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GOFFMAN UND DAS SPIEL: ZUR DARSTELLUNG VON (SPIEL-) ROLLEN
Hausarbeit zur Erlangung des Akademischen Grades eines Bachelor of Arts
vorgelegt dem Fachbereich Sozialwissenschaften, Medien und Sport
der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Soziologie
Germanistik
von Svenja Wassenberg aus Grevenbroich
Mainz 2013
Inhaltsverzeichnis1. Einleitung .......................................................................................................................... 3
2. Goffman und die soziale Situation ...................................................................................... 4
3. Überlegungen zum Spiel .................................................................................................. 11
4. Die Werwölfe von Düsterwald ......................................................................................... 16
5. Methode ........................................................................................................................... 18
6. Darstellung von (Spiel-)Rollen ......................................................................................... 20
6.1. Der doppelte Rahmen ................................................................................................ 20
6.2. Darstellungsebenen ................................................................................................... 23
6.2.1. Der Teilnehmer................................................................................................... 23
6.2.2. Der Spieler ......................................................................................................... 24
6.2.3 Die Figur ............................................................................................................. 25
6.3. Bühnenebenen ........................................................................................................... 29
6.3.1. Die Vorderbühne ................................................................................................ 29
6.3.2. Die Hinterbühne ................................................................................................. 30
6.4. Strategien .................................................................................................................. 33
6.4.1. Die Gruppe leiten ............................................................................................... 33
6.4.2. Das Täuschen ..................................................................................................... 34
6.4.3. Angreifen ........................................................................................................... 36
6.4.4. Das Verteidigen .................................................................................................. 37
6.4.5. Unschuld darstellen ............................................................................................ 39
6.4.6. Ensemble-Neugruppierung ................................................................................. 39
7. Fazit und Ausblick ........................................................................................................... 39
Literatur ............................................................................................................................... 43
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1. EinleitungTagtäglich sind wir in Interaktion mit anderen Individuen verwickelt: Wir begrüßen einander
auf der Straße, kaufen einen Kaffee und zeigen dem Schaffner unser Bahnticket. Wir befolgen
dabei immer bestimmte Regeln, obwohl uns nur bedingt klar ist, woher wir und alle anderen
sie kennen. Dieses Regelwerk scheint in uns gefestigt zu sein und wir wissen für fast jede
Situation, wie wir und unser Gegenüber sich zu verhalten haben. Halten wir uns jedoch nicht
an die Regeln, bekommen wir das oft sofort zu spüren. Uns wird deutlich gemacht, dass wir
die Interaktion in irgendeiner Weise gestört haben und uns nicht erwartungsgemäß verhalten
haben. Wir haben nicht die Regeln eingehalten, die unser Gegenüber für die Rolle, die wir für
ihn innehatten, erwartet hat.
Unsere Handlungsrahmen scheinen durch die Rolle abgesteckt zu sein, in der wir uns
befinden. Eine soziale Situation, in der dies einen besonderen Stellenwert hat, ist das Spiel.
Man kann testen, wie die anderen aufgrund der eigenen Aktionen reagieren und einfach Dinge
tun, die man sich vielleicht sonst nicht traut. Man kann in die Rolle des Helden schlüpfen oder
als fieser Schurke alle anderen übers Ohr hauen; es scheint alles möglich. Die Grenzen der
sozialen Situation scheinen im Spiel anders gesteckt zu sein als in der realen Welt. Dennoch
ist das Verhalten weiterhin für die eigene Rolle entscheidend. Mit ihm versucht man bei
seinen Mitspielern ein bestimmtes Bild von sich zu erzeugen, was dadurch funktioniert, dass
diese das Verhalten im Gegenzug nutzen, um sich ein Bild ihres Mitspielers zu erschaffen.
Man versucht eine Rolle glaubwürdig zu spielen und bei den Anderen zu erschaffen. Wie
glaubwürdig sie ist, hängt von den Regeln ab, die an diese Rolle gekoppelt sind, und ob be-
ziehungsweise wie gut man diese einhält. Eine Frage, die sich dabei auftut, ist: Wie können
sich mehrere Spieler über eine Spielrolle einig sein, wenn nirgendwo Verhaltensregeln nieder-
geschrieben sind?
Dieser Frage, sowie rollentypischem Verhalten im Spiel und weiteren Besonderheiten
dieser speziellen sozialen Situation wird mit dieser Arbeit auf den Grund gegangen. Dazu
wurde eine Ethnographie über das Gesellschaftsspiel „Die Werwölfe von Düsterwald“ ange-
fertigt, welche durch eine Kodierung analysiert wurde. Um vorab den theoretischen Rahmen
zu klären, wird Erving Goffman auf den Rollenbegriff und die soziale Situation eingehen.
Anschließend wird mit starkem Bezug auf Roger Caillois und Erving Goffman eine allge-
meine Definition über den Begriff des Spiels gegeben, welche dann auf Nachahmungsspiele
zugespitzt wird. Danach erfolgt die Ergebnisvorstellung und Diskussion. Im Mittelpunkt
stehen dabei Verhaltensmuster, verschiedene Rahmen, deren Grenzen und die Differenz von
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rahmenspezifischen Rollen. Mit den daraus resultierenden Forschungsergebnissen wird ab-
schließend im Fazit die oben aufgeworfene Frage diskutiert, sowie Problematiken und
Forschungsanregungen aufgeworfen.
2. Goffman und die soziale SituationSpiele sind besondere soziale Situationen. Um darauf im Laufe der Arbeit jedoch näher ein-
gehen zu können, muss zunächst geklärt werden, was unter einer sozialen Situation zu
verstehen ist. Eine soziale Situation ist gekennzeichnet durch die körperliche Anwesenheit
von mindestens zwei Individuen. Das zentrale Element sind die Handlungen der Individuen,
welche wechselseitig aufeinander bezogen sein müssen. Aufgrund dieser Elemente weisen
soziale Situationen zeitliche und räumliche Grenzen auf. Der Sinn solcher Situationen kon-
stituiert sich erst durch die Handlung der Individuen und ihre Deutung dieser. Man versucht
Informationen über sein Gegenüber zu erhalten und diesem gleichzeitig solche zu übermitteln.
Durch diesen Vorgang kann die Situation definiert werden. Durch diese Definition wissen
beide Seiten, welche Handlungen von ihnen erwartet werden und können sie dementspre-
chend anpassen. Die Individuen beeinflussen somit ihre Handlungen gegenseitig, was
Goffman (2012 [1969]: 18) als Interaktion bezeichnet. Die Menge der gesammelten Informa-
tionen erweitert und wandelt sich eventuell im Laufe der Zeit, wobei die Wandlung nicht zu
weit von den ersten Informationen abweichen darf, da diese sonst für unglaubwürdig gehalten
werden könnten.
Jegliche Tätigkeiten, die ein Individuum in einer Situation nutzt, um andere zu beein-
flussen, werden unter den Begriff Darstellung (performance) zusammengefasst (Goffman
2012 [1969]: 18). Das bedeutet, alle Handlungen einer Person in einer Interaktion fallen unter
diesen Begriff. Sie können sowohl verbaler als auch nonverbaler Natur sein, wobei als non-
verbale Kommunikation jegliche Art von schweigender Handlung gesehen werden kann Der
Handelnde kann auch als Darsteller bezeichnet werden, diejenigen, für die die Darstellung
aufgeführt wird, als Publikum. Diese Bezeichnungen kennzeichnen den Theatercharakter und
die Theatermetaphorik, mit der Goffman arbeitete.
Das Verhalten einer Person in einer Situation folgt in der Regel einem vorherbe-
stimmten Handlungsmuster. Dieses Muster bezeichnet Goffman (2012 [1969]: 18) als Rolle
(part). Um das dazugehörige Muster jedoch zu erkennen, welches Fähigkeiten, Normen und
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Erwartungen beinhaltet und verlangt, gehört auch eine gewisse Distanz zur Rolle. Neben dem
Erkennen, sorgt die Distanz für die Möglichkeit des Interpretierens und Reflektierens, damit
eigene Bedürfnisse in die Situation eingearbeitet werden können (Goffman 1973: 120).
Es entsteht der Anschein, als habe jede Rolle ein eigenes für sie gestaltetes Muster, das
angewandt wird, um sie darzustellen. Das entspricht jedoch nicht ganz der Wahrheit. Viel-
mehr können identische Handlung unterschiedliche Rollen darstellen. Dies hat zur Folge, dass
mit einem kleinen Handlungsrepertoire verschiedene Rollen erkannt, aber auch dargestellt
werden können. Somit wird sowohl dem Darsteller als auch dem Zuschauer die Definition der
Situation erleichtert.
Zu solch einer Erleichterung gehören auch Elemente, die regelmäßig allgemein und
vorherbestimmend zur Definition der Situation genutzt werden. Diese fallen unter den Begriff
Fassade (Goffman 2012 [1969]: 23). Sie ist das Ausdrucksrepertoire. Dieses gibt es auf einer
szenischen und einer persönlichen Ebene. Unter die szenische Ebene ist das Bühnenbild zu
fassen. Wie auch das Bühnenbild im Theater, ist das hier angesprochene in der Regel an eine
feste Lokalität gebunden, in der räumliche Anordnungen und Requisiten enthaltend und ent-
scheidend sind. Bestimmte Darstellung unterliegen somit einer räumlichen Grenze, die deren
Anfang und Ende bestimmt. Die persönliche Fassade teilt Goffman nochmals in Verhalten
und Erscheinung auf. Über das Verhalten teilt uns der Darsteller mit, welche Rolle er verkör-
pert, über die Erscheinung seinen sozialen Status. Zur Erscheinung gehören sowohl mit dem
Darsteller fest verbundene Merkmale, wie etwa Alter und Rasse, aber auch eher flüchtige,
verdiente oder erarbeitete Dinge, wie Abzeichen und Kleidung. Für die szenischen Aspekte
der Fassade gilt ebenso wie für die persönlichen keine Exklusivität; ein und dieselbe Fassade
kann zu verschiedenen Rollen gehören. Die Komponenten der persönlichen Fassade weisen in
der Regel eine Kohärenz auf, allerdings ist durchaus auch mit Diskrepanzen zu rechnen,
welche dann die Deutung der Rolle oftmals erschweren.
Alles in allem gilt jedoch, „wenn die Tätigkeit des Einzelnen Bedeutung für andere
gewinnen soll, muß er sie so gestalten, daß sie während der Interaktion das ausdrückt, was er
mitteilen will.“ (Goffman 2012 [1969]: 31). Der Darsteller setzt dazu Zeichen und Hinweise
in seine Darstellung ein. Besonders in den Momenten, die entscheidend sind, aber untergehen
könnten. Er kann sich den Weg erleichtern, indem er eine Idealisierung des Eindrucks vor-
nimmt. Dabei versucht er ein Idealbild beim Publikum zu schaffen. Um dies umsetzen zu
können, muss sich der Darsteller jedoch über angemessenes und unangemessenes Verhalten
im Klaren sein und über die Werte des Publikums, für das er seine Inszenierung darbietet. So
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kann er unangemessene Tätigkeiten umgehen oder verstecken und angemessene darlegen. Mit
diesem Wissen trägt er quasi zur Sozialisierung des Publikums bei. Da dieses bereits eine
gewisse Sozialisierung durchlaufen hat, kennt es die Handlungen und Werte, die der Darstel-
ler verkörpert, an, da sie schon in ihm verankert sind. Indem er den Erwartungen des Publi-
kums entspricht, wird seine Rolle glaubwürdiger.
Wie bereits erwähnt, durchzieht der Darsteller seine Handlung mit Zeichen und Hin-
weisen, besonders in wichtigen Momenten. Dies weiß das Publikum natürlich auch, weswe-
gen es darauf achtet und regelrecht nach Zeichen sucht. Diese Aufmerksamkeit hat jedoch
mehrere negative Folgen. Das Publikum kann im Verhalten des Darstellers Hinweise deuten,
die jedoch keine sein sollten, oder diese vollkommen falsch verstehen. Dadurch ist die Rolle
und somit die Darstellung stark gefährdet. Das vorher entworfene Bild passt eventuell nicht
mehr mit den neu erhaltenden Informationen zusammen.
Das Publikum muss darauf achten, dass sein Drang der Zeichensuche nicht miss-
braucht wird, um eine falsche Vorstellung zu liefern. So kann der Darsteller beispielsweise
die Idealisierung des Eindrucks nutzen, um sich in einem besseren Licht erscheinen zu lassen.
All zu einfach ist es natürlich nicht, das Publikum zu täuschen. Aufgrund der Zeichensuche
unterliegt der Darsteller einer ziemlich genauen Beobachtung. Er muss sich sehr gut unter
Kontrolle haben, da das Risiko besteht, dass jegliche Kleinigkeit gesehen wird. Eine solche
Kontrolle ist aber nicht immer möglich. Manchmal können Darsteller ihren Körper nicht
steuern, er macht sich selbstständig. Sie können sich ein Grinsen nicht verkneifen oder
schauen geschockt, ohne es zu wollen. Es sind diese schwer kontrollierbaren und somit auch
kaum manipulierbaren Elemente, nach denen der Zuschauer Ausschau hält, wenn er anfängt
uns nicht zu trauen. „Paradoxerweise sind wir um so mehr auf der Hut, je ähnlicher die Dar-
stellung des Betrügers der echten Darstellung ist“ (Goffman 2012 [1969]: 56), nach dem
Motto „zu schön, um wahr zu sein“. Somit hat es der aufrichtige Darsteller nicht leichter als
der unaufrichtige. Man muss jedoch bedenken, dass die Situation für den unaufrichtigen Dar-
steller eine größere Gefahr ist. Er versucht etwas zu verbergen oder sich falsch darzustellen,
wobei er immer in der Angst steht, entlarvt zu werden durch Kontrollverlust des Körpers,
nicht beeinflussbare Geschehnisse in der Situation oder Eingriffe von Außerhalb. Eine solche
Enttarnung kann Auswirkungen auf alle anderen Rollen und somit den Status des Darstellers
haben. Wer in einer Rolle einen falschen Eindruck erweckt hat, muss damit rechnen, dass man
ihm diesen auch in anderen Rollen zuschreibt beziehungsweise das Publikum ihm von Anfang
an noch skeptischer gegenübersteht. Dies zeigt deutlich, wie wichtig der Eindruck ist. Beson-
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ders der Erste ist entscheidend, egal ob eine wahre oder unwahre Darstellung geliefert wird.
Ein Vorteil, den ein Handelnder jedoch in einer Interaktion hat, ist die Rücksichtnahme des
Interaktionspartners. Dieser ist bedacht die Gefühle und das Image1 des Anderen nicht zu
verletzen, weswegen das Scheitern einer unwahren Darstellung meistens nicht am Publikum
liegt. Dieses hält sich dezent zurück.
Wie bereits angedeutet, neigen wir dazu zu glauben, eine wahre Darstellung sei
einfacher zu erzeugen, „als fände sie ohne Absicht statt, als seien sie vielmehr ein Produkt
unbewußter Reaktionen des Einzelnen auf die tatsächliche Situation.“ (Goffman 2012 [1969]:
65). Eine unwahre Darstellung wirkt gestellter und bewusst konstruiert. Glaubt das Publikum
nicht an den Wahrheitsgehalt der Inszenierung, glaubt es nicht an die Inszenierung selbst. Es
entsteht eine Störung, wodurch die Darstellung scheitern kann. In beiden Fällen muss man für
das Gelingen der Situation der „Art, sich darzustellen, den richtigen Ausdruck [...] verleihen“
(Goffman 2012 [1969]: 62). Hierbei zählt nicht die eigene Meinung über den richtigen Aus-
druck, sondern die des Publikums. Dessen Erwartung muss der Darsteller erfüllen, wenn er
die Situation und die damit gekoppelte Rolle erfolgreich darstellen möchte.
Die Steuerung der Informationen trägt zur erfolgreichen Darstellung der Rolle bei. Der
Darsteller muss darauf achten, welche Informationen er dem Publikum zukommen lässt und
welche als wichtig gedeutet werden sollen. Notfalls muss er eingreifen und die dadurch ent-
standenen Störungen aufheben, indem er das Publikum wieder auf den Weg bringt, den er sie
gehen lassen möchte. Damit einher geht auch eine Steuerung des Kontakts. Wie viel und wie
intensiv der Darsteller mit seinem Publikum interagiert und wie viel er es untereinander agie-
ren lässt, liegt ebenfalls an ihm und kann, je nach Situation, die Inszenierung gefährden oder
nicht.
Eine erfolgreiche Darstellung einer Rolle gelingt also nur dann, wenn man nicht nur
die geforderten Attribute besitzt, sondern auch die Regeln für Verhalten und Erscheinung
einhält, die eine bestimmte soziale Gruppe mit diesen Attributen verbindet (Goffman 2012
[1969]: 69f). Das Gelingen ist vom Verhalten, von der Ausführung der Rolle abhängig. Insge-
samt bleibt jedoch zu sagen, egal, ob sie gelingt oder nicht, sie ist ein Abstraktum. Nichts
greifbares, was man zu sich heran ziehen kann. Es bleibt auf einer künstlerischen Ebene und
lebt vom Spiel der Darstellung, es ist etwas Aufgeführtes.
1 „Image ist ein in Termini sozial anerkannter Eigenschaften umschriebenes Selbstbild“ (Goffman 1971: 10).
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Aufführungen vollziehen sich jedoch nicht immer zwischen zwei Individuen bezie-
hungsweise zwischen einem Darsteller und einem Publikum. Oft treffen mehrere Personen in
einer Interaktion aufeinander, so gibt es eine Gruppe des Publikums und eine der Darsteller.
Unter dem Publikum bleibt weiterhin das Selbe zu verstehen, eine Gruppe von Interaktions-
teilnehmern, für die eine Szene vorgeführt wird. Eine Darstellergruppe entsteht, wenn in einer
Darstellung die Interaktionsteilnehmer gemeinsam eine Rolle erzeugen und gestalten. Diese
Gruppe wird dann Ensemble (team) genannt (Goffman 2012 [1969]: 75). Eine solche Bildung
ist sinnvoll, wenn verschiedene Darsteller dasselbe oder ein ähnliches Ziel haben, welches
somit leichter erreicht werden kann. Wenn vom Ensemble als Gruppe gesprochen wird, dann
„nicht in bezug auf eine soziale Struktur oder eine soziale Organisation, sondern eher in bezug
auf eine Interaktion oder eine Reihe von Interaktionen, in denen es um die relevante Defini-
tion der Situation geht.“ (Goffman 2012 [1969]: 96).
Der Zusammenschluss zu einem Ensemble kann offizieller oder inoffizieller Natur
sein. Die Kooperation einer solchen Gruppe hat Vor- und Nachteile. Agiert man als Ensem-
ble, steht man in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den anderen Mitgliedern: Man muss sich
auf sie verlassen können, sie müssen sich jedoch auch auf einen selbst verlassen. Die Dar-
steller sind stark aufeinander angewiesen. Ein Einzelner kann die ganze Situation gefährden.
Somit ist eine Ensembledarstellung sehr störanfällig. Andererseits steigt die Glaubwürdigkeit
einer Rolle, wenn sich Mehrere für diese einsetzen und ihre „Richtigkeit“ bestätigen.
Um Störungen durch das Ensemble zu vermeiden, ist es für die Gruppe wichtig, sich
auf eine Definition der Situation zu einigen. Bei einem Ein-Mann-Ensemble entscheidet ein
einzelner Darsteller, was er für eine Situation erschaffen möchte und entscheidet selbst, was
dafür wichtig ist. Ein Ensemble definiert gemeinsam eine Situation. Die Mitglieder müssen
sich daher auf den „Realitätscharakter“ (Goffman 2012 [1969]: 80) ihrer Darstellung einigen.
Sie müssen bestimmen, was sie für eine Situation darstellen wollen, welche Rollen dafür be-
nötigt werden und welche Fassade wiederum für die Rollendarstellung notwendig ist. Die
Meinungen diesbezüglich werden in einem gewissen Grad unterschiedlich sein und je nach
Rolle und Situation weiter oder enger beieinander liegen. Bei Rollen, die stark in der Gesell-
schaft vertreten sind und von denen es dementsprechend ein deutliches gesellschaftstypisches
Bild geben wird, wird das Meinungsbild einheitlicher sein, als bei selteneren Rollen. Die
Mehrheit der Menschen trifft in ihrem Leben häufiger eine Verkäuferin an der Super-
marktkasse als den Manager oder sogar den Chef eines Großkonzerns. Es gibt jedoch auch
Rollen, auf die man genauso selten trifft, von denen jedoch bis zu einem gewissen Grad ein
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einheitliches Verhaltensmuster in den Köpfen der Menschen besteht, weil diese einen wichti-
gen Stellenwert in der Gesellschaft haben. So wird beispielsweise erwartet, dass Polizisten
und Richter sich an Gesetze halten und Gerechtigkeit walten lassen sollen. Die Mitglieder
werden sich nie hundertprozentig einig sein, daher müssen Kompromisse für die Darstellung
eingegangen werden. Sie müssen sich darüber einig werden, welche Punkte notwendig für
ihre Vorführung sind und welche nicht. Das macht sie untereinander zu Vertrauten, zu Ver-
schworenen, „vor denen eine bestimmte Fassade nicht aufrechterhalten werden kann.“
(Goffman 2012 [1969]: 78). Was sie für ihr Publikum aufführen hat nicht denselben Effekt
untereinander und kann es auch aufgrund der Vertrautheit nicht haben.
Zur Einigung des Ensembles gehört auch, dass manche Mitglieder ihnen fremde
Rollen übernehmen müssen, um den richtigen Eindruck der Darstellung zu gewährleisten.
Dies ist natürlich riskant, da die Situation darunter leiden kann, weil die Person das Hand-
lungsmuster nicht kennt und somit nicht für den richtigen Eindruck sorgen kann. Es kann zu
einer Störung durch Fehlverhalten kommen. Ist dies der Fall, darf sie aber nicht in der Dar-
stellung selbst sanktioniert werden. Eine Sanktionierung vor dem Publikum könnte die Situa-
tion vollkommen zusammenbrechen lassen. Der sicherere Weg ist es über diesen Fehler hin-
weg zu sehen und zu hoffen, dass er unauffällig war. Zur Bekämpfung von Störungen generell
gibt es in Ensembledarstellung fast immer einen Regisseur, eine Art Dirigent, der durch die
Situation führt und leitet. Er gibt den Weg vor. Auch kann er als Oberhaupt der Gruppe Mit-
glieder bestrafen oder Streitigkeiten versuchen beizulegen.
Die Informationen, die das Publikum erhält, sind entscheidend für die Bestimmung der
Situation. Welche es erhält liegt im großen Maße in den Händen der Darsteller. Zur Beein-
flussung der Informationsweitergabe kann das Bühnenbild genutzt werden. So kann es Bei-
spielsweise nur einen Bereich geben, den nur Darsteller betreten dürfen, wie etwa einen Pau-
senraum für das Personal. Insgesamt lässt sich das Bühnenbild in Vorder- und Hinterbühne
unterteilen. Auf der Vorderbühne vollzieht sich die Darstellungsleistung für das Publikum.
Der Darsteller versucht sich dabei an bestimmte Normen zu halten. Diese bezeichnet Goffman
als Anstand, worunter zum einen der direkte Kontakt von Darsteller und Publikum, zum
anderen der Moment, wenn der Darsteller im Blickfeld und in Hörweite, aber nicht in direkten
Kontakt mit dem Publikum steht, fällt (Goffman 2012 [1969]: 100). Als Beispiel kann man
sich einen Verkäufer vorstellen, der freundlich und zuvorkommend zu einem anstrengenden
Kunden sein muss, diesem aber nicht zeigen darf, dass er von ihm genervt ist. Auf der Hinter-
bühne kann er sich jedoch über diesen Kunden aufregen und ärgern. Sie ist eine Art Ruhe-
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raum für die Darsteller. Sie können dort entspannen, aber auch offen miteinander umgehen.
Das bereits angesprochene Vertrauensverhältnis zeigt sich auf dieser Bühne. In diesem ist
auch die Loyalität gegenüber Geheimnissen der Ensemblemitglieder verankert. Es kann auch
vorkommen, dass das Ensemble ein gemeinsames Geheimnis besitzt, dessen Wahrung Gül-
tigkeit für die Mitglieder hat. Aus taktischen Gründen kann dieses jedoch dem Publikum of-
fenbart werden. Die Hinterbühne ist auch der Ort an dem Sanktionen erfolgen, wenn sie nötig
sind, und Absprachen für die Darstellung stattfinden. In der Regel betritt auch kein Mitglied
des Publikums unaufgefordert diesen Bereich. Sollte es jedoch dazu kommen beziehungs-
weise befindet es sich in Hörweite, werden die Darsteller durch Regiestichworte gewarnt.
Ebenso gibt es auch Begriffe, die den Darstellern sagen, dass sie nun wieder „sicher“ und
unter sich sind. Die Vorder- und Hinterbühnen sind oftmals räumlich getrennt, jedoch nicht
immer. Es kann sogar zu einer spontanen, zeitlich begrenzten Entstehung einer Hinterbühne
auf einer Vorderbühne kommen, beispielsweise wenn in einer Schulklasse während des Un-
terrichts Schüler miteinander flüstern.
Nicht jeder Darsteller kann immer in seiner Rollen bleiben. Außerdem darf nicht ver-
gessen werden, dass es sich um eine Aufführung handelt, hinter der noch eine lebende Person
steht. In Interaktionen kann es vorkommen, dass der Darsteller aus seiner Rolle fällt bezie-
hungsweise seiner Rolle nicht mehr treu bleiben kann. Extreme Anzeichen dafür seien Aus-
drücke wie „Mein Gott“ (Goffman 2012 [1969]: 155). Solche Ausfälle können passieren,
allerdings muss der Darsteller darauf achten, dass er damit nicht den Eindruck der Situation
zerstört. Dies gilt für jegliche Kommunikation außerhalb der Rolle. Die Kommunikation auf
der Vorderbühne hat noch weitere Tücken. Wenn ein Darsteller spricht, muss er darauf ach-
ten, dass es theoretisch alle hören können. Alle müssen in der Lage sein, die Rolle des Emp-
fängers einzunehmen Ansonsten könnte ihm vorgeworfen werden, er verheimliche etwas oder
sei nicht ehrlich, was wiederum eine große Gefahr für seine Rolle und somit die Situation
bedeuten würde. Unter den Kommunikationsarten der Darsteller gibt es noch die Ensemble-
Verschwörung (Goffman 2012 [1969]: 162). Sie ist besonders, da sie eine Art Geheimsprache
zwischen den Darstellern auf der Vorderbühne ist. Sie besteht in der Regel aus Zeichen und
Signalen, die dem Kommunikationspartner bekannt sein müssen, damit er sie versteht.
Neben dem Bild der zwei getrennten Gruppen, Darsteller und Publikum, kann es auch
zu einem Wechsel der Gruppe kommen und zwar, wenn zwei Ensembles aufeinander treffen.
Das Publikum übernimmt dann den aktiven Part und wird zu Darstellern und die vorherige
Gruppe der Darstellenden wird nun in die Rolle des Publikums gesetzt. Dennoch kann es eine
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dritte Partei geben, die nur dem Publikum entspricht. Die Mitglieder der verschiedenen En-
sembles unterstützen sich gegenseitig in ihrer Darstellung. Man versucht nicht, das andere
Ensemble oder einzelne Mitglieder zu entblößen. Dennoch entsteht dadurch keine Verschmel-
zung der Ensembles.. Allerdings kann es auch zu einer neuen Gruppierung kommen. Mitglie-
der der unterschiedlichen Ensembles können sich quasi nach und nach untereinander „outen“
und ihre Rolle preisgeben. Man gibt Stück für Stück Dinge von sich bekannt. Steht man in
Übereinstimmung mit dem Anderen über Punkte, so macht man weiter. Bemerkt man, dass
der Interaktionspartner anderer Meinung ist, beendet man seine Preisgabe in diese Richtung,
geht vielleicht in eine andere oder hört komplett damit auf.
3. Überlegungen zum SpielEin Spiel ist eine freiwillige Beschäftigung, der man sich widmet, um Spaß zu empfinden.
Die Individuen, die dieser Beschäftigung nachgehen, werden als Spieler bezeichnet. „Die
Spieler spielen um des Spieles willen, und sie wissen nichts von anderen Funktionen oder
Gründen, die wir ihrem Spiel zuschreiben könnten“ (Sutton-Smith 1978: 44). Einer der Reize
ein Spiel zu spielen, liegt im ungewissen Ausgang; einmal gewinnt man, ein anderes Mal ver-
liert man. Jeder scheint dieselben Chancen zu haben, wodurch das Spiel immer einen anderen
Ausgang haben kann. Deswegen lohnt sich immer eine weitere Partie. Ein weiterer Reiz ist
der relativ große Handlungsspielraum. Die Spieler können jemand Anderes sein und sich
anders verhalten. Alles was sie tun, darf ihnen nicht nachgetragen werden, denn das Spiel ist
folgenlos. Es darf keine Auswirkungen auf das Leben, die Beziehung der Spieler untereinan-
der und kommende Spielpartien haben. Charakteristisch sind außerdem zeitliche und räum-
liche Grenzen, die Anfang und Ende vorgeben, sowie einen Spielraum. Der Spielraum meint
dabei nicht nur eine lokale Räumlichkeit, wie etwa eine Bowlinghalle, sondern generell den
Spielbereich, wie Spielbretter oder ein Tisch, auf den Karten abgelegt werden (Caillois 1960:
13). Die räumliche Grenze legt fest, in welchen Bereich gespielt wird. Spielhandlungen au-
ßerhalb werden nicht geduldet. Finden sie statt, muss sich der Spieler wieder zurück in den
Spielbereich gehen, um fortsetzen zu können. Neben dem Ort sind auch die Zeitspanne und -
dauer festgelegt, in der gespielt wird. Diese ist von Spiel zu Spiel unterschiedlich. Man ver-
einbart einen Termin und einen Ort, an dem man sich trifft, um einem Spiel nachzugehen.
Eine solche Versammlung von Menschen zum Spielen bezeichnet Goffman als Spielbegeg-
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nung (1973: 40). Sie rahmt die Situation. Rahmen sprechen Handlungen Sinn beziehungs-
weise die Art des Sinns zu. Je nach Kontext kann ein und dieselbe Handlung unterschiedliche
Bedeutung besitzen. Das Ballen der Fäuste kann im Schere-Stein-Papier-Spiel einen symboli-
sche Wert haben, nämlich für den Stein stehen, in einer Konversation kann es allerdings als
Ausdruck für Wut und Ärger gesehen werden. Der Rahmen gibt diese Bedeutung vor, er be-
stimmt welche Handlung erlaubt ist und welche nicht.
Innerhalb der Spielbegegnung baut sich ein weiterer Rahmen auf, sobald die Men-
schen anfangen zu spielen: der Rahmen des Spiels. In diesem sind erlaubte und verbotene
Handlungen und Bedeutungen noch viel entscheidender und differenzierter als in der Spielbe-
gegnung aus folgendem Grund. „Die verworrenen und verwirrenden Gesetze des gewöhnli-
chen Lebens werden in diesem begrenzten Raum und für diese gegebene Zeit ersetzt, durch
neue, eigenmächtige und unwiderlegbare Regeln“ (Caillois 1960: 13). Diese Regeln sind zum
Teil festgeschrieben, zum Teil vereinbaren die Spieler sie untereinander. Dazu gehört neben
erlaubten und verbotenen Handlungen, auch die Nutzung von Materialien und die Bedeutung
dieser. Manche dieser Regeln sind allgemeingültig, andere spielspezifisch. Sie gelten jedoch
alle für die gesamte Dauer des Spiels. Erst nach dessen Beendigung verlieren sie ihre Kraft,
da der Rahmen des Spiels ebenfalls endet. Dieser Regelcharakter ist entscheiden für die Defi-
nition von Spiel in der Literatur. In dieser wird unterschieden zwischen game, welches näm-
lich als Regelsatz verstanden wird, und play, welches einen konkreten Fall meint, wenn ein
Spiel von Anfang bis Ende durchgespielt wird, wobei die konkreten Handlungen im Spiel
playing genannt werden (Neumann, Morgenstern 1944: 40 zit. nach Goffman 1973: 40). Ein
game variiert nicht, ein play schon.
Wie bereits dargestellt, entsteht während eines Spiels eine doppelte Rahmung2. Auf-
grund dieser liegen verschiedene Rollen und Darstellungsebenen vor, die die Individuen in
diesen Rahmen einnehmen. Wie bereits erwähnt heißen die Individuen in Spielbegegnung
Teilnehmer. Diese spaltet Goffman auf in eine Interessen-Identität oder auch Seite, die nicht
etwas Fleischliches meint, jedoch der Teil ist, der gewinnt oder verliert, und den Spieler, den
für seine Seite bewusst Agierenden (1973: 39). Der Spieler ist immer zugleich Teilnehmer,
andersherum gilt dies jedoch nicht. Aus einem Spiel Ausgeschiedene sind keine Spieler mehr,
allerdings immer noch Teilnehmer der Interessenversammlung.
2 Anmerkung: Natürlich vollziehen sich weitere Rahmungen durch beispielsweise Flüstern, die Aufmerksamkeit soll hier jedoch auf die Grundrahmung von Spielbegegnung und Spiel gelegt werden.
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Damit ein korrekter Ablauf des Spiels möglich ist, müssen alle Spieler die Regeln ein-
halten. Es kommt jedoch auch vor, dass sie gebrochen werden, wodurch der Spielakt gefähr-
det ist und zerstört werden kann. Nach Caillois ist es nicht der Falschspieler, der das Spiel
zerstört, sondern der Nein-Sager (1960: 13). Ein Falschspieler spricht den Regeln nicht ihren
Sinn ab und hält sie nicht für absurd, sondern erkennt ihre Bedeutung an und nutzt lediglich
die Loyalität der Mitspieler aus. Der Nein-Sager stellt sich jedoch gegen die Spielregeln und
somit das Spiel. Er hinterfragt den Sinn, wobei dieser im Spiel selbst liegt. Fritz sieht eine
Gefährdung sehr wohl durch den Falschspieler, die bis hin zur Zerstörung des Spielprozesses
führen kann (2004: 31). Durch das Brechen der Spielregeln, zerbricht auch der Rahmen des
Spiels, welcher Grundbedienung ist. Das Spiel kann nicht (weiter) gespielt werden.
Der Falschspieler ist nicht derjenige, er das Spiel zwingendermaßen zerstört. Aller-
dings setzt er es einer Gefährdung aus, die zur Zerstörung kommen kann und zwar, wenn er
enttarnt wird. Nur wenn erkannt wird, dass die Regeln gebrochen werden, gefährdet es das
Spiel, da kein reibungsloser Ablauf mehr möglich ist. Die Mitspieler werden das Spiel abbre-
chen oder das Ergebnis (wer ist Gewinner, wer Verlierer), nicht annehmen, da es aufgrund des
unkorrekten Ablaufes zustande gekommen ist. Die Rahmung des Spiels zerfällt. Bei dem
Nein-Sager ist die Sache komplizierter. Durch ihn kann der Rahmen gar nicht erst stattfinden,
wodurch er den Prozess nicht stört, allerdings stellt er das gesamte Spiel in Frage, wodurch es
einer „Entzauberung“ unterliegt und seinen Charakter, der Welt zu entfliehen, verliert, was
mindestens für den Moment, in dem es passiert, genau so schlimm ist. Allerdings kann dieser
Moment bei der nächsten Spielbegegnung vermieden werden, indem der Nein-Sager nicht
mehr Teil der Versammlung sein darf. Es gibt jedoch auch Spiele, die keine festgeschriebenen
Regeln besitzen. Darunter fallen die so-tun-als-ob Spiele, bei denen man eine andere Rolle
spielt. Die Regeln für solche Spiele unterscheiden sich und hängen von unterschiedlichen
Faktoren ab. Wie eine Rolle ausgeführt wird, liegt am Spieler. Dennoch scheint es bei gewis-
sen Rollenspielen einen Erwartungsspielraum zu geben, in dem sich der Spieler bewegen
kann, ähnlich den Rollen der Gesellschaft. Es gibt einen Erwartungsrahmen, in dem sich der
Spieler sich bewegen muss, damit seine Rolle Geltung erhält. Bei solch einer Art von Spielen
kann es eine zweite, fiktive Wirklichkeit geben, oder eine gewöhnliche Welt, mit unwirkli-
chen Charakterzügen. Erstes ist in Fantasyrollenspielen zu beobachten, letzteres bei Spielen,
in denen Rollen aus dem Leben gespielt werden, wie Vater-Mutter-Kind oder wenn Kinder so
tun, als wären sie ein Flugzeug. Bei Spielen mit einer fiktiven Wirklichkeit ist die gespielte
Rolle keine wirkliche Rolle sondern wird als Figur im goffmanschen Sinne verstanden. Sie ist
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die konkrete Darstellung einer Rolle, quasi ein Lebensgang (Goffman 1977: 148f). Dadurch
erhalten Spiele dieser Art eine weitere Darstellungsebene, die der Figuren oder auch Spiel-
rollen genannt.
In diesen Spielen gibt es Handlungen, die jeder Spieler vollzieht und andere, die nur
gewisse Spieler aufgrund ihrer Spielrolle vollziehen. So gibt es zum Beispiel Fantasyrollen-
spiele, in denen alle für einen Angriff Würfeln müssen, das Ergebnis aber unterschiedliche
Auswirkungen, je nach Spielrolle des Würfelnden hat. Dies gibt es jedoch auch bei
Spielrollenhandlungen, die nicht in einem Regelwerk festgeschrieben sind, dennoch für die
Spieler als rollentypisch gelten. Es ist beispielweise fast eine ungeschriebene Regel, dass
Spieler, die als Spielrolle einen Zwerg und einen Elfen haben, sich nicht gut verstehen
werden. In beiden Fällen gibt es jedoch relevante und irrelevante Handlungen, welche durch
die „Regeln der Irrelevanz“ (Goffman 1973: 22) bestimmt sind. Diese legen auch fest, dass
jegliche Interpretation von Ereignissen für das Spiel angepasst werden müssen. Spielexterne
Ereignisse können manchmal jedoch Einlass in den internen Spielbereich erhalten. Dabei
durchlaufen diese eine Bedeutungstransformation. Ihr Sinn und ihre Funktion werden an die
Situation des Spiels angepasst. Ursprüngliche irrelevante Handlungen, erhalten auf einmal
Relevanz.
Die Relevanz hängt oft damit zusammen, welche Art von Spiel gespielt wird. Das
Problem liegt jedoch an der Definition der Arten. Es gibt keine einheitliche Klassifikation.
Mal wird das Spielinstrument, mal eine besondere Eigenschaft als Klassifikationsmerkmal
genutzt, ein anderes Mal etwas vollkommen anderes. Dies schafft nicht nur ein unübersicht-
liches Feld von Ordnungsmöglichkeiten, sondern erschwert auch die Vergleichbarkeit der
Spiele. Um eine Einheit für die Möglichkeiten und eine Vergleichbarkeit zu schaffen, hat
Caillois eine Einteilung in vier Hauptrubriken durchgeführt, je nachdem welcher Moment im
Spiel vorherrschend ist: Agôn, Alea, Ilinx und Mimicry. In jeder Rubrik sammeln sich zu
dieser gehörige Spiele an, welche sich jeweils innerhalb nach einem bestimmten Muster an-
ordnen. Es entsteht eine Art Anreihung zwischen zwei Pole. Den ersten Pol nennt Caillois
paidia, was er als Phantasie beschreibt, welche durch gemeinsames Vergnügen und freie
Improvisation zum Ausdruck kommt. Der Gegenpol heißt ludus, welches Anstrengung, Ge-
duld oder Geschicklichkeit und Erfindungsgabe als Mittelpunkt besitzt (1960: 19).
Die Rubrik Agôn ist durchzogen von Wetteifer. Es geht um Kräftemessen jeglicher
Art, sowohl sportlicher als auch geistiger, was bedeutet sowohl Wettrennen als auch Schach,
gehören hierhin. Sie ist durchzogen von Rivalität, aus der ein Sieger, entweder ein Einzelner
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oder ein Team, hervorgeht. Wichtig ist, dass eine Chancengleichheit der Spieler geschaffen
wird, damit wirklich jemand als der Beste aus dem Spiel hervorgehen kann. Diese kann na-
türlich nie hundertprozentig hergestellt werden. In der zweiten Rubrik, Alea, kann der jewei-
lige Sieger nichts für seinen Sieg, er war reines Glück. Der Spieler überlässt sich seinem
Schicksal, welches seine Handlung leitete. Glücksspiele wie Lotto gehören in diese Gruppe.
Bei Ilinx geht es um eine intensive Erlebnisform, die Caillois auch als Rausch bezeichnet. Es
geht um den Verlust der Wahrnehmung und Körperstabilität, dem man sich voll und ganz
hingibt, wie beispielsweise auf einem Fahrgeschäft auf dem Jahrmarkt oder auch einem Ka-
russell auf einem Spielplatz. Die letzte Kategorie heißt Mimikry und umfasst Nachahmungen,
so-tun-als-ob, was zum Teil schon beschrieben wurde. Der Spieler spielt eine andere Spiel-
rolle, für die man sich auch verkleiden oder maskieren kann. Dies beginnt in Kindheitstagen
mit Puppenspielen und geht hin bis zu komplexen Rollenspielen für Jugendliche und Erwach-
sene. Das besondere an dieser Kategorie ist, dass diese Spiele kaum festgeschriebene Regeln
besitzen. Die, die sie alle kennen, ist „den Zuschauer zu faszinieren, und er muß dabei jeden
Fehler vermeiden, der letzterem die Illusion nehmen könnte“ (Caillois 1960: 31). In dieser
Rubrik baut sich auch die Darstellungsebene der Spielrollen auf. Die Teilnehmer haben die
Rolle des Spielers, zu der noch die Spielrolle tritt; so ist man zum Beispiel ein Krieger oder
Raubritter.
Zusammenfassend lässt sich sagen, Spiele sind eine freiwillige, Spaß stiftende und
neue Realität schaffende Beschäftigung auf einem gewissen Raum. Ihre Spannung liegt im
ungewissen Ausgang des Ergebnisses und der Möglichkeit, die Realität hinter sich zulassen.
Die letzte Rubrik, Mimikry, ist für diese Arbeit die wichtigste. Auf Spiele, in denen
der Moment des Rollenspielens vorherrscht, liegt das Augenmerk in dieser Arbeit. Das Inte-
ressante an ihnen sind ihre mehrschichtigen Darstellungsebenen. Sie haben, im Gegensatz zu
vielen anderen Spielen, eine mehr: die Spielrolle oder auch Figur. Für die Spielrolle und die
Rahmung des Spiels müssen sich alle Teilnehmer auf das Spiel und die fiktive Wirklichkeit
einlassen. Sie müssen eine Figur übernehmen, die nur in dieser Welt Bedeutung trägt und dort
ihr Handlungsmuster erhält. Grade für Erstspieler und Anfänger ist dies oft nicht leicht, da sie
die Spielrolle nicht kennen und somit nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen und was von
ihnen erwartet wird. Dieses Wissen erhalten sie mit der Zeit, wie im wahren Leben. Sie
durchlaufen sozusagen eine weitere Sozialisation.
Diese Arbeit betrachtet das Spiel „Die Werwölfe von Düsterwald“, da der Aspekt des
Rollenspiels vorherrscht. Das Darstellen einer Figur ist in diesem Spiel gekoppelt mit Täu-
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schen und Überzeugen, wodurch die Spieler sehr genau darauf achten müssen, ob eine wahre
oder unwahre Darstellung vorliegt.
4. Die Werwölfe von Düsterwald„Die Werwölfe von Düsterwald“ ist ein Gesellschaftsspiel von Philippe des Phallières und
Hervé Marly. Es ist eine Art Fantasyrollenspiel. Die Spieler werden durch zugeteilte Karten in
zwei Fraktionen aufgeteilt, die Dorfbewohner und die Werwölfe. Das Ziel jeder Fraktion ist
es, die andere vollständig aus dem Spiel ausscheiden zu lassen. Die Werwölfe kennen die
Mitglieder ihrer Seite, die Dorfbewohner nicht. Die Karten weisen die Spieler nicht nur einer
Fraktion zu, sondern geben gleichzeitig ihre Spielrolle und somit auch ihre Fähigkeiten an, die
von Spielrolle zu Spielrolle variieren. Des Weiteren gibt es einen Spielleiter, der die Spieler
durch das Spiel führt.
Das gesamte Spiel ist in Nacht- und Tagphasen unterteilt, die abwechselnd aufeinan-
der folgen, bis es nur noch eine Fraktion gibt. Eine Nachtphase beginnt damit, dass alle auf
Ansage des Spielleiters die Augen schließen. Der Spielleiter ruft nach und nach die Charak-
tere auf, die nachts erwachen und eine Fähigkeit einsetzen können. Manche der Spielrollen
erwachen jede Nacht, andere nur in der Ersten. Eine Nachtphase endet damit, dass der Spiel-
leiter das gesamte Dorf „erwachen“ lässt, was bedeutet, dass alle die Augen öffnen. Dann
verkündet er, ob und, wenn ja, wer „verstorben“ ist und somit aus dem Spiel ausscheidet.
Dieser Spieler muss seine Spielkarte aufdecken, wodurch das Dorf die Figur des Ausgeschie-
denen kennt und weiß, welche weiteren noch vorhanden sind. Die Tagphase dient dazu durch
Diskussionen einen Werwolf ausfindig zu machen; es werden Anschuldigungen geäußert, die
eigene Position verteidigt und nach Figuren der Mitspieler gefragt. Die Tagphase ist beson-
ders wichtig. Alle Spieler versuchen ihre Mitspieler davon zu überzeugen, Dorfbewohner zu
sein. Dies ist wichtig, da am Ende der Tagphase wieder ein Spieler aus dem Spiel ausscheidet.
Das Dorf entscheidet per Abstimmung, welcher Spieler das sein wird. Jeder Spieler nimmt
daran teil, egal welche Spielrolle er hat. Jeder Spieler zeigt dazu auf denjenigen, der seiner
Meinung nach ausscheiden sollte. Die Spieler mit den meisten Stimmen dürfen ein Ab-
schlussplädoyer halten, in dem sie dem Dorf mitteilen, warum sie nicht ausscheiden oder
warum jemand anderes „gehängt“ werden sollte. Danach gibt es eine Abstimmung. Derjenige
mit den meisten Stimmen scheidet aus dem Spiel aus und dreht seine Charakterkarte um,
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wodurch das Dorf erfährt, wen es „gehängt“ hat. Danach beginnt der Zyklus der Phasen von
neuem, bis nur noch eine Fraktion „lebt“.
Im Folgenden werden die Spielrollen erklärt, die in den beobachteten Spielverläufen
enthalten waren. Sie stammen aus dem Grundspiel und der Erweiterung „Neumond“.
Die Dorfbewohner
Die Dorfbewohner erwachen in der Nachtphase nicht, da sie keine besonderen Fähigkeiten
haben. In der Tagphase diskutieren sie und stimmen ab wie alle anderen Charaktere auch.
Die Werwölfe
Alle Werwölfe erwachen in jeder Nachtphase gleichzeitig, dadurch weiß jeder einzelne, wer
auf seiner Seite steht. Sie suchen sich gemeinsam einen Spieler aus, den sie aus dem Spiel
ausscheiden lassen wollen. Hierzu müssen sie sich einigen und ihre Wahl dem Spielleiter
mitteilen. Dabei dürfen sie nicht vergessen, dass die anderen Spieler auch noch anwesend
sind, weswegen sie darauf achten müssen, wie sie dem Spielleiter ihre Wahl mitteilen.
Der Heiler
Der Heiler erwacht ebenfalls in jeder Nacht. Dabei darf er sich einen Spieler aussuchen, den
er beschützt. Der Beschützte kann in der Nachtphase nicht durch die Werwölfe getötet
werden. Der Heiler darf nicht hintereinander dieselbe Person beschützen, wobei er auch diese
Fähigkeit auf sich selbst anwenden darf.
Die Seherin
Die Seherin erwacht in der Nachtphase und zeigt auf einen Spieler, dessen Gesinnung sie
sehen möchte. Daraufhin zeigt ihr der Spielleiter mit dem Daumen nach oben, dass die Person
„gut“, zeigt der Daumen nach unten, ist sie „böse“. „Gut“ bedeutet, dass die Spielrolle ein
einfacher Dorfbewohner oder einer mit Fähigkeiten ist, „böse“ bezeichnet die Werwölfe.
Die Hexe
In der Nachtphase erwacht auch die Hexe. Diese hat das ganze Spiel über zwei Tränke zur
Verfügung, einen Lebens- und einen Todestrank. Wenn der Spielleiter sie in der Nachtphase
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erwachen lässt, zeigt er ihr an, welcher Spieler ausscheiden soll. Danach fragt er sie, ob sie
ihren Lebenstrank einsetzen möchte, um so den Spieler zu retten. Wenn sie ja sagt, ist er ge-
rettet und der Trank verbraucht, wenn nicht, dann scheidet der Spieler aus und die Hexe hat in
den anderen Nachtphasen die Chance ihren Trank einzusetzen. Danach fragt der Spielleiter,
ob sie ihren Todestrank einsetzen möchte. Wie der Name schon erahnen lässt, tötet dieser
Trank einen Spieler, den sich die Hexe aussucht. Der Schutz des Heilers gilt nicht für den
Trank, die Person scheidet trotzdem aus. Selbst wenn die Hexe alle ihre Tränke verbraucht
hat, fragt der Spielleiter jede Nacht, ob sie sie einsetzen möchte, damit die anderen Spieler
nicht wissen, ob sie schon verbraucht sind.
Der Jäger
Der Jäger ist einer der Charaktere, der nachts nicht erwacht. Sein Tag ist wie der der anderen
Figuren. Seine Fähigkeit zeigt sich erst, wenn er aus dem Spiel ausscheidet. Dann bestimmt er
jemanden, der ebenfalls ausscheidet.
Der Alte
Der Alte ist eine ganz besondere Figur. Er erwacht einmal in der ersten Nacht, damit der
Spielleiter weiß, wer es ist. Der Alte muss von den Wölfen zwei Mal angegriffen werden,
damit er stirbt, er hat ihnen gegenüber sozusagen zwei Leben. Dem Schuss des Jägers, dem
Trank der Hexe und dem Todesurteil des Dorfes kann der Alte nicht entgehen. Sollte er auf
eine dieser drei Arten sterben, verlieren alle Spieler ihre besondere Fähigkeit.
5. MethodeAls Erhebungsmethode wurde die Ethnographie gewählt. Diese dient dazu, die Spieler, ihr
Verhalten und das dadurch ausgelöste Rollenbild unmittelbar in ihrem (Spiel-)Feld zu be-
obachten. Das implizite und explizite Wissen über die verschiedenen Rollen und das daran
gekoppelte Verhalten konnten somit erfasst werden. Ebenfalls konnten die direkten Reaktio-
nen auf Aktionen, sprich die Interaktionen zwischen Spielern, beobachtet werden, wobei sich
die Methode der Beobachtung besonders gut für die schwer bis gar nicht kontrollierbaren Re-
aktionen eignete, wie das Erröten. Die Tonbandaufnahme wurde als Hilfsmittel gewählt, um
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für gewisse Situationen den direkten Wortlaut zur Verfügung zu stellen beziehungsweise
Mimik und Gestik mit der genauen Wortwahl zu kombinieren. Neben der Wortwahl konnten
so auch Lautstärke, Pausen, Verzögerungen wie „äh“ oder „ähm“ und Interjektionen, bei-
spielsweise „Papperlapapp“, festgehalten werden. Insgesamt wurden sieben Spielabläufe des
Spiels „Die Werwölfe von Düsterwald“ beobachtet und aufgezeichnet, an denen jeweils 12
Teilnehmer beteiligt waren inklusive des Spielleiters. Alle Teilnehmer, bis auf ein einziger,
sind Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen. Sie kennen sich untereinander und haben
schon mehrmals in dieser Konstellation das Spiel gespielt. Die Altersspanne der Gruppe lag
zwischen 22 und 24 Jahren.
In den beobachteten Spielabläufen befanden sich 11 Spielkarten: der Jäger, die
Seherin, der Alte, die Hexe, der Heiler, drei Dorfbewohner und vier Werwölfe. Während der
Beobachtung fand immer wieder ein Wechsel der Foki statt. Einmal wurde ein Gesamtüber-
blick über die Spielsituation und den Ablauf geschaffen, einmal wurden einzelne Personen
beobachtet. Bei den Einzelbeobachtungen wurde der Fokus ebenfalls gewechselt, so stand
entweder die Mimik, die Gestik oder die Sprache des Spielers im Vordergrund. Diese Ebenen
der nonverbalen und verbalen Kommunikation waren auch zentral für die Beobachtung von
direkten Interaktionen zwischen Spielern.
Das Tonband zeichnete sowohl während der Nacht- als auch Tagphasen auf. Es wurde
auch zwischen den einzelnen Spielabläufen nicht ausgeschaltet, damit die Gespräche direkt
nach beziehungsweise vor einem Spiel festgehalten werden konnten. Dies hatte einen dop-
pelten Sinn. Es konnte überprüft werden, ob das Spiel Auswirkungen auf die äußere Welt
hatte, die nach der Beendigung des Spiels wieder einsetzt, und ob das Verhalten und die Ge-
spräche in diesem Rahmen Konsequenzen für das kommende Spiel haben. Ebenso konnten
die Unterhaltungen nach dem Spiel als ethnographisches Interview genutzt und aufgezeichnet
werden.
Für das Analyseverfahren wurde die Kodierung der Feldnotizen gewählt. Diese hat
den Vorteil, dass die Datenerhebung, Auswertung und Dokumentation Hand in Hand gehen.
Des Weiteren eignet sie sich besonders gut für diese Arbeit aufgrund der Kategorisierungen.
Ein Ziel dieser Arbeit ist besondere Rollen des Spiels und damit einhergehend Verhaltens-
muster ausfindig zu machen. Dafür bietet sich die Ausarbeitung von Kategorien und Konzep-
ten am besten an, wodurch die Kodierung als geeignetstes Analyseverfahren erachtet wurde.
Die spezifischen Fragestellungen, anhand derer Kodiert wurde, lehnen sich an
Emerson, Fretz und Shaw (1995: 146) an. Es wurde nach den Handlungen und der Intention
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der Teilnehmer gefragt, sowie die dafür verwendeten Strategien. Ebenfalls stand die Wahr-
nehmung der Teilnehmer im Vordergrund. Dafür wurde darauf geachtet, wie die Teilnehmer
die Situation charakterisieren und welche Annahmen sie diesbezüglich äußern. So können
Akteure und ihre Handlungen und Intentionen in direkten Bezug gebracht werden. Charakte-
risierungen der Ereignisse durch die Teilnehmer sind ebenfalls möglich.
6. Darstellung von (Spiel-)RollenIn diesem Kapitel sollen Besonderheiten des Spiels vorgestellt und analysiert werden, die in
der Ethnographie beobachtet werden konnten. Zuerst wird über Rahmen und Grenzen gespro-
chen, dann über verschiedene Darstellungsebenen. Anschließend wird das Bühnenbild vorge-
stellt um abschließend besondere Strategien der Spielenden vorzustellen.
6.1. Der doppelte RahmenEine Besonderheit ist die doppelte Rahmung der sozialen Situation Spiel. Die Grundbedie-
nung für ein Spiel sind Menschen, die sich zusammensetzen, um ein Spiel zu spielen, eine
sogenannte Spielbegegnung. Sie ist der primäre Rahmen. Rahmen haben eine Anfangs- und
Schlussklammer, sowie eine räumliche Klammer (Goffman 1977: 279), welche Grenzzeichen
sind. Sie geben Beginn und Ende vor, sowie die Räumlichkeit, in der der Rahmen und die
daraus resultierende Bedingungen Gültigkeit haben. Der Raum der Spielbegegnung ist abhän-
gig vom Spiel. Je nach Bedingungen dieses Spiels kann es an unterschiedlichen Orten statt-
finden, braucht unterschiedlich viele Teilnehmer und eine andere räumliche Anordnung dieser
zu einander. In einer Spielbegegnung steht das Spielen im Vordergrund. Allerdings gehören
neben dem Akt des Spielens noch viele weitere Handlungen in diesen Rahmen. Die Teilneh-
mer essen zum Beispiel Chips, nutzen kurz ihr Handy oder stehen auf, um die Toilette aufzu-
suchen. Dies sind in der Regel spielirrelevante Tätigkeiten, die keinen Einfluss auf das Spiel
haben sollen, sobald es begonnen wird.
Beginnt das Spiel, wird auch ein neuer, weiterer Rahmen aufgebaut, der Rahmen des
Spiels. Er steckt die Grenzen einer fiktiven Welt ab und gibt vor, was erlaubt und was verbo-
ten ist. Dies bezieht sich auch immer auf die zeitliche Dauer des Spiels. Diese ist zeitgleich
mit dem Rahmen. Beginnt das Spiel, baut sich der zweite Rahmen auf, endet es, hört auch er
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auf zu existieren. Vor allem bestimmt der Rahmen aber, welchen Momenten Relevanz zuzu-
schreiben ist. Dies ist im Spiel entscheidender als in der Spielbegegnung. Aus den relevanten
Momenten ergeben sich im Umkehrschluss die irrelevanten Momente. Diese sind zu miss-
achten, weil sie nicht mit dem Spiel zu tun haben und es demnach auch nicht beeinflussen
können. Das Ignorieren solcher Handlungen und Ereignisse ist jedoch nicht immer möglich.
Manchmal beeinflussen sie Spielmomente zu direkt und sind zu kraftvoll. Sie lösen dann eine
Irritation aus, welche das Spiel gefährdet. In solchen Momenten wird eine Transformation
durchgeführt.
Eine Transformation ist ein Prozess, der spielirrelevante Handlungen in relevante ver-
wandelt. Die in der Hierarchie niedrigeren Handlungen werden durch Transformationen auf
die nächste Ebene erhoben. Dies passiert, indem sie neue Bedeutungen zugeschrieben be-
kommen, welche sie ins Spiel integriert. Das Aufsuchen der Toilette während einer wichtigen
Entscheidung kann beispielsweise als Fluchtversuch gedeutet werden. Transformationen sind
in kritischen Momenten als eine Art Schutzmechanismus für den Rahmen des Spiels zu sehen,
durch den die Irritation, die von der wirkungsvollen spielirrelevanten Handlung ausgelöst
wurde, abgewandt werden soll. Die spielbedrohende Handlung beziehungsweise das Ereignis
wird ins Spiel eingebaut, wodurch es Beachtung erhalten darf und das Spiel nicht mehr ge-
fährdet, da es nun Teil davon ist. Der Schutz durch Transformation kann sowohl von Seiten
der Mitspieler als auch vom Spielleiter durchgeführt werden. Sie transformieren Handlungen
von der Spielbegegnung ins Spiel.
Aus dieser Frage der Relevanzen und Umformungen ergibt sich die Frage nach dem
Verhältnis der Rahmen zueinander. Die Spielbegegnung ist der primäre Rahmen, der erzeugt
wird. Sobald angefangen wird zu spielen, entsteht jedoch ein Rahmen im Rahmen, nämlich
der des Spiels. Das Spiel kann demnach nur in einer Spielbegegnung erzeugt werden, es ist
von ihr abhängig. Was allerdings die rahmenzugehörigen Handlungen betrifft, stehen die des
Spiels in der Hierarchie über denen des primären Rahmens, ihnen wird Vorrang gegeben.
Alles nicht zum Spiel dazugehörige wird als Nebenhandlung verstanden und ist nicht zu be-
achten. Damit ist das Problem der Hierarchie und Abhängigkeit leider nicht gelöst. Die Spiel-
begegnung steht nämlich auch in einer Abhängigkeit zum Spiel. Ohne den Wunsch, ein Spiel
zu spielen, werden sich Menschen nicht versammeln, wodurch eine Spielbegegnung aber erst
erzeugt wird. Es entsteht eine gegenseitige Abhängigkeit, niemand kann ohne den anderen.
Das Spiel ist dadurch ausgezeichnet, dass es eine andere „Wirklichkeit“ besitzt. Es
zählen andere Regeln, Gesetze und Bedeutungen von Handlungen. Die der eigentlichen Welt
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werden außer Kraft gesetzt. Es gibt auf einmal Werwölfe und Hexen und man diskutiert dar-
über, wer gehängt werden soll. Aus diesen Gründen sind die Relevanzen des Spiels bedeuten-
der als in der Spielbegegnung. Die Spielbegegnung gehört mehr in die eigentliche Welt als
das Spiel, was dazu führt, dass ihre Relevanzen bekannter sein sollten oder sich leichter er-
schließen lassen. Die Regeln, Gesetze und Bedeutungen des Spiels müssen die Spieler erler-
nen. Je häufiger sie spielen, umso besser beherrschen sie diese, sie verinnerlichen sie regel-
recht. Bei Regeln ist dieser Prozess leicht nachzuvollziehen, sie stehen in einer Anleitung oder
einem Regelheft fest niedergeschrieben und unveränderbar. Dazu kommt noch, dass sie auf-
grund der Schriftlichkeit immer wieder nachgelesen werden können. Mit den Bedeutungen
von Verhalten sieht die Sache etwas komplizierter aus. Die Frage, die sich hier stellt, ist
folgende: Wie kann es sein, dass eine Spielgemeinde sich darüber einig ist, was bestimmte
Sätze oder bestimmtes Verhalten zu bedeuten haben und zu welcher Figur sie gehören?
Die Frage impliziert, dass Handlungen zur Darstellung dienen. Relevante Handlungen
im Spiel, die nicht zu den Spielern gehören, werden immer Figuren zugeschrieben. Diese Zu-
schreibung funktioniert aufgrund von figurentypischen Verhalten. Demnach können Hand-
lungen Figuren zugeordnet werden, gleichzeitig kann man diese darauf abstimmen, je nach-
dem welche man darstellen möchte. Dies setzt ein gemeinsames Wissen der Spielgemein-
schaft voraus. Es baut sich mit der Zeit auf, wächst von Spiel zu Spiel und wird aufgrund von
Spielwiederholungen erneuert. Man könnte regelrecht von einer Spielsozialisation sprechen,
deren Vollzugsraum der Rahmen des Spiels ist. Darunter ist nicht der Prozess gemeint, in dem
Sozialisation durch Spiel erfolgt, sondern vielmehr eine Sozialisation für die fiktive Welt.
Man erlernt was man als Spieler und als Spielfigur zu tun und zu lassen hat und welches Ver-
halten man wie deuten kann. Dies ist jedoch nicht immer leicht. Die Frage bei Handlungen,
die sich für die Spieler stellt, ist folgende: Ist es eine Handlung des Teilnehmer, des Spielers
oder der Figur? Viele Handlungen können auf jeglicher Ebene der Darstellung stattfinden.
Daran zeigt sich deutlich, dass die Rahmungen keine scharfen Grenzen aufweisen. Es ist nicht
hundertprozentig abgesteckt, wo die Handlungen zum Spiel gehören und wo zur Spielbegeg-
nung. Das Verschwimmen der Grenzen zeigt der Prozess der Transformation besonders deut-
lich Er schafft viele Überlappungserscheinungen, Handlungen, die auf allen Ebenen gelesen
werden können. Gelesen meint in dem Fall Bedeutungszuschreibung aufgrund von Verortung
einer Handlung auf einer Ebene. Die Wahl der Lesart hängt von der Situation und auch der
Teamzugehörigkeit ab.
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6.2. DarstellungsebenenIn der sozialen Situation des Spiels gibt es aufgrund der doppelten Rahmung unterschiedliche
Darstellungsebenen, auf der unterschiedliche Rollen agieren, die Teilnehmer und die Spieler.
Neben diesen beiden Ebenen konnte noch eine dritte beobachtet werden, die der Figuren. Auf
allen gibt es ein Darsteller – Publikum Verhältnis. Es gibt diejenigen, die darstellen und in-
szenieren, welche man als Darsteller bezeichnet, und diejenigen, die dem Schauspiel beiwoh-
nen und zuschauen, das Publikum. Es sind keine festen Positionen, wer eben noch Zuschauer
war, kann im nächsten Moment Darsteller sein. Für die Darstellungen sind Handlungen aber
auch Kommunikation besonders entscheidend. Die Kommunikation kann direkt auf eine
Person oder Personengruppen gerichtet sein, was als direkte Kommunikation bezeichnet wird.
Ist sie nicht zielgerichtet, ist es eine indirekte Kommunikation. Sie hat keinen festen Adres-
saten.
Im Folgenden werden diese drei Ebenen betrachtet. Dabei stehen die Erwartungen und
Aufgaben im Mittelpunkt, sowie Handlungen und Kommunikation. Es werden dabei den
Fragen nachgegangen, welche Besonderheiten sich zeigen, wo die Unterschiede liegen und ob
es Gemeinsamkeiten gibt.
6.2.1. Der Teilnehmer
Menschen, die sich treffen um ein Spiel zu spielen, werden als Teilnehmer bezeichnet. Ihr
Verhältnis untereinander ist ein vertrautes, in der Regel sind sie befreundet. Ihre Versamm-
lung dient vorrangig dem Wunsch ein Spiel zu spielen, keiner anderen Tätigkeit darf primär
nachgegangen werden. Es wird von ihnen erwartet, ihre Aufmerksamkeit auf das kommende
Spiel zu richten. Sie positionieren sich passend im Raum und schalten alle Ablenkungen vor-
sorglich ab. Sie treffen jegliche Vorkehrungen, um spielen zu können, einschließlich der Vor-
bereitung des Spiels.
Die Vorbereitung des Spiels ist eine wichtige Aufgabe, ohne die Spielen nicht möglich
ist. Welche Vorkehrungen getroffen werden müssen, ist abhängig vom Spiel, Karten müssen
abgezählt und verteilt, Spielbretter aufgebaut oder Spielfiguren verteilt werden. Die Variatio-
nen sind groß. An dieser Arbeit können nicht immer alle Teilnehmer mitwirken. Wie viele es
können, hängt von der Größe des Spiels und der Teilnehmerzahl ab sowie dem Aufwand der
Vorbereitungen.
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Auf der Ebene der Teilnehmer ist Kommunikation inhaltlich nicht aufs Spiel gerichtet
sondern auf die Spielbegegnung; es kann wörtlich nach der Cola gefragt oder etwa mit einem
leeren Glas gewunken werden Die Adressaten sind daher in diesem Moment auch als Teil-
nehmer adressiert, egal ob direkt oder indirekt. Diese Kommunikation kann zu Spielpausen
führen, beispielsweise wenn jemand ankündigt, dass er auf Toilette geht.
6.2.2. Der Spieler
Sobald das Spiel beginnt, nimmt der Teilnehmer eine weitere Rolle ein, die des Spielers. Von
einem Spieler wird erwartet, dass er sich an die Regeln und Gesetze der Spielwelt hält, damit
sie nicht zerbricht. Er trägt mit seinen Tätigkeiten dazu bei, dass diese fiktive Welt erhalten
bleibt. Die Spieler teilen sich in zwei Rollen auf: den Spielleiter und die Mitspieler.
Der Spielleiter ist eine besondere Rolle. In der Regel nimmt diese eine einzige Person
ein und das auch für die Dauer des gesamten Spiels. Die Aufgabe des Spielleiters ist mit der
eines Regisseurs zu vergleichen. Er leitet und führt die Mitspieler durch das gesamte Spiel
und ist für dessen korrekten Ablauf mitverantwortlich. Er leitet Beginn und Ende des Spiels
ein: „Das Spiel beginnt [1] alle: [-] kennen ihre Rolle.“, „Damit is das Spiel vorbei [-] und die
Werwölfe haben gewonnen.“. Es sind „Anfangs- und Schlußklammern“ (Goffman 1977: 279)
des Spiels. Solche Klammern können auch verschiedene Spielepisoden gliedern. Bei den
Werwölfen von Düsterwald leitet der Spielleiter auf ähnliche Weise die Nacht- und Tagpha-
sen ein: „Es wird Nacht in Düsterwalde [1] das ganze Dorf schläft ein“, „Es wird Tag [-] und
das ganze Dorf erwacht“. Die Einleitung von Tag- und Nachtphase setzt gleichzeitig weitere
räumliche Klammern; die Tagphase kann als Vorderbühne, die Nachtphase als Hinterbühne
verstanden werden. Die Setzung von Klammern erfolgt oft auf rituelle Art und Weise, was die
Arbeit des Spielleiters erleichtert. Rituale werden fast immer identisch durchgeführt, was für
einen einfacheren Ablauf des Spiels und der Episoden sorgt, da aufgrund der Wiederholung
die Spieler wissen, wie sie sich verhalten sollen.
Der Spielleiter ist eine allwissende Rolle, welche das Regelsystem des Spiels aufrecht-
erhält. Er sorgt für Handlungsrechte und -pflichten; er ist eine institutionalisierte Rolle. Durch
ihn vollzieht sich nicht nur eine Trennungsarbeit der Episoden, sondern auch eine der
Rahmen. Die Trennungen der Rahmengrenzen vollzieht er, neben der Einleitung des Beginns
und Endes des Spiels, durch Sanktionen und Zurechtweisungen. Er weist die Spieler auf
Fehlverhalten hin, damit sie nicht vollkommen aus der Rolle fallen und die Situation des
Spiels nicht gefährden. Alles in allem dient seine Arbeit der Aufrechterhaltung des Spiels.
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Die restlichen Spieler nehmen die Rolle der Mitspieler ein. Ihre Rolle entsteht, wenn
die Teilnehmerrolle quasi „korrekt“ ausgeführt wird und sie spielen, wodurch sie diese wei-
tere Rolle einnehmen. Dies setzt voraus, dass sie sich voll und ganz auf das Spiel einlassen,
alle nebensächlichen Handlungen sind irrelevant. Sie „folgen einem Handlungsentwurf –
einem Hauptvorgang – vor einem Hintergrund von Vorgängen, die als außerhalb des
Rahmens stehend gelten und in dieser speziellen Weise dem untergeordnet sind, was gerade
als der Hauptvorgang definiert ist.“ (Goffman 1977: 224).
Aus diesem Grund bezieht sich die Kommunikation auf dieser Ebene immer auf das
Spiel, wodurch die Spieler die Adressaten sind. Das Spiel ist sowohl bei der verbalen als auch
nonverbalen Kommunikation der Mittelpunkt, allerdings muss darauf geachtet werden, dass
die Kommunikation des Spielers schnell auf die Ebene der Figur rutschen kann. Es kann vor-
kommen, dass es verbale und nonverbale Kommunikation gibt, die Teil der Spielerhandlun-
gen ist, das bedeutet, dass sie jeder Spieler ausführen muss. Dazu können gewisse Sätze gehö-
ren, die jeder Spieler nach seinem Zug sagen muss oder Abstimmungen durch Handzeichen.
Mitspieler nehmen aktiv am Spielgeschehen teil, sie können es aktiv variieren und
verändern. Es gibt Handlungen, die jeder Mitspieler vollziehen muss, beispielsweise Karten
ziehen oder Würfeln. Wie dies jedoch gemacht und mit dem Ergebnis umgegangen wird, ist
abhängig vom Mitspieler, jeder hat sozusagen seine eigene Note, mit der er seine Tätigkeiten
durchsetzt. Aber es wird erwartet, dass die Mitspieler ihr Verhalten an die Situation anpassen
und spielen. Wie sie dann genau spielen, hängt von der Figur ab, die sie einnehmen.
6.2.3 Die Figur
Eine Figur ist keine Rolle im eigentlichen Sinne, sie ist vielmehr die direkte Aufführung die-
ser, sozusagen der Lebensgang. Für unser Spiel heißen die Figuren Bürger, Werwölfe,
Seherin, Hexe, Jäger, Alter und Heiler. Bei dem Begriff der Figur können zwei Arten vorlie-
gen. Es kann eine zugeteilt und eine beobachtbare geben.
Die Zugeteilte erhält man in der Regel vom Spielleiter oder zieht eine Karte, auf der
sie verzeichnet ist. Man kann sie nicht beeinflussen, sie ist quasi die „wahre“ Identität, die
man innehat, wodurch sie zunächst einen inaktiven Charakter erhält. Durch die Zuteilung der
festen Figur werden die Spieler auch einem Team zugewiesen. Es gibt (mindestens) zwei
Teams, die sich besonders unterscheiden: die Mitglieder des einen Teams kennen sich, die des
anderen nicht. Zur Vereinfachung werden sie A) und B) genannt. Team A) darf nur verdeckt
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agieren und die Mitgliedschaft zu diesem nicht auffallen. Sie ist das gemeinsame Geheimnis
der Mitglieder. Die Loyalität zu diesem herrscht jedoch nur, solange keine Bedrohung für
einen selbst besteht. Die Spieler dieses Teams müssen versuchen eine Figur darzustellen, die
Team B) angehört, um weiterhin gegen es handeln zu können. Dieses ist das offiziell gedul-
dete. Wer ihm angehört darf weiter spielen, wer nicht scheidet aus. Das Besondere daran ist,
dass die Mitgliedschaft zum geduldeten Team eine ist, die man sich erspielen muss. Die
Spieler müssen eine passende Spielrolle darstellen, damit geglaubt wird, man gehöre diesem
Team an. Dies gilt auch für die Spieler, die aufgrund ihrer zugeteilten Karte offiziell Team B)
angehören. Ist die Spielgemeinde in dem Glauben, es findet eine falsche Spielrollenauffüh-
rung statt, wird sie sich gegen diesen Darsteller entschieden, wodurch er ausscheidet und zum
Teilnehmer wird, welche Rolle er für den Rest des Spiels inne hat. Die zugeteilten Figuren
vollziehen noch eine weitere Aufgabe. Sie teilen den Mitspielern mit, ob ihre „wahre“ Figur
eine Fähigkeit besitzt oder nicht. Fähigkeiten werden entweder auf der Hinterbühne eingesetzt
oder wenn die Figur ausscheidet. Allerdings gibt es auch besondere Spielrollen, die keine
spezielle Fähigkeit besitzen, dennoch Auswirkungen auf die Spielgemeinde haben, wenn sie
in einer bestimmten Spielepisode ausscheiden.
Das Darstellen einer Figur leitet den zweiten Figurentyp ein, den beobachtbaren. Die
beobachtbare Spielrolle ist die aktiv gestaltbare. Die Spieler füllen sie mit Leben durch ihre
Handlungen, welchen die Mitspieler Bedeutung und Sinn zu messen, wodurch sie eine
Figurenzuschreibung vornehmen. Dabei ist das Verhalten der entscheidendere Teil der per-
sönlichen Fassade. Die Erscheinung ist kein natürliches Kriterium für die Figurenzuschrei-
bung. Allerdings kann es durch Transformation in eines verwandelt werden. Die beobachtbare
Figur ist somit eine zugeschriebene. Die beobachtbare und die zugeteilte Figur können auch
identisch sein, müssen es aber nicht zwangsweise. Ganz im Gegenteil sogar, die zugeteilte
Spielrolle kann erfordern, dass man sich anders darstellt. Es gibt bei der Einteilung in die zwei
Teams nämlich immer eines, dem man versucht sich zugehörig darzustellen, weil es jenes ist,
das auf Vorderbühne akzeptiert wird. Ein Werwolf wird demnach bestrebt sein, sich als Dorf-
bewohner darzustellen. Im Folgenden wird mit dem Begriff Figur immer die beobachtbare
gemeint. Sollte die Zugeteilte gemeint sein, wird dies angemerkt.
Wie eine Figur ausgelebt wird, liegt in gewissen Maßen immer an dem Spieler und
Teilnehmer, der sie ausführt. Jeder Mensch bringt seinen eigenen Stil in Interaktionen mit ein,
was als Gestaltung verstanden werden kann, die auch von dem Gemütszustand in der aktuel-
len Situation beeinflusst wird (Goffman 1977: 135). Allerdings konnte auch figurtypisches
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Handeln und Verhalten beobachtet werden. Diese dienen den Mitspielern dazu, Figurenzu-
weisung vorzunehmen. So greift die Seherin zum Beispiel auf ihr gutes Gehör zurück, um
ihren Nachbarn als Werwolf anzuschwärzen, was sie aufgrund ihrer Gabe auch weiß, diese
aber vielleicht noch nicht preisgeben möchte. Die Handlungen werden aufgegriffen und es
wird versucht sie zu entschlüsseln, um auf die Figur zu kommen, die der Mitspieler innehat.
Man kann von einem Darsteller-Publikum-Verhältnis sprechen. Es ist ähnlich bei einem
Theaterstück; Mitspieler führen ihre Figur für die anderen Spieler auf, wodurch die Auffüh-
renden zu Darstellern, die anderen zu Zuschauern werden. Der Grund dafür liegt im Spiel. Die
Darstellungsleistung ist eine zwingende Notwendigkeit, damit man der fiktiven Welt gerecht
wird und sie erhalten bleibt. Dies ist man auch den anderen Spielern schuldig, da man sich auf
das Spiel eingelassen hat.
Ob eine Figurendarstellung von den anderen auch als die Figur verstanden wird, die
der Darsteller versucht darzustellen, liegt an den Darsteller und den Erwartungen an die Figur.
Wie gut er eine Figur darstellt, liegt in seiner Hand, aber vor allem in der der Mitspieler. Sie
entscheiden über gute und schlechte, sowie glaubhafte Darstellungen. Sie sind das Publikum.
Allerdings kann in diesem Fall das Publikum ins Geschehen eingreifen, es ist kein stummer
Zuschauer, der am Bühnenrand sitzt und auf das Ende des Stückes wartet, um es zu kommen-
tieren. Letzteres kommt jedoch auch vor. Man kommentiert im Nachhinein eine Darstellung
und bewertet sie. Die Bewertung einer Figurendarstellung ist abhängig von verschiedenen
Punkten. Für jede Figur wird ein bestimmtes Verhalten erwartet, das sie ausmacht. Genauso
wie Strategien existieren, die die Darstellung unterstützen sollen. Man darf sich das jedoch
nicht wie eine niedergeschriebene Gebrauchsanleitung vorstellen, vielmehr wie eine Idee im
Kopf. Sie ist einfach da. Man kann nicht hundertprozentig sagen, warum man welches Ver-
halten welcher Figur zuschreibt oder erwartet. Es scheint wie in einer Gesellschaft eine Sozia-
lisation für Spielgesellschaften zu geben. Die Spieler lernen mit der Zeit, was man für welche
Darstellung zu tun und zu lassen hat und wie man welches Verhalten zu lesen hat. Sie erar-
beiten sich einen gemeinsamen Wissenshorizont. Jetzt könnte man denken, dass es keinen
Sinn mehr habe, zu spielen, weil alles sofort bekannt ist. Dies ist natürlich nicht so. Verhalten
kann ausversehen oder absichtlich falsch gelesen oder genutzt werden und Strategien können
gegeneinander eingesetzt werden. Man kann sich außerdem Strategien bedienen, um die Mit-
spieler zu täuschen. Alles in allem muss jeder Mitspieler auf sein Verhalten achten. Jegliche
Tätigkeit, egal wie klein oder spielirrelevant sie auch ist, wird nämlich zur Identifikation der
Figur herangezogen.
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Oftmals geschehen solche Figurendarstellungen und Anwendungen von Strategien je-
doch nicht alleine. Mitspieler verbünden sich in der Regel und stellen gemeinsam eine Spiel-
rolle dar. Dieser Zusammenschluss entspricht dem Begriff des Ensembles bei Goffman, auch
wenn dieser für gemeinsame Rollendarstellung steht. Ein Spielensemble ist besonders
wichtig, da der Glaube der Gruppe an eine Spielrolle oftmals entscheidend für den Ausgang
des gesamten Spiels ist. Spielensembles sind oft auch Figurengruppen. Eine Figurengruppe
bezeichnet den Zusammenschluss von Spielern mit derselben zugeteilten Spielrolle. Es gibt
Figurengruppen, die ihre Mitglieder vorneherein schon kennen, andere müssen sich diese Er-
kenntnis im Laufe des Spiels erarbeiten. Wenn sich die Mitglieder einer solchen Gruppe
bereits kennen, sind sie als Vertraute anzusehen. Sie sind in beiden Fällen ein Team, wobei im
ersten Fall anzunehmen ist, dass sie auch als Team, also als Ensemble, agieren. Wenn die
Figurengruppe zu dem Team A) gehört, ist nicht immer eine Kooperation zu erwarten. Droht
eine solche Figurengruppe entdeckt zu werden, wodurch ihre Konstellation und somit alle
Mitglieder gefährdet sind, spaltet sich der Zusammenhalt der Gruppe. Das Ensemble zerbricht
und jeder versucht alleine durchzukommen. Oftmals agieren die ehemaligen Ensemblemit-
glieder dann gegeneinander, um zu symbolisieren, sie würden der anderen Partei angehören.
Dies vollzieht sich ebenfalls, wenn eines der Mitglieder einen Fehler begeht. Das Begehen
von Fehlern in der Darstellung einer Figur bringt generell den Darstellenden in eine schwie-
rige Situation. Es wird nicht über das Fehlverhalten hinweg gesehen, wie es Goffman für In-
teraktionen beschreibt. Sie werden viel mehr hervorgehoben von der Spielgemeinde und in
eine Richtung transformiert, um dem Darsteller eine Figur zuzuweisen. Dies passiert oft nicht
zu seinen Gunsten und kann schnell zum Ausscheiden des Spielers führen. Solche Fehler
passieren hauptsächlich bei der Kommunikation, welche generell auf der Figurenebene be-
sonders wichtig ist.
Sie hat strategischen Charakter. Ihr Sinn liegt darin, eine Figur darzustellen, glaub-
würdiger oder unglaubwürdig zu machen. Besonders die nonverbale Kommunikation wird
gerne eingesetzt, um die Unglaubwürdigkeit einer Figur zu unterstreichen. Beispielsweise
wird das Gesicht verzogen und man schneidet Grimassen, während eine andere Figur spricht.
Die Kommunikation auf der Ebene der Spielrollen unterstützt zudem den Rahmen des Spiels,
da der fiktive Charakter der Situation durch sie gestärkt wird, wie das folgende Beispiel zei-
gen soll.
1. Die Seherin: Ich werde heut Nacht mal in meiner Zauberkugel checkn:, wer 2. hier so gut [1] und wer böse is“
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Kann man eine Darstellung nicht mehr aufrechterhalten und ist eine Rettung aussichtslos,
kommuniziert dies der Spieler. Ähnlich bei Goffmans Kommunikation außerhalb der Rolle,
welche signalisiert, dass man eine Rolle nicht mehr aufrechterhalten kann, ist dieses kommu-
nizieren vorzustellen. Es sind Eingeständnisse wie „Ihr habt mich erwischt“ oder auch Kraft-
ausdrücke wie etwa „Verdammt!“. Diesen Momenten geht meistens ein Kontrollverlust des
Körpers voraus oder mit ihnen einher, die Spieler erröten, können sich ein Grinsen nicht ver-
kneifen oder zeigen Nervosität durch Spielen mit den Fingern oder den Blick schweifen
lassen. Dies sind auch Elemente, welche die Darstellung unglaubwürdig erscheinen lassen.
6.3. BühnenebenenFür Spiele konnten zwei verschieden Bühnenebenen ausfindig gemacht werden, auf denen
Kommunikation aus allen drei Darstellungsebenen vorhanden sein kann. Ich werde sie analog
zu Goffman Vorder- und Hinterbühne nennen, da sie Ähnlichkeiten aufweisen. Anfang und
Ende beider Bühnen werden wie bereits beschrieben rituell vom Spielleiter eingeleitet. Auf
der Vorderbühne vollzieht sich die Darstellung, aufgrund derer Figuren zugewiesen werden.
Mit der Hinterbühne sieht das ganze etwas komplizierter und verworrener aus, weswegen ihr
besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde.
6.3.1. Die Vorderbühne
Die Vorderbühne ist der Spielbereich, der freizugänglich für alle Spieler ist. Auf ihm gesche-
hen Darstellungen der Spielrollen und Anwendungen von Strategien, durch die die Mitspieler
versuchen sich untereinander zu beeinflussen und zu überzeugen, eine der Spielrollen zu sein,
welche dem akzeptiertem Team der Vorderbühne angehört.
Die Größe der Vorderbühne beschränkt sich in der Regel auf eine Räumlichkeit oder
einen Ort, an dem die Spieler sich so positionieren, dass sie sich alle gegenseitig sehen und
hören können. Die Hörweite sollte allerdings so nach sein, dass man sich in Zimmerlautstärke
unterhalten kann und nicht schreien muss.
Auf der Vorderbühne hat jeder Spieler die Figur inne, die ihm vom Publikum aufgrund
seiner Handlungen zugeschrieben wird. Egal welche Figur man aufgrund der Kartenzuteilung
ist, es kommt in diesem Spielbereich auf die Darstellung an und wie die Mitspieler mit dieser
umgehen. Aufgrund dessen ist sie der Ort für Transformationsvorgänge. Eine Darstellung
erfolgt aufgrund von verbaler und nonverbaler Kommunikation. Der Grund dafür liegt darin,
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dass jedes Handeln von den Mitspielern gelesen und in eine Richtung für eine Figur ausgelegt
werden kann. Dies ist ein Prozess, der dauerhaft auf der Vorderbühne anzutreffen ist. Der
Grund dafür liegt in der Wichtigkeit der Kenntnis der Figurenverteilung, da diese auch die des
Teams angibt. Die Spieler suchen nach jeglichem Indiz, das ihnen ein Hinweis auf die Figur
des Spielers sein kann. Diese Hinweise sind jedoch nicht immer eindeutig. Sie können oft-
mals auf verschiedene Figuren hinweisen und ausgelegt werden, da im Spiel ebenfalls keine
Exklusivität von Fassaden für Spielrollen gilt. Besonders Fehlverhalten wird gerne für die
Zuweisung herangezogen. Während Goffman in sozialen Situationen Anstand auf der Vor-
derbühne beschreibt, kann davon im Spiel kaum noch die Rede sein. Anstatt Fehler dezent zu
übersehen, werden sie hervorgehoben. Es kann passieren, dass die Anwesenden einen schär-
feren Ton anschlagen, lauter oder auch Mal ausfallend werden. Grund für das Hervorheben
der Fehler liegt in der Suche nach Indizien für Figurenzuschreibung.
Fehler verbaler kommunikativer Natur, zum Beispiel Versprecher, haben ihren Platz
auf der Vorderbühne. Sie ist der Ort, an dem ein generelles Rederecht für alle gilt, das für die
Darstellung genutzt wird und auch werden muss. Ausgeschlossen vom Rederecht sind nur
ausgeschiedene Spieler. Es gibt auf der Vorderbühne jedoch auch Phasen, in denen das Rede-
recht für alle aufgehoben wird und es nur bestimmten Figuren erlaubt ist zu sprechen. Dies ist
der Fall bei den Plädoyers. Nur der Angeklagte darf sprechen. Alle anderen Spieler müssen
schweigen. Dieses Schweigeverbot wird aber kaum eingehalten. Vielmehr sind diese
Momente von Zwischenrufen und Fragen geprägt. Besonders Reaktionen, welche die Aussa-
gen im Plädoyer anzweifeln, wie „ja ist klar“ oder mit den Augenrollen, kommen vor.
Insgesamt lässt sich für die Vorderbühne jedoch festhalten, dass sie der Ort ist, an dem
die Darstellungsleistung hoch und bedeutsam ist. Sie ist sozusagen der schwierige Part für die
Darsteller.
6.3.2. Die Hinterbühne
Die Hinterbühne ist ein besonderer Spielbereich, da er nicht für alle Spieler zugänglich ist.
Ähnlich der Hinterbühne bei Goffman dürfen ihn nur bestimmte Spieler betreten. Die Erlaub-
nis erhalten die Spieler durch ihre zugeteilte Figur. Im Fall der Werwölfe von Düsterwald sind
es die Werwölfe, der Heiler, die Seherin, die Hexe und der Alte. Die Spieler, die die Hinter-
bühne betreten dürfen, dürfen das oftmals nicht alle gleichzeitig und manchmal auch nur ein
einziges Mal. Ihnen sind immer bestimmte Zeitfenster zugedacht, die sie nacheinander, in
einer bestimmten Reihenfolge nutzen. Für die Koordinierung der Fenster ist der Spielleiter
31
verantwortlich. Wenn ein Spieler die Hinterbühne nutzen darf, tut er dies als zugeteilte Figur.
Figuren können alleine oder als Figurengruppen auftreten. Ähnlich der goffmanschen Hinter-
bühne sind die Spieler, die diese benutzen dürfen, in einem gewissen Grad sicher im Bezug
auf die Darstellung ihrer Figur. Sie müssen sich nicht bemühen, eine bestimmte Figur aufzu-
führen oder eine gewisse Strategie anzuwenden. Sie können einfach ihre zugeteilte Figur sein.
In einem gewissen Maße müssen sie diese in diesem Bereich sogar ausleben, da er so wie die
Vorderbühne Teil des Spielfelds ist. Eine Verweigerung der Ausführung würde das Spiel ge-
fährden.
Die Hinterbühne ist räumlich nicht immer von der Vorderbühne getrennt. Oftmals
teilen sie sich denselben lokalen Raum. Außerdem befinden sich bei dieser Begebenheit alle
Spieler auch auf der Hinterbühne. Sie sind körperlich alle anwesend, nur ein Teil ihrer Wahr-
nehmung wurde außer Kraft gesetzt, das Sehen. Dadurch liegt eine große Herausforderung für
die Figuren, die aktiv auf der Hinterbühne handeln, und den Spielleiter vor. Der Spielleiter hat
die Aufgabe, neben der Koordinierung der Zeitfenster auf der Hinterbühne, die Grundbedin-
gung der Hinterbühne generell zu schaffen. Mit seiner Ritualformel „Es wird Nacht in Düs-
terwalde“ fordert er alle Mitspieler auf die Augen zu schließen, wodurch sie inaktiv werden,
und lässt die Hinterbühne entstehen, die nun nach und nach genutzt werden kann. Es ist keine
sichere Bühne, da die gesamte Spielgemeinschaft währenddessen anwesend ist. Allerdings ist
sie nicht mit allen Sinnen anwesend. Der „Befehl“ des Augenschließens enthält das Verbot,
sie unerlaubt zu öffnen. Dieses ist die einzige Sicherheit für die aktiven Nutzer der Hinter-
bühne. Sie müssen darauf vertrauen, dass kein Spieler schummelt und die Augen öffnet. Der
einzige, der dauerhaft die Augen geöffnet hat, ist der Spielleiter. Er ist auf beiden Bühnen
aktiv präsent und hält ihren Rahmen und den des Spiels aufrecht.
Die Tatsache, dass ein Hinterbühnennutzer nie hundertprozentig alleine auf dieser
Bühne ist, da die anderen Mitspieler körperlich immer noch anwesend sind, macht sie nicht zu
einem so sicheren Ort wie die Hinterbühne bei Goffman. Der Spieler kann sich nur für einen
gewissen Moment auf ihr ausruhen. Diese kurze Ruhepause rührt nicht nur von der Anwesen-
heit der anderen Mitspieler, sondern auch daher, dass auf der Hinterbühne bestimmte Hand-
lungen vollzogen werden müssen, die für den Spielablauf wichtig sind. Diese Handlungen
sind die Spezialfähigkeiten der zugeteilten Figuren; der Heiler schützt zum Beispiel eine
Person oder die Hexe setzt einen Trank ein. In dem Moment der Fähigkeitenausführung wird
der inaktive Charakter abgelegt und Darstellung vollzogen, bei der sich die „wahre“ Spielrolle
zeigt. Sie wird in dem Moment mit Leben gefüllt, wodurch sie zu einer dargestellten wird. Für
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den Spielleiter und alle ausgeschiedenen Spieler ist es dann auch eine zugeschriebene Spiel-
rolle, da die Handlungen zu diesen Figuren gehören und auf dieser Bühne dargestellt werden.
Die Phase der Hinterbühne kann auch von eigentlich inaktiven Figuren genutzt werden. Sie
tun so, als würden sie eine Handlung vollziehen, ohne natürlich die Augen zu öffnen. Sie be-
wegen die Arme, deuten unauffällig auf jemanden oder ähnliches, um die Handlung einer
aktiven Figur der Hinterbühne nachzuahmen. An diesen beiden Punkten erkennt man deutlich,
dass Figuren aufgrund ihrer Handlungen definiert werden.
Wie bereits erwähnt, ist für das Einsetzen der Spezialfähigkeiten die Kommunikation
mit dem Spielleiter unabdingbar. Die Frage ist nun, wie sieht diese Kommunikation aus, wenn
alle anderen Mitspieler körperlich anwesend sind? Die Kommunizierenden verwenden Gestik
und Mimik, es ist eine rein nonverbale Kommunikation, sprechen wäre zu auffällig. Sie zei-
gen entweder mit dem Finger auf einen Mitspieler oder geben mit einem Handzeichen die
Richtung recht oder links an und zeigen dann mithilfe ihrer Finger eine Zahl. Die Zahl sym-
bolisiert die Sitzplatznummer des Mitspielers in der angezeigten Richtung, den der aktive
Mitspieler auswählt. In ihren Gesten müssen die Figuren darauf achten, keine verräterischen
Geräusche zu machen beziehungsweise nicht zu laut zu sein. Die anderen Mitspieler können
zwar nicht sehen, dafür aber immer noch hören. Deswegen muss auch der Spielleiter darauf
acht geben, nicht zu auffällige Signale zu geben. Wenn er einer zugeteilten Figur erlaubt, die
Bühne zu nutzen und immer in dieselbe Richtung spricht, können die Mitspieler schnell die
Richtung als Anhaltspunkt nutzen, um die aufgerufene zugeteilte Figur ausfindig zu machen.
Oftmals ist die zugeteilte Figur schon dadurch gefährdet, dass man, während man auf der
Hinterbühne steht, seine Atmung umstellt oder nicht mehr mit den Beinen zappelt. Zu der
nonverbalen Kommunikation gehören auch noch Kopfschütteln und Nicken. Oftmals deutet
der Spielleiter ebenfalls auf die, in seinen Augen, ausgewählte Person um zu überprüfen, ob er
die Anzeige richtig gedeutet hat. Ist dieser Prozess korrekt abgelaufen, kann man von einer
erfolgreichen Kommunikation auf der Hinterbühne sprechen. Bei diesem Kommunikations-
prozess hat der Spielleiter eine Machtposition. Er ist nämlich die ausführende Kraft. Ohne ihn
kann die Fähigkeit nicht durchgeführt werden. Die Figuren geben ihm zwar bekannt, dass sie
ihre Fähigkeit einsetzen wollen und auch auf welchen Mitspieler, dass sich ihre Wirkung ent-
faltet und diese auf der Vorderbühne zum Tragen kommt, bestimmt aber er. Von einem kom-
petenten Spielleiter wird jedoch erwartet, dass er seine Position nicht ausnutzt und die Aus-
wirkungen korrekt durchführt. Dass ihm Fehler unterlaufen können, ist jedoch nicht auszu-
schließen.
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Auf der Hinterbühne ist auch verbale Kommunikation zu finden. Sie bleibt allerdings
dem Spielleiter vorbehalten. Er ist der einzige, dem das Sprechen dauerhaft erlaubt ist. Aller-
dings kann es hier auch zu Kommunikation der anderen Spieler kommen, wie bereits vorge-
stellt wurde. Diese Kommunikation ist allerdings keine erlaubte, lediglich eine geduldete.
Sobald dies nicht mehr der Fall ist, treten Sanktionen ein. Dem Sprechenden wird die Miss-
billigung über sein tun mitgeteilt, meistens vom Spielleiter, allerdings kann dies auch von
Seiten der Mitspieler passieren.
6.4. StrategienIn einem Spiel mit Rollenspielcharakter können gewisse Strategien ausfindig gemacht
werden, die die Mitspieler und Figuren verwenden, um ihre Spielrolle darzustellen, glaub-
würdiger und die der anderen unglaubwürdig zu machen. Das Problem dieser Strategien ist
ihre Verortung in die Darstellungsebenen. Es kann nicht deutlich gesagt werden, ob ein
Spieler oder eine Figur der Anwender der Strategien ist.. Andererseits können sie auf beiden
Ebenen gelesen werden. Allgemein lassen sie sich daher in eine Art Raum verorten, der sich
zwischen den beiden Darstellungsebenen befindet.
6.4.1. Die Gruppe leiten
Die Gruppe leiten ist eine Strategie, mit der man, wie der Name schon verrät, die Gruppe
leitet. Sie vollzieht sich auf beiden Bühnen. Der Anwender kann als eine Art Regisseur gese-
hen werden. Ähnlich dem Spielleiter, bestimmt er wie die Gruppe als nächstes vorgeht. Er
gibt den Handlungsablauf für Spieler aber auch für Figuren vor. Dies kann riskant sein. Nicht
alle Mitspieler verfolgen dieselben Ziele, weswegen solche Vorgaben oftmals aus taktischen
Gründen grade nicht eingehalten werden. So kann es zum Beispiel dazu kommen, dass alle
Spieler versichern, wie abgemacht ihre Stimmen abzugeben, wenn es allerdings zur Abstim-
mung kommt, verhalten sie sich ganz anders, um ihr Team zu schützen. Mit diesen Hand-
lungsvorgaben riskiert man außerdem, dass man den Gegenspielern ebenfalls ein Handlungs-
muster vorgibt. Dadurch, dass sie wissen, wie vorgegangen wird, können sie ihre Handlungen
daran anpassen.
Dieses Risiko kennen natürlich beide Seiten, weswegen nicht auszuschließen ist, dass
oftmals der Handlung aus taktischen Gründen nicht gefolgt wird, nicht, um den Spielleitenden
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nicht zu unterstützen, sondern grade um ein Gefangenendilemma entstehen zu lassen. Fol-
gende Spielszene soll dies verdeutlichen.
Die Mitspieler haben sich darauf geeinigt, dass Peter die Seherin ist. Der Heiler soll nun in der Nachtphase die Seherin schützen, damit sie noch eine weitere Runde überlebt. Die Werwölfe haben nun ein Problem, glauben sie, dass der Heiler die Seherin schützt oder nicht? Wenn der Heiler die Seherin schützt, wäre es eine verschenkte Handlung sie anzugreifen, da sie nicht ausscheiden wird. Allerdings könnte es sein, dass der Heiler dem Handlungsablauf nicht folgt, aber hofft, dass die Werwölfe denken, dass er dies tut. Diese Möglichkeit ist auch den Wer-wölfen bekannt, wodurch für sie wieder interessant wird, die Seherin doch anzugreifen.
Das Beispiel zeigt nicht nur ein einfaches Gefangenendilemma, sondern sogar ein doppeltes.
Beide Seiten spielen in ihrem Kopf mit Erwartungen, Erwartungserwartungen und versuchen
daraus resultierend die beste Handlung für sich selbst und ihr Team zu wählen.
Die Gruppe leiten ist eine riskante Strategie. Dem Nutzer kann unterstellt werden ei-
gene Ziele zu verfolgen und die Gruppe zu täuschen. Ist die Figur des Leitenden aber bekannt
beziehungsweise die Spielgemeinschaft ist sich einig und sicher über die, die er innehat,
kommen solche Zweifel nicht auf. Dies setzt natürlich voraus, dass die Figur des Leitenden zu
dem Team gehört, dem man versucht auf der Vorderbühne anzugehören.
Eine Gruppe zu leiten findet auch auf der Hinterbühne statt. Dies ist der Fall, wenn es
eine Figurengruppe gibt, die sie betritt. Dann vollzieht sich diese Strategie auch auf der Dar-
stellungsebene der Figuren. Eine Figurengruppe muss sich auf der Hinterbühne entscheiden,
welchen Mitspieler ihre Fähigkeit treffen soll. Eine der Figuren leitet die Gruppe und gibt
einen Vorschlag ab. Wenn sich alle einig sind, wird dieser angenommen. Der Leitende kann
auch auf der Hinterbühne wechseln.
6.4.2. Das Täuschen
Täuschen meint das „bewußte Bemühen eines oder mehrerer Menschen, das Handeln so zu
lenken, daß einer oder mehrere andere zu einer falschen Vorstellung von dem gebracht
werden, was vor sich geht.“ (Goffman 1977: 98). Man spielt eine Figur oder hilft bei der Dar-
stellung einer, welche nicht zugeteilt wurde. Sie ist die wichtigste Strategie des Spiels. Die
Taktiken die Gruppe leiten und Täuschen treten oft in Kombination auf. Zwei Arten zu täu-
schen konnten beobachtet werden, die in schlechter oder böswilliger und die in guter Absicht.
Eine Täuschung in böswilliger Absicht will durch die Schaffung einer anderen Wahr-
heit den Zwecken des Täuschers oder der Täuschenden dienen und andere schädigen. Diese
Art zu täuschen wird von Spielern gewählt, die aufgrund ihrer zugeteilten Spielrolle dem ge-
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heimen Team angehören. Sie sind darauf angewiesen, eine Figur des anderen Teams darzu-
stellen, wenn sie nicht aus dem Spiel ausscheiden wollen. Die Gefährdung der anderen Seite
kommt zum Tragen, wenn die Täuschung funktioniert. In dem Fall wird der Darstellung eines
oder mehrere Mitglieder des eigentlich geduldeten Teams, von der Spielgemeinde nicht ge-
glaubt und sie scheiden aus. So kann dieses Team bedeutende Spielrollen verlieren und
schrumpft, wodurch das Gegnerteam sogar zahlenmäßig überlegen sein kann.
Ein Täuschungsmanöver, das eine gute Absicht hat, soll den Getäuschten zwar auch
eine andere Wirklichkeit darstellen, aber um dessen Wohl. Sie soll ihn nicht schädigen. Täu-
schungen dieser Art sind bei Mitspielern zu finden, deren zugeteilte Figur sie als Mitglied des
Teams B) ausweist und gleichzeitig eine Fähigkeit zuschreibt, wodurch sie eine wichtige Po-
sition für ihr Team einnehmen. Aus diesen Gründen stellen sie oft eine eher unwichtige Figur
dar, bis sie in Frage gestellt wird, dann offenbaren sie ihre zugeteilte Figur, in der Hoffnung,
dass ihnen geglaubt wird. Eine solche Hinterlist kann auch durch die Mitglieder durchgeführt
werden, die keine besondere oder gar keine Fähigkeit besitzen. Sie stellen eine bedeutende
Figur dar oder behaupten eine zu sein. Dadurch schützen sie eine tatsächliche wichtige Spiel-
rolle und können sogar böswillige Täuscher in Schwierigkeiten bringen, da diese sich vor-
zugsweise als solche Figuren versuchen auszugeben.
Für das Gelingen eines Täuschungsmanövers sind verschiedene Hindernisse zu über-
stehen. Besonders wichtig ist die Beherrschung des eigenen Körpers. Er muss gut kontrolliert
werden, damit er keine Anzeichen liefert, die auf eine falsche Darstellung der Tatsachen
schließen lassen. Beispiele hierfür sind Rot anlaufen oder ein plötzliches Grinsen, das nicht
sein sollte. Ein Täuschender muss jedoch auch generell auf seine Handlungen acht geben, da
gerne Transformationen durchgeführt werden, um jemanden einen Täuschungsversuch anzu-
hängen. Nüsse oder Chips knabbern ist auf einmal eine Tätigkeit eines potenziellen Werwolfs,
der Hunger hat, statt die harmlose Geste eines Teilnehmers, der gerne etwas essen möchte.
Das Wichtigste für das Funktionieren dieser Strategie ist es jedoch die anderen Mit-
spieler zu überzeugen. Man muss sie quasi in den Bann ziehen und seine Seite holen, damit
sie die Dinge so sehen, wie man selbst beziehungsweise wie man sie darstellt. Der Täu-
schende muss es schaffen, mit den Mitspielern ein Ensemble zu bilden. Misslingt es ihm, wird
an ihm und seiner Darstellung gezweifelt. Ab diesem Moment befindet sich der Darsteller in
einer für ihn sehr gefährlichen Position, er droht enttarnt zu werden. Jegliche Handlungen und
jegliches Verhalten eines potenziellen Täuschers werden von der Gemeinde noch genauer
begutachtet, oftmals durch die speziellen Fähigkeiten der Figuren. Es ist fast unmöglich
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alleine aus dieser Situation herauszukommen. Ist der potenzielle Täuscher sogar ein böswilli-
ger, was bedeutet, er gehört auch zum nicht geduldeten Team, kann es für seine Teamkollegen
gefährlich werden, ihn zu unterstützen. Sie könnten ihr gesamtes Team und damit ihr gemein-
sames Geheimnis preisgeben, weswegen sie oftmals ein Mitglied „opfern“ müssen, was so-
weit gehen kann, dass sie sich sogar bewusst gegen ihn stellen.
Wird der Täuscher enttarnt, rückt er in die Position des Schuldigen. In diese kann auch
ein Mitspieler gelangen, der kein echter Täuscher sondern nur ein schlechter Darsteller ist.
Ihm wird seine Figur nicht geglaubt, weswegen ihm ein Täuschungsversuch vorgeworfen
wird. Ein Schuldiger kann nur noch durch zwei andere Strategien vor dem Ausscheiden ge-
rettet werden: Er überzeugt die Spielgemeinde von seiner Unschuld durch Verteidigung seiner
Figur oder lenkt von sich ab, in dem er eine andere Figur angreift.
6.4.3. Angreifen
Angreifen kann eingesetzt werden, um entweder einen vermuteten Täuscher in Schwierigkei-
ten zu bringen oder als Selbstschutz. In beiden Fällen wird die Figur eines anderen Spielers
angezweifelt. Der Angriff kann als direkter Vorwurf einer falschen Darstellung geäußert
werden oder in einer Frage enthalten sein. In beiden Fall muss sich der Angegriffene sofort
verteidigen oder durch andere verteidigt werden. Wird diese Direktverteidigung als schwach
oder unglaubwürdig klassifiziert, wird eine ausführliche Verteidigung verlangt. Ein Angriff
kann jedoch auch durch Sarkasmus, Ironie oder Witz vollzogen werden. Dies ist eine locke-
rere Art des Angreifens, welche gerne mit Transformationen verbunden wird. Trotz dieses
lockeren Anscheins zu Beginn, ist das Ergebnis dieses Angriffs meistens ein direkter Vorwurf
des Täuschens. Folgendes Beispiel soll diesen Sachverhalt verdeutlichen.
1. ((Bürger 2 greift auf den Tisch nach der Dose mit den Nüssen. Greift immer 2. wieder in 3. die Dose und isst Nüsse)) 4. Bürger 1: Du bist ganz schön gierig ((lachend)) 5. Bürger 2: Ich hab halt Hunger 6. Bürger 1: Heut Nacht nich satt gewordn ((lachend)) 7. Bürger 2: Nä nich wirklich 8. Bürger 1: ((auf Bürger 2 zeigend und lachend)) „[Name Bürger 2] ist ein Wolf! Er isst die 9. ganze Zeit Nüsse [-] weil er von [Name des ausgeschiedenen Spielers] nicht 10. genug abbekommen hat
Die Struktur zeigt sich deutlich. Eine spielirrelevante Handlung wird als Ausgangspunkt ge-
nommen und durch Transformation ins Spiel integriert. Bei dieser Integration wird die Be-
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deutung der Handlung in Richtung schuldig gelesen, was durch Ironie mitgeteilt wird. Der
Angegriffene hält diesen ironischen Ton in seiner Direktverteidigung oft ein, indem er iro-
nisch auf den Angriff eingeht und diesen bestätigt. Dieser Bestätigung oder Aussagen, die ihn
ebenfalls als schuldig gelten lassen können, werden dann als direkten Grund dafür angeführt,
warum die Darstellung der Figur eine Täuschung ist. In dem Fall wird eine ausführliche Ver-
teidigung verlangt. Ironie ist ein gutes Mittel, um seine Mitspieler aus der Reserve zu locken.
Man versucht sie in eine Lage zu bekommen, die durch Transformation so gelesen werden
kann, dass der Darstellungsakt eine Täuschung ist.
Ein Angriff kann als erfolgreich angesehen werden, wenn der Angegriffene sich aus-
führlich verteidigen muss. Der Akt des Angreifens war so glaubwürdig und plausibel, dass
eine Stellungnahme verlangt wird. Diese Plausibilität kann und wird sogar oft durch Ironie
erreicht.
6.4.4. Das Verteidigen
Verteidigen ist eine Strategie, die man auf sich selbst oder auf andere anwenden kann. Man
verteidigt immer eine Figur, kann dies aber selbst als Figur oder als Spieler tun. Wenn man
sich für jemand anderen einsetzt, so ist man von seiner Spielrolle überzeugt oder tut zumin-
dest so. Letzteres soll bewirken, dass die Figur, für die man sich einsetzt, einem selbst auf-
grund der Verteidigung wohlgesonnen ist.
Es kann auf verschieden Arten verteidigt werden. Die erste Möglichkeit besteht darin,
auf das Verhalten der Figur hinzuweisen und dieses so deuten, dass es dem Ziel des gedulde-
ten Teams diene. Als Beispiel für solch ein Verhalten kann das Aufspüren eines Mitglieds des
verbotenen Teams gesehen werden. Die zweite Möglichkeit hat ebenfalls mit dem Verhalten
zu tun. Es bezieht sich aber auf jenes von vergangenen Spielpartien, sozusagen auf eine ge-
meinsame Geschichte, welche durch die Wiederholung von Spielen in einer Spielgemeinde
entsteht. In dem Fall werden die Handlungen dieser Partie mit denen einer vergangenen ver-
glichen mit Verweis, dass die Figurendarstellung damals (auch) korrekt war. Die dritte Art
des Verteidigens besteht darin, Wissen einzubringen, welches man aufgrund der Spezialfä-
higkeiten der eigenen Spielrolle hat oder dies zumindest zu behaupten. Dabei hat der Vertei-
diger zwei Möglichkeiten. Entweder er gibt offen zu, Wissen zu haben, welches eine Figur
schützt, was nur funktioniert, wenn die Spielgemeinde ihm eine Spielrolle zuspricht, welche
dem geduldeten Team angehört, oder teilt seinen Wissensstand inoffiziell. Er behauptet ge-
wisse natürliche Fähigkeiten zu besitzen, wie beispielsweise gutes Gehör, mit denen er die
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angeklagte Figur entlasten kann. Die vierte Art des Verteidigens ist Angreifen. Entweder
kontert man einen Angriff, was bedeutet, dass man den Angreifenden angreift, oder man lenkt
von sich ab, in dem man jemand vollkommen anderes angreift. Als fünftes kann ein poten-
zieller Schuldiger um sein „Leben“ flehen oder jemand anderes tut dies für ihn, was eher die
Ausnahme ist. Es besteht kein wirklicher Grund, außer dass er weiterhin im Spiel bleiben
möchte. Diese Art der Verteidigung ist sehr schwach und funktioniert nur, wenn der Anwen-
der großes Mitleid erregt und es einen anderen potenziellen Schuldigen gibt, der eine größere
Gefahr darstellt. Die letzte Möglichkeit sich zu verteidigen ist die Preisgabe der zugeteilten
Spielrolle oder zumindest deren Andeutung. Dabei muss die Zuteilung nicht mal der Wahrheit
entsprechen, die Preisgabe muss nur überzeugend genug sein. Besonders Wert wird hier auf
Stimmigkeit in den Gründen gelegt. Die zugeteilte Figur, die für diese Verteidigung gerne
gewählt wird, gehört zu den besonderen. Das kann bedeuten, sie besitzt besondere Fähigkei-
ten oder darf nicht durch Tätigkeiten auf der Vorderbühne ausscheiden. Die Gefahr bei solch
einer Behauptung ist groß, wenn diese Figur nicht die zugeteilte ist. In dem Fall gibt es näm-
lich einen Spieler, der sie erhalten hat. Es wird auf Konfrontation hinauslaufen. Dabei siegt in
der Regel der, der überzeugender ist. Sollte der Verteidiger ein Mitglied des geheimen Teams
sein und dieses mehr Mitglieder haben, kann er auch gewinnen, wenn der andere überzeugen-
der war. Es gibt in diesem Fall keinen Grund für sein Team sich gegen ihn zu stellen. Bei der
Andeutung einer Spielrolle liegt ebenfalls Gefahr, da diese Methode gerne verwendet wird.
Viele Spieler behaupten ihre Figur sei besonders. Sie hat den Vorteil, dass man nicht direkt
eine dazugehörige Figur nennen muss. Man kann einfach wage bleiben und sagen „Hängt
mich nicht, ich bin aufgrund meines Könnens wichtig für das Dorf“. Man ist als Verteidiger
jedoch irgendwann gezwungen eine dazugehörige Figur zu nennen. Allerdings kann man
diesen Punkt geschickt umgehen, indem man behauptet, man habe das gesagt, um nicht auzu-
scheiden, eigentlich ist man eine Figur, die keine Fähigkeiten hat. Jegliche Figur, für die man
sich ausgibt, gehört natürlich in das Team der Geduldeten.
Diese sechs Arten des Verteidigens können entweder kurz und knapp vollzogen
werden, was ich als Direktverteidigung bezeichne, oder können eine ausführliche Stellung-
nahme erfordern, was indem Fall als ausführliche Verteidigung bezeichnet wird. Diese erfolgt
oft in einem Plädoyer.
Die Strategie des Verteidigens ist nicht immer eine selbstlose, sondern kann auch als
eigennützige eingesetzt werden. Aufgrund dieses Zuges, ist sie keine ungefährliche Strategie.
Sie kann schnell zum Vorwurf werden. Andererseits kann ein zu heftiges und energisches
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Verteidigen ebenfalls unglaubwürdig wirken. „Wir neigen [nämlich] dazu, ehrliche Darstel-
lungen so zu sehen, als fänden sie ohne Absicht statt, als seien sie vielmehr ein Produkt un-
bewußter Reaktion der Einzelnen auf die tatsächliche Situation.“ (Goffman 2012 [1969]: 65).
6.4.5. Unschuld darstellen
Die Strategie des unschuldigen Darstellens benötigt eine Figur, wenn an ihr gezweifelt wird,
wenn die Gemeinde also einen Täuscher vermutet. Ihre Unschuld ergibt sich dann aus einer
erfolgreichen Verteidigung, was bereit in dem vorangehenden Unterkapitel besprochen
wurde.
Unschuldig sein kann jedoch auch bewusst angewandt werden, ohne dass der Anwen-
der in einer gefährlichen Situation steht. In diesem Fall führt man eine dezente Darstellung
auf. Man versucht unscheinbar zu wirken und bietet keinerlei Anlass für den Vorwurf einer
Täuschung. Dies ist eine Art Selbstschutz. Man ist eher Zuschauer als Darsteller. Genau dies
kann einen Spieler jedoch in den Mittelpunkt des Geschehens rücken, weil man so still ist und
etwas verbergen könnte.
6.4.6. Ensemble-Neugruppierung
Eine Ensemble-Neugruppierung findet statt, wenn sich das Mitglied eines Ensembles einem
anderen anschließt. Die Gründe für eine solche Umorientierung können verschiedene sein.
Das Mitglied kann Zweifel an der eben noch gemeinsam dargestellten Figur hegen und sich
deshalb aus dem Ensemble zurückziehen und andere Zweifler suchen. Ein Rückzug kann aber
auch aus Selbstschutz passieren. Wenn dem Mitglied auffällt, dass immer mehr Spieler der
Darstellung nicht glauben, wechselt es schnell die Seite, damit es nicht dem Vorwurf unterlie-
gen kann, bei einer unwahren Darstellung geholfen zu haben.
7. Fazit und AusblickDer Ausgangspunkt dieser Arbeit war die Darstellung von Rollen und Figuren in der sozialen
Situation des Spiels. Es hat sich gezeigt, dass es verschiedene Darstellungsebenen gibt. Die
Grenzen dieser Ebenen sind sehr schmal und durchlässig. Nicht immer können einwandfrei
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Handlungen und Verhalten passend zugewiesen werden, was der Prozess der Transformation
besonders deutlich zeigt und gleichzeitig erschwert. Oftmals verschmelzen Teilnehmer,
Spieler und Figur zu einer Einheit und sind kaum noch voneinander zu unterscheiden,
wodurch Rollen- und Figurenzuweisung fast unmöglich wird. Dadurch zeigt sich ebenfalls,
dass die Rahmen einer sozialen Situation nicht feststehen. Die Verschmelzung ist mit Fokus
auf das Spiel und dessen Rahmen nicht negativ zu betrachten. Durch sie wird eine Erhal-
tungsarbeit für die erzeugte fiktive Wirklichkeit geleistet, wodurch sie besonders wichtig ist.
Diese Arbeit leisten die Handelnden in der Situation selbst, obwohl ihnen dieser Charakter
nur bedingt bewusst ist. Er ist für sie vielmehr ein Nebeneffekt, der sich aus den Handlungen
des Spielens ergibt, welche in diesem Fall das Darstellen von Figuren und Aufdecken von
unwahren Darstellungen umfasst.
Für ihre Darstellungsarbeit konnte wie bei Goffman eine Vorder- und Hinterbühne ge-
funden werden, welche nicht räumlich voneinander getrennt sind. Auf beiden vollzieht sich
Darstellungsleistung, wobei die auf der Vorderbühne eine größere Anforderung an alle
Spieler stellt. Der Grund dafür liegt darin, dass auf dieser Bühne Figurenzuweisung aufgrund
von Handlung und Verhalten geschieht. Die zugeteilte Figur zeigt sich nur deutlich auf der
Hinterbühne. Auf dieser kann auch Arbeit für eine zugeschriebene Figur getätigt werden, dies
ist jedoch wegen der eingeschränkten Wahrnehmung schwieriger.
Für die Darstellung können verschiedene Strategien genutzt werden. Die Verortung in
eine Darstellungsebene kann allerdings nicht durchgeführt werden. Das Problem liegt darin,
dass sowohl der Spieler als auch die Figur eine Strategie einsetzen und dementsprechend die
Handlung auch auf beiden Ebenen gelesen werden kann. Auf welcher Ebene der Nutzer sich
befindet, ist abhängig von der Situation. Strategien treten zudem oft zusammen auf und sind
daher ebenfalls nicht immer deutlich voneinander zu trennen. Viele gehen miteinander einher,
sind sogar Bedingungen voneinander oder lassen sich gut kombinieren. Alle haben jedoch
eins gemeinsam: Sie können gefährlich sein. Der Grund dafür liegt darin, dass die Anwen-
dung einer Strategie der Darstellung einen unwahren Charakter verleiht, selbst wenn diese der
Wahrheit entsprechen sollte. Dazu tritt das Problem, dass eine Handlung einer unterschiedli-
chen Gruppe von Figuren angehören kann, deren Größe je nach Lesart variiert. Es ist daher
kaum möglich zu entscheiden, ob eine Handlung wahr ist, der Spieler die Figur schlecht dar-
gestellt hat oder ob falsch gelesen wurde. Diese Gründe werfen die Frage auf, ob eine Tren-
nung zwischen Spieler und Spielrolle überhaupt sinnvoll ist oder eine neue Definition dieser
Begriffe für solche Spiele vorgenommen werden muss.
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Lesarten sind von der Situation und der Teamzugehörigkeit des Lesenden abhängig.
Sie führen dazu einer Handlung Bedeutung beizumessen. Mit dieser Informationsgrundlage
wird Figurenzuschreibung vorgenommen. Spieler schaffen es Situationen gleich oder ähnlich
zu definieren und sich daraus folgend über Figuren zu einigen, was darauf schließen lässt,
dass sie entweder die selbe Lesart verwendet haben oder die Lesart nachvollziehen konnten.
Die Ausgangsfrage dieser Arbeit war, wie dies möglich sein kann, wie können Spieler sich
bei der Zuschreibung der Figuren einig sein.
Möglich ist dies nur durch gemeinsames Wissen. Die Spieler müssen alle wissen,
welche Handlung welche Bedeutungen haben kann und welche Figurendarstellung dadurch
möglich ist. Diese Kenntnis baut sich mit der Zeit in der Spielgemeinde auf. Sie lernen durch
wiederholtes Spielen und auch Intuition Zusammenhänge von Handlung und Figur. Sie bauen
sich eine gemeinsame Geschichte auf, auf die sie durch Erinnerung verweisen können.
Dadurch können Handlungen aus verschiedenen Spielpartien mit den jetzigen verglichen
werden, um eine Beurteilung der vorliegenden Situation durchzuführen. Man kann hier von
einer Spielsozialisation sprechen, die im Spiel vollzogen wird. Sie findet kein Ende. Jedes
neue oder länger ferngebliebene Mitglied der Spielgemeinde durchläuft, modelliert und er-
weitert sie. Durch die Wiederholung des Spiels wird sie immer wieder aufgefrischt und er-
neuert. Aus diesen Gründen dürfen Spiele, bei denen die Figurendarstellung und -zuschrei-
bung entscheidend ist, in einem gewissen Grad nicht folgenlos sein. Vorherige oder alte
Spielpartien haben immer Einfluss auf die nächste und müssen es sogar, damit der Sozialisa-
tionseffekt stattfinden kann, welcher ein erfolgreiches und Spaß bringendes Spielen erst er-
möglicht.
Diese Arbeit hat weitere Fragen und Forschungsanregungen aufgeworfen. Es wäre
interessant zu beobachten, nach welchen Kriterien eine Spielgemeinde eine Spielsozialisation
durchläuft. Fragen könnten dabei sein, ob die Grenzen der Rahmen erst mit der Zeit durchläs-
siger werden, da die Spieler erlernen, wie sie mit Transformation in einem konkreten Spiel
umzugehen haben, und ob es gewisse Bausteine für den Anfang des Sozialisationsprozesses
gibt. Man könnte nach Rollen in diesem Prozess suchen. Es könnte beispielsweise einen krea-
tiven Gestalter geben, der Bedeutungen bestimmt und andere, die eher stillschweigend folgen.
Man könnte auch ein neues Mitglied einführen und beobachten, wie es in die Spielpartien
integriert wird und diese mitgestaltet. Ein interessanter Ansatz könnten auch Interviews sein.
Über sie könnten die Strategien weiter untersucht werden. Insgesamt lässt sich sagen, Gesell-
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schaftsspiele, besonders mit fiktivem und Rollenspiel-Charakter, bieten noch ein großes For-
schungsfeld, das mit den hier genannten Anregungen noch lange nicht ausgeschöpft sein wird.
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LiteraturBerninghaus, Siegfried K. / Ehrhart, Karl-Martin / Güth, Werner 2006: Strategische Spiele.
Eine Einführung in die Spieltheorie, Berlin: Springer.
Caillois, Roger 1960: Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch, Stuttgart: Curt E.
Schwab..
Emerson, Robert M. / Fretz, Rachel I. / Shaw, Linda L. 1995: Writing Ethnographic
Fieldnotes, Chicago: Chicago University Press.
Fritz, Jürgen 2004: Das Spiel verstehen. Eine Einführung in Theorie und Bedeutung,
Weinheim: Juventa.
Goffman, Erving 1971: Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation,
Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Goffman, Erving 1973: Interaktion. Spaß am Spiel, Rollendistanz, München: Piper.
Goffman, Erving 1977: Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von
Alltagserfahrungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Goffman, Erving 2012 [1969]: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, 11.
Aufl., München: Piper.
Sutton-Smith, Brian 1978: Die Dialektik des Spiels. Eine Theorie des Spielens, der Spiele und
des Sports, Schorndorf: Karl Hofmann.
Erklärung für schriftliche Prüfungsleistungen
gemäß § 13 Abs. 2 und Abs. 3 der Ordnung der Fachbereiche 02, 05 und 07 der Johannes
Gutenberg-Universität Mainz für die Prüfung im Zwei-Fächer-Bachelorstudiengang
(Kern-Beifach-Ordnung)
Hier mit erkläre ich, _______________________________________________________
Matrikelnummer: ____________________________
dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen
Quellen oder Hilfsmittel (einschließlich elektronischer Medien und Online-Quellen) benutzt
habe.
Mit ist bewusst, dass ein Täuschungsversuch oder ein Ordnungsverstoß vorliegt, wenn sich
diese Erklärung als unwahr erweist. § 20 Absatz 3 Kern-Beifachordnung (s.u.) habe ich zur
Kenntnis genommen.
________________________________ ______________________________
Ort, Datum Unterschrift
Auszug aus § 20 Abs. 3 Kern-Beifachordnung: Versäumnis, Rücktritt, Täuschung, Ordnungsverstoß
(3) Versucht die Kandidatin oder der Kandidat das Ergebnis einer Prüfung durch Täuschung oder Benutzung nicht zugelassener Hilfsmittel zu beeinflussen, gilt die betreffende Prüfungsleistung sie mit „nicht ausreichend“ (5,0) absolviert (…)
Auszug aus § 20 Abs. 3 Kern-Beifachordnung: schriftliche Prüfungen
(2) Bei der Abgabe der Hausarbeit hat die oder der Studierende eine schriftliche Erklärung vorzulegen, dass sie oder er die Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt hat; bei einer Gruppenarbeit sind die eigenständig sowie gegebenenfalls die gemeinsam verfassten Teile der Arbeit eindeutig zu benennen.