google: forschung an diabetiker-kontaktlinse gestoppt€¦ · bäumen, sitzsäcke, darum herum...
TRANSCRIPT
1
Ausgabe 47 23. November 2018
powered by
Digitalisierung
Pharmakonzerne basteln an digitaler ZukunftArzneifirmen forschen an Algorithmen, Datenlösungen und künstlicher Intelligenz / Doch sie finden nur schwer Spezialisten
Ein Balancierband zwischen
Bäumen, Sitzsäcke, darum
herum mehrere Hütten: Das seit
rund einem Jahr bestehende di-
gitale Labor „BI X“ bei Boehringer
Ingelheim sieht gar nicht wie das
Gelände eines Pharma-Unter-
nehmens aus. Dort, wo früher
die Gästekantine untergebracht
war, basteln nun IT-Fachleute an
neuen Produktideen, jenseits
von Pillen oder Kapseln. An ei-
ner Wand im „BI X“ reihen sich
Flachbildschirme aneinander. Sie
zeigen den Status der Arbeit von
fünf Teams, die verschiedene Pilotprojekte
verfolgen.
Man suche nach neuen Geschäftsmo-
dellen im digitalen Umfeld für Boehringer,
sagt „BI X“-Chef Heiko Schmidt zur Deut-
schen Presse Agentur. Das Labor, in das die
Ingelheimer zum Start rund zehn Millio-
nen Euro gesteckt haben, arbeite mit allen
Konzernbereichen zusammen. Ziel sei es,
in kurzer Zeit neue Ideen auf technische
Umsetzbarkeit und potenziellen Nutzen
zu prüfen und binnen weniger Monate
funktionsfähige Prototypen zu entwickeln.
Erste Projekte sind abgeschlossen, etwa
ein digitales Portal für den Austausch zwi-
schen Haustierbesitzern und Tierärzten.
Was auf dem Markt kommt, ist nicht absehbar„In den USA können Tierbesitzer seit
Kurzem virtuelle Arztbesuche per Video
vereinbaren und durchführen, anstatt mit
dem Tier in die Praxis fahren zu müssen“,
erklärt Schmidt. Bei künstlicher Intelligenz
arbeiten Teams an Möglichkeiten,
lernende Algorithmen für die bes-
sere Diagnose von Krankheiten
einzusetzen. Was am Ende auf
den Markt kommt, ist noch nicht
absehbar. Es müsse vieles ver-
sucht werden, sagt Boehringers
Deutschland-Chef Stefan Rinn.
Es gebe immer das Risiko, dass
etwas auch nach monatelanger
Arbeit doch nicht funktioniere.
So wie Boehringer experimen-
tieren auch andere in der Branche
auf neuen Feldern, etwa Merck
in Darmstadt. Zu den Feierlich-
keiten zum 350-jährigen Bestehen im
Mai eröffnete der Konzern sein neues
Innovationszentrum. Rund 69 Millionen
Euro kostete der futuristische Bau aus
Beton und Glas. Auf sechs Stockwerken gibt
es dort moderne Büros, Konferenzräume,
Erholungszonen, ein Auditorium und
eine Arbeitszone mit Laser-Schneiden
und 3D-Druckern.
Ziel sei „eine kreative und agile Um-
gebung, in der neugierige Köpfe zusam-
menfinden, um neue Technologien für
Experten für neue, digitale Lösungen werden international gesucht. Foto: dpa
Analyse
Jährlich fast neun Millionen Klinik-Infektionen
Rund 8,9 Millionen Europäer infizieren
sich nach EU-Schätzungen jedes Jahr in
Kliniken oder Pflegeheimen mit gefährli-
chen Keimen. Solche Infektionen während
der Therapie blieben ein ernstes Prob-
lem, warnte die EU-Präventionsbehörde
ECDC kürzlich in Brüssel. Gemeint sind
zum Beispiel Lungenentzündungen oder
Blutvergiftungen im Krankenhaus oder
Blaseninfekte in Heimen. Das berichtet
die dpa.
Viele dieser Fälle seien zwar gut behan-
delbar, teils gebe es aber auch ernste Folgen.
„Therapieassoziierte Infektionen allein in
Kliniken verursachen mehr Todesfälle in
Europa als jede andere Infektionskrankheit,
die vom ECDC überwacht wird“, teilte EU-
Agentur mit. Jede zweite dieser Erkran-
kungen gelte als vermeidbar. Jedes dritte
Bakterium, das mit solchen Infektionen
in Verbindung gebracht wird, sei resistent
gegen herkömmliche Antibiotika.
Anlass der Veröffentlichung war der
jährliche Europäische Antibiotika-Aufklä-
rungstag. Erst Anfang des Monats hatte
eine Studie für Aufsehen gesorgt, wonach
jährlich 33.000 Menschen in der EU und
im Europäischen Wirtschaftsraum sterben,
weil es gegen resistente Bakterien keine
oder nicht genug wirksame Antibiotika gibt.
Auch in Klinken und Heimen würden
immer noch unnötig oft Antibiotika und
andere antimikrobielle Arzneien ange-
wandt, was zur Ausbreitung von Resis-
tenzen beitragen könne, erklärte die ECDC
weiter. Jeden Tag bekomme in europäischen
Krankenhäusern im Schnitt einer von drei
Patienten eine dieser Arzneien, in Pflege-
heimen einer von 20.
Ein Teil der Patienten werde nur zur
Vorbeugung mit Antibiotika behandelt,
in Heimen waren es drei von zehn der
Bewohner, die solche Medikamente verab-
reicht bekamen. Die ECDC warb dafür, den
Einsatz strikt auf das Nötige zu begrenzen.
2
Ausgabe | 47/18 23. November 2018
powered by
unser zukünftiges Geschäft zu entwickeln“,
sagte Merck-Chef Stefan Oschmann bei der
Eröffnung. Das Zentrum beheimatet 150
interne und externe Mitarbeiter.
Sie arbeiten etwa an Biotech-Lösun-
gen für Fleisch, das im Labor aus Gewe-
be gezüchtet wird, sowie an einfachen
Messungen im menschlichen Körper für
datenbasierte Krankheitsbehandlungen.
Drittes wichtiges Feld sind Technologien,
um anhand von Spuren in Blutproben
Krankheiten zu entdecken und zu be-
handeln.
Auch 565 Start-ups haben sich um ei-
nen Platz in dem Zentrum beworben. Zehn
sollen den Zuschlag bekommen und im
Januar einziehen. Die Aussicht auf Ideen
von außen lässt sich Merck viel kosten:
Die Firmen erhalten über drei Monate
Büros, Trainings und bis zu 50.000 Euro.
Spezialisten werden gesuchtDas hippe Innovationszentrum soll auch
zeigen, dass sich das eher konservative
Familienunternehmen Merck öffnet und
als Arbeitgeber konkurrenzfähig ist. Denn
Software-Entwickler und Naturwissen-
schaftler sind im Fachkräftemangel ge-
fragt: In Deutschland fehlen laut dem
Digitalverband Bitkom allein 55.000
IT-Spezialisten.
Software-Spezialisten und „Data Sci-
entists“ würden von Unternehmen vieler
Wirtschaftssparten gesucht, erklärt Thilo
Kaltenbach, Gesundheitsexperte bei der
Beratungsfirma Roland Berger. Pharmafir-
men müssten sich daher attraktiv darstel-
len. Das gehe etwa über die Mitarbeit an
spannenden Innovationen, die Einbindung
in strategische Entscheidungsprozesse,
aber auch über persönliche Themen wie
Wertschätzung, flexible Arbeitszeiten oder
Home-Office-Lösungen.
Problematisch könne es sein, dass
sich nicht einfach einschätzen lasse,
welchen Mehrwert Innovationszentren
an Umsatz und Gewinn bringen, meint
der Berater. Zwar sei jeder vom Nutzen
und der Bedeutung von Digitalisierung
und künstlicher Intelligenz überzeugt.
Mittelfristig brauche man aber objektiv
messbare Erfolgskriterien.
Internationale Teams„Wir müssen international rekrutieren“,
sagt auch Boehringers „BI X“- Labor-Chef
Schmidt. Die Arbeitssprache ist Englisch,
51 Menschen aus 19 Nationen sind hier be-
schäftigt, die meisten keine 30 Jahre alt. Die
begehrten Experten könne man anders als
früher nicht etwa mit Dienstwagen locken,
sondern eher mit Flügen heim zu den Eltern.
In Boehringers Labor werden Teams
erst aktiv, wenn noch kein Start-up an einer
ähnlichen Idee arbeitet, es also noch keine
Lösung am Markt gibt, wie Schmidt sagt.
Man lege Wert darauf, dass die Teams in
Ingelheim zusammensitzen. „Wir haben die
Erfahrung gemacht, dass virtuelle Teams
nicht so funktionieren. Wir haben nicht
viel Zeit.“
Die klassische Entwicklung von Wirk-
stoffen sei sehr stark reguliert, die Arbeit
in Innovationszentren etwas Neues, sagt
Kaltenbach. Es gehe der Pharmabranche
auch darum, Tech-Firmen wie Google oder
Amazon nicht das Feld zu überlassen. „Die
Unternehmen durchleben hier gerade eine
kleine Revolution.“
Technologie
Google: Forschung an Diabetiker-Kontaktlinse gestopptStabile Bedingungen für Messungen im Auge schwierig / Arbeit an miniaturisierten Glukose-Messgeräten wird fortgesetzt
Eines der bekanntesten Gesundheits-
projekte des Google-Mutterkonzerns
Alphabet, eine digitale Kontaktlinse für
Diabetiker, ist wegen mangelnder Erfolgs-
aussichten gestoppt worden. Die 2014 vorge-
stellte Idee war, den Blutzuckergehalt in der
Tränenflüssigkeit zu messen. Es gelang zwar,
dafür Sensoren und Sender in Kontaktlinsen
unterzubringen, erklärte die auf Gesundheit
spezialisierte Google-Schwesterfirma Verily.
Doch es gelinge nicht, verlässlich den Blutzu-
ckergehalt anhand der Glukosekonzentration
in der Tränenflüssigkeit zu bestimmen. Das
berichtet die dpa.
Das liege zum einen daran, dass die Mole-
küle der Tränenflüssigkeit die Ermittlung der
an sich nur geringen Glukosekonzentration
erschwerten. Zum anderen sei es im Auge
schwierig, die nötigen stabilen Bedingungen
für eine Messung zu schaffen, hieß es.
Verily arbeite aber gemeinsam mit Alcon,
der auf Augenmedizin spezialisierten Firma
des Pharma-Riesen Novartis, an zwei anderen
Anwendungen für digitale Kontaktlinsen.
Dabei gehe es um eine fokussierbare Kon-
taktlinse gegen Alterssehschwäche sowie
eine implantierbare Linse nach Katarakt-
operationen (Grauer Star).
Die futuristisch klingende Idee einer
Kontaktlinse für Diabetiker hatte bei der
Vorstellung für viel Aufsehen gesorgt. Verily
betonte nun, man arbeite weiter an minia-
turisierten Glukose-Messgeräten.
Eine Linse aus dem Forschungslabor Google X. Foto: picture alliance/Google/dpa
3
Ausgabe | 47/18 23. November 2018
powered by
Studie
Dr. Google: Internet-Recherche kann schwere Konsequenzen habenVier von zehn Befragten folgen Therapietipps aus dem Netz / Dr. Google verführt zur gesundheitsgefährdenden Selbstmedikation
Fast zwei Drittel der Deutschen haben
sich im vergangenen halben Jahr online
über eine bestimmte Krankheit informiert.
Jede zweite Online-Recherche dreht sich um
eine schwere Krankheit. 66 Prozent googeln
ihre Krankheitssymptome, bevor sie zum
Arzt gehen. Das bleibt nicht ohne Folgen:
Vier von zehn Deutschen wenden Tipps
zur Selbstmedikation aus dem Internet an.
Dies sind Ergebnisse einer repräsentativen
Studie im Auftrag des TV-Senders health tv,
für die 1.000 Bundesbürger befragt wurden.
Vor allem diejenigen, die krank sind,
schauen im Internet nach. Fast 70 Pro-
zent der Bundesbürger mit mäßigem bis
schlechten Gesundheitszustand haben
in den vergangenen sechs Monaten „Dr.
Google“ befragt. Zahlreiche Portale und
Plattformen bieten inzwischen im Internet
Informationen zu medizinischen Themen
an. Das hat mitunter auch positive Auswir-
kungen. 50 Prozent der Befragten gaben
an, dass sie bei der Internet-Recherche
Hinweise gefunden hätten, die sie beruhigt
hätten. 43 Prozent haben das Gegenteil
erlebt: Die Online-Nachforschungen haben
sie verängstigt. 22 Prozent fühlten sich
danach sogar kränker.
Ratgeber in GesundheitsfragenVor allem diejenigen, die ohnehin häufiger
zum Arzt gehen, bedienen sich gern bei
Gesundheitsfragen im Netz. Wer eher
selten zum Arzt geht, sieht auch gerin-
geren Nutzen in Online-Gesundheitsin-
formationen. „Insgesamt ist das Internet
ein geschätzter Ratgeber für Patienten
geworden“, sagt Axel Link, Geschäftsfüh-
rer von health tv. „An sich ist es positiv,
wenn die Menschen in Gesundheitsfragen
gut informiert sind. Nur ist es für die
Patienten nicht immer deutlich, ob eine
Information auch wissenschaftlich belegt
ist. Hier lauern Gefahren.“
„Dr. Google“ hat immer SprechstundeIn einigen Fällen kann der Besuch bei „Dr.
Google“ folgenschwere Konsequenzen
haben, wie die Studie belegt. So haben
40 Prozent der Befragten nach ihren
Internet-Recherchen angefangen, sich
selbst zu therapieren, 18 Prozent haben
sogar ohne Rücksprache mit dem Arzt
Medikamente eingenommen oder ab-
gesetzt. Mit durchaus großem Risiko:
Bei 16 Prozent der Befragten, die sich
selbst medikamentierten, hat sich der
Gesundheitszustand verschlechtert.
Frauen tendieren stärker als Männer
zur Selbsttherapie. 45 Prozent der weib-
lichen, aber nur 35 Prozent der männli-
chen Befragten geben an, schon einmal
Therapievorschläge aus dem Netz befolgt
zu haben. „Gesundheitsportale können
helfen, das Informationsbedürfnis von
Patienten zu stillen. Aber sie können
niemals einen Arztbesuch ersetzen. Über
die Diagnose und die richtige Therapie
sollte immer ein Mediziner befinden“,
sagt health tv-Geschäftsführer Link.
Risiko Selbstdiagnose15 Prozent der Befragten sagen, dass sie
aufgrund von Informationen über Krank-
heiten und Gesundheitsthemen weniger
zum Arzt gehen. Zwölf Prozent haben
nach der Konsultation von „Dr. Google“
sogar schon einmal einen Arzttermin
abgesagt. Auch das kann fatale Folgen
haben. Bei jedem Fünften, der nach der
Netz-Recherche auf seinen Arzttermin
verzichtete, hat sich der Gesundheitszu-
stand verschlechtert. „Es ist sehr gefähr-
lich, dass sich Menschen aufgrund von
Ergebnissen einer Suchmaschine vom
Arztbesuch abhalten lassen“, so Link.
Für die Studie „Dr. Google“ wurden in einer repräsentativen Bevölkerungsbe-fragung bundesweit 1.000 Menschen ab 18 Jahren online befragt. Die Umfrage wurde im Zeitraum Juli bis August 2018 vom Marktforschungsinstitut ToLuna Germany GmbH durchgeführt.Vor allem diejenigen, die krank sind, schauen im Internet nach. Foto: dpa
4
Ausgabe | 47/18 23. November 2018
powered by
Technologie
Diabetiker setzen große Hoffnung in virtuellen DoppelgängerSieben von zehn Deutschen halten die Erstellung eines digitalen Zwillings für sinnvoll /Größte Hürde ist der Datenschutz
Dem digitalen Zwilling eilt ein guter
Ruf im deutschen Gesundheitswesen
voraus: Sieben von zehn Bürgern schätzen
diesen virtuellen Patienten, das digitale
Abbild eines Menschen, anhand dessen
sich Therapien am Computer simulieren
lassen. Die Deutschen sind davon überzeugt,
dass der digitale Zwilling die medizinische
Forschung stark vorantreiben kann, wie 74
Prozent bestätigen, und einen vielverspre-
chenden Ansatz für die Medizin der Zukunft
darstellt, wie 76 Prozent angeben. Das sind
zentrale Ergebnisse einer repräsentativen
Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und
Beratungsgesellschaft PwC unter 1.000
Bundesbürgern.
Zusätzlich wurden für die Studie rund
200 Patienten befragt, die unter Diabetes
leiden. Gerade diese Patientengruppe mit
chronischer Erkrankung verspricht sich
viel von der Idee des digitalen Zwillings: So
hoffen 44 Prozent der Studienteilnehmer
darauf, dass sich durch die Computersimu-
lationen Folgeschäden reduzieren lassen,
und 41 Prozent erwarten, dass sich die
Gefahr einer Über- oder Unterzuckerung
verringert. Auf Hilfe bei der optimalen
Einstellung ihrer Medikamente hoffen 40
Prozent der Diabetes-Patienten.
Grundlage für personalisierte Medizin
„Das Konzept des digitalen Zwillings hat
das Potenzial, unser Gesundheitswesen zu
revolutionieren“, sagt Michael Burkhart,
Leiter des Bereichs Gesundheitswirtschaft
bei PwC. „Das virtuelle Abbild jedes Patien-
ten ist die Grundlage für die personalisier-
te Medizin. Anhand des Computermodells
kann es Medizinern gelingen, für jeden
Studie
Fitness: Digitalisierung schafft neue Konsumentensegmente Digitale Lösungen animieren zum Freizeitsport / Statussymbol und Instrument der digitalen Selbstinszenierung
Der Boom des Fitness Sektors
nimmt kein Ende. Neben
Langzeittrends wie Gesundheit
und Selbstoptimierung verleiht
die digitale Transformation die-
ser Branche einen zusätzlichen
Schub. Mehr noch: Fitnesstracker,
Apps, Youtube und Instagram
scheinen manche Menschen erst
zum Freizeitsport zu animieren.
Die digitalen Möglichkeiten hel-
fen dabei, den „inneren Schwei-
nehund“ zu überwinden.
Dies ist eines der Ergebnisse
der aktuellen Studie „Germany
in Motion.“ der GIM Gesellschaft
für Innovative Marktforschung.
Die Typologie unterteilt deutsche
Freizeit-SportlerInnen in fünf
unterschiedliche Segmente, die
sich vor allem durch ihre Mo-
tivationen, Einstellungen und
konkreten Bedürfnisse im Bereich Fitness
unterscheiden.
Für einen der fünf Fitness-Typen,
„Fit2Share“, scheint Sport untrennbar
mit der Digitalisierung verbunden zu
sein. Die „Fit2Share“ VertreterInnen sind
Social Media affin und nutzen Instagram,
Youtube, Fitness-Apps als Informations-
quelle oder gar als virtuellen Ersatz für
reale Trainer im Fitness-Studio. Vor allem
aber teilen sie sportliche Erfolge mit ihrer
digitalen Community.
Keine klassischen Sport-MotiveDie größten Unterschiede zu den an-
deren Typen zeigt „Fit2Share“ auf der
motivationalen Ebene: Fitness
dient diesem Segment als Sta-
tussymbol und Instrument der
digitalen Selbstinszenierung.
Klassische intrinsische Sport-
Motive stehen hingegen nicht
im Vordergrund. So geben ledig-
lich 45 Prozent dieses Segments
an, am Sport Spaß zu haben (alle
Befragte: 79 Prozent) und nur
52 Prozent von ihnen möchten
durch den Sport langfristig ge-
sund und fit bleiben (alle: 84
Prozent). Auf der anderen Seite
möchte die Hälfte (50 Prozent)
der „Fit2Share“-VertretreInnen
durch den Sport Aufmerksam-
keit erhalten (alle: 19 Prozent)
und 42 Prozent dieses Typs
geben an, dass Apps Fitness-
Studios ersetzen könnten (alle:
21 Prozent).
„Fit2Share“ sind ein junges Segment
(im Durchschnitt 35 Jahre alt), zumeist
männlich (70 Prozent) und treiben zwei
bis dreimal die Woche Sport. Sie haben
eine hohe Ausgabebereitschaft (ca. 550.-
EUR pro Jahr) für Equipment und spezi-
elle Fitness-Ernährungsmittel, wie zum
Beispiel Protein Shakes.
Fitness dient gerade jungen Menschen oft als Statussymbol.Foto: dpa
5
Ausgabe | 47/18 23. November 2018
powered by
Patienten auf Basis seiner DNA die maß-
geschneiderte Therapie zu finden.“ Diese
Vorteile sehen auch die befragten Bürger:
Insbesondere schätzen sie, dass der digitale
Zwilling den Arzt bei seiner Therapieent-
scheidung unterstützen kann (86 Prozent)
und ihm hilft, die besten Medikamente zu
finden (83 Prozent). Nahezu ebenso viele
Studienteilnehmer, 82 Prozent, werten es
als Vorteil, dass der Patient durch virtuelle
Simulationen entlastet wird, etwa dank
weniger Nebenwirkungen und überflüs-
siger Operationen.
Der virtuelle Patient ist vielen Deut-schen noch fremdAllerdings herrscht beim Thema digitaler
Zwilling neben hohen Erwartungen derzeit
noch große Unsicherheit, denn viele Deut-
sche kennen ihren virtuellen Verwandten
kaum. Lediglich ein Prozent kann die Idee
des digitalen Zwillings erklären; 26 Prozent
haben bereits davon gehört und 73 Pro-
zent ist das Konzept gänzlich unbekannt.
„Während Computersimulationen in an-
deren Branchen seit langem verbreitet
sind, zum Beispiel in der Autoindustrie,
stehen virtuelle Patientenmodelle im
medizinischen Bereich noch am Anfang
der Entwicklung. Das Verfahren wurde
bislang nur in Einzelfällen eingesetzt.
Doch die Gesundheitswirtschaft muss
bei dem Thema dringend vorankommen,
damit Patienten durch Vorhersagen am
Modell präziser behandelt werden können“,
kommentiert Sevilay Huesman-Koecke,
Head of Business Development Gesund-
heitswirtschaft bei PwC.
Bedenken beim Thema Datensicher-heitEine große Hürde beim flächendecken-
den Einsatz der Computermodelle ist
allerdings das Thema Datenschutz. So
sehen 80 Prozent der Bürger den größ-
ten Nachteil der Verwendung digitaler
Zwillinge in der Gefahr, dass ihre Daten
in die falschen Hände geraten könnten.
In der Gruppe der befragten Diabetiker
ist diese Sorge mit 79 Prozent ebenso
ausgeprägt. Bevor das Konzept flächen-
deckend eingesetzt wird, erwarten 89
Prozent der Deutschen, dass ein sicherer
Umgang mit ihren Daten gewährleistet
ist. Am ehesten würden sie ihre Daten
mit Ärzten teilen, während nur wenige
Bürger ihrer Krankenkasse oder Pharma-
firmen den Zugriff gewähren würden. „Vor
dem flächendeckenden Einsatz digitaler
Zwillinge muss dringend die Frage geklärt
werden, wer Zugriff auf die Daten erhält,
die Basis der Simulationen sind“, sagt
Sevilay Huesman-Koecke.
Sieben von zehn Bürgern halten die Erstellung des Zwillings für sinnvollTrotz der grundsätzlichen Bedenken zum
Thema Datenschutz wären 83 Prozent der
Bürger, in jedem Fall oder unter bestimm-
ten Umständen, dazu bereit, ein virtuelles
Testmodell von sich selbst anfertigen zu
lassen. Lediglich für 17 Prozent käme das
keinesfalls in Frage. Der wichtigste Grund
dafür wäre eine chronische Erkrankung,
wie 41 Prozent der Allgemeinbevölkerung
und 38 Prozent der Diabetes-Patienten
bestätigen. Die Datenerhebung soll be-
vorzugt über intelligente Pflaster, die auf
der Haut getragen werden und über Mik-
rochips Daten übertragen, oder alternativ
durch Wearables oder Gesundheits-Apps
erfolgen.
Kostenverantwortung soll bei den Krankenkassen liegenWer soll die Kosten für die flächendecken-
de Einführung digitaler Zwillinge in der
Gesundheitswirtschaft tragen? In diesem
Punkt geben die Studienteilnehmer eine
eindeutige Antwort: 62 Prozent plädieren
dafür, dass die Kostenverantwortung bei
den Krankenkassen liegen soll, in der
Gruppe der Diabetiker-Patienten sind
es sogar 71 Prozent. „Natürlich sind zu
Beginn enorme Investitionen notwendig.
Doch das Konzept digitaler Zwillinge bie-
tet uns auf Dauer die Chance, sowohl bei
der Prävention als auch bei der Diagnostik
und Therapie hohe Summen einzusparen
und Patienten gleichzeitig gezielter und
besser zu behandeln“, bilanziert Michael
Burkhart.
Beim Thema digitaler Zwilling herrscht derzeit noch große Unsicherheit. Foto: dpa
6
Ausgabe | 47/18 23. November 2018
powered by
Impressum Geschäftsführer: Karmo Kaas-Lutsberg, Dr. Michael Maier. Herausgeber: Dr. Michael Maier (V.i.S.d. §§ 55 II RStV). Chefredaktion: Nicolas Dvo-rak. Redaktion: Julia Jurrmann, Cüneyt Yilmaz, Nicole Oppelt. Sales Director: Philipp Schmidt. Layout: Peggy Matzner. Copyright: Blogform Social Media GmbH, Kantstraße 23, 10623 Berlin. HR B 105467 B. Telefon: +49 (0) 30 / 81016030, Fax +49 (0) 30 / 81016033. Email: [email protected]. Erscheinungs-weise wöchentliches Summary: 52 Mal pro Jahr. Bezug: [email protected]. Mediadaten: [email protected]. www.deutsche-gesundheits-nachrichten.de
Präzisionsmedizin
Statistisches Modell kann Erfolg neuer Medikamente berechnen Via Algorithmen ist es möglich, relevante Biomarker zu identifizieren / Entwicklung neuer Medikamente besser vorhersagbar
Via Algorithmen ist es mög-
lich, relevante Biomarker zu
identifizieren / Entwicklung neuer
Medikamente besser vorhersagbar
Ziel der „Präzisionsmedizin“
ist es, individuelle Behandlungs-
strategien und Therapien zu ent-
wickeln. Dabei spielen statistische
Verfahren eine wichtige Rolle, um
aus Daten klinischer Studien die
Wirksamkeit von Medikamenten
auf Grundlage der Patientencha-
rakteristika vorherzusagen. Nun
stellte ein Forschungsteam des
Instituts für Medizinische Statistik der Med-
Uni Wien neue mathematische Methoden
vor, mit denen für die Vorhersage relevante
Charakteristika effizient identifiziert werden
können. Zudem ermöglichen diese Verfah-
ren auch die Berechnung der statistischen
Schwankungsbreiten dieser Vorhersagen.
Arzneimittel wirken bekanntlich nicht
bei allen Menschen gleichermaßen. Deshalb
sind ForscherInnen in der Präzisionsmedi-
zin darum bemüht, bereits während der
Entwicklung eines Medikamentes, in klini-
schen Studien Gruppen von PatientInnen
zu identifizieren, die besonders auf den
Wirkstoff ansprechen und kein erhöhtes
Nebenwirkungsrisiko haben.
Statistisch-mathematische MethodenGrundlage dafür sind moderne diagnosti-
sche Verfahren wie die Genom-Sequenzie-
rung und die molekulare Bildgebung. Die
aus diesen Studien hervorgehenden Daten
werden für statistische Analysen verwen-
det, um eine genauere Vorhersage über
die Wirkung von Medikamenten treffen
zu können. Es werden dabei statistisch-
mathematische Methoden angewandt, die
aus der Fülle an Daten relevante Biomarker
herausfiltern können. Solche Biomarker
sind zum Beispiel bestimmte Genmuta-
tionen oder Laborwerte, aber auch andere
Eigenschaften der PatientInnen, wie etwa
Alter, Geschlecht oder das Krankheitssta-
dium. Mit Hilfe dieser so identifizierten
Biomarker können nun Modelle zur Vor-
hersage darüber erstellt werden, für welche
PatientInnengruppen eine Therapie mit
dem gerade neu entwickelten Arzneimittel
wirksamer ist als die Standardtherapie.
Zum Beispiel kann im Bereich onkologi-
scher Studien prognostiziert werden, für
welche PatientInnen eine neue Therapie
lebensverlängernd ist. Dazu verwendet
man sogenannte Regressionsmodelle und
Variablenselektionsverfahren. Statistische
Vorhersagen unterliegen allerdings im-
mer einer gewissen Schwankungsbreite.
Je weniger Datenmaterial von an Studien
teilnehmenden PatientInnen zur Ver-
fügung stehen, desto ungenauer ist die
Vorhersage. Ein Ziel in der medizinischen
Statistik ist es daher, die Schwankungsbrei-
te so gering wie möglich zu halten, um
die Wirksamkeit der jeweiligen Therapie
bestmöglich zu prognostizieren.
Zuverlässigkeit von Prognosemodel-len in Präzisionsmedizin verbessernIn der nun veröffentlichten Forschungs-
arbeit wurden entsprechende, neue
statistische Prognoseverfahren
erarbeitet, die im Prozess der
Entwicklung neuer Medika-
mente zum Einsatz kommen.
Mittels dieser Algorithmen ist
es möglich, auf Basis klinischer
Studien relevante Biomarker zu
identifizieren und die statistische
Zuverlässigkeit der Prognosen zu
beurteilen. Somit kann man in
der Entwicklung neuer Medika-
mente besser vorhersagen, für
welche Patientengruppen eine
Therapie wirksam und sicher
ist. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die
Zuverlässigkeit von Prognosemodellen
in der Präzisionsmedizin zu verbessern
und die Entwicklung individualisierter
Therapien zu unterstützen.
Die Arbeit ist Teil der Dissertation von
Nicolas Ballarini und wurde gemeinsam
mit Franz König, Martin Posch und Gerd
Rosenkranz an der Medizinischen Uni-
versität Wien am Zentrum für Medizini-
sche Statistik, Informatik und Intelligente
Systeme (CeMSIIS) und Thomas Jaki von
der Lancaster University durchgeführt, in
Zusammenarbeit mit dem Europäischen
Forschungsnetzwerk IDEAS zur Entwick-
lung von neuen statistischen Methoden
zur Entwicklung neuer Medikamente (EU
Horizon 2020 research and innovation
programme under the Marie Sklodowska-
Curie grant agreement No 633567, http://
www.ideas-itn.eu/).
Subgroup identification in clinical trials via the predicted individual treatment effect Nicolas M. Ballarini, Gerd K. Rosen-kranz, Thomas Jaki, Franz König, Martin Posch, published in PLOS ONE am 18. Okto-ber 2018. http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0205971 (Open Access)
Die neuen statistischen Prognoseverfahren können im Prozess der Entwicklung neuer Medikamente zum Einsatz kommen. Foto: dpa