glühwürmchen, taubenschwänzchen und ameisenjungfern: von der wärme beflügelt

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EXKURSION IN DEN GARTEN | MAGAZIN © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.biuz.de 3/2013 (43) | Biol. Unserer Zeit | 193 Zur Zeit der Sommersonnenwende und noch bis weit in den Juli hi- nein kann man in lauen Nächten die Männchen des Kleinen Leucht- käfers (Lamprohiza splendidula, Abbildung 1) in strukturreichen Gärten am Rand von Gebüsch und über Rasenflächen fliegen sehen. Sie können ihr grünliches Licht im Flug an- und ausschalten. Wenn sie plötzlich scheinbar in der Luft in- nehalten und beständig weiter- leuchten, haben sie sich meistens in einem Spinnennetz verfangen, so dass man sie mit der Taschen- lampe in Ruhe betrachten kann: Die zarten Käfer haben schwarze Flügeldecken, ihr Leuchtorgan be- findet sich unterseits am Ende des Abdomens. Viel genauer muss man hinschauen, um die flugunfähigen, larvenartigen, weißlich gefärbten Weibchen zu finden: Sie sitzen re- gungslos in der Vegetation am Bo- den und erzeugen ein Leuchtmus- ter aus mehreren Lichtpunkten, das die Männchen magisch an- zieht. Wenn ein Weibchen sein Leuchten beendet, ist in der Regel ein Männchen bei ihm gelandet. Leuchtkäfer-Larven ernähren sich räuberisch von Schnecken [1]. Am liebsten im strahlenden Sonnenschein aktiv ist ein kleiner, kräftiger Schwärmer (Sphingidae), der jährlich im Frühling und Som- mer aus dem Süden über die Alpen zu uns kommt: das Tauben- schwänzchen (Macroglossum stel- latarum, Abbildung 2). Manchmal umschwirrt er bis in die Dämme- rung hinein Zierpflanzen wie Phlox, Petunien, Fuchsien oder Sommerflieder, in deren Blüten er seinen langen Saugrüssel vertieft. Menschen, die diesen Schmetter- ling erstmals wahrnehmen, halten ihn oft für einen Kolibri, wenn er im Flug sekundenlang vor einer Blüte „steht“, um dann blitzschnell zur nächsten zu wechseln. In Ein- zelfällen kann der Falter auch in Mitteleuropa überwintern. Seine Raupen fressen an Labkraut-Arten (Galium sp.) [2]. Weitere häufige Wanderfalter im Garten sind Admi- ral (Vanessa atalanta), Distelfalter (V. cardui) und Gammaeule (Auto- grapha gamma). Im regengeschützten Sand un- ter Dachvorsprüngen oder Balko- nen fallen oft kleine Trichter auf. Sie stellen tückische Fallen für Ameisen und andere Arthropoden dar, die rund ums Haus auf dem Boden unterwegs sind. Wenn sie nämlich in einen solchen Trichter hineinrutschen, geraten sie unwei- gerlich in die Kieferklauen eines Ameisenlöwen, eine Larve der Ge- flecktflügeligen Ameisenjungfer (Euroleon nostras, Abbildung 3) oder der Gemeinen Ameisenjung- fer (Myrmeleon formicarius). Ver- sucht das Opfer, aus dem Trichter zu fliehen, wird es vom Ameisen- löwen mit Sand beworfen, damit es erneut ins Rutschen kommt. Über die eindrucksvollen, zangen- artig gestalteten Mundwerkzeuge injiziert ihm der Ameisenlöwe Gift und Verdauungsenzyme – die leere Hülle der ausgesaugten Beute wird anschließend aus dem Trichter ka- tapultiert. In einem kugelrunden, EXKURSION IN DEN GARTEN, TEIL 6 Glühwürmchen, Taubenschwänzchen und Ameisenjungfern: Von der Wärme beflügelt Im Sommer lohnt es sich bei Tag und Nacht, das Geschehen im Garten zu verfolgen: Während Leuchtkäfermännchen blinkend ihre weniger mobilen Partnerinnen suchen, entfalten Ameisenjungfern in warmen Sommernächten ihre zarten Flügel. Auch der Vogelnachwuchs wird nun flügge. Die Jungen der Blindschleiche erblicken im Spätsommer das Licht der Welt. Mit der Wärme besuchen uns Wanderfalter aus dem Süden. ABB. 2 Ein Tau- benschwänz- chen (Macroglos- sum stellatarum) im Schwirrflug an Sommerflie- der (Buddleja davidii). a) b) ABB. 1 Der Kleine Leuchtkäfer (Lamprohiza splendidula): a) Ein Männchen startet zum Flug; b) ein Weibchen lockt mit seinem Leuchtmuster am Boden (links), im Blitzlicht zeigt sich die larvenartige Gestalt des Weibchens („Glüh- würmchen“, rechts).

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Page 1: Glühwürmchen, Taubenschwänzchen und Ameisenjungfern: Von der Wärme beflügelt

E X K U R S I O N I N D E N G A R T E N | M AG A Z I N

© 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.biuz.de 3/2013 (43) | Biol. Unserer Zeit | 193

Zur Zeit der Sommersonnenwendeund noch bis weit in den Juli hi-nein kann man in lauen Nächtendie Männchen des Kleinen Leucht-käfers (Lamprohiza splendidula,Abbildung 1) in strukturreichenGärten am Rand von Gebüsch undüber Rasenflächen fliegen sehen.Sie können ihr grünliches Licht imFlug an- und ausschalten. Wenn sieplötzlich scheinbar in der Luft in-nehalten und beständig weiter-leuchten, haben sie sich meistensin einem Spinnennetz verfangen,so dass man sie mit der Taschen-lampe in Ruhe betrachten kann:Die zarten Käfer haben schwarzeFlügeldecken, ihr Leuchtorgan be-findet sich unterseits am Ende desAbdomens. Viel genauer muss manhinschauen, um die flugunfähigen,larvenartigen, weißlich gefärbtenWeibchen zu finden: Sie sitzen re-

gungslos in der Vegetation am Bo-den und erzeugen ein Leuchtmus-ter aus mehreren Lichtpunkten,das die Männchen magisch an-zieht. Wenn ein Weibchen seinLeuchten beendet, ist in der Regelein Männchen bei ihm gelandet.Leuchtkäfer-Larven ernähren sichräuberisch von Schnecken [1].

Am liebsten im strahlendenSonnenschein aktiv ist ein kleiner,kräftiger Schwärmer (Sphingidae),der jährlich im Frühling und Som-mer aus dem Süden über die Alpen zu uns kommt: das Tauben-schwänzchen (Macroglossum stel-latarum, Abbildung 2). Manchmalumschwirrt er bis in die Dämme-rung hinein Zierpflanzen wiePhlox, Petunien, Fuchsien oderSommerflieder, in deren Blüten erseinen langen Saugrüssel vertieft.Menschen, die diesen Schmetter-

ling erstmals wahrnehmen, haltenihn oft für einen Kolibri, wenn erim Flug sekundenlang vor einerBlüte „steht“, um dann blitzschnellzur nächsten zu wechseln. In Ein-zelfällen kann der Falter auch inMitteleuropa überwintern. SeineRaupen fressen an Labkraut-Arten(Galium sp.) [2]. Weitere häufigeWanderfalter im Garten sind Admi-ral (Vanessa atalanta), Distelfalter(V. cardui) und Gammaeule (Auto-grapha gamma).

Im regengeschützten Sand un-ter Dachvorsprüngen oder Balko-nen fallen oft kleine Trichter auf.Sie stellen tückische Fallen fürAmeisen und andere Arthropodendar, die rund ums Haus auf demBoden unterwegs sind. Wenn sienämlich in einen solchen Trichterhineinrutschen, geraten sie unwei-gerlich in die Kieferklauen einesAmeisenlöwen, eine Larve der Ge-flecktflügeligen Ameisenjungfer(Euroleon nostras, Abbildung 3)oder der Gemeinen Ameisenjung-fer (Myrmeleon formicarius). Ver-sucht das Opfer, aus dem Trichterzu fliehen, wird es vom Ameisen-löwen mit Sand beworfen, damites erneut ins Rutschen kommt.Über die eindrucksvollen, zangen-artig gestalteten Mundwerkzeugeinjiziert ihm der Ameisenlöwe Giftund Verdauungsenzyme – die leereHülle der ausgesaugten Beute wirdanschließend aus dem Trichter ka-tapultiert. In einem kugelrunden,

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Glühwürmchen, Taubenschwänzchenund Ameisenjungfern: Von der Wärme beflügeltIm Sommer lohnt es sich bei Tag und Nacht, das Geschehen im Gartenzu verfolgen: Während Leuchtkäfermännchen blinkend ihre wenigermobilen Partnerinnen suchen, entfalten Ameisenjungfern in warmenSommernächten ihre zarten Flügel. Auch der Vogelnachwuchs wirdnun flügge. Die Jungen der Blindschleiche erblicken im Spätsommerdas Licht der Welt. Mit der Wärme besuchen uns Wanderfalter ausdem Süden.

A B B . 2 Ein Tau-benschwänz-chen (Macroglos-sum stellatarum)im Schwirrflugan Sommerflie-der (Buddleja davidii).

a) b)

A B B . 1 Der Kleine Leuchtkäfer (Lamprohiza splendidula): a) Ein Männchenstartet zum Flug; b) ein Weibchen lockt mit seinem Leuchtmuster am Boden(links), im Blitzlicht zeigt sich die larvenartige Gestalt des Weibchens („Glüh-würmchen“, rechts).

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ochruros, Abbildung 5), der aberursprünglich nur in alpinen Fels-landschaften zu Hause war underst im Laufe der vergangenen 250 Jahre menschliche Bauwerkeals künstliche „Felsen“ erkanntund erobert hat. Nach der Über-winterung im Mittelmeerraum legtder Halbhöhlenbrüter sein Nest inMauernischen oder auf Balken un-ter Dachvorsprüngen an. Auffal-lend sind neben dem rostrotenSchwanz das ständige Knicksenund häufige Schwanzzittern derVögel. Von erhöhten Positionenaus (z. B. Dachfirste) werden Beu-tetiere aus der Luft oder am Bodengefangen. In den Sommermonatensind die Eltern rund ums Haus in-tensiv mit dem Füttern der Nest-linge und auch der bereits ausge-flogenen Jungvögel beschäftigt [5].

[1] K. W. Harde, F. Severa, Der Kosmos Käfer-führer: Die Käfer Mitteleuropas. Franck-Kosmos, Stuttgart, 2009.

[2] G. Ebert (Hrsg.), Die Schmetterlinge Ba-den-Württembergs, Bd. 4, Nachtfalter II,Eugen Ulmer, Stuttgart, 1994.

[3] J. Gepp, Ameisenlöwen und Ameisenjung-fern, Neue Brehm-Bücherei 589, WestarpWissenschaften, Hohenwarsleben, 2010.

[4] H. Laufer, K. Fritz, P. Sowig (Hrsg.), DieAmphibien und Reptilien Baden-Würt-tembergs, Eugen Ulmer, Stuttgart, 2007.

[5] H. Hofmann, Gartenvögel, GU Naturfüh-rer, Gräfe und Unzer Verlag, München,2013.

Hannes Petrischak, Nonnweiler-Otzenhausen, petrischak@forum-

fuer-verantwortung.de

mit Sandkörnern besetzten Ge-spinst verpuppt sich der Ameisen-löwe. An einem Abend im Julioder August schlüpft dann dienachtaktive Ameisenjungfer, diemit ihren langen Flügeln entfernteiner Libelle ähnelt, aber zur Ord-nung der Netzflügler (Neuroptera)zählt. Sie fliegt oft künstlicheLichtquellen an [3].

Die Blindschleiche (Anguis fra-gilis, Abbildung 4) ist wohl unserehäufigste Reptilienart, was nichtzuletzt daran liegt, dass sie als Kul-turfolger auch mitten in der StadtLebensräume findet. Voraussetzungfür ihr Vorkommen in Gärten sindgeeignete Strukturen: Sie sonntsich gern am Rand von Heckenoder Trockenmauern. In Tagesver-stecken – unter Folien, Brettern,Steinen oder Blechen – kann manoft mehrere Tiere gemeinsam an-treffen. Im Sommer tragen dieWeibchen die Jungtiere aus. Beider Geburt im August oder Septem-ber befreit sich der Nachwuchs sofort aus den dünnen Eihüllen(Ovoviviparie). Zur Überwinte-rung ziehen sich Blindschleichenim Herbst sehr gern in Kompost-haufen zurück. Flächenversiege-lung, Straßenverkehr, hohe Bord-steinkanten und streunende Haus-katzen machen Blindschleichendas Leben im Siedlungsbereichaber oft schwer [4].

Zu den Charaktervögeln unse-rer Siedlungslandschaft gehört derHausrotschwanz (Phoenicurus

A B B . 5 Hausrotschwanz (Phoenicurus ochruros): a) Typische Nestanlage untereinem Dach; b) dieser ausgeflogene Jungvogel besitzt bereits die charakteris-tischen rostroten Schwanzfedern.

a)

b)

a) b)

A B B . 3 Geflecktflügelige Ameisen-jungfer (Euroleon nostras): a) Mit ausgebreiteten Kieferklauenwartet der Ameisenlöwe am Grundeseines Trichters auf Beute. b) Soebenhat diese frisch geschlüpfte Ameisen-jungfer an einem Sommerabend ihreFlügel entfaltet.

A B B . 4 Trächtiges Blindschleichen-Weibchen (Anguis fragilis) im Tagesversteck unter einer Folie.