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Herausforderungen in der Palliativversorung im Heim – die
Perspektive der Gerontologischen Pflege Fachkongress:
Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen
BIVA e.V.
05. April 2016 Hannover
Univ.-Prof. Dr. Hermann BrandenburgPhilosophisch-Theologische Hochschule Vallendar
Dekan der Pflegewissenschaftlichen FakultätLehrstuhl für Gerontologische Pflege
Philosophisch-Theologische Hochschule Theologische Fakultät und
Pflegewissenschaftliche Fakultät
Gliederung
I. Einführung – die Situation in den Heimen
II. Verständnis von Palliative Care
III. Die Hoffnungen des Hospiz- und Palliativgesetzes
IV. Agenda zur Umsetzung von Palliative Care
V. Auf dem Weg zu einer Palliativkultur im Heim
I. Einführung – Situation in Heimen
Besondere Ausgangslage 15% der Todesfälle gehen auf onkologische Erkrankungen
zurück (Froggat & Payne 2006)
Überweisung ins Krankenhaus „zum Sterben“ ist nach wie vor Praxis (Ewers 2006)
Medizinische Betreuung erfolgt in der Regel durch niedergelassene Allgemeinmediziner, häufig ohne spezialisierte Kenntnisse (Katz et al. 2003)
Trotzdem wird – angesichts der Gesamtproblematik – eine Ausweitung von Palliative Care auf Pflegeheimbewohner diskutiert (Sandgathe & HusebØ 2001)
Sehr knappe Ressourcen, nicht nur in Deutschland (Maddox & Parker 2001)
Verschärfung des Fachkräftemangels in der Zukunft (Pohl 2011, HWA & AGP 2013; Bertelsmann Stiftung 2015)
Hochaltrigkeit, Multimorbidität, Demenz (Wingenfeld 2008)
Pflegeheime = Orte des Sterbens (Heller & Wegleitner 2006, Wilson 2010)
Einige Schlaglichter
Wie gelingt es eigentlich, dass auch in Pflegeheimen eine den individuellen Bedürfnissen angemessene Palliativversorgung (und Sterbebegleitung) ermöglicht wird –ohne dass die Heime „palliativ aufgerüstet“ und medikalorganisiert werden, sondern die Frage nach Menschenwürde, Lebensqualität und gutem Leben ins Zentrum gerückt wird?
Die Herausforderung
Der Fokus meiner Ausführungen Es steht nicht zur Diskussion, ob wir einen Palliative Care
Ansatz brauchen – den brauchen wir dringend!
Mir geht es darum herauszuarbeiten, wie dieser Weg mit
− dem Anspruch an ein gutes Heim verbunden werden kann− Welche Ressourcen dafür notwendig sind− Welche Grenzen und Gefahren beachtet werden müssen− Dabei soll auch das neue Hospiz- und Palliativgesetz mit
bedacht werden
Meine Perspektive ist die der Gerontologischen Pflege (Brandenburg & Güther 2015)
II. Verständnis von Palliative Care
Leitlinien der WHO aus dem Jahre 2002
“Palliative Care is an approach that improves the quality of life of patients and their families facing the problems associated with life-threatening illness, through the prevention and relief of suffering by means of early identification and impeccable assessment and treatment of pain and other problems, physical, psychosocial and spiritual”
Leitlinien der WHO aus dem Jahre 2002 provides relief from pain and other distressing symptoms; affirms life and regards dying as a normal process; intends neither to hasten or postpone death; integrates the psychosocial and spiritual aspects of patient care; offers a support system to help patients live as actively as possible until
death; offers a support system to help the family cope during the patients
illness and in their own bereavement; uses a team approach to address the needs of patients and their
families, including bereavement counseling, if indicated; will enhance quality of life, and may also positively influence the course
of illness; is applicable early in the course of illness, in conjunction with other
therapies that are intended to prolong life, such as chemotherapy or radiation therapy, and includes those investigations needed to better understand and manage distressing clinical complications“ (WHO 2002).
Besonderheiten Abrücken von rein akutmedizinischen und ausschließlich
kurativ ausgerichteten Primat der Versorgung (Remmers 2010)
Todesnähe allein ist kein Maßstab für Palliativbedürftigkeit (Kojer & Heimerl 2010)
Teamarbeit, Interdisziplinarität und (Selbst)-Qualifikation (Böker et al. 2005)
Christlicher Kerngedanke der Hospizbewegung (Leid gehört zum Leben und ist von allen zu tragen) (Graf 2006)
Die 5 Leitsätze der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland (2010)
1. Gesellschaftliche Herausforderungen – Ethik, Recht und öffentliche Kommunikation Jeder Mensch hat ein Recht auf ein Sterben unter würdigen Bedingungen. Er muss darauf vertrauen können, dass er in seiner letzten Lebensphase mit seinen Vorstellungen, Wünschen und Werten respektiert wird und dass Entscheidungen unter Achtung seines Willens getroffen werden.
2. Bedürfnisse der Betroffenen – Anforderungen an die Versorgungsstruktur Jeder schwerstkranke und sterbende Mensch hat ein Recht auf eine umfassende medizinische, pflegerische, psychosoziale und spirituelle Betreuung und Begleitung, die seiner individuellen Lebenssituation und seinem hospizlich-palliativen Versorgungsbedarf Rechnung trägt.
3. Anforderungen an die Aus-, Weiter und Fortbildung Jeder schwerstkranke und sterbende Mensch hat ein Recht auf eine angemessene, qualifizierte und bei Bedarf multiprofessionelle Behandlung und Begleitung. Um diesem gerecht zu werden, müssen die in der Palliativversorgung Tätigen die Möglichkeit haben, sich weiter zu qualifizieren, um so über das erforderliche Fachwissen, notwendige Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie eine reflektierte Haltung zu verfügen.
4. Entwicklungsperspektiven und Forschung Jeder schwerstkranke und sterbende Mensch hat ein Recht darauf, nach dem allgemein anerkannten Stand der Erkenntnisse behandelt und betreut zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, werden kontinuierlich neue Erkenntnisse zur Palliativversorgung aus Forschung und Praxis gewonnen, transparent gemacht und im Versorgungsalltag umgesetzt. 5. Die europäische und internationale Dimension
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Deutscher Hospiz- und PalliativVerband und Bundesärztekammer
III. Die Hoffnungen des Hospiz- und Palliativgesetzes
vom 01.12.2015
Was soll sich ändern?
Es geht darum Bewohnern v. Pflegeheimen ein ihren Wünschen entsprechendes Angebot an Palliativversorgung und Hospizbetreuung zu ermöglichen
Pflegeheime sollen die Versorgungsplanung in der letzten Lebensphase im Hinblick auf medizinische, pflegerische, soziale und seelsorgerische Betreuung organisieren
Was soll sich ändern? Daher sollen: − Kooperationsverträge zwischen Heimen und Ärztinnen und
Ärzten abgeschlossen werden− Versicherte über entsprechende Leistungen beraten werden − Im Rahmen von Fallbesprechungen (auch unter Einbezug v.
Angehörigen und Vertrauten) der Ablauf besprochen werden und geeignete Maßnahmen zur „palliativ-medizinischen, palliativ-pflegerischen und psychosozialen Versorgung“ (§ 132g
Abs.1; SGB V) dargestellt werden − Im Internet über Kooperationen mit Netzwerken (Hospiz-
und Palliativnetzen) zu informieren
Was soll sich ändern? Damit verbunden ist: − Eine bessere Bezahlung der Ärztinnen und Ärzte (von
Pflegenden ist nicht die Rede!) − Refinanzierung der Beratungsangebote durch die Krankenkassen − Aufforderung an die Kassenärztliche Bundesvereinigung und den
Spitzenverband der Krankenkassen einen Bundesmantelvertragbis zum 30.06.2016 zu vereinbaren (Inhalte der palliativ-medizinischen Betreuung, Anforderungen an die Qualifikation ärztlicher Leistungserbringer (von Pflegenden ist wieder keine Rede!), Koordination, Sicherung d. Versorgungsqualität)
Wie ist das alles einzuschätzen? Es ist gut, richtig und notwendig, dass ein Gesetz zur Hospiz-und
Palliativversorgung auf den Weg gebracht wurde
Allerdings wird die Umsetzung vor allem durch zwei Aspekte begrenzt - wenn nicht sogar unmöglich gemacht: - die prekäre personelle Situation in den Heimen (dazu gehört auch das Fehlen v. Ärzten, die im Bereich „Palliativmedizin“ adäquat qualifiziert sind) - die Herausforderungen in der Organisationsentwicklung, d.h. die Umstellung von der „totalen Organisation“ zu einer „lernenden Organisation“
IV. Agenda zur Umsetzung von Palliative Care
Was ist zu tun?
1. Integration der Leitlinien des Palliative Care Ansatzes in ein Pflege- und Betreuungskonzepte der Einrichtung
− Konsequenz: Palliative Care kein „add on“, sondern Bestandteil des Gesamtkonzepts
2. Der Prozess der Organisationsentwicklung
Konsequenz: Strategien des „erfolgreichen Scheiterns“ werden vermieden, Erkenntnisse der Disseminationsforschung Ernst genommen
Was ist zu tun?
3. Die Beseitigung des Mangels an zeitlichen, personellen und ökonomischen Ressourcen
− Konsequenz: Die Unterfinanzierung der Langzeitpflege muss beseitigt werden - eingedenk der Tatsache, dass Geld nicht alle Probleme löst
4. Die Notwendigkeit der Einschränkung der externen Regulierung des Heimsektors
Konsequenz: Das interne Qualitätsmanagement muss gestärkt werden, sonst erodiert letztlich der Ethos der Professionellen
V. Auf dem Weg zu einer Palliativkultur in Heimen
Ebenen
Individuelle Ebene
Einrichtung
Träger / Verbände
Politik
Gesellschaft
Der Blick auf Möglichkeiten und Grenzen
Realistischer Blick
Ansätze und Konzepte zur Umsetzung
Die Gesamtproblematik nicht aus dem Auge verlieren
Vgl. auch Brandenburg 2014a,b
Quelle:http://www.google.de/imgres?imgurl=http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8c/Hugo_Simberg_Garden_of_Death.jpg&imgrefurl=http://de.wikipedia.org/wiki/Im_Garten_des_Todes&h=1693&w=2048&sz=3293&tbnid=1XxxUv9b1GiOHM:&tbnh=90&tbnw=109&zoom=1&usg=__62O_ILnvKIFTQ1GupewRgjH0VK4=&docid=T_HP-FrouSFiwM&sa=X&ei=C1CYUt6ON8fTtQas6YCQCQ&ved=0CDQQ9QEwAA&dur=174, letzter Abruf am 20. April 2014)
Hugo Simberg: Der Garten de Todes (1896)
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Herzlichen Dank