hallux valgus – zielleistungsprizip

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FussSprungg a 2007 FussSprungg 5:46 (2007) DOI 10.1007/s10302-007-0272-2 BERUFSPOLITIK Hallux valgus – Zielleistungsprizip Zum „Zielleistungsprinzip“ heißt es in §4 Absatz 2a der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ): „Für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung, nach dem Gebührenverzeichnis ist, kann der Arzt eine Gebühr nicht berechnen, wenn er für die andere Leistung ei- ne Gebühr berechnet. Dies gilt auch für die zur Erbringung der im Gebührenverzeichnis aufgeführten operativen Leistungen methodisch notwendigen Einzelschritte.“ Um eine Befriedung bei dieser Problematik herbeizuführen, ist die Bundesärztekammer (BÄK) be- strebt, entweder im Zentralen Kon- sultationsausschuss für Gebühren- ordnungsfragen (mit dem Verband der privaten Krankenversicherung e.V., einem Vertreter des Bundes- gesundheitsministeriums und der Beihilfe) oder im Ausschuss „Ge- bührenordnung“ der BÄK Abrech- nungsempfehlungen im Interesse aller Beteiligten zu erarbeiten, bei denen unselbständige Teilschritte unter der jeweiligen Zielleistung beziehungsweise unter einer einzi- gen Gebührenposition subsumiert, jedoch fakultative, im Einzelfall notwendige Zusatzleistungen als separat berechnungsfähig gekenn- zeichnet werden. Insbesondere beim Hallux valgus wird von den Versicherungsunter- nehmen häufig behauptet, dass bei der Operation des Hallux valgus zwingend die Nr. 2297 „Operation des Hallux valgus mit Gelenkkopf- resektion und anschließender Ge- lenkplastik und/oder Mittelfuß- osteotomie einschließlich der Leis- tungen nach den Nrn. 2295 und 2296“ angesetzt werden müsse, unge- achtet der Tatschache, dass es heute ca. 50 verschiedene Verfahren gibt, die je nach Art und Umfang der Er- krankung und Ziel der Operation in Kombination oder einzeln eingesetzt werden. Dabei wird die herkömm- liche gelenkresezierende Methode nach Keller-Brandes, die durch die Nr. 2297 GOÄ beschrieben wird, heute nur noch sehr selten angewen- det. Die neueren Verfahren (wie nach Akin, Scarf, oder Chevron) zielen be- sonders darauf ab, das Großzehen- grundgelenk zu erhalten und die physiologische Stellung des Groß- zehs wiederherstellen. Unter Beachtung dieser neuen Technik hat der Ausschuss „Ge- bührenordnung“ der BÄK im Jahr 2002 Abrechnungsempfehlun- gen herausgegeben (DÄ, Heft 45/ 2002 oder www.bundesärztekam- mer.de/Themen A bis Z Gebühren- ordnung. Abrechnungsempfehlun- gen und Analogbewertungen/Be- schlüsse des Ausschusses „Ge- bührenordnung“/Chirurgie, Ortho- pädie/Neuere Operationstechniken bei Hallux valgus). Diese Abrech- nungsempfehlungen wurden kürz- lich vom Bundesgerichtshof (Az.: III ZR 217/05 vom 16. 3. 2006) bestä- tigt: „ . . . Dass die Osteotomie eines kleinen Röhrenknochens ein- schließlich Osteosynthese – (nach Nr. 2260 GOÄ) nicht als ein metho- disch notwendiger operativer Einzel- schritt der in Nr. 2297 beschriebenen Operation anzusehen ist, ergibt sich mittelbar auch aus einem Beschluss des Ausschusses ,Gebührenordnung‘ der Bundesärztekammer ...“. Das ist ein Urteil zum „Zielleis- tungsprinzip“, das zeigt, dass dieses Thema in der Rechtsprechung er- freulicherweise zunehmend diffe- renzierter betrachtet wird als noch vor zwei bis drei Jahren und die Be- schlüsse des Ausschusses „Gebüh- renordnung“ als korrekt und ziel- führend zitiert werden. Dr. med. Anja Pieritz Quelle: Deutsches Ärzteblatt Heft 36, 8. 9. 2006 Frau Dr. Pieritz hat im GOÄ Rat- geber nochmals die Rechtmäßigkeit des Ansatzes der Ziffer 2260 als Leistungsziffer für eine Osteotomie mit Osteosynthese, z. B. Chevron- Osteotomie, Scarf-Osteotomie o.ä., herausgestellt. Die von der DAF im Jahr 2002 zusammen mit dem GOÄ Ausschuss der Bundesärztekammer herausgearbeiteten Ziffern zur Ab- rechnung gelenkerhaltender Opera- tionstechniken zur Korrektur eines Spreizfußes mit Hallux valgus ha- ben somit nochmals ihre Bestäti- gung durch die höchste Gerichts- barkeit gefunden. Das Verfahren, welches letztend- lich bis zum BGH in Karlsruhe ge- langte, wurde von einer größeren, wenn auch nicht einer der größten privaten Krankenversicherungen, aus Hamburg initiiert. Im Rahmen eines Stellvertreter-Verfahrens wur- de es über das Amtsgericht Pinne- berg und das Landgericht Stade nach Karlsruhe getrieben. Der Ver- sicherungswirtschaft war die un- nachgiebige Haltung ihres Mit- glieds im PKV Verband nicht will- kommen. Umso erstaunlicher ist es nun, dass dieselbe Versicherung, die letztendlich für ihre fehlende Einsicht bestraft wurde, unverän- dert in ihrer fragwürdigen Auffas- sung verharrt. Es liegt der DAF ein Schreiben vor, in dem das Verfah- ren vor dem BGH als Einzelfall dar- gestellt wird und der Ansatz der Ziffer 2297 für gelenkerhaltende Eingriffe am ersten Strahl weiterhin für rechtmäßig betrachtet wird. Letztendlich muss man sich fragen, mit welcher Chuzpe und Ignoranz eine solche Assekuranz auftritt. Die Versicherungen sind angehalten, mit den Geldern ihrer Kunden sorgsam umzugehen. Hierzu gehört auch der rationale Einsatz der Fi- nanzen für Rechtsmittel. Juristische Verfahren anzustrengen, die man selber in höchster Instanz vor kur- zem verloren hat, erfordern erneut finanzielle Mittel für Rechtsbei- stand und Gerichtskosten. Der Aus- gang dürfte nach der Entscheidung vom März 2006 vorhersehbar sein. Daniel Frank, Leverkusen

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FussSprungg � 2007

FussSprungg 5:46 (2007)DOI 10.1007/s10302-007-0272-2 B E R U F S P O L I T I K

Hallux valgus – Zielleistungsprizip

Zum „Zielleistungsprinzip“ heißt esin § 4 Absatz 2 a der AmtlichenGebührenordnung für Ärzte (GOÄ):„Für eine Leistung, die Bestandteiloder eine besondere Ausführungeiner anderen Leistung, nach demGebührenverzeichnis ist, kann derArzt eine Gebühr nicht berechnen,wenn er für die andere Leistung ei-ne Gebühr berechnet. Dies giltauch für die zur Erbringung der imGebührenverzeichnis aufgeführtenoperativen Leistungen methodischnotwendigen Einzelschritte.“

Um eine Befriedung bei dieserProblematik herbeizuführen, ist dieBundesärztekammer (BÄK) be-strebt, entweder im Zentralen Kon-sultationsausschuss für Gebühren-ordnungsfragen (mit dem Verbandder privaten Krankenversicherunge.V., einem Vertreter des Bundes-gesundheitsministeriums und derBeihilfe) oder im Ausschuss „Ge-bührenordnung“ der BÄK Abrech-nungsempfehlungen im Interessealler Beteiligten zu erarbeiten, beidenen unselbständige Teilschritteunter der jeweiligen Zielleistungbeziehungsweise unter einer einzi-gen Gebührenposition subsumiert,jedoch fakultative, im Einzelfallnotwendige Zusatzleistungen alsseparat berechnungsfähig gekenn-zeichnet werden.

Insbesondere beim Hallux valguswird von den Versicherungsunter-nehmen häufig behauptet, dass beider Operation des Hallux valguszwingend die Nr. 2297 „Operationdes Hallux valgus mit Gelenkkopf-resektion und anschließender Ge-lenkplastik und/oder Mittelfuß-osteotomie einschließlich der Leis-tungen nach den Nrn. 2295 und2296“ angesetzt werden müsse, unge-achtet der Tatschache, dass es heuteca. 50 verschiedene Verfahren gibt,die je nach Art und Umfang der Er-krankung und Ziel der Operation inKombination oder einzeln eingesetztwerden. Dabei wird die herkömm-liche gelenkresezierende Methodenach Keller-Brandes, die durch die

Nr. 2297 GOÄ beschrieben wird,heute nur noch sehr selten angewen-det. Die neueren Verfahren (wie nachAkin, Scarf, oder Chevron) zielen be-sonders darauf ab, das Großzehen-grundgelenk zu erhalten und diephysiologische Stellung des Groß-zehs wiederherstellen.

Unter Beachtung dieser neuenTechnik hat der Ausschuss „Ge-bührenordnung“ der BÄK imJahr 2002 Abrechnungsempfehlun-gen herausgegeben (DÄ, Heft 45/2002 oder www.bundesärztekam-mer.de/Themen A bis Z Gebühren-ordnung. Abrechnungsempfehlun-gen und Analogbewertungen/Be-schlüsse des Ausschusses „Ge-bührenordnung“/Chirurgie, Ortho-pädie/Neuere Operationstechnikenbei Hallux valgus). Diese Abrech-nungsempfehlungen wurden kürz-lich vom Bundesgerichtshof (Az.:III ZR 217/05 vom 16. 3. 2006) bestä-tigt: „ . . . Dass die Osteotomie eineskleinen Röhrenknochens – ein-schließlich Osteosynthese – (nachNr. 2260 GOÄ) nicht als ein metho-disch notwendiger operativer Einzel-schritt der in Nr. 2297 beschriebenenOperation anzusehen ist, ergibt sichmittelbar auch aus einem Beschlussdes Ausschusses ,Gebührenordnung‘der Bundesärztekammer . . .“.

Das ist ein Urteil zum „Zielleis-tungsprinzip“, das zeigt, dass diesesThema in der Rechtsprechung er-freulicherweise zunehmend diffe-renzierter betrachtet wird als nochvor zwei bis drei Jahren und die Be-schlüsse des Ausschusses „Gebüh-renordnung“ als korrekt und ziel-führend zitiert werden.

Dr. med. Anja PieritzQuelle: Deutsches ÄrzteblattHeft 36, 8. 9. 2006

Frau Dr. Pieritz hat im GOÄ Rat-geber nochmals die Rechtmäßigkeitdes Ansatzes der Ziffer 2260 alsLeistungsziffer für eine Osteotomiemit Osteosynthese, z. B. Chevron-

Osteotomie, Scarf-Osteotomie o. ä.,herausgestellt. Die von der DAF imJahr 2002 zusammen mit dem GOÄAusschuss der Bundesärztekammerherausgearbeiteten Ziffern zur Ab-rechnung gelenkerhaltender Opera-tionstechniken zur Korrektur einesSpreizfußes mit Hallux valgus ha-ben somit nochmals ihre Bestäti-gung durch die höchste Gerichts-barkeit gefunden.

Das Verfahren, welches letztend-lich bis zum BGH in Karlsruhe ge-langte, wurde von einer größeren,wenn auch nicht einer der größtenprivaten Krankenversicherungen,aus Hamburg initiiert. Im Rahmeneines Stellvertreter-Verfahrens wur-de es über das Amtsgericht Pinne-berg und das Landgericht Stadenach Karlsruhe getrieben. Der Ver-sicherungswirtschaft war die un-nachgiebige Haltung ihres Mit-glieds im PKV Verband nicht will-kommen. Umso erstaunlicher ist esnun, dass dieselbe Versicherung,die letztendlich für ihre fehlendeEinsicht bestraft wurde, unverän-dert in ihrer fragwürdigen Auffas-sung verharrt. Es liegt der DAF einSchreiben vor, in dem das Verfah-ren vor dem BGH als Einzelfall dar-gestellt wird und der Ansatz derZiffer 2297 für gelenkerhaltendeEingriffe am ersten Strahl weiterhinfür rechtmäßig betrachtet wird.Letztendlich muss man sich fragen,mit welcher Chuzpe und Ignoranzeine solche Assekuranz auftritt. DieVersicherungen sind angehalten,mit den Geldern ihrer Kundensorgsam umzugehen. Hierzu gehörtauch der rationale Einsatz der Fi-nanzen für Rechtsmittel. JuristischeVerfahren anzustrengen, die manselber in höchster Instanz vor kur-zem verloren hat, erfordern erneutfinanzielle Mittel für Rechtsbei-stand und Gerichtskosten. Der Aus-gang dürfte nach der Entscheidungvom März 2006 vorhersehbar sein.

Daniel Frank, Leverkusen