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Provincia Cilicia Kilikien im Imperium Romanum von Caesar bis Vespasian Von Tassilo Schmitt Über die provincia Cilicia in der Zeit der späten römischen Republik und der frühen Kaiserzeit hat Ronald Syme 1934 einen klassischen Aufsatz geschrieben. Darin hat er unter anderem die seither allgemein akzeptierte These aufgestellt, daß im Jahr 43 v. Chr. „the province of Cilicia has come to an end" 1 . Die weitere Entwicklung sei dann so verlaufen, daß die ein- zelnen Territorien dieser Provinz an - wechselnde - sogenannte Klientel- herrscher gefallen seien. Das sei das Schicksal vor allem der gebirgigen Länder im Tauros und Amanos gewesen. Die fruchtbare, vor allem von Pyramos und Saros gebildete Schwemmlandebene - man spricht in An- lehnung an eine Formulierung bei Strabon vom „Ebenen Kilikien" oder von der „Pedias" 2 - aber sei mit der Provinz Syrien zusammengefaßt wor- den. Erst Kaiser Vespasian habe die Gegend neu geordnet. Die Klientel- herrschaften seien - bis auf marginale Reste wie das schwer zu fassende Minikönigreich des Iulius Alexander 3 - nun aufgelöst und mit der wieder verselbständigten Pedias zur kaiserzeitlichen prätorischen Provinz Cilicia zusammengefaßt worden. 1 Ronald Syme, Observations on the Province of Cilicia (1939), in: ders., Roman Papers I, Oxford 1979, 120-148, 140. Ebenso wieder etwa ders., Hadrian and Antioch, in: Johan- nes Straub (Hg.), Bonner Historia-Augusta-Colloquium 1979/1981, Bonn 1983, 321-331, 323. Jüngst in diesem Sinne ζ. Β. Hans Täuber, Die syrisch-kilikische Grenze während der Prinzipatszeit, Tyche 6,1991, 201-210, 207 u. 209; grundsätzlich ähnlich Axel Gebhardt, Imperiale Politik und provinziale Entwicklung. Untersuchungen zum Verhältnis von Kai- ser, Heer und Städten im Syrien der vorseverischen Zeit, München 2002, 26, zur Provinz Syrien: „Unter den Triumvim oder sogar schon zur Zeit Caesars wurde ihr noch das Flache Kilikien zugeschlagen." Zu Vorläufern der von Syme kanonisierten Auffassung vgl. Elias J. Bickerman, Syria and Cilicia, AJPh 68, 1947, 353-362, 356. 2 Strab. 14,5,1p. 668. 3 Vgl. los. ant. lud. 18,140; OGIS 429 u. 544. Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library Authenticated Download Date | 10/7/14 9:20 AM

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Provincia Cilicia

Kilikien im Imperium Romanum von Caesar bis Vespasian

Von

Tassilo Schmitt

Über die provincia Cilicia in der Zeit der späten römischen Republik und der frühen Kaiserzeit hat Ronald Syme 1934 einen klassischen Aufsatz geschrieben. Darin hat er unter anderem die seither allgemein akzeptierte These aufgestellt, daß im Jahr 43 v. Chr. „the province of Cilicia has come to an end"1. Die weitere Entwicklung sei dann so verlaufen, daß die ein-zelnen Territorien dieser Provinz an - wechselnde - sogenannte Klientel-herrscher gefallen seien. Das sei das Schicksal vor allem der gebirgigen Länder im Tauros und Amanos gewesen. Die fruchtbare, vor allem von Pyramos und Saros gebildete Schwemmlandebene - man spricht in An-lehnung an eine Formulierung bei Strabon vom „Ebenen Kilikien" oder von der „Pedias"2 - aber sei mit der Provinz Syrien zusammengefaßt wor-den. Erst Kaiser Vespasian habe die Gegend neu geordnet. Die Klientel-herrschaften seien - bis auf marginale Reste wie das schwer zu fassende Minikönigreich des Iulius Alexander3 - nun aufgelöst und mit der wieder verselbständigten Pedias zur kaiserzeitlichen prätorischen Provinz Cilicia zusammengefaßt worden.

1 Ronald Syme, Observations on the Province of Cilicia (1939), in: ders., Roman Papers I, Oxford 1979, 120-148, 140. Ebenso wieder etwa ders., Hadrian and Antioch, in: Johan-nes Straub (Hg.), Bonner Historia-Augusta-Colloquium 1979/1981, Bonn 1983, 321-331, 323. Jüngst in diesem Sinne ζ. Β. Hans Täuber, Die syrisch-kilikische Grenze während der Prinzipatszeit, Tyche 6,1991, 201-210, 207 u. 209; grundsätzlich ähnlich Axel Gebhardt, Imperiale Politik und provinziale Entwicklung. Untersuchungen zum Verhältnis von Kai-ser, Heer und Städten im Syrien der vorseverischen Zeit, München 2002, 26, zur Provinz Syrien: „Unter den Triumvim oder sogar schon zur Zeit Caesars wurde ihr noch das Flache Kilikien zugeschlagen." Zu Vorläufern der von Syme kanonisierten Auffassung vgl. Elias J. Bickerman, Syria and Cilicia, AJPh 68, 1947, 353-362, 356. 2 Strab. 14,5,1p. 668. 3 Vgl. los. ant. lud. 18,140; OGIS 429 u. 544.

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Ist das richtig, hat es eine provincia Cilicia während des im Titel ge-nannten Zeitraumes nicht gegeben.

Zweifel an dieser Rekonstruktion werden nur selten,4 noch seltener ex-plizit geäußert.5 Eine systematische Prüfung fehlt. Immerhin hatte noch Syme selbst es nicht für ausgeschlossen gehalten, daß Antonius nach dem Sieg bei Philippi „might have revived a separate province of Cilicia (i. e. Pedias and Lycaonia)", den Gedanken aber verworfen, weil es dafür kei-nerlei Zeugnisse gebe.6

Dem Forschungskonsens soll im folgenden widersprochen werden. Dabei geht es zunächst um eine Skizze der Herrschafts- und Verwaltungs-geschichte dieses Gebietes in der Zeit von der Ermordung Caesars bis in die frühflavische Epoche, nicht allerdings um antiquarische Details. Es werden nur solche Einzelheiten zur Debatte gestellt, die entweder be-reits in der bisherigen Forschung für das Verständnis dieser Phase der Ge-schichte Kilikiens herangezogen wurden oder die die hier vorzutragende Deutungshypothese stützen können. Die Kontextualisierung kann umge-kehrt in mehreren Fällen zu einem vertieften Verständnis dieser Quellen beitragen.

Allgemein sollen diese Überlegungen als Ergänzung der Erwägungen verstanden werden, die Kai Trampedach und Ulrich Gotter im Anschluß an eine neue systematische Analyse des archäologischen, epigraphischen und numismatischen Befundes aus Olba und Diokaisareia, also aus einem Gebiet im weiter westlich gelegenen Rauhen Kilikien, vorgetragen und zur Grundlage wichtiger Erkenntnisse über die Bedeutung Roms für die Geschichte der Gegend gemacht haben.7 Anders als die beiden eben Ge-nannten, die insbesondere die lokale und regionale Situation in den Blick genommen haben, soll hier allerdings eine Interpretation vorgelegt wer-

4 Implizit ist Widerspruch dann zu konstatieren, wenn man Cossutianus Capito als kiliki-schen Statthalter identifiziert. Vgl. unten S.201 mit Anm.56. 5 Wichtig in diesem Sinne ist vor allem Bickerman, Syria and Cilicia (wie Anm. 1), der allerdings erheblich andere als die oben zu begründenden Rekonstruktionen vorlegt. Ihm teilweise zustimmend Jürgen Deininger, Die Provinziallandtage der Römischen Kaiserzeit. Von Augustus bis zum Ende des 3. Jahrhunderts, München 1965, 62. Vgl. auch die Über-legungen bei Matthäus Heil, Die orientalische Außenpolitik des Kaisers Nero, München 1997, 203-205, zur Existenz einer provincia Cilicia in neronischer Zeit. 6 Syme, Observations (wie Anm. 1) 142. 7 Kai Trampedach, Teukros und Teukriden. Zur Gründungslegende des Zeus Olbios-Heiligtums in Kilikien, Olba 2, 1999, 94-110; ders., Tempel und Großmacht I. Olba in hellenistischer Zeit, in: Eric Jean u.a. (Hg.), La Cilicie. Espaces et pouvoirs locaux (24™ millénaire av. J.-C. - 4ème siècle ap. J.-C.) - Actes de la table ronde internationale d'Is-tanbul, 2-5 Novembre 1999, Paris 2001, 269-288; Ulrich Gotter, Tempel und Großmacht. Olba/Diokaisareia und das Imperium Romanum, in: ebd. 289-325.

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den, die die Neuordnung des Raumes eng mit der politischen Situation in Rom selbst verknüpft.8

Die Argumentation gliedert sich in drei Teile. Zunächst ist darzulegen, daß die eben angedeutete Vorstellung, wonach die nicht an Klientelherr-schaften abgetretenen Landschaften der republikanischen provincia Ci-licio, d. h. die Pedias, Teil der Provinz Syrien geworden sei, durch den Quellenbefund nicht bestätigt wird. Die Betrachtung der Überlieferung wird vielmehr ergeben, daß die Pedias als eigene provincia wahrschein-lich prätorischen Ranges fortbestanden hat. Im zweiten Teil ist die Ein-richtung der neuen, dann größeren Provinz Kilikien unter Vespasian zu rekonstruieren, die neben der Pedias auch die westlich anschließenden Gebirge des Rauhen Kilikien umfaßte. Schließlich sollen im dritten Teil Hypothesen formuliert werden, warum Vespasian die traditionelle Ord-nung dieser Gegend entscheidend verändert hat.

Vorauszuschicken sind zwei terminologische Bemerkungen: (1) Spätrepublikanische Provinzen, und so auch Cilicia, haben struk-

turell ein wesentlich uneinheitlicheres Gepräge als die späteren der Ho-hen Kaiserzeit. Exemplarisch sei auf Caesars Reise durch diesen Raum verwiesen. Zwar werden Einzelheiten im Bellum Alexandrinum nur für die Verhältnisse des Jahres 47 v. Chr. in Syrien ausführlicher beschrieben. Aber die Beobachtungen dürfen wohl ohne weiteres auf das Nachbarland übertragen werden. Caesar hat demnach reges, tyrannos, dynastas provin-ciae finitimosque, also „Könige, Tyrannen und Dynasten aus der Provinz und aus der Nachbarschaft", empfangen.9 Somit gab es also auch innerhalb der Provinz Gebiete, die unter der wie immer gefaßten Herrschaft von ein-zelnen standen.10 In Kilikien kann man für die Zeit kurz zuvor auf Herren wie den aus Ciceros Korrespondenz bekannten Antipatros von Derbe als Beispiel verweisen." Die Provinz erscheint hier als der Aufsichtsbereich eines römischen Magistraten oder Promagistraten, der nicht überall eine direkte Kontrolle über die Untertanen ausübte. Grenzen dürften allein da scharf gezogen worden sein, wo Kollisionen mit einer anderen provincia

8 In einer ähnlichen Perspektive hat jüngst Thomas Schrapel, Das Reich der Kleopatra. Quellenkritische Untersuchungen zu den „Landschenkungen" Mark Antons, Trier 1996, 89-104, die Übertragung kilikischer Territorien an Kleopatra untersucht. 9 Bell. Alex. 65,4. 10 Matthias Geizer, Caesar. Der Politiker und Staatsmann, Wiesbaden 61960,238, Anm. 308, hat mit Nachdruck und mit Recht darauf bestanden, daß diese wichtige Quelle für die Ei-genart spätrepublikanischer Provinzen nicht durch Veränderungen des Textes verunklärt werden dürfe. " Cie.fam. 13,73,2; Strab. 12,1,4 p.535; 6,3 p.569; 14,5,25 p.679.

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vermieden oder die harmonische Zusammenarbeit mit einer Lokalgewalt nicht gefährdet werden sollte. Die von Vespasian geschaffene provincia Cilicio hatte eine forma}1 Damit ist - auch wenn man Einzelheiten nicht kennte - eine höhere Stufe der Durchsetzung eines übergeordneten Ord-nungswillens verbunden. Die provincia Cilicia unterschied sich also am Anfang und am Ende des Betrachtungszeitraumes nicht nur in ihrer Ex-tension, sondern auch in der Intensität der Prägung durch das römische Imperium. Das bedeutet allerdings nicht, daß sich hier eine Entwicklung nach den Gesetzen historischer Schicklichkeit vollzogen hätte. Vielmehr muß man damit rechnen, daß die Bedingungen und die Vorstellungen der römischen Macht ganz ebenso wie die Lage in der Region sich jeweils eigenständig wandeln konnten und daß dann das Herrschaftsgefuge wie-der neu adaptiert werden mußte. Deswegen verbieten sich Kurzschlüsse, wie der, daß sich Veränderungen jeweils im einzelnen genau so ergeben hätten, wie dies Strabon im allgemeinen skizziert. Dieser hatte in frühti-berischer Zeit die bisher praktizierte Vergabe von Klientelherrschaften als eine im Hinblick auf den eigenen Aufwand günstige Methode charakte-risiert, von Räubern und Seeräubern heimgesuchte abgelegene Regionen zu pazifizieren.13 Das ist sicher nicht ganz falsch, darf aber nicht zu der Vermutung verleiten, daß Vespasian gleichsam nur die reife Frucht einer von Antonius und Augustus ausgeworfenen Saat geerntet habe. Vielmehr ist nach den konkreten Anlässen und Umständen der einzelnen Entwick-lungsschritte zu fragen.

(2) Cilicia als Region läßt sich für diese Zeit nicht mit scharfen Kontu-ren auf einer Karte eintragen. Der Name war spätestens seit der Zeit des neuassyrischen Reiches auf Gebiete unterschiedlicher Größe angewandt worden und hat dabei nicht ausschließlich administrative Einheiten be-zeichnet.14 Als Bezeichnung eines römischen Seeräuberkommandos seit dem späten zweiten vorchristlichen Jahrhundert, das erst allmählich Kon-tinuität und territoriale Festigkeit gewann, setzt Cilicia wohl die Eigen-bezeichnung der Gegner als Cilices voraus, die damit an eine glanzvolle Tradition des sechsten bis vierten vorchristlichen Jahrhunderts anzuknüp-fen trachteten. Schon daran kann man erkennen, daß der Name Cilicia mit Prestige verbunden war. Deswegen gibt es zeitweise nebeneinander Kili-kien als Provinz, als Teil des Reiches von Antiochos IV. von Kommagene

12 Zu Suet. Vesp. 8,4 vgl. ausfuhrlich unten Abschnitt II. 13 Strab. 14,5,6 p. 671. 14 Dazu demnächst Tassilo Schmitt, Weder rauh noch eben (erscheint 2005); Gabriele Mietke u.a., Kilikien (Cilicia, Isauria), RAC 20, 2003, 803-864, Abschnitt A. 1.

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und die Herrschaft des Königs M. Antonius Polemo, den Josephus wohl nur deswegen als „König von Kilikien" bezeichnet,15 weil dieser sich auch selbst so stilisierte. Strabons geographische Unterscheidung des Rauhen und des Ebenen Kilikien ist eine aus solchen Verhältnissen gewonnene Abstraktion.

I.

Das bekannteste Zeugnis mit Bezug auf den kilikischen Raum, das aus der Zeit kurz nach Caesars Ermordung stammt, ist die Bürgerrechtsver-leihung an Seleukos von Rhosos.16 Der Text der Urkunde war für das Archiv der Heimatstadt des Neurömers bestimmt. Kopien sollten jeweils an Rat und Volk von Tarsos, Antiocheia und einer weiteren Polis gesandt werden, die in der Forschung meist mit Seleukeia identifiziert wird. Die beiden bekannten Städte liegen in der Nähe von Rhosos. Sie zu infor-mieren, lag sicher in Seleukos' Interesse. Dennoch ist es wahrscheinlich, daß die Reihenfolge ihrer Nennung in einem offiziellen Rechtsdokument römischen Gepflogenheiten folgt. Dann aber kann die Aufzählung nicht beliebig erfolgt, sondern muß vom Rang der Städte bestimmt sein.17 Un-ter dieser Perspektive fallt auf, daß Tarsos vor Antiocheia genannt ist. Der nächstliegende Grund fur diese Abfolge besteht darin, daß Tarsos in derselben römischen Provinz lag wie das vor allem betroffene Rhosos und deswegen vor dem zu einer anderen Provinz gehörenden Antiocheia aufzufuhren war.18

15 los. ant. lud. 20,145; zu den verschiedenen Polemones der Zeit vgl. die Überlegungen bei Gotter, Olba/Diokaisareia (wie Anm. 7) 301 -303; 315-319. 16 FIRAI2 55. Hartmut Wolff, Die Entwicklung der Veteranenprivilegien vom Beginn des 1. Jahrhunderts v. Chr. bis auf Konstantin d. Gr., in: Werner Eck, Hartmut Wolff (Hg.), Heer und Integrationspolitik. Die römischen Militärdiplome als historische Quelle, Köln 1986, 44-115, 75, datiert den Text ins Jahr 40 v. Chr. 17 Zum Rangdenken der Römer vgl. Rolf Rilinger, Moderne und zeitgenössische Vorstel-lungen von der Gesellschaftsordnung der römischen Kaiserzeit, Saeculum 36, 1985, 299-325; prägnant ders., Ordo und dignitas als soziale Kategorien der römischen Republik, in: Manfred Hettling u. a. (Hg.), Was ist Gesellschaftsgeschichte? Positionen, Themen, Ana-lysen. Hans-Ulrich Wehler zum 60. Geburtstag, München, 1991, 81-90, 82: „Es handelt sich bei ordo also um ein Konzept, dessen wichtigstes Merkmal die Strukturierung einer geschlossenen Gruppe durch Reihung bzw. Subordination darstellt." 18 Ist das richtig, müßte es später - im Zusammenhang mit der Rehabilitierung der Tarkon-dimotiden? (vgl. unten S. 195-198) - zu einer Grenzverschiebung gekommen sein. Täuber, Grenze (wie Anm. 1) 207-210, hat es nämlich wahrscheinlich gemacht, daß Rhosos im er-sten nachchristlichen Jahrhundert zu Syria gehörte. Die von ihm vorgelegten Quellen ma-chen zudem deutlich, daß es bei den Autoren erhebliche Unsicherheiten über die genauen

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Als Beleg für die Vereinigung der Pedias mit der Provinz Syrien werden gelegentlich die Angaben über den Aufgabenbereich des Sosius Senecio herangezogen.19 Dieser war, wie Cassius Dio berichtet, im Jahre 38 v. Chr. von M. Antonius mit der Befehlsgewalt über Syrien und Kilikien ausge-stattet worden: [sc. Senecio] την άρχήν της τε Συρίας και της Κιλικίας παρ' αύτοΰ λαβών.20 Seine Tätigkeit dort ist außerdem indirekt dadurch belegt, daß er Kunstschätze für den Tempel des Apollo Sosianus aus Se-leukeia am Kalykadnos nach Rom transportieren ließ.21

Dennoch dürfen aus diesem Quellenbefund keine voreiligen verwal-tungsgeschichtlichen Schlüsse gezogen werden. Denn Sosius war seine „Herrschaft" von Antonius delegiert worden, der damit eine der Lage ent-sprechende Personalentscheidung traf, aber eine grundsätzliche Reform von Zuständigkeiten weder intendiert haben muß noch ohne weiteres prä-judizielle. Wenn der Triumvir also gelegentlich kilikische Gebiete und Syrien zusammengefaßt hat, ist das nicht ausreichend fur die Hypothese, daß die späteren Festlegungen des Siegers Oktavian Augustus daran an-knüpfen mußten. Zwar ist es evident, daß dieser grundsätzlich die von Antonius geschaffene Situation übernahm, aber gerade im kilikischen Raum hat er erst nach einigem Experimentieren festere Zustände eta-bliert. Das erhellt etwa der Umgang mit dem Dynastengeschlecht der Tar-kondimotiden, die zunächst ihres Königreiches entsetzt, zehn Jahre spä-ter aber - nicht ohne territoriale Umgruppierungen! - wieder rehabilitiert wurden.22 Keineswegs entsprach demnach „the extent and character of Syria under the Principate ... simply the Antonian province of Syria".23

Zu beachten ist auch, daß Senecios Befehlsbereich nach der Formulie-rung bei Cassius Dio als ein zusammengesetzter erscheint und damit auf

Verhältnisse gab. Offensichtlich waren sie nicht in der Lage, vermeintlich widersprüchli-che Angaben in ihren Vorlagen als jeweilige Spiegelung der Lage zu verschiedenen Zeiten zu erkennen, und haben so zu der verwirrten Überlieferung beigetragen. 19 Ruprecht Ziegler, Das Koinon der drei Eparchien Kilikien, Isaurien und Lykaonien im späten 2. und frühen 3. Jahrhundert n. Chr., Studien zum antiken Kleinasien 4 (Asia Minor Studien 34), Bonn 1999, 137-153, 137 mit Anm.2. 20 Cass. Dio 49,22,3; vgl. auch los. ant. lud. 14,447. 21 Plin. nat. 13,53; 36,28. 22 Dazu gleich unten, S. 195-198. 23 So aber Syme, Observations (wie Anm. 1) 143. In diesem Zusammenhang verweist er außerdem darauf, daß M. Valerius Messalla Corvinus Statthalter in Syria gewesen sei und daß sich die Verse seines Schützlings Tibull, der vom Kydnos, von den Kilikern und vom Taurus spricht (Tib. 1,7,13-16), wenn man sie überhaupt heranziehen dürfe, „indicate that Pedias belonged to his province" (ebd.). Doch ist im selben Kontext bei Tibull auch vom Nil die Rede, der gewiß nicht zum Zuständigkeitsbereich des Patrons gehört hat: Das Ge-dicht ist für verwaltungsgeschichtliche Fragen ohne Bedeutung.

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die Existenz der beiden Provinzen Syria und Cilicia hinweist, die in dieser Situation lediglich unter ein gemeinsames Kommando gestellt wurden.24

Im Jahr 1915 publizierten Adolf Wilhelm und Josef Keil eine Inschrift aus Hierapolis-Kastabala, die in der Forschung gelegentlich als ein Beleg für die Zugehörigkeit des Ebenen Kilikien zu Syrien gilt.

Der Text lautet: Ό δήμος ό Ίεροπολιτών Λεύκιον Κ[α]λπόρνιον Πεί-σωνα, πρεσβευτήν και άντιστράτηγον, τον εύεργέτην και πάτρωνα της πόλεως, αρετής ενεκα και εύνοιας της εις αυτόν.25

Die Stadt Hierapolis-Kastabala ehrt hier L. Calpurnius Piso, einen lega-tos pro praetore, den man zumeist mit dem Konsul von 15 v. Chr. identi-fiziert.26 Dann gehört die Statthalterschaft in die Zeit des Augustus, in der Kastabala-Hierapolis im Herrschaftsbereich der Tarkondimotiden lag.27

Was aber Pisos Amtsbereich war, bleibt völlig im dunkeln. Er könnte als Statthalter von Cilicia oder auch von Syria im Sinne der eben genannten spätrepublikanischen Verhältnisse eine Art Kontrolle über die Tarkondi-motiden ausgeübt haben, aber auch im Rahmen eines Spezialauftrages nach Kastabala gekommen sein.28 Es ist nicht einmal auszuschließen, daß sein Aufenthalt dort in keinem inneren Zusammenhang mit der Stellung als legatus pro praetore stand. Für den Status Kilikiens darf man aus die-sen dürftigen Informationen so oder so gar keine Schlüsse ziehen.

Als Tiberius im Jahre 17n.Chr. vor dem Senat die Entsendung des Germanicus in den Osten und die dafür notwendigen Sondervollmach-ten begründete, verwies er unter anderem auf die Unruhen, die der Tod

24 Der Artikel vor Κιλικία macht es unwahrscheinlich, daß Cassius Dio eine Samtprovinz Syria et Cilicia meint. 25 Josef Keil, Adolf Wilhelm, Vorläufiger Bericht über eine Reise in Kilikien, ÖJh 18 Bei-blatt, 1915,49-52; vgl. AE 1920, 71; André Dupont-Sommer, Louis Robert, La déesse de Hiérapolis-Castabala (Cilicie), Paris 1964, 40 mit Anm.4; Bengt Thomasson, Laterculi praesidum I, Göteborg 1984, 305, Nr.33.13. 26 PIR2 C 289. 27 Zu dieser Familie jetzt grundlegend Gilbert Dagron, Denis Feissel, Inscriptions de Ci-licie, Paris 1987, 67-71; zu ihrer Rolle als lokale und regionale Kleinkönige Richard D. Sullivan, Near Eastern Royalty and Rome, 100-30 BC, Toronto 1990, 185-192; Mustafa H. Sayar, Tarkondimotos. Seine Dynastie, seine Politik und sein Reich, in: Jean u. a., La Ci-licie (wie Anm. 7) 373-380, mit der Edition neuer Inschriften Tarkondimotos' II. aus Ana-zarbos und Umgebung (377-378); Jennifer Tobin, The Tarkondimotid Dynasty in Smooth Cilicia, in: ebd 381-387. 28 Vgl. auch die verschiedenen Erwägungen bei Ronald Syme, The Titulus Tiburtinus (1973), in: ders., Roman Papers III, Oxford 1984, 869-884, 880-881; ders., Anatolica. Stu-dies in Strabo, hrsg. v. Antony R. Birley, Oxford 1995, 164-165, die zu keinem sicheren Ergebnis führen. Seiner allgemeinen Vorstellung folgend hat Syme dabei noch gar nicht berücksichtigt, daß der Geehrte durchaus einer Provinz Cilicia vorgestanden haben könnte.

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der Könige Antiochos und Philopator ausgelöst hätten: per idem tempus Antiocho Commagenorum, Philopatore Cilicum regibus defunctis tur-babantur naílones, plerisque Romanorum, aliis regium imperium cu-pientibus.29

Welche Regelungen Germanicus eventuell für das Königreich der Cilices getroffen hat, ist nicht sicher überliefert. Immerhin wandte sich unmittelbar nach dessen Tod der verdrängte Statthalter von Syrien, Cn. Calpurnius Piso, bei seinem Versuch, in die Provinz zurückzukehren, mit der Bitte um militärische Unterstützung brieflich an reguli Cilicum, an „Kleinkönige der Kiliker". Dieser Beistand wurde ihm gewährt.30 Damit steht fest, daß es auch am Ende der Mission des Germanicus noch Könige der Kiliker gab. Demnach ist die Ansicht, die zuletzt wieder Ruprecht Ziegler vertreten hat, zu modifizieren, wonach die Römer im Gebiet des verstorbenen Tarkondimotos Philopator eine direkte Herrschaft errichtet hätten:31 Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß Teile seines Terri-toriums nun der Provinzialverwaltung unterstellt wurden, aber gewiß existierten dort auch nach Germanicus' Neuordnung einheimische Kli-entelherrschaften fort.32 Wahrscheinlich war die politische Geographie

29 Tac.ann. 2,42,5: „Zur selben Zeit erschütterten nach dem Tod der Könige der Kom-magener Antiochos und der Kiliker Philopator Unruhen deren Völker: Die meisten wollten zur Herrschaft der Römer, die anderen zu Königreichen gehören." Der Kontext verrät, daß diese Entwicklungen von Tiberius zur Rechtfertigung der Ostmission seines Neffen genannt wurden. 30 Tac. ann. 2,78,2: regulis Cilicum ut se auxiliis iuvarent scribit („Er schreibt den Klein-königen der Kiliker, daß sie ihm mit Hilfstruppen beistehen"); 2,80,1: auxilia Cilicum, quae reguli miseront („Hilfstruppen der Kiliker, die die Kleinkönige geschickt hatten"). 31 Ruprecht Ziegler, Kaiser, Heer und städtisches Geld. Untersuchungen zur Münzprägung von Anazarbos und anderer ostkilikischer Städte, Wien 1993, 22. 32 Zu ihnen dürfte auch der Ignotus gehören, dessen schändliches Liebesleben, dessen erfolglose Versuche, den Schutz des Asklepios zu erhalten, und dessen Rebellion gegen die Römer eine Anekdote aus der Jugend des Apollonios von Tyana erhellt, die Philostrat erzählt (vita Apoll. 1,12). Der Mann wird zumeist (so etwa Vroni Mumprecht [Hg./Übers.], Philostratos, Leben des Apollonios von Tyana, München 1983,1029) als Statthalter identi-fiziert, weil von einer άρχή über Kiliker und von seinem άγοράν αγειν in Tarsos die Rede ist, was man als statthalterliche (Gerichts-)Tätigkeit deutet. Nun kann aber mit der άρχή über Kiliker auch eine Königs- oder Dynastenherrschaft wie die des Polemon gemeint sein; außerdem ist άγοράν αγειν mit „(Lebensmittel-)Handel treiben" zu übersetzen (vgl. Xen. an. 5,7,33). Der Unbekannte hat also in Tarsos nicht seines Amtes gewaltet, sondern Geschäfte gemacht, als er auf die Nachricht von Apollonios' Wirken überstürzt von dort aufbrach. Überdies hätte man von einem Statthalter oder von einem anderen Legaten wohl kaum ohne weitere Erklärungen einfach sagen können, daß er „gegen die Römer aktiv war"; auf einen treulosen Klientelherrscher hingegen paßt diese Formulierung ebenso gut wie eine Absprache mit Archelaos. Sein Ende fand der Unbekannte, als ihn Sicherheits-kräfte (δήμιοι) auf der Rückreise von der Begegnung mit Apollonios wenige Tage später aufspürten. Diese vollstreckten gewiß kein Urteil, zu dem es ohne Prozeß nicht gekommen

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grundsätzlich wieder so gestaltet wie in der Zeit vor dem (nicht zuletzt mit römischer Hilfe möglichen) Aufstieg der Tarkondimotiden-Dynastie, als die Gegend in viele Klein- und Kleinstherrschaften zerfallen war.33

Unter ihnen werden die Nachkommen des im Jahre 17 n. Chr. als verstor-ben genannten (Tarkondimotos II.) Philopator gewesen sein.34

Nach Philopators Tod bestand nach Tacitus, wie eben zitiert, die Al-ternative zwischen einem regium imperium oder dem direkten imperium Romanorum. Zumindest damals hat die Amtsgewalt der Statthalter sich also nicht über diese reguli erstreckt. Von Änderungen hören wir nichts, so daß man davon ausgehen kann, daß sich an dieser Grundkonstellation nichts änderte. Nach der für die Zeit Caesars bestehenden, oben erwähn-ten Taxonomie der Abhängigkeiten gehörten diese Gebilde damals also zu den Gebieten außerhalb der Provinz.35

Wie lange die kilikischen Könige ihre Herrschaft halten konnten und ob diese sich jeweils fortwährend über dasselbe Gebiet erstreckte, läßt sich nicht mit Sicherheit erweisen. Man kann aber wahrscheinlich machen, daß König Tarkondimotos II. Philopator neben Territorien im Amanos auch einen Streifen Land in der Gegend von Issos besessen haben muß.36

sein kann; vielmehr muß man annehmen, daß es zu einem Handgemenge kam, als der Be-schuldigte sich seiner Festnahme entziehen wollte. Wiewohl sich Philostrat für diese Epi-sode auf das in der Forschung vielfach als fiktiv angesehene Werk des Máximos von Aigeai beruft, gibt es keinen Grund, die Geschehnisse nicht zumindest für plausibel erfunden zu halten. Man erkennt dann, daß diese Dynasten aus dem Hinterland eher als (Groß-)Grund-besitzer anzusprechen sind, die zwar auf ihrem Gut Herrschaftsrechte ausüben, außerhalb aber darauf angewiesen sind, ihre Produkte in Städten wie Tarsos selbst feilzubieten. 33 Strab. 14,5,18 p. 766. 34 Vgl. oben S. 196 mit Anm. 29; außerdem Sullivan, Royalty (wie Anm. 27) 403; Olivier Casabonne, Notes ciliciennes 7-9, Anatolia antiqua/Eski Anadolu 8,2000, 89-113,98 mit Anm. 20. 35 Vgl. oben S. 191. Treffend hat Noel Lenski, Assimilation and Revolt in the Territory of Isauria from the 1st Century B.C. to the 6th Century A.D., JESHO 42, 1999,413-465, 419-420, eine allgemeine Aussage Strabons (14,5,6 p. 671) präzisierend, den Charakter der römischen Kontrolle beschrieben: „In the early empire ... Rome adopted the policy ... of asserting control only indirectly through the agency of regional rulers. Even so, the Isau-rians frequently overtaxed the military resources of the dynasts charged with their control. This forced Rome to commit outside forces regularity to bring them under heel. The period between the mid-first century BC and the mid-first century AD thus witnessed a joint effort by Rome and its client kings to gain hegemony over the hinterland." Syme, Anatolica (wie Anm. 28) 163, hat vermutet, daß nach Philopators Tod „a part, but not the whole principal-ity was probably annexed and added to Cilicia Pedias, which at this time belonged to the province of Syria." Unter Bezug darauf erklärt Sayar, Tarkondimotos (wie Anm. 27) 378, daß „das Gebiet des Tarkondimotos unter Kaiser Tiberius von Germanicus der römischen Provinz Syrien zugeteilt wurde." Das bleibt alles ganz unsicher, wenn man auch zugeste-hen muß, daß die späteren Tarkondimotiden gerade nicht in ihrem angestammten Herr-schaftsraum bezeugt sind; vgl. zuletzt Tobin, Tarkondimotid Dynasty (wie Anm. 27) 385.

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198 Tassilo Schmitt

Damit lag es wie ein Riegel zwischen der Provinz Syrien und dem dem König nicht unterstehenden Teil der Pedias. Zumindest so lange das so war, war diese letztgenannte Region eher selbständig als dem Statthalter von Syrien zugeordnet.

Im Jahre 18 n. Chr. kam Germanicus den Wünschen des Artabanos ent-gegen, der darum gebeten hatte, ne Vonones in Syria habere tur?1 Der Römer erfüllte diese Bitte und überstellte den exilierten früheren Parther-könig nach Soloi/Pompeiopolis. Tacitus nennt diese Stadt Ciliciae mari-tima urbs,38 Obwohl weit im Westen gelegen, gehörte sie unzweifelhaft zum Ebenen Kilikien, das hier also mit Cilicia gemeint sein muß. Daraus ergibt sich, daß Cilicia damals nicht Teil von Syria gewesen sein kann.39

Aus Aigeai in Kilikien stammt eine Münze, die durch Stil und Gewicht, insbesondere aber durch das Porträt des Tiberius auf der Vorderseite in die Regierungszeit dieses Kaisers datiert ist. Auf der Rückseite findet sich folgende Aufschrift: έπΐ Κουλεώνος Αίγεαίων Δημαν.40 Die beiden

36 Tassilo Schmitt, Die drei Bögen für Germanicus und die römische Politik in frühtibe-rischer Zeit nach dem Zeugnis der tabula Siarensis, RSA 27, 1997 [1998], 73-137, 111— 112. Sayar, Tarkondimotos (wie Anm. 27) 376, glaubt zwar, daß Tarkondimotos II. „keine direkte Verbindung zum Meer" mehr gehabt habe, übersieht aber, daß ihm Augustus bei der Restitution der Herrschaft seines Vaters „einige" Ankerplätze vorenthielt, also andere durchaus zugestand (Cass. Dio 54,9,2). Tobin, Tarkondimotid Dynasty (wie Anm. 27) 385-386, führt neuerdings beachtliche Gründe dafür an, daß der Zugang zum Meer in der Nähe von Issos gesucht werden muß. 37 Tac. ann. 2,58,1 : „daß Vonones nicht in Syrien belassen würde". Zu Vonones'Aufenthalt in Syrien - wahrscheinlich in Antiocheia - vgl. Tac. ann. 2,4,3. 38 Tac. ann. 2,58,2: „eine Seestadt Kilikiens". 39 Vonones hatte, als er das Partherreich verließ, einen Teil des Königsschatzes (gaza) mit-genommen. Dieser wurde, allerdings erst viel später, zurückgefordert. Artabanos legte in seinem Schreiben dar, daß man Vonones' Hinterlassenschaft in Syria Ciliciaque (Tac. ann. 6,31,1 : „in Syrien und Kilikien") finden könne. Bickerman, Syria and Cilicia (wie Anm. 1 ) 354, entnimmt dieser Angabe, daß die beiden Provinzen damals, d.h. im Jahre 35 n.Chr. oder kurz zuvor, miteinander vereinigt gewesen seien. Dabei setzt er voraus, daß Vonones die gaza als Einheit und nicht an verschiedenen Orten deponiert hatte, daß die Parther die-ses Versteck erkundet und den Ort entsprechend der römischen Amtssprache identifiziert hatten und daß Tacitus ihre Formulierung unverändert übernahm. Der Historiker hätte da-bei von seinem Publikum, das in seiner Zeit nur zwei voneinander verschiedene Provinzen Syrien und Kilikien kannte, präzise verwaltungsgeschichtliche Kenntnisse erwartet. Wahr-scheinlich ist das nicht: Zuhörer und Leser werden den Text vielmehr so verstanden haben, daß Vonones die gaza sowohl in Syrien also auch in Kilikien hatte verwahren lassen. In Syrien, wo sich Vonones mit dem Statthalter Piso gut verstanden hatte (Tac. ann. 2,58,2), wurden Gelder auch nach seinem Weggang für Wühlarbeiten im Partherreich gebraucht. Nach Kilikien mußte sich der Exulant hinreichend Mittel für die eigene Lebensführung mitnehmen. 40 Andrew Burnett u. a., Roman Provincial Coinage, Bd. 1 : From the Death of Caesar to the Death of Vitellius. 44 BC-AD 69, London 1992, 593 Nr. 4030.

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Kilìkien im Imperium Romanum von Caesar bis Vespasian 199

letzten Wörter lassen erkennen, woher die Münze stammt (Αίγεαίων), und nennen - in einer Abkürzung - den für die Prägung am Ort Verant-wortlichen (Δημαν). Davor findet sich eine Angabe, die das Geldstück in die Amtszeit eines Cul(l)eo datiert. Das ist ein lateinischer Name. Dem-nach ist hier mit höchster Wahrscheinlichkeit ein Vertreter der römischen Obergewalt genannt.

Folgt man der communis opinio, wonach das Ebene Kilikien und so auch Aigeai in der vorflavischen Kaiserzeit zu Syria gehört habe, müßte es sich um den syrischen Legaten handeln. Dieser war regelmäßig ein Konsular. Nun ist aber für den fraglichen Zeitraum weder ein Konsul, noch ein konsularer Amtsträger Cul(l)eo bekannt. Umgekehrt ist freilich ein Mann belegt, der erst im Jahre 40 n. Chr. den SufFektkonsulat errei-chen sollte: Q. Terentius Culleo.41

Zu diesem Konsulat würde eine prätorische Statthalterschaft in spät-tiberischer Zeit gut passen. Eine Identifikation mit dem auf der Münze genannten Römer liegt auch wegen des seltenen Beinamens näher als das Gegenteil. Zugleich ist es aus methodischen und aus chronologischen Gründen nicht wahrscheinlich, daß dieser Culleo einer der syrischen Le-gaten mit eigentlich irregulärem prätorischem Rang gewesen ist:42 Solche Ausnahmen sind unter Tiberius in den 20er Jahren n. Chr. bekannt und damit recht früh, um mit einem Konsulat im Jahre 40 kombinierbar zu sein. Das gilt besonders deswegen, weil auch die wenigen prätorischen Statthalter in dieser Provinz eine schwierige und angesehene Aufgabe übernommen hatten, die ihrer Karriere eher Schub verleihen mußte als sie zu verzögern. Im übrigen sollte man zur Deutung von Einzelbefunden eher die allgemeinen als besondere Verhältnisse postulieren.

Daraus ergibt sich, daß die aus Aigeai bekannte Münze dort geprägt wurde, als Q. Terentius Culleo in spättiberischer Zeit als Statthalter einer Provinz Cilicia im prätorischen Rang fungiert hat. Er ist der früheste bis-lang bekannte Amtsinhaber aus der Kaiserzeit.43

Den Befürwortern der traditionellen Auffassung von der politischen Gliederung dieses Raumes gilt wohl besonders die Beobachtung als wichtig, daß immer dann, wenn auch im Rauhen Kilikien die epichoren Herrscher mit den Unruhen nicht mehr fertig wurden, regelmäßig syri-

41 Max Fluß, Q. Terentius Culleo, RE 29, 1934, 655; PIR Τ 54; Antony R. Birley, Q. Ter-entius Culleo, DNP 12, 2002,148. 42 So aber Ronald Syme, Juvenal, Pliny, Tacitus (1979), in: ders., Roman Papers III (wie Anm.28) 1135-1157, 1151, Anm.59. 43 Anders noch Schmitt, Bögen für Germanicus (wie Anm. 36) 111, Anm. 138.

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sches Militär eingegriffen hat.44 Natürlich lag hier so etwas wie Nachbar-schaftshilfe vor. Aber fur die Zugehörigkeit der Pedias läßt sich daraus nichts folgern, wenn man mit der Möglichkeit rechnet, daß dieses Gebiet wie später auch als provincia inermis konstituiert war.45 Brauchte man also Truppen gegen Kieten oder andere Bergler, galt es, sich an den syri-schen Statthalter zu wenden. Der kilikische konnte nicht helfen.

Paulus spricht davon, daß er τα κλίματα της Συρίας και (της46) Κιλικίας47 bereist habe. Nach der Apostelgeschichte durchzieht er την Συρίαν και (την48) Κιλικίαν.49 Das in derselben Schrift zitierte sogenann-te Aposteldekret ist an die Brüder aus den Heiden κατά Άντιόχειαν και Συρίαν και Κιλικίαν adressiert.50 Zumindest im letztgenannten Zeugnis, wahrscheinlich aber auch in den beiden anderen ist „Syrien und Kilikien" kein rein geographischer, sondern im weitesten Sinne ein administrativer Begriff. Als solcher gehört er in den Bereich der kirchlichen Selbstorga-nisation. Diese knüpfte schon aus praktischen Gründen an die politische Gliederung des Reiches an. Die Junktur „Syrien und Kilikien" spiegelt deswegen die römische Provinzialordnung. Nicht zufallig diente An-tiocheia als Relais für die Brüder dort. Keineswegs ist aber gesichert, daß die Urkirche das Schema des Imperium ohne Modifikation übernommen haben muß. Wenn man berücksichtigt, daß hier zunächst nur wenige und auch nur wenig zahlreiche Ortskirchen anzusprechen waren, ist es durch-aus vorstellbar, daß zwei oder mehr der Reichsprovinzen zu einem „Kir-chensprengel" zusammengefaßt und gemeinsam betreut wurden.51 Es ist also nicht möglich, auf der Basis der zu rekonstruierenden embryonalen Ordnung der Kirche auf den exakten Zustand der zeitgenössischen Ord-nung des Imperium zu schließen.

44 Tac.ann. 3,48,1 (vor 21 n.Chr.); 6,41,1 (36 n.Chr.); 12,55 (52 n.Chr.). 45 Robert K. Sherk, The „inermes provinciae" of Asia Minor, AJPh 76, 1955, 400-413, 411-412. 46 Der Artikel ist nicht sicher überliefert. Gehört er in den ursprünglichen Text, wird ohne weiteres deutlich, daß der Apostel κλίματα („Gegenden") in zwei verschiedenen Provin-zen meint. 47 Gal. 1,21 : „die Gegenden von Syrien und Kilikien". 48 Auch hier ist unklar, ob der Artikel ursprünglich ist oder nicht. Vgl. Anm. 46. 49 Acta 15,41: „Syrien und Kilikien". 50 Acta 15,23: „in Antiocheia, Syrien und Kilikien". Vgl. Bickerman, Syria and Cilicia (wie Anm. 1) 359-360, der zeigt, daß aus dieser Formulierung lediglich folgt, daß Lukas das an diese Kirchen versandte Exemplar vorlag, nicht aber, daß der Text nicht auch an-derswohin geschickt wurde. 51 In diesen urkirchlichen Verhältnissen liegen die Wurzeln für die spätere Zugehörigkeit der kilikischen Diözesen zum Patriarchat von Antiocheia.

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Kilikien im Imperium Romanum von Caesar bis Vespasian 201

Wahrscheinlich im Jahre 55 n. Chr. eilte Ummidius Quadratus, der syri-sche Statthalter, Corbulo nach Aigeai in Kilikien entgegen. Folgt man Ta-citus, wollte er es vermeiden, daß aller Augen sich auf diesen stattlichen Mann und Oberbefehlshaber im Armenienfeldzug richteten, sobald er Sy-r/a betrete.52 Logisch ergibt sich daraus, daß Corbulo noch nicht in Syria war, als er in Aigeai weilte. Eine solche Formulierung wäre zumindest ungewöhnlich, wenn Aigeai mit dem Ebenen Kilikien Teil der provincia Syria gewesen wäre. Der besondere Rang Corbulos rechtfertigte es wohl, ihm sogar über die eigenen Provinzgrenzen hinaus entgegenzueilen.

Im Jahre 57 n.Chr. wurde in Rom Cossutianus Capito von Cilices vor ein Repetundengericht gebracht. Wie Tacitus kommentiert, habe dieser sich in der Provinz dieselben widerlichen Frechheiten erlaubt wie in der Stadt Rom. Die Hartnäckigkeit der Ankläger führte schließlich zu seiner Verurteilung: Cossutianum Capitonem Cilices detulerant, maculosum foedumque et idem ius audaciae in provincia ratum, quod in urbe exer-cuerat; sed pervicaci accusatione conflictatus postremo defensionem omisit ac lege repetundarum damnatus est." Viel später trägt Tacitus noch nach, daß die „Gesandten der Kiliker" nicht zuletzt wegen der Un-terstützung obsiegt hätten, die ihnen Paetus Thrasea gewährt hatte: Capi-to Cossutianus ... iniquus Thraseae, quod auctoritate eius concidisset, iuvantis Cilicum legatos, dum Capitonem repetundarum interroganti

Aus dieser Schilderung scheint sich ohne weiteres zu ergeben, daß sich Cossutianus Capito als Statthalter in einer Provinz Kilikien so viele Übergriffe erlaubt habe, daß nach Ablauf seiner Amtstätigkeit Gesandte dieser Provinz in Rom erfolgreich ein Repetundenverfahren anstrengen konnten. So ist der Sachverhalt auch bisweilen in der älteren Forschung interpretiert worden.55 Weil aber die Neueren voraussetzen, daß es in der neronischen Zeit keine Provinz Kilikien gegeben habe, muß man Cossu-tianus Capitos Untaten anderswo lokalisieren. Erfolgreich hat Ronald Syme die Ansicht vertreten, daß Tacitus' Aussage, der korrupte Politiker sei durch die Ausführungen von Cilices überführt worden, in literarischer

52 Tac. ann. 13,8,3. 53 Tac. ann. 13,33,2: „Cossutianus Capito zogen die Kiliker vor Gericht, einen rachlosen Dunkelmann, der der Meinung gewesen war, daß er in der Provinz dasselbe Recht auf Frechheit habe, das er in der Stadt für sich beansprucht hatte. Durch die Zähigkeit der Anklage niedergerungen gab er endlich die Verteidigung auf und wurde nach dem Repe-tundengesetz verurteilt." 54 Tac. ann. 16,21,3: „Capito Cossutianus, der mit Thrasea verfeindet war, weil er durch dessen Parteinahme unterlegen war, als dieser den Gesandten der Kiliker geholfen hatte, wie sie Capito vor ein Repetundengericht zogen." Vgl. Quint, inst. 6,1,14; luv. 8,94. 55 Edmund Groag, Cossutianus Capito, RE 4,2, 1901, 1673.

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Verkünstelung den tatsächlichen Hergang verdunkelt habe: Cossutianus Capito sei in Wirklichkeit Statthalter in Lycia-Pamphylia gewesen.56 Ein Beleg für diese Rekonstruktion fehlt. Sie ist nicht einmal wahrschein-lich: Denn Tacitus berichtet doch klar und sogar an zwei verschiedenen Stellen über die Geschehnisse und erzählt im selben Zusammenhang, in dem er die Anklage der Kiliker gegen Cossutianus erwähnt, außerdem kurz vom Prozeß gegen T. Clodius Eprius Marcellus. Dessen Vergehen als Statthalter von Lycia et Pamphylia haben die Vertreter dieser Provinz, die Lycii genannt werden, in Rom angezeigt.57 Hätte Syme recht, müßte man Tacitus zumuten, über zwei Fälle aus derselben Provinz zu berichten, dabei Provinz und Provinziale aber unterschiedlich zu bezeichnen. Wem sollte mit einer solchen „literarischen" Verdrehung gedient, wofür sollte sie gut sein? Es kann nicht darum gehen, Tacitus' Bericht in ein vorge-faßtes Schema zu pressen, sondern dieser hat das Vetorecht der Quellen gegenüber einer auf unzureichend gesicherten Vorannahmen beruhenden Gesamtsicht.

Demnach gab es in neronischer Zeit eine provincia, in der Capito wüten und die als Cilices auftretende Gesandte als Kläger eines Repetundenver-fahrens nach Rom schicken konnte. Der Auftraggeber war dabei gewiß das κοινόν, der Provinziallandtag, dessen Existenz damit zumindest für die Spätphase der julisch-claudischen Epoche gesichert ist.58

56 Ronald Syme, Tacitus, 2 Bde., Oxford 1958, Bd. 2, 557; ders., Juvenal, Pliny, Tacitus (wie Anm.42) 1150-1152; zurückhaltend zustimmend zuletzt Werner Eck, Cossutianus Capito, DNP 3, 1997, 212. Vgl. auch Erich Koestermann, Cornelius Tacitus, Annalen, 4 Bde., Heidelberg 1963-1968, Bd. 3, 299 u. Bd. 4, 379. 57 Tac.ann. 13,33,3. 58 Die ältere Auffassung, daß der Landtag unter Augustus eingerichtet worden sei, ist nicht zu beweisen. Man stützte sich hierfür auf die Interpretation von Münzen, die - wie längst bekannt ist - vielmehr als „Gepräge des Antoninus Pius und der kindlichen Brüder Com-modus und Annius Veras" anzusehen sind. Dazu überzeugend Ruprecht Ziegler, Zur Ein-richtung des kilikischen Koinon. Ein Datierungsversuch, Studien zum antiken Kleinasien III (Asia Minor Studien 16), Bonn 1995, 183-186, 183 mit Anm. 1-3. Zieglers eigene Datierung der Einrichtung des Landtages ist durch drei Gesichtspunkte bestimmt: (1) Er bestreitet nebenbei und ohne weiteres die Relevanz des taciteischen Berichtes über die „Gesandten der Kiliker". Dagegen ist darauf hinzuweisen, daß Tacitus' Publikum diese Formulierung, den Erfahrungen seiner Zeit entsprechend, so verstehen mußte, daß die Be-schwerdeführer, die für mehr als nur eine einzelne - sonst zu nennende - Stadt sprachen, von einem mit derartigen Angelegenheiten regelmäßig befaßten Gremium beauftragt wa-ren. Für die Annahme, daß nicht ein kilikischer Provinziallandtag, sondern der Landtag einer Teilprovinz der größeren - und von Ziegler vorausgesetzten - Samtprovinz Syria et Cilicia die Klage veranlaßt hätte, spricht nichts. Zwar sind solche concilia gerade im klein-asiatischen Raum, später sogar innerhalb der Provinz Cilicia gut belegt. Aber es fehlen Zeugnisse dafür, daß sie wie die eigentlichen Provinziallandtage ihre Beschwerden in Rom hätten vortragen können. (2) Ziegler hebt hervor, daß in Dion von Prasas 2. Tarsischer

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Kilikien im Imperium Romanum von Caesar bis Vespasian 203

Ebenfalls unter Nero ist durch je eine Inschrift aus dem pisidischen Antiocheia und aus Side ein C. Iulius Proculus als procurator Neronis Claudi Caesaris Augusti Germaniciprovinciae Cappadociae et Ciliciae belegt.59 Die wissenschaftliche Diskussion um sein Amt versucht zu klä-ren, ob er Präsidialprokurator einer Doppelprovinz Cappadocia et Cilicia oder Finanzprokurator mit einem Aufgabenbereich war, der diese beiden Distrikte umfaßte.60 Eine völl ig sichere Lösung ist nicht gefunden wor-den.61

Aber unabhängig davon, was richtig ist, schließen es beide Varianten aus, daß Cilicia damals Teil der Provinz Syria gewesen ist. Im Falle der Präsidialprokuratur versteht sich das von selbst. War Proculus aber Fi-nanzprokurator, ist es kaum vorstellbar, daß er lediglich fur einen Distrikt innerhalb der großen Provinz Syria und nicht auch für die anderen zu-ständig gewesen ist, obwohl er fur Cappadocia und damit außerhalb von Syria Verantwortung getragen hat.62

Rede allein Demiurgie und Gymnasiarchie, nicht aber eine Kilikarchie genannt seien (so schon ders., Städtisches Prestige und kaiserliche Politik. Studien zum Festwesen in Ostki-likien im 2. und 3. Jahrhundert n.Chr., Düsseldorf 1985, 58 Anm.213). Angesichts dessen, daß im zweiten Jahrhundert dieses letztgenannte Munus von zentraler Bedeutung ist, er-laube die Nichterwähnung einen Schluß auf die Nichtexistenz. Demgegenüber ist über die allgemeine Feststellung hinaus, daß ein argumentum e silentio, wie Ziegler selbst einräumt, grundsätzlich problematisch ist, hervorzuheben, daß nach seiner Vorstellung regelmäßig tarsische und andere kilikische Bürger am Landtag in Antiocheia teilgenommen haben. Dabei darf ihnen nicht verwehrt geblieben sein, auch den Vorsitz zu übernehmen. Sie hät-ten also die Rolle des (immerhin später so genannten) Syriarchen spielen können. Gerade für die stolzen und stark hellenisierten Tarser hätte das eine Herausforderung sein müssen. Aber auch davon spricht Dion nicht: Sein Schweigen ist demnach so oder so irrelevant. (3) Ziegler stellt eine neue Silbermünze vor, die die Existenz des Koinon in hadrianischer Zeit erweist und die er mit guten Gründen in die Jahre 129-130 oder 132-135 datiert (vgl. auch ders., Koinon der drei Eparchien [wie Anm. 19] 138, wo er der jüngeren Zeitstellung den Vorzug einräumt). Damit allerdings ist lediglich ein terminus ante quem gewonnen, der es nicht ausschließt, daß der Landtag damals bereits auf eine generationenlange Geschichte zurückblicken konnte. Insgesamt ist somit gegen Ziegler an der Existenz eines kilikischen Landtages in vorflavischer Zeit nicht zu zweifeln, auch wenn offen bleiben muß, wann er eingerichtet wurde. " AE 1914, 128; AE 1966,472 = IvSide I, Nr. 55. 60 Möglicherweise geht auf diesen Proculus das Bürgerrecht eines später in Tarsos be-zeugten Mannes zurück, vgl. Dagron, Feissel, Inscriptions (wie Anm. 27) Nr. 72; Johannes Nollé, Side im Altertum. Geschichte und Zeugnisse, Bd. 1 : Geographie, Geschichte, Testi-monia. Griechische und lateinische Inschriften, Bonn 1993 (= IvSide I), 335. 61 Heil, Außenpolitik (wie Anm. 5) 203-205; Nollé, Side (wie Anm. 60) ad loc. 62 Das Argument verlöre an Gewicht, wenn sich zeigen ließe, daß Cilicia nur die Bezeich-nung einer Region ist, in der sich - obwohl nicht als Provinz organisiert - Besitztümer des Kaisers befanden, für die Proculus zuständig war. Die Formulierung in der Inschrift legt aber nahe, daß sein Amtsbereich auf administrativen Gegebenheiten, also wohl auf „Pro-

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Ein weiteres Zeugnis kann die Verhältnisse unter Nero erhellen. Es handelt sich um eine Notiz der Apostelgeschichte über das Gespräch, das Antonius Felix, der Prokurator für Judäa, mit dem ihm aus Jerusa-lem überstellten Paulus fuhrt.63 Felix fragt den Angeklagten, έκ ποίας έπαρχείας er sei, und erfahrt, daß Paulus από Κιλικίας stamme.64 Diese Vergewisserung hängt mit der prozeßrechtlichen Möglichkeit zusammen, den Angeklagten an ein forum domicilii zu überweisen.65 Gerade weil aber Lukas diese Zusammenhänge völlig im dunkeln läßt, hatte er keinen Grund, diesen Teil des Gespräches zu erwähnen außer dem, daß er die Einzelheit in seiner Quelle vorfand. Schon diese Vorlage also nannte die επαρχεία Κιλικία als Paulus' domicilium.

Zwar kann επαρχεία grundsätzlich nicht nur eine römische provincia, sondern auch einen Teil davon bezeichnen. Aber der Statthalter von Judäa mußte nicht wissen, aus welcher mutmaßlichen Teilprovinz sein Gegen-über kam, sondern nur, ob diesem anderswo als in Judäa der Prozeß ge-macht werden konnte.66 In seiner Antwort hat Paulus folglich die Provinz Cilicia gemeint.

Eine solche hat es unzweifelhaft natürlich zu der Zeit gegeben, als Lu-kas die Apostelgeschichte verfaßt hat. Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß seine Quellen nur wenig älter sind, hat man also zu erwägen, ob die Autoren hier nicht die Verhältnisse ihrer Zeit anachronistisch in die vorherige Generation übertragen haben. Voraussetzung dafür wäre, daß

vinzen" aufruht: Des Prokurators provincia umfaßte das Gebiet der römischen provinciae Kappadokien und Kilikien. 63 Zu Antonius Felix zuletzt Heike Omerzu, Der Prozeß des Paulus. Eine exegetische und rechtshistorische Untersuchung der Apostelgeschichte, Berlin 2002, 404-406. Zum Amtstitel des Statthalters und zur frühkaiserzeitlichen Geschichte der Provinz mit reicher Literatur vgl. Werner Eck, Rom und die Provinz Iudaea/ Syria Palaestina. Der Beitrag der Epigraphik, in: Aharon Oppenheimer (Hg.), Jüdische Geschichte in hellenistisch-römi-scher Zeit. Wege der Forschung. Vom alten zum neuen Schürer, München 1999, 237-263; Hannah M. Cotton, Some Aspects of the Roman Administration of Judaea/Syria-Palaesti-na, in: Werner Eck (Hg.), Lokale Autonomie und römische Ordnungsmacht in den kaiser-zeitlichen Provinzen vom 1. bis 3. Jahrhundert, München 1999, 75-91. 64 Acta 23,34. 65 Theodor Mommsen, Die Rechtsverhältnisse des Apostels Paulus, ZNW 2,1901, 81-96, 92; Adrian N. Sherwin-White, Roman Society and Roman Law in the New Testament. The Sarum Lectures, Oxford 1963, 28-31; 55-57; Omerzu, Prozeß (wie Anm.63) 413-415. 66 Omerzus Kommentar (ebd., 414), daß „Tarsus zur Zeit der Anklage des Paulus noch zu der vereinten Provinz Syrien-Kilikien [gehört habe] ..., also dem gleichen Legaten unter-stellt [war] wie Judäa", setzt zum einen die hier zu kritisierende Ansicht von der Samtpro-vinz Syrien-Kilikien voraus und ignoriert zum anderen, daß die von Claudius errichtete prokuratorische Provinz Judäa nicht mehr wie früher die Präfektur (etwa des Pontius Pila-tus) einfach ein Annex der Provinz Syria gewesen ist.

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Kilikien im Imperium Romanum von Caesar bis Vespasian 205

noch ältere Überlieferung dazu gar nichts oder doch dem jüngeren Autor Ungenügendes enthalten hätte.

Wofür aber haben sich dann Lukas oder sein mutmaßlicher Gewährs-mann interessiert, daß sie dieser Prozeßeinleitungsfrage ein derartiges Gewicht beimaßen, wenn sie Paulus' Herkunft - dann auch noch falsch -in die Überlieferung einfugten? Für Lukas selbst ist kein Motiv erkenn-bar, für seine Quelle nicht sinnvoll zu erschließen. Viel einfacher ist die Erklärung, daß hier ein Stück Erinnerung an den tatsächlichen Verlauf der Unterredung zwischen dem Apostel und dem Statthalter vorliegt. Dann hat es also in neronischer Zeit eine Provinz Cilicio gegeben.

Der kursorische Überblick ergibt bisher, daß in der julisch-claudischen Zeit das Ebene Kilikien eher selbständig als Teil der großen Provinz Syria gewesen ist. Diese Aussage ist sicherer als eine Einschätzung des Status der Provinz. Er muß nicht immer der gleiche gewesen sein. Die Quel-len machen es aber wahrscheinlich, daß Cilicia regelmäßig einen sena-torischen Statthalter prätorischen Ranges hatte. Wenn dies die richtige Deutung der Amtsstellung des Terentius Culleo in tiberischer Zeit und des Cossutianus Capito unter Nero ist, muß man für Proculus eher eine Finanzprokuratur annehmen.

II.

Ein wesentlicher Stützpfeiler für die These, daß Vespasian in den frühen 70er Jahren n. Chr. aus der vorher zu Syrien gehörigen Pedias und aus zuvor Klientelherrschem unterstellten Gebieten der Tracheia eine neue Provinz Cilicia geformt habe, ist eine Aufzählung in Suetons Lebensbe-schreibung dieses Kaisers, die in der Forschung gemeinhin so zitiert wird: Achaiam, Lyciam, Rhodum, Byzantium, Samum liberiate adempia, item Trachiam Ciliciam et Commagenen dicionis regiae usque ad id tempus in provinciarum formam redegit.61

Für Kilikien entnimmt man dieser Notiz, daß Vespasian das „Rauhe" (Trachia = Τραχεία) Kilikien, das bisher wie Kommagene unter einer Königsherrschaft gestanden sei, in eine Provinz umgeformt habe.

Kaum mehr Beachtung findet dabei die handschriftliche Überlieferung von Suetons Biographien. Die in den modernen Ausgaben gedruckte Wortfolge Trachiam Ciliciam ist in den Textzeugen nämlich nicht sicher belegt; sie kommt nur im codex Parisinus 6116 aus dem zwölften Jahrhun-

67 Suet. Vesp. 8,4. Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library

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dert vor, das heißt in einer im übrigen nicht besonders guten Handschrift, von der zudem feststeht, daß sie grundsätzlich in eine Traditionslinie mit weiteren Manuskripten gehört, die alle die Form Thraciam bieten. Die moderne Kritik stützt sich deswegen mit Recht nicht auf diese ihrer An-sicht nach korrekte, aber eben vielleicht zufallig korrekte Version.

Es sind inhaltliche Kriterien, die Adrian Turnèbe (Tracheam) und Richard Bentley (Trachiam) zu ihrer Lesart bewogen und die dann auch die jüngeren Editoren überzeugt haben.68 Ohne Eingriff in den Text ist hier von Thrakien die Rede. Thrakien aber sei, so argumentiert man, schon unter Claudius in eine Provinz umgewandelt worden. Vespasian habe deswegen dort kein in formant provinciarum redigere durchführen können. Die Textüberlieferung müsse gestört sein. Um die Korruptel zu heilen, deutet man Thraciam als Mißverständnis des nur transkribierten griechischen Adjektives τραχεΐαν, das Strabon zur Unterscheidung des zerklüfteten Teils Kilikiens von der Ebene verwendet hat.

Akzeptiert man diese Konjektur, darf man Suetons Text entnehmen, daß Vespasian etwas am Status einer Trachia Cilicia, am Status des „Rau-hen Kilikien", geändert hat. Festzuhalten ist aber, daß damit noch längst nicht dargetan ist, daß damals eine aus dem „Ebenen" und dem „Rauhen Kilikien" zusammengesetzte provincia Cilicia geschaffen worden ist.

Turnèbe und Bentley waren Gelehrte von Rang und ihre Autorität hat eine Veränderung des überlieferten Textes sanktioniert, die insofern fatal war, als sie vom zentralen Interpretationsproblem abgelenkt hat. Denn Vespasians in formam provinciarum redigere bezieht sich nach der Gram-matik des Satzes ganz ebenso auf Achaia, Lycia, Rhodus, Byzantium und Samus, von denen man ebensowenig wie im Falle Thrakiens sagen kann, daß sie in eine Provinz umgewandelt wurden. Textkritische Operationen versagen bei dieser Liste. Man muß sich entscheiden: Entweder formu-liert Sueton hier manifesten Unsinn, wenn er von der Umwandlung von Landschaften in Provinzen spricht, mit denen das nachweislich nicht ge-schehen ist. Oder in formam provinciarum redigere bedeutet etwas ande-res, als die moderne Forschung meist unterstellt, und kann dann korrekt auf alle aufgeführten Regionen bezogen werden.

In beiden Fällen verbietet sich allerdings der übliche Eingriff in den Text: Manifesten Unsinn kann man erstens nicht bestimmen. Zweitens

68 Vgl. die Angaben im textkritischen Apparat der von Maximilian Ihm veranstalteten Ausgabe (Suetonius Vitae. Editio minor, Leipzig 1908 [ND Stuttgart 1967], 301): „Tra-chiam Bentl. (sie casu Π, Tracheam Turn.), thraciam Ω," wobei mit Π der codex Parisinus 6116, mit Ω der Archteypus bezeichnet sind.

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war ja gerade das Vorverständnis von in formarti provinciarum redigere die entscheidende Grundlage für die Neukonstitution des Textes.

Diese erscheint aber nicht nur aus sachkritischen, sondern auch aus text-kritischen Überlegungen in einem eher trüben Licht. Wie schon gezeigt, bietet die handschriftliche Überlieferung keinen Anlaß für einen Eingriff. Nur orthographische Varianten sind zu beobachten, so daß für den Arche-typus ohne jeden Zweifel Thraciam rekonstruiert werden kann.

Bedeutsam ist außerdem, daß dieselbe Liste mit Thraciam auch bei Eutropius und Orosius überliefert ist.69 Da zugleich vorausgesetzt werden darf, daß die Textüberlieferungen der verschiedenen Schriften nicht auf-einander eingewirkt haben, ist zu folgern, daß dieser Katalog zumindest in der Spätantike die Namen nannte, die die Texte von Sueton, Eutrop und Orosius in den greifbaren Zeugen heute noch anführen. Da überdies alle Anzeichen dafür fehlen, daß die jüngeren Autoren vorsuetonisches Mate-rial herangezogen hätten, ist zu folgern, daß die jeweiligen geringfügigen Varianten in der Formulierung kaum auf besserer Sachkenntnis beruhen. Es ergibt sich, daß für die historische Analyse allein die Nachricht bei Sueton herangezogen werden darf.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß lateinisch trachia nur als griechi-sches Lehnwort in der Bedeutung „Luftröhre"70, nirgends jedoch sicher als Bezeichnung einer Teilregion Kilikiens bezeugt ist. Denn die beiden Belege, die man allenfalls anführen könnte, erweisen sich bei genauerer Analyse als nicht überzeugend:

(1) In einer Inschrift für Q.Veranius ist von dessen Sieg im Gebiet des sogenannten Rauhen Kilikien die Rede. Nur der Schluß ist erhalten [,..]acheotarum expugnatum delevit.71 Wahrscheinlich ist davor castel-lum und recht sicher ein Ethnonym mit der Spezifikation [Tr]acheotarum zu ergänzen. Daraus ergibt sich, daß Veranius' Gegner XXX Tracheotae hießen. Das Wort Tracheotae ist ein Adjektiv, das die Zugehörigkeit zur Τραχεία bezeichnet. Die Wortbildung aber ist griechisch, nicht lateinisch: Das heißt, daß Tracheotae gerade keine lateinische Trachia voraussetzen. Von dieser Form nämlich hätte man die dort Wohnenden als *Trachici oder *Trachiani abgeleitet. Damit ist nicht gezeigt, daß es keine Trachia gegeben haben kann, aber doch die Möglichkeit abgewiesen, ihre Exi-stenz aufgrund eines Belegs für Tracheotae zu erschließen.

69 Eutr. 7,9,14; Oros. 7,9,10. 70 Macr. sat. 7,15,2. 71 AE 1953, 251 Z. 12: „[das Kastell?] der ... achaeotae zerstörte er nach einer erfolgrei-chen Belagerung".

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(2) In der spätantiken, in der Zeit um die Wende vom vierten zum fünf-ten nachchristlichen Jahrhundert entstandenen Epitome de Caesaribus findet man nach der Standardausgabe von Franz Pichlmayr und Roland Gruendel im Kapitel über Vespasian folgenden Text: Syria, cui Palaesti-na nomen est, Ciliciaque ac Trachia et Commagene, quam hodieAugu-stophratensem nominamus, provinciis accessere.n Der anonyme Autor,73

der dabei vielleicht schon seiner unmittelbaren Quelle folgte, ist sichtlich darum bemüht, seinem Leser Verständnishilfen anzubieten. Nicht nur hier erläutert er Begriffe, von denen er annimmt, sie seien unverständlich. Dazu gehört für ihn Commagene, nicht aber Trachia, obwohl er für ein lateinischsprachiges Publikum schrieb, in dem die Griechischkenntnisse schwanden, die für eine Ableitung und Zuordnung nötig gewesen wären. Denn man wird aus dem bisher ausgebreiteten Befund, daß sich lateinisch Trachia sonst nicht nachweisen läßt, immerhin den Schluß ziehen dürfen, daß die Bezeichnung zumindest wenig geläufig war. Außerdem ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß sich der Anonymus hier aus sachlichen Erwä-gungen und besserer Kenntnis gegen die übrige Überlieferung stellte, aus der er sonst grundsätzlich auch schöpfte.74 Denn gerade wenn die Trachia eigentlich eine τραχεία Κιλικία ist, hätte die ja ebenfalls genannte (dann restliche) Cilicia genauer definiert werden müssen. Das Paradox, daß der Anonymus zugleich sowohl sehr gut als auch nicht so recht Bescheid ge-wußt hätte, läßt sich allerdings aufheben, wenn man ac nicht als Kopula, sondern epexegetisch auffaßt: „Kilikien und zwar die Tracheia und Kom-magene". Der Autor hätte dann allerdings wiederum seinem Publikum zugemutet, ohne weiteres zu verstehen, was die Cilicia Trachia ist, und er hätte hier eine andere Form der genaueren Bestimmung von Cilicia gewählt, als bei der Syria Palaestina und der Commagene Augustophra-tensis, wo er jeweils Relativsätze anfügt. Stilistische Gründe dafür - etwa Variation oder die Vermeidung von Doppelungen - sind nicht zu erken-nen, denn diese Motive gelten für die beiden anderen Beispiele gerade nicht. Die Ungereimtheiten und Unwahrscheinlichkeiten stellen sich gar nicht erst ein, wenn man als einfachste Lösung annimmt, daß Trachia hier nichts anderes ist als eine orthographische Variante zu Thracia, jeden-

72 Epit. 9,13: „Syria, die Palaestina heißt, ferner Cilicia und Trachia sowie Commagene, die wir heute Augustophratensis nennen, kamen zu den Provinzen hinzu." 73 Die in aller Vorsicht erwogene Hypothese von Jörg Schlumberger, Die Epitome de Cae-saribus. Untersuchungen zur heidnischen Geschichtsschreibung des 4. Jahrhunderts n. Chr., München 1976, 233-248, es handle sich um einen Mann aus der Umgebung des Nicoma-chus Flavianus, soll hier nicht weiter erörtert werden. 74 Ebd., 17-62.

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falls nichts anderes bezeichnet. Insgesamt eignet sich der Befund nicht, um lateinisch Trachia für gesichert bezeugt ansehen zu können. Dies ist besonders zu betonen, weil gerade wenn in der Epitome von der τραχεία Κιλικία die Rede wäre, jeglicher Hinweis auf die Befindlichkeit der übri-gen Cilicia oder deren Veränderung fehlte.

Die Analyse der mit der Überlieferung bei Sueton verwandten Textzeu-gen zusammenfassend läßt sich festhalten, daß dort nirgends sicher von der Einrichtung einer Provinz Cilicia die Rede ist. Das übliche Verständ-nis, daß hier unter anderem eine Bemerkung über das Schicksal des „Rau-hen Kilikien" fällt, hält der Nachprüfung nicht stand: Nicht eine Trachia Cilicia, sondern Thracia und Cilicia sind genannt.

Suetons Nachricht darf man nicht dadurch einen Sinn abzugewinnen versuchen, daß man den Text verändert. Vielmehr ist es methodisch an-gezeigt, ihn zu akzeptieren und zugleich zu unterstellen, daß hier eine korrekte Aussage vorliegt. Die Annahme eines Irrtums oder Fehlers ist immer die schlechtere Alternative, zu der man sich erst entschließen soll-te, wenn alle Verständnismöglichkeiten ausgeschöpft sind.

Die Liste der Regionen, deren Status Vespasian verändert hat, zerfallt in zwei Hauptgruppen: (a) Achaia, Lycia, Rhodus, Byzantium, Samus libertóte adempia (b) Thracia Cilicia et Commagene dicionis regiae usque ad id tempus

Der ersten Gruppe nimmt Vespasian die Freiheit, also das „Bündel von jeweils zu bestimmenden Privilegien"75, die bis dahin eine individuelle Sonderstellung dieser Regionen und Städte begründet hatte. Es ist hier nicht zu entfalten, ob dieser Verlust in den genannten Fällen auch ander-weitig belegt werden kann und wie er konkret aussah.

Denn im Rahmen der hier verfolgten Problematik steht die zweite Gruppe im Zentrum des Interesses. Sie ist ihrerseits in zwei Einheiten ge-gliedert. Denn Cilicia et Commagene sind durch eine Kopula verbunden, während sonst durchweg eine asyndetische Reihe vorliegt. Diese Gestal-tung ist ästhetisch nicht sinnvoll zu begründen. Es ergibt sich, daß nach Sueton Cilicia et Commagene in besonderer Weise aufeinander bezogen sind.

Die Eigenart könnte man darin sehen, daß nur für sie zutrifft, wenn der Biograph erklärend hinzufugt dicionis regiae usque ad id tempus. Die-se Deutung bietet aber nur scheinbar einen Ausweg aus der Aporie, daß Thrakien seit claudischer Zeit, unter Vespasian also schon längst nicht mehr, von einem König beherrscht wurde. Denn die Logik von Suetons

75 Dieter Nörr, Imperium und Polis in der hohen Prinzipatszeit, München21969, 63. Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library

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Satz besteht darin, die konkrete Auswirkung des in formarti provinciarum redigere zu skizzieren, also (a) Verlust der libertas und (item!) (b) Ab-lösung der bisherigen dicio regia. Sollte dies für Thracia nicht gelten, verlöre die Nennung dieser Region jeglichen Bezug zur Struktur der Aus-sage. Es bleibt dabei: Nach Sueton existierte bis in die Zeit der Herrschaft Vespasians in Thrakien eine dicio regia, die der Kaiser durch in formam provinciarum redigere abschaffte.

Was das bedeuten soll, vermögen semantische Untersuchungen nicht zu klären: dicio ist kein technisch scharfer Begriff, um den Weg zur histo-rischen Erkenntnis zu bahnen. Vielmehr gilt es umgekehrt zu fragen, ob es in der frühen Geschichte der Provinz Thracia Eigentümlichkeiten gibt, die lateinisch als dicio regia beschrieben werden könnten, d. h. als eine wesentliche Struktureigenschaft dieser Herrschaftseinheit, die irgendwie mit dem schon abgekommenen thrakischen Königtum zusammenhängt.

In der Tat zerfiel die Provinz Thrakien, wie Plinius und Ptolemaios bezeugen, in Strategien.76 Das zugrundeliegende Gliederungsschema stammte aus der Zeit, bevor die Römer dort die Herrschaft direkt über-nahmen.77 Auf die Einzelheiten dieses Systems und auf die Differenzen in den Beschreibungen der beiden Quellenautoren kommt es hier nicht an. Wie Arnold H. M. Jones überzeugend darlegt, schrieb zum einen Plinius ohne eigene Detailkenntnisse eine Vorlage aus und kompilierte zum an-deren Ptolemaios Informationen über die zu seiner Zeit abgekommenen Strategien mit solchen über eine jüngere Binnenordnung.78

76 Plin. nat. 4,40; Ptol. 3,11,6. 77 Vgl. Boris Gerov, Zum Problem der Strategien im römischen Thrakien (1970), in: ders., Beiträge zur Geschichte der römischen Provinzen Moesien und Thrakien. Gesammelte Aufsätze, Amsterdam 1980, 229-239, 229 mit Anm.4, mit weiterer Literatur. 78 Arnold H.M.Jones, The Cities of the Eastern Roman Provinces, Oxford 21971, ΙΟ-Ι 8, legt dar, daß die Neugliederung in trajanischer Zeit bestand. Gerov, Strategien (wie Anm. 77) 236-237, versucht, Jones' Datierung der für Ptolemaios vorauszusetzenden Ver-hältnisse mit dem Hinweis auf eine Inschrift zu entkräften, die beweisen soll, daß das alte Strategiensystem noch bis in hadrianische Zeit existierte. Es handelt sich um IGBulg III (1) 1115, eine Weihung aus trajanischer Zeit ύπέρ τε της εαυτών σωτηρίας καί ΰγιείας tcai δλης της πατρίδος καί στρατηγίας, „für die eigene Existenz und Gesundheit so-wie für die des gesamten Heimatortes und der Strategie". Doch dieses Zeugnis ist viel weniger klar, als Gerov meint. Dieser selbst hat gezeigt (Zur inneren Organisation des römischen Thrakien [1978], in: ders., Beiträge [wie Anm. 77] 273-284), daß die Territorien thrakischer Städte zumindest teilweise in sogenannte regiones zerfielen. Gerov ist nun der Ansicht, daß der griechische Terminus für regio χώρα sei (vgl. etwa die Überschrift ebd., 273), bleibt dafür aber einen Quellenbeleg schuldig. Hingegen ist es ganz unzweifelhaft, daß im Lateinischen für jeweils dieselbe Einrichtung sowohl das lateinische Wort regio als auch das Fremdwort strategia erscheint: Plin. nat. 4,40 in strategias L divisa („in 50 Strategien geteilt") sowie ebd. 4,45 Astice regio („die regio Astike") im Vergleich mit IGRI

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Zu kurz greift nur Jones' nebenbei formulierte Ansicht, eine Neuglie-derung sei von Trajan initiiert.79 Denn die bislang so sperrige Stelle aus Suetons Vespasian-Vita gewinnt eine klare Bedeutung, wenn man sie als ebenso kurzen wie präzisen Hinweis darauf versteht, daß schon dieser Kaiser die eigenartige thrakische Gliederung in Strategien aufhob und durch ein System ersetzte, das dem anderer Provinzen entsprach. Hier ist nicht zu verfolgen, wann, aus welchem Grund und wie er das tat und ob seine Nachfolger weitere Justierungen anbrachten, bis das für Ptolemaios vorauszusetzende Schema entstand.80

Vielmehr ist wichtig erstens, daß der zunächst unverständlich erschei-nende Satz Suetons eine historische Veränderung widerspiegelt, die wis-senschaftlicher Scharfsinn seit dem 16. Jahrhundert verdunkelt hat, und zweitens, daß diese Rekonstruktion den Blick dafür schärft, was damals mit Cilicio et Commagene geschehen ist. Ebenso wie dies schon mit Blick auf die erste Hauptgruppe betont wurde, muß man nämlich zumindest für Thrakien auch hier feststellen, daß in formarti provinciarum redigere nicht mit der Einrichtung einer Provinz verwechselt werden darf, sondern als römische, wie auch immer genauer zu bestimmende Durchgestaltung eines Raumes zu verstehen ist.

Welchen Raum aber hat Vespasian in Südost-Anatolien neu geordnet? Nimmt man ernst, daß in Suetons Notiz Cilicia et Commagene absichtlich mit der Kopula et verbunden sind, muß man folgern, daß Vespasians Ge-bietsreform die genannten Landschaften als Einheit umgestaltet hat. Dann aber ergibt sich zwingend, daß hier von der Reform genau des Gebiets die

677 στρατηγός 'Αστικής της περί Πέρινθον („Stratege der Astike um Perinthos"). Man muß also mit der Möglichkeit rechnen, daß inschriftlich belegte „Strategien" Verwaltungs-einheiten entweder außerhalb oder innerhalb von städtischen Gebieten sind. Es ist hier nicht zu überprüfen, ob solche Strukturen gleichzeitig bestanden haben können oder ob die Einrichtung von Strategien auf städtischen Territorien eine Gebietsreform mit der Abschaf-fung der außerstädtischen voraussetzt. Jedenfalls verliert Gerovs Beleg die Beweiskraft, die er ihr beimißt, so daß Jones' wohlbegründete Überlegungen nicht widerlegt sind. Sie sind nur insofern zu modifizieren, als der Nachweis der Existenz in trajanischer Zeit nicht notwendig impliziert, daß dieser Zustand erst damals herbeigeführt wurde. 79 Ähnlich auch Velizar I. Velkov, Hartmut Wolff, Moesia Inferior und Thrakien, in: Fried-rich VittinghofF (Hg.), Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte der römischen Kai-serzeit (Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1), Stuttgart 1990, 600-615,603. 80 IGBulg IV 2338 macht es sehr wahrscheinlich, daß das alte System unter Vespasian noch eine Weile bestanden hat. Die spekulative Datierung dieser Inschrift in domitianische Zeit bei Gerov, Strategien (wie Anm. 77) 232-233, hilft nicht weiter. Es liegt nahe, die Reform in einen Zusammenhang mit der Gründung der colonia Flavia Pacensis Deultum zu rücken.

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Rede ist, das bis in die Frühzeit der Regierung Vespasians Antiochos von Kommagene beherrscht hat und das nun insgesamt durch eine Prozedur, die in formarti provinciarum redigere heißt, neu strukturiert wird. Es ist offensichtlich, daß Antiochos' regnum nicht zuvor aufgespaltet worden sein kann. Das aber wäre die Voraussetzung der in der Forschung herr-schenden Vorstellung, wo man das Ende von Antiochos' Herrschaft mit der Aufteilung seines Territoriums sowie mit der Angliederung der Tei-le an die Provinz Syrien einerseits und an die neugeschaffene Provinz Cilicia andererseits gleichsetzt. Auch diesem Aspekt der gängigen Vor-stellung von der frühflavischen Neuordnung des südöstlichen Kleinasien muß also widersprochen werden.

Die Umwandlung der Cilicia et Commagene könnte im Rahmen einer neuen Provinz oder im Zuge der Eingliederung in eine alte vollzogen worden sein, ganz ebenso wie auch im Rahmen der ersten Hauptgruppe das in formant provinciarum redigere ganze Provinzen (Achaia) oder Tei-le davon betroffen hatte. Glücklicherweise macht eine in diesen Zusam-menhang zu rückende und damit auch neu zu interpretierende Inschrift Spekulationen darüber überflüssig, ob aus dem Fehlen jeglichen Zeugnis-ses über die Existenz einer selbständigen Provinz Cilicia et Commagene ein statthaftes argumentum e silentio gewonnen werden kann.

In Neapel wurde eine Ehreninschrift für den höchst erfolgreichen Wett-kämpfer T. Flavius Artemidorus aus Adana gefunden, die eine Liste seiner vielen Siege enthält.81 Dort ist festgehalten, daß Artemidoros in der Klas-se der άνδρες zweimal bei den Wettbewerben im Pankration gesiegt hat-te, die vom κοινόν Συρίας Κιλικίας Φοινείκης έν Άντιοχείςι, also vom Landtag Syrien-Kilikien-Phoinikien in Antiocheia, veranstaltet worden waren.

Die Datierung der Inschrift und damit auch der Siege des Artemidoros läßt sich nicht ganz genau sichern. Glücklicherweise aber ist ihr für den eben genannten Doppelerfolg ein fester terminus ante quem non zu ent-nehmen. Der Sportler wird nämlich gerühmt, auch in Ephesos zweimal im Pankration gewonnen zu haben, einmal wie in Antiocheia in der Klasse der άνδρες, der Männer, vorher aber schon, als er noch unter den παίδες, den Knaben, gestartet war. Zumindest diesen früheren Erfolg hat er also errungen, bevor er bei der Veranstaltung des κοινόν Συρίας Κιλικίας Φοινείκης unter den άνδρες gesiegt hat. Der Wettbewerb in Ephesos fand nun im Rahmen der Βαλβίλληα statt, die im Jahre 70 n.Chr. einge-

81 Luigi Moretti, Iscrizioni agonistiche greche, Rom 1953, 183-186, Nr.67. Brought to you by | New York University Elmer Holmes Bobst Library

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richtet worden sind.82 Daraus ergibt sich, daß Artemidoros seine beiden antiochenischen Erfolge frühestens in den Jahren ab 71, aber dann auch schon bald feiern konnte.83 Damals also hat es ein κοινόν Συρίας Κιλικίας Φοινείκης gegeben.

Dabei handelt es sich um ein Fest des Provinziallandtages der Pro-vinz Syria. Daß im offiziellen Namen dieses Festes aber auch Κιλικία aufgezählt wird, hält die Forschung für „eine Folge dessen, daß Kilikien zeitweise mit Syrien zu einer Provinz vereinigt war"84: „Das Koinon von Syrien, Kilikien und Phönizien bestand in der Flavierzeit aus den Städten von zwei Provinzen - Syria und Cilicia."85

Nun müssen aber auch diejenigen, die diese Ansicht jüngst wieder ver-treten, zugeben, daß der syrische Landtag durch die Inklusion von Ver-tretern einer selbständigen anderen Provinz eine Gestalt hätte, die sich sonst nirgendwo nachweisen läßt. Gegenteilige Auffassungen hatten sich bislang nicht zuletzt auf die Analyse der Überlieferung aus Pontos und Bithynien gestützt. Jedoch hat Christian Marek zeigen können, daß dort die römische administrative Gliederung die Zusammensetzung der Land-tage in der Form durchweg geprägt hat, daß zwar innerhalb einer Provinz mehrere, nirgends aber provinzübergreifende Landtage belegt werden können.86 Angesichts dessen erklärt Ruprecht Ziegler die syrisch-kiliki-schen Verhältnisse für eine Ausnahme.87

Ausgangspunkt für diese einhellige Überzeugung ist die Annahme, daß mit Κιλικία das sogenannte „Ebene Kilikien" gemeint sei. Niemand hat erwogen, ob die so bezeichnete Region nicht die kilikischen Bestandteile der aufgelösten Herrschaft des Antiochos von Kommagene gewesen ist. Κιλικία stünde dann als pars pro toto für das Gebiet dieses ehemaligen

82 Michael Dräger, Die Städte der Provinz Asia in der Flavierzeit. Studien zur kleinasiati-schen Stadt- und Regionalgeschichte, Frankfurt a.M. 1993, 56-65. 83 Die Inschrift führt die zahlreichen Siege des Athleten nicht in chronologischer Reihen-folge auf. Zwar ist die Datierung des Textes in spätflavische Zeit gesichert (Ziegler, Koinon der drei Eparchien [wie Anm. 19] 138 Anm. 5), aber viele der genannten Preise hat er sicher sehr viel früher gewonnen. Es ist also möglich, für die Anfangszeit seiner Karriere mit einem Sieg in Antiocheia zu rechnen. 84 Deininger, Provinziallandtage (wie Anm. 5) 83, mit Literatur. 85 Dräger, Städte (wie Anm. 82) 256-257, das Zitat 257. Dieselbe Ansicht auch bei Ziegler, Einrichtung (wie Anm. 58) 183-186; ders., Koinon der drei Eparchien (wie Anm. 19) 137-153, jeweils mit der älteren Literatur. 86 Christian Marek, Stadt, Ära und Territorium in Pontus-Bithynia und Nord-Galatia, Tü-bingen 1993, 73-81, der damit umfassend die schon bei Franz Cumont, La Galatie mari-time de Ptolémée, REG 16,1903,25-27, geäußerte Ansicht neu begründet. 87 Ziegler, Koinon der drei Eparchien (wie Anm. 19) 138, Anm. 5.

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Königreiches insgesamt. Für diese Rekonstruktion spricht, daß sie sich im Einklang mit den sonst zu beobachtenden Üblichkeiten befindet.

Nach der Auflösung der Klientelmonarchie des Antiochos ist also Ci-licia et Commagene der Provinz Syria zugeordnet und dort einer Verwal-tungsreform unterworfen worden, die Sueton in formam provinciarum re-digere nennt. Wegen der territorialen Neuordnung nahmen Gesandte aus Cilicia (et Commagene) am syrischen Provinziallandtag teil. Das spiegelt dessen Name in der Inschrift für Artemidoros wider.

Um dieses Ergebnis zu sichern, ist daran zu erinnern, daß die Zusam-mensetzung der Provinz Syria sich in deren offiziellen Namen nieder-schlug. Zu verweisen ist auf insgesamt vier Inschriften für zwei syrische Statthalter in trajanischer Zeit, in denen der Amtsbereich detailliert um-schrieben wird:

(1) C. Antius A. Iulius Quadratus,88 Statthalter 7100-103/4 n. Chr.89

(a) πρεσβευτής καί αντιστράτηγος αύτοκράτορος Νέρουα Τραϊα-νού ΚαίσαροςΣεβαστού Γερμανικού Δακικού έπαρχείας Συρίας Φοινεί-κης Κομμαγενης90

(b) πρεσβευτής καί αντιστράτηγος αύτοκράτορος Νέρουα Τραϊα-νού Καίσαρος Σεβαστού Γερμανικού έπαρχείας Συρίας Φοινείκης Κομμαγενης91

(c) πρεσβευτής καί άντιστράτηγος αύτοκράτορος Νέρουα Τραϊα-νού ΚαίσαροςΣεβαστού Γερμανικού Δακικού ΣυρίαςΦοινείκηςΚομμα-γήνης92

(2) C. Iulius Quadratus Bassus,93 Statthalter 114/115-116/117 n.Chr.94

(a) πρεσβευτής καί άντιστράτη[γος έπαρχ]είας Συρίας Φοινίκης Κομμα-γή[νης]95

88 PIR2 507; Helmut Halfmann, Die Senatoren aus dem östlichen Teil des Imperium Ro-manum bis zum Ende des 2. Jh. n. Chr., Göttingen 1979, 112-115, Nr. 17. 89 Werner Eck, Jahres- und Provinzialfasten der senatorischen Statthalter von 69/70 bis 138/139 (1), Chiron 12, 1982, 281-362, 334-339 mit Anm.213; ders., Jahres- und Pro-vinzialfasten der senatorischen Statthalter von 69/70 bis 138/139 (2), Chiron 13, 1983, 147-237,227; Thomasson, Laterculi (wie Anm. 25) 309-310, Nr. 33.40; Edward Dabrowa, The Governors of Roman Syria from Augustus to Septimius Severus, Bonn 1998, 79-81. 90 IvEph III 614. " IvDidyma 151 =AE 1929,98. 92 IvPergamon 2,437 = IGRIV 374. 93 PIR2 J508; Halfmann, Senatoren (wie Anm. 88) 119-120, Nr. 26. 94 Eck, Jahres- und Provinzialfasten ( 1 ) (wie Anm. 89) 357-362 mit Anm. 302 u. 318; ders., Jahres- und Provinzialfasten (2) (wie Anm. 89) 227; Thomasson, Laterculi (wie Anm. 25) 310, Nr.33.43; Dabrowa, Governors (wie Anm. 89) 85-88. 95 AE 1933, 268 = 1934, 176 = Pergamon VIII, 3, 21; dazu vielleicht AE 1934, 177: legfatus) propr(aetore) eius[d(em) imp{eratoris) Caes(aris) Nervae Troiani Aug(usti) prov{inciae)] Syriae P[hoenic(es) Commag(enes)].

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Diese Texte belegen, daß die Integration des zuletzt von Antiochos beherrschten Königreiches in die Provinz Syrien offensichtlich auch in deren offiziellem Namen Berücksichtigung fand: In den vier Inschriften erscheint - als relative Neuerwerbung an letzter Stelle aufgeführt - die Kommagene. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß man nach der Ein-gliederung dieser Territorien gewartet und erst später die Bezeichnung des Amtsbereiches des syrischen Legaten erweitert hätte. Die Ergänzung muß den Namen des eingegliederten Königreiches oder eine daraus ge-wonnene Abkürzung enthalten haben.

Nun nennen die Texte der Statthalter aus dem frühen zweiten Jahrhun-dert zu diesem Zweck Kommagene, während in der Inschrift fur Arte-midoros von Kilikien die Rede ist. Es ist zu fragen, ob κοινόν Συρίας Κιλικίας Φοινείκης wirklich die offizielle Form der Bezeichnung des Landtages und der Provinz gewesen ist. Gegen eine solche Deutung spre-chen zwei Indizien: Angesichts der römischen Sensibilität in Rangfragen ist es zum einen nicht leicht vorstellbar,96 daß in den frühen 70er Jahren n. Chr. die gerade erworbene, hier mit „Kilikien" bezeichnete Teilregion im offiziellen Namen der Provinz direkt hinter dem umfassenden Syria erscheint und so das gewiß in diesem Kontext ältere und nicht unbedeu-tende Phoinikien verdrängt. Zum anderen überraschte es, wenn Antio-chos' Königreich nach seiner vollständigen Eingliederung in die Provinz Syria dort unter dem Namen des kleineren und peripheren Landesteiles weitergelebt haben sollte. Das gilt trotz des Prestiges, das mit den Namen Kiliker/Kilikien verbunden war; denn die Hochschätzung, die sich nicht zuletzt aus der jahrhundertealten Tradition Kilikiens speiste und der sich etwa die Piraten im ersten Drittel des ersten vorchristlichen Jahrhunderts bedient haben, als sie sich insgesamt „Kiliker" nannten, war gewiß nicht allgemein, sondern nur regional verbreitet.97

Für die Voranstellung Kilikiens vor Phoinikien muß es besondere Grün-de geben; dies um so mehr, als wenig später Kommagene am erwarteten hinteren Platz erscheint. Die Motive dafür, Kilikien zu bevorzugen, sind nicht schwer zu erraten: Der erfolgreiche Sportler Artemidoros selbst war Bürger von Adana. Diese Stadt liegt zwar im Ebenen Kilikien, aber die-se Unterscheidung war - zumal nach der Neukonstitution der größeren, aus den beiden Landesteilen zusammengesetzten Provinz Cilicia kurze Zeit nach den Siegen in Antiocheia98 und lange vor der Aufstellung der

96 Vgl. oben Anm. 17. 97 Vgl. oben Anm. 14. 98 Dazu gleich unten, S. 217 f.

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Inschrift wohl unter Domitian" - zu unbedeutend, als daß man sie nicht deshalb mißachten konnte, um Artemidoros' Ehre zu steigern:100 Er ließ seine Heimat gleichsam aufrücken!101

Ähnlich könnte man auch die Bevorzugung von Kilikien vor Kom-magene deuten. Doch bleibt zu berücksichtigen, daß Sueton von der Umorganisation der Cilicia et Commagene, nicht der Commagene et Cilicia spricht. Was zu Artemidoros' Ehre nahelag, könnte, wenn sich in der Vespasian-Biographie die offizielle Nomenklatur widerspiegelt, durch die Sprache der römischen Verwaltung vorgeprägt worden sein. Ist das richtig, darf man die Diktion dort als ebenso bewußte wie situa-tionsspezifische Akzentuierung interpretieren: Kilikien gehörte seit der Alexanderzeit zur griechisch-hellenistischen Welt; deren kulturelles und symbolisches Repertoire hatte inzwischen, wie die Befunde in Olba oder auch die Repräsentationsformen der Tarkondimotiden zeigen, auch die abgelegeneren Gebiete ergriffen. Das gilt zwar grundsätzlich ebenso fur Kommagene; aber dort legte man offensichtlich überdies viel Wert auf die Pflege von Traditionen, die nach Osten, in den Iran und ins Parther-reich verwiesen.102 Die Auflösung dieses Königtums und die Hintanstel-lung des Namens seines Kerngebietes in der offiziellen Bezeichnung der daraus geformten Region erscheint in dieser Perspektive als Abgrenzung:

99 Zur Datierung vgl. oben Anm. 83. ,0° Keineswegs muß man annehmen, daß das Formular der Inschrift oder gar der hier in Rede stehende Teil erst in Neapel entworfen wurde. Es kann viel älter sein. Wahrscheinlich spiegeln sich in der feinen Nuancierung auch Wünsche des Geehrten selbst. Bickerman, Syria and Cilicia (wie Anm. 1) 355, stellt fest, daß die hier verwendete Formulierung des Provinznamens „exactly the same" sei, wie die des seleukidischen Strategen von Koile-syrien im 4. Makkabäerbuch. Ein Vergleich mit 4 Macc. 4,2 (ό Συρίας και Φοινίκης και Κιλικίας στρατηγόος = „der Stratege von Syrien und Phoinike und Kilikien") zeigt aber, daß die Reihenfolge zwischen Phoinikien und Kilikien in beiden Texten verschieden ist. Damit verlieren die darauf beruhenden Überlegungen zur Datierung dieser Schrift ihr Ge-wicht. 101 All das war so nur möglich, weil im Katalog von Artemidoros' Erfolgen Siege bei Wett-kämpfen fehlten, die anläßlich eines Landtages der aus dem Ebenen Kilikien bestehenden Provinz veranstaltet wurden. An dessen Existenz darf deswegen allerdings nicht gezweifelt werden. Vgl. oben, S.213. Über den Rahmen dieser Veranstaltung, insbesondere über die Agone, ist allerdings keine sichere Aussage möglich. Wenn man es für unwahrscheinlich hält, daß der Supersportier Artemidoros ausgerechnet in seiner Heimat niemals gesiegt hat, wird man folgern, daß er dazu keine Gelegenheit hatte, daß also gymnische Spiele damals noch nicht veranstaltet wurden. Die numismatische Evidenz, die Ziegler (Einrichtung [wie Anm. 58]) für die Einrichtung des Landtages in der Zeit Hadrians anführt, könnte ein Hin-weis dafür sein, daß dieser Kaiser den Festcharakter dieses Treffens erheblich gefördert hat, vielleicht durch die Stiftung von Agonen. 102 Dazu Gebhardt, Imperiale Politik (wie Anm. 1) 53-54 mit Anm. 5.

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Kilikien im Imperium Romanum von Caesar bis Vespasian 217

Vorrang genießen die, die im Spektrum des Hellenismus die griechischen (und immer mehr die griechisch-römischen) Elemente betonen.

Insgesamt hat sich als wahrscheinlich ergeben, daß die Auflösung von Antiochos' Königsherrschaft und die Eingliederung ihrer Gebiete in die Provinz Syria auch im offiziellen Namen ihrer Statthalter und ihres Landtages dokumentiert wurde:103 Die Provinz hieß nun Syria Phoenice Cilicia. Die Gleichheit des letzten Bestandteiles mit dem Namen der be-nachbarten provincia Cilicia war unproblematisch, weil durch den Kon-text eine Verwechslung ausgeschlossen war. Immerhin aber verweist die Wahl von Cilicia statt von Commagene auf hohe Sensibilität auf diesem Feld der Symbolik und kann als Signal verstanden werden, griechische von iranischen Traditionen abgrenzen zu wollen.

Lange ist es bei dem aus der Inschrift des Artemidoros ableitbaren Zu-stand nicht geblieben. Bereits in den Jahren 76-78 ist L. Octavius Memor durch epigraphische Zeugnisse als Statthalter einer prätorischen Provinz Cilicia belegt.104 Eine Inschrift steht im Zusammenhang mit dem Bau eines Tempels für Vespasian in Adanda in Westkilikien,105 eine andere bezeugt die Anlage einer Brücke über den Kalykadnos,106 die offensichtlich Teil des Straßenbauprogrammes war, mit dem der Kaiser das gebirgige Hinter-land erschloß.107 Demnach war also ein kilikischer Statthalter für Gebiete zuständig, die zur Erbmasse von Antiochos' IV. Herrschaftsgebiet gehört

103 Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß die Provinz und ihr Landtag unterschiedlich geheißen hätten. 104 Ronald Syme, Legates of Cilicia under Trajan (1969), in: ders., Roman Papers II, Ox-ford 1979, 774-789, 785-786, und Bernd Kreiler, Die Statthalter Kleinasiens unter den Flaviem, Augsburg 1975,120, halten den AE 1966,486, bezeugten Asprenas C[...]anus fur den ersten Statthalter der neuen Provinz, weil dieser einen Grenzstreit entscheiden mußte, wie er mit der Neuzuschneidung von Gebieten verbunden sei. Das ist allerdings kein hin-reichendes Argument. Auch prosopographisch gibt es keine Hinweise, die eine eindeutige Zuordnung erlauben. Vgl. Thomasson, Laterculi (wie Anm.25) 292, Nr. 31.29. Man wird nicht einmal ausschließen dürfen, daß Asprenas noch vor der flavischen Neuordnung am-tiert hat. 105 AE 1963,11 ; George E. Bean, Terrence B. Mitford, Sites Old and New in Rough Cilicia, AS 12,1962, 185-217, 208-209 Nr. 32. 106 Josef Keil, Adolf Wilhelm (Hg.), Denkmäler aus dem Rauhen Kilikien (MAMA III), Manchester 1931, 6 = IGR III 840. 107 Zum Straßenbau vgl. Mustafa H. Sayar, Straßenbau in Kilikien unter den Flaviem nach einem neugefundenen Meilenstein, EA 20, 1992, 57-62, mit Antony R. Birley, Werner Eck, M. Petronius Umbrinus. Legat von Cilicia, nicht von Lycia-Pamphylia, EA 21, 1993, 45-54; außerdem allgemein Hansgerd Hellenkemper, Friedrich Hild, Kilikien und Isaurien (TIB 5), 2 Bde., Wien 1990, Bd. 1,128-140, und Mustafa H. Sayar, Antike Straßenverbin-dungen Kilikiens in der römischen Kaiserzeit, in: Eckard Olshausen, Holger Sonnabend (Hg.), Zu Wasser und zu Land. Verkehrswege in der antiken Welt. Stuttgarter Kolloquium zur historischen Geographie des Altertums 7, 1999, Stuttgart 2002,452-473.

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hatten.108 Diese können damals schon wieder nicht mehr Teil von Syria gewesen sein, wie dies noch in der Artemidoros-Inschrift bezeugt ist.

Daraus ergibt sich, daß sich bis zur Mitte der 70er Jahre n. Chr. der Kai-ser entschlossen hatte, der kurz zuvor durchgeführten redactio in formam provinciae wiederum eine Neugliederung dieses Raumes folgen zu las-sen. Diese bestand darin, das landschaftlich westlich abliegende Außen-land des Rauhen Kilikien aus Syria auszugliedern und mit der das Ebene Kilikien umfassenden Provinz Cilicia zu vereinen. Was damit erreicht wurde, hätte schon Gegenstand der ersten Umgestaltung sein können. Es sieht so aus, als habe man, als Antiochos IV. und seine Söhne auf den Thron verzichten mußten, noch kein klares Konzept gehabt, was mit den von ihnen bislang beherrschten Gebieten geschehen sollte. Unter diesen Umständen war es sinnvoll, deren Königreich zunächst dem römischen Statthalter zuzuteilen, der über hinreichend Potential verfügte, etwaige Schwierigkeiten oder Unruhen zu bewältigen. Das generelle Ziel hätte dann darin bestanden, die kommagenische Herrschaft zu beenden. Diese Vermutung läßt sich erhärten, wenn man untersucht, unter welchen Um-ständen und wie das Ende dieses Königtums herbeigeführt wurde.

III.

Die Ereignisse um die Ablösung Antiochos' IV. werden von Josephus aus-führlich erzählt.109 Danach hat der syrische Statthalter und Vertraute des Kaisers L. Caesennius Paetus den Vorwurf erhoben, die kommagenische

108 Dalisandos und Koropissos benutzen noch drei Generationen später eine mit der Ein-richtung der Provinz einsetzende Ära für ihre Zeitrechnung; leider bleibt unklar, ob sie sich damit auf die Errichtung der direkten Herrschaft durch die Römer oder auf die wenig später erfolgte Neukonstitution der Provinz Cilicia beziehen.

los. bell. lud. 7,219-243. Inschriftlich ist der Krieg als bellum Commagenicum (CIL III 14387 i+w = ILS 9198) und als bellum Commagenorum (AE 1942/43, 33) bezeugt. Wegen der Bezeichnung bellum möchte Gebhardt, Imperiale Politik (wie Anm. 1) 54 mit Anm. 3, auf „heftigere militärische Auseinandersetzungen" schließen, die auf eine erhebliche Wehrkraft der Kommagener verwiesen. Überzeugender fuhrt Veit Rosenberger, Bella et expeditiones. Die antike Terminologie der Kriege Roms, Stuttgart 1992,87, aus, daß „diese Begriffe lediglich verwendet wurden, um die Leistungen der in den Inschriften genannten Personen zu unterstreichen". Nur wird man fragen müssen, ob die hier genannten Soldaten der Grund für die Stilisierung des Konflikts zum bellum gewesen sind. Wahrscheinlicher ist doch, daß der erfolgreiche verantwortliche Feldherr Paetus geehrt werden sollte und daß sich deswegen auch seine Truppen als Sieger in einem Krieg fühlen und für ihre Leistungen großzügig ausgezeichnet werden konnten. Damit wird den auch sonst sehr spekulativen Überlegungen bei Edward Dabrowa, The bellum Commagenicum and the ornamenta tri-

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Dynastie konspiriere mit den Parthern. Diese Beschuldigung galt schon den Zeitgenossen als zweifelhaft. Der Fortgang des Geschehens spricht dagegen, daß man ihn zu Recht erhoben hat: Sowohl der alte König, der zu fliehen versuchte, als auch seine Söhne, die zunächst Widerstand lei-steten, sich schließlich über den Euphrat zu den Parthern flüchteten und ausgeliefert wurden, fanden rasch Gnade bei Vespasian. Der Kaiser ver-mied es aber zugleich, der Dynastie ihre Herrschaft zu restituieren. Die Familie ging in den folgenden Generationen im ordo senatorius auf.110

Paetus hat demnach - gewiß in Abstimmung mit dem princeps - ein Verfahren mit dem Ziel eingeleitet, Antiochos und seine Familie ihres Thrones zu berauben. Diese Absicht war früher und elementarer als die ordnungspolitische Neugliederung des östlichen Anatolien. Entscheidend war negativ, daß Antiochos und seine Nachkommen ihre Machtbasis ver-lören; positive Gestaltungspläne waren eine notwendige Folge, nicht die Voraussetzung dieser Machinationen.

Die entscheidende Frage lautet also nicht, warum Vespasian eine grö-ßere provincia Cilicia geschaffen, sondern warum er Antiochos IV. vom Thron gestoßen hat. Sein konsequentes Durchgreifen erstaunt dabei um so mehr, wenn man berücksichtigt, daß eben dieser König durch seine Parteinahme eine wichtige Rolle fur das Gelingen von Vespasians erfolg-reicher Usurpation in ihrer ersten Phase gespielt und auch Titus im Jüdi-schen Krieg loyal unterstützt hatte.1"

Auszuschließen ist gewiß, daß Vespasian es vor allem auf das Geld die-ses reichsten der dienenden Könige abgesehen hatte. Nicht hinreichend erscheint weiterhin die Begründung, daß der Kaiser ein klar umrissenes Programm zur Reorganisation des Reiches umsetzte, wozu nicht zuletzt ein neues System mit einer klar definierten, direkt von Legionen kontrol-lierten Verteidigungslinie gehört habe.112 Das Schicksal des kommageni-

umphalia of M. Ulpius Traianus, in: ders. (Hg.), The Roman and Byzantine Army in the East. Proceedings of a Colloquium Held at the Jagiellonian University Kraków in Septem-ber 1992, Krakau 1994,19-27,23-24; ders., Governors (wie Anm. 89) 65, ein wesentlicher Stützpfeiler entzogen. 110 Vgl. Halfmann, Senatoren (wie Anm. 88) 45-46. 111 Tac. hist. 2,81; los. bell. lud. 3,68. 112 Die militärischen Aspekte betont Glen W. Bowersock, Syria under Vespasian, JRS 63, 1973,132-140,135; vgl. auch Benjamin J. Isaac, The Limits ofEmpire. The Roman Army in the East, Oxford 21992, 39-42: „It is quite possible that the desire to station a legion at Samosata was one of the reasons for the annexation of Commagene" (39). Für ein umfas-sendes Konzept vgl. Fergus Millar, The Roman Near East 31 BC-AD 337, Cambridge 1993, 80-84; Egon Flaig, Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich, Frankfurt a. M. 1992,406-407 mit Anm. 177; tendenziell ebenso Gebhardt, Imperiale Poli-tik (wie Anm. 1) 37, der Vespasian attestiert, die „Dringlichkeit und praktische Durchfuhr-

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sehen Kilikien zeigt doch, daß Vespasian eben gerade noch nicht genau wußte, wie eine neue Ordnung im Osten hätte aussehen können.

Antiochos' Schicksal könnte nicht trotz seiner äußerst hilfreichen Un-terstützung für den Usurpator Vespasian, sondern paradoxerweise gerade deswegen besiegelt worden sein.

Der König hatte damit gezeigt, welches Potential er zu mobilisieren in der Lage war. Vor allem aber waren seither die Abhängigkeitsverhältnisse prekär. Zwar schuldete der König dem Kaiser als Vertreter des römischen Volkes Gehorsam. Zugleich aber war ihm dieser wegen der Dienste ver-pflichtet, die er ihm während seiner Machtergreifung erwiesen hatte.

Neben diesen individuellen Unklarheiten lassen sich auch allgemeine erkennen. Vespasian scheint genau gesehen zu haben, daß etwa von Cali-gula oder Nero unternommene Versuche, sich eine andere Legitimität von Herrschaft zu verschaffen als die traditionelle der res publica, wesentlich zu ihrem Sturz beigetragen hatten.113 Er konnte sich nur absichern, wenn er das politische System der Rang- und Statuszuweisung manipulierte, nicht wenn er es aus den Angeln hob. Das erklärt etwa sein Handeln ge-genüber dem Senat: Vespasian verteilte Privilegien, indem er seine Helfer auf verschiedenen Stufen in den ordo senatorius integrierte. Deren Ehr-geiz war damit ein fester Rahmen gegeben.

Aus ihm konnte aber ausbrechen, wer sich mit den unabhängigeren, weil nicht regelmäßig austauschbaren Königen im Osten verband. Diese wiederum brachten den Flaviern nicht die fides eines Klienten entgegen, die die julisch-claudische Dynastie hatte beanspruchen können. Überdies waren die Könige nicht nur vielfach untereinander, sondern eben auch mit dem eben gestürzten Haus verwandt: Niemand konnte wissen, ob „lega-listische" Gegenbewegungen fähig sein würden, sie einzubinden. Außer-dem darf man wohl nicht unterschätzen, daß der im Stile hellenistischer Wohltäter großzügige Antiochos Zustimmung mobilisieren konnte, die eben erst dem Philhellenen Nero entgegengebracht worden war.

Antiochos und seine Söhne wurden als Verräter desavouiert. Ihr Über-leben verdankten sie nun der Gnade des Kaisers. Er konnte sie gewähren,

barkeit einer überregionalen Sicherheitskonzeption in und um Syrien nicht nur erkannt, sondern auch in konkrete Maßnahmen umgesetzt zu haben." Letzteres ist generell sicher zutreffend beschrieben. Zu fragen bleibt, wann, wodurch und wie sich dieser Erkennt-nisprozeß vollzogen hat. Gebhardt selbst hält ein begründetes Mißtrauen Vespasians den Parthern gegenüber (ebd., 37-40) und die militärstrategische Lage Kommagenes (ebd., 53) für entscheidend. 1,3 Zu Caligula jüngst Aloys Winterling, Caligula. Eine Biographie, München 2003; zu den strukturellen Problemen ders., „Staat", „Gesellschaft" und politische Integration in der römischen Kaiserzeit, Klio 83, 2001, 93-112.

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sobald die ehemaligen Herrscher einer von ihm weitgehend unabhängi-gen Machtbasis entkleidet waren. Die Schonung hatte wohl auch mit ech-ter Dankbarkeit für Antiochos' Verhalten während der Zeit der eigenen Usurpation zu tun.

Zwar hätte Vespasian nun grundsätzlich auch einen anderen Klientel-herrscher einsetzen können. Aber die Erinnerung an Antiochos' große po-litische Selbständigkeit in Zeiten der Krise ließ es vorteilhafter erschei-nen, sein Reich direkter römischer Herrschaft unter einem Statthalter zu unterstellen, dessen Amtszeit begrenzt war, der vom Kaiser eingesetzt wurde und der als Senator in das römische Konkurrenz- und Prestigesy-stem eingebunden war.

Offen bleibt, warum Vespasian so rasch handelte. Aber vielleicht muß man auch hier mit einem Paradox rechnen: Der Vorwurf verräterischer Konspiration mit den Parthern konnte gerade dann ohne größere Gefahr erhoben werden, wenn die Chance gering war, daß der Beschuldigte ihn wirklich begehen konnte. Das Verhalten der Parther zeigt, daß sie da-mals einen Konflikt mit Rom vermeiden wollten. Denn die vor allem von Edward Dabrowa vertretene Ansicht114 eines grundsätzlich gespannten Verhältnisses zwischen Römern und Parthern läßt sich durch Quellen nicht belegen. Dabrowa beruft sich deswegen darauf, daß die arsakidi-sche Ideologie eine Expansion mit Rückgewinnung der Territorien des ehemaligen Perserreiches vorgezeichnet habe. Verstärkend habe es sich im Fall der Kommagene ausgewirkt, daß dieses Gebiet kulturell iranisch geprägt gewesen sei. Nirgends wird allerdings gezeigt, daß und wie Ideo-logie und Kultur für das konkrete außenpolitische Handeln unmittelbar handlungsleitend sein konnten. Im übrigen ist nicht erkennbar, daß sie in der hellenistischen Mischkultur Ostanatoliens eine unmittelbar wirkende Triebfeder des Handelns gewesen ist.115

Vologaeses' Verhandlungsbereitschaft gilt in dieser Perspektive als Versuch, sich in die römischen Angelegenheiten einzumischen. Der par-thische König hatte Vespasian bei seinem Kampf um die Macht Hilfe angeboten. Selbst wenn er sich dazu erst entschlossen haben sollte, als der Sieg des Usurpators sicher erschien,116 zeigt dies gleichwohl, daß er

114 So schon Edward Dabrowa, Les rapports entre Rome et les Parthes sous Vespasien, Syria 58,1981,187-204; dazu neuerdings und vielfach ähnlich Gebhardt, Imperiale Politik (wie Anm. 1) 39-54, mit weiterer Literatur. 115 Das gilt unbeschadet der oben (vgl. 216 f.) angesprochenen Möglichkeiten, im helleni-stischen Erbe griechische und nicht-griechische Elemente zu betonen. Wie man an Antio-chos sieht, verstand er es, beide Klaviaturen zu spielen. 116 Vgl. Cass. Dio 65 (66), 11,3 mit Tac. hist. 4,51; Suet. Vesp. 6,4.

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an gutem Einvernehmen interessiert war. Ebenso ist das Geschenk eines goldenen Kranzes an Titus zu verstehen, als dieser den jüdischen Krieg erfolgreich beendet hatte.117 Wenn Barbara Levick dazu anmerkt, daß „relations were to deteriorate", bezieht sie sich auf spätere Entwicklun-gen, die damals weder erkennbar, noch auch nur geplant gewesen sein müssen.118 Es liegt nahe, mit Axel Gebhardt einen ursächlichen Zusam-menhang „zwischen einer deutlichen Eskalation des römisch-parthischen Verhältnisses und der für den Großkönig sicherlich äußerst demütigenden Ablehnung seines Hilfegesuches wohl im Jahre 75" anzunehmen.119

Denn sogar noch während des bellum Commagenicum hat die parthi-sche Seite die Probleme der Römer nicht ausgenutzt, sondern sogar aktiv kooperiert: Die Verhandlungen über das Schicksal der über den Euphrat geflohenen Antiochos-Söhne120 und ihre anschließende Auslieferung121

zeigen hinreichend, daß die kommagenische Krise damals nicht zu einem Konflikt mit den Parthern geführt hat. Hier spiegeln sich friedliche diplo-matische Verhältnisse, die es Vologaeses erlaubten, einerseits die Erben des eben gestürzten Nachbarn den Römern zu überlassen, sich ihrer also nicht politisch zu bedienen, andererseits aber auch um deren schonende Behandlung nachzusuchen.122

Sowenig wie das Verhalten des Partherkönigs lassen sich Vespasians Entscheidungen in der ersten Hälfte der 70er Jahre n. Chr. darauf zurück-fuhren, daß der Kaiser geheime Expansionspläne der Parther antizipiert oder durchschaut und ein einheitliches Programm militärischer Sicherung entwickelt und ausgeführt hätte. Insbesondere die Truppenverlegungen bringt man mit dem Ziel in Verbindung, eine effektive Vorneverteidigung zu organisieren. Soweit die Quellen darauf eingehen, nennen sie aller-dings andere plausible Ziele. Die umfassende Konzeption müßte erwie-sen und dürfte nicht vorausgesetzt werden.

Nicht in solchen Kontexten hat Vespasian gehandelt. Für ihn galt der Primat der Innenpolitik, genauer der Politik der Sicherung der eigenen Stellung.

1,7 los. bell. lud. 7,105. 118 Barbara Levick, Vespasian, London u.a. 1999, 164.

Gebhardt, Imperiale Politik (wie Anm. 1) 57. 120 Zur Rolle des Primuspilus C. Velius Rufos vgl. ILS 9200. 121 los. bell. lud. 7,242. 122 Vgl. die abgewogene Argumentation bei Gebhardt, Imperiale Politik (wie Anm. 1) 54-57, der sich damit gegen die These Dabrowas wendet, daß es im Kontext der Annexion von Antiochos' Königreich zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen Römern und Parthem gekommen sei.

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