 209; Julia Taita, Confini naturali e topografia sacra: i santuari di Kombothékras, Samikon e Olimpia, Orbis Terrarum 7, 2001, 107-142, 111 ff. Damit könnte auch der Transfer der Poseidonstatue nach Elis (Paus. 6,25,6 mit Baladié, Péloponnèse a. O.; Maddoli, Saladino, Pausania [wie Anm. 2] Bd. 5,397) zusammenhängen. 35 Paus. 5,1,4 fr. 36 Hdt. 8,73,2f.; Pind. O. 3,12f.; Bakchyl. epin. 8,28f. 31 Friedrich Prinz, Gründungsmythen und Sagenchronologie, München 1979, 221 -313.

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erhielt.38 Dieser Bestandteil ist aber fur die Herakliden-Dorier-Geschichte überflüssig, und Prinz hat deshalb zu Recht geschlossen, daß sich diese „in ihrer endgültigen Ausprägung über ältere Lokalsagen" gelegt hat.39

Damit gewinnen wir einen terminus ante quem für den Mythos von der Einwanderung von Aitolern unter Oxylos nach Elis - wenn auch noch nicht für die damit verbundenen Details. Wir kommen damit mindestens in die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts, also einigermaßen dicht an die Zeit heran, die wir für die Ethnogenese der Eleier postuliert haben. Homer freilich scheint diese Verbindung noch nicht gekannt zu haben - oder er hat sie aus Rücksicht auf älteres Sagengut mit den Epeiern in Elis unter-drückt. Jedenfalls stellt er keine Verbindung zwischen Elis und Aitolien her, weder explizit noch durch genealogische Kombinationen.

Endymion war nicht nur eine alte, sondern auch durchaus prominente Figur der griechischen Sage, berühmt vor allem als Geliebter der Sele-ne. Schon in der archaischen Poesie, besonders bei Sappho, hat er ein markantes Profil.40 Auch genealogisch war er fest verankert, als Sohn des Aëthlios, der seinerseits ein Kind des Zeus und der Deukalion-Tochter Protogeneia war, also in den Ursprungshorizont gehört. Als Sohn der Ka-lyke, Tochter des Aiolos, war er auch in das Stemma der Aioliden ein-gebunden.41 Sagentopographisch war er in verschiedenen Regionen an-gesiedelt, was so zu verstehen ist, daß sich bestimmte Gruppen im Zuge ihrer Ethnogenese an diese bedeutende Sagenfigur angeschlossen haben. Am deutlichsten greifbar ist seine Verbindung mit dem kleinasiatischen Latmos-Gebirge, aber auch mit Aitolien. Dies war die Basis für die in

38 Die wichtigsten Quellen zu dieser Version sind Apollod. bibl. 2,8,3; Strab. 8,1,2; 3,30; 33 (= Ephoros FGrHist 70 F115); 10,3,2 f. (= Ephoros F122); Konon FGrHist 27 F1, c. 14; Paus. 5,1,3; 3,5 ff.; Tzetz. chil. 12,364ff. Oxylos dürfte auch mit dem Αιτωλός άνηρ bei Pind. O. 3,12 f. gemeint sein. Zur Oxylos-Sage ist immer noch grundlegend Edwin Müller-Graupa, Oxylos, RE 18, 1, 1942, 2034-2040. 39 Prinz, Gründungsmythen (wie Anm. 37) 307; vgl. 309 („sekundäre Einbeziehung älterer lokaler [hier elischer] Sagen in die Heraklidensage"): Ein höheres Alter ergibt sich auch daraus, daß die sicher spätere Version einer Rückwanderung der Aitoler wohl schon in der Mitte des 6. Jahrhunderts vorausgesetzt werden kann, s. das Folgende. Nach Antonetti ist Aitolos („artificiamento creato") jünger als Oxylos (Claudia Antonetti, Strabone e il popo-lamento originario dell'Etolia, in: Biraschi, Strabone [wie Anm. 25] 119-136, 130). 40 Grundlegend ist Louis Robert, Documents d'Asie Mineure V-XVII, BCH 102, 1978, 395-543, 488ff. Zu den Quellen s. die Zusammenstellungen bei Claudia Antonetti, Les Etoliens. Image et religion, Paris 1990, 58 f.; Taita, Olimpia (wie Anm. 24) 159 f. mit Anm. 34 ff.; 169 mit Anm. 64. 41 Zur Genealogie des Endymion s. Hes. fr. 10a M.-W., 58 ff. (suppl. West e Apollod. bibl. 1,7,5); Akusil. FGrHist 2 F36; Pherek. FGrHist 3 F21; Peisandr. FGrHist 16 F7; Daüma-chos FGrHist 65 Fl; Apollod. bibl. 1,7,5f.; Konon FGrHist 26 Fl , c. 14; Paus. 5,1,3; vgl. Antonetti, Strabone (wie Anm. 39) 132 f. u. o. Anm. 40.

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hellenistischer Zeit belegte Vorstellung einer Verwandtschaft der Aitoler mit den Bürgern von Herakleia am Latmos, die auch politisch relevant wurde, in der Verleihung der Isopolitie an die Herakleoten durch die Ai-toler am Ende des 3. Jahrhunderts, unter Hinweis auf die Verwandtschaft. Louis Robert hat gezeigt, daß diese auf Endymion fußte, der als Gründer von Herakleia und zugleich als Vater des aitolischen Eponymen Aitolos galt.42

Diese Verbindung ist bereits relativ früh belegt, denn in einem Papy-rus-Fragment des pseudo-hesiodeischen Frauenkatalogs konnte Martin West überzeugend, aus Apollodors ,Bibliothek', Aitolos als Endymion-Sohn ergänzen.43 Damit sind wir bereits im 6. Jahrhundert, dürfen aber mit Wests Überlegungen zur Genese der Stemmata im Katalog noch wei-ter zurückgehen.44 Schon damit aber sind die Eleier als Nachkommen von auf die Peloponnes eingewanderten Aitolern unter dem Aitolos-Nachfah-ren Oxylos auch Abkömmlinge des Endymion.

Diese Verbindung wurde allerdings noch enger geknüpft. Bereits bei Ibykos, also etwa in der Mitte des 6. Jahrhunderts, erscheint Endymion als König in Elis.45 Im Stadion von Olympia, wo man sein Grab zeigte, ge-noß er kultische Verehrung, ohne daß wir deren Ursprung zeitlich fixieren können.46 Immerhin gab es bereits im Schatzhaus von Metapont eine Sta-tue des Endymion, in der man wohl (mit Maurizio Giangiulio) ein Ehren-geschenk der Metapontiner vermuten darf.47 Mit dem elischen Endymion gewinnt aber auch ein wichtiges Ereignis der elischen Mythistorie, das erst später belegt ist (erstmals in dem bei Ephoros48 zitierten Epigramm

42 Robert, Documents (wie Anm.40) 477ff., bes. 489f.; zur Datierung s. jetzt Peter Fun-ke, Zur Datierung der aitolischen Bürgerrechtsverleihung an die Bürger von Herakleia am Latmos (IG IX l2, 1, 173), Chiron 30, 2000, 505-517. 43 Fr. 10a, 63. 44 Martin L. West, The Hesiodic Catalogue of Women. Its Nature, Structure, and Origins, Oxford 1985, 136 ff.; 141 ff; 166. 45 Schol. Apoll. Rhod. 4,57 f. (vgl. Taita, Olimpia [wie Anm.24] 159): "Ιβυκος δέ èv α' Ήλιδος αύτόν (sc. Endymion) βασιλεϋσαί φησιν, vgl. ansonsten vor allem Paus. 5,1,3 ff. 46 Paus. 5,1,5; 6,20,9 mit Taita, Olimpia (wie Anm.24) 183f. Ein Bezug zur Umstruktu-rierung ca. 465-450 (zu dieser Maddoli, Saladino, Pausania [wie Anm.2] Bd. 6, 343 mit Hinweisen) scheint denkbar. 47 Paus. 6,19,11 ; vgl. Taita, Olimpia (wie Anm. 24) 185 f. mit Anm. 11, dort der Hinweis auf Maurizio Giangiulio, Le città di Magna Grecia e Olimpia in età arcaica. Aspetti del-la documentazione e della problematica storica, in: Attilio Mastrocinque (Hg.), I grandi santuari della Grecia e l'occidente, Trento 1993, 93-118, 105 ff. Auch wenn man mit dem Schatzhaus selbst in das 6. Jahrhundert kommt (vgl. Maddoli, Saladino, Pausania [wie Anm. 2] Bd. 6, 325 f.), gibt das keine zeitliche Fixierung, weil die Statue natürlich später dort aufgestellt worden sein kann. 48 FGrHist 70 F122.

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aus Thermos), ein höheres Alter: die ursprüngliche Heimat des Aitolos in Elis und die erstmals bei Daïmachos im 4. Jahrhundert bezeugte Variante, daß Aitolos wegen eines Totschlag-Deliktes diese Heimat verlassen muß-te.49 Er sei dann - wie wir vor allem von Ephoros erfahren - nach Aito-lien gegangen, habe dieses Land erobert und nach sich benannt.50 Damit ist - der Widerspruch wurde schon in der Antike wahrgenommen51 - ne-ben die aitolische Herkunft der Eleier die elische Deszendenz der Aitoler getreten.52

Es ist - aus gleichsam mythistorischer Logik - offensichtlich (und wird auch durch das von West erschlossene hohe Alter der Endymion-Variante des Frauenkatalogs nahegelegt), daß diese komplizierte Version (Auswan-derung des Aitolos aus Elis, Rückkehr seiner Nachkommen aus Aitolien nach Elis) jünger ist. Diese Doppelung in der intentionalen Geschichte von Elis, die man gemeinhin erst später datiert und mit der elisch-aitoli-schen Waffenbrüderschaft im Krieg zwischen Elis und Sparta (402-400) verbunden hat, reicht also wegen Ibykos mindestens ins 6. Jahrhundert zurück, denn ein elischer Endymion, wie er dort bezeugt ist, ergibt nur Sinn, wenn man seinen Sohn Aitolos eben dort verankern wollte. De-tails der Besiedlung Aitoliens mögen erst später weiter ausgesponnen sein (vgl. u.).

Daß die Doppelung dieser Verbindung im elischen Interesse lag, ist jedenfalls offenkundig. Die Eleier konnten damit einen unangenehmen Punkt in ihrer Frühgeschichte, die problematische Beziehung zu dem al-ten Sagenvolk der Epeier, elegant beseitigen. Indem sie auf der Gleich-

49 Daïmachos FGrHist 65 Fl; Apollod. bibl. 1,7,6; Paus. 5,1,8. 50 Ephor. 70 F122 (= Strab. 10,3,2), mit Epigrammen aus Thermos und Elis, vgl. [Skymn.] GGM I 215,473 f. Epeier in Aitolien sind schon bei Hellanikos (FGrHist 4 F195) und Da-mastes (FGrHist 5 F 3) belegt. 51 Strab. 10,3,3 zu Ephoros F122; dahinter könnte nach Antonetti, Strabone (wie Anm.39) 130, eine Widerlegung Herodots (8,73,2 f.) stecken. 52 Diese hat andere Varianten nicht völlig verdrängt: So ist Aitolos bei Hekataios (FGrHist 1 F14) mit einer „genealogia razzionalizzata" (Antonetti, Strabone [wie Anm.39] 133) als Sohn des Oineus in Kalydon, also dem aitolischen Kernland der alten Heldensage und der frühen Epik (vgl. Antonetti, Strabone [wie Anm.39] 130), verankert, also keineswegs ein Epeier bzw. Eleier. Diese Variante weist nach Aitolien und zeigt, daß die Verbindungen zwischen Aitolern und Eleiern auch nicht zu eng gezogen werden können (vgl. u. S. 38). -Das Nebeneinander beider Versionen hat manche Gelehrte (bes. Sordi, Strabone [wie Anm.25] 140f.; vgl. aber auch Jacoby zu Daïmachos FGrHist 65 Fl) dazu gebracht, die ,Verdoppelung' der Beziehungen (Aitolos als Einwanderer aus Elis und spätere Rückwan-derung von Aitolern unter Oxylos) erst mit der aitolischen Unterstützung von Elis in dessen Krieg gegen Sparta (402-400, zum Datum s. Gehrke, Stasis [wie Anm. 25] 53 Anm. 7) in Verbindung zu bringen. Doch die Kombination der Endymion-Deszendenz des Aitolos und der Herrschaft Endymions in Elis weisen auf ein höheres Alter.

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setzung beharrten, konnten sie Aitolos mit seinen Landsleuten, eben den Epeiern/Eleiern, nach Aitolien auswandern lassen, waren also in Elis nicht nur zu den alten Epeiern hinzugekommene Immigranten. Darüber hinaus, und das war noch wichtiger, war der Anspruch auf das elische Land dadurch besser begründet: Die Eleier waren nicht eingewanderte Aitoler, sondern letztlich identisch mit den ältesten bekannten Besiedlern des Landes, also autochthon. Die Figur der Rückwanderung hatte hier also dieselbe Funktion wie die Sage von der Rückkehr der Herakliden ne-ben der der dorischen Immigration für die Frühgeschichte der dorischen Staaten auf der Peloponnes53 (oder später die in der römischen Mythistorie vorgenommene Lokalisierung des an sich troischen Dardanos in Italien54). Bei Strabon heißt es dann auch von Oxylos und seinen Leuten, sie seien συγκατελΟόντες τοις Ήρακλείδαις.55 Entsprechend emphatisch wird die Autochthonie der Eleier bzw. der elische Ursprung der Aitoler in den bei Ephoros zitierten Epigrammen auf den Statuenbasen der Gründerheroen Aitolos und Oxylos formuliert (wohl im ausgehenden 5. Jahrhundert): In Thermos evozierten die Aitoler plastisch die Jugend des Aitolos am Al-pheios, „nahe den Stadionläufen von Olympia", während in Elis von ihm expressis verbis gesagt wird, er habe das „autochthone Volk", d.h. die Eleier, verlassen.56

Diese Zusammenhänge zeigen - über ihre Bedeutung für das Selbst-verständnis und die intentionale Geschichte der Eleier hinaus - , daß die Eleier neben der durch Homer,besiegelten' Existenz der Epeier noch um ein zweites Element nicht herumkamen, nämlich um die Einwanderung. Es war ihnen unmöglich, diese zu umgehen, sie hatten da keinen Spiel-raum. Hätten sie ihre Frühgeschichte frei konstruieren können, hätten sie schlicht die Autochthonie behaupten können. Ich sehe hierin kein unbe-deutendes Argument für die tatsächliche Herkunft mindestens bestimmter Gruppen bzw. sogenannter „Traditionskerne"57 aus Nordwestgriechen-land.

Jedenfalls ist die Nähe zu den Aitolern, die in der alten Oxylos-Ge-schichte und der wenig späteren Lokalisierung des Endymion in Elis zum Ausdruck gebracht wurde, mit dem Selbstverständnis der Eleier und mit

53 Prinz, Gründungsmythen (wie Anm. 37) 222 f. 54 Verg. Aen. 3, 94ff.; 7,195 ff.; vgl. Timothy P. Wiseman, Legendary Genealogies in Late Republican Rome, G&R 21,1974,153-164; Pierre Grimal, Le retour des Dardanides. Une légitimité pour Rome, JS, 1982, 267-282. 55 Strab. 8,3,30. 56 Ephor. FGrHist 70 F122. 57 Zum Begriffs, bes. Wenskus, Stammesbildung (wie Anm. 6) 75 f f ; 140ff

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ihrer Ethnogenese aufs engste verquickt. Betrachten wir dies im Lichte der im ersten Teil gegebenen Überlegungen zur Identitätsbildung, so wer-den weitere Beobachtungen und Schlußfolgerungen wichtig. Wir haben auf Wahrnehmungen und Zuschreibungen zu achten, die Nähe und Dif-ferenz in wesentlichen Bereichen des Lebens betreffen, z.B. in Sprache, Habitus und Kultus, und von da her das uns greifbare Material zu mustern. Dabei wird man von vornherein zu berücksichtigen haben, daß wir auf Grund von dessen Dürftigkeit gerade in der frühen Zeit aller Voraussicht nach kaum werden unterscheiden können, was ursprüngliche Selbst- und Fremdwahrnehmung war und was sich erst als Ergebnis von Zuschrei-bungen und,gepflegten' Formen der Identitätsrepräsentation im Sinne von „acts of identity" herausbildete. Diese können die originären Wahrneh-mungen entscheidend überformt und verstärkt haben; sie sind demnach im Zweifelsfalle auch für uns viel deutlicher greifbar - ohne daß wir sie des-halb gleich mit der Ausgangssituation der Stilisierung verbinden können.

Das Ergebnis der sprachhistorischen Analyse gibt ein ziemlich einheit-liches Bild, das in einer deutlichen communis opinio der Forschung zum Ausdruck kommt.58 Der elische Dialekt, in sich relativ einheitlich und klar definierbar, steht den in Nordwestgriechenland gesprochenen Dialek-ten sehr nahe. Dies könnte, wie gerade die neuere linguistische Forschung zeigt, durchaus auf „acts of identity" zurückgehen, zumal die Hauptquel-le für die sprachliche Struktur offizielle elische Texte sind. Andererseits kann man sich nicht ohne weiteres die für solche gemeinsamen sprachli-chen Vereinheitlichungstendenzen innerhalb wie außerhalb von Elis ver-antwortlichen Instanzen, Institutionen oder Kommunikationsstrukturen vorstellen, die auf eine bewußte Angleichung gezielt hingewirkt hätten. Es spricht also einiges dafür, hier an eine ursprüngliche Nähe zu denken. Sollte die von Strabon vorgenommene Identifizierung des homerischen Myrsinos mit dem späteren Myrtuntion zutreffen, dann könnte man an ein ursprünglich dorisch-nordwestgriechisches Myrtinos denken, das dann episch,ionisiert' wurde,59 und hätte einen frühen Beleg in der für die Eth-nogenese der Eleier vorgeschlagenen Zeit. Aber das bleibt unsicher.

58 Siehe vor allem Franz Kiechle, Das Verhältnis von Elis, Triphylien und der Pisatis im Spiegel der Dialektunterschiede, RhM 103, 1960, 336-366; Siewert, Bürgerrechtsver-leihung (wie Anm. 1); Annie Thévenot-Warelle, Le dialecte grec d'Elide. Phonétique et phonologie, Nancy 1988, 19; Rüdiger Schmitt, Einführung in die griechischen Dialekte, Darmstadt 21991, 62ff., weiteres bei Taita, Olimpia (wie Anm.24) 164 Anm.46. - Ob die politische Bezeichnung διαιτατέρ ebenfalls nach Nordwestgriechenland verweist (so Tai-ta, Olimpia [wie Anm. 24] 165 f.), muß m. E. unsicher bleiben. 59 Visser, Katalog (wie Anm. 18) 564.

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Die materielle Kultur, die jüngst von Catherine Morgan zusammenfas-send für die frühe (protogeometrisch-geometrische) Zeit analysiert und in bezug auf die Stadt Elis von Birgitta Eder und Veronika Mitsopou-los-Leon gemustert wurde, hilft nicht viel weiter. Abgesehen davon, daß nicht jede Form und Ware etwa der Keramik Relikt und Ausdruck von identitätsrelevantem Habitus oder ethnischer Zuordnung ist, machen auch die Dürftigkeit der Zeugnisse und das Fehlen systematischer und großflä-chiger Untersuchungen alle Aussagen mehr oder weniger hypothetisch. Immerhin gibt es Indizien fur einen deutlichen Bevölkerungsrückgang in protogeometrischer Zeit und für einen Zuwachs in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts, zunächst vor allem in den Tal-Zonen von Peneios und Alpheios. Morgan spricht sogar von einem „resettlement",60 was fur ein Einsickern von neuen Gruppen sprechen würde.

Nach den Beobachtungen von Eder und Mitsopoulos-Leon existier-te im Bereich des späteren Elis eine submykenisch-protogeometrische Siedlung (Ende 11. und 10. Jahrhundert), die im 9. Jahrhundert offenbar ,ausdünnte' (jedenfalls sind die Befunde bisher sehr „spärlich"), aber bereits in den beiden folgenden Jahrhunderten Spuren deutlich stärkerer Besiedlungsaktivität zeigt.61 Auch dies könnte daraufhindeuten, daß mit dem 8. Jahrhundert, durchaus infolge eines Zuzugs neuer Siedler, eine neue Entwicklung einsetzte. Die Herkunft solcher Siedler ist allerdings mit archäologischen Mitteln nicht zu bestimmen, da sich in der Keramik stilistische Nähe zu verschiedenen Regionen (Achaia, Aitolien, Ithaka) nachweisen läßt, die aber nicht „straightforward" ist.62 Diese Beobach-tungen passen jedoch nicht schlecht zu den aus der mythistorischen und sprachlichen Analyse gewonnenen Schlußfolgerungen; auf keinen Fall widersprechen sie ihnen.

Die Interpretation der Kulte, einschließlich der des elischen Kalenders, gibt gewisse Hinweise, doch lassen sich diese leider nicht mit Sicherheit in die frühe Zeit zurückfuhren - sieht man von Olympia einmal ab, des-sen zentraler Kult aber nichts über die religiösen Beziehungen von Elis zu Aitolien aussagt. Diese sind lediglich in der intentionalen Geschichte repräsentiert, worauf wir noch zurückkommen werden. Von dem Grab-mal des Endymion in Olympia war bereits die Rede, desgleichen von dem Kultplatz seiner Tochter in Triphylien. Wie weit ein Heroenkult für Endymion zurückreicht, muß offenbleiben. Die Beziehung der Eurykyda

60 Morgan, Athletes (wie Anm. 24) 50. " Eder, Mitsopoulos-Leon, Geschichte (wie Anm. 24) 10; 35. 62 Morgan, Athletes (wie Anm. 24) 52.

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auf Endymion scheint, wie wir sahen, eher spät zu sein. Das gilt auch für den Totenkult des Oxylos-Sohnes Aitolos (sozusagen Aitolos' II.), dessen Grab sich in einem Stadttor von Elis befand.63 Da Elis bei Xeno-phon, bezogen auf den elisch-spartanischen Krieg, noch als unbefestigt erscheint,64 dürfte mindestens dieser Platz nicht vor 400 eingerichtet wor-den sein. Denkbar ist freilich (auch wegen der auffälligen Lokalisierung), daß hier ein älteres Kultmal integriert wurde. Für ein Grabmal des Oxylos selbst fand schon Pausanias keinen eindeutigen Hinweis.65

Der Bezug der im Alpheios-Gebiet verehrten Artemis Elaphiaia auf die aus Kalydon, Naupaktos und Patrai bekannte Artemis Laphria, den Julia Taita66 ins Spiel bringt, ist unsicher, ebenfalls die Deutung des Apollon-Thermios-Altars beim olympischen Heraion.67 Ansonsten bleibt meines Wissens nur der allgemeine Hinweis auf Kulte in Olympia, die sowohl den im elischen Gebiet wie bei den Aitolern verehrten Heroen und Heroi-nen galten.68 Auch er ist zeitlich nicht zu spezifizieren, unterstreicht aber, was wir auch aus der Mythistorie und der politischen Geschichte wissen, daß die Beziehung zwischen Elis und Aitolien .gepflegt' wurde, bis in die römische Kaiserzeit hinein. Die Vorstellung der Verwandtschaft hatte also einen festen „Sitz im Leben".69

Darauf könnte auch der Kalender verweisen. Nach Catherine Trümpys Untersuchungen sind zwei der acht epigraphisch belegten elischen Mo-natsnamen70 auch im aitolischen Kalender zu finden (Athanaios, Dios) und weist ein anderer (Elaphios) nach Nordwestgriechenland. Ob das al-lerdings wirklich aussagekräftig ist, kann man auch bezweifeln, führen

63 Paus. 5,4,4. 64 Xen. hell. 3,2,27. 65 Paus. 6,24,9. 66 Taita, Olimpia (wie Anm. 24) 185 f.; vgl. Paus. 6,22,8 ff. 67 Paus. 5,15,7, von Taita, Olimpia (wie Anm.24) 183 mit Anm. 106 auf Thermos bezo-gen; aber das ist ganz unsicher, man kann mit Pausanias mindestens ebensogut an einen Apollon Thesmios denken (Maddoli, Saladino, Pausania [wie Anm. 2] Bd. 5, 276 f.). 68 Paus. 5,15,12. 69 Demgegenüber weisen die aitiologische Erklärung eines wichtigen Herakultes (Paus. 6,16,1 ff.; vgl. dazu Maddoli, Saladino, Pausania [wie Anm.2] Bd.5, 286ff.) sowie die Thyiai (für Dionysos) (Paus. 6,26,1; Plut. mul. virt. 25 le mit Maddoli, Saladino, Pausania [wie Anm.2] Bd.5, 287 f.) auf die Beziehungen von Elis und Pisa. Umberto Bultrighini (Pausania e le tradizioni democratiche. Argo ed Elide, Padua 1990, 165 ff.; 179 ff.) sieht in ihr eine ältere pisatische Tradition, die von einer elischen überlagert wurde. Aber an-gesichts der Problematik der pisatischen Überlieferung (s.u. S.41 ff.) kommen wir damit nicht in eine frühe Zeit. 70 Catherine Trümpy, Untersuchungen zu altgriechischen Monatsnamen und Monatsfol-gen, Heidelberg 1997, 199 ff.

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doch zwei weitere Namen (Thyios, Apollonios) in den thessalisch-boio-tischen Bereich.

Halten wir also fest: Wie schon der Name signalisiert, fand die Ethno-genese der Eleier vor Ort statt. Andererseits ist ihre Herkunft aus Aitolien bereits der frühesten uns greifbaren lokalen Mythistorie eingeschrieben. Diese Vorstellung wurde entweder von eingewanderten Gruppen, so-genannten Traditionskernen, die den Vollzug der Ethnogenese prägten, mitgebracht oder sie hat sich am Ort bei der ansässigen Bevölkerung her-ausgebildet. Erstere Annahme ist nach Lage der Dinge wahrscheinlicher, die zweite aber nicht ausgeschlossen. Sie ist allerdings voraussetzungs-reicher, denn wir müßten in diesem Fall unterstellen, daß die Wahrneh-mung von Nähe zu den Leuten jenseits des Meeres so groß war, daß man sie zu einer Vorstellung von Verwandtschaft verdichtete und mit dem in mancher Hinsicht unangenehmen Einwanderungsmythos beschrieb. Es müßte also enge und in gewisser Weise etablierte Kontakte zwischen Elis und Aitolien bzw. den dort jeweils ansässigen Bevölkerungen über das Meer hinweg gegeben haben.

Daß wir dafür - abgesehen von der Mythistorie selbst und den wenig spezifischen archäologischen Materialien - keine direkten Belege haben, mag angesichts unserer dürftigen Überlieferungslage wenig ins Gewicht fallen. Immerhin ergeben sich aus Homer transmarine Bezüge, die auch in der frühen Sage verankert waren, nämlich zu Meges, dem Trojakämpfer und Herrscher über die Echinaden und Dulichion:71 Meges galt als Sohn des Phyleus, der aus Zorn über die Ungerechtigkeit seines Vaters Augeias aus Elis nach Dulichion emigriert war. Zudem ist - außerhalb des Schiffs-kataloges und der Nestorerzählung - Kyllene, der wichtigste Hafenort von Elis, dem Gebiet der Epeier-Eleier zuzurechnen. Im 15. Gesang der Ilias (518 f.) erscheint der Kyllenier Otos, bezeichnenderweise ein Ge-fahrte des Meges, als άρχος Έπειών. Eine maritime Außenbeziehung von Elis ist damit bereits in einem frühen Horizont greifbar, deutlich auch in der Odyssee.72 Auf diesem Wege können Kontakte existiert haben. Aller-dings fuhren sie noch nicht in den epischen ,Kernraum' der Aitoler um Kalydon und Pleuron, aus dessen Nähe (Naupaktos) in der Mythistorie der Übergang der Herakliden unter Oxylos' Führung erfolgte. Überdies würden solche Bezüge eher auf den Bereich von Achaia (etwa das Gebiet von Patrai) als wesentliche Kontaktzone weisen, was auf Grund der geo-graphischen Gegebenheiten überaus naheliegt. Demgegenüber sind die

71 Horn. II. 2,625 ff. 72 Horn. Od. 4,634ff .; 15,296ff.; 21,347.

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Eleier - man denke auch hier an ihren Namen - deutlich binnenländisch orientiert und durch agrarische Lebensweise geprägt, zudem, abgesehen von Kyllene, nahezu hafenlos.73 Die über das Meer weisenden Beziehun-gen von Elis und die im frühen Epos erkennbare maritime Perspektive lassen sich überdies sehr gut aus der Sicht der Epik erklären, die ja im Schiffskatalog deutliche Elemente eines Periplus-Schemas verrät. Dies gilt auch für die Perspektive der Odyssee, für die das Festland geradezu auch wie eine Peraia erscheint, von Ithaka aus.74 Dieses wird im home-rischen Apollon-Hymnos,75 wenn auch in eigenwilliger Anordnung, die der Bemühung um episch-gelehrte Reminiszenzen geschuldet ist, überaus deutlich. Es handelt sich aber um eine eindeutige Außenwahrnehmung. Der Bezug der Eleier auf Aitolien drängt sich also keineswegs auf, und man kann sich deshalb nur schwer vorstellen, daß sich die Idee mythisto-rischer Verwandtschaft gleichsam autochthon herausgebildet hat.

Man wird sich also den Beginn der elischen Ethnogenese hypothetisch etwa so vorzustellen haben: Von dem nordwestgriechischen Festland wanderten womöglich recht kleine Gruppen in das sehr dünn besiedelte Elis ein, möglicherweise im 8. Jahrhundert, zunehmend in dessen zwei-ter Hälfte. Zusammen mit anderen, teils eingewanderten und teils zuvor schon dort ansässigen Gruppen siedelten sie vor allem in den fruchtba-ren Talauen des Peneios und Alpheios. Den Traditionskern bildeten aber jene Leute aus dem aitolischen Raum, die sich um die spätere Akropolis von Elis festsetzten und sich „Talleute" nannten. Sie bewahrten ein Be-wußtsein ihrer Herkunft, suchten aber auch Anschluß an die Bevölkerung (Epeier), die in alten, in der Ilias panhellenisch verbindlich' formulierten Sagen (mit womöglich mykenischen Reminiszenzen) dort lokalisiert war. Die Macht der mitgebrachten Tradition war allerdings nicht so stark, daß sich die Siedler als Bestandteil des aitolischen ethnos verstanden. An des-sen Ethnogenese, die ihre eigenen Probleme aufwirft,76 hatten sie keinen Anteil, wie nicht zuletzt das Fehlen einer Verbindung zu den älteren Teil-stämmen der Aitoler beweist. Man verstand sich eben als verwandt, aber nicht als identisch.

73 Julius Beloch, Sulla costituzione dell'Elide, Rivista di filologia 4, 1876, 225-238, 236; Nikolaos Yalouris, The City State of Elis, Ekistics 33, 1972, 95 f., 95. 74 Horn. Od. 4,634 ff., vgl. Anm. 72. 75 Horn. h. 3,418 ff., bes. 426. 76 Hierzu grundlegend Antonetti, Étoliens (wie Anm. 40); dies., Strabone (wie Anm. 39).

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Die Traditionsbildung hatte eine beträchtliche ethnogenetische Dy-namik. Sie verdichtete sich relativ schnell von der Vorstellung der Im-migration zu der der Rückwanderung. Darüber hinaus war sie ziemlich kohärent, denn für die frühe Zeit lassen sich so gut wie keine konkur-rierenden Überlieferungen mehr nachweisen. Sollte es solche gegeben haben, wurden sie durch die des Traditionskerns schnell überlagert bzw. verdrängt.77 Außerdem hatte die Ethnogenese trotz der losen Besiedlung

" Wir finden zwar noch Indizien für Bezüge in andere Landschaften, jedoch läßt sich für diese kein hohes Alter in Anspruch nehmen oder gar plausibel machen. Einige Verbindun-gen weisen nach Achaia: Die Hinzuziehung von Leuten aus Helike beim mythischen Syn-oikismos unter Oxylos (Paus. 5,4,3) läßt sich nach Sordi, Strabone (wie Anm.25) 141 f., aus dessen anachronistischer Gestaltung nach dem Vorbild des megalopolitischen heraus verstehen, scheint also im Kern ein jüngeres Produkt zu sein. - Im achaiischen Olenos (dazu Maddoli, Saladino, Pausania [wie Anm. 2] Bd. 5, 194) ist Dexamenos verankert, der als Vater zweier Zwillingstöchter, die als Frauen der Aktorionen Mütter der epeiischen Trojakämpfer Amphimachos und Thalpios waren (Paus. 5,3,3), sowie der Lapithe Phorbas, auf den deren väterliche Linie (über den Phorbas-Sohn Aktor) zurückgeht (Diod. 4,69,2 f.; Eustath. in Horn. II. 303,8 ff.). Das Alter dieser Traditionen ist nicht zu klären, sie könnten aber, wegen eines aitolischen Olenos (Strab. 8,3,11; Steph. Byz. s.v. "Ωλενος, beides in Relation zu Hes. fr. 13 M.-W.; zum Bezug des zugehörigen Flußnamens [Peiros] s. Baladié, Péloponnèse [wie Anm. 34] 72 f.), eine Verstärkung der aitolisch-elischen Verbindung dar-stellen, mit Ausdehnung auf das westliche Achaia, was von der geographischen Situation her nahelag (vgl. Maddoli, Saladino, Pausania [wie Anm. 2] a. a. O.). Gerade wegen der Bezeichnung Ώλενίη πέτρη bei Hes. a. a. O. ist es aber am plausibelsten, daß dieser Be-zug aus der im SchifTskatalog und in der Nestorerzählung erwähnten Landmarke herausge-sponnen ist, also ursprünglich gar nicht nach Achaia weist. Auch dann hätten wir eine frühe Übertragung auf Aitolien, also ein Indiz für die genannte Beziehung. Sie gewinnt ein ge-wisses Relief, weil sie über Phorbas mit der thessalischen Variante (s.u.) verknüpft ist. -Die Achaier, die gemäß Ephor. FGrHist 70 F115 (= Strab. 8,3,33) vor Oxylos Olympia kontrollierten, wird man am ehesten mit den Achaiern der alten Sage verbinden (Maddoli, Saladino, Pausania [wie Anm. 2] Bd. 5,198 denken demzufolge auch an Reminiszenzen an ein mykenisches Olympia), so wie die Pylier in der Nestorerzählung ja einmal auch als Achaier bezeichnet werden (Horn. II. 11,759 f.). Es ist gut denkbar, daß die - spätere (s.u.) - pisatische Traditionsbildung hier angeknüpft hat. - Nach der Zerstreuung der Pelo-piden sollen die Olympischen Spiele durch Amythaon, den Sohn des Aioliden Kretheus, gemeinsam mit Neleus und Pelias neugeordnet worden sein (Paus. 5,8,2). Dies ist in durch-sichtiger Weise an den ethnisch zunächst unspezifischen (s.u.) Oinomaos-Pelops-Sagen-kreis angeschlossen und mag auch mit pisatischen Intrusionen verbunden werden. Auf das aiolische Element verweist Kiechle, Verhältnis (wie Anm. 58) 337 f., aber der von ihm in diesem Zusammenhang herangezogene Passus Strab. 8,1,2 sagt in dieser Hinsicht gar nichts aus: Die dortigen linguistischen Spekulationen sind in evidenter Weise das Resultat ethnographischer Konstruktion mit den bekannten griechischen ,Kunststämmen'. Strabon geht von vier Gruppen aus (Athener, Ioner, Aioler, Dotier), die er auch zu zweien (die beiden ersten und die beiden letzten) zusammenfassen kann (vgl. auch 14,5,26). Dabei ist das aiolische Element auf der Peloponnes das ursprünglich autochthone; die Eleier, die dann die Leute um Oxylos aufnehmen, sind nur in dieser Hinsicht Aioler (und entsprechen dann den Eleiern/Epeiern Homers). Im übrigen müßten nach Strabon auch die Aitoler aiolisch sprechen, da alle Griechen außerhalb des Isthmos - außer Athenern, Megarem und Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library

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und der großen Ausdehnung des Raumes, eine beachtliche Reichweite; denn sie erstreckte sich bis in das zweite Gebiet verdichteter Besiedlung,

den Dörfern der Doris - „auch heute noch Aioler genannt werden". Es ist offensichtlich, daß dies mit modernen dialektologischen Beobachtungen nichts zu tun hat und für die Rekonstruktion spezifisch lokaler bzw. regionaler Identitäten nicht nutzbar ist. - Eine der Gemahlinnen des Endymion war die Arkas-Tochter Hyperippe (Paus. 5,1,4), was den Aito-los zu einem Enkel des Arkas mütterlicherseits machte und auch eine Erklärung für seine Teilnahme an den Leichenspielen des Arkas-Sohnes Azan gibt, bei denen er den Totschlag (an Apis aus Pallantion) beging, der ihn in die Verbannung nach Aitolien zwang (Paus. 5,1,8). Diese konkrete Begründung muß nicht so alt sein, wie die Sache selbst, sondern scheint erst später aus dem konfliktreichen Verhältnis zwischen Elis und Arkadien heraus-gesponnen zu sein. - Interessanter sind die thessalischen Bezüge, wenn man sie nicht le-diglich als Weiterungen der aiolischen verstehen will. Das gilt weniger fur Amarynkeus (immerhin „eine alte legendarische Figur", Kullmann, Quellen [wie Anm. 30] 161), dessen Sohn Diores einer der vier epeiischen Trojakämpfer war (nach Kullmann, Quellen [wie Anm. 30] 98 „wahrscheinlich" erst von Homer eingeführt, vgl. auch ebd. 161 f.) und d e r -jedenfalls nach späterer Überlieferung - als Sohn des Thessalers Pyttios nach Elis kam und Anteil an Augeias' Herrschaft erhielt (Paus. 5,1,11; anders s. u.). Möglicherweise fuhrt eine andere Deszendenz, die des Aktor, weiter. Dieser erscheint statt Poseidon (so noch Horn. II. ll,709f.; 750ff.) als Vater der Aktorionen, des Kteatos und des Eurytos (Paus. 5,1,11). Aktor und seine Söhne hatten als Ortsansässige Anteil am Königtum des Augeias (Paus.a.a.O.; nach Eustath. in Horn. II. 305,5 war Aktor Bruder des Augeias, der bereits bei Apollod. bibl. 2,5,5 und später bei Eustath. in Horn. II. 303,8 ff. [Diod. 4,69,3 hat Ai-geus, doch vgl. Wilhelm H. Roscher (Hg.), Ausführliches Lexikon der griechisch-römi-schen Mythologie, 6 Bde., Leipzig 1894-1897, Bd. 2,2,1853] in einer Variante konsequen-terweise auch als Sohn des Phorbas erscheint). Aktors Vater Phorbas heiratete die Hyrmina (eine Epeios-Tochter, Paus. 5,1,6, vgl. Eustath. in Horn. II. 303,8 ff.) und nach seiner Mut-ter nannte Aktor eine von ihm gegründete Stadt (Paus. 5,1,11). Wir kennen sie schon aus dem Schiffskatalog, ohne daß sie richtiges Profil gewinnt. Phorbas allerdings (vgl. auch Johanna Schmidt, Phorbas (Nr. 1), RE 20,1,1960, 528 f.) ist eine interessante Figur. Er wur-de als Helfer gegen Pelops von Alektor, dem Sohn des Epeios, aus Olenos nach Elis geholt, erhielt die Hälfte der dortigen Königsherrschaft (Diod. 4,69,2; Eustath. in Horn. II. 303,8 ff.) und verschwägerte sich auf doppelte Weise mit Alektor: Er heiratete dessen Schwester Hyrmine, mit der er, wie wir sahen, Augeias und Aktor zeugte, während sich Alektor mit Phorbas' Tochter Diogeneia vermählte, von der er den Sohn Amarynkeus hatte (Eustath. a.a.O.). Phorbas war also mit der elischen Frühgeschichte aufs engste verzahnt. Hinter seiner Herkunft aus Olenos steckt aber noch mehr, denn er war Sohn des Lapithes (Paus.a.a.O.; Diod. 4,69,2; Eustath. a.a.O.; Diod. 5,58,5 erzählt von Phorbas eine andere Geschichte, die von Thessalien nach Rhodos führt, während er bei Diod. 4,69,2 nach Ole-nos gelangte); Lapithes seinerseits erscheint auch als Sohn des Apollon und der Stilbe, der Tochter des Flußgottes Peneios (Diod. 4,69,1). So mag hinter dem thessalischen Bezug wohl nur die Namensgleichheit des elischen und thessalischen Hauptflusses stehen (und dann gelehrt ausgesponnen sein) - oder soll man die Geschichte ernster nehmen und einen Reflex von ihr im Westgiebel des Zeustempels (hierzu vgl. die Hinweise bei Maddoli, Sa-ladino, Pausania [wie Anm. 2] Bd. 5, 234) erkennen, eine Anspielung an eine - wenn auch sekundäre - Gründerfigur, den Lapithen Phorbas? Apollon, der im Giebel so markant er-scheint, war sein Großvater, und bei Ovid (Met. 12,322) ist er als Teilnehmer der Kentau-romachie bezeugt. Wir hätten dann in den beiden Giebeln eine ingeniös gestaltete Erinne-rung an bekannte Mythen (die Kentauromachie ist literarisch wie ikonographisch seit dem Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library

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in das Alpheios-Tal mit dem wichtigen älteren Kultzentrum Olympia,78

um das auch - mit der Oinomaos- und Pelops-Geschichte - andere Sagen kreisten. Man darf wohl sagen, daß die Kontrolle über dieses Heiligtum, für die es auch archäologische Indizien gibt,79 die weiträumige Integra-tion, die bereits für das ausgehende 8. und frühe 7. Jahrhundert erkennbar ist, wesentlich gefordert hat.

An dieser Stelle müssen einige Bemerkungen zu den Traditionen von Pisa bzw. zum pisatischen Olympia eingeschaltet werden. Die Skepsis ge-genüber dem Alter dieser Traditionen und damit gegenüber einer frühen Kontrolle Olympias durch die Pisaten, die bereits vor Jahrzehnten Bene-dikt Niese artikulierte, ist in jüngster Zeit vor allem durch Massimo Nafis-si und Astrid Möller erhärtet worden.80 Deren Beobachtungen gewinnen angesichts der schon früh deutlich ausgeprägten und recht kohärenten eli-schen Mythistorie noch ein besonderes Relief. Denn dieser läßt sich auch nur halbwegs Adäquates von pisatischer Seite nicht entgegenstellen. Die

7. Jahrhundert belegt, s. LIMC VIII 1 s. v.), die der elischen intentionalen Geschichte ur-sprünglich nicht angehörten, aber nun monumental in sie integriert wurden. Die elische Mythistorie hätte damit - passend zu dem Auftrumpfen der neuen Polis Elis (s.u.) und dem gewachsenen panhellenischen Zuschnitt der Olympischen Spiele - einen weiteren Hori-zont erhalten. - Die triphylischen Traditionen können hier außer acht bleiben, sie sind jüngst von Nielsen (Triphylia [wie Anm.3] 133 ff.) überzeugend analysiert worden. - Zu den pisatischen Überlieferungen s.u. 78 Vgl. Siewert, Bürgerrechtsverleihung (wie Anm. 1 ) 276; zur Dynamik generell vgl. auch Maddoli, L'Elide (wie Anm. 2) 158. 79 Morgan, Athletes (wie Anm. 24) 53. Für diesen Zusammenhang sind nunmehr die von Helmut Kyrieleis im älteren Bereich des Heiligtums von Olympia geleiteten Ausgrabun-gen höchst bedeutsam. Sie haben wichtige Indizien für einen Beginn des Kultes um 1000 v. Chr., in Anknüpfung an markante Punkte aus älterer Zeit, aber ohne Kontinuität, ge-bracht (ich danke H. Kyrieleis dafür, daß er mir eine Version seines Grabungsberichtes, die sich jetzt im Druck befindet, vorab zur Verfügung gestellt hat; vgl. im übrigen auch Birgitta Eder, Continuity of Bronze Age Cult at Olympia? The Evidence of the Late Bronze Age and Early Iron Age Pottery, in: Robert Laffineur, Robin Hägg (Hg.), Potnia. Deities and Re-ligion in the Aegean Bronze Age. Proceedings of the 8th International Aegean Conference/ 8e Rencontre égéenne internationale Göteborg, Göteborg University, 12-15 April 2000, Liège-Austin 2001, 201-209). Ähnlich wie im Verhältnis der sagenhaften Epeier zu den Eleiem hat man auch hier den Eindruck eines späteren Anknüpfens, und man mag auch dies als Indiz für eine Immigration nehmen. Es bleiben allerdings chronologische Diffe-renzen, die jedoch nicht überbewertet werden müssen, weil es bei uns immer nur um einen terminus ante quem geht, der zudem vage bleibt. Auf jeden Fall lohnen m. E. die unabhän-gig gewonnenen Ergebnisse eine weitere Diskussion. 80 Benedikt Niese, Drei Kapitel eleischer Geschichte, in: Genethliakon. Carl Robert zum 8.März 1910, Berlin 1910, 1-47, 26ff.; Nafissi, Prospettiva (wie Anm.2); Möller, Ge-nealogien (wie Anm. 14) 201 ff.; dies., Elis, Olympia und das Jahr 580 v.Chr. Zur Frage der Eroberung der Pisatis, in: Robert Rollinger, Christoph Ulf (Hg.), Griechische Archaik. Interne Entwicklungen - Externe Impulse, Berlin 2004, 249-270.

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ältere Sage von Oinomaos, den Freiern der Hippodameia und Pelops war eher griechisches Allgemeingut - wie schon die Herkunft der Freier zeigt - , das wohl mit der ,Panhellenisierung' der Olympischen Spiele zusam-menhängt. Sie hat zunächst offensichtlich keine lokale ethnogenetische Dynamisierung erfahren und steht insofern im Gegensatz zu den Oxylos-, Endymion- und Aitolos-Geschichten. Außerdem fuhrt auch von ihr aus eine Brücke nach Aitolien: Bereits in den „großen Ehoien" erscheint Al-kathoos, der Sohn des Porthaon, Herrscher von Pleuron und Kalydon, als Freier der Hippodameia.81 Darüber hinaus läßt sich die später greifbare pisatische Eigentradition82 nicht über das 4. Jahrhundert zurückverfolgen, d. h. die Stratigraphie des Mythos liefert hier einen Negativbefund. Daß der Aiolos-Sohn Salmoneus als König der Epeier und Pisaten den Aitolos von Elis nach Aitolien vertrieben hat, ist erst bei Ephoros83 bezeugt und setzt die Herkunft des Aitolos aus Elis, also ein älteres Element elischer intentionaler Geschichte, bereits voraus, in der der Weggang des Aitolos anders erklärt wurde.

Die Tradition über den pisatischen Eponymen ist darüber hinaus nicht so fest wie die der elisch-aitolischen Gründerfigur, überdies auch nicht nachweislich alt: Pisos erscheint als Sohn des Aphareus84 oder ist an das alte, pseudo-hesiodeische Stemma der Aioliden als Sohn des Perieres85 le-diglich angehängt.86 Ähnliches gilt auch für eine eponyme Heroine, Pise, die als Tochter Endymions erscheint.87 Es fehlt darüber hinaus auch eine durchgehende Genealogisierung von deren möglichen Nachkommen, wie man sie gerade in der frühen Mythenbildung ansonsten beobachten kann. Gegen ein hohes Alter pisatischer Überlieferungen spricht auch das völ-lige Fehlen dieses Elements im Schiffskatalog und in der Nestor-Erzäh-lung der Ilias. Dort reicht der ganz einheitlich gefaßte epeiisch-elische Bereich, wie wir gesehen haben, bis an den Alpheios, die Grenze zu Py-los. Man wird also, mit den genannten Forschern, die Ausarbeitung der pisatischen Eigentradition mit der zeitweisen, von Arkadien gestützten88

Existenz eines pisatischen Staates im 4. Jahrhundert zu verbinden haben.

81 Hes. fr. 259 M.-W. 82 Bes. Strab. 8,3,31; Paus. 5,1,6f.; 6,21,5f.; 10f . ;22 , l f f . 83 FGrHist 70 Fl 15. 84 Schol. Theokr. 4,29-30b. 85 Hes.fr. 10 M.-W. 86 Paus. 6,22,2. 87 Schol. Theokr. a.a.O.; Schol. Pind. O. 1,28b. 88 Vgl. Xen. hell. 7,4,28.

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Damit unterliegen auch die Berichte von frühen Auseinandersetzungen zwischen Elis und Pisa dem Verdikt späterer „Geschichtsklitterung".89

Auch die Annahme einer frühen Amphiktyonie um Olympia, die von Ulrich Kahrstedt begründet und neuerdings von Peter Siewert und seiner Schülerin Julia Taita vertreten wurde,90 hilft in der Frage nach dem Ver-hältnis von Elis, Pisa und Olympia nicht weiter. Sie bleibt ganz unsicher.91

Das aitolische Element, das jetzt Taita mit zahlreichen gelehrten Beobach-tungen herausgearbeitet hat, läßt sich auch viel weniger voraussetzungs-reich mit der elischen Mythistorie erklären und belegt elische Kontrolle über Olympia, aber keineswegs die Existenz einer Amphiktyonie.

Wir dürfen also konstatieren, daß die von dem in und um den Ort Elis siedelnden „Traditionskern" ausgehende Ethnogenese nicht nur intensiv und relativ kohärent war, sondern sich auch ziemlich früh bis an den Al-pheios, jedenfalls bis zu dem wichtigen Kultzentrum Olympia, ausdehn-te. Schon das zeugt von einer beachtlichen Entwicklung und Integrati-onskraft des neuen elischen ethnos. Das ist um so bemerkenswerter, als die Besiedlung des Landes nach wie vor sehr lose blieb, wir also mit zahlreichen Dörfern und Weilern zu rechnen haben. Dennoch hatten zwei Plätze gewisse Zentralortfunktion: die Siedlung Elis selbst, wo es wohl schon recht früh einen Versammlungsplatz gab, und das Zeusheiligtum von Olympia.

Wie der Prozeß der Ethnogenese von seiner kommunikativen Seite her, im Kontakt zwischen Sängern, Dichtern und Eliten, konkret ablief, ent-zieht sich unserer Kenntnis. Darbietungen bei Symposien und im Zusam-menhang mit Kulthandlungen und Siegerfesten werden dabei eine Rolle gespielt haben. In solchen und ähnlichen Kommunikationszusammenhän-gen wurde am Mythos ,weitergestrickt', und das konnte enorme soziale Bedeutung haben. Immer wieder vergewisserte sich eine Gemeinschaft ihrer selbst, ihrer Identität und Bedeutung im Kontext der weiteren Grup-pen und Gemeinschaften. Dies geschah immer mit dem Blick auf die ei-gene Vergangenheit, die nicht nur wieder und wieder memoriert, sondern auch im Sinne der intentionalen Geschichte um- und weitergeschrieben wurde, in Anpassung an neue Situationen und Gegebenheiten - aber letzt-

89 Möller, Genealogien (wie Anm. 14) 190; dies., Eroberung (wie Anm. 80). 90 Ulrich Kahrstedt, Zur Geschichte von Elis und Olympia, NGG 1927, 157-176, 160ff.; Siewert, Rechtsaufzeichnung (wie Anm. 1) 29f.; Ebert, Siewert, Bronzeurkunde (wie Anm. 1) 221; bes. Taita, Olimpia (wie Anm. 24). " Philippe Gauthier, Symbola. Les étrangers et la justice dans les cités grecques, Nancy 1972, 43 ff.

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endlich „verdinglicht", als wahre und wirkliche Geschichte angenommen wurde.

In Elis zeigt das vor allem die Geschichte des Oxylos, die in einer zum Teil kaum noch durchschaubaren Verquickung von alten und neuen Ele-menten fortentwickelt wurde. Oxylos gewann damit die Statur eines veri-tablen Gründervaters. Gerade die Zusammenfuhrung der ältesten Traditio-nen (der Epeier- und der Aitoler-Linie) wird zunächst mit ihm verbunden. So setzte sich die Vorstellung einer friedlichen Landnahme gegenüber ei-ner (wohl älteren und gegebenenfalls lediglich die Immigration, nicht die Rückkehr akzentuierenden) Variante der Vertreibung der Epeier92 durch: Über die Beherrschung des Landes wurde gemäß Absprache durch ei-nen Zweikampf zwischen einem Eleier und einem Aitoler entschieden. Oxylos bewahrte die alten kultischen Traditionen, insbesondere das To-tenritual des Augeias,93 und vor allem bewirkte er eine friedliche Teilung des Landes zwischen Eingesessenen und Zuwanderern, zwischen Epeiern und Aitolern,94 und gründete mittels Synoikismos ein neues städtisches Zentrum.95 Hiermit läßt sich relativ zwanglos auch die im 4. Jahrhundert belegte Vorstellung von Oxylos als Gesetzgeber verbinden.96 Außerdem zog er auf Grund eines Orakels andere Bewohner pelopidischer Herkunft aus dem achaiischen Helike hinzu und richtete Olympische Spiele aus.97

Nachdem einer seiner Söhne, Aitolos, frühzeitig verstorben und im nach Olympia fuhrenden Stadttor der neugegründeten Stadt bestattet worden war (s.o.), ging die Herrschaft über Elis auf seinen anderen Sohn La-ios über. Dessen Nachkommen, die Pausanias gekannt zu haben scheint, aber nicht erwähnte, weil sie nicht mehr als Herrscher fungierten, reichten bis auf Iphitos,98 der die seit Oxylos unterbrochenen Olympischen Spiele wieder aufnahm - der Beginn der historischen Olympien nach griechi-scher Geschichtsvorstellung.

Dies war das Bild der elischen Vergangenheit, das spätestens im Hel-lenismus ausgeprägt war und weitgehend akzeptiert sowie regelmäßig -auch in Verbindung mit Kultpraktiken - gepflegt wurde, mindestens bis in Pausanias' Zeit hinein. Eine Stratigraphie dieses Mythos ist nur noch

92 Ephor. FGrHist F115. 93 Paus. 5,4,2. 94 Strab. 8,3,30; Paus. 5,4,2. 95 Paus. 5,4,3; vgl. auch das Oxylos-Epigramm auf der Agora von Elis bei Ephor. FGrHist 70 F122 (εκτισε τήνδε πόλιν). 96 Aristot. pol. 1319 a 12. 97 Paus. 5,4,3; 8,5. 98 Paus. 5,4,4f.

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bedingt möglich. Doch scheint etwa der Abbruch der Herrscher in der Generation nach Oxylos ein Reflex der aristokratischen Dominanz bzw. der .republikanischen' Struktur des archaischen Elis und entsprechend alt zu sein." Anachronistisch ist auf jeden Fall, wie man schon längst gese-hen hat, der frühe Synoikismos, der mindestens den ,echten' des Jahres 471 voraussetzt, womöglich aber sogar den von Megalopolis im Jahre 369, wie unlängst Marta Sordi vorgeschlagen hat.100 Jedenfalls werden die über lange Zeit hinweg laufenden Linien der intentionalen Geschichte sehr plastisch. Was spätestens im 8. Jahrhundert begonnen hatte, setzte sich über die Jahrhunderte hinweg fort, die elische Identität wurde im-mer wieder bewahrt und bestätigt, erinnert und verstärkt, fest und flexibel zugleich. Das epeiisch-elisch-aitolische Mischvolk bildete eine perfekte Einheit.

Es ist ein besonders glücklicher Umstand, daß wir ihre Entwicklung durch archäologische und vor allem epigraphische Zeugnisse auch nach der Zeit der forcierten Ethnogenese und vor dem Synoikismos verfolgen können. Daß sich in Elis selbst, ohne daß dieses bereits als Polis ange-sprochen werden kann, ein Versammlungsplatz, eine Agora mit entspre-chenden Elementen (Kultplätzen, Gerichtsstätte) und auch bedeutenderen Bauten befand, läßt sich aus verschiedenen Funden und Beobachtungen erschließen.101 Bereits im frühen 6. Jahrhundert wurden dort auch schrift-lich fixierte Regeln, also Gesetze, aufbewahrt, wie ein vor einiger Zeit von Peter Siewert veröffentlichtes Fragment demonstriert.102 Das ethnos der Eleier hatte mithin einen Organisationsgrad, den wir üblicherweise mit der Entwicklung einer Polis verbinden.103 Der Schriftgebrauch für die Veröffentlichung von Gesetzen und Beschlüssen des ethnos intensivierte sich rasch, allerdings wurde der Publikationsort offenbar gegen die Mitte

99 Zur elischen Verfassung vgl. u. 100 Sordi, Stratone (wie Anm.25) 141 f. "" Siewert, Rechtsaufzeichnung (wie Anm. 1) 26; Eder, Mitsopoulos-Leon, Geschichte (wie Anm. 24) 24 ff. 102 Siewert, Rechtsaufzeichnung (wie Anm. 1). 103 Deshalb gibt es auch Schwierigkeiten mit der Nomenklatur; zu „Großpolis" und „Stammstaat" s. Siewert, Rechtsaufzeichnung (wie Anm. 1) 30. Wie im Falle von ,Polis' sollten wir besser bei dem antiken Begriff bleiben. Ich würde deshalb „ethnos" vorziehen, aber angesichts der Ethnizität und der politischen Organisationsform von Elis trotz der Skepsis von Siewert a. a. O. im Zweifelsfalle eher von einem „Stammstaat" sprechen. -Daß Simonides von πόλις Δίος spricht (fr. 589 Page, mit Siewert a. a. O.), besagt nicht viel: Abgesehen davon, daß die Zeilen nach dem Synoikismos verfaßt worden sein können, han-delt es sich um poetische Ausdrucksweise. Der Daimon Sosipolis (Paus. 6,20,2-6; 6,25,4) ist nicht aussagekräftig, da die Einführung des Kultes zeitlich nicht fixiert werden kann.

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des ó.Jahrhunderts nach Olympia verlegt.104 Diese zunehmend auf die Schrift rekurrierende Entwicklung der politischen Organisation,105 also die rechtlich formalisierte Seite der Ethnizität, läßt sich durchaus, wenn auch nicht mit letzter Sicherheit, mit späteren Angaben zur Verfassungs-geschichte von Elis, insbesondere zum Wechsel von einer exklusiven zu einer weiteren Oligarchie bzw. Aristokratie, verbinden,106 was hier nicht weiter verfolgt werden kann. Sie sei nur als Indiz für den relativ kom-plexen Organisationsgrad des ethnos erwähnt, denn sie beweist die hohe Kohärenz und Kompetenz zur Konfliktlösung innerhalb dieser Einheit -trotz relativ hoher Eigenständigkeit ihrer Subzentren.107

Die materiell auf den Ressourcen des fruchtbaren Landes108 und orga-nisatorisch auf dem Geschick der dominierenden Eliten beruhende, von einem klar ausgeprägten Gemeinschaftsgefühl getragene Bedeutung des elischen ethnos wird im Verlauf des 6. Jahrhunderts auch in der weite-ren Expansion in Richtung Süden faßbar.109 Die Eleier schlossen ihrem Verband auch weitere Gebiete am Alpheios und darüber hinaus an. Sie begegnen in der literarischen Überlieferung als Perioiken von Elis, wa-ren aber offiziell, wie eine jüngst von Joachim Ebert und Peter Siewert veröffentlichte Urkunde aus Olympia zeigt, als symmachia dem elischen ethnos angelagert, schon geraume Zeit vor dem Synoikismos.110 Mit die-sem Rückgriff auf das Konzept der hegemonialen Symmachie zeigte der Stammesverband nicht nur eine Tendenz zur regionalen Machtbildung, sondern wiederum auch eine bedeutende Organisationskompetenz, zu der

104 Siewert, Rechtsaufzeichnung (wie Anm. 1) 27. 105 Hans-Joachim Gehrke, Gesetz und Konflikt. Überlegungen zur frühen Polis, in: Jochen Bleicken (Hg.), Colloquium aus Anlaß des 80. Geburtstages von Alfred Heuß, Kallmünz 1993, 49-67, bes. 58; Uwe Walter, An der Polis teilhaben. Bürgerstaat und Zugehörigkeit im archaischen Griechenland, Stuttgart 1993, 116 fF.; Karl-Joachim Hölkeskamp, Schieds-richter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland, Stuttgart 1999, 97 ff. 106 Siewert, Rechtsaufzeichnung (wie Anm. 1) 28; vgl. generell Gehrke, Stasis (wie Anm. 25) 52; 365 ff. 107 Robin Osbome, Classical Landscape with Figures. The Ancient Greek City and its Countryside, London 1987, 126; Siewert, Rechtsaufzeichnung (wie Anm. 1) 29 f.; zum Prozeß der sich verdichtenden Formation vgl. auch Bultrighini, Pausania (wie Anm. 69) 174; 179. 108 Vgl. bes. Hans-Joachim Gehrke, Jenseits von Athen und Sparta. Das Dritte Griechen-land und seine Staatenwelt, München 1986,103. ,M Schlußfolgerungen auf ein außenpolitisches Handicap einer solchen Ordnung, wie sie Osborne (Landscape [wie Anm. 107] 127 f.) zieht, ist also mit Zurückhaltung zu begeg-nen. 110 Ebert, Siewert, Bronzeurkunde (wie Anm. 1), zur historischen Analyse und zu den De-tails s. Roy, Perioikoi (wie Anm. 3).

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naturgemäß auch die Erfahrung mit der Verwaltung des panhellenisch gewordenen Heiligtums in Olympia beitrug. Darin, daß man sich ganz offenkundig an dem nur wenig älteren, wohl erstmals von den Spartanern entwickelten Ordnungskonzept der hegemonialen Symmachie orientier-te, kommt auch ein gesteigertes politisches Selbstbewußtsein zum Aus-druck.

So waren die Eleier schon weit gediehen, als sie mit ihrer Teilnahme an den Perserkriegen, dem Bau des Zeus-Tempels, der politischen Neuor-ganisation, also der Umwandlung in einen Polisstaat und der Demokrati-sierung ihrer politischen Ordnung, sowie ihrer weiteren Expansion nach Süden, tief nach Triphylien hinein, in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts zu neuen Ufern strebten. Die Basis dafür war die kohärente und effiziente Ausgestaltung des ethnos spätestens seit dem 8. Jahrhundert. So mögen die hier vorgestellten und recht verschlungenen Überlegungen nicht nur für die Thematik der Ethnizität generell, sondern auch für griechische Organisationsformen jenseits' der Polis instruktiv sein.

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